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Neunzehntes Kapitel.
Ein Orkan

Wir hatten die kanarischen Inseln passiert, eine derselben, Palma, sogar gesichtet. Das Schiff befand sich nun in den Breitegraden, wo der Nordostpassat gewöhnlich zu wehen beginnt. Unsere Durchschnittsgeschwindigkeit hatte in den letzten sieben Tagen über zweihundert Seemeilen betragen, und allem Anscheine nach konnten wir auf eine schnelle Reise rechnen.

Inzwischen hatten wir den Winter weit hinter uns gelassen. Die Sonne wurde von Stunde zu Stunde wärmer und unsere Schatten an jedem Mittage kürzer. Am 14. Februar schien der Wind uns untreu werden zu wollen. Es war gegen vier Uhr nachmittags, als Richard in unsere Kammer trat, wo ich gerade in meinen Kleidern kramte.

»Ein vollständiger Temperaturwechsel, aber immer besser als Schnee und Eis, nicht wahr, Jeß? Wenn nur der niederträchtige Wind nicht abflauen wollte. Ich hatte so fest darauf gerechnet, daß er uns in den Passat hinein bringen würde.«

»Vielleicht zeigt dieser Wechsel eben den Passat an.«

»Das wäre sehr schön,« meinte er, »leider haben wir vorläufig aber erst einen schweren Sturm in Aussicht. Sieh dir einmal das Barometer an. Das ist ein ganz bedenkliches Fallen seit zwei Stunden.«

Er zog einen leichten Rock an und ging an Deck. Ich folgte ihm, nicht ohne vorher noch einmal das Barometer zu betrachten, wobei ich bemerkte, daß das Quecksilber noch immer fortfuhr, zu fallen. Die Bark trieb in völliger Windstille. Die leichteren Segel waren festgemacht. Nur die Marssegel und die Fock waren noch bei und schwangen leise hin und her, wenn das Schiff mit der Dünung sanft schlingerte. Die Temperatur war ähnlich wie in einem Warmbade.

Es fehlten nur noch zwei Stunden bis Sonnenuntergang und doch hatten die Sonnenstrahlen etwas so stechendes an sich, wie man es gewöhnlich so weit nördlich vom Aequator noch nicht findet.

Ich bemerkte, daß mein Mann fortwährend unruhige Blicke über die See warf. Auch in seinem hastigen Auf- und Abgehen verriet sich seine Besorgnis. Ich war kein Weiterprophet. Wenn mir aber auch die Anzeichen des Barometers unbekannt gewesen wären, so wären mir doch diese plötzliche Stille, das Aussehen der Luft und die verschwommene Sonne mit dem wild aussehenden Ringe darum höchst bedeutungsvoll vorgekommen.

Als es zwei Glasen schlug, gab Herr Heron, der sich jetzt an Deck befand und von Richard seine Instruktionen erhalten hatte, den Leuten den Befehl, mit der Arbeit auszuscheiden und zum Abendbrot zu gehen.

Kein Lüftchen regte sich und nicht das leiseste Katzenpfötchen konnte auf der spiegelblanken Meeresfläche wahrgenommen werden. Die Sonne stand noch ein gutes Stück über dem Horizont und hatte den Ring verloren. Dafür stand rechts oben neben dem Tagesgestirn ein dunkler, schwarzer Fleck am Himmel, als ob die Nacht auf der verkehrten Seite der Welt beginnen wollte.

»Siehst du das, Richard?« rief ich aus, indem ich auf die finstere Erscheinung deutete.

»Ob ich es sehe, Jeß,« antwortete er lächelnd. »Ei, ich habe die letzte halbe Stunde beobachtet, wie es sich allmählig zusammenzog.«

»Aber wodurch entsteht diese Finsternis? Ich kann keine Wolken entdecken.«

»Die Luft ist gar zu dick,« erwiderte er. »Die Finsternis ist eben nichts als Wolken. Wie stetig die Dünung von Nordwest her heranrollt! Von dort wird auch der Sturm kommen.«

»Du scheinst darauf vorbereitet zu sein,« sagte ich und blickte nach oben.

»Noch nicht ganz,« antwortete er. »Laß die Leute nur erst essen und ihre Pfeife rauchen. Sie sollen mich stets entgegenkommend finden; denn ich will keine Meuterei haben.«

»So weit ist alles gut gegangen, Richard.«

»So weit, wie du sehr richtig sagst. O, wie sehr ich jetzt einen tüchtigen Steuermann vermisse, wie ich ihn haben möchte – und haben müßte von Rechts wegen.«

Dabei blickte er stirnrunzelnd auf Heron, der nachdenklich die Sonne betrachtete.

Drei Glasen wurden angeschlagen. Mein Mann verließ mich. »Herr Heron, lassen Sie Fock- und Vormarssegel festmachen und das Großmarssegel dicht reffen.«

Der Steuermann wiederholte den Befehl mit lauter Stimme und die Mannschaft befolgte ihn sofort. Wäre ich selber ihr Kapitän gewesen, ich hätte die Leute nicht mit größerer Spannung beobachten können. Als die Fock aufgegeit war, stiegen alle Mann hinauf, um sie festzumachen. Inzwischen breitete sich die Finsternis im Nordwesten immer mehr aus und die Sonne erschien wie ein großer Blutflecken am Himmel. Sie stand nur noch ein paar Grad über dem Horizont und sah wie eine formlose Masse von flüssigem Feuer aus, das durch einen Riß im Himmelsgewölbe herauszutropfen schien. Die Bewegung der See war so träge, als ob das Meer aus Oel bestände, und ein merkwürdig starker Geruch erfüllte die Luft, ähnlich wie man ihn am Seestrande bei Niedrigwasser infolge von Seetang und andern Auswürfen des Meeres findet. Es blitzte nicht mehr, aber die zunehmende Dunkelheit – es war noch nicht die hereinbrechende Nacht, sondern nur der Schatten der finstern Wolken – deutete darauf hin, daß ein furchtbar schweres Unwetter uns unmittelbar bevorstand.

Mein Mann rief dem Steuermann zu: »Eine Wache genügt, um das Vormarssegel festzumachen. Lassen Sie die Steuerbordwache nach achtern kommen und das Großmarssegel dicht reffen, so lange wir noch keinen Wind haben. Sagen Sie den Leuten, sie sollten sich beeilen, sonst haben wir die Bescherung hier, ehe sie noch von der Raa herunter sind.«

Der Steuermann wiederholte den Befehl fast wörtlich. Die Leute hielten in ihrem Gesang inne und eine Stimme – ich weiß nicht wessen – rief aus: »Wir brauchen beide Wachen zu jedem Marssegel, und wenn noch mehr Freiwächter da wären, könnte es auch nichts schaden!«

»Wer war das?« rief Richard und ging mit schnellen Schritten bis an den Großmast.

Keine Antwort.

»Nach achtern hier die Steuerbordwache, und refft das Großmarssegel dicht!« schrie mein Mann.

Niemand rührte sich. Zuerst hatten sie das Vormarssegel aufgegeit; jetzt standen sie, die Taue in den Händen und blickten müßig achteraus, während die Leute im Vormars grinsend herabschauten.

»Herr Heron,« schrie Richard, dunkelrot vor Wut, »hier haben wir wieder Meuterei und zwar angesichts eines Sturmes, der uns entmasten und vernichten kann. Helfen Sie mir. Was starren Sie mich an? Folgen Sie mir und zeigen Sie der Steuerbordwache den Weg nach achtern!«

»Ich kann dabei nichts thun,« erklärte der Steuermann, ohne sich von der Stelle zu rühren.

»Nicht?« schrie Richard und ballte die Fäuste. »Sie versuchen es ja überhaupt nicht! Sie sind ebenso träge, meuterisch und nichtsnutzig, wie die ganze Bande! Wollen Sie mich unterstützen oder nicht?«

»Die Leute können das doch selber am besten beurteilen,« erwiderte der Steuermann mit lauter Stimme, damit es alle Mann hören sollten. »Sie behaupten, mit einer Wache das Marssegel nicht festmachen zu können und werden ihre eigenen Kräfte doch wohl kennen.«

Mit einem Sprunge stand mein Mann vor ihm.

»Gehen Sie in Ihre Kammer!« rief er und zeigte auf die Kajütskapp.

»Weshalb?« versetzte der Steuermann, indem er unwillkürlich einen Schritt zurücktrat und die Arme erhob.

»Gehen Sie hinunter!« schrie Richard.

Der Steuermann zauderte. Im Augenblick hatte mein Mann ihn mit beiden Händen am Rockkragen gepackt und drückte ihm mit den Daumenknöcheln den Hals zusammen.

So schleppte er ihn das Deck entlang der Kajütskapp zu. Bei diesem Anblick brach ich fast zusammen, weil ich fürchtete, daß noch Schlimmeres darauf folgen könnte. Ich zitterte, daß die Leute sich auf meinen Mann stürzen würden und da stand ich, ein schwaches Weib und halb ohnmächtig vor Aufregung, bereit, mich zwischen ihn und den ersten herankommenden Matrosen zu werfen. Die Leute ließen die Taue fallen und versammelten sich alle an Steuerbord, um besser sehen zu können. Einen Versuch, den Steuermann zu befreien, machten sie nicht.

Mein Mann schleppte den Elenden hinter sich her wie einen leeren Sack. Von Widerstand konnte keine Rede sein. Wenn Herr Heron ein Riese gewesen wäre, würde ihn doch der eigentümliche Griff, mit dem Richard ihn gepackt hatte, wehrlos gemacht haben. Ich konnte einen Schrei nicht unterdrücken, als ich sah, daß Herons Gesicht dunkelrot gefärbt war und ihm die Augen aus dem Kopf hervorquollen. Da hatte ihn Richard auch schon an der Kajütskapp, drehte ihn herum und schob ihn die Treppe hinunter.

»Nun, Jungens, laßt uns das Marssegel aufgeien,« rief der Zimmermann, als ob er sagen wollte: »Der Spaß ist vorbei, also wieder an die Arbeit.«

Die Leute fingen wieder an auszusingen, und sobald das Segel aufgegeit war, stiegen wieder wie vorher alle Mann mit Ausnahme von Herrn Short nach oben.

In diesem Augenblick kam mein Mann wieder an Deck. Der Rand des finsteren Schattens im Nordwesten erstreckte sich bereits über unsere Mastspitzen, die Sonne war verschwunden und es wurde immer finsterer. Ich konnte kaum noch Richards Gesicht erkennen. Er blickte auf die Vormarsraa mit der Mannschaft darauf und dann auf das Wetter. Jetzt stiegen die Leute die Fockwanten hinab. Es war schon so dunkel geworden, daß man ihre Gestalten kaum noch erkennen konnte.

Plötzlich zuckte mitten aus der Finsternis ein scharfer Blitzstrahl über die See und beleuchtete das Firmament bis einige Grade diesseits des Zeniths. Ich horchte gespannt, konnte aber nicht die leiseste Spur von Donner vernehmen. Totenstille lag über der See. Die Schwankungen des Schiffes waren zu schwach, um das schwer herabhängende Tuch des Großmarssegels zu bewegen. Auch in der Takelage war alles still bis auf das gelegentliche Klirren einer Kette oder das Quieken einer Scheibe, wenn sich das durch den Block geschorene Tau plötzlich straff anspannte. Die Luft war dick und schwer, so daß man sie nur mit Mühe einatmen konnte. Ab und zu bemerkte man auf der dunkeln Dünung einen schwachen, phosphorartig leuchtenden Glanz, der die blassen Blitze nachzuahmen schien, die dort, wo der Sturm brauste, aufleuchteten. Wenn die Bark langsam und sanft ihre Seiten ins Wasser tauchte, stiegen Strahlen und allerlei Figuren von grünlichem Feuer aus dem schwarzen, gurgelnden Wasser empor, als ob ringsumher Feuergeister in dem nassen Element ihr Wesen trieben.

»Vorwärts, Leute, an die Refftaljen. Schnell, damit ihr herunter seid, ehe der Wind kommt!« rief Richard mit laut schallender Stimme.

Ein schwerer Regentropfen fiel mir ins Gesicht. Ich machte eine Bewegung nach der Kajütskapp, hielt aber inne. Ich fürchtete die Hitze in der Kajüte und wollte auch den Sturm losbrechen sehen und mit eigenen Augen beobachten, was daraus würde. Richard beachtete mich nicht, hatte auch wohl den Kopf zu voll, um an mich zu denken.

Nur wenige Regentropfen fielen. In dem vom Oberlicht ausströmenden Schein bemerkte ich ihre Spuren an Deck.

Da, als ich querab auf die See blickte, – in der Stille war die Bark mit der Breitseite zur Dünung heraumgeschwajt und lag nun Südwest an – sah ich den Sturm kommen. Dichte Finsternis, umhüllte uns jetzt. Es war, als säßen wir in einem Kellergewölbe. Eine seltsame Erscheinung zeigte sich dort am Himmel, von wo der Sturm heranjagte und kündigte ihn an. Die Wolken schienen sich wie ein Vorhang geteilt zu haben und ließen eine schmale, scharf begrenzte bogenförmige Oeffnung hervortreten. Ununterbrochen beleuchteten blasse Flächenblitze dieses Thor, ohne die gewichtigen Wolkenmassen auf beiden Seiten zu durchdringen. Einen schauerlichen Eindruck machte der unter dieser Oeffnung liegende Teil der Meeresoberfläche, der in gespenstischem Scheine erglänzte, ähnlich wie das Licht eines Lampions aus geöltem Papier. Es sah aus, als ob der Orkan durch jene Oeffnung in den Wolken hindurchraste und die See darunter aufwühlte.

»Herunter von der Raa, Leute! Es gilt das Leben!« donnerte mein Mann. »Laßt das Segel fliegen!«

Schon lange, ehe uns der Orkan erreichte, hörte ich das Donnern des Windes und das Zischen der niedergepreßten See, als ob der ganze Ozean kochte. Es war einer jener Augenblicke, die von niemandem, der sie einmal erlebt hat, jemals wieder vergessen werden können: im Südwesten schwarze Finsternis wie ein Meer von flüssigem Pech, in welchem unsere Masten schon einige Fuß über Deck verschwanden, und tiefe Totenstille und Grabesruhe, so daß selbst das pendelartige Auf- und Niedersteigen der Dünung aufgehört zu haben schien, als ob vor dem heranbrausenden Sturm auf Meilen voraus alles Leben in der Tiefe erstorben wäre; im Nordwesten die blassen Blitze, die sich wie ein riesiges Auge zu öffnen und zu schließen schienen, der wilde und furchtbare Schein, der sich vom Fuße des Wolkenthores über die See ausbreitete, das weiße, in der Dunkelheit wie Schnee flimmernde Wasser, das sich uns mit entsetzlicher Geschwindigkeit näherte und endlich der alles übertönende Donner des herannahenden Sturmes.

Plötzlich stürmte mein Mann auf mich los. »Bist du das, Jessie?«

»Ja,« antwortete ich.

»Um Gottes willen, sieh dich vor!« schrie er. »Hier kannst du nicht bleiben; hier ertrinkst du ja.« Damit schleppte er mich nach der Kajütskapp und dort im Schutz der Luke kauerte ich mich nieder und klammerte mich fest an das Geländer, während er nach achtern sprang und dem Manne am Ruder einen Befehl zuschrie.

Unmittelbar darauf traf uns der Orkan. Seine Wut zu beschreiben ist unmöglich. Es giebt in keiner Sprache Worte, die diesen betäubenden Donner, diese zerschmetternde Wucht beschreiben könnten. Die Bark legte sich auf die Seite, immer weiter und weiter, bis ich das Wasser in Lee über die hohen Schanzbekleidungen wie Gebirgsbäche an Deck hineinströmen hörte. Noch weiter ging es hinüber, so daß die Kajütskapp fast parallel zur See stand und mir das Blut zu Kopf stieg; das Wasser konnte ich mit der Hand erreichen und Schaumflocken, so dick wie ein nordischer Schneefall, erfüllten die Luft. Einige der aufgepeitschten Schaumflocken flogen mir ins Gesicht. Es schmerzte, als ob ein Schrotschuß mich getroffen hätte.

Plötzlich hörte ich über mir einen lauten Knall, ähnlich wie ein Kanonenschuß. Das Großmarssegel war weggeblasen und das Schiff richtete sich nun wieder ein wenig auf. Noch immer aber lag es zur Hälfte unter dem Wasser, das allerdings ganz bewegungslos war. Der Orkan hatte die See so flach wie ein Brett gepreßt. In der kurzen Zeit konnten sich noch keine Wogen bilden. Ich war buchstäblich betäubt von dem entsetzlichen Aufruhr und hielt mich krampfhaft am Treppengeländer fest. Es war nur ein schwacher Schutz vor der Gewalt des Sturmes, so daß ich vollständig durchnäßt wurde. So viel Besinnung hatte ich noch, um mir zu sagen, daß wir uns auf das Aeußerste gefaßt machen mußten. Es schien, als ob die Bark sich nicht wieder aufrichten wollte. In diesem Falle, das wußte ich, mußte sie zu Grunde gehn. Nach einer Weile bemerkte ich, daß die fürchterliche Krängung des Decks abnahm.

Langsam fiel das Schiff ab, bis es das Heck dem Winde zugekehrt hatte und es war wie eine Erlösung aus Todesgefahr, als man fühlte, wie es sich allmählig wieder erholte, bis schließlich das Deck seine horizontale Lage wieder erlangt hatte. Wie ein Pfeil flog die Bark jetzt vor dem Orkan her, während das Wasser in Sturzbächen aus den Speigatten strömte.

Ich blieb in der Kajütskapp stehen. Menschliche Stimmen konnte ich nicht hören, und in dem schwachen Schein der Kompaßlampe waren die Gestalten der beiden Männer am Ruder kaum zu erkennen. Einer derselben war mein Mann. Jetzt fing auch die See an, höher zu gehen. Es bildeten sich gewaltige Wogen, auf denen die Bark heftig stampfte. Noch eine halbe Stunde hindurch lenzten wir weiter und jagten ebenso toll über das Wasser, wie der Sturm selbst, während uns fliegender Schaum umhüllte, der Donner des Orkans uns betäubte und wir zuweilen durch die feurigen Blitze plötzlich geblendet wurden.

Mein Mann schrie vom Ruder aus etwas, das ich nicht verstehen konnte. Der Wind trug den Schall nach vorne und gleich darauf bemerkte ich die Gestalt eines Mannes, der sich taumelnd, zuweilen auf allen Vieren an der Reeling entlang arbeitete, um nach achtern zu kommen, wo er Richards Platz am Ruder einnahm.

Mein Mann trat jetzt schnell einige Schritte vor und rief den Leuten zu, daß er das Schiff sofort beidrehen wolle.

Wenn das überhaupt geschehen sollte, so war es weise, es jetzt zu thun, ehe sich die See zu einer solchen Bergeshöhe erhoben haben würde, wie man es bei diesem Orkan erwarten mußte.

»Klar beim Stagsegelnehrholer! Sind alle Mann dort? Dann los das Fall!«

Im Augenblick, wo die Schot aufgefiert wurde, zerpeitschte das Segel in Fetzen. Kleine Stücke wirbelten in der Luft herum wie die fliegenden Schaumflocken und lange, peitschenähnliche Streifen knatterten, wenn sie gegen das Stag schlugen, als ob ganze Musketensalven von der Bark abgefeuert würden.

»Laßt das Stagsegel fliegen! An die Achterbrassen! Die Leute am Ruder! Langsam aufluven!«

Sobald das Schiff seinen Bug dem Orkan zugewendet hatte, legte es sich so stark auf die Seite, daß das Deck fast senkrecht über dem Wasser zu stehen schien. Diesmal blieben die Leeschanzkleidungen zwar über Wasser, aber die ganze Wucht des Sturmes traf uns jetzt von vorne. Seine Wut schien sich zu verdoppeln, als ob sie dadurch, daß sich das Schiff plötzlich umdrehte und sich ihm nun stellte, wie ein gehetzter Hirsch bis zur entsetzlichsten Raserei gereizt wäre.

Mit vieler Mühe gelang es mir, unsere Kammer zu erreichen, mich der nassen Kleider zu entledigen und wieder trockene anzuziehen. Noch halb betäubt und instinktmäßig mich festhaltend saß ich in meiner Koje, als Richard jetzt eintrat.

»Nun, liebe Jeß, hast du schon deinen Thee gehabt?« fragte er.

»Nein,« sagte ich, »und habe auch noch nicht daran gedacht. Dies ist ja ein furchtbarer Sturm, Richard! Wie entsetzlich die Bark schlingert! Manchmal fürchte ich wahrhaftig, daß es mit uns bald aus ist.«

»Aus mit uns?« rief er. »Hat der Sturm deinen ganzen Mut fortgeweht? Was würde dein Vater sagen, wenn er das hörte? Es ist ja ein sehr schwerer Sturm, aber glaubst du etwa, daß die ›Aurora‹ ihm nicht gewachsen ist?«

»Nun, als sie sich vor dem ersten Anprall überlegte, glaubte ich bestimmt, daß wir alle verloren wären. Ich wäre beinahe heruntergelaufen und hätte Heron herausgelassen. Es kam mir so grausam vor, ihm nicht wenigstens soviel Gelegenheit als irgend möglich zu geben, sein Leben zu retten.«

»Es freut mich, daß du es nicht thatest,« sagte er schnell.

»Hast du ihn denn wirklich eingeschlossen?« fragte ich leise.

»Ja, wirklich. Er ist in seiner Kammer und den Schlüssel dazu trage ich bei mir.«

»Aber wie soll er dann seine Mahlzeiten einnehmen, Richard?«

»Darüber beunruhige du dich nicht, Jessie! Ueberlaß den Mann nur mir. Es thut mir sehr leid, daß du die Geschichte zwischen Herrn Heron und mir mit ansehen mußtest. Gott weiß, ich würde sie gern vermieden haben, aber bei diesem offenbaren groben Ungehorsam konnte ich nicht anders. Er verweigerte mir seine Hilfe der Mannschaft gegenüber und bestärkte die Leute noch in ihrem meuterischen Betragen – und das angesichts eines ausbrechenden Sturmes, von dem er ebenso gut wußte, wie ich, daß er ein sehr schwerer sein würde.«

Während dieses Gespräches war Richard beschäftigt, trockene Kleider und Oelzeug anzulegen. Dann küßte er mich und begab sich wieder an Deck. Obgleich er aber versprochen hatte, zum Abendbrot wieder herunter zu kommen, meldete mir jedoch der Steward bald darauf, der Kapitän könne das Deck noch nicht verlassen und ich solle nicht auf ihn warten.

Ich konnte nicht essen; auch wurde mir der Aufenthalt in der Kajüte unerträglich. Ich mußte an Deck gehen und wäre es nur auf eine Minute, um mich umzuschauen. Mit vieler Mühe und in steter Gefahr, sowie ich mich losließ, an die Wand geschleudert zu werden, gelang es mir, meine Kammer wieder zu erreichen. Ich hüllte mich in einen dicken Regenmantel, zog die Kapuze über den Kopf, tappte bis an die Kajütentreppe und stieg bis zur Höhe der Luke empor. Oben angelangt, konnte ich im Schutz der Kapp und dem Winde den Rücken kehrend, die See in Lee überblicken. Es war ein schauerliches und wildes Schauspiel, das unser kleines Schiff in dieser dunkeln, heulenden, stürmischen Nacht darbot.

Dunkle Wasserberge rollten dahin, umspielt von flammenden Feuerzungen, und wenn zuweilen der Kamm einer riesenhaften See sich überschlug, stieg und fiel die dadurch entstandene Schaumfläche auf den dahinjagenden Wogen, als ob sie mit brennendem Terpentin begossen wären. Die Bark lag unter Top und Takel, machte also keine Fahrt. Jedesmal wenn eine See heranrollte, stürzte sie mit solcher Wucht in die brausende Tiefe hinab, daß sich kolossale Schaummassen über der davoneilenden Woge ausbreiteten. Das flimmernde Licht dieser schneeigen Massen vermischte sich mit dem höllischen Phosphorgefunkel der See. In diesem Scheine hoben sich die Umrisse des Schiffes klar hervor und wurden bis zu den Fockrüsten sichtbar.

Aus der Dunkelheit kam eine Gestalt auf mich zugeglitten. Es war mein Mann, der sich in der Bucht eines Taues zu mir herabfierte. In der Finsternis konnte ich sein Gesicht nicht erkennen, obgleich er dicht neben mir stand. »Was thust du hier, Jessie?« fragte er. »Du solltest unten bleiben. Hier ist nichts zu sehn und du kannst leicht über Bord gespült werden.«

Ich stieg einige Stufen weiter hinab, um ihm in der Kapp Platz zu machen, da er draußen meine Antwort nicht gehört haben würde.

»Ich mag in solcher Nacht nicht allein da unten sein,« meinte ich. »Wenn wir einmal untergehn sollen, so will ich wenigstens nicht wie eine Ratte in der Kajüte ertränkt werden.«

»Untergehn! Unsinn!« rief er lächelnd. »Die Bark hält sich ganz vorzüglich.«

»Weshalb kamst du dann nicht zum Abendbrot?« fragte ich.

»Weil ich nicht von Deck gehen will. Hast du schon gegessen?«

»Nein! Wie kann man essen, wenn man mit einem Fuß im Grabe steht?«

Er fing an zu lachen. »Ei Jeß, das geht durchaus nicht. Wo ist deine Begeisterung für die See geblieben? Komm, fünf Minuten habe ich allenfalls Zeit. Ich will doch sehn, wenn ich ein paar Bissen nehme, ob du nicht meinem Beispiel folgen wirst.«

Er schlang den Arm um meine Taille, hob mich in die Höhe und im nächsten Augenblick hatte er mich schon neben sich an den Kajütentisch gesetzt.

»Jeß,« sagte er, indem er mit wunderbarer Geschicklichkeit immer den richtigen Zeitpunkt abpaßte und sich mit der größten Leichtigkeit alles, was er wollte, von dem Schwingebrett nahm, »aus so einem Sturm mußt du dir nichts machen. Wir sitzen hier doch nicht in einem alten Siebe, sondern in einem so wackern, kleinen Kahn, wie nur je einer auf See geschwommen hat.«

»Es ist die Einsamkeit und dabei muß ich das Krachen und Knarren anhören und wenn ich dann noch an jenen denke« – ich deutete auf Herons Kammer – »so muß ich ja ängstlich werden.«

»Ich kann das sehr wohl verstehen,« versetzte er. »Hier, iß dies Stück Fleisch und nimm einen kleinen Schluck zu trinken.«

»O, wie das Schiff stampft, Richard! Ich habe ja niemals auf eine besondere Tapferkeit Anspruch gemacht. Selbst mein Vater würde nervös werden, wenn er ganz allein hier unten sitzen und dieses Konzert mit anhören müßte.«

Ich wollte ihn nicht gern merken lassen, daß ich Angst hätte, sah aber auch wohl ein, daß es sehr albern sein würde, wenn ich ihm durchaus einreden wollte, daß ich ganz ruhig sei.

»Wenn du dein Abendbrot gegessen hast,« sagte er, »mußt du ruhig zu Bette gehen und morgen früh, wenn du aufwachst, scheint die Sonne und der ganze Sturm ist vorüber. Einen Kuß, Jeß, so! – In einer halben Stunde komme ich einmal wieder herunter und hoffe, dich dann gut zugedeckt vorzufinden im Lande der Träume, wo es keine Stürme giebt.«

Ich gehorchte ihm, obgleich ich keine besondere Lust verspürte, mich wieder zu legen. Lieber wäre ich die ganze Nacht aufgeblieben, indessen sah ich ein, daß Richard mich wohl nicht aufgefordert hätte, zu Bette zu gehen, wenn unsre Lage wirklich so gefahrvoll gewesen wäre, wie es mir schien. Das und der ermutigende Einfluß seiner Unterhaltung hielten mich aufrecht.

Ich hätte allerdings todmüde sein müssen, um bei dem betäubenden Geräusch in meiner Kammer gleich einzuschlafen. An das alltägliche Geräusch hatte ich mich bereits gewöhnt und das störte mich auch nicht mehr. Dies war jedoch ein Aufruhr, wie ich ihn bis dahin in der ›Aurora‹ noch nicht gehört hatte.

Wie lange ich wach lag, weiß ich nicht; jedenfalls ein paar Stunden. Trotz seines Versprechens erschien mein Mann nicht wieder in der Kammer. Ich verfiel in einen unruhigen Schlaf, aus dem ich alle Augenblicke auffuhr, um ängstlich den schrecklichen Tönen ringsumher zu lauschen, bis ich endlich fest einschlummerte und, soviel ich mich erinnere, nicht eher wieder erwachte, als am nächsten Morgen kurz vor neun Uhr.


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