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Siebentes Kapitel.
Richard Fowler erklärt sich

Ob der Gedanke, Richard Fowler und ich könnten uns liebgewinnen, verloben und verheiraten, schon damals im Geiste meines Vaters lebte, weiß ich nicht. Aber nachdem wir uns gute Nacht gesagt hatten und ich allein war, konnte ich doch den Gedanken nicht vermeiden, daß meines Vaters dringende Einladung an Herrn Fowler, er möge uns täglich besuchen, nicht ganz ohne Nebenabsichten war. Er hatte ja früher schon davon gesprochen, daß ich nun alt genug sei, an einen Gatten zu denken, und vielleicht hielt er es auch für seine Pflicht, mich zu versorgen, ehe er meiner Mutter nachfolgte.

Als wir uns am nächsten Morgen beim Frühstück trafen, schloß ich aus seinem Wesen, daß er ernsthaft mit mir reden wollte und mein Herz schlug heftig.

»Ich versprach jemand,« begann er, »ihn heute in Süd-Shields zu besuchen; ich soll sogar mit ihm speisen. Dich kann ich nicht mitnehmen, Jessie, und möchte dich doch auch nicht gern wieder den ganzen Tag allein lassen. Ich denke also, wir bleiben in Newcastle und machen zusammen einen langen Spaziergang.«

»Nein,« sagte ich, »wenn du eine Verabredung hast, so mußt du sie auch halten.«

»Glaubst du?« sagte er ganz vergnügt, denn sein Herz hing an den alten Seebären in Shields. »Ueberdies kann ich Herrn Fowler mit nach Hause bringen. Wenn ich ihn nicht abhole, wird er wohl nicht zwei Tage nach einander kommen.«

»Ich glaube, du bist in Herrn Fowler verliebt, Vater,« entgegnete ich und fühlte, wie ich errötete. »Du sprichst nur noch von ihm.«

»Nun, wie soll ich's machen?« fragte er lachend. »Soll ich zu Hause bleiben oder soll ich nach Shields gehen und Fowler holen?«

»Mache, was du willst,« antwortete ich. Nach einem kleinen Streit bekam jeder von uns seinen Willen und der Vater ging nach Shields.

Als er abends, wie ich gehofft hatte, mit Herrn Fowler zurück kam, blieb ich eine ganze Stunde in meinem Schlafzimmer, kleidete mich um und steckte mein Haar auf. Ich trug natürlich noch Trauerkleider, aber ich sah deshalb nicht schlechter aus. Wenn ich heute an diese mädchenhaften Vorbereitungen zurückdenke, so muß ich lachen.

Mein Vater bemerkte augenblicklich, welche Mühe ich mir mit meinem Anzug gegeben hatte. Dann blickte er verstohlen nach Herrn Fowler, um zu sehen, welchen Eindruck meine Erscheinung wohl machen würde.

Von diesem und den folgenden Abenden ist nicht viel zu erzählen. Herr Fowler blieb noch fünf Wochen an Land und besuchte uns fast jeden Abend. Als es endlich sogar mir, die ich doch keine Erfahrung in solchen Dingen hatte, nicht mehr zweifelhaft war, daß ich sein ganzes Herz besaß, da schenkte ich ihm auch das meine. Aber noch immer hatte keines von uns beiden etwas merken lassen.

Mein Vater machte nie die kleinste Anspielung auf die Dinge, die sich vor seinen Augen entwickelten, und schien ihnen keine Beachtung zu schenken.

Am letzten Tage vor Herrn Fowlers Abreise saß ich nachmittags mit meinem Vater zu Hause. Es hatte den ganzen Tag geregnet. Ich hatte in der Nähe des Kaminfeuers genäht; als ich nichts mehr sehen konnte, legte ich die Arbeit in den Schoß und lehnte mich in den Stuhl zurück. An was ich dachte, kann man sich vorstellen: ich liebte einen Seemann, der am folgenden Tage abreisen wollte. Er nahm mein Herz mit sich und ließ mir dafür nicht ein einziges Liebeswort zurück, mit dem ich mich in seiner Abwesenheit trösten konnte.

Mein Vater hatte sich in die Newcastler Tages-Chronik versenkt. Er hatte allmählich beigedreht, wie die Seeleute zu sagen pflegen, und ließ den Feuerschein auf die Zeitung fallen. Endlich warf er das Blatt hin, gähnte laut, stellte sich vor das Feuer und warf einen langen Blick zum Fenster hinaus. Dann fragte er mich:

»Schläfst du, Jessie?«

»Nein,« antwortete ich.

»Weißt du, Mädel,« sagte er gedankenvoll, »wenn du dich verheiratest, ziehe ich nach Shields; wenigstens glaube ich, daß ich es thun würde. Ich habe immer geschäftlich dort zu thun und dieses Hin- und Herreisen ist sehr lästig.«

»Aber du würdest dich doch schwer von dem alten Hause trennen,« wandte ich ein.

»Ich habe doch dem Meere Valet sagen können, das ein viel älteres Heim ist,« antwortete mein Vater. Er sah sich im Zimmer um. – »Diese Kuriositäten fangen an, mich zu langweilen. In Shields würden sie besser aussehen. An sich sind sie ja nicht häßlich, aber sie gehören in eine andere Umgebung.«

»Wenn du etwa vermutest, daß Herr Fowler mir einen Antrag gemacht hätte,« erwiderte ich sehr ernsthaft, »so irrst du dich.« –

»Nun, willst du mir eine ehrliche Antwort geben, wenn ich dich etwas frage. Liebst du Dick Fowler?«

Diese Frage konnte ich nicht mit Worten beantworten, weil ich nicht Nein sagen konnte. Ich saß schweigend mit gebeugtem Haupte da. Endlich sagte er: »Das ist soviel, wie Ja. Der junge Herr wird deutlicher mit der Sprache herausrücken, wenn ich mit ihm rede. Ihr vergeht ja an eurem eignen Liebesfeuer wie ein Stück Wachs unter dem Aequator.«

»Woher weißt du denn das so genau?« fragte ich etwas schnippisch.

»Woher ich's weiß? Woher weiß ich, wenn ein Sturm droht, wenn mein Schiff falschen Kurs steuert? Aus eigner Wahrnehmung. Wozu hat mir der liebe Gott meine zwei Augen gegeben?«

»Du willst ihn doch nicht etwa fragen, ob er mich liebt?« sagte ich ganz verwirrt und wußte nicht, ob ich weinen oder lachen sollte.

»Gewiß will ich das thun,« antwortete er entschlossen, »sobald er kommt. Ueberlaß ihn nur mir.«

»Er wird glauben, du willst mich gern los sein,« erwiderte ich.

»Wenn ich ihn für solchen Esel hielte,« antwortete er, »so möchte ich ihn nicht haben und wäre er der Erbe des englischen Thrones.«

Es wurde nicht weiter darüber gesprochen und der Nachmittag verstrich. Wir saßen beim Thee, als es klingelte. Ich war überzeugt, daß es Herr Fowler sei und sagte aufstehend: »Aber Vater, du wirst nicht mit ihm sprechen.«

»Gewiß werde ich es thun,« erwiderte er.

»Dann wirst du mich heute abend nicht mehr sehen,« sagte ich und eilte fort. Er rief mir nach, ich solle doch bleiben und meinen Thee austrinken. Was er sonst noch sagte, weiß ich nicht, da ich hinausstürzte, ehe das Mädchen die Thür öffnete.

Da die Thür meines Schlafzimmers offen stand, konnte ich deutlich Herrn Fowlers und meines Vaters Stimme unterscheiden. Ich zündete Licht an und setzte mich. Nach dem warmen Wohnzimmer kam mir das Schlafgemach sehr kalt vor und ich wollte schon zu Bett gehen, um nicht hinunter zu müssen, falls mein Vater mich rufen sollte. Ein Blick auf die Uhr belehrte mich jedoch, daß es zu merkwürdig aussehen würde, wenn ich um halb sieben Uhr abends schlafen ginge.

Fast dreiviertel Stunden war ich nun schon oben und fror so, daß ich ganz vergaß, was unten im Wohnzimmer verhandelt wurde. Da hörte ich plötzlich ein lautes Stöhnen im Korridor und darauf ein merkwürdiges Geräusch, das man, wäre nicht das Stöhnen vorhergegangen, für unterdrücktes Gelächter hätte halten können.

Es war unzweifelhaft Vaters Stimme. In demselben Augenblick trat das Dienstmädchen ein: »Bitte, kommen Sie doch nach unten, Fräulein!«

»Was giebt's denn,« rief ich aus. Aber schon war sie die Treppe hinunter gestürzt, ohne mir eine Antwort zu geben.

Da ich ernstlich fürchtete, daß mein Vater sich irgendwie verletzt habe, überwand ich sogar meine Scheu vor einem Zusammentreffen mit Herrn Fowler. Ich dachte nur an meinen Vater und stürmte hinunter. Unten in der Thür des Wohnzimmers stand Herr Fowler; mein Vater war nicht zu sehen. Klopfenden Herzens fragte ich, wo mein Vater wäre und was ihm zugestoßen sei.

»Wenn Sie hineinkommen und Platz nehmen wollen,« antwortete er mit halbem Lächeln, »so werde ich Ihnen die Sache erklären.«

Ich wurde feuerrot, denn ich durchschaute den Streich, den man mir gespielt hatte. In meiner Wut, – so erzählte er mir später – hätten meine Augen förmlich Funken gesprüht.

»Nun Sie einmal hier sind, werden Sie hoffentlich auch bleiben,« meinte er. »Ich habe Ihnen etwas zu sagen. Ich gehe morgen in See, wie Sie wissen, und werde Sie, wenn überhaupt je, so doch einige Monate nicht wiedersehen.«

Das wußte ich nur zu gut und wußte doch auch, daß, wenn ich jetzt Herrn Fowler verließ, ich diesen Schritt nach zehn Minuten bereuen würde.

Ich wollte mich nicht setzen; allmählich aber beruhigte er mich, indem er mir erzählte, daß er an dem Schlachtplan des Vaters ganz unbeteiligt sei. Der Streich wäre nur in der Absicht ausgeführt worden, mich herunter zu locken.

»Auf ihn können Sie doch nicht ärgerlich sein,« sagte er. »Er liebt Sie so zärtlich, Jessie, und denkt ja nur daran, Sie glücklich zu machen.«

»Das weiß ich wohl,« antwortete ich. Es fiel mir auf, daß er mich Jessie nannte, denn bisher hatte er mich stets Fräulein Snowdon genannt – und doch klang mir der Name, als er ihn aussprach, so süß, wie nie zuvor.

»Jessie,« sagte er mit leiser Stimme, »Sie wissen, was Seemanns Art ist. Ich kann nicht viele Worte machen und will gerade heraus reden und Ihnen offen sagen, was mir das Herz bewegt. Ich nenne Sie Jessie; denn unter diesem Namen denke ich fortwährend an Sie und er macht mir das, was ich zu sagen habe, um so leichter. Ich habe Sie geliebt, Jessie, vom ersten Tage an, wo wir uns begegneten, – als Sie weinten und der Tod in dieses alte, trauliche Haus eingekehrt war. Oft schon wollte ich Ihnen sagen, daß ich Sie liebte, aber ich fürchtete, Sie würden sagen, daß Sie mich noch nicht genügend kennen gelernt hätten. Das mag in Bezug auf Sie richtig sein, nicht aber in Bezug auf mich. Ich habe Sie damals kennen gelernt, als Ihre selige Mutter starb, obgleich ich kaum eine Minute mit Ihnen zusammen war, und seitdem habe ich Sie geliebt. Ihr Vater ist ein einfacher Seemann, wie ich. Als ich kam und ihn allein fand, fragte ich nach Ihnen. Er verriet mir seine Unterredung mit Ihnen und den Grund, weshalb Sie fortliefen, als Sie mich die Klingel ziehen hörten.«

Hier hielt er inne und ich fühlte, – denn ich blickte mit gesenktem Kopfe von ihm weg – wie er meine Hand ergriff und sie drückte.

»Was sagte mein Vater?« fragte ich flüsternd.

»Er sagte, daß Sie mich anhören und nicht böse werden würden, wenn ich Ihnen von meiner Liebe spräche.«

Ich konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Er sah es und fragte: »Hat er recht gehabt?« –

»Er hätte mit Ihnen überhaupt nicht von mir sprechen dürfen,« sagte ich mit abgewendetem Gesicht.

»Ich sprach aber zuerst,« meinte er. »Ich fragte, wo Sie wären und das führte uns auf dieses Thema. – Setz' dich, Jessie, mein Lieb. Nun du einmal hier bist, darfst du nicht wieder fortgehen und dich verstecken. Deine Hand ist eiskalt.« Dabei streichelte er zärtlich meine Hand. Ich setzte mich und that alles, was er verlangte. Ich war eben so froh wie vorher befangen und niedergeschlagen. Wie oft hatte ich daran gedacht, ob mir wohl sein Herz gehörte und nun saß er neben mir und bat mich, seine Gattin zu werden.

Wir blieben eine halbe Stunde allein und ich dachte nicht daran, zu fragen, wo mein Vater wäre. Da hörte ich seinen Schritt. Kaum hatte ich soviel Zeit, mich aus den Armen meines Liebsten loszumachen, als er eintrat. Er rauchte eine lange Thonpfeife, die er aus dem Munde nahm und wie ein Fernrohr vor sich hin hielt. Er fixierte uns darüber hinweg, während ein Lächeln sein wettergebräuntes Gesicht überflog.

»Nun, Kinder,« rief er, »alles in Ordnung?«

Ich bemühte mich, ein erzürntes Gesicht zu machen; es gelang mir aber nicht. Als er mich ansah, sprang ich auf und hing an seinem Halse.

»Ja, ja,« sagte er, »das ist eine Abschiedsumarmung, mein Kind. Ich weiß, was damit gemeint ist. Nun, ich habe dir ja gesagt, daß ich nicht umsonst mit dem Jungen da zusammen einen Orkan durchgemacht habe. So setz' dich nur wieder, Jessie. Dick, gieb mir deine Hand. Sie ist 'ne Seemannstochter und du hast sie verdient. Du wirst sehen, mein Junge, daß sie das Herz auf dem rechten Fleck hat, und du, mein Mädchen, daß er A. I. klassifiziert ist, kupferfest mit Teakplanken und Garantie, gegen den Wind aufzukommen, wie eine Dampfmaschine.«

Nachdem er meinem Schatz herzlich die Hand gedrückt hatte, – er bestand darauf, ihn Dick zu nennen, obgleich sein richtiger Name Richard war, – trocknete er seine Augen, zündete seine Pfeife wieder an, und setzte sich breit in seinen Lehnstuhl wie ein Mann, der der Ansicht ist, daß er sich einer sehr schwierigen Pflicht in sehr ehrenvoller Weise entledigt hat.

Es wurde nicht weiter über seine Kriegslist gesprochen, aber ein Lächeln, womit er mich zuweilen anblickte, zeigte mir, daß er noch öfter daran dachte und sich nicht wenig darauf einbildete.

Als ich erst so recht das Glück empfand, das über mich gekommen war, fiel es mir schwer aufs Herz, daß Richard morgen schon wieder in See gehen sollte, und daß viele Wochen vergehen würden, ehe wir uns wiedersehen könnten. Das ist das Schwerste bei einer Seemanns-Braut oder -Frau. Jedesmal, wenn mein Vater eine Reise antrat, küßte ihn die Mutter unter Thränen, immer mit einer Vorahnung, daß sie sich nie wiedersehen würden.

Richard hatte meine Hand erfaßt; wir saßen dicht bei einander dem Vater gegenüber, der meinem Liebsten gute Lehren gab über das Verhalten eines Schiffsführers zu seiner Mannschaft und ähnliche Sachen.

Da ertönte ein melancholisches Heulen im Schornstein und die Fensterflügel erzitterten, als der klagende Windstoß am Hause vorüber fegte. Es schien, als ob ich allein von uns drinnen den Ton gehört hätte; gleichzeitig unterbrach sich mein Vater, sah mir ins Gesicht und rief: »Wie, du weinst ja, Jeß!«

Auch Richard sah mich an und fragte: »Was giebt's, Jessie? Weshalb bist du auf einmal so traurig?«

Auf seine Bitten erzählte ich ihm dann, daß ich weine, weil ich an die Trennung denke.

»Von Jugend auf,« sagte mein Vater, »hat sie immer gesagt, daß sie nur einen Seemann heiraten wolle. Nun sieht sie ein, was das eigentlich heißt.«

»Es würde nicht so schlimm sein, wenn ich nur selber mit zur See gehen könnte,« rief ich schluchzend.

»Wenn wir verheiratet sind, nehme ich dich zuweilen mit, Jessie,« erklärte Richard, »vorausgesetzt, daß der Vater es erlaubt.«

»Nun, damit könnt ihr ja warten, bis ich tot bin,« meinte der Vater. »Die Sache will noch überlegt werden, ob ich, wenn sie mitgeht, hier allein bleiben kann wie ein Frosch in einem ausgetrockneten Brunnen, kein Wasser in Sicht und niemand, um mir herauszuhelfen. Versteht mich recht! Ich bin gewiß nicht dagegen, daß Frauen mit ihren Männern zur See gehen; ich würde meine Frau gern mitgenommen haben, wenn sie gewollt hätte. Im Gegenteil,« fuhr er, wärmer werdend, fort, »es ist schade, daß nicht mehr Seemannsfrauen auf dem Ozean zu Hause sind, als es thatsächlich der Fall ist. Ich will davon gar nicht reden, daß die Weiber auf allerlei Dummheiten verfallen, Schulden machen oder gar mit einem schlechten Kerl zum Teufel gehen können – nur, weil die Männer nicht da sind und sich nicht um sie bekümmern können. Mein Hauptgrund ist der, daß es auch für den Mann besser ist, wenn er seine Frau bei sich hat. Ist die Frau an Bord, so ist das Schiff ein richtiges Heim für den Mann. Im Hafen ist er oft gezwungen, an Land umher zu laufen, in Kneipen und Tingeltangel zu gehen und Vergnügungen aufzusuchen, die weder für seine Gesundheit noch für sein Seelenheil zuträglich sind, nur um aus der öden Kajüte zu entkommen, wo er niemanden hat, mit dem er reden kann. Wenn die Frau an Bord ist, kann er bei ihr seine Abende zubringen, wie es sich für einen ordentlichen Mann schickt. Nichts geht über eine Frau, um den Mann auf dem rechten Wege zu erhalten.«

»Weine nicht, Jessie!« sagte Richard, meine Hand drückend. »Daß ich morgen in See gehe, hat weiter nichts zu bedeuten, als eine Art Probereise, um zu sehen, wie ich mich als Schiffer anstelle. Denke dir, dein Vater hätte sich die Fahrt ausbedungen, ehe ich dir mein Herz anbieten durfte. Du wirst sehen, wie schnell die Zeit vergeht.«

Als die Stunde herankam, wo mein Schatz mich verlassen mußte, konnte ich kaum sprechen. Jetzt hielt ich noch seine Hand, sah seine dunkeln Augen zärtlich auf mich gerichtet, wußte, daß ich sein Liebstes war und in kurzer Zeit sollte all dieses Glück vorbei sein, monatelang würden wir gerade so getrennt sein, als ob er oder ich tot wäre.

Ehe er ging, bat er mich, ihm ein Paar Handschuhe zu geben. Ich glaubte, er wolle irgend ein Erinnerungszeichen an mich haben, und holte statt der Handschuhe ein herzförmiges Medaillon, zog ein Stück Band durch den Ring, küßte es und drückte es ihm in die Hand. Mein Vater that, als sähe er nichts und starrte, den Kopf in die Hand gestützt, ins Feuer.

»Das ist mehr, als ich gewagt hätte, zu erbitten,« sagte Richard und betrachtete das Geschenk mit kindlichem Vergnügen. »Die Handschuhe muß ich aber auch haben.« Etwas verwundert, daß ihm das Medaillon nicht genügte, holte ich die Handschuhe. Er legte sie sorgfältig zusammen und steckte sie in die Tasche. Dann erhob er sich, um zu gehen. In diesem Augenblick verließ mein Vater das Zimmer mit der Bemerkung, daß er gleich wiederkommen werde. Dadurch ward uns Gelegenheit gegeben, so von einander Abschied zu nehmen, wie es einem verlobten Paare zukommt, und das hatte der Vater auch beabsichtigt. Als er zurückkam, lag ich weinend in Richards Armen.

»Nun, Jeß,« rief er, indem er sich bemühte, einen scherzhaften Ton anzunehmen, der aber durch den Klang von Teilnahme abgeschwächt wurde, »brauchst du denn fünf Minuten, um Lebewohl zu sagen? Na, Dick, Gott segne dich! Laß es dir gut gehen, mein Junge, und halt' die Ohren steif! Jessie und ich werden dich erwarten. Sie wird schon wieder Mut fassen. Es ist für sie die erste Prüfung dieser Art; Gott gebe, daß sie nie schwerere zu bestehen haben möge.«

Richard küßte mich noch einmal und trat dann mit dem Vater hinaus auf den Flur, wo ich sie noch sprechen hörte. Gleich darauf wurde die Hausthür geöffnet und wieder geschlossen.

»Nun, Jessie,« sagte der Vater, indem er eintrat und seine Hand auf meine Schulter legte, »nimm dir das nicht so zu Herzen, Kind. Gestern um diese Zeit warst du nur verliebt, aber noch nicht verlobt. Jetzt hast du einen Bräutigam und bald einen Ehemann. Wenn das für dich noch nicht schnell genug gesegelt ist, dann kann ich dir sagen, daß deine Geduld für diese Welt wohl kaum ausreichend ist.«

Ich fühlte, daß es meinem Vater gegenüber unrecht sei, meiner Trauer zu sehr nachzuhängen; so trocknete ich denn meine Thränen und versuchte ein heiteres Gespräch. Aber die ganze Zeit über lauschte ich den klagenden Tönen des Windes und dachte darüber nach, ob ich meinen Richard wohl jemals wiedersehen würde.


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