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Dreizehntes Kapitel.
Auf See

Der Tag kam heran, wo ich mich endgültig an Bord der ›Aurora‹ begab. Mein Gepäck befand sich in der Kajüte; meinem Vater hatte ich Lebewohl gesagt, wobei er mich in seiner Umarmung festgehalten hatte, als wollte er mich nie wieder loslassen. Schon befand sich die kleine Bark auf dem Ozean, dessen Wogen uns voraussichtlich so manchen Monat schaukeln würden, bis wir jene braun und grün gefärbte Küste, die sich jetzt von Norden nach Süden hinter uns ausdehnte, wieder zu Gesicht bekämen.

Ich stand über die Reeling gelehnt und betrachtete die Küste und den Leuchtturm von Tynemouth, die über der Stadt Shields hängende Rauchwolke und die sich an der Bucht entlang ziehende, in grauer Ferne verschwimmende Felsenlinie. So froh und stolz ich mich auch fühlte, mit meinem Manne zusammen zu sein, konnte ich doch ein Gefühl der Niedergeschlagenheit nicht unterdrücken, das ganz naturgemäß auf den Abschied von meinem alten Vater folgte.

Der Wind war östlich, mäßig frisch und bitterlich kalt. Die See sah aschfarben aus und war von kleinen Wellen belebt, die uns spielend umplätscherten, als die Bark, dem Zuge der schweren Schlepptrosse folgend, darüber hinwegglitt. Es war ein echter Wintertag. Ueber dem Horizont lagerte die Luft in dichten Massen und deutete auf kommenden Nebel, während die bleiche Sonne wie ein Flecken gelben Lichtes auf einem Hintergrunde von trübem Blau erschien, an dem einige Wolken vorüberzogen. Mit jedem Faden, den wir vorwärts kamen, wurde die Küstenlinie hinter dem Heck unbestimmter und schwächer in der grauen Luft, die sich immer mehr verdichtete.

Die Mannschaft stand um das Volkslogis herum und erwartete die Befehle zum Segelsetzen. Mein Mann und der Steuermann gingen in regelmäßigem Seemannsschritt auf der Luvseite des Quarterdecks auf und ab, indem sie bald einen Blick auf das Wetter, bald nach oben richteten. Der Steuermann, Herr Heron, war mir bereits vorgestellt. Er war eben der einzige, nach herkömmlicher Sitte vorstellungsfähige Mann an Bord. Die ihm im Range folgende Persönlichkeit war der Schiffszimmermann, der zweiter Steuermann genannt wurde und abwechselnd mit Herrn Heron als Offizier einer Wache thätig sein sollte.

Als mein Mann mich in der Kajüte mit dem Steuermann bekannt machte, hatte ich die Empfindung, daß ich mich mit diesem Herrn wohl nie besonders befreunden würde. Er entsprach meinen Ansichten über das Aussehen eines Seemannes, wie es etwa der Schreiber eines Rechtsanwalts gethan haben würde. Er hatte eine unangenehme, gelbe Gesichtsfarbe, sein Bart hatte eine leicht rötliche Färbung, die Augen waren mattblau und hatten keinen offenen Blick. Nicht die geringste Einzelheit in seiner Erscheinung deutete auf die Treuherzigkeit hin, die den echten Seemann auszeichnet. Sogar seine Kleidung war unseemännisch; er trug gelbliche Beinkleider und einen Gehrock.

Sobald das Land in der nebligen Luft verschwunden war, die den Horizont verengerte und bis auf ein paar Seemeilen näher brachte, begab sich Heron nach vorn und erteilte mit scharfer Stimme einige Befehle. Im Augenblick war die Mannschaft in Bewegung. Taubündel wurden an Deck geworfen, und zugleich hörte man die eigentümlichen, heiseren Töne ›aussingender‹ Matrosen, womit sie das Aufhissen der Klüver und Stagsegel begleiteten, die jetzt flaggend an den Stagen emporstiegen. Dann stiegen einige Leute nach oben, um die Marssegel loszumachen, und gleichzeitig warf der Schlepper die Trosse los. Vier oder fünf Matrosen ergriffen sie, und der Koch und der Steward, die Freiwächter, wie sie genannt werden, weil sie den ganzen Tag arbeiten und nachts schlafen, halfen ihnen, das schwere Schlepptau von der Back aus an Bord zu holen.

Ich sah mich nach dem Schleppdampfer um, der jetzt dem Tyne zusteuerte, und verfolgte ihn mit meinen Blicken, bis er zu einem Punkte im Nebel zusammengeschrumpft war. Da wurde ich aus meinen Gedanken aufgeschreckt; mein Mann legte seine Hand auf meinen Arm.

»Hast du dein Herz dorthin zurückgeschickt nach der alten Stadt, Jessie?« fragte er lächelnd.

»Wenn du dort zurückgeblieben wärst, könnte ich ja sagen.«

»Bist du traurig, daß wir die Reise angetreten haben?«

»Traurig?« rief ich aus.

»Nein,« meinte er, »du bist nicht traurig. Wir sind beisammen und ich danke Gott dafür. Aber jetzt muß ich sehen, wie sich die Leute anstellen.«

Damit schritt er über das Deck dahin.

Das Schiff war voller Leben. Die Mannschaft lief umher; mitschiffs kommandierte der Zimmermann und auf der Back der Steuermann. Einige Burschen brüllten von oben die Meldung herab, daß die Segel los seien und vorgeschotet werden könnten, und alle Mann arbeiteten nach Kräften. Eine Raa nach der anderen stieg empor, die Fallen wurden belegt, Halsen zu Bord getaljt, wobei alle Mann einen donnernden Chor anstimmten, und Schoten angeholt. Dann wurden die Brassen steif gesetzt, und nun legte sich das Schiff, als auch das Großbramsegel beigesetzt war, stark auf die Seite. Die Bark hatte jetzt alle Segel bei, die sie vorläufig brauchte, und die Mannschaft klarte das Deck auf und schoß das Tauwerk auf.

Flüchtig eilte die ›Aurora‹ über das Wasser dahin; nach dem Singen und Schreien war eine wohlthuende Stille eingetreten. Der achtern am Ruder stehende Mann bewegte nur ab und zu ein paar Speichen des Rades, um dem Gieren des Schiffes zu begegnen, und man hörte nur das plätschernde Geräusch des Wassers unter dem Bug und das unterdrückte, tiefe Brausen des Windes in den weißen, gewölbten Segeln.

»Da ist also die ›Aurora‹ unter Segel, Jeß,« sagte Richard. »Wie denkst du über sie? Ich habe dich beobachtet, wie du sie von oben bis unten besichtigtest, als wärest du ihr Schiffer, Erbauer und Reeder in einer Person.«

»Da irrst du dich,« erwiderte ich. »Ich habe nicht deine Bark bewundert, sondern wollte nur sehen, ob ich seekrank werde.«

»Du!« rief er lachend aus. »Kind, geh 'mal hinunter und guck in den Spiegel. Seekrank! Ein Mädel, das an der Seekrankheit leidet, hat nicht so rosige Wangen und strahlende Augen oder kann so reden und lachen wie du, mein Schatz. Aber wie denkst du über den kleinen Kahn, Jeß?« Dabei blickte er stolz über das saubere Deck und die schön geschwungene Linie der Schanzkleidungen und dann nach oben an den breiten, prallen Segeln empor, die sich übereinander emportürmten.

Ich sprach natürlich meine Bewunderung aus. »Und nicht wahr, Richard, sie segelt auch schnell?«

»O ja,« meinte er, »wie ein Baltimore-Klipper. Jetzt, wo der Wind kaum einen einzigen Strich frei ist, macht sie ihre sieben und einen halben Knoten so fein, als ob sie von einer Schraube getrieben würde.«

Er wollte durchaus, daß ich die Bark bewundern sollte wie er selber und bat mich, keine Furcht zu haben, sondern mich an ihm festzuhalten und über die Luvreeling zu lehnen, von wo ich mir den Rumpf des Schiffes betrachten könne, wie er durch die grauen, schäumenden Wasser dahinfegte. Nur ein Seemann versteht es, jemand die Schönheiten eines Schiffes zu zeigen. Er hätte mir keinen besseren Platz anweisen können als diesen, wo ich, von ihm gehalten, über der Reeling hing und die glänzende Seite der Bark bis nach vorn überblicken konnte.

Ich erklärte, ich wünschte nur, daß der Vater hier wäre und mit mir sehen und bewundern könnte.

»In siebenundvierzig Jahren,« würde er dir sagen, »hat er dergleichen schon öfter gesehen,« versetzte Richard lachend. Er lachte überhaupt viel. Selten habe ich einen so heiteren Charakter kennen gelernt. »Und nun, Jeß, was meinst du, wenn du hinunter gingest und deine Kajüte etwas nach Schiffsbrauch in Ordnung brächtest? Wenn du Hilfe brauchst, rufe den Steward. Ich muß an Deck bleiben.«

»Um welche Zeit essen wir Mittag, Richard?«

»Was? Bist du hungrig? Da würde sich der Vater freuen, wenn er das hörte. Aber wir haben noch eine volle Stunde Zeit. Vor halb zwei giebt es nichts.«

Obgleich das Deck eine starke Krängung hatte und die Bark lebhaft tanzte, fand ich doch, daß ich mich mit Leichtigkeit auf den Beinen halten konnte, und wies Richards ausgestreckte Hand zurück, die er mir beim Hinabsteigen reichen wollte. Dies war mein erster Besuch in der Kajüte, seit wir den Tyne verlassen hatten. Unten an der Treppe blieb ich eine Zeitlang stehen, indem ich mich an dem messingenen Geländer hielt, und betrachtete mir den Raum, der nun an Stelle unseres alten Wohnzimmers treten sollte. Die Wände knarrten und krachten, und selbst durch den geschlossenen Lichtschacht konnte ich die Stimme des Windes vernehmen, die aus der Höhlung des großen Besan widerhallte, der, durch das Oberlicht gesehen, sich wie eine gewaltige Nebelbank gegen den Himmel abhob.

Die meisten Damen, die eine Seereise machen, haben eine Stewardeß oder doch irgend eine weibliche Person zu ihrer Bedienung. Ich mußte mich ohne eine solche behelfen, doch ohne sie zu entbehren. Mein Bett konnte ich mir sehr gut selbst machen und für meine Bedürfnisse allein sorgen. In der kleinen Kammer neben der unsrigen fand ich einige mit Büchern angefüllte Regale, einen Tisch nebst Lehnstuhl und andere Sachen, die ich der Fürsorge meines Mannes verdankte.

Ich brachte die Stunde bis Mittag in der Kajüte zu oder vielmehr in der Schlafkammer, wie ich den Raum nennen will, um ihn von der Kajüte zu unterscheiden, und brachte das kleine Gemach für uns in Ordnung.

Sobald ich meine Arbeit vollendet hatte, war auch die Mittagszeit herangekommen, und mein Mann trat ein, als ich gerade bemüht war, vor einem kleinen, hin- und herpendelnden Spiegel mein Haar zu kämmen, und mich dabei fast verrenkte, da ich jedesmal, wenn der Spiegel zur Seite flog, gezwungen war, mich nach der anderen Seite zu biegen, um mich auf den Füßen zu halten.

Mein Mann beobachtete mich ein Weilchen und lachte. »Ach, wie gut du dich auf den Füßen hältst,« meinte er. »Du schwebst über diesem Geschaukel als hättest du Flügel.«

»Du redest,« antwortete ich, »als hättest du erwartet, mich hilflos wie einen Eimer an Deck entlangrollen zu sehen oder mich nach dem Steward stöhnen zu hören. Wenn ich so veranlagt wäre, mein Schatz, da wäre ich, so lieb ich dich habe, wohl nicht mit auf die See gekommen.«

»Und wie gefallen dir die Farrenkräuter und die Goldfische in der Kajüte? Sieht es nicht gleich noch einmal so gemütlich aus?«

»Sicherlich,« antwortete ich.

Jetzt klopfte der Steward an die Thür, um zu melden, daß das Mittagessen fertig sei. Ich folgte Richard und fand, daß die Kajüte recht einladend aussah. Ein weißes Tischtuch war aufgedeckt. Darauf lagen Messer und Gabeln mit schwarzen Griffen und standen dicke Gläser und Teller mit den alten Mustern (ein paar Chinesen, die den Kopf auf die Seite geneigt hielten und über eine Brücke gehen), sowie eine Fiedel, so heißt der Rahmen, der das Herunterfallen des Geschirrs von der Tafel hindern soll, und endlich die Hauptsache: ein dampfendes Roastbeef und Gemüse. Die Gegenwart des Steward, der uns bediente, gab dem kleinen Mahl ordentlich einen großartigen Anstrich. Es erleichterte mich etwas, als ich sah, daß er nur so lange blieb, bis er den Deckel von der Bratenschüssel abgenommen hatte und dann wieder hinaufging, um, wie Richard sagte, nach dem Pudding in der Kombüse zu sehen.

»Wann ißt denn Herr Heron?« fragte ich.

»Nach uns, das heißt sobald ich auf Deck komme und ihn ablöse. Ich kann dem Zimmermann nicht die Wache anvertrauen, bis wir klar von den Scillies sind. Auf hoher See wird er abwechselnd einen Tag mit uns und den folgenden nach uns essen. Wie gefällt er dir übrigens?«

»Ich kenne ihn doch noch zu wenig, um ein Urteil zu haben,« sagte ich. »Ist er ein guter Seemann?«

»Du meinst, er sieht nicht danach aus,« rief Richard. »Das thut er freilich nicht. Sein Gesicht paßt besser hinter einen Ladentisch als auf das Quarterdeck. Aber er besitzt ein Schifferpatent, und das bedeutet schon etwas, wenn auch nicht viel. Ich weiß nicht, weshalb er nicht ein ganz anständiger Steuermann sein sollte.«

»Und wie ist die Mannschaft, Richard?«

»Das kann ich noch nicht sagen, Jeß. Neue Besen kehren gut; wir müssen erst etwas länger zusammen sein. Sie sind mir alle fremd.«

Auch während der Mahlzeit bemerkte ich, daß mein Mann nicht in seiner Sorge und Wachsamkeit für das ihm anvertraute Schiff nachließ. Fortwährend sah er auf den Kompaß oder warf einen Blick durch das Oberlicht, und bei jedem Geräusch überflog der Ausdruck gespannter Aufmerksamkeit sein Gesicht. Der Steward brachte als zweiten Gang den Pudding.

»Wie nennt sich das?« fragte Richard.

»Der Koch nennt es einen Jam Noly-Poly,« antwortete der Steward, ein kleiner Mann mit O-Beinen, einer Alpakkajacke und einem sauern Gesicht, das mit einer erdbeerfarbenen Narbe auf der rechten Backe geschmückt war. Uebrigens war er flink und gewandt wie ein Affe und so sicher und fest im Gebrauch von Armen und Beinen trotz aller Bewegungen des Schiffes, daß ein Geschirr oder Präsentierbrett nirgends besser aufgehoben war als in seinen Händen.


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