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Zwölftes Kapitel.
Die ›Aurora‹

Die Träume meiner Kindheit sollten in Erfüllung gehen. Ich war nicht nur die Frau eines Seemannes, sondern sollte auch mit ihm auf einem Schiffe wohnen und jene bodenlose Tiefe befahren, die mich, solange ich denken kann, stets mächtig angezogen hatte. Ich sollte jene fremden Länder erblicken, die wundervollen blauen Gewässer, den azurfarbenen Himmel, alles Dinge, die mich bis in meine Träume verfolgt hatten und die mir zu einer anderen Welt zu gehören schienen.

Mein Vater sah meiner Abreise mit viel größerer Fassung entgegen als ich erwartet hatte, nachdem er sich einmal entschlossen, daß ich reisen sollte. Er bemühte sich, Richard das Kommando der ›Aurora‹ zu verschaffen, und da er die Reeder kannte, auch wohl mitbeteiligt war, erreichte er seinen Zweck leicht und schnell. Vierzehn Tage nach seiner Rückkehr wurde meinem Manne das Kommando der neuen Bark übertragen.

Der Tag der Abreise war auf den 1. Februar festgesetzt, »ein kalter Monat in der Nordsee und im Kanal,« meinte Richard, »sind wir aber erst klar vom Landsend, dann kommen wir auch mit jeder Stunde dichter an die Sonne heran.«

So hatte ich Zeit im Ueberfluß, alle Vorbereitungen für die Reise zu treffen. Uebrigens sollte diese länger dauern, als ich vermutet hatte. Nachdem wir unsere Ladung in Sierra Leone gelöscht hätten, sollten wir entweder mit Fracht oder in Ballast – das weiß ich nicht mehr genau, man kann in zwanzig Jahren auch noch wichtigere Dinge vergessen – nach Kapstadt gehen. Dort sollten wir irgend eine Ladung einnehmen und dann die Heimreise antreten.

Die vielen Einkäufe und Besorgungen für die Reise lenkten meine Gedanken von dem Verlust ab, den wir erlitten hatten. Auch an die nahe Trennung von dem lieben Vater konnte ich vor lauter Geschäften nicht denken. Der Vater erteilte mir gute Ratschläge in betreff meiner Ausrüstung und besorgte eine Menge Sachen, die er nach seinen Erfahrungen für notwendig erklärte, von denen aber Richard keine Ahnung hatte.

Eine Woche vor der Abfahrt ging ich mit meinem Manne an Bord der ›Aurora‹, um mir das Schiff und hauptsächlich die Kajüte zu besehen. Sie lag an einer Kohlenschütte, einer sehr wenig malerischen Erfindung, und so war mein erster Eindruck, als Richard mir das Schiff zeigte, kein besonders günstiger.

Sobald ich jedoch an Bord kam, wurde ich anderer Ansicht. Hier konnte ich den ganzen Rumpf des Schiffes übersehen und, wenn ich meine Blicke nach oben richtete, die ganze schöne, kunstvolle Zusammensetzung von Rundhölzern und Takelung überblicken, während von den hohen, zum Himmel ragenden Masten das schrille Geräusch des schneidenden Windes wiederhallte, der pfeifend und sausend durch das verwickelte Taugewirr blies.

Die Bark war ein funkelnagelneues Schiff, zwar nur klein – soviel ich mich erinnerte, hatte sie etwa vierhundert Registertons –, aber von so schöner Gestalt, wie nur jemals eine vom Stapel gelaufen ist. Sie war schwarz gemalt und der ganzen Länge nach von einem weißen Streifen umgürtet, der wie ein silbernes Band schimmerte; das Heck war mit vergoldeten Bildhauerarbeiten verziert, der neue Kupferbeschlag glänzte wie mattes Gold. Das Gallion bildete eine Frauengestalt mit einem Stern auf dem Haupte und einer Fackel in der rechten Hand. Die Schönheit dieser Gestalt wurde noch erhöht durch die elegante Wellenlinie des Vordersteven und die stattliche Länge des weit über die Figur hinausragenden Bugspriets und Klüverbaums. Es machte den Eindruck, als ob irgend ein Riese der in die Ferne blickenden Fackelträgerin mit einem kolossalen Speer den Weg wiese.

»Komm hierher, Jessie,« sagte Richard und führte mich an das Steuerrad, »so kannst du sie am besten sehen.« Dabei sah er mich an, um zu entdecken, wie ich über sein neues Schiff dächte. Ich erblickte ein so schönes Ebenmaß in den Größenverhältnissen, eine solche Verbindung von Stärke und Zierlichkeit bei den Schanzverkleidungen, Spieren, Deckeinrichtungen und dergleichen, daß ich bewundernd ausrief:

»O, Richard, gerade so ein kleines Seeheim, wie ich es immer geträumt habe! Was für ein herrlicher Anblick wird es erst sein, wenn wir mit vollen Segeln unter einem blauen Himmel dahingleiten.«

Der Vater, der die Bark bis jetzt noch nicht gesehen hatte, war entzückt von ihr. Er bemerkte Dinge, die ein Landbewohner nimmermehr beachtet haben würde und begleitete seine Besichtigung fortwährend mit beifälligen Worten. Natürlich achtete ich auf alles, was der Vater sagte, sehr genau. Das Schiff sah bedeutend länger aus, als es in Wirklichkeit war, da es ein ganz glattes Deck ohne Aufbauten hatte. Ueberall blitzte es von gefirnißtem Teakholz und blankgeputzten Messingbeschlägen. Rahmen und Gestell des Kajütenoberlichts bestand ebenso wie die Kajütskapp aus dunklem, poliertem Mahagoni. Steuerrad und Krahnbalken waren mit reichem Schnitzwerk verziert. Dies alles würde ich ohne den Vater nicht bemerkt haben, der es der Reihe nach aufzählte, als ob er es aus einem Kataloge abläse, während er herumwanderte.

Die Kajüte war ein kleiner, viereckiger Raum, von fünf Kammern umgeben, deren eine ziemlich groß war. Diese nahm nämlich die ganze Breite des Schiffes unter dem Steuerrad ein und stand außerdem durch eine Thür mit einer kleinen Kammer an der Steuerbord- oder rechten Seite des Schiffes in Verbindung. In der großen Kammer sollten wir wohnen und die kleinere daneben als eine Art Ankleidezimmer benützen.

»Es sind zwei Unannehmlichkeiten dabei,« meinte Richard. »Erstens fühlt man das Stampfen hier fast ebenso stark wie vorn unter der Back, und zweitens hat man fortwährend das Geklirr der Ruderketten und das Knarren des Ruders mit anzuhören. An das Geräusch gewöhnt man sich aber bald, und was das Stampfen betrifft, so bist du ja schon ein so tüchtiger kleiner Seemann, Jeß, daß du von all den Kapriolen, die die ›Aurora‹ uns vielleicht vormachen wird, wohl kaum Notiz nehmen wirst.«

»Was sagst du, Dick?« rief der Vater lachend. »Der soll das Stampfen was schaden? Mann, wenn deine Leute nicht sehr behende sind, dann läuft sie an ihnen vorbei bis auf die Raanock und zeigt ihnen, wie ein Stechbolzen ausgeholt wird.«

Ich lächelte, während der Vater mir mit dem Finger drohte, als wäre ich wirklich der See-Wüterich, für den er mich ausgab.

»Wer soll denn hier schlafen?« fragte ich Richard und zeigte auf die der unsrigen zunächstliegende Kammer auf der Backbordseite.

»Der Steuermann, Herr Roger Heron,« erwiderte er.

»Führst du auch einen zweiten Steuermann, Dick?« fragte der Vater.

»Zweiten Steuermann und Zimmermann in einer Person, wahrscheinlich mehr Zimmermann als Steuermann. Wenn er jedoch ein guter Seemann ist, so ist das jedenfalls noch besser. Er hat seine Kammer hinter der Kombüse. Die anderen beiden Kammern hier achtern habe ich, da ich weiter keine Verwendung dafür habe, für den Steward bestimmt. In der einen kann er schlafen und in der anderen das Geschirr, Messer und Gabeln und so weiter, aufbewahren.«

»Das ist eine sehr gute Einrichtung,« meinte der Vater, »den Steward hier gleich zur Hand zu haben, um so mehr, als du deine Frau an Bord hast.«

Dabei untersuchte er das Innere unserer Kammer aufs genaueste und war offenbar von allem, was er sah, sehr befriedigt.

Nachdem wir einige Zeit hier zugebracht hatten, gingen wir wieder an Deck und von da an Land. Aber der Vater konnte sich nur schwer von dem Anblick des schmucken Schiffes losreißen. Dann holte er tief Atem und begann:

»Die Bark geht an. An ihren schönen Anblick kann man sich noch lange erinnern. In den Händen deines Mannes, Jeß, wird sie dir ein ebenso sicheres Heim sein, als du je in dem alten Wohn- und Schlafzimmer gehabt hast. Behandle sie nur nicht schlecht, Dick« (er meinte die Bark). »Wenn sie nun gutwillig vorwärts geht, treibe sie nicht. Es scheint sündhaft, ein solches Schiff mit Kohlen zu beladen. Laß sie jedenfalls nicht mehr einnehmen, als sie tragen kann. Bei schönem Wetter wird sie prachtvoll auf dem Wasser aussehen, wie ein Schmetterling im Sommer. Wenn ich mir von allen Schiffen, die das Jahr über auf diesem Strom gelegen haben und meinetwegen noch in den Docks von Sunderland dazu, eins aussuchen sollte, ich könnte kein besseres finden als dieses kleine Seeheim, auf dem deine Frau ihre erste Reise mit dir machen soll, mein Sohn?.«


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