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Zwanzigstes Kapitel.
Untergang der ›Aurora‹

Der Sturm hatte sich gebrochen. Aber immer noch sah der Himmel düster und trübselig aus und es lief eine gewaltige See. Das Schiff war vor den Wind gebracht und lenzte nun, mit dem Sturm etwas seitwärts achterlich, unter dicht gerefften Marssegeln und gereffter Fock. Den ganzen Tag und die folgende Nacht flog die ›Aurora‹ vor dem Sturme dahin und wir legten in diesen vierundzwanzig Stunden eine schöne Strecke zurück.

Ungefähr um zehn Uhr am folgenden Vormittag flaute der Wind schnell bis zur völligen Stille ab; gegen zwei Uhr nachmittags erhob sich aber schon wieder ein leichtes, östliches Lüftchen. Es wurde allmählich stärker und ging nach Nordost herum, und nach einer Stunde hatten wir den Passat stark querein.

Es wurden jetzt Royals und ein Voroberleesegel beigesetzt, und die Bark flog dahin, etwas zur Seite geneigt, doch mit völlig trockenem Deck. Der heiße goldene Sonnenschein funkelte und strahlte in den blanken Masten und dem Glas und Messing der Deckeinrichtung. Das schaumbedeckte Kielwasser schoß unter dem Heck hervor und tanzte in schneeweißer Linie über einer See dahin, die eine ebenso schöne und glänzende blaue Farbe hatte wie der Himmel, an dem die lammweißen Passatwölkchen entlang zogen.

Wenn sonst bei uns an Bord alles in Ordnung gewesen wäre, über das Wetter brauchten wir uns bis dahin nicht zu beklagen. Der Orkan war ja allerdings furchtbar gewesen; aber er hatte uns nichts geschadet. Im Gegenteil, der darauffolgende Sturm hatte uns unmittelbar in den Passat hineingeweht. Wir machten vorzügliche Fahrt, und Richard redete davon, daß wir Sierra Leone anfangs März erreichen würden.

Aber nicht nur das Betragen der Leute, auch der Umstand, daß der Steuermann in seiner Kammer gefangen saß, verdüsterte unsere Stimmung so, daß auch günstige Winde und schnelles Segeln dieselbe nicht zu heben vermochten. Ich rede hier besonders von mir selber. Ich konnte in der Kajüte niemals ruhig sein, weder allein noch in Richards Gesellschaft. Wenn ich je aufgelegt war zu lachen, unterdrückte ich diese Anwandlung stets, da ich sofort daran dachte, daß der Steuermann in seiner Kammer säße und es hören könnte. Es war ein fortwährender Zwang. Wir mußten uns leise miteinander unterhalten, und die Annahme, daß Heron jedes Wort hören könnte, wirkte so lähmend auf meinen Mann, daß ich oft bemerkte, wie er etwas zu mir sagen wollte, dann inne hielt und es sich erst noch einmal überlegte, ehe er sprach.

Einige Tage vergingen und der Nordpassat verließ uns, obgleich wir uns noch etwas nördlich von den Breiten befanden, wo dieser Wind gewöhnlich sein Ende erreicht.

Es war der heißeste Tag, den wir bis jetzt erlebt hatten. Alles, was man in der Sonne etwa mit der Hand berührte, brannte wie heißes Eisen. Das Pech in den Nahten der Decksplanken war weich wie Glaserkitt. Ueber dem Deck schwebte ein bläulicher Dunst, ähnlich wie der Nebel, der frühmorgens über sumpfigen Landstrecken zu liegen pflegt. Ein tiefes, wundervoll zartes, afrikanisches Blau zog sich ohne jede weitere Schattierung über das ganze Himmelsgewölbe bis hinab zur Wasserlinie.

Den ganzen Nachmittag hindurch dauerte die Stille und mit einem Gefühl aufrichtiger Dankbarkeit sah ich die glühende Sonne, eine blutrote Feuerkugel, hinter der See versinken. Gleich darauf brach auch die Nacht herein; nur eine ganz kurze Dämmerungspause lag dazwischen.

Mein Mann hatte die erste Wache, d. h. von acht bis zwölf Uhr. Ich blieb aus Furcht vor der drückenden Hitze in der Kajüte noch bis gegen elf Uhr bei ihm. Es lag etwas wunderbar Schönes und Anziehendes in der gewaltigen, weiten Fläche der schweigenden, schwarzen Gewässer. Hier und dort leuchtete ein schwaches, phosphorartig leuchtendes Blitzen über der Dünung und erhöhte noch den geheimnisvollen Zauber der bodenlosen, finsteren Tiefe mit den silberglänzenden Sternspiegelbildern. Zuweilen hörte man das leise Flappen der Segel oder das seufzende Geräusch des Wassers am Vordersteven, wenn die Bark schlingerte. Die Luft war entzückend kühl und so schwer mit Tau durchtränkt, daß es jedesmal, wenn die Segel sich hin und her bewegten, wie ein kleiner Regenschauer auf das Deck herabplätscherte.

Um elf Uhr ging ich hinunter. In der Kajüte war alles still; die Lampe brannte trübe. Die Luft in der Kammer war sehr heiß, wenn auch nicht so drückend, wie ich gefürchtet hatte. Ich blickte durch das offene kleine Seitenfenster und stand noch einige Minuten in den Anblick des kreisrunden Stückes von dem sternenbesäten Himmel versunken, das durch diese Oeffnung sichtbar war. Dann ging ich zu Bett und schlief auch sofort ein.

Ich erinnere mich dunkel, daß Richard am Schluß seiner Wache herunterkam; mir fielen jedoch sofort wieder die Augen zu. Er war stets sehr leise in allen seinen Bewegungen und störte mich niemals im Schlafe.

Ich mochte ungefähr eine und eine halbe Stunde geschlafen haben, als ich einen häßlichen, alpähnlichen Traum hatte. Ich träumte, ich wäre zu Hause in Newcastle und säße mit meinem Vater in dem alten Wohnzimmer, als plötzlich auf eine nur in Träumen mögliche Art das ganze Zimmer in hellen Flammen stand. Wir versuchten hinaus zu kommen; die Thür war verschlossen. Das Feuer ergriff schon meines Vaters Kleider, und in herzzerreißenden Tönen bat er mich, das Fenster zu öffnen, da seine Hände verbrannt seien. Aber ich konnte mich nicht von der Stelle rühren. Die Flammen umloderten mich, der Rauch wurde immer dicker, und ich war schon dem Ersticken nahe – da erwachte ich, und zwar in Schweiß gebadet und noch voller Schrecken von dem gräßlichen Alpdrücken.

Die Lampe brannte – aber was war das? Das Licht schimmerte nur trübe wie durch einen Schleier, als ob die Kammer voller Nebel wäre. Ich spürte einen entsetzlichen Geschmack im Munde wie von giftigen Dünsten und konnte nur mit großer Mühe atmen, so daß das Gefühl des Erstickens jetzt noch ebenso stark war als wie vorher im Traume.

Ich sprang aus der Koje und bemerkte, daß es Rauch sei, was ich für Nebel gehalten hatte. Ein durchdringender Brandgeruch sowohl wie diese unbeschreibbaren, schauderhaften Dünste erfüllten die Kammer.

Richard lag fest schlafend in seiner Koje. Er hatte nur Rock und Stiefel ausgezogen, da er sich an Bord überhaupt nur selten völlig entkleidete. Ich ergriff ihn beim Arme und schüttelte ihn. Gewöhnlich hatte er einen sehr leisen Schlaf; auf den ersten Ruf oder die leiseste Berührung pflegte er sofort völlig wach zu sein.

Jetzt murmelte er nur, obgleich ich ihn heftig schüttelte, hustete, als ob er ersticken wollte, und behielt die Augen geschlossen. Er schien betäubt zu sein. Der Rauch wurde merklich dicker, und ich fühlte, daß ich kaum noch eine Minute in der Kammer würde aushalten können. In wahrer Todesangst schüttelte ich meinen Mann und kreischte ihm in die Ohren, daß die Bark in Flammen stände. Da öffnete er die Augen, und blickte zuerst etwas verwirrt um sich; dann aber überflog sein Gesicht der Ausdruck tödlichen Schreckens.

»Barmherziger Himmel, Jessie!« schrie er, indem er sich abmühte, Atem zu schöpfen, »was ist das?«

Er sprang aus dem Bette und riß die Thüre auf. Die Kajüte war ebenso voll von den gräßlichen, nebelartigen Dämpfen wie unsere Kammer; glücklicherweise war der Dunst wenigstens nicht dicker als bei uns; sonst würde er uns, als wir die Thür öffneten, unfehlbar erstickt haben.

»Wo sind deine Kleider?« schrie Richard. »Nimm schnell zusammen, was du irgend erreichen kannst!« Während ich mein Kleid von der Wand riß und Unterkleider etc. zusammenraffte, zog er die Stiefel an, nahm den Rock über den Arm, ergriff mich bei der Hand und rannte mit mir der Kajütentreppe zu.

Es waren nur wenige Schritte, und doch wäre ich fast ohnmächtig geworden, als ich meinen Fuß auf die Treppe setzte. Richard half mir hinauf. Da stand ich in der köstlichen, frischen Luft. Die Wohlthat jenes ersten Atemzuges nach den tödlichen Dämpfen, denen ich entronnen war, läßt sich nicht mit Worten beschreiben.

Es war dunkel, aber doch eine herrliche schöne Nacht. Es wehte etwas Wind; allerdings nur ein ganz schwaches Lüftchen. An Deck war alles totenstill. Der schwarze Umriß des Steuerrades hob sich von dem sternbedeckten Horizont ab – aber es stand kein Mann daran. Auch vorne war keine Spur von einem lebenden Wesen zu entdecken, und als ich nach oben blickte, bemerkte ich, daß die Vorraaen back gebraßt waren. Das Schiff lag beigedreht, obgleich unter vollen Segeln, von dem Groß-Royal bis zum Gaffeltopsegel.

Aus allen Teilen der Bark aber, von den Lukensillen, den Mastkragen, sogar aus den Schiffsseiten und anderen Orten, die ich für undurchdringlich gehalten hätte, stiegen dünne, spiralförmige Rauchstreifen auf. Sie brachen mit einer gewissen zögernden Bewegung hervor – wie der von einem Mistbeet aufsteigende Dampf. Man konnte beim Licht der Sterne den Rauch deutlich erkennen.

Richard stand an der Kapp und schaute sich um. Ich hatte seinen Arm losgelassen und begann mich mit zitternden Händen anzukleiden, wobei ich bemerkte, daß ich glücklicherweise alles Notwendige mit heraufgebracht hatte, sogar Hut und Schuhe.

»Ist niemand an Deck?« schrie Richard, indem er die Hand an den Mund legte. Seine Stimme schallte mit einem hohlen Klange über das Deck und wurde in schwachem Echo von dem oben ausgebreiteten Segeltuch zurückgeworfen. Keine Antwort erfolgte.

»Herr Short!« schrie er wieder.

Nur das schwache Geräusch der leichten Brise in der Takelage war vernehmbar und der leise klingende Ton des gegen die Schiffsseite plätschernden Wassers. Wiederum blieb alles still, und niemand zeigte sich.

Richard rannte nach vorne; in kaum einer Minute war er wieder da.

»Die Mannschaft hat uns verlassen,« rief er. »Sie sind mit dem großen Boot von Bord gegangen. Siehst du die Taljen an den Raanocken? Wie leise die Banditen ihre Arbeit gethan haben!«

»Ach, Richard,« schrie ich, »Herr Heron ist unten eingeschlossen und muß ersticken.«

Ich hatte kaum ausgesprochen, als mein Mann in die Kajütskapp hinabstürzte. Dicker Rauch stieg jetzt empor, und die vorhin erwähnten scheußlichen, giftigen, gasartigen Dämpfe waren noch in bedeutend höherem Grade damit vermischt als zuvor. Ich stand in Todesangst an der Kapp und wartete, daß Richard mit dem Steuermann wieder heraufkommen sollte. Die Qualen jener wenigen, erwartungsvollen Minuten werde ich nie vergessen. Glücklicherweise dauerte es nicht lange. Mein Mann kam die Treppe wieder heraufgestürzt; er hielt beide Hände vor den Mund. Kaum war er an Deck, so stürzte er der Länge nach hin. Heftiges Erbrechen folgte. Was mich aber noch mehr ängstigte, war das Blut, mit dem Gesicht und Hände bedeckt waren; die Wirkung der giftigen Gase.

Ich rannte an eines der Wasserfässer, füllte die Plumpe und brachte sie ihm. Das kalte Wasser, mit dem er Mund, Gesicht und Hände reinigte, erfrischte ihn, und er erhob sich wieder.

»Hast du den Steuermann gefunden?« fragte ich.

»Er ist fort mit den andern,« antwortete er. »Seine Thür steht weit offen. Die Kammer ist voll Rauch, und ich mußte mich hineintappen, um in seine Koje zu fühlen. Er ist fort,« wiederholte er. Weiter sagte er nichts darüber. Jetzt trat er an das eine der Quarterboote und besah es genau. Er hatte seine Fassung wieder erlangt und sprach ganz ruhig.

»Sie sind wenigstens so menschlich gewesen, uns zwei Boote zu lassen,« meinte er, »vielleicht haben sie auch gehofft, daß der giftige Rauch uns die Mühe ersparen würde, ein Boot überzusetzen. Gott sei Dank! wir haben keine Eile. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Ladung in Flammen steht; höchstwahrscheinlich stecken Steuerleute und Matrosen dahinter. Daß sie es in der Absicht gethan haben, uns zu töten oder mir wenigstens einen schweren Nachteil in meinem Berufe zu bereiten, davon bin ich ebenso fest überzeugt, wie davon, daß ich hier an Deck stehe, wenn ich auch nur aus der Art und Weise, wie die Banditen sich weggestohlen haben, darauf schließen kann. Jeß, mein Kind, wir müssen sehen, daß wir unser Leben retten. Laß uns kaltblütig bleiben und auf Gottes Barmherzigkeit vertrauen. Geh etwas weiter von der Kapp fort, diesem Rauch aus dem Wege. Ich werde im Augenblick wieder hier sein.«

Er stürzte nach vorne und verschwand. Nach ungefähr drei Minuten kam er zurück. Er trug ein Bündel in der Hand, das er achtern in das eine Boot warf. Zugleich nahm er ein kleines Fäßchen aus dem Buge des Bootes, trug es an eins der Wasserfässer und füllte es mit der Plumpe. Dann brachte er sowohl Fäßchen wie Plumpe wieder in das Boot.

Ich schaute ihm müßig zu; ich wußte nicht, wie und was ich ihm helfen könnte. Selbst jetzt war mir das Furchtbare unserer Lage noch nicht völlig klar. Es schien mir immer noch wie ein Traum, eine Fortsetzung des Alps, der mich vorhin bedrückt hatte.

Als Richard das Fäßchen mit frischem Wasser ordentlich festgestaut hatte, sprang er in das Boot und untersuchte es nochmals auf das gründlichste. Er glaubte offenbar, den Leuten selbst einen so teuflischen Plan zutrauen zu können, daß sie die Boote vielleicht durchlöchert und in Fallen für uns verwandelt hätten. Dann rief er mich und bat mich, ihm zu helfen, wenn er das Boot ins Wasser fierte. Ich brauchte hierzu keine besonderen Weisungen. Wie das gemacht wurde, wußte ich ganz genau. Als Richard klar war, nahm ich mit dem Taljenläufer einen Turn unter einem Coffeynagel und fierte vorsichtig mit ihm zugleich weg. Als das Boot im Wasser lag, stieg mein Mann an der einen Talje hinab und hakte die Blöcke aus. Dann holte er das Boot bis an die Großrüsten und machte es dort mit der Fangleine fest. Darauf kam er an Deck. Als er von der Schanzkleidung herabsprang, stolperte er und fiel leicht auf die Hände. Sofort sprang er auf und rief: »Jeß, das Deck ist so heiß wie ein Backofen. Du mußt in das Boot und zwar sofort. Das Schiff ist voller Feuer. Die Ladung muß in hellen Flammen stehen, um eine solche Hitze zu erzeugen. Es kann jeden Augenblick eine Explosion erfolgen.«

Mit diesen Worten sprang er auf die Schanzkleidung, zog mich hinauf, ließ mich in die Rüsten und aus den Rüsten in das Boot hinab. Einen Augenblick zauderte er noch, als er vorne im Boote stand und die eine Hand an dem Schlag der Fangleine hatte. Er schien zu überlegen, ob er bleiben oder an Deck gehen solle – da ergoß sich ein grünlicher Lichtschein über die vorderen Segel. Er kam und verschwand so schnell, daß ich es für einen Blitz hielt, bis ein Blick auf den wolkenlosen Himmel mich überzeugte, daß es ein durch irgend eine Oeffnung des Decks ausschießender Flammenstrahl gewesen sein müsse. Der Rauch wurde an verschiedenen Stellen des Schiffes dichter und dunkler, und mein Mann erklärte, indem er die Hand an die Schiffsseite legte, daß diese womöglich noch heißer sei als das Deck.

Das plötzliche Emporschießen der Flamme und die zunehmende Hitze bestimmten ihn, sich zu entscheiden. Er warf die Fangleine los, ergriff einen Riemen und schob das Boot ab. Dann kam er nach achtern und wrickte das Boot bis zu einer Entfernung von ungefähr fünfzig Faden von der Bark, wo er es treiben ließ, um das brennende Schiff zu beobachten.

Jetzt, wo er nichts mehr zu thun hatte, wo er nachdenken konnte und das Schiff dort wie ein dunkles Gemälde vor sich liegen sah, da wurde er sich der ganzen Bedeutung unseres Unglücks bewußt. Seine Manneskraft erlahmte; er stützte die Ellbogen auf die Kniee und das Haupt in die Hände. Dann holte er schwer Atem. Es klang wie heftiges Schluchzen. Sein Kummer beraubte auch mich der Fassung. Ich schlang meine Arme um seinen Hals, unfähig zu sprechen. Ich wußte ja, er würde auch so verstehen, was ich meinte. Schweigend saßen wir so einige Minuten. Ich fühlte, wie sein starker Körper zitterte und bebte, um seines bitteren Schmerzes und Kummers Herr zu werden. Dann machte er sich sanft von mir los, indem er meine Hand küßte.

»Ach, Jeß,« sagte er, »mein teures Weib! Wohin habe ich dich gebracht?«

»An den einzigen Ort in der Welt, wo ich jetzt zu sein wünsche, Richard,« antwortete ich. »Ich habe keine Furcht, Liebster.«

Ich sprach die Wahrheit – solange er bei mir war, hatte ich keine Furcht.

»Tagelang habe ich schon eine Ahnung gehabt, daß irgend so etwas geschehen würde,« fuhr er fort. »Aber wie ist es zugegangen? Haben die Leute das Schiff in Brand gesteckt oder haben die Kohlen sich entzündet? In jedem Falle bleibt es eine Niederträchtigkeit, uns zurückzulassen, um im Rauche zu ersticken, was sie doch offenbar gehofft haben! Und wie leise die Schurken gearbeitet haben! Ich habe keinen Laut gehört. Sie befreiten den Steuermann, braßten die Großraaen, setzten das große Boot aus – und alles das so ohne jedes Geräusch, daß wir auch nicht einen Ton zu hören bekamen. Wie lange mögen sie wohl schon fort sein?« Hier erhob er sich und spähte ringsumher in dem dunkeln Kreise des Ozeans. Er setzte sich wieder und fuhr fort: »Ich kann nicht glauben, daß sie das Schiff in Brand gesteckt haben. Und doch überließen sie uns unserem Schicksal – sie wollten unser Verderben. O, diese Banditen, diese Banditen!«

Ein plötzlicher Wutanfall schien ihn zu übermannen. Wie ein Trunkener schwankte er auf der Ducht hin und her. Ich ergriff seine Hand und drückte sie, um ihn zu beruhigen.

Nach kurzem Schweigen fuhr er fort: »Wenn sie an Bord geblieben wären, hätten wir vielleicht das Feuer überwältigt. Aber sie hatten eben andere Pläne. Lieber vertrauen sie sich einem offenen Boote an und setzen sich den größten Gefahren aus, als mir zu ermöglichen, das Schiff zu retten. Das ist ihre Art, sich zu rächen. Herrgott im Himmel! Was habe ich den Leuten zuleide gethan, um das zu verdienen? War es Herons Plan? Hat er etwa das Schiff in Brand gesteckt? Aber wie? Du hast keine Flammen in der Kajüte gesehen?«

»Nein,« antwortete ich.

»Das Feuer ist also in den Kohlen ausgebrochen. Vorne haben sie den Brandgeruch zuerst gespürt; dann haben sie mit dem Zimmermann die Sache abgekartet, Heron befreit und uns unserem Schicksal überlassen. So muß es gewesen sein.«

Da ich zur Unterhaltung nicht aufgelegt war, verstummte auch mein Mann. Er hatte meine Hand erfaßt und starrte schweigend ohne jegliche Bewegung auf sein Schiff.

Es war gegen drei Uhr morgens, also noch geraume Zeit vor Tagesanbruch: Eine sanfte Brise kräuselte das Wasser, in dem die Spiegelbilder der größeren Sterne zitterten. Die Dunkelheit war noch immer so tief, daß wir das Boot, in dem die Leute uns verlassen hatten, nicht gesehen haben würden, wenn es auch nicht weiter als zwei Seemeilen entfernt gewesen wäre. Da wir uns zu Luward von der Bark befanden, wehte die Brise uns darauf zu und mein Mann mußte das Boot von Zeit zu Zeit auf seinen Platz zurückwricken, um für den Fall einer Explosion nicht zu nahe an das Schiff heranzukommen.

Es verging eine ziemlich lange Zeit, seitdem wir jenen ersten Flammenstrahl beobachtet hatten, ohne daß sich wieder eine Spur von Feuer zeigte. Nur der Rauch wurde immer dicker und stieg in dichten Wolken über der ganzen Länge des Schiffes empor, als ob dort der Krater eines unterseeischen Vulkans wäre. Nach einer halben Stunde ungefähr schoß plötzlich mittschiffs eine lange, rote Flamme aus der Großluke oder in deren Nähe empor. Der schwarze Rauch bekam eine dunkle Orangefarbe und die Bark mit ihren rot bestrahlten Segeln, Masten und Wanten sah aus wie ein Gemälde, das ein in flüssiges Feuer getauchter Pinsel auf den dunkeln Hintergrund der Nacht gemalt hatte. Die Flamme verschwand und es wurde wieder dunkel, als ob die Rauchmassen das Feuer erstickt hätten. Gleich darauf erscholl ein dumpfer Knall, vermischt mit einem knatternden Getöse. Von der Back aus schoß ein ungeheurer Funkenschwarm empor und erfüllte die Luft mit feurigen Streifen, die sich langsam in den Rauchwolken verloren. Dann schlug eine weiße Feuermasse in die Höhe wie eine von einer aufprallenden Kanonenkugel aufgeworfene Wassersäule, und im Augenblick stand das ganze Segelwerk in Flammen. Fast unmittelbar darauf erfolgte eine zweite ohrenerschütternde Explosion, diesmal achtern. Das Deck zerbarst, als wäre es mit Schießpulver gesprengt und schwere Planken, Stücke der Kajütskapp und des Oberlichtes wurden durch den Rauch hindurch bis weit in die darüber lagernde klare Luft geschleudert. Wie Raketen wurden sie emporgetragen auf den über unsern Häuptern wie ein Sturmwind brausenden Flammenflügeln, bis sie unmittelbar neben dem Schiffe wieder herabfielen.

Durch das Bersten des Decks hatte die Feuermasse im Raume jetzt freien Ausweg gefunden. Ueberall schossen die Flammen empor, fast überall in derselben Höhe bis ungefähr zur halben Höhe des Großmastes. Einzelne Flammenzungen leckten bis zu den Bramsalingen empor und verdrängten den Rauch, bis alles von oben bis unten nur noch klares Feuer war. In der furchtbaren Lohe leuchtete die See in meilenweitem Umkreise wie eine brennende Schwefelmasse und vervollständigte das schreckliche Bild. Ebensoweit bedeckte tagesähnliche Helligkeit den Himmel.

Jetzt war auch nicht ein Teil des Schiffes mehr übrig, der nicht vom Feuer erfaßt gewesen wäre. Einige der Seitenplanken waren bereits herausgebrannt. Ich konnte die rote, glühende Masse im Raum sehen. Zuletzt sah der ganze Rumpf aus wie ein schwimmender Käfig von glühendem Eisendraht. Alle Augenblicke fiel ein schweres Stück Holz von einer Stenge oder Raa in die geschmolzene Masse hinab. Dann blitzte ein großer Flammenkörper empor und die auf der Oberfläche liegenden, glühenden Kohlen flossen gleich Lavaströmen aus den Oeffnungen in der Seite des Schiffes.

»Richard,« rief ich nach einer langen Pause, »bricht dort nicht schon der Tag an?«

»Ja, Gott sei Dank! Die aufgehende Sonne bringt uns vielleicht Hilfe. Welch entsetzliches Feuer! Unsere arme Bark! Möge der Himmel sich unser erbarmen.«

Die Dämmerung schwand schnell; es wurde heller. Der dunkle Ozean bedeckte sich mit einem blassen Grau und ein schwacher Rosa-Schimmer erglänzte am östlichen Himmel. So schnell die Nacht in diesen Breiten hereinbricht, ebenso schnell wird es auch Tag. Der frohe Morgen stieg aus der See empor. Das sanfte, schöne Rosenrot zog sich über den wolkenlosen Himmel bis zum Zenith empor und wurde immer feuriger. Der Oberrand der Sonne tauchte aus dem Wasser und warf einen silberfunkelnden Blitz über das Meer. Als die Hälfte des Tagesgestirns sichtbar geworden, da brach die Bark entzwei, mitten auseinander. Das furchtbare Bild verschwand unter wütendem Zischen; nur geschwärzte Trümmer blieben zurück. Eine riesige weiße Dampfwolke stieg langsam empor. Sie wurde von der leichten Brise entführt und folgte dem Rauche, der noch immer im Norden wie eine Gewitterwolke über der See schwebte.


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