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Vierzehntes Kapitel.
Dickes Wetter

Wir hatten eben zur Genüge von unserem sehr guten Pudding gegessen, als wir plötzlich die Stimme des Steuermanns hörten, der scharf und laut irgend jemand anrief.

Vielleicht hatte mein Mann die Worte verstanden oder doch aus dem Tone auf die Wichtigkeit des Rufes geschlossen, denn er sprang auf, nahm seine Mütze und stürzte die Treppe hinauf. Ich folgte ihm.

Die Mannschaft rannte umher und war beschäftigt, das Großsegel aufzugeien. Richard stand dicht neben dem Mann am Ruder und gab von dort aus einige Befehle; vorn auf der Back stand der Steuermann, blickte über die See und drohte irgend einem dort befindlichen Gegenstande mit der Faust, während er die andere Hand als Sprachrohr benützte und jemand etwas zurief.

Das Wetter war vorher schon diesig gewesen, jetzt aber hatte sich dichter Nebel herabgesenkt und verhüllte die See. Die Bark war in den Wind geschossen, der zwar nicht stärker geworden war, aber doch Kraft genug hatte, die backschlagenden Segel heftig zu schütteln. Zu dem Geräusch der schlappenden Segel kamen noch das stoßweise Stampfen des Schiffes und die dampfartigen Nebelschleier, die ein Gefühl von Unsicherheit und fast von Furcht in die Verwirrung mischten, indem sie alles verhüllten.

Ich stand in der Kajütskapp, um niemand im Wege zu sein, und konnte, als ich in die Richtung blickte, wohin der Steuermann mit der Faust drohte, gerade noch die Umrisse eines großen Fahrzeugs erkennen, das unter dem vollen Druck seines dunkeln Segels über die Wogen hintaumelte, aber hartnäckig denselben Kurs weitersteuerte, auf dem wir es eben fast angerannt hätten.

»Warum haltet ihr nicht ab?« schrie Herr Heron, als in dem Aussingen unserer Leute eine Pause eintrat. Seine Stimme klang vor Wut so heiser wie die eines Raben. Es war ein förmliches Gekrächze.

Einige unbestimmte Laute – ob Worte oder Gelächter, konnte ich nicht unterscheiden – drangen von den schnell im Nebel verschwindenden Umrissen zu uns herüber. In wenigen Sekunden war der dunkle Schatten verschwunden und die ›Aurora‹ lag nun mit dem Kopf im Winde und stampfte furchtbar in den aus dem Nebel ihr entgegenrollenden Seen. Alle Segel lagen back und das Schiff machte keine Fahrt mehr.

Glücklicherweise war der Wind nicht heftig genug, um die Lage zu einer gefährlichen zu gestalten. Nachdem der Besan eingegeit, die Achterstagsegel niedergeholt, die Klüverschoten angeholt und die Achterraaen Vierkant gebraßt waren, fiel die Bark endlich wieder ab.

»Lassen Sie das Großsegel festmachen und halten Sie das Schiff nur unter Marssegeln und Fock, bis das Wetter sich aufklärt,« rief Richard dem Steuermann zu.

Die Befehle wurden wiederholt und die Leute stiegen nach oben, um die Segel festzumachen.

Richard sah blaß und ärgerlich aus. Er ging an Deck auf und ab und dicht an mir vorüber, ohne mich anzusehen. Der Steuermann am Fallreep blickte düster auf die Matrosen auf der Großraa, die das Segel aufrollten und eben dabei waren, mit einem Chorgesang den Bauch aufzuholen. Mein Mann rief ihn heran.

»Herr Heron, wie lange haben wir schon diesen Nebel?«

»Ungefähr fünf Minuten, ehe Sie vom Essen heraufkamen.«

»War jenes Fahrzeug, das wir beinahe überrannten, in Sicht, ehe der Nebel aufkam?«

»Ich habe es nicht gesehen, Herr!«

»Ich fragte, ob es in Sicht war?«

»Der Ausgucksmann hat es gesehen,« antwortete der Steuermann und bemühte sich sichtlich, seinen Aerger zu verbergen, »aber nicht gemeldet, da er annahm, ich hätte es auch gesehen. Er hielt das Fahrzeug für weiter entfernt und glaubte, daß es vor unserem Bug vorbeisegeln würde.«

»Wie heißt der Mann?«

»James Snow.«

»Aber wo hatten Sie denn Ihre Augen, Herr Heron?«

Keine Antwort.

»Und weshalb benachrichtigten Sie mich nicht, als dieser Nebel aufkam?«

Wieder eine Pause und keine Antwort.

»Sie hätten doch kleine Segel machen müssen, als Sie den Nebel kommen sahen. Statt dessen halten Sie das Schiff in voller Fahrt unter einem Großbramsegel. Ist das seemännisch gehandelt?«

Herr Heron antwortete nichts.

»Nun,« meinte Richard ruhig, »dies ist die erste Reise, die wir zusammen machen. Ich will hoffen, daß Sie mir nicht wieder Veranlassung geben, Ihnen zu sagen, was Sie in solchen Fällen zu thun haben, nämlich daß Sie einen scharfen Ausguck halten und darauf achten, daß er von anderen gehalten wird, und mich sofort benachrichtigen, wenn Umstände eintreten, wo Ihnen Ihre Erfahrung als Seemann sagen muß, daß ich an Deck zu sein wünsche. In dickem, unsichtigem Wetter in der Nordsee will ich kein Vorwärtstreiben, Herr.«

Da der Steuermann schwieg, schloß ich, daß er nichts entgegnen konnte. Nach seinen Mienen zu urteilen, würde er wohl ziemlich scharf geantwortet haben, hätte er einen guten Entschuldigungsgrund gehabt. Mein Mann schien nicht bemerkt zu haben, daß ich nahe genug stand, um jedes Wort hören zu können. Das that mir um so mehr leid, als der Steuermann meine Gegenwart sehr wohl bemerkt hatte. Dadurch erhielt der ihm gemachte Vorwurf eine größere Schärfe, als notwendig gewesen wäre.

Ein paar Minuten später ging Herr Heron zu Mittag hinunter und ich blieb bei Richard, der zwischen dem Ruder und dem Besanmast auf- und abging.

Die ganze Mannschaft befand sich an Deck. Die Leute blickten über die Reeling oder gingen hurtig auf und ab. Ihre verschiedenen Anzüge erhöhten das Malerische dieses Seebildes. Einige waren in blauen Düffel gekleidet, andere trugen gelbes Oelzeug, noch andere nichts als das wollene Hemd, Segeltuchhosen und den Südwester, alle das unvermeidliche Scheidemesser an der Hüfte.

Dabei sah man die verschiedensten Gesichtsbildungen: einer mit dunkelm Vollbart, ein anderer ganz hellblond wie ein Skandinavier, ein dritter mit einem Mulattengesicht. Bei einigen deutete die bronzene Hautfarbe, die Ohrringe, die vorstehenden Backenknochen, die glänzenden Augen auf den amerikanischen Matrosen hin.

Inzwischen pflügte die Bark auf ihrem Wege vorwärts über die kurzen Wellen dahin, indem sie das Wasser auf beiden Seiten in glashellen Bogen zurückwarf, die sich im Fallen wieder in Schaum auflösten. Es schien, als ob das Schiff sich wie ein Mensch im Dunkeln durch die Nebelmassen hindurch fühlte oder tappte.

»Du solltest hinuntergehen, Jessie,« mahnte Richard, »hier wirst du ja ganz naß.«

»Daraus mache ich mir nichts,« erwiderte ich. »Wenn ich wegen eines Nebels schon in der Kajüte bleiben sollte, würde ich an Land geblieben sein.«

»Hast du gehört, wie ich vorhin mit Heron sprach?« fragte er.

»Ich konnte nicht vermeiden, es zu hören; ich stand ja in der Kajütskapp.«

»Ich möchte wissen, wie dein Vater darüber denken würde,« sagte er halblaut. »Der Mann muß einen merkwürdigen Ausguck gehalten haben, daß er das Fahrzeug nicht bemerkt hat, während es doch nach seiner Aussage von der Back aus gesehen wurde. Dann wäre es auch seine Pflicht gewesen, mich bei dem plötzlichen Nebel zu rufen. Er kann sich doch denken, daß ich bei solchem Wetter in der Nordsee nicht mit sieben oder acht Knoten in der Stunde durchs Wasser laufen kann. Eine einzige Schiffslänge weiter und wir hätten jenes Fahrzeug angerannt und vielleicht in Grund gebohrt und selbst Schaden genug erlitten, um genötigt zu sein, nach dem Tyne zurückzulaufen. Das wäre ein netter Anfang gewesen.«

»Du hast ihm tüchtig den Text gelesen, Richard.«

»Nicht mehr, als er verdient,« versetzte er. »Wenn du auch eine ganze Menge von der See verstehst, Jeß, kennst du doch noch lange nicht alles, und etwas wirst du nie kennen lernen, wenn du auch ein Schiff zu bauen und aufzutakeln verständest, das ist die auf einem Schiffsführer lastende Verantwortlichkeit. Wenn uns irgend ein Unfall zugestoßen wäre, würden die Herren vom Seeamt sofort hinter mir her sein und mir klar machen, daß es meine Pflicht gewesen wäre, an Deck zu sein, daß ich kein Recht dazu hätte, mein Mittagsbrot in der Kajüte zu essen, ob ich nun gewußt, daß es neblig sei oder nicht. Ein Seekapitän, mein Kind, darf nach der Ansicht dieser Herren kein Mensch sein wie andere Menschen. Er darf nicht schlafen, nicht essen, nicht von Deck gehen. Aber selbst wenn er alle die übernatürlichen Eigenschaften im höchsten Maße besäße, würde ihn das doch nicht retten, wenn seinem Schiffe ein Unglück zustieße. Heron wird mich als einen sehr gemütlichen Schiffskameraden kennen lernen, wenn er seine Schuldigkeit thut, wie es einem tüchtigen Seemanne zukommt; finde ich aber, daß er mir die Unterstützung nicht gewährt, die seines Amtes ist und für die er bezahlt wird, dann kann er mich auch von einer andern Seite kennen lernen.«

»Sei nur nicht so hart mit ihm, Richard,« bat ich. »Laß ihm doch etwas Zeit. Er wußte, daß du mit mir bei Tische saßest und dachte vielleicht, du wünschtest nicht gestört zu werden.«

Mein Mann brach in helles Gelächter aus. »O, Jeß,« meinte er, »du müßtest wirklich ein Schiff zu befehligen haben. Du würdest einen Schiffskapitän abgeben, mit dem die Leute um die ganze Welt segeln möchten.«

Sein Gelächter hatte mich etwas eingeschüchtert und ich bemerkte, daß ich ja nur Mißstimmungen zwischen ihm und dem Steuermann vermieden sehen möchte und nicht wünsche, daß Herr Heron etwas gegen ihn haben könnte.

»Das wünsche ich auch nicht, Jeß,« sagte er, noch immer lachend, indem er mich treuherzig ansah. »Wenn Heron ein Seemann ist, wird er deswegen nichts gegen mich haben, weil ich ihm sage, daß er einen Fehler begangen hat und dies auf Wahrheit beruht; wenn er aber kein Seemann ist, na, dann ist es ziemlich gleichgültig, ob er mich leiden kann, oder nicht.«

Der Nebel hatte schon geraume Zeit hindurch angehalten und ich war es müde, weiter nichts zu sehen, als scheinbare, quer über unser Deck hinziehende Dampfwolken. Auch waren mein Jackett und Kleid schon völlig von Feuchtigkeit durchdrungen und noch einmal so schwer geworden und die Feder auf meinem Hute würde voraussichtlich neu gekräuselt werden müssen, um sie wieder einigermaßen tragbar zu machen.

Da verflog plötzlich der Nebel rings umher. Das verursachte genau dasselbe Gefühl, welches man hat, wenn man aus einem dunkeln Zimmer plötzlich in ein hell erleuchtetes tritt. Es geschah ganz plötzlich. Die Bark tanzte aus dem dicken Grau in die helle, klare Luft hinein und strahlender Wintersonnenschein leuchtete von dem blaßblauen Himmel herab, über dem zerrissene Wolkengebilde dahinflogen, die in Farbe und Aussehen große Aehnlichkeit mit dem Nebel hatten, dem wir soeben entgangen waren. Die See war weithin, bis an die äußerste Grenze des Horizontes, klar und verschiedene Schiffe kamen in Sicht. Von der englischen Küste konnte ich aber keine Spur mehr entdecken, obgleich ich mich an den Kompaß begab und aufmerksam in die Richtung schaute, wo sie liegen mußte.

Die ›Aurora‹ sollte jetzt alle Segel beisetzen, die sie führen konnte. Auf dem Quarterdeck ertönten die Kommandorufe meines Mannes und des Steuermanns, vorne die heisere Stimme des Zimmermanns und dazwischen das Aussingen der Matrosen. Eine Raa nach der andern wurde gehißt, ein Segel nach dem andern entfaltete sich vor dem Winde. Ich hätte mit unter die Mannschaft gehen und nach dem Takte des Gesanges mit den Matrosen ziehen und holen mögen: eine so fröhliche Stimmung hatte sich meiner bei dem Anblick des geschäftigen Treibens an Deck bemächtigt. Inzwischen legte sich die Bark unter dem wachsenden Segeldruck immer mehr auf die Seite und schoß förmlich durch das Wasser, während der weiße Schaum an ihren Seiten vorüberrauschte.

Als nun auch noch das Vor-Royal beigesetzt wurde, befand sich die ›Aurora‹ unter vollen Segeln. Sie legte sich so auf die Seite, daß ich den längsseits zischenden Schaum fast mit ausgestrecktem Arm berühren konnte, und warf das Spritzwasser vorne in ganzen Wolken empor, die in allen Farben des Regenbogens schillerten. Unter den gewaltigen weißen Segeltuchflächen, die über dem schlanken Rumpf zum Himmel emporragten, sauste die kleine, stolze Bark dahin wie ein Dampfer.

Die Farbe des Wassers hatte sich verändert. Sie war nicht mehr grau, sondern ein klares, leuchtendes Grün. Die Wölbungen und Thäler der Wogen wurden ebenmäßiger und waren hier und dort von langen Schaumstreifen durchzogen, die sich mit ihnen hoben und senkten, während sich darüber ein winterlich blauer Himmel ausbreitete, über den Scharen von leichten Wolken hinweg fegten.

Richard ging auf einige Minuten hinunter und Herr Heron trat an den Steuerkompaß, um hineinzublicken. Ich fragte ihn, was er von der ›Aurora‹ hielte.

»Es ist ein nettes, kleines Schiff,« antwortete er, indem er mich kaum ansah und sofort seinen Blick wieder auf die Rose richtete.

Er war entschieden sehr unbeholfen und kurz angebunden; ich hielt ihn jedoch für nervös.

»Ich wünschte, wir könnten diesen Wind ein paar Wochen behalten,« sagte ich; »dann würden wir eine schnelle Reise haben.«

»Das würden wir; Sie haben recht,« war die Antwort.

»Nach Ihrem Accent zu schließen, Herr Heron, sind Sie kein Nordengländer,« sagte ich lächelnd mit dem Vorsatz, die Unterhaltung in freundschaftlicher Weise weiter zu führen, vielleicht auch mit der Empfindung, es solle als Entschuldigung dafür gelten, daß ich den Verweis meines Mannes mit angehört hatte.

»Nein, ich bin kein Nordengländer,« antwortete er, indem er dabei nach oben blickte. Dann ging er schnell einige Schritte nach vorn und rief ein paar Mann nach achtern, um einen kleinen Pull an den Luvroyal- und Bronnbrassen zu holen.

Seine Einsilbigkeit, um nicht zu sagen Unhöflichkeit, ärgerte mich zwar nicht – er dachte vielleicht, es wäre ganz in der Ordnung, einem Gespräch mit mir auszuweichen, nachdem ihm Richard in meiner Gegenwart gesagt hatte, er solle seinen Pflichten besser nachkommen und einen scharfen Ausguck halten – ich bedauerte jedoch lebhaft, daß ich die erste Seereise mit meinem Manne nicht in der Gesellschaft eines Steuermanns machte, der den Vorstellungen, die ich mir durch den Umgang mit meinem Vater und dessen Freunde über Seeleute im allgemeinen gebildet hatte, besser entsprach als Herr Heron.

Ich begann allmählig den Einfluß des stetig wehenden kalten Windes in meinem Gesicht zu spüren. Ein Gefühl von Schläfrigkeit, wie es sich meistens bei Personen einstellt, die eine Seereise antreten und sich gleich zu Anfang längere Zeit in der scharfen, frischen Luft aufhalten, bemächtigte sich meiner. Es gab auch noch mancherlei in der Kajüte für mich zu thun, ehe alles sich in der richtigen Ordnung befinden würde. Ich ging daher hinunter, allerdings mehr in der Absicht, Schutz gegen den Wind zu suchen, als um zu arbeiten. Indessen räumte ich doch noch etwas auf und kramte herum, wobei ich mich wohl hütete, meines Mannes Tisch zu berühren. Dort lagen nämlich verschiedene, zur Navigation gehörige Sachen: Instrumente, Bücher und Papiere. Ermüdet setzte ich mich endlich in den Lehnstuhl in der Schlafkammer und in wenigen Minuten war ich fest eingeschlafen wie ein Baby.

Als ich die Augen öffnete, stand Richard in der Thür und betrachtete mich.

»Ei Jessie, mein Lieb,« sagte er, »wenn du müde bist, so geh' doch lieber ordentlich zu Bett und schlafe dich aus.«

»O, ich bin schon wieder frisch und munter,« versicherte ich und stand auf. Ich mußte mich auf seinen Arm lehnen, um nicht zu fallen. Das Deck hatte eine Neigung wie der Abhang eines Hügels und das Schiff sprang und stampfte wie ein Pferd beim Hürdenrennen.

Nach dem Thee folgte ich meinem Manne wieder an Deck. Die Nacht war mit tiefer Dunkelheit angebrochen. Sobald die letzte Spur von Tageslicht am Himmel verschwunden war, erglänzten die Sterne heller zwischen den Wolken. Einige funkelten in einem scharfen, klaren, grünlichen Licht, andere in schwachem Rosa, und darüber glitzerte das schwarze Firmament von Myriaden winziger Punkte, wie mit Silberstaub bestreut.

Seit langen Jahren war dies die erste Nacht, die ich auf See verlebte. Damals, als ich jene Reisen mit meinem Vater machte, war ich noch jung und hatte noch nicht das volle Verständnis für die Schönheiten von See und Himmel. Jetzt betrachtete ich das alles mit gereifterem Geiste und alles, was ich sah, wirkte auf mich wie eine Offenbarung.

Die regelmäßige Seeordnung hatte bereits begonnen. Schon seit mehreren Stunden waren die Leute gemustert und in Wachen eingeteilt. Die Dunkelheit und Stille an Deck verstärkte noch den Eindruck des brausenden Windes und des zischenden Geräusches der sich brechenden Wellen. Vorne war keine Spur von Licht zu bemerken und die Umrisse der Gestalt des Ausguck haltenden Matrosen waren nur schwach erkennbar. Achtern glänzte aus dem Oberlicht mit mildem Schein die Kajütenlampe und der Steuerkompaß war von einer leuchtenden Nebelwolke umgeben, hinter welcher der Mann am Ruder stand und die Speichen des Rades mit beiden Händen gefaßt hielt.

Der ›Offizier‹ der Wache war jetzt der Zimmermann, ein starker Mann mit mächtigen Schultern. Er ging an Deck auf und ab. Bei dem vom Oberlicht ausströmenden Scheine sah seine Gestalt aus wie der Körper eines Riesen, dem die Beine an den Knieen abgeschnitten sind.

»Nun, Jeß,« meinte mein Mann und trat zu mir. »Ich kann nicht erlauben, daß du gleich am ersten Abend der Reise hier zu Tode frierst. Ich gehe hinunter, um mir einen Zwieback und ein Glas Grog zu leisten. Komm mit.«

Da dies bereits die dritte Aufforderung war, das Deck zu verlassen, so folgte ich.

»Ich kann deine Bewunderung in einer schönen, warmen Mondscheinnacht wohl verstehen,« sagte er lachend. »Aber jetzt ist es so finster wie in meiner Tasche und das Thermometer steht auf dem Gefrierpunkt, wenn nicht gar darunter. Es ist eine Nacht, die sich besser dazu eignet, an das warme Bett zu denken, als sich mit den Wundern der See zu beschäftigen.«

»Aber ich erfreue mich daran. Zweifellos werde ich mich daran gewöhnen und mich dann vielleicht ebenso wie du über mein jetziges Entzücken wundern. So lange der Eindruck frisch ist, muß ich meinen Willen haben.«

»Ja,« sagte er, indem er mich liebevoll anblickte, »es ist wohl keine Frage, daß du bei mir deinen Willen durchsetzest. Laß nur Heron und die Leute nicht merken, daß du der wirkliche Kapitän bist. Sonst weigern sie sich vielleicht, andern Befehlen zu folgen, als den deinigen. Vorläufig geht das noch nicht; wenn du indes so fortfährst, wie bisher, wirst du mich bald nach oben schicken, während du mit dem Sextanten auf die Sonne Jagd machst oder Versuche mit dem nautischen Jahrbuch anstellst.«

Ich fragte, wo Herr Heron sei.

»Wo jeder vernünftige Mensch in einer solchen Nacht während seiner Wache zur Koje ist, nämlich im Bett.«

Wir setzten uns an den Tisch und unterhielten uns leise, um Heron nicht im Schlaf zu stören. Es ist eine streng beobachtete Regel auf See, möglichst ruhig zu sein, wo Schläfer in der Nähe sind, die nur von Passagieren, namentlich bei Tage, leider sehr oft verletzt wird. Als der Steward kam, um zu melden, daß vier Glasen (zehn Uhr) geschlagen seien und fragte, ob er die Kajütenlampe herunterschrauben sollte, fand ich, daß es Zeit sei, zu Bette zu gehen.

»Schlaf ein, so schnell du kannst, Jessie,« sagte Richard. »Ich werde wohl ziemlich die ganze Nacht aufbleiben. Regelmäßige Schlummerstunden giebt es bei mir nicht, bis wir klar von Lizard sind.«

Wir sagten uns so zärtlich gute Nacht, als ob wir uns einen ganzen Monat nicht wiedersehen sollten; dann ging er an Deck und ich in unsere Kammer.

Hier befanden sich zwei über einander angebrachte, ziemlich geräumige Kojen. Richard hatte mir die Wahl überlassen, worauf ich mich für die untere erklärte. Erstens brauchte ich nicht zu klettern, um hinein zu kommen, und zweitens würde ich nicht so tief fallen, wenn ich heraus rollen sollte.

Noch jetzt erinnere ich mich lebhaft daran, wie ich mich an jenem Abend auf See entkleidete. Mein Mann hatte meine leichten und sichern Bewegungen an Deck bei dem Schlingern des Schiffes gerühmt und ich bildete mir nun ein, ebenso gute Seebeine zu haben, wie er, der jahrelang auf See gefahren war.

Hier spürte man aber jede Bewegung des Schiffes viel stärker, und als die Bark jetzt unter dem stärkeren Segeldruck gegen eine kurze entgegenstehende See vorwärts stampfte, waren hier in ihrem äußersten Ende ihre Sprünge so heftig, daß ich trotz aller Bemühungen, mich zu halten, alle Augenblicke ›über Stag ging‹, wie der Seemann sagt, d. h. ich flog bald gegen die Thür, bald gegen die Kojen, während ich das Kleidungsstück, das ich auszog, krampfhaft festhielt oder mit meinem Haar in der einen und der Bürste in der andern Hand krampfhaft hin und her tanzte.

Aus dem Summen und Brausen, aus den Sprüngen des Schiffes und aus seinem Krängungswinkel, der sich durch die Neigung der Lampe kennzeichnete, konnte ich schließen, daß mein Mann die Bark scharf laufen ließ, und, wie es in einer klaren Nacht ja auch gerechtfertigt war, die schöne Brise, mit der er den Kurs anliegen konnte, nach Kräften ausnutzte, um auf seinem Wege zum Kanal möglichst weit vorwärts zu kommen.

Lange dauerte dieses Treiben aber nicht und bald hörte ich das Geräusch auf Deck geworfener Taue und darauf Rufe und die Stimmen der aussingenden Wache beim Aufholen der Geitaue und Gordings. Es wurden Segel weggenommen und die Bewegungen der Bark wurden weniger heftig. Bald darauf öffnete sich die Thür und Richard trat ein. Sein rauhhaariger Ueberrock glitzerte von schnell schmelzenden Schneeflocken und auf seinem Gesicht glänzten nasse Tropfen. Er zog leise seinen Oelrock an und setzte den Südwester auf, in der Meinung, daß ich schliefe. Dann trat er an die Koje, vielleicht um sich einen Kuß zu rauben, fuhr aber zurück, als er mich mit offenen Augen liegend erblickte.

»Hollah!« sagte er, und trat zurück, um mit den feuchten Kleidern keine Kälte in meine Nähe zu bringen. »Kannst du nicht schlafen, Kind?«

»Ich muß mich erst an das Geräusch in dieser Kammer gewöhnen,« antwortete ich. »Jeder Nagel und jeder Balken hat seine eigene Melodie, als ob sie das Brausen der See da draußen verspotten wollten.«

»Das habe ich gefürchtet,« meinte er, und sah sich um, als ob er das Geräusch gern beseitigen möchte, wenn er könnte. »Aber du wirst dich bald daran gewöhnen. Die See ist Janmaats Amme und dies ist das Lied, mit dem sie ihn einsingt.«

»Wenn nur die Wiege nicht so unsanft geschaukelt würde,« wandte ich ein. »Regnet es, Richard?«

»Ja, es hagelt ein bißchen. Aber nun schlafe mir ein, Jessie, du bist doch nicht nervös, mein Liebling?«

»Nervös!« rief ich in etwas beleidigtem Tone aus.

Er lachte und nahm den Südwester ab, um mir einen Kuß zu geben. Der vorspringende Schirm dieser eleganten Kopfbedeckung ist nämlich solchen Zärtlichkeitsbeweisen mehr hinderlich. Dann sagte er, er würde mich, wenn er sich später noch wach träfe, entschieden für nervös erklären.

»Gut,« dachte ich nach irischer Art, »ob ich nun wache oder nicht; jedenfalls sollst du glauben, daß ich schlafe.«

Er verließ die Kammer. Ob er noch wiederkam, weiß ich nicht. Als ich erwachte, schien die Sonne hell in meine Koje und als ich nach der Uhr sah, fand ich, daß es halb neun sei. Ich hatte also wirklich volle neun Stunden geschlafen, ohne mich zu rühren.


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