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Sechzehntes Kapitel.
Im atlantischen Ozean

Als ich am nächsten Morgen an Deck kam, wehte mir ein sanfter milder Westwind entgegen. Der Morgensonnenschein bestrahlte Deal und das dahinter liegende, grüne Land mit seinem vollen Glanze. Die nach Norden und Osten bestimmten Schiffe hatten schon vor Tagesanbruch die Anker gelichtet und ihre Reise fortgesetzt. Nur etwa ein Dutzend Fahrzeuge, darunter die ›Aurora‹, der dieser Wind nichts nützen konnte, war zurückgeblieben.

Richard, der unsere Kammer schon lange, ehe ich erwachte, verlassen hatte, befand sich an Deck und beobachtete die Leute beim Deckwaschen.

Er erriet augenscheinlich meine Gedanken, denn fast seine ersten Worte waren: »Wenn ein Frauenzimmer sich auf etwas versetzt, bekommt es auch gewöhnlich seinen Willen. Ich glaube, du hast dir dieses Wetter bestellt, Jeß. Nun ist es wohl entschieden, daß wir nach dem Frühstück einen Abstecher an Land machen.«

»Ja mein Schatz,« erklärte ich sehr liebenswürdig, »völlig entschieden. Ich will mir Deal ansehen.«

»Na, es wird eine Abwechslung für dich sein. Wir haben noch ein großes Stück See vor uns, also geh' nur und sage dem Steward, er solle sich mit dem Frühstück beeilen, damit wir an Land kommen.«

Ich ließ mir das nicht zweimal sagen.

»Steward,« sagte ich, »bitte, machen Sie sofort das Frühstück fertig. Der Kapitän und ich wollen an Land.«

»Sofort Frühstück!« rief der Steward und warf mir aus der kleinen Pantry, wo er damit beschäftigt war, Löffel zu putzen, einen sehr sauren Blick zu. »Ich weiß gar nicht mal, ob der Koch so früh schon Feuer in der Kombüse hat, Madam!«

»O ja, ich habe den Rauch gesehn. Beeilen Sie sich soviel als möglich.« Damit trat ich in unsere Kammer, um mich nicht in weitere Unterhandlungen einzulassen. Nach dem Eindruck, den Herr Heron, der Zimmermann und dieser Steward, John Orange, auf mich machten, schien es fast, als ob der, welcher die Mannschaft ausgesucht und geheuert hatte, darauf bedacht gewesen wäre, die mürrischsten und unangenehmsten Leute auszusuchen, die nur irgend aufgetrieben werden konnten.

Ich kleidete mich schnell an. Als ich jedoch in die Kajüte trat, bemerkte ich, daß der Steward eben erst den Tisch deckte und zwar mit absichtlicher Langsamkeit. Diese Unverschämtheit ärgerte mich so, daß ich rief: »Wenn Sie sich nicht mehr beeilen, werde ich selber den Tisch decken und wenn der Kapitän mich fragt, weshalb ich Ihre Arbeit verrichte, werde ich ihm den Grund mitteilen.«

»Warum denn?« erwiderte er, »der Koch sagt, daß er noch gar kein warmes Wasser habe.«

Da ich wußte, daß auch die Leute in einigen Minuten Frühstück bekommen mußten, sah ich sofort, daß dies eine Lüge sei. Der Steward war eben schlecht gelaunt. Da ich annahm, daß ich hier ebenso gut Herrin wäre, wie in meinem eigenen Hause, so beschloß ich, diese Angelegenheit selbst in die Hand zu nehmen und begab mich sofort in die Kombüse.

Der Koch schien die Behauptung, daß er noch kein warmes Wasser habe, als einen Zweifel an seiner Leistungsfähigkeit aufzufassen und meinte, wenn es nach ihm ginge, sollte der Steward zur Strafe für seine Lüge sich in dem kochenden Wasser waschen.

Ich ging wieder nach achtern und wurde unterwegs von der Mannschaft mit ziemlich bedenklichen Blicken gemustert. Auch Richard fragte mich überrascht, worüber ich mit dem Koch unterhandelt habe. Ich erklärte ihm die Angelegenheit und fügte hinzu, daß ich ihn nicht damit behelligen wollte und daß ich den Steward als einen Diener betrachtete, mit dem ich schon fertig werden würde.

»Du sollst auch mit ihm fertig werden und er soll deine Befehle respektieren. Erst will ich dir aber mal zeigen, wie du das anfangen mußt.«

Ich folgte ihm in die Kajüte, wo er sich rings umschaute, als ob er erstaunt wäre, die Mahlzeit noch nicht vorzufinden. Dann fragte er:

»Wo ist das Frühstück, Steward?«

»Ich bringe es gleich, Sir,« antwortete der Mann, offenbar etwas eingeschüchtert, indem er seine Anstalten beschleunigte.

»So, Sie bringen es!« schrie mein Mann. »Ei, Sie unverschämtes Faultier! Haben Sie nicht zwanzig Minuten Zeit gehabt und jetzt eben erst das Tischtuch aufgelegt? Wenn das Frühstück nicht in zehn Minuten auf dem Tisch steht« – dabei zog er seine Uhr heraus – »schreib' ich Sie wegen Ungehorsam ins Journal, schmeiße Sie aus der Kajüte raus und mache Sie zum ›Jungen‹ vorne.«

Und nun folgte eine volle Breitseite auf See üblicher Schmeichelnamen: Vagabund, Tümmler, Durchgänger und ähnliche Quarterdeckausdrücke. Der Steward, der wohl meinem Manne die Bekanntschaft mit diesen, in Seemannskreisen die höchste Verachtung ausdrückenden Beinamen gar nicht zugetraut hatte, war völlig niedergeschmettert, murmelte, es wäre des Kochs Schuld und sprang in wenigen Sätzen die Kajütentreppe hinauf.

»Sollte es sich hier um einen Kampf um die Herrschaft zwischen mir und meinen Untergebenen handeln, so werden sie bald finden, daß ich doch etwas zu zähe für ihre Zähne bin und wenn sie auch das dreifache Gebiß eines Haifisches hätten.«

Mein Mann war augenscheinlich sehr aufgeregt; er atmete heftig und ging mit schnellen Schritten in der Kajüte auf und ab.

»Was ist dies für eine Mannschaft, die ich an Bord habe?« fuhr er fort. »Wenn das in dieser Weise weiter fortgeht, haben wir Meuterei an Bord, ehe wir noch aus dem Kanal hinaus sind.«

»Ungehorsam bei einem Steward!« fuhr mein Mann fort, »dem unnützesten Subjekt an Bord eines Schiffes! einem Stubenmädchen in Hosen! – einer Kreatur, die nichts zu thun hat, als Messer und Gabeln zu putzen und aufzupassen, daß sie ohne Unfall mit dem Essen von vorne nach achtern kommt. Ich muß sagen, das ist wirklich ein netter Anfang.«

Ich war ebenso empört, wie er selber, behielt jedoch meine Gedanken für mich und da der Steward noch vor Ablauf der festgesetzten zehn Minuten das Frühstück auf den Tisch gebracht hatte, standen wir nach kurzer Zeit an Deck und warteten darauf, daß einige Matrosen, die in das eben zu Wasser gelassene Boot gesprungen waren, es längsseit bringen sollten.

Schon war ich im Begriff, die kurze Hängleiter an der Schiffsseite hinabzusteigen, als Richard ausrief: »Komm zurück, Jessie! Boot ahoi! Hakt das Boot wieder an! Herr Short, schicken Sie ein paar Leute nach achtern, das Boot aufzuhissen. Schnell jetzt! Diesen Wind müssen wir benutzen, ehe er wieder umspringt.«

Sehr überrascht verließ ich das Fallreep.

»Der Wind ist herumgegangen, so daß wir jetzt weiter können, Jessie,« erklärte mir mein Mann. »Deine Enttäuschung thut mir sehr leid, aber verlaß dich darauf, es ist besser so.«

Meine Enttäuschung war nicht so groß, wie er annahm. Wohl hätte ich mir gerne die von dem Salzhauch des Meeres umwehte, malerische Stadt angesehen, die sich hinter dem weißen, kieselbedeckten Strande erhob. Mein Eifer war aber durch den kleinen Auftritt in der Kajüte und die sich daran knüpfenden Betrachtungen erheblich herabgestimmt und da es schien, als ob mein Mann froh wäre, den geplanten Ausflug vereitelt zu sehen, tröstete auch ich mich schnell.

Der Wind mußte in dem Augenblick umgesprungen sein, wo ich im Begriff war, in das Boot zu steigen, und doch war der Wechsel nicht plötzlich genug gewesen, um der Wachsamkeit meines Mannes zu entgehen. Ich ging nach achtern, um niemand im Wege zu sein, setzte mich auf die Grating und beobachtete genau den Vorgang des Untersegelbringens.

Die westwärts bestimmten Schiffe in den Downs waren ebenso flink, wie wir; von einigen ertönte bereits das Klipp-Klapp des Spills und das Klappern der hereinkommenden Ankerkette. Sobald unser Boot aufgehißt war, begab sich unsere ganze Mannschaft nach vorne – auch das finstere Gesicht des Stewards bemerkte ich darunter – und bemannte das Ankerspill. Herr Heron stand ganz vorn auf der Back, der Zimmermann hüwte mit den übrigen Leuten und mein Mann ging auf dem Quarterdeck langsam auf und nieder.

Der Steuermann, dessen Posten beim Ankerlichten ganz vorne ist, pflegt die Leute bei dieser schweren Arbeit anzufeuern und zu ermutigen. Herr Heron stand da, ohne ein Wort zu sprechen und sah nur anscheinend teilnahmslos zu. Man hätte ihn eher für einen Passagier und zwar für einen Zwischendeckspassagier halten können, als für einen Steuermann, die verantwortlichste und beschäftigtste Person an Bord eines Schiffes.

Sobald der Anker auf war, wurden sämtliche Segel beigesetzt und nun zeigte unsere kleine Klipper-Bark erst, was sie leisten konnte. Wie ein Rennpferd über die Bahn, so jagte sie durchs Wasser und bald hatten wir sämtliche Schiffe, die mit uns vor Anker gelegen hatten, überholt und weit hinter uns gelassen.

»Deinetwegen thut es mir leid, Jeß, daß wir nicht an Land gehen konnten,« sagte Richard zu mir, als ich gerade durch ein Doppelglas die majestätischen Felsen von Dower betrachtete.

»Das ist gar nicht nötig, Schatz,« erwiderte ich. »Dies ist doch wahrlich viel schöner, als ein Spaziergang durch Deal.«

»Ich kann es dir ja jetzt sagen,« fuhr er fort, »daß nur dein Wunsch an Land zu gehen mich dazu veranlassen konnte. Ich hätte keine ruhige Minute an Land gehabt mit dem Bewußtsein, Heron hier als Befehlshaber der Bark zurückzulassen.«

»Traust du ihm denn so wenig zu?«

»Ich traue ihm überhaupt nicht,« meinte er kopfschüttelnd. »Es thut mir leid, denn er mag vielleicht ganz gut sein. Abgesehen von seiner Befähigung als Seemann, scheint mir sein Charakter zweifelhaft.«

»Wenn das allerdings nur ein Vorurteil sein sollte,« fuhr Richard fort, »kann ich es ja sofort wieder fallen lassen, sobald sein Betragen beweist, daß ich mich irre. Außerdem hatte ich noch ein anderes Bedenken; einige Matrosen sollten uns an Land rudern und dann mit dem Boot auf uns warten. Angenommen nun, wir hätten uns Deal angesehen, wären wieder an den Strand gekommen, und hätten zwar das Boot, aber keine Leute vorgefunden. Matrosen haben eine große Vorliebe fürs Desertieren. Ich sage nicht, daß es geschehen wäre, aber es hätte geschehen können. Das würde mir wieder mehr Aufenthalt verursacht und Mühe und Sorgen gemacht haben. Daran dachte ich, als ich dir am Fallreep sagte, es wäre besser, wenn wir an Bord blieben. Dennoch thut es mir leid, daß dir diese Enttäuschung bereitet werden mußte. Meine kleine Frau soll auf ihrer ersten Reise doch auch etwas Vergnügen haben.«

»Und das hat sie auch. Rede doch nicht mehr weiter von meiner Enttäuschung, Richard. Ich könnte gar nicht vergnügter sein.«

Gegen Abend sprang der Wind nach Nordost um. Das schöne frühlingsähnliche Wetter verschwand wie Wachs am Feuer. Dunkle Wolken rollten heran und der Horizont wurde ringsumher dick und undurchsichtig. Der alte Winter war wieder erwacht und als ob er ärgerlich darüber wäre, von einem Schläfchen überrascht worden zu sein, machte er sich durch einige schwere Hagelböen bemerkbar. Die Schloßen rasselten auf Deck hernieder, als ob oben in den Marsen ganze Eimer voll Rehposten ausgeschüttet würden, und der Wind wehte mit einer so schneidenden Schärfe, daß er durch Mark und Bein drang.

Glücklicherweise war die fortwährend steifer werdende Brise uns günstig; bei Eintritt der Dunkelheit wehte bereits ein halber Sturm. So rasten wir denn nun unter doppelt gerefften Marssegeln und Fock über die kurze scharfe Kanalsee dahin.

Ich konnte ziemlich rauhes Wetter vertragen, aber jetzt wurde der Aufenthalt an Deck doch etwas zu unangenehm für weibliche Widerstandsfähigkeit.

Ich ging hinunter und blieb einige Stunden in der Kajüte. Als ich endlich meiner eigenen Gesellschaft überdrüssig wurde, gedachte ich, noch einmal an Deck zu gehen, ehe die Nacht einbrach. Ich zog mich warm an und stieg die Treppe empor, kam aber nicht weiter, als bis in die Kajütskapp.

Ein Blick ringsumher genügte. Die Kälte war so schneidend, als ob mir jemand mit ein paar Zangen in die Backen kniffe. Die Bark hatte ein trübseliges Aussehen. Das ganze Deck war naß und beim Stampfen in der hohen See brachen fortwährend die dunkelgrünen Wassermassen über die Back und strömten in zischenden, weißschäumenden kleinen Gießbächen den Leespeigatten zu. Die schmalen, von der feuchten Luft grau gefärbten Marssegelstreifen schwankten hin und her unter dem hart winterlichen, schieferfarbenem Himmel, über den die Wolkenmassen dahin rollten, in Farbe und Bewegung dem aus Fabrikschornsteinen aufsteigenden Rauch ähnlich, wenn unten in den Glutöfen frisch angefeuert wird. Und über den Marssegeln wankten die kahlen Stengen und Raaen, schwarz wie Tinte mit hier und dort daran haftenden Schneespuren und vollendeten so dieses Gemälde von Frost und Sturm.

Zwei Matrosen standen auf dem Ausguck in ihrem glitzernden Oelzeug und klammerten sich fest an die Reeling. Zuweilen bückten sie sich, um den Spritzwasserergüssen den Rücken zuzuwenden. Die übrigen zur Wache gehörigen Leute standen in einer Gruppe in Lee vor der Kombüse, wo sie etwas Schutz gegen den Wind hatten: eine rauhe, verwittert aussehende Gesellschaft in den schwarzen oder gelben Südwestern, unter denen die weißen Gesichter eigentümlich blaß erschienen, und in den dicken Jacketts und Oelzeugbeinkleidern.

Die Leute schlugen die Arme über der Brust zusammen, um etwas Leben in ihre steifgefrorenen Finger zu bringen und trampelten mit ihren schweren Seestiefeln auf Deck herum. In solchen Augenblicken kann man sehen, wie das Seemannsleben in Wirklichkeit beschaffen und wieviel Wahrheit in den Romanen enthalten ist, die den Seemann als einen fortwährend mehr oder weniger rauchenden, trinkenden, fiedelnden, singenden, fröhlichen Gesellen darstellen, der thut, als ob die See ein höchst lustiger Spielplatz wäre und der nichts zu thun hätte, als sich hinzusetzen und von sanften Winden vorwärts blasen zu lassen.

Zwei Minuten in diesem Wetter waren völlig genug für mich. Ich eilte hinunter, legte meine Umhüllungen ab, nahm ein Buch und setzte mich dicht an den Kajütenofen. So lauschte ich dem Stöhnen des Schiffsrumpfes und dem langgezogenen, trauervollen Seufzen des Windes und der hochgehenden See.

Wir behielten dieses Wetter den ganzen Kanal hindurch. Von Richard sah ich daher sehr wenig. Ich verließ selten die Kajüte und er kam nur selten hinein, – höchstens zu den Mahlzeiten, die er dann mit solcher Schnelligkeit einnahm, daß ich nicht dazu kam, mich mit ihm zu unterhalten. Des Nachts umhüllte uns undurchdringliche Finsternis, die uns mit jeder Böe noch enger einschloß, so daß nichts sichtbar blieb als wenige Faden der stürmischen See, über die die Bark wild dahinstampfte.

Jedesmal, wenn ich etwas von den Sorgen des Schifferberufes höre, muß ich an jene Fahrt im Kanal zurückdenken. Selbst bei klarem Wetter braucht ein Kapitän allen Verstand, den Gott ihm gegeben hat, um sein Schiff wohlbehalten durch diese Gewässer zu führen. In solchem Wetter aber, wie wir es hatten, wird jede körperliche und geistige Fähigkeit in einem Grade angespannt, der sich nicht beschreiben läßt.

Jede Stunde, die wir vorwärts segelten, brachte uns jedoch dem offenen Ozean näher, und am dritten Morgen, nachdem wir die Downs verlassen hatten, sah ich, als ich erwachte, die Sonne scheinen und meinen Mann neben meiner Koje stehen. Er wollte mir mitteilen, daß wir den Kanal hinter uns und den ganzen Atlantischen Ozean vor uns hätten.

Der Steuermann nahm heute an unserer Morgenmahlzeit teil. Er trat eben aus seiner Kammer, wo er eine Abwaschung vorgenommen hatte, nachdem er seit 4 Uhr morgens an Deck gewesen war. In seiner Gegenwart fühlte ich mich stets etwas bedrückt. So sehr ich mich auch bemühte, dieses Gefühl schon wegen des lieben Friedens in der Kajüte zu verbannen, es gelang mir nicht. Ja, ich glaube sogar, daß meine Abneigung durch die Anstrengungen, die ich machte, um dieselbe zu verbergen, ihm nur noch deutlicher wurde.

»Wie ist das Wetter, Herr Heron?« fragte ich, »ich bin noch nicht an Deck gewesen.«

»Schön!« erwiderte er. »Eine angenehme Brise und ein klarer Himmel.«

»Wir verdienen einen klaren Himmel,« rief Richard. »Ein paar Tage dickes Wetter im Kanal genügen, um einen jungen Mann grau zu machen. Kein Wunder, daß Schiffsführer in den sogenannten besten Jahren schon alt aussehen.«

»Ja,« meinte Herr Heron in seiner kurzen Art, »die See ist voll von allerhand Mühsalen und auch Steuerleute haben ihr Teil davon zu tragen.«

»Das weiß ich so gut wie irgend einer,« antwortete Richard herzlich. »Auf See ist die Verantwortlichkeit des Steuermannes und des Schiffers ziemlich gleich groß. Es ist eine Last, welche zwei Paar Schultern zu tragen haben. Wenn die beiden Träger zusammen arbeiten und in gutem Einverständnis miteinander handeln, trägt jeder Mann eben nur die halbe Last. Wie wird Short mit den Leuten fertig, Herr Heron?«

»Soviel ich sehen kann, ganz gut, Herr,« antwortete der Steuermann.

»Ich bemerke, daß Sie und er sehr gut miteinander stehen, das freut mich,« fuhr mein Mann fort, indem er, wie mir schien, Herrn Heron scharf anblickte. Dieser hielt die Augen auf das Tischtuch, gerichtet oder schaute nach oben durch das Oberlicht, wobei das Weiße in den Augen sichtbar wurde, als ob er betete. »Waren Sie schon vor dieser Reise einmal mit Short zusammen, Herr Heron?«

»Nein,« antwortete er. »Uebrigens wüßte ich nicht, daß wir so besonders gut miteinander ständen. Obgleich Schiffszimmermann, ist er doch auch zweiter Steuermann und demgemäß behandle ich ihn.«

»Nun, das freut mich zu hören,« rief Richard. »Ich habe es gern, wenn die Steuerleute gut miteinander stehen, natürlich in der Voraussetzung, daß sie sich in Reden und Gedanken von den Leespeigatten klar halten und die Quarterdeckangelegenheiten ihrem Kapitän und sich selber überlassen. Wenn Short die Freundschaft der Leute im Volkslogis genießt und an Deck von ihnen mit der schuldigen Achtung behandelt wird, dann ist er ein tüchtiger Mann, darauf können Sie sich verlassen.«

»Ich kann Ihnen nicht sagen, wie die Leute über Short denken, Kapitän,« erwiderte der Steuermann.

»Und wie finden Sie die Mannschaft, Herr Heron?« fuhr Richard in derselben leichten und offenen Manier fort. »Mir scheinen alle ganz tüchtige Leute zu sein – bis auf James Snow vielleicht – dem der Verweis jedenfalls nichts schaden kann, den ich ihm darüber erteilte, daß er damals vor dem Tyne das Fahrzeug nicht meldete.«

Der Steuermann nahm sich etwas Zeit, ehe er antwortete, als ob er sich erst mehr die Fassung, als den Sinn seiner Antwort überlegte. Dann sagte er: »Ich glaube, Sie werden noch Mühe haben, Herr.«

»Weshalb meinen Sie das?« fragte Richard schnell, doch ohne Schärfe und Aufregung.

»Ich hörte, daß man vorn davon spricht, daß einige von den Leuten, die als Vollmatrosen angemustert sind, ihre Arbeit nicht verständen.«

»Sie hörten, – aber von wem, bitte?«

»Von Herrn Short.«

»So! Haben Sie irgend etwas Derartiges bemerkt, Herr Heron?«

»Seit ich Steuermann bin,« antwortete Herr Heron, »habe ich es mir zum Gesetz gemacht, niemals von den Reden der Mannschaft Notiz zu nehmen, bis die Sache nach achtern gebracht wird. Wenn irgend welche Nörgeleien im Gange sind, finden sie ihren Weg schnell genug nach diesem Ende des Schiffes.«

Ich weiß nicht, welches der Eindruck dieser Worte auf Richard war; mir wurde es sofort klar, daß der Steuermann ein Schurke war, der meinen Mann haßte und in jeder Hinsicht auf Seiten der Mannschaft stand.

»Gut,« entgegnete Richard, »wie Sie ganz richtig sagen, Herr Heron, haben wir Zeit genug, uns mit der Angelegenheit zu beschäftigen, wenn die Leute sie nach achtern bringen.«

Hiermit brach er davon ab und erzählte mir von all den landschaftlichen Schönheiten des Kanals, die wir nicht gesehen hätten: von dem malerischen Anblick der Insel Wight, wenn man sie bei Sonnenuntergang von See aus sieht und so weiter.

Herr Heron erhob sich und trat in die Kammer. Ich sah Richard an und wollte etwas sagen, doch er hielt den Finger an die Lippen.

»Still, Jeß,« sagte er mit leiser Stimme, »wenn der Mann auch gerade kein Esel ist, so hat er doch lange Ohren, und wenn die Natur einem Menschen diese ausgebildeten Hörorgane verleiht, unterläßt sie auch nicht, ihn so zu veranlagen, daß er davon den ausgiebigsten Gebrauch macht. Ich durchschaue ihn, und gerade der Umstand, daß er das wohl merkt, sich offenbar aber nichts daraus macht, scheint mir bedenklich. Inzwischen geht ja alles gut, Jeß, und du hast gar keinen Grund, dich zu beunruhigen.«

Der Eintritt des Stewards veranlaßte mich, die Tafel zu verlassen. Dieser Bursche, für den Höflichkeit allerdings ein unbekannter Begriff und dem es jedenfalls auch völlig unmöglich war, sich diese Eigenschaft anzueignen, hatte sich doch seit jenem Morgen in den Downs, wo mein Mann ihn zurechtgewiesen, etwas zu seinem Vorteil verändert. Trotzdem war es mir unangenehm, ihn in der Nähe zu haben, und ich konnte in seiner Gegenwart niemals ruhig bei Tische sitzen.

»Gehst du an Deck, Jessie?« fragte Richard.

Ich antwortete: »Ja,« da es sehr schönes Wetter war.

»Die Luft ist scharf, also bleibe nur in Bewegung. Ich will mich auf ein paar Stunden niederlegen.«


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