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Dreiundzwanzigstes Kapitel.
Ein neuer Schicksalsschlag

Diese Deck-Kajüte, in der wir uns hier befanden, war bedeutend kühler als die unter Deck befindliche der ›Aurora‹, dank der durch die geöffneten Fenster und Thüren hergestellten Ventilation. Der Pechgeruch war noch nicht verflogen und brachte uns wieder auf das Fieber zu sprechen. Richard meinte, obgleich das afrikanische Fieber ansteckend wäre, so hege er jetzt, nachdem alle Leichen und die dazu gehörigen Sachen über Bord geworfen seien und die Deckhäuser ordentlich ausgeräuchert wären, doch keine Befürchtungen mehr. Dann bat er mich – nach einem Blick auf seine Uhr – an Deck zu gehen und Spence am Ruder abzulösen, damit dieser auch sein Mittagbrot essen könne.

»Du wirst wohl einige Zeit auf uns warten müssen,« sagte er. Wir wollen den Vorratsraum achtern 'mal besichtigen, damit wir wissen, wieviel Proviant und Wasser wir noch an Bord haben. So lange der Himmel diese wunderbar schöne Farbe beibehält, kann sich das Wetter nicht beträchtlich ändern. Trotz alledem wünschte ich irgendwo ein Barometer zu finden. Das Wetter in diesen Breiten ist launisch wie eine Katze, ganz Sammetpfötchen in der einen Stunde und ganz Krallen in der nächsten.«

Ich begab mich an Deck. Die Mahlzeit und das darauf folgende Gespräch hatten mich außerordentlich erfrischt, gekräftigt und erquickt. Ich übernahm das Ruder wieder von Spence und teilte ihm mit, er solle sein Mittagessen in der Kajüte einnehmen. Dieselbe träge Brise wehte noch immer von achtern. Sie war so heiß wie die Sonne selber und es schien wunderbar, daß sie nicht in sich selbst vertrocknete, sondern mit solcher Beständigkeit fortfuhr zu wehen. Nicht das kleinste Wölkchen war an dem unendlichen blauen Himmelsdome sichtbar, so daß es fast unerklärlich schien, wo der Wind eigentlich herkäme.

Ich hatte ungefähr eine halbe Stunde am Ruder gestanden und war in Gedanken versunken. Da kam Spence durch den schmalen Gang an der Backbordseite der Kajüte. Er näherte sich so langsam, daß ich nicht zweifeln konnte, Richard habe ihn geschickt, um mich vom Ruder abzulösen, und daß ich mich schon darauf freute, mich nun in der Kajüte niederlegen zu können und ein Schläfchen zu machen. Da bemerkte ich einen Ausdruck in seinem Gesicht, daß mir jeder Gedanke an Schlaf verging, ehe er noch den Mund geöffnet hatte.

»Der Kapitän verlangt nach Ihnen, Madame. Sie möchten sich nicht ängstigen. Er ist gefallen, hofft aber, daß er sich nicht sehr verletzt hat.«

Mir wurde es dunkel vor den Augen und das Blut stockte mir in den Adern. Ich ließ das Rad los, und die Arme fielen mir schlaff herab, als wäre ich durchs Herz geschossen. Dieses gräßliche, ohnmachtsähnliche Gefühl dauerte aber nur einen Augenblick.

»Wo ist er?« schrie ich.

»In der Kajüte,« war die Antwort.

Ich stürzte hinein, und sowie ich eintrat, bemerkte ich meinen Mann an Deck liegend. Sein Kopf und die Schultern waren gegen das Sopha gelehnt. Hinter ihm, am achtersten Ende der Kajüte, befand sich eine kleine viereckige Luke – nicht größer wie eine Versenkungsöffnung auf der Bühne – die ich bis jetzt noch nicht bemerkt hatte und deren Deckel abgenommen war.

»Was ist dir zugestoßen, Richard?« rief ich, indem ich mich an seiner Seite auf die Kniee warf und seine Hand ergriff.

Er war sehr blaß, und der Schmerz, den er erduldet hatte oder noch erduldete, malte sich nicht nur in seinen Gesichtszügen, sondern hatte auch seine Stirne mit dicken Schweißtropfen bedeckt, die von dort über sein Gesicht herabrieselten, als ob es mit Wasser benetzt wäre.

»Ich fürchte,« sagte er, sich trotzdem zu einem Lächeln zwingend, »daß ich mein rechtes Bein irgendwie verletzt habe. Wir hatten jene Achterluke dort geöffnet, und ich hatte mich hineingesetzt, um mich hinabzulassen. Dabei glitt ich aus und fiel. Ich fühlte keinen Schmerz, bis ich versuchte, mich zu erheben, dann« – er verzog plötzlich das Gesicht und brach ab, indem er stöhnend ausrief: »Ich habe das Bein gebrochen, Jeß.«

Sofort durchzuckte mich der Gedanke, daß jetzt unser Schicksal allein von meiner Besonnenheit und Tapferkeit abhinge. Ich überwand meine Schwäche und hatte im Augenblick die ganze Kraft wieder erlangt, deren ich jetzt so sehr bedurfte.

»Laß dich dies nicht bekümmern, Jeß,« sagte mein Mann. »Verlaß dich darauf; wir werden auch so fertig werden.«

»O ja,« erwiderte ich, »mein armer Schatz; fertig werden wir schon werden. Vor allen Dingen aber wollen wir zuerst, wenn möglich, deine Schmerzen etwas erleichtern und es dir bequemer machen.« Bei diesen Worten holte ich Matratze und Kopfkissen aus der Kammer, legte diese neben ihm nieder und zog und stützte ihn, bis er darauf ausgestreckt lag. Als ich seine Beine aufhob, um sie mit dem Körper in dieselbe Richtung zu bringen, biß er die Zähne zusammen, daß seine Stirnadern wie Stricke anschwollen. Aber nicht den geringsten Laut konnte ihm der Schmerz entlocken.

»Wo ist die Verletzung, Richard?« fragte ich.

»Unterhalb des Kniees,« versetzte er.

Es blieb nichts übrig als seine Beinkleider zu durchschneiden. Ich nahm das Federmesser aus seiner Tasche und schnitt das rechte Hosenbein auf, so daß die betreffende Stelle entblößt wurde. Meine Hand zitterte auch nicht im geringsten.

Er bat mich, meinen Arm unter seinen Kopf zu legen und ihn zu unterstützen, damit er sein Bein besehen könne. Dann sagte er: »Offenbar ist es ein einfacher Bruch. Du kannst weiter nichts thun, Jeß, als Schienen und Bandagen anlegen.«

Ich nahm ein Laken aus seiner Kammer und zerriß es in Streifen; dann schnitzelte ich aus einer in der Pantry stehenden Zwiebackkiste ein paar Stücke Holz zu Schienen zurecht. So sanft ich nur irgend konnte, umwickelte ich den Bruch unter und über den Schienen mit den starken Kallikostreifen und brachte schließlich wieder das zerschnittene Beinkleid in die richtige Lage. In der Pantry hatte ich ein paar korbumflochtene Krüge bemerkt. Als ich etwas davon in ein kleines Zinngefäß goß, entdeckte ich, daß es Cognac sei. Ich gab ihm einen Schluck, der ihm bei seiner durch Hitze und Schmerzen verursachten Schwäche sehr wohl that, und wusch dann seine Stirn und seine Hände mit einer Mischung aus Wasser und Cognac.

»Fühlst du dich etwas besser, Schatz?« fragte ich.

»Ja, körperlich wohl, aber nicht geistig. Was sollen wir jetzt nur anfangen?«

»O, wir werden schon fertig werden, wie du selber ja vorhin sagtest. Das Wetter ist schön. Selbst wenn es anfangen sollte, zu wehen, haben wir doch nicht zuviel Segel bei, und wir müssen Gott bitten, daß uns irgend ein Schiff in Sicht bekommt und uns erlöst.«

Eine Handbewegung nach der Brust veranlaßte mich, ihn zu fragen, ob er auch dort Schmerzen habe.

»Nein,« antwortete er, »ich bin ganz heil und gesund, wenn nur das Bein nicht wäre. Ich schlug damit gegen die Kante einer Kiste. Sonst fiel ich ziemlich weich hinter die Kiste, auf ein paar Säcke oder etwas Aehnliches.«

»Aber wie,« fragte ich, »bist du denn wieder herausgekommen?«

»Spence zog mich heraus und ich half, so gut ich konnte, mit den Armen und dem unverletzten Bein. Das andere schleppte hinterher wie eine Trosse im Wasser. Weißt du übrigens, Jeß, die Schienen scheinen zu helfen. Der Schmerz ist nicht mehr so heftig wie zuvor.«

Ich war natürlich sehr erfreut, dies zu hören. Dieses neue Unglück war sowieso schon schlimm genug; wenn mein armer Mann nun auch noch besonders heftige Schmerzen hätte erdulden müssen, wäre es mir geradezu unerträglich geworden. Ich knieete nieder und küßte ihn und legte wiederum Umschläge auf seine heiße Stirn. Jetzt bat er mich aber, an Deck zu gehen, Umschau zu halten und zu sehen, ob Spence das Schiff auf dem Kurse hielte, und so ließ ich ihn denn allein.

Sowie ich mich dem Ruder näherte, rief Spence mir entgegen: »Hat sich der Kapitän schwer verletzt, Madame?«

»Ja, er hat sich das Bein gebrochen,« antwortete ich.

»O, mein Himmel!« schrie der arme Bursche. »Ich glaubte nicht, daß es so schlimm sei. Er stöhnte ja nicht einmal. Ich dachte, es könnte höchstens eine Verstauchung sein. Gottes Fluch scheint auf dieser Brigg zu lasten. Was sollen wir nun anfangen?« Er öffnete seine blassen Augen weit und blickte mich mit dem Ausdruck des tödlichsten Schreckens an.

»Nun, wir müssen unser Bestes thun,« versetzte ich. »Wir sind immerhin zwei, und müssen Wache um Wache gehen, und uns gegenseitig am Ruder ablösen. Welchen Kurs wir zu steuern haben, wird uns der Kapitän schon sagen. Außerdem kommen wir mit jeder Stunde näher an die Route der nach dem Süden gehenden Schiffe. Und nun, wo ich gerade daran denke, können wir ein Notsignal aufhissen, denn wir können gar nicht wissen, ob wir nicht schon bald bemerkt werden. Wo sind die Flaggen aufbewahrt?«

»In jener Kiste,« erklärte Spence und zeigte auf einen langen, schwarz gemalten Kasten, der gegenüber dem Ruder an ein paar Klampen am Kajütsschott festgezurrt war. Ich that so unbesorgt und zuversichtlich wie möglich, da ich fürchtete, daß dieses arme Wesen, dessen Verstand durch die erlittenen Leiden und Schrecken womöglich schon erschüttert sein konnte, sich jetzt ganz der Verzweiflung überlassen und so alle Kraft und allen Willen zur Arbeit verlieren würde.

In dem Kasten fand ich eine ziemlich große Nationalflagge, die ich bis zur halben Höhe mit der Union nach unten am Gaffel aufhißte. Die rote Flagge hob sich scharf von dem blauen Himmel ab und mußte unfehlbar von jedem innerhalb des Horizonts auftauchenden Schiffe gesehen werden. Ich dachte an unser Hochzeitsfest und des Vaters Schreck, als er das Notsignal hinter seinem Stuhle entdeckte. Eine Flat von Erinnerungen strömte auf mich ein, und nur mit Mühe vermochte ich meine Thränen zurückzudrängen.

Ich durfte mir jedoch Spence gegenüber keine Schwäche anmerken lassen, und so zeigte ich auf die Flagge und erklärte mit möglichst heiterer und zuversichtlicher Miene, daß dies nun der erste Schritt sei, und daß bald irgend ein Schiff auf uns zuhalten würde, um zu erfahren, was uns fehle. Zu meiner großen Genugthuung bemerkte ich, daß mein zuversichtliches Wesen seine Wirkung nicht verfehlte. Er schien sich seiner Niedergeschlagenheit zu schämen und sagte:

»Ich bin gerne bereit, jede Arbeit, die etwa Ihre Kräfte übersteigen sollte, selber zu verrichten; wenn Sie wollen, Madame, nehme ich vier Stunden am Ruder und Sie zwei. Ich glaube, ich kann wohl mit weniger Schlaf auskommen als Sie, und Sie können die Wachen einrichten, wie es Ihnen am besten paßt.«

»Nein, nein,« sagte ich. »Wir wollen uns ehrlich darin teilen. Ich bin zwar eine Frau, habe aber keine Angst vor Matrosenarbeit, und wenn es nicht meiner Kleider wegen wäre, ginge ich ebenso gerne mit nach oben, wie ich meinen Ruderturn nehme.«

Ein altes, lederbezogenes Fernrohr ruhte in einigen Klampen unmittelbar über dem Flaggenkasten unter der Achterluke der Kajüte. Ich stellte es mir zurecht und fand, daß es ein gutes Glas war. Den ganzen blauen Umkreis des Horizontes suchte ich Zoll für Zoll damit ab. Mit Hilfe des Glases war es möglich, die riesige Ferne zu durchdringen, und die Grenzlinie zwischen Himmel und Wasser wurde deutlich sichtbar. Es war nichts zu entdecken, auf dem ganzen mächtigen Gürtel auch nicht der geringste Punkt oder Schatten irgend welcher Art.

Nachdem ich die mir von Richard anempfohlene Umschau gehalten hatte, kehrte ich wieder zu ihm zurück. Es schnitt mir ins Herz, ihn so hilflos wie ein kleines Kind dort liegen zu sehen. Doch zwang ich mich zu einem heiteren Ausdruck, setzte mich neben ihn und fragte, wie er sich jetzt fühle.

»Das ist vorläufig ziemlich gleichgültig,« meinte er. »Ich fühle einen dumpfen Schmerz, der wohl mit der Zeit verschwinden wird, wenn nichts Schlimmeres auf meinen Fall gefolgt ist als ein Knochenbruch. Darüber wollen wir uns nicht vorzeitig beunruhigen. Wie sieht das Wetter aus, Jeß?«

»Noch immer sehr schön; der Wind ist nach Ost-Nordost herumgegangen.«

»Müssen die Raaen nicht gebraßt werden, oder habt ihr die Brigg abfallen lassen?«

»Nein,« erwiderte ich; »sie liegt noch ebenso an. Die Segel stehen noch voll. Du wirst dich erinnern, daß wir nicht Vierkant gebraßt haben. Die Raaen stehen weit genug nach vorne.«

»Die Veränderung der Windrichtung,« bemerkte er, »gefällt mir nicht und kann uns noch große Schwierigkeiten bereiten. Die gewöhnlichen Winde in diesen Gewässern sind eben nördliche und westliche. Sollte es etwa stetig aus dieser Richtung wehen, dann bleibt uns nur die Wahl zwischen zwei Uebeln. Entweder müssen wir abhalten und versuchen, Sierra Leone oder irgend einen Punkt der Küste zwischen dem Gambiaflusse und dem Kap Palmas zu erreichen, oder wir müssen an den Wind holen und uns in südwestlicher Richtung treiben lassen. Doch was sage ich! Das können wir ja nicht! Ich kann keine Beobachtungen machen, bin also außer stande, den Ort des Schiffes zu bestimmen, und Spence kann doch, wenn du am Ruder stehst, unmöglich ganz allein die Raaen herumholen.« Sein Gesicht überflog ein solch bitterer, aus Kummer, Sorge und Schmerz gemischter Ausdruck, daß es mich geradezu erschreckte.

»Wenn du dich in dieser Weise beunruhigen willst,« meinte ich, »wirst du wohl auch noch das Fieber bekommen. Das ganze Leben ist doch von Anfang bis zu Ende nur eine Kette von Zufälligkeiten, und sicherlich sind doch unsere Aussichten heute immer noch besser, als sie es gestern waren.«

Ich that mein möglichstes, um ihn aufzuheitern, doch ohne Erfolg; so ging ich denn wieder an Deck und teilte Spence mit, daß ich das Ruder noch auf eine Stunde nehmen wolle, damit er dann zwei oder drei Stunden dort stehen könne. Ich würde dann diese Zeit zur Ruhe benutzen, da ich seit zwei Tagen und Nächten nur wenig Schlaf gehabt hätte.

»Gehen Sie sofort zur Koje, Madame,« erklärte er. »Ich kann ganz gut, wenn Sie wollen, noch vier Stunden hier stehen.«

»Nein,« meinte ich. »Ihre Gesundheit ist für uns ebenso wichtig, wie die meinige. Gehen Sie und legen Sie sich in der Kajüte nieder. Sie können ja meinem Manne sagen, daß er Sie in einer Stunde wecken soll. Und jetzt können Sie nochmals in der Kombüse nachsehen, Spence, ob das Feuer noch ordentlich brennt. Wir müssen nachher doch auch eine Tasse Thee haben.«

Ich hatte ungefähr eine halbe Stunde am Ruder gestanden, als der Wind noch weiter nach Norden herumging, so daß die Brigg bei der augenblicklichen Stellung der Raaen nicht mehr Kurs anliegen konnte. Ich durfte das Ruder nicht verlassen, um etwa Spence zu rufen; es blieb mir also nichts übrig, als das Schiff abfallen zu lassen, um die Segel voll zu halten. Der Kurs der Brigg war jetzt nur noch wenig nördlicher als West. Es schien mir indessen nicht viel darauf anzukommen, in welcher Richtung wir steuerten, wenn wir nur überhaupt westliche Länge machten, da wir nur die eine Aussicht hatten, von irgend einem Schiffe gesichtet und unterstützt zu werden.

Die Stunde kam mir sehr lang vor, bis Spence erschien um mich abzulösen, und doch war es eben nur eine Stunde gewesen. Er sah sehr verschlafen aus, erklärte jedoch, daß sein Schläfchen ihm gut gethan habe, und daß er völlig bereit sei, einen vierstündigen Ruderturn zu nehmen, wenn ich es wünsche. Ich sprach ihm meinen besten Dank aus und meinte, ich würde sehen. Wenn ich mich durch einen erquickenden Schlaf für meine zukünftigen Pflichten gestärkt fühlte, würden wir uns nachher gleichmäßig in die Wachen teilen. Ich setzte ihm auseinander, daß der Wind geschralt habe, daß er aber die Segel voll halten solle, wenn nicht etwa mein Mann anders darüber bestimmte. In diesem Falle würden wir das Rad festmachen müssen und versuchen, die Raaen anzubrassen.

Darauf eilte ich in die Kajüte, wo mein armer Mann so ruhig auf der Matratze lag, als ob er schliefe. Seine Augen waren jedoch geöffnet, und ein froher, belebter Ausdruck kam in sein Gesicht, als ich mich näherte.

»Spence hat mir eure Einrichtung mitgeteilt,« sagte er. »Das ist sehr weise gehandelt. Bringe die Matratze und das Kopfkissen aus deiner Kammer und lege sie hier neben mich; dann begieb dich selber sofort zur Ruhe. Du brauchst Schlaf und mußt ihn haben. In Sicht ist natürlich nichts, Jeß?«

»Nein, aber ich muß dir noch mitteilen, daß der Wind schralt, und daß ich die Brigg abfallen lassen mußte, um sie voll zu halten. Sie liegt jetzt West-Nordwest an. Schadet das etwas?«

Er überlegte und antwortete dann: »Nein, es schadet nichts. Wie du ganz richtig sagtest, ist unsere Aussicht jetzt ein vorbeifahrendes Schiff. Spence erzählte, ihr hättet die Flagge halbmast gehißt.«

»Ja.«

»Mehr kannst du nicht thun,« meinte er. Du hast so schon Wunderdinge verrichtet. Lege dich nun nieder und schlafe.«

Ehe ich dies jedoch that, lief ich nach vorne, sah nach dem Kombüsenfeuer und füllte den kleinen Kessel mit Wasser. Thee befand sich in der Pantry und ich wußte, daß eine Tasse davon auch Richard späterhin sehr angenehm sein würde. Dann nahm ich meinen Hut ab, legte mich auf die Matratze, und mit meines Mannes Hand in der meinigen schlief ich fast augenblicklich ein.

Ich erwachte, als Richard mich leise am Aermel zog. Die Kajüte war dunkel.

»Ei,« rief ich, »ist es schon Nacht? Wie lange hast du mich denn schlafen lassen?«

»Nein, nein,« antwortete er, »es ist nicht Nacht. Die Sonne ist höchstens seit fünfundzwanzig Minuten untergegangen. Du hast drei und eine halbe Stunde geschlafen und zwar ganz wunderschön, dich auch nicht ein einziges Mal gerührt. Hat dir der Schlaf gut gethan?«

»O ja,« erklärte ich, indem ich mich erhob. »Ganz ausgezeichnet.«

»Es ist am besten, wenn du jetzt ans Ruder gehst,« meinte er, »damit Spence die Kajüten- und Kompaßlampen anzünden kann. Er wird wohl wissen, wo das Oel zu finden ist. Dann kannst du wiederkommen und etwas Abendbrot besorgen. Ich bin ein wenig hungrig.«

Das freute mich mehr als irgend etwas. Es konnte entschieden kein besseres Zeichen für seinen Zustand geben als den Umstand, daß er Appetit hatte. Ich setzte meinen Hut auf und begab mich an Deck. Der arme Junge stand sehr pflichtgetreu, aber mit besorgter Miene am Ruder. Sobald ich mich näherte, rief er mir entgegen: »Der Wind hat noch um zwei Striche geschralt, seit Sie von Deck sind, Madame.«

Ich guckte in den Kompaß. Das Schiff lag West zum Norden an.

»Schadet nichts,« meinte ich. »Mein Mann läßt Ihnen sagen, Sie möchten die Kajüten- und Kompaßlampen anzünden, und zugleich können Sie auch 'mal nach dem Kombüsenfeuer sehen.«

Natürlich spähte ich auch in der Dunkelheit eifrig umher, wie ich es stets that, wenn ich an Deck kam, und wie es ja bei jemand, dessen einzige Hoffnung darin besteht, ein Schiff zu entdecken, ganz natürlich war. Dunkel und öde hob sich der Horizont von den niedriger stehenden Sternen ab. Nicht der geringste Schatten war sichtbar. Nach Verlauf einer halben Stunde erschien Spence mit der Kompaßlampe. Er schob die Lampe unter die Messingkuppel und nahm mir wieder das Rad ab.

»Ich habe mir mein Abendbrot mitgebracht,« sagte er.

»Wenn ich für den Kapitän gesorgt und selber gegessen haben werde,« entgegnete ich, »werde ich kommen und mich mit Ihnen über die Wachen einigen. Inzwischen halten Sie nur scharfen Ausguck, Spence, für den Fall, daß ein Schiff in Sicht kommen sollte.«

»Darauf können Sie sich verlassen,« war die Antwort.

Als ich in die Kajüte trat, brannte die Lampe hell, und Richard las in einigen Papieren, die er einer neben ihm stehenden Kiste entnommen hatte.

»Spence hat mir diese Papiere aus der Kapitänskammer gebracht,« sagte er. »Sie enthalten alles Nähere über Ladung, Bemannung und so weiter. Die Brigg ist etwas größer, als ich geglaubt hatte, drei Tons unter zweihundert. Sie ist vollständig mit Palmenkernen angefüllt, und die Ladung allein muß wenigstens viertausend Pfund (achtzigtausend Mark) wert sein.«

»Was mich mehr interessiert als die Ladung,« sagte ich, »ist deine Gesundheit. Macht dir dein Bein noch viele Beschwerden?«

»Viele nicht, es verhindert mich nur, mich zu bewegen. Du kennst mein Temperament, Schatz. Es ist geradezu furchtbar für mich, hier an dieses Deck genagelt zu sein, als ob ich irgend ein seltener, auf einen Kork gespießter Schmetterling wäre. Ich muß mich irgendwie beschäftigen oder ich laufe Gefahr, verrückt zu werden. Sobald ich den verwünschten Proviantraum inspiciert hätte, wollte ich so wie so die Schiffspapiere 'mal durchsehen.«

»Nun,« meinte ich. »Du kannst ja weiter lesen, während ich das Abendbrot fertig mache. Und zwar kann ich das sofort thun; denn ich glaube kaum, daß dein Appetit inzwischen abgenommen hat.«

In Bezug auf Tafelgeschirr, Messer und Gabeln u. s. w. war die Kajüte der ›Bolama‹ ebenso gut ausgestattet wie die eines Passagierschiffes. Vielleicht war sie auch ein solches gewesen; nach ihren Papieren war sie über zehn Jahre alt, datierte also bis zum Jahre 1850 zurück, und zu jener Zeit wurde die Reise nach Sierra Leone und den Häfen der afrikanischen Westküste vorzugsweise auf solchen kleinen Schiffen gemacht. Ich erwähne diesen Umstand, um zu zeigen, daß doch auch einige Lichtpunkte in unserer unglücklichen Lage vorhanden waren.

Irgend ein Fremder, der auf dieses anscheinend verlassene Schiff gekommen wäre, würde jedenfalls aufs höchste überrascht gewesen sein, die Kajüte so behaglich, hell erleuchtet und mit einer gedeckten Tafel vorzufinden, auf welcher eine, für ein Schiff von der Größe der ›Bolama‹ ganz anständige Mahlzeit aufgetischt war. Da gab es Pökelfleisch, Sardinen, eingemachte Früchte, weißen Zwieback, eine Büchse mit konserviertem Hammelfleisch, kurz: Ueberfluß an kalter Küche. Den wunderbarsten Anblick würde aber jedenfalls ich selber dargeboten haben: eine junge Frau mit verwirrtem Haar, die Aermel bis zu den Ellenbogen aufgestreift und das Kleid ›aufgegeit‹, wie der Seemann sagen würde, um freier ausschreiten zu können.

Sobald ich meine Mahlzeit beendigt hatte, machte ich es meinem Manne wieder bequem, indem ich sein Gesicht wusch, sein Kopfkissen zurecht rückte und ihm ein paar Bücher aus der Kapitänskammer holte, alte Zeitschriften, Romane und dergleichen.

»Wie hast du dich mit Spence geeinigt?« fragte er, als ich Miene machte, wieder an Deck zu gehen.

»Bis jetzt noch nicht,« antwortete ich. »Der arme Bursche soll aber auch nicht mehr als den ihm zukommenden Teil der Arbeit verrichten. Was sollten wir ohne ihn wohl anfangen? Wir können Gott nicht genug dafür danken, daß er diesen Jüngling übrig gelassen hat, um uns zu helfen. Ich denke, es wird am besten sein, wenn wir je vier Stunden am Ruder stehen.«

»Vier Stunden sind zuviel für dich,« rief er kopfschüttelnd und betrachtete mich mit dem unruhigen, sehnsüchtigen Ausdruck eines Gefangenen.

»Gewiß nicht, wenn das Wetter schön bleibt,« meinte ich. »Vier Stunden Schlaf erfrischen und erquicken; nach zwei Stunden ist man dagegen immer noch müde und schläfrig.«

»Dann nimm meine Uhr,« sagte er, indem er sie aus der Westentasche zog und mir überreichte, »damit du auch weißt, wenn dein Turn abgelaufen ist. Wie willst du dich aber bemerkbar machen, wenn Spence dich ablösen soll?«

»Daran habe ich schon gedacht,« entgegnete ich. »Wie wäre es zum Beispiel, wenn ich das Ende einer Leine hätte, die durch eins der Kajütenfenster läuft und mit dem anderen Ende irgendwo an ihm festgebunden würde?«

»Das ist eine gute Idee,« rief er. »Willst du die erste Wache haben?«

»Ja.«

»Wieviel Uhr ist es jetzt?«

»Zehn Minuten nach acht.«

»Dann kommst du also um zwölf zur Koje. Es läßt sich nicht anders machen. Ach, Jessie,« rief er mit einem abermaligen plötzlichen Ausbruch von Kummer, »was würde ich darum geben, wenn ich dir dies ersparen könnte!«

»Kein Wort weiter, Richard,« erklärte ich, indem ich ihn küßte. »Wenn du den Mut sinken lassen willst, was soll ich dann anfangen? Wir wollen Gott bitten, daß wir morgen um diese Zeit von allen Sorgen befreit sein mögen.«

Ich eilte aus der Kajüte, da ich mir nicht mehr zu reden getraute und er nicht sehen sollte, daß mir die hellen Thränen aus den Augen stürzten – trotz meiner verzweifelten Anstrengung, sie zurückzudrängen.


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