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Fünftes Kapitel
Von Gastereien und Schmäusen

Von jeher waren die Menschen geneigt, in festlichen Mahlzeiten alles Maß zu überschreiten. Denn es gilt in diesen nicht die Eßlust, nicht die Lüsternheit allein; auch die Eitelkeit und Ruhmredigkeit glaubt in der Auslegung eines großen Überflusses Befriedigung zu finden.

Nüchterne und über das billige Maß hinaus frugale Nationen pflegen schwelgerische Gelage zu lieben, weil die Gegensätze gefallen und weil das Gefühl der Leere zur Überfüllung anreizt. Nationen aber, die sich gut und reichlich ernähren, sind selten zur Schwelgerei geneigt. Wo jedoch ungeheuere Reichtümer in den Händen roher, für die Genüsse des Gefühls wenig empfänglicher Menschen sich anhäufen, da pflegt die Schwelgerei auch wohl in die tägliche Lebensweise überzugehen, wie im alten Rom gegen das Ende des Freistaates, und wiederum vor dem gänzlichen Ableben des Weltreiches. Einseitige Verstandesbildung, bei unverhältnismäßig größerer Rohigkeit des sittlichen Gefühles, schützt noch lange nicht vor dem Versinken in das seelentödlichste aller sinnlichen Laster.

In diesem Stücke, wie überhaupt in sinnlichen Dingen ist die Mittelstraße, ja ich möchte sagen die Mittelmäßigkeit, sehr preiswürdig; möge sie auch immerhin in geistigen unerträglich sein.

Ein wohlhäbiges und gebildetes Volk soll daher bei Gastereien wohl die Vorstellung des Überflusses erwecken, wie das Meer oder der gestirnte Himmel die Idee der Unendlichkeit. Allein der einzelne Gast soll nur um so schneller zu dem Bewußtsein seiner Beschränktheit zurückkehren und von dem Unerreichbaren sich abwenden, um dem behaglichen Gefühle Raum zu geben, daß auch für seine Individualität in dem großen Ganzen ein Raum vorhanden sei, in welchem er sich frei, wie der Fisch in der Flut, bewegen könne.

Es sollten also die festlichen Mahlzeiten, eben wie die häuslichen, aus einer Grundlage von vier Speisen bestehen, welche für alle taugen, in großen Schüsseln aufgetragen und sämtlichen Gästen gereicht werden. Diese Speisen sind: Suppe, wo sie üblich ist, gesottenes und gebratenes Fleisch, gesottene und gebratene Fische. Alles dies, wie sich versteht, in dem einfachsten und natürlichsten Zustande, und daher, mit Ausnahme einiger harten oder überfetten Fleisch- und Fischarten, selbst einem Kranken oder Leibesschwachen darreichbar.

Alle andern zusammengesetzten oder einfachen, reizenden oder kühlenden, erweichenden oder schwerverdaulichen Speisen, ordne man jedesmal als einen für sich bestehenden Gang um jene vier Hauptschüsseln und trage Sorge, daß sie so aufgestellt werden, daß ein jeder sie sehen und davon begehren könne.

Ich glaube, den Leser zu verbinden, indem ich nachstehend ein Beispiel der Anordnungen bekannt mache, welche während meiner Dienstjahre in gräflichen und fürstlichen Häusern von mir befolgt wurden:

 

1. Suppe; an einer runden Tafel eine einzige, und diese zwar sehr kräftig, aber mit leicht verdaulichen, alle ansprechenden Zusätzen; an einer langen Tafel aber zwei verschiedene und sich entgegengesetzte; z. B. Kalbskopf- (s. Erstes Buch, zwölftes Kapitel) und Krebs-Suppe (ebendas.); oder Kraftbrühe mit Maccaroni, die ganz davon eingedrungen sind, mit beigegebenem Parmesankäse, und gegenüber Suppe von Kräutern oder auch von durchgetriebenen grünen Erbsen, Wurzeln oder Körnern.

Um die Suppe ordne man nach der Größe der Tafel und der Gesellschaft vier, acht oder zwölf Eingänge zum Imbiß an. Jene Suppennäpfe können nun allerdings, wenn sie von schöner Form sind, einer Tafel einige Zierde gewähren. Doch enthält man sich bisweilen, sie auf die Tafel zu setzen, und läßt sie vielmehr auf den Schenktisch stellen und von der Dienerschaft vorlegen. In diesem Falle wird die Stelle, welche die Suppennäpfe eingenommen hätten, durch Schaugerichte ersetzt. Sie wurden in der Perückenzeit aus läppischen Figuren von Porzellan, die man auf Gestelle verteilte, zusammengebildet. Man hatte sich damals ganz wunderbar an die Häßlichkeit gewöhnt, und solches nicht ohne Einwirkung der hochbewunderten Chinesen, deren Wunderlichkeiten England und Frankreich für das übrige Europa verarbeiteten. In neueren Zeiten kamen kunstgerechte Aufsätze zum Vorschein, als Nachbildungen antiker Statuen und Tempel; auch diese, wenn gleich gefälliger, als jene Puppen, zeugten noch immer von Geistesarmut und Magerkeit des Formengefühls. Eine widrige Verniedlichung ist den gesuchten Bronzearbeiten der Franzosen vorzüglich eigen. Alabasterne Vasen, wenn nach guten antiken Mustern treu abgebildet, mögen unter dem Modernen noch immer das Empfehlenswürdigste sein, weil man sie reichlich mit frischen Blumen besetzen und durch die natürliche Fülle die Dürftigkeit moderner Kunstart halbhin verdecken kann.

Auf einer runden Tafel nun wird man wohltun, eine einzige hinreichend große Alabastervase, mit einer Fülle schöner, meist geruchloser Blumen besteckt, in die Mitte der Nebengerichte aufzustellen. Zum Nachtisch aber verwechsle man dieses Prachtgefäß mit einem andern von wohlriechenden Blumen angefüllten. Denn während der Mahlzeit würde der Wohlgeruch mit den Dünsten der animalischen Speisen vermischt, einen Gestank hervorbringen; auch möchte der anhaltende Nervenreiz die Essenden stören und verstimmen. Beim Nachtisch aber wirkt der Blumengeruch wohltätig, regt auf und verdrängt den Nachgeruch der Speisen. Vor alters pflegte man deshalb beim Nachtische sogar duftende Zahnstocher zu reichen.

Auf einer langen Tafel aber werden zwei Vasen besser anstehen, als eine einzige. Um jede ordne man vier kleine Eingänge oder Nebenspeisen. In der Mitte aber, in gleich weiter Entfernung von jeglicher der beiden Vasen, setze man, ebenfalls von vier Nebenschüsseln umgeben, ein niedriges Schaugericht, z. B. eine Tafel von Scagliola oder eine auf antike Weise gebildete Patina aus Porzellan mit auserwählter Malerei. Zum Nachtische kann man eine solche antike Schüssel mit Büscheln von Veilchen oder von anderen wohlriechenden Blumen belegen, und, wenn man will, mag man diese dem Frauenzimmer zum Schlusse darreichen.

Ich kehre nach dieser Abschweifung auf den Imbiß zurück. Der Imbiß soll aus kleinen, meist kalten Speisen bestehen, welche die Magensäure aufregen und den schädlichen Heißhunger abstumpfen. Hierhin gehört alles Gesalzene, z. B. Zungen, Schinken, geräucherte Würste, Heringe, Sardinen, geräucherter Lachs, Kaviar, Bottargen, Oliven, eben wie allerlei salzig marinierte Fische, als Kiloströmlinge aus Norwegen, Neunaugen, Anguilotti und dergleichen. Alle diese Sächlein gebe man in feinen Scheiben, kleinen Stückchen oder, wie den Kaviar, auf sehr klein zugeschnittenen, gerösteten Semmelscheiben. Denn es ist nicht gut, davon viel zu genießen, mithin Menschenpflicht, seine Tischfreunde dazu nicht anzureizen.

Vier Platten gesalzener Sachen können abwechseln mit vier Platten frischer Sächlein, z. B. Austern; diese immer auf allen vier Platten. Ferner Strandkrebslein, ausgemacht, auf Butterscheiben, oder mit Öl, Salz, Pfeffer und Limonensaft; geräucherter Aal, der in heißem Wasser gelaugt, von der Haut befreit, gepfeffert und stückweise in Papier abgeröstet worden, mit Zitronensäure. Ferner auf dem Roste gebraten: Schwarzreuter aus Berchtesgaden oder geräucherte Renken aus dem Stahremberger See oder ähnliches, wie es die Landesart jedesmal hervorbringt. Endlich kann man auch allerlei Schnittchen zarten Fleisches aufsetzen, z. B. kalten Schweinebraten in feinen Scheiben, kleine Kotelette oder Rippenschnitte von Lamm und Kalbfleisch, in Kraftbrühe gedünstet oder im Papiereinschlag auf dem Roste gebraten. Trüffeln auf italienisch, eingemachte Schwämme, Radieschen und ähnliche vegetabilische Dinge können hie und da eingereiht werden.

Zu diesen füge man vier Platten mit kleinen Pastetchen oder mit abgebackenem Gehäcksel oder mit kleinen abgebackenen Fischen, als frischen Sardinen, Schmerlen, kleinen, in Stücke geschnittenen Forellen und dergleichen.

Setzt man aber nur vier Eingänge auf, so wähle man sie aus allen drei angeführten Arten, damit Abwechslung da sei.

Hat man Überfluß an Austern, so lasse man sie lieber, während von den Eingängen genossen wird, auf großen Schüsseln herumgeben, ohne sie aufzusetzen.

2. Ein großes, ansehnliches Stück gesottenen Rindfleisches. Ist die Tafel groß, so kann man zugleich ein Stück gebratenen Rindfleisches (Roastbeef) oder auch ein Stück geräucherten oder lufttrockenen Hamburg-Fleisches auf den Vorschneidetisch setzen, aufschneiden und herumgeben. Ist die Tafel klein, so wird man besser tun, mit gesottenem oder gebratenem Rindfleische sich zu begnügen.

Tunken, Kartoffeln und andere allgemein beliebte Beilagen des Fleisches rate ich nicht aufzusetzen, sondern herumzureichen. Die Platten, welche diesen Gang begleiten, sollen aus Gemüsen mit und ohne Beilagen, aus allerlei Gerichten von zerschnittenem Geflügel und zarterem Fleische bestehen. Überhaupt müssen die aufgetragenen Nebenspeisen so eingerichtet sein, daß sie nicht brauchen vorgelegt zu werden und daß mit einer eigenen Gabel oder mit einem Löffel jeder seinen Teil daraus hervorlangen könne.

3. Ein großer gesottener oder gebratener Fisch; je nachdem man die Mahlzeit mit gesottenem oder gebratenem Fleische begonnen hat, mag man dem Fische die entgegengesetzte Bereitung geben.

In den vier, acht oder zwölf Nebenschüsseln trägt man allerlei Gerichte aus kleineren Fischen auf; ferner leckere Würstchen, Salmy, Frikassee, einiges davon unter der Reisdecke oder auf einer Kruste von Butterteig; endlich Mehlspeisen von kräftigem Geschmack, als Makkaroni oder Kartoffeln ein mit Parmesankäse, Pollenta mit Trüffeln und dergleichen.

4. Der Braten, als Hauptschüssel. Z. B. eine Kalbskeule, ein kalekutischer Hahn oder drei Fasanen, neun Rebhühner oder Schnepfen, und was dergleichen mehr ist.

Die Nebenspeisen bestehen aus Salat, kalten Speisen unter säuerlichem Gallert, z. B. feinen Fischen, Geflügel, Schinken oder Wildschwein. Endlich aus Torten und süßen Mehlspeisen zum Übergang auf den Nachtisch.

5. Der Nachtisch; er bestehe aus leicht verdaulichen, verdünnenden und auflösenden Sachen, d. i. aus gekochten und eingemachten Früchten, Gallerten, Cremes, leckeren Milchspeisen, Gefrorenem, eingemachten Gewürzen und anderem Zuckerwerke, feinem Käse und frischen Früchten jeglicher Art.

In der Anordnung der Früchte suche man, wenn deren viele vorhanden sind, den Eindruck der Fülle hervorzubringen. Erhabene Schüsseln, welche auf antike Weise einen hohen Fuß und weiten Rand haben, belege man in der Mitte mit Ananas und Melonen, und umher mit Pfirsichen, Feigen und über den Rand hinabneigenden Trauben. Armut an Früchten aber verstecke man durch eine geschickte Verteilung derselben über verschiedene kleine Teller oder Fruchtkörbe, je nachdem man gerade eingerichtet ist.

Die Mahlzeit ist nun geordnet. Nehmen Sie Platz, gütige Leser.


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