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Drittes Buch
Vom Essen

Erstes Kapitel
Von der Erziehung zum Essen

Es ist nicht genug, die Bereitung der Speisen auf Grundsätze zurückgeführt, die Anwendung dieser Grundsätze durch Beispiele erläutert zu haben. Vielmehr wäre die gesamte Kochkunst nur eine unnütze Vorrichtung, wenn sie den Zweck nicht erfüllen würde, ein gesundes Lebensgefühl zu erhöhen und dauernd zu erhalten. Dieses jedoch kann nur durch ein verständiges Essen erreicht werden, welches zwar auf den ersten Blick eine bloße Naturgabe zu sein scheint, doch in der Tat eine größere Kunst ist und mehr Bildung voraussetzt, als man wohl denken möchte.

Man versetze sich nur einmal unter die Wilden entfernter Weltgegenden, oder an den Tisch eines Hausvaters, der seine Kinder, wie's so oft geschieht, gleich den Bestien aufwachsen läßt: um kennenzulernen, daß es dem Menschen nicht von Natur gegeben ist, reinlich, bescheiden und ruhig zu essen, wie es gesellige Mahlzeiten, ja wie es die Gesundheit des Essenden selbst erheischt.

Allein bei den Nationen, welche die sogenannte äußere Bildung noch nicht gänzlich hintangesetzt haben, sind in gar kurzer Zeit drei verschiedene Arten der Erziehung zum Essen einander nachgefolgt; allen ging die altvaterische voran, welche bei vielem Guten doch insofern fehlerhaft war, als ihre Bildungsweise nicht sowohl die natürliche Entwickelung beförderte, als vielmehr der Natur künstliche Schranken anwies.

Ein Künstler, der diese Epoche durchlebte und sie noch anschaulich im Gedächtnis hat, stellt in dem beigelegten Kupferblatte Diese, eben wie die später erwähnte Kupferplatte war im Ätzen gänzlich verunglückt, und hat deshalb auf Andringen des Künstlers unterdrückt werden müssen. ein solches altvaterisches Haus dar, in welchem die Dame das Wort führt, der Hausvater aber gleichsam als exekutive Gewalt die Gesetze und Machtsprüche seiner Gattin durch Haltung und Blick unterstützt; in welchem alle Unart der frühalten Kinder unter den Tisch sich geflüchtet hat. Die Dienerschaft ist, wie sich's versteht, noch um einige Grade verschüchterter. – In einem solchen Hause würde man auch nach der Trommel auftragen, vorschneiden und essen können, ohne die Schüsseln zu zerbrechen, sich in die Finger zu schneiden oder das Maul zu verbrennen. Allein das ist doch nicht die wahre, aus der Natur hervorgehende, in sie verwachsene Bildung. Man setze nur den Fall, daß die Dame des Hauses an der Zunge, der Herr am rechten Arm erlahme, so wird sich alsbald jene erfreuliche Ordnung auflösen; Kinder und Dienerschaft werden vielleicht noch unter den rohesten Naturzustand zurücksinken, wenn Verwandte und Nachbarn nicht etwa dem verwaisten Hause vorstehen wollen.

Doch ward durch den Einfluß des Zeitgeistes jene steife Form der Erziehung in den vorletzten Jahrzehnten allmählich verdrängt. Und da man in allen Dingen geneigt ist, von einem Äußersten zum anderen überzugehen, so beeilte man sich auch nur um so mehr, das Kindergeschlecht zu emanzipieren, als man es bis dahin zu sehr bedrückt, beschränkt und gebunden hatte. Es ist ein Zug schöner Menschlichkeit, auch den Kindern Rechte einzuräumen; nur hätte man dabei nicht vergessen sollen, ihnen ihre Pflichten nur um so mehr einzuschärfen. Denn niemand bedarf eines deutlicheren Rechtsbegriffs, als gerade der aus dem Zwang Entlassene.

Diese Pflichten der essenden Jugend finde ich nun in einem alten Buche Jugendspiegel usw. durch Christophorum Achatium Hagerium, Francomont. Misn. usw. Hamburg 1643. 12. Viertes, fünftes und sechstes Kapitel des ersten Teiles. auf folgende Weise ausgesprochen:

 

Wie ein Knabe zum Tische sich anschicken und denselben bereiten soll. »Ehe du zu Tische sitzest, so bereite und ordne vorhin alle Dinge; nämlich Wasser, Wein, Bier usw., wasche und säubere die Trinkgeschirre, lege das Tischtuch auf, desgleichen Messer, Salzfaß, Teller, Löffel, Brot, welches du, wo es verbrannt wäre und Asche, Kohlen oder etwas Unsauberes an sich hätte, fein beschneiden und auf die Teller teilen sollt.

»Mit solcher Ordnung hebe den Tisch wiederum ab, so man gegessen hat; erstlich die Teller usw., letztlich das Tischtuch, welches du in ein gewöhnlich Körblein ausschütten sollt, und, so was Gutes vorhanden, es herauslesen, damit es entweder Menschen oder Vieh zu gut komme und nicht verderbe.

»Ehe sich die Gäste zu Tisch setzen, sollt du mit gefalteten Händen fein langsam und mit klarer Stimme das benedicite sprechen, nämlich: das Aller Augen, Vater unser und Herre Gott himmlischer Vater usw., wie solches Alles in D. Lutheri Katechismo fein beschrieben steht.«

 

Wie ein Knab, wenn er zu Tische dienet, sich verhalten soll. »Erstlich sollt du aufrecht stehen, und mit zusammengefügten Füßen sorgfältiglich aufmerken, damit nichts mangele, abgehe oder gebreche, es sei an Brot, Tellern, Löffeln, Salz oder andern Stücken. Und, so du einschenkest, oder darreichst oder aufsetzest, tu' dasselbige vernünftig, bescheidentlich, langsam, damit du nichts verschüttest.

»Unterrede denen nicht, die da miteinander reden; darfst auch nicht eben mit aufgesperrtem Maule auf die Worte Achtung haben; denn es geht dir darum doch nichts ab, wenn du es schon nicht weißt. Hab' hingegen allein deiner Sachen acht, und laß dich davon nicht abwenden, vielmehr tue, was dir befohlen ist, und meide die Dinge, welche dich nichts angehen.

»Wenn du aber gefragt wirst, so antworte kurz. Bei Nacht aber putze das Licht mit guter Art, und sieh fleißig zu, daß du mit dem Gestanke der Lichtputze niemand beleidigest, auch verhüte, daß du das Licht nicht gar auslöschest. Von dem aber, welches man aufhebt oder aufbehalten soll, nasche du nichts, stecke auch nichts zu dir, wie etliche Tellerlecker zu Hofe im Brauch haben, denn dasselbige stehet übel und bringet endlich böse Frucht.

»Wenn man nu gegessen hat, und alles aufgehoben ist, soll man auch des Gebetes und der Danksagung nicht vergessen.«

 

Wie ein Knab sich verhalten soll, wenn er mit zu Tische sitzt. »So du selbst mit zu Tische sitzest, so halte dich in Sitten nach dieser Ordnung. Zuallerletzt schneide deine Nägel ab, daß sie nicht scheinen, als ob sie mit Sammet verbrämet wären, wasche die Hände und setze dich züchtig nieder. Sitze aufrecht, und sei nicht der erste, in die Schüssel zu langen. Schlürfe die Speise, etwa die Suppe, nicht hinein, wie ein Schwein; blase die Kost auch nicht, daß es allenthalben umher spritze. Schnaube nicht, wie ein Igel; trink' auch nicht zum ersten; sei mäßig und meide die Trunkenheit. Trink' und iß so viel, als dir not ist; darüber getan, gebieret Krankheit. Wenn nun jedermann in die Schüssel gegriffen hat, so greife zuletzt auch hinein.

»Deine Hände müssen nicht lange auf dem Teller liegen. Schlenkere auch nicht mit den Füßen hin und her unter dem Tische, wie ein Leinweber.

»So du trinkest, säubere die Lefzen nicht mit der Hand, sondern mit einem Tüchlein. Trinke auch nicht, weilend du die Speise noch im Munde hast. Das Angebissene tunke nicht wieder in die Schüssel. Lecke die Finger nicht ab, auch benage kein Bein, sondern schneide mit dem Messer davon, was du essen willt.

»Stöchere die Zähne nicht mit dem Messer, sondern mit dem Zahnstocher oder Federkiel; denn von dem Messer rosten die Zähne, wie das Eisen vom Wasser. Halte jedoch die eine Hand vor den Mund, wenn du solches tust. Das Brot schneide nicht vor der Brust. Iß, was zunächst vor dir liegt, und greife nicht an einen andern Ort; drehe auch die Schüssel nicht herum, daß vor dir komme, was dir gefällig ist.

»So du Fleisch willt vorlegen, oder Fisch, so tue es mit dem Messer und nicht mit den Fingern, wie heutigen Tages etliche Nationen gewohnt sind.

»Schmatze nicht wie eine Sau über dem Essen. Dieweil du issest, kratze dein Haupt nicht. Fege auch nicht an der Nase.

»Du sollst auch nicht zugleich essen und reden, denn solches ist bäuerisch.

»Oft niesen, sich schneuzen und Husten stehet nicht wohl an.

»Wenn du ein Ei issest, so schneide zuvor das Brot. Mache die Brocken nicht zu groß oder lang. Sieh darauf, daß dir nichts daneben abrinne, und iß es bald. Die Eierschalen zerbrich nicht; lege sie wieder in die Schüssel, und während du am Ei issest, trinke nicht darein.

»Mache das Tischtuch oder das Wammes nicht unsauber. Mache auch nicht um deinen Teller von Beinen, Brotrinden und dergleichen eine Schütte herum, wie die Schatzgräber.

»Wirf auch nicht die Beine unter den Tisch, damit von den Hunden kein Scharmützel entstehe, und die Beisitzende darob eine Unlust empfänden. So du gegessen hast, wasche deine Hände und das Angesicht, spüle den Mund aus, und sage Gott für seine väterliche Wohltat Lob und Dank.«

 

Gewiß sind die mitgeteilten Anforderungen an die Jugend höchst billig, und man hätte daher nur zu diesen oder zu ähnlichen zurückkehren sollen, als man vor einigen Dezennien das eiserne Joch verzerrter Sitten abwarf. Denn, obgleich es nur schaden konnte, die Jugend, wie früherhin geschehen, in eigensinnige, übereinkömmliche Formen zu zwängen, so hätte man deshalb doch keineswegs aller vernünftigen und naturgemäßen Zucht und Ordnung entsagen sollen. Wie oft wurden nicht in unsern Tagen die Eltern selbst das erste Opfer der bezeichneten Umwälzung; wie häufig sieht man nicht die Mütter zu einer höchst unwürdigen Knechtschaft unter ihre Töchter herabsinken, welche diese sicher weder besser noch glückseliger macht.

Eben mein Künstler hat im Gegensatze zu seinem ersten Bilde versucht, eine nach jüngster Art ausgelöste Haus- und Tischordnung dazustellen. Die Hausfrau, wahrscheinlich eine Schriftstellerin, durchliest, wenn ich nicht irre, einen Korrekturbogen, und vergiß allem Anschein nach über solchen idealischen Dingen die Realität des täglichen Brotes. Der Gatte hingegen scheint nur auf die schnell möglichste Befriedigung seines Heißhungers Bedacht zu nehmen. Ungekämmte, nur halbgewaschene Kinder nagen an den Knochen, stoßen die Näpfe und Schüsseln über den Haufen und besudeln sich selbst und andere.

Unsere heutige Schule – wenn man so nennen darf, was bis jetzt nur eine Richtung war – setzte sich vielleicht ein zu hohes Ideal; denn sie müht sich bis jetzt vergeblich, dasselbe zu verwirklichen. Wir enthalten uns, in einem Bilde darstellen zu wollen, was bis jetzt noch nicht gewesen ist. Sollte man aber überall in Worten ausdrücken können, was sie Hohes bestrebt, so möchte es folgendes sein:

Es wird den Kindern erlaubt werden, zu sagen, uns hungert, uns durstet; wir bedürfen dieser oder jener Speise, dieses oder jenes Trankes. Die Eltern aber reservieren sich die Bewilligung; ohne Erlaubnis darf keines der Kindlein in die Schüssel langen.

Ferner wird den Kindern aufgelegt, sich zu kämmen, zu wasch, sich ordentlich zuzuknöpfen. Dahingegen gestatten die Eltern, daß sie frei und zutraulich ins Zimmer treten, ihren Platz unaufgefordert einnehmen.

Endlich wird es den Kindern freigestellt, ob sie vor Tische beten wollen oder nicht. Reden dürfen sie während der Mahlzeit, was und so viel sie wollen; nur muß es den Eltern nicht beschwerlich fallen.

Es muß klar in die Augen fallen, daß die neue Schule darauf hinarbeitet, alle Teile zufrieden zu stellen. Auf der andern Seite muß es jedoch einleuchten, daß eben dieses Bestreben in der Anwendung viele Hindernisse antrifft. Es kann z. B. dem Kinde einfallen, von einer Schüssel zu begehren, welche der Vater sich vorbehalten hat, die er mithin nicht ohne Mißbehagen weder abschlagen, noch bewilligen wird.

Sollte man nun auf gedachter Richtung beharren und nicht vielmehr auf das Frühergewohnte zurückkommen wollen, was zu befürchten wäre, weil der Mensch aus natürlicher Trägheit das Schwierige aufzugeben geneigt ist, so würde alles darauf ankommen, allen Teilen neben ihren Rechten auch ihre Pflichten recht begreiflich zu machen. Dann würde es auch zur Sache tun, ihnen ein gewisses Gefühl der Billigkeit einzuflößen, was sie selbst unbewußt darauf hinleiten könnte, solche Dinge nicht zu begehren, welche dem Gewährenden ein zu großes Opfer kosten. Die Eltern müssen freilich den Kindern, die immer einen guten Appetit zu haben pflegen, eine gesunde und reichliche Kost nicht vorenthalten, weder aus einem allgemeinen Geize, noch weil sie etwa selbst ihre Lüsternheit auf das Begehrte gerichtet hatten. Dahingegen müssen die Kinder frühzeitig sich daran gewöhnen, daß ältere Personen etwas vor ihnen voraus haben.

Was aber den Anstand in solchen Handlungen betrifft, die zugleich mit dem Essen vorzugehen pflegen, so muß man suchen, verständige Kinder davon zu überzeugen, daß eine wohlanständige Haltung des Leibes, Reinlichkeit, ruhiges Essen und langsames Kauen sie selbst ehrt und auszeichnet; daß ferner bei einem geräuschvollen, zwecklosen Plaudern nichts herauskommt; daß Schwatzen Manier ist oder bewußtlose Gewöhnung an eine bestimmte Leibesbewegung, indem der Mensch im Naturstande lieber schweigt als redet, und im gebildeten nur gerade soviel spricht, als nötig ist. Mit unverständigen Kindern ist überhaupt nicht viel anzufangen, man muß sie durch sinnliche Strafen zu bessern suchen.

Vieles kommt darauf an, daß man die Kinder frühzeitig in den Gebrauch der Speisewerkzeuge, der Gabel, des Messers, der Löffel unterweise. Auch hierin gibt es verschiedene Manieren. Die Engländer z. B. legen das Messer zur Rechten und die Gabel zur Linken, und führen die Bissen, die sie mit der Rechten geschnitten haben, mit der Linken zu Munde. Diese Methode vereinfacht die Verrichtung, weshalb sie den Völkern des Kontinents zu empfehlen ist, welche meist das Messer aus der Rechten legen, wenn sie einen Bissen geschnitten haben, um damit die Gabel zu erfassen und mit dieser endlich den Bissen zu Munde zu führen. In Bayern pflegt man den Löffel, nachdem die Suppe gegessen worden, säuberlich abzulecken und neben sich hinzulegen, weil man besorgt, die Tunke der nachfolgenden Speisen einzubüßen. Aus demselben Grunde legen die geldreicheren Holländer sechs bis acht silberne Löffel neben jegliches Gedecke. Die Speisen sollten freilich nie in der Tunke schwimmen, wie in der oberdeutschen Volksküche meist der Fall ist; eine Tunke, die hinreichend gebunden ist, legt sich den einzelnen Bissen bequem an; was etwa übrigbliebe, läßt sich mit Brotschnittchen aufnehmen.

Wie leicht wäre es nicht, die aufblühende Jugend zu jener vereinfachten englischen Methode anzuleiten und sie des Ableckens der Löffel, des Schwatzens, des Schmatzens und ähnlicher Manieren zu entwöhnen.


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