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Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Schicksal der Feinde Jesu.

Nach unserer Zeitannahme erfolgte Jesu Tod im Jahre 33 u. Z. Jedenfalls kann er nicht vor dem Jahre 29 geschehen sein, weil Johannes und Jesus im Jahre 28 zu predigen begonnen hatten (Luk. III, 1); auch nicht nach dem Jahre 35, weil im Jahre 36 – vor Ostern, wie es scheint – sowohl Pilatus wie Kaiphas ihre Ämter verloren. Der Tod Jesu scheint übrigens mit diesen beiden Amtsentsetzungen nicht in Beziehung gestanden zu haben. Wahrscheinlich dachte Pilatus in seiner Zurückgezogenheit nicht an diesen Vorfall, der der spätesten Nachwelt seinen traurigen Ruf überliefern sollte. Kaiphas erhielt seinen Schwager Jonathan zum Nachfolger, den Sohn desselben Hanans, der im Prozeß Jesu die Hauptrolle gespielt hat. Die sadducäische Familie Hanans behielt noch lange das Pontifikat und, mächtiger als früher, ließ sie nicht davon ab, die heftige Fehde, die sie gegen den Stifter begonnen hatte, gegen seine Jünger und seine Familie weiter zu führen. Das Christentum, das ihr den Schlußakt seiner Gründung verdankt, verdankt ihr auch seine ersten Märtyrer. Hanan galt für einen der glücklichsten Männer seiner Zeit. Der eigentliche Schuldtragende an Jesu Tod endete sein Leben auf der Höhe der Ehre und des Ansehens, ohne je einen Augenblick im Zweifel gewesen zu sein, daß er seinem Volke einen großen Dienst erwiesen habe. Seine Söhne herrschten im Tempel weiter, kaum von den Landpflegern beschränkt und oft deren Zustimmung überhaupt ganz außer acht lassend, galt es, ihre gewaltthätigen und hochmütigen Absichten auszuführen. Auch Antipater und Herodias verschwanden bald vom politischen Schauplatz. Als nämlich Herodes Agrippa von Caligula zum König ernannt wurde, wollte die neidische Herodias auch Königin werden. Von dieser ehrgeizigen Frau stets gestachelt, die ihn als Feigling behandelte, weil er zugab, daß jemand in seiner Familie höher stünde als er, rüttelte sich Antipater aus seiner gewöhnlichen Trägheit auf und zog nach Rom, um denselben Rang zu erbitten, den sein Neffe erst erhalten hatte (im Jahre 39 u.Z.) Doch die Sache nahm eine böse Wendung. Verdächtigt durch Herodes Agrippa, wurde Antipater abgesetzt und verbrachte dann den Rest seiner Tage in der Verbannung zu Lyon und in Spanien. Herodias folgte ihm dahin. Wenigstens noch ein Jahrhundert mußte vergehen, ehe der Name ihres geringen Unterthans, der zum Gott geworden, in diese fernen Länder Eingang fand, um über ihren Gräbern an die Ermordung Johannes des Täufers zu erinnern.

Betreffs des Todes des unglücklichen Judas von Kerioth waren die fürchterlichsten Legenden im Schwange. Es wurde behauptet, er hätte sich für den Lohn seines Verrates in der Nähe Jerusalems einen Acker gekauft. Südlich vom Berge Zion befand sich eine Stätte, die Hakeldama (Blutacker) genannt wurde; es wurde angenommen, dies sei der von dem Verräter angekaufte Besitz gewesen. (Apostelg. I, 18, 19.) Einer Meldung zufolge hätte er sich selbst getötet. (Matth. XXVII, 5.) Nach der Apostelgeschichte wäre er auf seinem Acker gefallen, wodurch sein Eingeweide heraustrat. Wieder andere teilten mit, er sei an Wassersucht gestorben, die von so widerlichen Umständen begleitet war, daß man sie als Strafe des Himmels betrachtet hat. Die Absicht, in Judas die Erfüllung der Drohung zu zeigen, die der Psalmist (69 und 109) gegen treulose Freunde äußerte, mag zu diesen Legenden Anlaß gegeben haben. Vielleicht lebte Judas still, zurückgezogen, angenehm auf seinem Hakeldama, indes seine früheren Freunde die Welt eroberten und die Kunde seiner Schandthat verbreiteten. Vielleicht auch, daß der schreckliche Haß, der auf ihm lastete, zu Gewalttaten führte, die man als Zeichen Gottes betrachtete.

Die Zeit der großen christlichen Rache war noch in weiter Ferne. Die neue Sekte hatte mit der Katastrophe, die das Judentum bald heimsuchen sollte, nichts zu thun. Viel später erkannte erst die Synagoge, was die Anwendung intoleranter Gesetze für Folgen haben könne. Rom ahnte gewiß noch nicht, daß der Zertrümmerer seiner Macht schon geboren worden war. Fast drei Jahrhunderte schritt es dahin, ohne zu erkennen, daß neben ihm Grundsätze erstanden, die bestimmt waren, die Welt völlig umzugestalten. Theokratisch und demokratisch zugleich, war der Gedanke, den Jesus in die Welt setzte, vereint mit dem Einfall der Germanen, die Hauptursache der Auflösung des Cäsarenwerkes. Einerseits wurde das Recht aller Menschen, am Gottesreich teilzunehmen, verkündet; andererseits wieder war die Religion fortan prinzipiell vom Staate getrennt. Die Rechte des Gewissens, dem Staatsgesetz entzogen, begründete endlich eine neue Macht, die »geistliche Macht«. Mehr als einmal hat diese Macht ihren Ursprung verleugnet. Jahrhundertelang waren die Bischöfe Fürsten, die Päpste Könige. Die vermeintliche Herrschaft über die Seelen hat sich häufig als eine abscheuliche Tyrannei erwiesen, die zu ihrer Erhaltung Folter und Scheiterhaufen angewendet hat. Aber der Tag wird kommen, wo die Trennung Früchte tragen wird, wo das Gebiet des Geistes aufhören wird, sich eine »Macht« zu heißen, um fortan eine »Freiheit« sich zu nennen. Aus dem Bewußtsein eines Mannes aus dem Volke hervorgegangen, aufgekeimt vor dem Volke, bewundert vor allem von dem Volke, zeigt das Christentum die unverwischbare Prägung eines Originalcharakters. Das Christentum war der erste Triumph der Revolution, der Sieg des Volksgefühls, der Beginn der Herrschaft derer, die einfältigen Herzens sind, die Weihe des Schönen, nach dem Begriffe des Volkes. Jesus schlug daher in die aristokratischen Gesellschaften des Altertums eine Bresche, durch die alles eindringen konnte.

Die Civilgewalt sollte thatsächlich die Verantwortung des Todes Jesu schwer fühlen, obgleich sie unschuldig daran war, denn sie unterzeichnete nur das Urteil und auch das mit Widerwillen. Indem der Staat den Vorgang auf Golgatha billigte, führte er gegen sich selbst einen gefährlichen Streich. Eine Legende höchst unehrerbietiger Art bildete sich, eine Legende, in der die gesetzlichen Behörden eine arge Rolle spielen, eine Legende, in der der Angeklagte im Rechte ist und Richter und Polizei gegen die Wahrheit sich verbinden. Besonders aufrührerisch zeigt die Geschichte des Leidens, durch zahlreiche Darstellungen verbreitet, die römischen Adler, wie sie ein ungerechtes Urteil bestätigen, Söldner, die es vollziehen, einen Landpfleger, der es anordnet. Welcher Schlag für die bestehende Gewalt! Sie konnte sich auch nie davon erholen. Wie wäre es möglich gewesen, dem armen Volke gegenüber als unfehlbar zu scheinen, wenn man den großen Fehler von Gethsemane auf dem Gewissen hat!


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