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Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Anschläge der Feinde Jesu.

Jesus verbrachte den Herbst und einen Teil des Winters in Jerusalem. Diese Jahreszeit ist hier ziemlich kalt. Die Säulenhalle Salomos mit ihren gedeckten Gängen, war der Ort, wo er gewöhnlich herumwandelte. (Joh. X, 23.) Diese Halle bestand aus zwei Galerien, die durch drei Säulenreihen und einer geschnitzten Decke aus Holz gebildet wurden. Sie beherrschte das Thal Kedron, das damals sicherlich weniger mit Schutt bedeckt war, als heute. Von der Höhe der Säulenhalle aus konnte das Auge nicht die Tiefe der Schlucht ergründen, und es scheint, daß zufolge der geneigten Böschung senkrecht unter der Mauer ein Abgrund sich öffnete. (Jos. B. J. V, V, 2. – Vergl. Ant. XV, XI, 5; XX, IX, 7.) Die andere Seite des Thales hatte bereits ihren Schmuck prächtiger Gräber. Einige der Denkmäler, die man heute dort sieht, wurden vielleicht zu Ehren der Propheten errichtet, auf die Jesus hinzeigte, wenn er, unter der Säulenhalle sitzend, seine Blitze schleuderte gegen die offiziellen Klassen, die hinter diesen riesigen Steinmassen ihre Heuchelei und Eitelkeit verbargen. (Matth. XXIII, 29; Luk. XI, 47.)

Gegen Ende Dezember feierte er in Jerusalem das Fest, das Judas Makkabäus eingesetzt hatte, zur Erinnerung an die Reinigung des Tempels nach dessen Entweihung durch Antiochus Epiphanes. (Joh. X, 22. – Vergl. 1. Makk. IV, 52; II, X, 6.) Man nannte es auch das »Lichterfest«, weil während der acht Fasttage brennende Lichter in den Häusern gehalten wurden. (Joseph, Ant. XII, VII, 7.) Bald darauf machte Jesus eine Reise nach Peräa und an den Ufern des Jordans, das heißt, nach denselben Gegenden, die er einige Jahre früher besucht, als er der Schule des Johannes folgte und auch selbst die Taufe erteilt hatte. Joh. X, 40; vergl. Matth. XIX, 1; Mark. X, 1. Die Synoptiker kannten diese Reise. Sie scheinen jedoch anzunehmen, Jesus hätte sie unternommen, als er von Galiläa nach Jerusalem über Peräa kam. Hier, besonders in Jericho, scheint er einigen Trost gefunden zu habe. Diese Stadt hatte, sei es als besonders wichtige Wegstation, sei es wegen ihrer Gewürzgärten und reichen Ackerbaues, einen recht bedeutenden Zollposten. Der Haupteinnehmer Zacharias wollte Jesus sehen. Von kleinem Wuchs, stieg er auf eine Sykomore, nahe der Stelle, wo sein Zug vorüberkommen mußte. Jesus war gerührt von dieser Zuneigung dieser schon bedeutenderen Persönlichkeit. Er wollte bei ihm einkehren, auf die Gefahr hin, Ärgernis zu erregen. Es wurde tatsächlich auch sehr gemurrt, als man sah, daß er das Haus eines Sünders mit seinem Besuche beehrte. Scheidend erklärte Jesus, sein Wirt sei ein guter Sohn Abrahams; und zum noch größeren Ärger der Orthodoxen wurde Zachäus ein Heiliger: er gab, wie man sagt, die Hälfte seines Vermögens den Armen und machte doppelt gut das Unrecht, das er begangen haben mochte. Übrigens war das hier nicht die einzige Freude Jesu. Als er die Stadt verließ erfreute ihn der Bettler Bartimäus nicht wenig, indem er stets ausrief: »Sohn Davids!« obgleich man ihn schweigen hieß. Der Kreis galiläischer Wunder schien sich für eine Weile auch auf diese Gegend auszudehnen, die mit der Nordprovinz so viel Ähnlichkeit aufwies. Die köstliche Oase von Jericho, damals wohl bewässert, mußte einer der schönsten Orte Syriens sein. Josephus spricht von ihr mit derselben Bewunderung wie von Galiläa, und wie diese nennt er sie ein göttliches Land. ( B. J. IV, VIII, 3. Vergl. I, VI, 5 und Antig. XV, IV, 2.)

Nachdem Jesus diese einer Pilgerfahrt gleichen Reise nach den Orten seines frühesten prophetischen Wirkens vollendet hatte, kam er nach seinem geliebten Bethanien zurück, wo ein eigentümliches Ereignis stattfand, das auf das Ende seines Lebens von entscheidenden Einfluß gewesen sein mochte. (Joh. XI, 1.) Verstimmt von der übeln Aufnahme, die das Gottesreich in der Hauptstadt gefunden hatte, forderten seine Freunde ein großes Wunder von ihm, das auf die Ungläubigkeit der Jerusalemiten von starker Wirkung sein sollte. Die Auferstehung eines stadtbekannten Mannes schien das Überzeugendste zu sein. Es sei nicht außer acht gelassen, daß die Hauptbedingung echter Kritik darin besteht, die Verschiedenheit der Zeit zu erfassen und sich der instinkthaften Abneigung zu entledigen, welche die Frucht einer rein vernünftigen Erziehung ist. Jesus war in dieser unreinen und bedrückenden Stadt Jerusalem nicht mehr er selbst. Durch die Schuld der Menschen, nicht durch seine eigene, hatte sich die ursprüngliche Klarheit seines Bewußtseins getrübt. Verzweifelnd, bis aufs äußerste getrieben, gehörte Jesu nicht mehr sich selbst an. Ihm drängte sich seine Mission gebieterisch auf und er gehorchte dem Zwange. Wie das bei großen, göttlichen Laufbahnen vorzukommen pflegt, vollbrachte er eher Wunder, die allgemein von ihm verlangt wurden, als daß er sie aus freien Willen gethan hätte. Bei der Länge der Zeit, und einem einzigen Text gegenüber, der deutliche Spuren nachträglicher Zusätze aufweist, ist es unmöglich, zu entscheiden, ob in diesem Falle alles Erdichtung sei, oder ob denn wirklich ein Vorfall in Bethanien dem Gerücht als Grundlage dient. Es muß jedoch anerkannt werden, daß diese Erzählung des Johannes wesentlich verschiedener Art ist, von den Wunderberichten, dem Ausfluß der Volksphantasie, von denen die Synoptiker voll sind. Fügen wir noch dazu, daß Johannes der einzige Evangelist ist, der genaue Kenntnis der Beziehungen Jesu zur Familie in Bethanien hatte, und daß es unbegreiflich wäre, wie eine Volksschöpfung in dem Rahmen von so persönlichen Erinnerungen hätte Platz finden können. Wahrscheinlich war also das erwähnte Wunder keines der ganz legendären, für die niemand verantwortlich ist. Kurz, ich glaube, daß in Bethanien etwas geschehen sei, was als eine Auferstehung gelten konnte.

Das Gerücht sprach Jesu bereits zwei oder drei ähnliche Thaten zu. (Matth. IX, 18; Mark. V, 22; Luk. VII, 11.) Die Familie in Bethanien konnte, fast ohne es recht zu wissen, zu der wichtigen Handlung, die gewünscht wurde, veranlaßt werden. Jesus wurde hier fast göttlich verehrt. Es scheint, daß Lazarus krank war und daß Jesus zufolge einer besonderen Mitteilung der betrübten Schwestern Peräa verließ. (Joh. XI, 3.) Die Freude ob seiner Ankunft konnte Lazarus neu beleben. Es ist aber auch möglich, daß diese leidenschaftlichen Leute, im Streben, den Leugnern der göttlichen Mission ihres Freundes den Mund zu schließen, die Grenzen überschritten hatten. Vielleicht ließ sich Lazarus, noch blaß von seiner Krankheit, einem Toten gleich in Leichentücher hüllen und in sein Familiengrab legen. Diese Gräber waren große, in den Fels gehauene Kammern, in die man durch eine viereckige Öffnung hinabkam, die mit einem riesigen Steinblock verschlossen wurde. Martha und Maria eilten Jesu entgegen und führten ihn zum Grabe, noch bevor er Bethanien betreten hatte. Die schmerzliche Erregung, die Jesus am Grabe seines totgeglaubten Freundes empfand (Joh. XI, 35), mochte von den Anwesenden für das Zittern und Schauern gehalten werden (Joh. XI, 33, 38), das die Wunder zu begleiten pflegte. Nach dem Volksglauben beruhte nämlich die göttliche Kraft im Menschen gleichsam auf ein epileptisches und konvulsivisches Prinzip. Jesus – immer unsere Annahme vorausgesetzt – wünschte den, welchen er geliebt hatte, noch einmal zu sehen, und als der Leichenstein fortgerollt wurde, trat dann Lazarus hervor in seinen Leichentüchern, das Haupt in ein Schweißtuch gehüllt. Diese Erscheinung mußte natürlich allgemein als Auferstehung gelten. Der Glaube kennt kein anderes Gesetz, als das Interesse für das, was ihm Wahrheit ist. Gilt ihm der Zweck, den er verfolgt, heilig, so findet er nichts Arges daran für seine Behauptung auch schlechte Mittel zu gebrauchen, wenn die guten nicht ausreichen. Ist dieser oder jener Beweis nicht stichhaltig, so sind es doch viele andere! ... Ist dieses oder jenes Wunder nicht echt, so sind es doch viele andere schon gewesen! ... Fest überzeugt, daß Jesus ein Wunderthäter sei, konnten Lazarus und seine Schwestern eines seiner Wunder vollführen helfen, wie so viele Fromme, die von der Wahrheit ihrer Religion überzeugt, die Zweifel der Menschen durch Mittel zu besiegen versucht hatten, deren Schwäche ihnen bekannt war. Ihr Geisteszustand glich jenen der Stigmatisterten, Verzückten, Besessenen, die durch den Einfluß der Welt in der sie leben und durch ihren eigenen Glauben an die erdichteten Thatsachen fortgerissen werden. Jesus war ebensowenig, wie später der heilige Bernhard und der heilige Franz von Assisi, imstande, die Gier der Menge und auch seiner Jünger nach dem Wundervollen zu mäßigen. Übrigens sollte ihm schon in etlichen Tagen der Tod seine göttliche Freiheit wiedergeben und ihn der verhängnisvollen Notwendigkeit entheben, eine Rolle zu spielen, die mit jedem Tage anspruchsvoller und schwieriger wurde.

Alles scheint dafür zu sprechen, daß das Wunder von Bethanien wesentlich dazu beitrug, Jesu Tod zu beschleunigen. (Joh. XI, 46; XII, 2, 9.) Die Personen, die dessen Zeugen waren, zerstreuten sich in die Stadt und sprachen viel davon. Die Jünger wieder erzählten die Sache, vom Standpunkt ihrer Argumentation aus, recht ausführlich. Die anderen Wunder Jesu waren flüchtige Ereignisse, auf gutem Glauben weiter erzählt und im Munde des Volkes übertrieben, und man kam nicht mehr darauf zurück, nachdem sie geschehen waren. Doch dieses war ein wahrhaftiges Ereignis, das öffentlich bekannt wurde und mit welchem man die Pharisäer zum Schweigen bringen wollte. (Joh. XII, 9, 10, 17, 18.) Alle Feinde Jesu waren über das verursachte Aufsehen erbittert. Man erzählt, sie versuchten Lazarus zu töten. (Joh. XII, 10.) Sicher ist jedoch, daß der Hohepriester nun eine Ratsversammlung hielt und hier die Frage kurz und klar aufgeworfen wurde: »Können Jesus und das Judentum zusammen leben?« (Joh. XI, 47.) Diese Frage barg schon die Antwort in sich und ohne, wie der Evangelist will, Prophet sein zu wollen, konnte der Hohepriester den blutigen Grundsatz aussprechen: »Es ist besser, daß dieser Mensch für das Volk sterbe, denn daß das ganze Volk verderbe.«

Der Hohepriester dieses Jahres – wie der Ausdruck des vierten Evangeliums lautet, der sehr gut den Zustand der Erniedrigung kennzeichnet, in dem sich die Würde des Hohepriestertums befand – war Joseph Kaiphas, von Valerius Gratus ernannt und den Römern sehr ergeben. Seitdem Jerusalem von den Prokuratoren abhängig war, war dies Hohepriestertum zu einem widerruflichen Amt geworden und die Absetzungen folgten einander fast mit jedem Jahre. (Joseph. Ant. XV, III, 1; XVIII, II, 2; V, 3; XX, IX, 1, 4.) Kaiphas jedoch hielt sich länger als die andern. Er erhielt sein Amt im Jahre 25 und verlor es erst im Jahre 36. Von seinem Charakter ist uns nichts bekannt geworden. Manches läßt darauf schließen, daß seine Macht nur dem Namen nach bestand. Wir sehen auch neben ihm und über ihm einen Mann, der in dem entscheidenden Momente, der uns jetzt beschäftigt, eine vorwiegende Macht ausgeübt zu haben scheint.

Dieser Mann war der Schwiegervater des Kaiphas, Hanan oder Annas, Der Anaeus bei Josephus. Ebenso wurde der hebräische Namen Johanan im Griechischen zu Joannes oder Joannas. Sohn Seths, ein alter abgesetzter Hohepriester, der bei häufigem Wechsel des Pontifikats die ganze Autorität behielt. Hanan hatte das Hohepriesteramt im Jahre 7 u. Z. von dem Legaten Quirinus erhalten und verlor es im Jahre 14, bei dem Regierungsantritt des Tiberius; doch blieb er im hohen Ansehen. Man fuhr fort ihn Hohepriester zu betiteln, obgleich er außer Amt war und fragte ihn in allen wichtigen Angelegenheiten um Rat. (Joh. XVIII, 15–23; Apostelg. IV, 6.) Durch fünfzig Jahre blieb die Hohepriesterwürde fast ohne Unterbrechung in seiner Familie; fünf seiner Söhne bekleideten sie nacheinander, ohne Kaiphas, seinen Schwiegersohn, zuzuzählen. (Joseph. Ant. XX, IX, 1.) Das war es, was »Priesterfamilie« genannt wurde, als ob das Priesteramt erblich geworden wäre. Auch fast alle hohen Tempelämter waren dieser Familie zugefallen. Wohl wechselte eine andere Familie mit der des Hanans im Pontifikat ab, und zwar die des Boëthus; aber die Boëthusen, deren Glücksquelle eben keinem sehr ehrenwerten Umstand entsprungen ist, wurden von der frommen Bourgeoisie viel geringer geachtet. Hanan war daher in Wirklichkeit der Chef der Priesterpartei. Kaiphas machte alles nur durch ihn; man hatte sich gewöhnt ihre Namen zu verbinden, ja sogar den des Hanan vorauszusetzen. Es ist demnach begreiflich, daß bei einem jährlichen, von den Launen des Prokurators abhängigen Wechsel des Pontifikats, ein alter Hohepriester, der das Geheimnis der Tradition bewahrt, der viele Nachfolger gesehen und genug Ansehen bewahrt hatte, um das Amt auf Personen übertragen zu lassen, die ihm in der Familie untergeordnet waren, eine sehr wichtige Persönlichkeit sein mußte. Wie die ganze Tempelaristokratie war auch er ein Sadducäer, nach Josephus »eine Sekte, die in ihren Urteilen besonders strenge« war. Auch alle seine Söhne waren eifrige Verfolger. Einer von ihnen, Hanan, wie sein Vater geheißen, ließ Jakobus, den Bruder des Herrn steinigen, unter Umständen, die mit Jesu Tod nicht ohne Ähnlichkeit sind. Der Geist dieser Familie war hochmütig, verwegen, grausam; sie hatte jene besondere Art verachtender und tückischer Bosheit an sich, welche die jüdische Politik kennzeichnet. Auch muß auf Hanan – oder, wenn man will, auf die von ihm vertretene Partei – die Verantwortung für alle nachfolgenden Geschehnisse haften; er war es, der Jesum tötete. Hanan war der Hauptdarsteller dieses schrecklichen Schauspiels, und viel mehr als Kaiphas, viel mehr als Pilatus sollte er die Last der Flüche der Menschheit tragen.

Der Mund Kaiphas ist es, in den der Evangelist das Entscheidungswort für den Tod Jesu legte. (Joh. XI, 49, 50.) Man wähnte, der Hohepriester besäße eine gewisse prophetische Gabe; das Wort wurde daher für die christliche Gemeinde ein tiefsinniges Orakel. Aber ein solches Wort, mag es wer immer ausgesprochen haben, bot die Ansicht der ganzen Priesterpartei. Diese war allen Volksaufständen sehr abgeneigt. Sie suchte die religiösen Enthusiasten zu unterdrücken, mit Recht voraussehend, daß deren exaltiertes Predigen den völligen Ruin des Volkes herbeiführen würde. Ob auch die von Jesus hervorgerufene Bewegung nichts Zeitliches an sich hatte, befürchteten die Priester doch, als letzte Konsequenz dieser Bewegung eine Verstärkung des römischen Joches, und die Zerstörung des Tempels, die Quelle ihrer Reichtümer und Ehren. (Joh. XVIII, 14.) Gewiß, die Ursachen, die siebenunddreißig Jahre später die Zerstörung Jerusalems herbeibringen sollten, lagen anderwärts als im werdenden Christentum. Sie waren in Jerusalem selbst und nicht in Galiläa. Allein es läßt sich nicht behaupten, daß die von den Priestern bei dieser Gelegenheit angeführten Gründe, so unwahrscheinlich waren, daß man in ihnen nur ein Übelwollen erblicken müßte. Im allgemeinen Sinne führte Jesus wirklich den Untergang des jüdischen Volkes herbei, wenn ihm sein Werk gelänge. Hanan und Kaiphas konnten daher, von den im ganzen Altertum geltenden Grundsätzen der Politik ausgehend, mit Recht sagen: »Es ist besser, daß ein Mensch sterbe für das Volk, als daß das ganze Volk verderbe.« Das scheint, von unserem Standpunkt aus, ein verwerflicher Grundsatz. Aber er war der Grundsatz aller konservativen Parteien, seit es eine menschliche Gesellschaft giebt. Die »Partei der Ordnung« – ich nehme hier diesen Ausdruck in seiner beschränkten, kleinlichen Bedeutung – war immer dieselbe. Im Glauben, die Regierungskunst bestehe darin, Volksbewegungen zu verhindern, wähnt sie patriotisch zu handeln, wenn sie durch einen Justizmord dem tumultösen Blutvergießen zuvorkommt. Wenig um die Zukunft besorgt, denkt sie nicht daran, daß sie, indem sie jedem Streben den Krieg erklärt, in die Gefahr gerät, den Gedanken zu verderben, dem bestimmt ist eines Tages zu siegen. Der Tod Jesu war eine der zahlreichen Anwendungen dieser Politik. Die von ihm ausgehende Bewegung war ausschließlich geistig, aber sie war eine Bewegung. Die Ordnungsmänner mußten daher, überzeugt der Hauptzweck der Menschheit sei jede Erregung zu verhindern, die Verbreitung des neuen Geistes hemmen. Niemals sah man ein treffenderes Beispiel, wie sehr ein solches Verfahren dem Zweck zuwider ist. Ungehindert geblieben, hätte Jesus sich in einem verzweifelten Kampf gegen das Unmögliche erschöpft. Der einsichtslose Haß seiner Feinde entschied für den Erfolg seines Werkes und drückte seiner Göttlichkeit den Siegel auf.

Der Tod Jesu wurde also Mitte Februar, oder anfangs März beschlossen. (Joh. XI, 53.) Doch Jesus entging ihn noch für einige Zeit. Er zog sich nach einer kleinen, wenig bekannten Stadt zurück, Namens Ephraim oder Ephron, gegen Bethel gelegen, kaum eine Tagesreise von Jerusalem entfernt. Hier brachte er mit seinen Jüngern etliche Wochen zu, um das Gewitter vorüberziehen zu lassen. Doch die Befehle, ihn zu verhaften, wenn er gesehen würde, waren gegeben. Das Osterfest nahte und man meinte, Jesus werde, seiner Gewohnheit gemäß, nach Jerusalem kommen, um hier dieses Fest zu feiern. Joh. XI, 54–56. Betreffs der Reihenfolge der Ereignisse ist hier dem System des Johannes gefolgt worden. Die Synoptiker sind über die Zeit des Lebens Jesu, die seinem Leiden vorausging, nicht besonders unterrichtet.


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