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Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Jesus im Grabe.

Als Jesus verschied, war es ungefähr 3 Uhr Nachmittag nach unserer Zeiteinteilung. (Matth. XXVII, 46; Mark. XV, 37; Luk. XXIII, 44. – Vgl. Joh. XIX, 14.) Ein jüdisches Gesetz verbot, einen Leichnam länger als bis zum Abend des Hinrichtungstages ausgesetzt zu lassen. Wahrscheinlich wurde nun auch bei den von den Römern vollzogenen Hinrichtungen diese Vorschrift eingehalten. Da jedoch der nächste Tag der Sabbath war, und zwar ein Sabbath von ganz besonderer Bedeutung, so drückten die Juden der römischen Behörde gegenüber den Wunsch aus, diesen heiligen Tag nicht durch solch einen Anblick entweiht sehen zu müssen. Ihre Bitte wurde gewährt und es wurde befohlen, den Tod der drei Verurteilten zu beschleunigen und sie dann vom Kreuze zu nehmen. Die Söldner vollführten diesen Befehl, indem sie den beiden Dieben eine zweite Strafe zukommen ließen, das Beinbrechen nämlich – die übliche Strafe bei Sklaven und Kriegsgefangenen – das schneller als das Kreuz wirkte. Was Jesu betrifft, so fanden sie ihn bereits tot, hielten es daher nicht für nötig, auch ihm die Beine zu brechen. Einer der Söldner jedoch durchbohrte ihm die Seite mit einer Lanze, um jede Ungewißheit über den Tod des dritten Gekreuzigten aufgehoben zu haben und um ihn ganz zu töten, falls noch etwas Leben in ihm wäre. Man meinte, aus der Wunde flösse Blut und Wasser, was als Zeichen des entflohenen Lebens betrachtet wurde.

Johannes, der behauptet Augenzeuge gewesen zu sein (XIX, 31–35), legt auf diesen Umstand ein besonderes Gewicht. Thatsache ist, daß der wirkliche Tod Jesu bezweifelt wurde. Einige Stunden hängen dünkte jenen, die gewohnt waren Kreuzigungen zu sehen, für ungenügend, um ein solches Resultat zu erreichen. Fälle wurden angeführt, wo der Gekreuzigte, rechtzeitig noch abgenommen, durch kräftige Mittel wieder ins Leben gerufen worden ist. Origines meinte später zur Erklärung eines so raschen Todes ein Wunder annehmen zu müssen. Dasselbe Erstaunen zeigt sich auch bei Markus (XV, 44, 45). Um die Wahrheit zu sagen: die größte Bürgschaft, die der Historiker über dergleichen besitzt, liegt in dem argwöhnischen Haß der Feinde Jesu. Es läßt sich bezweifeln, daß die Juden schon damals befürchtet hätten, Jesus könnte als Auferstandener gelten; aber allenfalls mochten sie zusehen, ob er wirklich tot wäre. Wie nachlässig manchmal die Alten auch gewesen sein mögen, wo es eine gesetzliche Feststellung betraf, oder die regelrechte Leitung geschäftlicher Angelegenheiten – so läßt sich doch nicht annehmen, daß in dieser Beziehung die nötigen Vorsichtsmaßregeln nicht versäumt wurden.

Nach römischem Brauch hätte der Leichnam hängen müssen, bis er zum Raub der Vögel geworden war. Nach jüdischer Vorschrift abends abgenommen, würde er an der für Hingerichtete bestimmten Stelle begraben worden sein. So wäre es auch gekommen, wenn Jesus nur seine armen Galiläer zu Jüngern gehabt hätte. Doch wir wissen, daß Jesus trotz seines geringen Erfolges in Jerusalem die Sympathie einiger angesehener Männer gewonnen hatte, die dem Gottesreich entgegensahen und ihm sehr anhänglich waren, ohne sich just als seine Jünger zu bekennen. Einer dieser Männer, Josef aus Arimathia ( Haramathahim), ging abends zum Landpfleger und bat um den Leichnam. (Matth. XXVII, 57; Mark. XV, 42; Luk. XXIII, 50; Joh. XIX, 38.) Josef war reich, angesehen, Mitglied des Sanhedrins. Nach dem damaligen römischen Gesetz konnte auch der Leichnam eines Hingerichteten dem, der ihn verlangte, ausgeliefert werden. Pilatus, der von dem »Beinbrechen« keine Kenntnis hatte, war erstaunt, daß Jesus schon so bald tot wäre; er ließ den Centurio rufen, der die Hinrichtung geleitet hatte, um zu erfahren, wie das geschehen konnte. Nachdem Pilatus von dem Centurio die Aufklärung erhalten hatte, gewährte er Josef seine Bitte. Wahrscheinlich war der Leichnam bereits vom Kreuze abgenommen. Er wurde Josef übergeben, damit dieser nach Gutdünken damit verfahre.

Ein anderer heimlicher Freund, Nikodemus (Joh. XIX, 39), den wir bereits mehr als einmal zu Gunsten Jesu wirken sahen, fand sich ebenfalls wieder ein. Er brachte einen großen Vorrat von Dingen, die zum Einbalsamieren nötig waren, mit. Josef und Nikodemus begruben Jesum nach jüdischem Brauch: sie hüllten ihn in ein Leichentuch mit Myrrhe und Aloe ein. Die galiläischen Frauen waren anwesend und begleiteten sicherlich den Vorgang mit Weinen und Jammern. (Matth. XXVII, 61; Mark. XV, 47; Luk. XXIII, 55.)

Es war spät geworden und alles geschah in Eile. Noch war der Ort nicht bestimmt, wo der Leichnam beigesetzt werden sollte. Überdies hätte diese Beerdigung bis in die Abendspäte gewährt, was eine Entweihung des Sabbaths hervorgebracht hätte; und die Jünger beobachteten noch genau die Vorschriften des jüdischen Gesetzes. Es wurde daher eine provisorische Beisetzung beschlossen. (Joh. XIX, 41, 42.) In der Nähe befand sich in einem Garten ein neues, in den Felsen gehauenes Grab, das noch nicht gebraucht worden war. Wahrscheinlich gehörte es einem der Anhänger Jesu. Diese Felsengräber bestanden, wenn sie nur für einen Leichnam bestimmt waren, aus einem Kämmerchen, in dessen Hintergrund die Stelle, wo der Leichnam liegen sollte, durch eine Mulde bezeichnet war, die in der Wand ausgehöhlt und mit einem Bogen überwölbt war. Sie wurden in die Seite überhängender Felsen gehauen, man betrat sie daher von der Ebene aus. Die Öffnung wurde mit einem schweren Steinblock verschlossen. Jesus wurde also in dem Grabe beigesetzt, der Stein wurde vorgewälzt und die Anwesenden versprachen einander wiederzukommen, um ein definitives Begräbnis vorzunehmen. Und weil der nachfolgende Tag Sabbath war, so wurde die Ausführung auf den zweiten Tag festgesetzt. (Luk. XXIII, 56.)

Die Frauen zogen sich zurück, nachdem sie die Lage des Leichnams genau betrachtet hatten. Den Rest der Abendzeit brachten sie damit zu, Vorbereitungen für die Einbalsamierung zu treffen. Am Sabbath ruhten sie alle. (Luk. XXIII, 54-56.)

Sonntag morgens kamen die Frauen sehr früh zum Grabe, vor allen Maria Magdalena. (Matth. XXVIII, 1; Mark. XVI, 1; Luk. XXIV, 1; Joh. XX, 1.) Sie fanden den Stein vor der Öffnung fortgewälzt und den Leichnam nicht mehr an der Stelle, wohin er gelegt worden war. Zugleich verbreiteten sich die wunderlichsten Gerüchte in der christlichen Gemeinde. Der Ruf: »Er ist auferstanden!« fuhr blitzschnell durch die Runde der Jünger. Die Liebe schuf da überall Leichtgläubigkeit. Was war geschehen? In der Geschichte der Apostel werde ich diesen Punkt erörtern und den Ursprung der Auferstehungslegenden untersuchen. Für den Historiker endete Jesu Leben mit seinem letzten Seufzer. Doch im Herzen seiner Jünger und einiger treuen Freundinnen hinterließ er eine solche Spur, daß er für sie noch wochenlang lebte und ihr Tröster war. Wurde sein Leichnam heimlich fortgenommen, oder schuf die stets leichtgläubige Begeisterung später jene Erzählungen, durch die der Glauben an eine Auferstehung begründet zu werden versucht wurde? (Matth. XXVIII, 15; Joh. XX, 2.) Die Widersprüche in der Überlieferung sind hier zu groß, als daß wir es erfahren könnten. Geben wir jedoch zu, daß bei dieser Sache die lebhafte Phantasie der Maria Magdalena die Hauptrolle spielte. Göttliche Macht der Liebe! Heilige Momente, wo die Leidenschaft einer Hellseherin der Welt einen auferstandenen Gott giebt!


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