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Zwanzigstes Kapitel.

Opposition gegen Jesu.

Es will scheinen, daß Jesus während der ersten Periode seiner Laufbahn keine ernste Gegnerschaft gefunden habe. Infolge der besonders ausgedehnten Freiheit, die in Galiläa herrschte und der großen Zahl von Lehrern, die überall auftauchten, erregten seine Predigten nur in einem ziemlich engen Kreis Aufmerksamkeit. Aber seitdem Jesus eine glänzende Bahn von Wundern und öffentlichen Erfolgen betreten hatte, begann des Sturmes Wettern. Mehr als einmal mußte er sich verbergen und fliehen. (Matth. XII, 14–16; Mark. III, 7; IX, 29, 30.) Allein Antipas beunruhigte ihn niemals, obgleich sich Jesus manchmal sehr strenge über ihn ausgesprochen hatte. (Mark. VIII, 15; Luk. XIII, 32.) In seiner Residenz Tiberias war der Tetrarch nur ein, zwei Stunden von dem Bezirke entfernt, den Jesus sich als Mittelpunkt seiner Thätigkeit erwählt hatte; er hörte von seinen Wundern sprechen, die er zweifellos für geschickte Kunststücke hielt und verlangte sie zu sehen. Die Ungläubigen waren damals nach derartigen Wunderkünsten sehr neugierig. Mit seinem gewöhnlichen Taktgefühl lehnte Jesus das ab. Er hütete sich in eine unreligiöse Welt zu verirren, die ihn nur zum eiteln Vergnügen benutzen wollten. Er strebte nur das Volk zu gewinnen; er bewahrte sich für die Schlichten die Mittel, welche für sie allein gut waren. (Luk. IX, 9; XXIII, 8.)

Einmal verbreitete sich das Gerücht, Jesus sei kein anderer als der von den Toten auferstandene Johannes der Täufer. Antipas wurde besorgt und unruhig (Matth. XIV, 1; Mark. VI, 14; Luk. IX, 7); er wandte listige Mittel an, um Jesum von seinem Gebiete zu entfernen. Anscheinend teilnahmsvoll kamen Pharisäer zu Jesu und sagten ihm, Antipas wolle ihn töten. Trotz seiner großen Schlichtheit erkannte Jesus die Falle und zog nicht fort. Sein völlig friedliches Gehaben, seine Enthaltsamkeit von jeder Volkserregung beruhigten schließlich den Tetrarchen und beseitigten die Gefahr.

Es fehlte noch viel daran, daß die neue Lehre in allen Ortschaften Galiläas gleich wohlwollend aufgenommen worden wäre. Nicht nur, daß das ungläubige Nazareth auch noch ferner den von sich wies, der seinen Ruhm bilden sollte; nicht nur, daß seine Brüder dabei verharrten, nicht an ihn zu glauben (Joh. VII, 5): selbst die Ortschaften am See selbst, so günstig sie ihm im Allgemeinen waren, waren noch nicht alle bekehrt. Jesus beklagte sich oft über den Unglauben und die Herzenshärte, die ihm begegneten; und wenn man auch bei solchen Klagen eine gewisse Übertreibung in Betracht ziehen muß, die Jesus in der Nachahmung des Täufers zeigte, so ist es doch klar, daß das Land weit davon entfernt war ganz zum Gottesreich zu werden. »Weh dir Chorasin! weh dir Bethsaida!« rief er aus. »Wären solche Thaten zu Tirus und Sidon geschehen, die bei euch geschehen sind, sie hätten schon längst in Sack und Asche Buße gethan. Doch ich sage euch: am Jüngsten Gericht wird es Tirus und Sidon besser ergehen als euch. Und du, Kapernaum, die du bis an den Himmel erhoben bist, du wirst in die Hölle hinabgestoßen werden; denn wären zu Sodom die Thaten geschehen, die bei dir geschehen sind, so stände es noch heutigen Tages. Doch ich sage euch, es wird dem Lande der Sodomiter am jüngsten Tage besser ergehen, als dir.« (Matth. XI, 21–24; Luk. X, 12–15.)

»Die Königin von Saba,« fügte er dazu, »wird mit den Leuten dieses Geschlechts auftreten vor dem Gericht und wird sie verdammen; die sie kam vom Ende der Welt zu hören die Weisheit Salomos. Und siehe, hier ist mehr als Salomo. Die Leute von Ninive werden mit diesem Geschlecht auftreten vor dem Gericht und werden es verdammen, denn sie thaten Buße nach der Predigt Jonas. Und siehe, hier ist mehr als Jonas.« (Matth. XII, 41, 42; Luk. XI, 31, 32.) Seine herumstreichende Lebensweise, die anfangs voll Reize für ihn war, begann ihm gleichfalls lästig zu werden. »Die Füchse,« sagte er, »haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel ihre Nester, aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.« (Matth. VIII, 20; Luk. IX, 58.) Immer mehr äußerte sich bei ihm Bitterkeit und Ärger. Er klagte die Ungläubigen an, sie verschlössen sich der Überzeugung und meinte, daß es selbst noch im Moment, wo der Menschensohn in seiner himmlischen Herrlichkeit erscheinen werde, Leute geben werde, die an ihn zweifelten. (Luk. XVIII, 8.)

Jesus konnte die Opposition allerdings nicht mit der kühlen Ruhe des Philosophen hinnehmen, der, den Grund der Meinungsverschiedenheit erkennend, welcher die Welt unter sich teilt, es ganz natürlich findet, daß nicht jeder seiner Meinung ist. Ein Hauptfehler der jüdischen Rasse ist, die Schroffheit bei Streitigkeiten und der beleidigende Ton, der hierbei laut wird. Nie gab es in der Welt so große Zwistigkeiten, wie die der Juden unter sich. Das Gefühl für Abstufungen macht den Menschen höflich und maßvoll. Der Mangel an Abstufungen jedoch ist einer der festesten Züge semitischen Geistes. Die feine Bildung, wie sie sich z.B. in den Dialogen Platos äußert, ist diesen Völkern ganz fremd. Jesus, der fast von allen Mängeln seiner Rasse frei war, und dessen Haupteigenschaft eben ein besonderes Zartgefühl war, ließ sich Widerwillens fortreißen in seiner Polemik die allgemein übliche Ausdrucksweise zu gebrauchen. (Matth. XII, 34; XV, 14; XXIII, 33.) Wie Johannes der Täufer wandte auch er sich mit sehr harten Ausdrücken gegen seine Widersacher. (Matth. III, 7.) Von besonderer Sanftmut gegen die Schlichtsinnigen, konnte er dagegen auch wider den am wenigsten agressiven Unglauben erbittert sein. (Matth. XII, 30; Luk. XXI, 23.) Dann war er nicht mehr der sanfte Meister der Bergpredigt, der noch nicht auf Widerstand oder Schwierigkeiten gestoßen war. Die Leidenschaft seines Charakters riß ihn zu den heftigsten Schmähungen fort. Diese sonderbare Stimmung darf uns nicht überraschen. Ein Mann unserer Tage, Herr Lamennais nämlich, hat denselben scharfausgeprägten Kontrast gezeigt. In seinem schönen Buche »Worte eines Gläubigen« wechseln miteinander ab, wie in einer Luftspiegelung auf dem Meere, maßloser Zorn und innige Sanftmut. Er, der im gewöhnlichen Verkehr von einer besonderen Gutmütigkeit war, konnten denen gegenüber, die anders als er dachten, bis zur Raserei in Zorn geraten. Ebenso bezog Jesus nicht ohne Grund eine Stelle (XLII, 2, 3) aus Jesaias auf sich: »Er wird nicht schreien, noch rufen und man wird nicht seine Stimme auf den Straßen hören. Das zerstoßene Rohr wird er nicht zerbrechen und den glimmenden Docht wird er nicht verlöschen. (Matth. XII, 19, 20.) Aber dennoch befinden sich in mehreren seiner den Jüngern erteilten Vorschriften Keime des echten Fanatismus, die das Mittelalter grausam entwickeln sollte. Soll man ihm daraus einen Vorwurf machen? Ohne etwas Schroffheit ist keine Revolution vollbracht worden. Hätten Luther, die Männer der französischen Revolution die Regeln der Höflichkeit beobachtet, so wäre weder die Reformation, noch die Revolution erfolgt. Sind wir froh, daß Jesus von keinem Gesetz beengt wurde, daß die Beleidigung eines Teiles der Bürger bestrafte; die Pharisäer wären sonst unverletzlich gewesen. Alle Großthaten der Menschheit sind im Namen absoluter Grundsätze vollbracht worden. Ein kritischer Philosoph hätte seinen Jüngern wohl gesagt: »Achtet die Meinung anderer und glaubt, daß niemand so sehr Recht habe, daß sein Gegner Unrecht haben müßte.« Doch. Jesu Wirken war nicht das eines uneigennützigen Philosophens. Das Bewußtsein, das Ideal beinahe erreicht zu haben und nur durch die Böswilligkeit einiger davon zurückgehalten worden zu sein, ist einer Feuerseele unerträglich. Wie mochte es daher dem Gründer einer neuen Welt sein?

Das unüberwindliche Hindernis für Jesu Ideen kam hauptsächlich aus dem durch das Pharisäertum vertretenen orthodoxen Judentum. Jesus entfernte sich immer mehr von dem alten Gesetze. Doch die Pharisäer waren die wahren Juden, Nerv und Kraft des Judentums. Obgleich diese Partei ihren Mittelpunkt in Jerusalem hatte, so gab es doch auch Anhänger, die in Galiläa wohnten oder häufig dahin kamen. (Mark. VII, 1; Luk. V, 17; VII, 36.) Im allgemeinen waren das beschränkte Leute, die viel auf Äußerlichkeiten hielten und eine hochmütige, offizielle, selbstzufriedene Frömmigkeit zeigten. (Matth. VI, 2, 5, 16; IX, 11, 14; XII, 2; XIII, 5, 15, 23; Luk. V, 30; VI, 2, 7; XI, 39; XVIII, 12; Joh. IX, 16.) Ihr Gehaben war lächerlich, oft auch für die, welche sie im allgemeinen achteten. Die Spottnamen, die ihnen von dem Volke gegeben wurden und die nach Karikatur riechen, beweisen das. Das war der »krummbeinige Pharisäer« (Nikfi), der beim Gehen durch die Straßen die Füße nachschleppte und gegen die Steine stieß; »der Pharisäer mit blutender Stirne« (Kisahi), der mit geschlossenen Augen daher ging, um keine Frau zu sehen und mit der Stirne gegen die Mauern rannte, so daß sie stets blutig war; »der Keulenpharisäer« (Medukia), der sich wie der Griff einer Mörserkeule in zwei Teilen zusammengeklappt hielt; »der starkschultrige Pharisäer« (Schikmi), der mit gewölbtem Rücken ging, als trügen seine Schultern die ganze Bürde des Gesetzes. »Der Pharisäer, was giebt's zu thun? Ich thu's,« der stets nach einer Vorschrift auslugte; endlich »der gefärbte Philister«, für den die ganze Äußerlichkeit der Frömmigkeit nur heuchlerische Tünche war. Talmud v. Jerus. Berakoth IX, gegen Schluß, Sota V, 7; Talmud von Baby., Sota 22 b. – Vergl. Epiphanes Adv. haer. XVI, 1. Dieser Rigorismus war tatsächlich oft nur Schein und verbarg in Wirklichkeit eine große moralische Verderbtheit. (Matth. V, 20; XV, 4; XXIII, 3, 16; Joh. VIII, 7.) Dessen ungeachtet ließ sich das Volk täuschen. Das Volk, dessen Instinkt immer richtig ist, mag es sich auch bezüglich der Person noch so sehr irren, wird durch die falschen Frommen sehr leicht getäuscht. Was es an ihnen liebt ist gut und verdient geliebt zu werden, allein es hat nicht genug Geistesschärfe, um Schein von Sein sondern zu können.

Die Antipathie, die in einer so leidenschaftlichen Welt sogleich zwischen Jesus und Personen solchen Charakters sich äußern mußte, ist leicht zu begreifen. Jesus wollte nur die Religion des Herzens; die der Pharisäer bestand nur aus Bräuchen. Jesus suchte die Erniedrigten und Verstoßenen aller Art auf; die Pharisäer sahen darin eine Beschimpfung ihrer Religion, der würdigen Männer. Der Pharisäer war ein unfehlbarer, sündenloser Mensch, ein Pedant, der überzeugt war, daß er stets im Rechte sei, der in der Synagoge den ersten Platz einnahm, auf der Straße betete, öffentlich Almosen gab und darauf sah, ob ihn jemand grüßte. Jesus meinte, jeder müsse das Gericht Gottes mit Furcht und Demut erwarten. Diese schlechte, durch das Pharisäertum vertretene Richtung herrschte jedoch nicht frei. Viele vor Jesus, oder zu seiner Zeit – wie Jesus, der Sohn Sirachs, einer der wahren Vorfahren des Jesu von Nazareth, Gamaliel, Antigones von Soco und besonders der sanfte Hillel – hatten hehre», fast evangelische Lehren geäußert. Doch dieser gute Samen war unterdrückt worden. Die edlen Magmen Hillels, die das ganze Gesetz in die Gerechtigkeit zusammenfaßten, Talmud von Baby. Schabbath 31 a; Joma 35 b. die von Jesus, des Sohnes Sirachs, welche den echten Kultus in der Bethätigung des Guten darstellen, waren vergessen worden, oder in den Bann gethan. Schammai mit seinem beschränkten, exklusiven Geist hatte gesiegt. Eine Riesenmasse von »Traditionen« hatte das Gesetz erstickt, unter dem Vorwand es zu schützen und auszulegen. (Matth. XV, 2.) Sicherlich hatten diese konservativen Maßregeln auch ihre nützliche Seite gehabt. Es ist gut, daß das jüdische Volk sein Gesetz fast bis zum Wahnsinn geliebt hat; denn diese maßlose Liebe war es, die den Mosaismus unter Antiochus Epiphanes und Herodes gerettet hat und derart das Gährungsferment erhalten, aus dem das Christentum sich bilden sollte. Allein, für sich betrachtet, waren alle diese Vorsichtsmaßregeln nur kindisch. Die Synagoge, die sie barg, war nur mehr die Mutter von Irrtümern. Ihre Herrschaft war zu Ende. Und doch: die Abdankung von ihr fordern, wäre die Forderung des Unmöglichen gewesen, was eine bestehende Macht nie thut, nie thun kann.

Die Kämpfe Jesus gegen die offizielle Heuchelei waren anhaltend. Die übliche Taktik der Reformatoren eines religiösen Zustands wie den geschilderten – den man traditionellen Formalismus nennen kann – besteht darin, daß sie den Text der heiligen Bücher der Tradition gegenüberstellen. Der religiöse Eifer bezweckt stets Neuerungen, selbst wenn er im höchsten Grade konservativ sein will. Ebenso wie die heutigen Neukatholiken sich stets vom Evangelium entfernen, ebenso entfernten sich mit jeden Schritt die Pharisäer von der Bibel. Deshalb ist der Puritanische Reformator gewöhnlich hauptsächlich »biblisch«, indem er von dem unwandelbaren Text ausgeht, um die von Geschlecht zu Geschlecht vorgeschrittene Theologie zu kritisieren. So machten es später bei den Juden die Karaiten, bei den Christen die Protestanten. Jesus legte viel energischer die Axt an die Wurzel. Wohl ruft er zuweilen den Text an, gegen die falschen Traditionen der Pharisäer; im allgemeinen jedoch reibt er wenig Exegese, sondern beruft sich auf sein Gewissen. Mit einem einzigen Schlag zertrümmert er den Text und seine Kommentare. Er zeigte zwar den Pharisäern, daß sie mit ihren Traditionen den Mosaismus gewaltig verändert hatten, allein er behauptet, nicht selbst auf Moses zurückzukommen. Sein Ziel lag vor ihm, nicht hinter ihm. Jesus war mehr als der Reformator einer veralteten Religion, er war der Schöpfer der ewigen Religion der Menschheit.

Die Streitigkeiten entstanden hauptsächlich über eine Menge äußerlicher, traditioneller Bräuche, die weder von Jesus, noch von seinen Jüngern beobachtet wurden. Die Pharisäer machten ihn deswegen lebhafte Vorwürfe. Wenn er bei ihnen aß, so verdroß es sie sehr, daß er die üblichen Waschungen unterließ. »Gebt Almosen,« sprach er, »und alles wird für euch rein werden.« (Luk. XI, 41.) Was sein seines Taktgefühl am meisten verletzte, war die sichere Miene, die die Pharisäer in religiösen Dingen zeigten, ihr lächerliches Frommthun, das nur auf eitel Haschen nach Ansehen und Titeln strebte, nicht aber nach der Besserung des Herzens. Ein bewundernswertes Gleichnis drückte diese Ansicht voll Wahrheit und Schönheit aus: »Es gingen,« sprach er, »zwei Menschen hinauf in den Tempel zu beten: einer ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stand und betete vor sich selbst hin: ›Ich danke dir, Gott, daß ich nicht bin wie andere Leute, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste wöchentlich zweimal, gebe von allem, was ich habe, den Zehnten‹. Und der Zöllner stand von ferne, wollte seine Augen nicht gen Himmel erheben, sondern schlug an seine Brust und sprach: ›Gott sei mir Sünder gnädig!‹ – Ich sage euch, dieser ging vor jenem hinab gerechtfertigt in sein Haus.« (Luk. XVIII, 9–14. Vergl. XIV, 7–11.)

Ein Haß, den nur der Tod besänftigen konnte, war die Folge dieser Kämpfe. Schon Johannes der Täufer hatte Feindschaften dieser Art hervorgerufen. (Matth. III, 7; XVII, 12, 13.) Doch die Aristokraten Jerusalems, die ihn verachteten, hatten die schlichten Leute ihn für einen Propheten halten lassen. (Matth. XIV, 5; XXI, 26; Mark. XI, 32; Luk. XX, 6.) Jetzt galt es einen Kampf auf Leben und Tod. Ein neuer Geist war es, der in der Welt erschienen und alles, was ihm vorher gegangen war mit Vernichtung traf. Johannes der Täufer war vom Grund auf Jude, Jesus war es kaum. Jesus wandte sich stets an die Feinheit des sittlichen Gefühls. Er streitet nur dann, wenn er sich gegen die Pharisäer wendet, indem er – wie es gewöhnlich geschieht – den Gegner nötigt, seinen eigenen Ton anzuschlagen. (Matth. XII, 3–8; XXIII, 16.) Sein prächtiger Spott, seine boshafte Provokationen trafen fast immer ins Herz. Das Nessushemd des Lächerlichen, das der Jude, der Sohn des Pharisäers, seit achtzehn Jahrhunderten zerrissen mit sich schleppt, das hat die göttliche Kunst Jesu gewebt.

Meisterwerke an Spott, drangen seine Worte wie feurige Pfeile ins Fleisch des Heuchlers und Frömmlers, unvergleichliche Worte, Worte würdig eines Sohnes Gottes. Nur ein Gott vermag so zu strafen. Sokrates und Molière ritzten nur die Haut; er schleuderte Wut und Flammen bis ins innerste Mark.

Es war aber auch gerecht, daß der Meister in der Ironie seinen Triumph mit dem Leben bezahlt. Schon in Galiläa wollten ihn die Pharisäer verderben und wandten das Manöver an, das ihnen später in Jerusalem gelingen sollte: sie strebten die Anhänger der neuen politischen Verhältnisse für ihre Sache zu gewinnen. (Mark. III, 6.) Die Leichtigkeit, mit der ihnen Jesus in Galiläa entweichen konnte, und die Schwäche der Regierung des Antipas vereitelten diese Versuche. Er selber ging der Gefahr entgegen. Er sah wohl ein, daß seine Wirksamkeit beschränkt sein mußte, wenn er von Galiläa begrenzt bliebe. Judäa zog ihn wie ein Zauber an. Er wollte den letzten Versuch wagen, die widerspänstige Stadt zu gewinnen und schien das Sprichwort bekräftigen zu wollen, daß ein Prophet nicht außerhalb Jerusalems sterben dürfe. (Luk. XIII, 33.)


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