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Zwölftes Kapitel.

Botschaft des gefangenen Johannes an Jesu. Johannes Tod. Beziehungen seiner Schule zu der des Jesu.

Während das fröhliche Galiläa die Ankunft des Vielgeliebten in Festen feierte, verzehrte sich der traurige Johannes in seinem Gefängnis zu Machero in Warten und Sehnen. Die Kunde von dem Erfolg des jungen Meisters, den er einige Monate früher in seiner Schule gesehen hatte, war bis zu ihm gedrungen. Man sagte, der von den Propheten geweissagte Messias sei gekommen, derjenige der das Reich Israel wieder herstellen sollte, und er bekunde seine Anwesenheit in Galiläa durch Wunderthaten. Johannes wollte sich nach der Wahrheit dieser Gerüchte erkundigen und da er frei mit seinen Jüngern verkehren konnte, erwählte er zwei, um zu Jesus nach Galiläa zu gehen. (Matth. XI, 2; Luk. VII, 18.)

Die beiden Jünger fanden Jesus auf dem Gipfel seiner Berühmtheit. Das festliche Aussehen, das um ihn herrschte, überraschte sie. Gewöhnt an Fasten, an beständiges Beten, an ein Leben voll Sehnen, waren sie erstaunt, plötzlich mitten in Willkommfreuden versetzt zu sein. (Matth. IX, 14.) Sie wandten sich an Jesus mit ihrer Botschaft: »Bist Du es, der da kommen soll, oder sollen wir eines Andern warten?« Jesus, der nunmehr über seine eigene Messiasrolle nicht schwankte, zählte ihnen die Werke vor, die das Reich Gottes kennzeichnen sollten: die Kranken werden geheilt, die frohe Botschaft des Heils wird den Armen verkündet. Er habe alles das vollbracht. »Selig daher,« fügte er hinzu, »die nicht an mir gezweifelt.«

Man weiß nicht, ob dieser Bescheid Johannes noch bei Leben traf, oder in welche Stimmung er den strengen Asketen versetzte. Starb er trostvoll und überzeugt, daß derjenige, dessen Ankunft er verkündet hat, schon lebe oder hegte er noch Zweifel über die Mission Jesu? Wir wissen es nicht. Da jedoch seine Schule noch ziemlich lange neben der des Jesu fortbestand, so müssen wir annehmen, daß Johannes, trotz seiner Achtung vor Jesu, ihn nicht als den betrachtet hat, der die göttliche Verheißung erfüllen sollte. Der Tod machte übrigens seinen Ungewißheiten bald ein Ende. Die unbezähmbare Freimütigkeit des Einsiedlers sollte seine ruhelose, qualvolle Laufbahn mit dem einzigen ihrer würdigen Ende krönen.

Die Nachsicht, die Antipas gegen Johannes zeigte, konnte nicht von langer Dauer sein. In der Unterredung, die Johannes – nach der christlichen Tradition – mit dem Tetrarchen hatte, wiederholte Johannes oft und wieder, daß dessen Ehe ungültig sei und daß er Herodias fortschicken müsse. (Matth. XVI, 4; Mark. VI, 18; Luk. III, 19.) Es läßt sich leicht vorstellen, welchen Haß die Enkelin des Großen Herodes gegen diesen unverschämten Ratgeber hegen mußte. Sie wartete nur auf eine Gelegenheit, um ihn zu verderben.

Ihre aus erster Ehe geborene Tochter Saloma, ehrgeizig und leichtfertig wie sie, ging auf ihr Vorhaben ein. In diesem Jahre (wahrscheinlich Jahr 30 u. Z.) befand sich Antipas an seinem Geburtstage in Machero. Herodes der Große hatte im Innern dieser Festung einen prächtigen Palast erbauen lassen (Josephus de bello jud VII, VI, 2), in dem der Tetrarch häufig residierte. Er gab da ein großes Fest, bei dem Saloma einen jener Tänze aufführte, die in Syrien für Personen aus der besseren Gesellschaft als unschicklich galten. Als Antipas entzückt die Tänzerin fragte, was ihr Begehr wäre, so antwortete sie, angeleitet von ihrer Mutter: »Den Kopf des Johannes auf dieser Schüssel.« Antipas war damit wohl nicht zufrieden, doch wollte er ihr den Wunsch nicht versagen. Ein Söldner ging mit der Schüssel fort, schnitt dem Gefangenen den Kopf ab und brachte ihn. (Matth. XIV, 3; Mark. VI, 14-29; Jos. Ant.. XVIII, V, 2.)

Die Jünger des Täufers erhielten seinen Leichnam und legten ihn ins Grab. Das Volk war sehr unzufrieden. Sechs Jahre später griff Hareth den Antipas an, um Machero zu erobern und die Schmach seiner Tochter zu rächen. Antipas wurde dabei vollständig geschlagen, was allgemein als Strafe für die Ermordung des Johannes betrachtet wurde. (Jos. Ant.. XVIII, V, 1, 2.)

Die Nachricht von diesem Tod erhielt Jesus von des Täufers Jüngern. (Matth. XIV, 12.) Der letzte Schritt, den Johannes bei Jesus unternahm, schuf zwischen beiden Schulen eine enge Verbindung. Jesus, der bei Antipas eine Zunahme seines Übelwollens befürchtete, traf Vorsichtsmaßregeln und zog sich in die Wüste zurück. (Matth. XIV, 13.) Viele Leute folgten ihm dahin. Zufolge ihrer außergewöhnlichen Mäßigkeit konnte die fromme Schar auch hier Leben; manche freilich wollten darin ein Wunder sehen., (Matth. XIV, 15; Mark. VI, 35; Luk. IX, 11; Joh. VI 2.) Jesus sprach nunmehr von Johannes mit verdoppelter Bewunderung. Er erklärte ohne weiteres, daß er mehr war als ein Prophet, daß das Gesetz und die alten Propheten nur bis auf ihn in Kraft waren, daß er sie beseitigt habe, daß aber auch ihn das Reich Gottes beseitigen werde. Kurz, er gab ihm im Haushalt des christlichen Mysteriums eine besondere Stelle, die ihn zum Mittler zwischen dem Alten Testament und dem neuen Reich machte. (Matth. XI, 7; Luk. VII, 24; Matth. XI, 12, 13; Luk. XVI, 16.)

Der Prophet Maleachi, dessen Meinung in dieser Beziehung sehr hervorgehoben wurde (Mal. III, IV; Pred. XLVIII, 10. – S. 6. Kapitel), hatte besonders kräftig einen Vorläufer des Messias angekündigt, der die Menschen auf die schließliche Erneuerung vorbereiten sollte, einen Boten, der den Weg des Gotterwählten ebnen sollte. Dieser Bote war kein anderer als der Prophet Elias, der nach einem sehr verbreiteten Glauben bald vom Himmel herabkommen werde – zu dem er aufgefahren sei – um die Menschen durch Buße auf das große Ereignis vorzubereiten und Gott mit seinem Volke zu versöhnen. (Matth. XI, 14; Mark. VI, 15; VIII, 28; IX, 10; Luk. IX, 8, 9.) Zuweilen gesellte man Elias noch jemand zu: den Patriarchen Henoch, den man seit einem oder zwei Jahrhunderten einen besonderen Grad von Heiligkeit zuzusprechen gewohnt war, oder Jeremias, den man als eine Art schützenden Genius des Volkes schätzte, der stets vor dem Throne Gottes für sein Volk betete. Diese Vorstellungen von zwei alten Propheten, die auferstehen sollten, um dem Messias als Vorläufer zu dienen, findet man in frappanter Ähnlichkeit in der Lehre des Parsen wieder, daß man annehmen muß, sie komme daher. Doch wie immer – sie bildete zu Jesu Zeiten einen wesentlichen Bestandteil der jüdischen Theorien über den Messias. Es wurde angenommen, daß die Erscheinung »zweier treuer Zeugen« in Bußgewändern gekleidet, das Vorspiel zu einem großen Drama sein werde, das sich zum Erstaunen der Welt entwickeln sollte. Offenb. Joh. XI, 3.) Man begreift, daß mit diesen Ideen Jesus und seine Jünger über die Mission Johannes des Täufers nicht schwanken konnten. Wenn die Schriftgelehrten ihnen den Einwand machten, es könne vom Messias noch nicht die Rede sein, weil Elias noch nicht gekommen sei, so antworteten sie, Elias wäre schon erschienen, denn Johannes sei der wiedererstandene Elias. Durch seine Lebensweise, seine Gegnerschaft wider die bestehende Gewalt, erinnerte Johannes thatsächlich all diese sonderbare Gestalt der alten Geschichte Israels. (Mark. IX, 10. Matth. XI, 14; XVII, 10-13; Mark. VI, 15; IX, 10-12; Luk. IX, 8; Joh. I, 21-25. – Luk. I, 17.) Jesus wurde nicht müde die Verdienste und Vorzüge seines Vorgängers zu preisen. Er sagte, unter allen Menschenkindern sei kein größerer geboren worden. Kräftig tadelte er die Pharisäer und Schriftgelehrten, weil sie nicht die Taufe angenommen und zu seinen Worten sich nicht bekehrt hatten. (Matth. XXI, 32; Luk. VII, 29, 30.)

Diesen Grundsätzen des Meisters blieben die Jünger Jesu treu. Die Hochachtung vor Johannes war eine beständige Tradition in der ersten christlichen Generation. Man hielt ihn für einen Verwandten Jesu. (Apostelg. XIX, 4 – Luk. I.) Um seine Mission auf ein von allen anerkanntes Zeugnis zu stützen, wurde erzählt, daß Johannes, als er Jesus zum ersten Mal gesehen hätte, ihn als Messias ausgerufen, daß er sich als Jesu untergeordnet betrachtet, als einen der nicht wert sei dessen Schuhrieme zu lösen; daß er übrigens anfangs Jesum gar nicht taufen wollte, sondern gesagt hatte, er müsse von ihm getauft werden. (Matth. III, 14; Luk. III, 16; Joh. I, 15; V, 32, 33.) Das waren Übertreibungen, die von der zweifelnden Form der letzten Botschaft des Johannes genügend widerlegt wird. (Matth. XI, 2; Luk. VII, 18.) Doch im allgemeinen Sinne blieb Johannes in der christlichen Legende das, was er in Wirklichkeit war: der strenge Vorbereiter, der düstere Bußeprediger vor der Freude über die Ankunft des Bräutigams, der Prophet, der das Reich Gottes verkündet und stirbt, bevor er es erblickt hat. Ein Riese des werdenden Christentums war dieser Heuschrecken- und Honigesser; der Wermuttropfen, der die Lippen für die Süßigkeit des Reiches Gottes vorbereiten sollte, war dieser strenge Rächer des Unrechts. Der Enthauptete der Herodias eröffnete die Reihe der christlichen Märtyrer; er war der erste Zeuge des neuen Glaubens. Die Weltlichen, die in ihm ihren wahren Feind erkannten, konnten nicht gestatten, daß er lebe. Sein verstümmelter, auf der Schwelle des Christentums ausgestreckter Leichnam, zeichnete den blutigen Weg vor, den nach ihm so viele betreten sollten.

Die Schule des Johannes starb nicht mit ihrem Gründer. Sie lebte noch einige Zeit fort, getrennt von der des Jesu und auch in gutem Einvernehmen mit ihr. Mehrere Jahre nach dem Tode der beiden Meister ließ man sich noch mit der Taufe des Johannes taufen. Manche gehörten gleichzeitig beiden Schulen an, so z. B. der berühmte Apollos, der Rivale des Paulus – gegen das Jahr 50 u. Z. – und eine beträchtliche Zahl Christen aus Ephesus (Apostelg. XVIII, 25; XIX, 1-5. – Vergl. Epiphanes Ant.. XXX, 16.) Josephus trat im Jahre 53 der Schule eines Asketen Namens Banu Sollte das vielleicht nicht Bunai sein, der, im Talmud von Baby. Sanhedrin 43, a als Jünger Jesu ausgeführt wird? bei, der große Ähnlichkeit mit Johannes aufwies und vielleicht aus dessen Schule hervorging. Banu lebte in der Wüste, kleidete sich mit Laub, nährte sich nur von Pflanzen und wilden Früchten und nahm oft bei Tag und bei Nacht die Taufe im kalten Wasser, um sich zu reinigen. Jakobus, der, den man den »Bruder des Herrn nannte (vielleicht findet hier eine Namensverwechselung statt), übte dieselbe Weise. Später, im Jahre 80, befand sich der Baptismus im Kampfe mit dem Christentum, besonders in Kleinasien. Der Evangelist Johannes scheint ihn versteckter Weise zu bekämpfen. (Hegesipp, bei Euseb. Hist eccl. II, 23. – Eines der sybillischen Gedichte (Buch IV, f. Vers 157) scheint von dieser Schule herzurühren. Was die Sekten der Hemerobaptisten, Baptisten, Elihasaiten betrifft (Sabier, Mogtasila der arabischen Schriftsteller. Ich erinnere, daß Sabier im Aramäischen gleichbedeutend mit der Bezeichnung Baptisten ist, und Mogtasila bedeutet im Arabischen dasselbe), mit welchen im zweiten Jahrhundert Syrien, Palästina und Babylon voll waren und deren Überreste noch heutigentags in den Mendahiten, den Johanneschristen zu finden sind, so haben sie wohl eher den gleichen Ursprung wie die Bewegung des Täufers, als daß sie dessen rechte Nachkommenschaft wären. Die eigentliche Schule des Johannes ging halb mit dem Christentum verschmolzen in den Zustand kleiner christlichen Häretik über und erlosch dann gänzlich Johannes hatte erkannt, auf wessen Seite die Zukunft sei. Wäre er dem Gefühl kleinlicher Rivalität gefolgt, so würde er heute unter der Menge Sektierer seiner Zeit vergessen sein. Durch Selbstverleugnung ist er zur Glorie gelangt zu einer Stellung, die einzig ist im religiösen Pantheon der Menschheit.


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