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Achtzehntes Kapitel.

Die Institutionen Jesu.

Was übrigens deutlich beweist, daß Jesus nicht völlig in seinen apokalyptischen Ideen aufging, ist der Umstand, daß er zur Zeit, wo er am meisten mit ihnen beschäftigt war, mit seltenem sicheren Blick eine für die Dauer bestimmte Kirche gründete. Es läßt sich nicht in Zweifel ziehen, daß er selbst unter seinen Jüngern die auswählte, welche man vorzüglich die »Apostel« nannte oder die »Zwölf«, weil sie am Tage nach seinem Tode eine Körperschaft bildeten und durch Wahl die Lücken ausfüllten, die in ihrer Reihe sich bildeten. (Apostelg. I, 15; 1. Korinth. XV, 5; Gal. I, 10.) Es waren dies die beiden Söhne des Jonas, die beiden Söhne des Zebedäus, Jakobus, Sohn des Kleophas, Philippus, Nathanael Bartholomäus, Thomas, Lewi, Sohn oder Alphäus, oder Matthäus, Simon Zelotes, Thadäus oder Lebbäus, Judas von Kerioth. (Matth. X, 2; Mark. III, 16; Luk. IV, 14; Apostelg. I, 13. Papias bei Euseb. Hist. eccl. III, 39.) Es ist wahrscheinlich, daß die Erinnerung an die zwölf Stämme Israels dieser Zahlenwahl nicht fremd war. (Matth. XIX, 28; Luk. XXII, 30.) Allenfalls bildeten diese »Zwölf« eine Gruppe bevorzugter Jünger, in der Petrus seinen ganz brüderlichen Vorrang bewahrte, und der Jesus die Fürsorge für die Fortpflanzung seines Werkes anvertraute. (Apostelg. I, 15; II, 14; V, 2, 3, 29; VIII, 19; XV, 7; Gal. I, 18.) Nichts erinnert hier an ein regelmäßig organisiertes geistiges Kollegium. Die Verzeichnisse der »Zwölf«, soweit sie uns überliefert wurden, enthalten viele Ungenauigkeiten und Widersprüche; zwei oder drei der darin Erwähnten blieben völlig im Dunkeln. Wenigstens zwei von ihnen, Petrus und Philippus, waren verheiratet und hatten Kinder. Betreffs Petrus f. Matth. VIII, 14; betreffs Philippus s. Papias, Polycrat und Clemens v. Alexandrien bei Euseb. Hist eccl. III 30, 31, 39; V, 24. Jesus hatte vermutlich den Zwölf Geheimnisse mitgeteilt, die weiter zu erzählen er ihnen verbot. Matth. XVI, 20; XVII, 9; Mark. VIII, 30; IX, 8. Manchmal scheint sein Plan gewesen zu sein, seine Person mit irgendwelchem Geheimnis zu umgeben, die bedeutenderen Beweise bis nach seinem Tode hinauszuschieben, sich keinem andern als seinen Jüngern vollständig zu offenbaren, diesen überlassend, ihn später der Welt zu zeigen. »Was ich euch sage im Finstern, das redet im Licht und was euch zum Ohr dringt, das predigt auf den Dächern.« (Matth. X, 26, 27; Mark. IV, 21 ff.; Luk. VIII, 17; XII, 2 ff.; Joh. XIV, 22). Damit konnte er zu genaue Erklärungen vermeiden und schuf eine Art Vermittlung zwischen sich und der öffentlichen Meinung. So viel steht fest, daß er für die Apostel besondere Unterweisungen hatte und daß er ihnen mehrere Gleichnisse erklärte, deren Sinn er für das Volk unbestimmt ließ. (Matth. XIII, 10, 34; Mark. IV, 10, 30; Luk. VIII, 9; XII, 41.) Ein wenig Rätselhaftigkeit und wunderliche Ideenverbindung war damals bei dem Unterricht der Gelehrten üblich, wie auch aus den Sprüchen im »Pirke Aboth« zu ersehen ist. Jesus erklärte seinen Vertrauten die Eigentümlichkeiten seiner Sprüche oder Gleichnisse und befreite für sie seine Weisungen von der Menge Vergleichungen, die sie manchmal verdunkelten. (Matth. XVI, 6; Mark. VII, 17-23.) Viele dieser Erläuterungen scheinen sorgsam aufbewahrt worden zu sein, (Matth. XIII, 18; Mark. VII, 18.)

Die Apostel predigten schon bei Jesu Lebzeiten ohne sich jedoch weit von ihm zu entfernen. (Luk. IX, 6.) Ihre Predigten beschränkten sich darauf, das nahende Gottesreich zu verkünden. (Luk. X, 11.) Sie zogen von Ort zu Ort, wo sie überall Gastfreundschaft erhielten, oder genauer gesagt, dem Brauch gemäß selber nahmen. Im Orient steht der Gast im hohen Ansehen; er gilt mehr, als der Hausherr, und dieser setzt das größte Vertrauen in ihn. Dieses Predigen am häuslichen Herd ist für die Verbreitung neuer Lehren vortrefflich. Man teilt den verborgenen Schatz mit, man bezahlt derart, was man empfängt; kommt nun Höflichkeit und gutes Benehmen noch dazu, so wird das Haus bald gerührt, bekehrt. Diese orientalische Gastfreundschaft fortgenommen, wird es unmöglich die Ausbreitung des Christentums zu erklären. Jesus, der sehr viel auf den guten alten Brauch hielt, wies seine Jünger an, diesen Älterbrauch ohne weiteres anzuwenden, auch in den größeren Orten, wo es Gasthöfe gab und er wahrscheinlich nicht mehr üblich war. »Die Arbeit ist des Lohnes wert,« sagte Jesus. Einmal irgendwo eingekehrt, sollten sie dort bleiben, essen, trinken, was ihnen geboten würde, so lange ihre Mission währte. Jesus wünschte, daß die Sendlinge des Evangeliums die Predigten nach seinem Beispiel durch Wohlwollen und Freundlichkeit beliebt machen sollen. Er wollte, daß sie, ein Haus betretend, mit Selam oder Glückwunsch empfangen werden. Einige zögerten, da der Selam damals, wie heute noch im Orient, als Zeichen religiöser Gemeinschaft galt, was man bei Personen von zweifelhaftem Glauben nicht wagen wollte. »Fürchtet nichts,« sprach da Jesus, »wenn im Hause jemand eueres Selams nicht würdig ist, so wird er zu euch zurückkehren.« (Matth. X, 11; Mark. VI, 10; Luk. X, 5. – Vergl. 2. Epist. Joh. 10, 11.) Manchmal aber wurden die Apostel auch schlecht aufgenommen, und sie beklagten sich bei Jesu, der sie gewöhnlich zu beruhigen versuchte. Einige, von der Allmacht ihres Meisters überzeugt, wurden von dieser Langmut verletzt. Die Söhne des Zebbedäus wollten, er möge das Feuer des Himmels auf diese ungastlichen Städte herabsenden. (Luk. IX, 52.) Jesus nahm ihren Ärger mit seiner Ironie auf und stillte ihn mit den Worten: »Ich bin nicht gekommen die Seelen zu verderben, sondern sie zu retten.«

In jeder Weise strebte er den Grundsatz zur Geltung zu bringen, seine Apostel wären er selbst. (Matth. X, 40-42; XXV, 35; Mark. X, 40; Luk. X, 16; Joh. XIII, 20.) Man meinte auch, er habe ihnen von seiner Wunderkraft mitgeteilt. Sie trieben Dämone aus, prophezeiten und bildeten eine Schule von berühmten Teufelsbeschwörern, obwohl so mancher Fall über ihre Kräfte ging. (Matth. VII, 22; X, 1; XXVII, 18, 19; Mark. III, 15; VI, 13; Luk. X, 17.) Sie heilten auch, durch Händeauflegen oder auch durch Salbung mit Öl, ein Hauptmittel der orientalischen Heilkunst. (Mark. VI, 13; XVI, 18; Epist. Jak. V, 14.) Endlich wußten sie auch, wie Gaukler, mit Schlangen umzugehen und Giftgebräu zu trinken, ohne dabei Schaden zu nehmen. (Mark. XVI, 18; Luk. X, 19.) In dem Maße, wie man sich von Jesus entfernt, werden derlei Machenschaften auch abstoßender. Es läßt sich jedoch nicht in Zweifel ziehen, daß sie in der ursprünglichen Kirche Geltung hatten und daß ihnen seitens der Zeitgenossen die größte Aufmerksamkeit zu teil wurde. (Mark. XVI, 20.) Charlatane beuteten die Leichtgläubigkeit des Volkes aus, wie das ja gewöhnlich geschieht. Schon als Jesus noch lebte, trieben manche in seinem Namen böse Geister aus, ohne seine Jünger zu sein. Die wahren Jünger fühlten sich dadurch sehr gekränkt und strebten es zu verhindern. Jesus jedoch, der darin eine Huldigung seines Rufes sah, zeigte sich milder gegen jene. (Mark. IX, 37, 38; Luk. IX, 49, 50.) Man darf da übrigens nicht außer acht lassen, daß die Ausübung dessen gewissermaßen ein Gewerbe war. Die Logik der Thorheit auf die Spitze treibend, trieben manche den Teufel mit Beelzebub, Ein alter Gott der Philister, den die Juden in einen bösen Geist umgewandelt hatten. dem Obersten der Teufel, aus. Sie meinten, dieser Fürst der Höllenscharen müsse Macht über seine Untergebenen haben; sie waren überzeugt, daß der beharrlichste Dämon von ihm zum Weichen genötigt werde. (Matth. XII, 24 ec.) Es wurde sogar der Versuch gemacht, den Jüngern Jesu das Geheimnis ihrer Wunderkraft abzukaufen. (Apostelg. VIII, 18.)

Ein Keim der Kirche begann schon damals zu erscheinen. Diese fruchtbringende Idee der Macht vereinigter Menschen (ecclesia) scheint eine Idee Jesu gewesen zu sein. Von seiner ganz idealistischen Lehre erfüllt, daß die Vereinigung in Liebe es sei, die die Anwesenheit der Seelen bilde, erklärte er, daß so oft Menschen in seinem Namen sich versammeln würden, werde er in ihrer Mitte sein. Er betraute die Kirche mit dem Recht zu binden und zu lösen – daß heißt, gewisse Dinge zu erlauben oder zu verbieten – Sünden zu vergeben, zu bestrafen, mit der Gewißheit erhört zu werden, zu beten. (Matth. XVIII, 17; Joh. XX, 3.) Möglich, daß manche dieser Worte dem Meister nur zugeschrieben wurden, um der Kollektivautorität, die man später an Stelle seiner zu setzen suchte, eine Grundlage zu schaffen. Allenfalls war es erst nach seinem Tode, wo sich besondere Kirchen bildeten und die ersten dieser Schöpfungen erfolgten auch nur nach dem Vorbild der Synagoge. Mehrere Personen, die Jesu sehr geliebt hatten und große Hoffnungen auf ihn gesetzt, wie Josef von Arimathias, Lazarus, Maria Magdalena, Nikodemus, scheinen diesen Kirchen nicht beigetreten zu sein und sich mit der zärtlichen oder ehrfürchtigen Erinnerung begnügt zu haben, die sie an ihn bewahrt hatten.

Übrigens zeigt Jesu Lehre auch nicht die Spur einer angewandten Moral, oder von einem kanonischen Rechte, sei es auch noch so wenig näher bestimmt. Ein einziges Mal spricht er sich klar über die Ehe aus und verbietet die Scheidung. (Matth. XIX, 3.) Sonst keine Theologie, kein Symbol, kaum einige Andeutungen über den Vater, den Sohn und den Geist, woraus später die Dreieinigkeit und die Inkarnation gefolgert wurde, die jedoch noch im Zustande undeutlicher Bilder sich befanden. (Matth. XXVIII, 19; vergl. Matth. III, 16, 17; Joh. XV, 26.) Die letzten Bücher des jüdischen Kanons erwähnen bereits den heiligen Geist, eine Art göttliche Verkörperung, die manchmal mit der Weisheit oder dem »Wort« identifiziert wird. (Weish. I, 7; VII, 7; IX, 17; XII, 1; Pred. Sal. I, 9; XV, 5; XXIV, 27; XXXIX, 8; Judith XVI, 17.) Jesus legte auf diesen Punkt Gewicht (Matth. X, 20; Luk. XII, 12; XXIV, 49; Joh. XIV, 26; XV, 26) und verkündete seinen Jüngern eine Taufe mit Feuer und mit dem heiligen Geist, Matth. III, 11; Mark. I, 8; Luk. III, 16; Joh. I, 26; III, 5; Apostelg. I, 5, 8; X, 47. welche der des Johannes vorzuziehen sein werde; eine Taufe, die sie eines Tages nach dem Tod Jesu in Gestalt eines Sturmes und von Feuerflämmchen zu empfangen wähnten. Apostelg. II, 1–4, XI, 15; XIX, 6. – Vergl. Joh. VII, 39. Der solchermaßen vom Vater gesandte heilige Geist soll sie jegliche Wahrheit lehren und für die zeugen, welche Jesus selbst ihnen verkündet hat. (Joh. XV, 26; XVI, 13.) Zur Bezeichnung des Geistes gebrauchte Jesus das Wort Peraklit, das die syrisch-chaldäische Sprache der griechischen entnommen hatte und etwa »Anwalt«, »Berater«, zuweilen auch »Dolmetscher der himmlischen Wahrheiten«, »Lehrer, der die himmlischen Wahrheiten offenbaren soll«, bedeutet. Er selbst betrachtete sich seinen Jüngern gegenüber als Peraklit (Joh. XIV, 16; vergl. 1. Epist. Joh. II, 1) und der Geist, der nach seinem Tode erscheint, soll nur ihn ersetzen. Dies war eine praktische Anwendung der Idee, der jüdische und christliche Theologie Jahrhunderte lang folgten und die eine ganze Reihe göttlicher Beisitzer, den Metathronos, den Synadelphos oder Sandalphon und sämtliche Personifikationen der Kabbala erzeugen sollte. Nur, daß im Judentum diese Schöpfungen rein persönliche, freie Spekulation waren, während sie ihm Christentum seit Beginn des vierten Jahrhunderts das eigentliche Wesen der Orthodoxie und des allgemeinen Dogmas bilden.

Es ist unnötig darauf aufmerksam zu machen wie weit Jesus Gedanke von einem religiösen Buch, das einen Codex und Glaubensartikel enthalten hatte, entfernt war. Nicht nur, daß er selber nichts schrieb, es war auch wider den Geist der jungen Sekte heilige Schriften zu verfassen. Man wähnte sich am Vorabend der großen Schlußkatastrophe. Der Messias soll kommen, um die Gesetze und Prophetenschriften zu beseitigen, nicht um neue Texte zu schaffen. Mit Ausnahme der Offenbarung Johannes, das im gewissen Sinne das einzige geoffenbarte Buch des jungen Christentums war, sind auch alle Schriften der apostolischen Zeit Gelegenheitswerke, die keineswegs den Anspruch machen, ein vollständiges dogmatisches Ganzes zu bieten. Anfangs hatten die Evangelien nur einen ganz privaten Charakter und ein viel geringeres Ansehen als die Tradition.

Hatte aber die Sekte nicht irgendwelchen Ritus, keine Sakramente, Verbindungszeichen? Sie hatten eines, das alle Traditionen bis auf Jesus zurückführen. Ein Lieblingsgedanke des Meisters war, er sei das neue Brot, besser als Manna, und von dem die Menschheit leben soll. Dieser Gedanke, der Keim des Abendmahls, nahm manchmal in seinem Munde eigenartige konkrete Formen an. Einmal besonders, in der Synagoge zu Kapernaum, ließ er sich in einem kühnen Moment zu einer Äußerung hinreißen, die ihn mehrere seiner Schüler kostete: »Jawohl, ich sage euch, nicht Moses, sondern mein Vater hat euch das Brot des Himmels gegeben.« (Joh. VI, 32.) Und er fügte dazu: »Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt wird nicht hungern und wer an mich glaubt, wird nie dürsten.« Eine ähnliche Äußerung, die zu gleichen Mißverständnissen Anlaß bietet, befindet sich Joh. IV, 10. Diese Worte riefen lautes Murren hervor: »Was will er,« fragte man sich, »mit den Worten: Ich bin das Brot des Lebens. Ist dies nicht Jesus, der Sohn Josefs, dessen Vater und Mutter wir kennen? Wie kann er sagen: Ich bin vom Himmel gekommen?« Jesus betonte es noch kräftiger und fuhr fort: »Ich bin das Brot des Lebens. Eure Väter haben in der Wüste Manna gegessen und sind gestorben. Dies ist das Brot, das vom Himmel kommt und wer davon ißt, soll nicht sterben. Ich bin das lebendige Brot, vom Himmel gekommen. Wer von diesem Brot essen wird, der wird in Ewigkeit leben; und das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch, das ich hingeben werde für das Leben der Welt.« Diese Worte haben zu sehr die Prägung des eigentümlichen Stils Johannes, um für getreu wiedergegeben betrachtet zu werden. Die Joh. VI erzählte Anekdote dürfte indessen nicht ohne historische Grundlage sein. Die Erregung erreichte nun ihren Höhepunkt: »Wie kann dieser uns sein Fleisch zu essen geben?« Jesus aber ging noch weiter: »Werdet ihr nicht essen das Fleisch des Menschensohnes und trinken sein Blut, so habt ihr kein Leben in euch. Wer mein Fleisch ißt und trinkt mein Blut, der hat das ewige Leben und ich werde ihn am jüngsten Tag auferwecken. Denn mein Fleisch ist die rechte Speise und mein Blut ist der rechte Trank. Wer mein Fleisch ißt und trinkt mein Blut, der bleibt in nur und ich in ihm. So wie mich gesandt hat der lebende Vater und ich um des Vaters willen lebe: so wird auch der mich ißt leben um meinetwillen. Dies ist das Brot, das vom Himmel gekommen ist, nicht wie eure Väter haben Manna gegessen und sind gestorben. Wer dieses Brot ißt, der wird leben in Ewigkeit.« Eine solche Hartnäckigkeit im Paradoxen ärgerte mehrere Jünger gewaltig und sie mieden ihn ferner. Jesus nahm sein Wort nicht zurück, er fügte nur dazu: Der Geist ist es, der lebendig macht, das Fleisch ist unnütz. Die Worte, die ich rede, sind Geist und Leben.« Trotz dieser wunderlichen Predigt blieben ihm die Zwölf treu. Besonders für Kephas bot sich da die Gelegenheit seine absolute Ergebenheit zu beweisen und noch einmal zu verkünden: »Du bist Christus, der Sohn Gottes.«

Wahrscheinlich bestand schon damals bei den gemeinsamen Mahlzeiten der Zeit irgendein Brauch, auf den sich die Rede bezog, die von den Leuten in Kapernaum so übel aufgenommen wurde. Doch die apostolischen Traditionen bezüglich dieser Sache weichen sehr voneinander ab und sind vielleicht absichtlich unvollständig. Die synoptischen Evangelien nehmen eine einzige feierliche Handlung an, die den mysteriösen Ritus die Grundlage bot und sie lassen sie bei dem letzten Abendmahl zur Geltung kommen. Johannes, der uns eben den Vorfall in der Synagoge zu Kapernaum überliefert hat, erwähnt kein Wort von dieser Handlung, obgleich er das letzte Mahl sehr ausführlich erzählt. Sonst sehen wir, daß Jesus am Brechen des Brotes erkannt wird, als wäre dies für die, welche mit ihm in Verkehr gestanden, das charakteristische Kennzeichen seiner Person gewesen. (Luk. XXIV, 30, 35.) Nachdem er tot war, war die Gestalt, in der er in der frommen Erinnerung seiner Jünger sich zeigte, die eines Vorsitzenden bei einem mystischen Mahl, das Brot haltend, es segnend, es brechend und den Anwesenden bietend. (Luk. XXIV, 30, 35; Joh. XXI, 13.) Man mag annehmen, daß das eine seiner Gewohnheiten war, und daß er in diesem Moment besonders liebenswürdig und zärtlich sich zeigte. Ein materieller Umstand, das Vorhandensein von Fischen auf dem Tische – ein frappanter Beweis, daß der Ritus am Gestade des Sees von Tiberias entstanden ist Vergl. Matth. VII, 10; XIV, 17; XV, 34; Mark. VI, 38; Luk. IX, 13; XI, 11; XXIV, 42; Joh. VI, 9; XXI, 9. Die Gegend des Sees von Tiberias ist die einzige in Palästina, wo der Fisch einen wesentlichen Bestandteil der Ernährung bildet. – war an sich beinahe schon feierlich und wurde ein notwendiger Teil der Vorstellung, die man sich von dem heiligen Mahle machte. (Joh. XXI, 13; Luk. XXIV, 42, 43.)

Die gemeinschaftlichen Mahlzeiten waren der jungen Gemeinde zu den holdesten Stunden geworden. In dieser Zeit kamen sie zusammen; der Meister sprach mit jedem einzelnen und Pflegte ein heiteres, zwangloses Gespräch. Jesus liebte diese Zeit und sah seine geistige Familie gerne um sich vereint. (Luk. XXII, 15.) Die Teilung eines Brotes unter allen wurde als eine Art Gemeinschaft betrachtet, als gegenseitige Verbindung. Der Meister gebrauchte dabei die allerkräftigsten Ausdrücke, die später zu buchstäblich genommen wurden. Jesus war gleichzeitig sehr idealistisch in der Auffassung und sehr materialistisch im Ausdruck. In der Absicht, den Gedanken Ausdruck zu geben, daß der Gläubige nur von ihm lebe, daß er völlig (Leib, Blut und Seele) das Leben des rechten Gläubigen darstelle, sprach er zu seinen Jüngern: »Ich bin euere Speise,« was bildlich ausgedrückt dann lautete: »Mein Fleisch ist euer Brot, mein Blut ist euer Trank.« Dann führte ihn seine Redeweise, die stets sehr substanziell war, noch weiter. Auf die Speisen deutend, sagte er am Tisch: »Das bin ich,« und das Brot aufnehmend: »Das ist mein Leib,« auf den Wein deutend: »Das ist mein Blut« – alles Redensarten, gleichbedeutend mit: »Ich bin euere Speise.«

Dieser mysteriöse Ritus kam bereits als Jesus noch lebte zu großer Wichtigkeit. Wahrscheinlich bestand er schon ziemlich lange vor der letzten Reise nach Jerusalem und mochte eher das Ergebnis einer allgemeinen Doktrin sein, als das einer bestimmten Handlungsweise. Nach Jesu Tod wurde er zum großen Symbol der christlichen Gemeinde (Apostelg. II, 42, 46), dessen Feststellung auf den feierlichsten Moment im Leben des Heilands bezogen wurde. Man wollte in der Konsekration von Brot und Wein, eine Abschiedserinnerung sehen, die Jesus seinen Jüngern zurückließ im Augenblick, wo er aus dem Leben geschieden ist. (1. Korinth. IX, 20 ec.) Man fand Jesu selbst in diesem Sakramente. Der ganze geistige Gedanke von der Anwesenheit der Seelen, – der am häufigsten bei dem Meister zum Ausdrucke kam, der ihm z. B. sagen ließ, er werde persönlich unter den Jüngern sein (Matth. XVIII, 20) wenn sie in seinem Namen sich versammeln – ließ diese Deutung leicht zu. Jesus hatte, wie schon bemerkt wurde, nie eine klare Vorstellung dessen, was die Individualität bildet. Bei dem Grad der Exaltation, den er erreicht hatte, drückte bei ihm der Gedanke das Ganze so völlig aus, daß der Leib nicht mehr in Betracht kam. Man ist eins, wenn man sich liebt, wenn man füreinander lebt – wie hätte da er und seine Jünger nicht eins sein sollen? (Joh. XII.) Seine Jünger nahmen dieselbe Ausdrucksweise an. Diejenigen, die durch Jahre von ihm gelebt hatten, sahen ihn stets mit dem Brot in der Hand, und den Kelch in den »heiligen, verehrungswürdigen Händen« (sehr alter Kanon der griechischen und lateinischen Messe), wie er sich selbst darbietet. Er war es, den man aß, den man trank; er wurde das wahre Osterlamm, nachdem das alte durch sein Blut ersetzt wurde. In unserer hauptsächlich bestimmten Sprache, wo stets die strenge Unterscheidung vom eigentlichen Sinn und Metapher gemacht werden muß, ist es unmöglich Stileigenarten zu übertragen, deren Haupteigenart darin besteht, daß dem Metapher, oder genauer bestimmt, der Idee eine volle Realität gegeben wird.


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