Friedrich von Raumer
Geschichte der Hohenstaufen und ihrer Zeit, Band 4
Friedrich von Raumer

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Erste Beilage.

Über Peter von Vinea.

Alle meine Bemühungen, über Peter von Vinea in Italien irgend etwas erhebliches, insbesondere aufklärende Nachrichten von seiner Verrätherei zu finden, sind vergebens gewesen. In Neapel besaß die große Bibliothek nicht einmal ein gedrucktes Exemplar seiner Briefe, viel weniger Handschriften; niemand konnte mir Auskunft über seine angeblich ungedruckten Werke geben. Auf der vatikanischen Bibliothek in Rom habe ich dagegen folgende Handschriften gesehen:

  1. Codex mscr. Palatinus No. 954. fol. Das erste Buch hat 34 Briefe bis regi Franciae narrans etc., das zweite 59, das dritte 87, das vierte 16, das fünfte 137, das sechste 33. Die Handschrift ist auf Papier von 1434.
  2. Codex Palatin. No. 955 fol., auf Pergament. Die sechs Bücher zählen 34, 59, 87, 16, 137, 32 Briefe. Im sechsten Buche fehlt der letzte; dann folgt a) Gregors Antwort auf Friedrichs Schreiben Collegerunt etc., b) epist. 38 und 39 des ersten Buchs, c) einige Briefe Cassiodors, d) der Brief eines Unbekannten an Peter von Vinea und Thaddäus von Suessa, daß in den Schulen 633 litigium jocosum nobilitatis et probitatis entstanden, aber nicht zu Ende geführt sey. Sie möchten entscheiden u. s. w.
  3. Codex Palatin. 972, auf Pergament schön geschrieben und älter als Nr. 955. Die sechs Bücher enthalten 28, 59, 85, 16, 131, 29 Briefe.
  4. Codex Palat. 953, wohl der älteste unter den codd. Palatinis; aber er enthält nicht den ganzen Peter, sondern in ungewöhnlicher Ordnung allerhand Briefe, auch der Päpste und anderer Personen.
  5. Codex Vaticanus, No. 5985 fol., Pergament, wahrscheinlich aus dem vierzehnten Jahrhundert. Die Bücher haben 22, 68, 132, 15 Briefe. Die Ordnung ist in vielem von der gedruckten abweichend.
  6. In der Bibliothek der Königinn Christine findet sich keine Handschrift der Briefe Peters.
  7. Cod. mscr. in der Bibliotheca Barberina fol., auf Pergament und alt. Die Bücher 2–6 stimmen in Zahl und Ordnung mit der amberger Ausgabe. Im ersten Buche sind einerseits einige Lücken (Buch I, 24 hat die Überschrift: Manfredus excusat se domino Papae, cum reverentia dicens, quod petita fieri commode non possunt), andererseits aber auch mehre Briefe enthalten, die sich nicht in den gedruckten Hauptsammlungen befinden.

Gewiß würden diese Handschriften, wenn auch nur sehr wenig neue Briefe, doch erhebliche Lesarten zur Berichtigung so vieler mangelhaften Stellen darbieten; mir fehlte aber, da so viel ungedruckte Urkunden zur Hand waren, alle Zeit, bloße Varianten gedruckter Sachen zu sammeln. Die treffliche, sehr reiche Handschrift der Briefe Peters und anderer, welche sich auf der königlichen Bibliothek in Berlin befindet, verdient an anderem Orte eine genauere Beschreibung. Keine einzige Handschrift welche ich sah, zeigt Jahr und Tag der Briefe an.

Nachrichten über Peter geben Sarti de claris professoribus I, 1, 128, Toppi Bibliotheca Napoletana S. 250 und Nikodemus Zusätze S. 198.  634 Tafuri Serie degli scrittori Napoletani zum Jahre 1246 und dessen Opusculi scientifici XXIV, S. 306. Doch enthalten sie alle nur die bekannten Dinge. Nach Toppi befanden sich Peters Werke handschriftlich im Museum von Giacomo Capece Galeota. Ich habe darüber so wenig etwas näheres erfahren können, als über eine Lebensbeschreibung Peters von Antonio Cavalieri, welche irgendwo handschriftlich vorhanden seyn soll.

Eine gründliche Beurtheilung der iselinschen Ausgabe von 1740 giebt das Giornale de' Letterati (Tom. I, parte I, S. 60. Firenze 1742.)

Gedichte Peters finden sich unter andern in Leonis Allatii poeti antichi S. 503, und in Corbinelli rime antiche S. 88.

Aus den Commentaren zu der bekannten Stelle Dantes über Peter von Vinea (Inferno XIII, 50) und aus einigen andern Werken theile ich folgendes mit:

  1. Benvenuto Rambaldi sagt: Peter sey von ganz niederem Herkommen, aber ein großer Rechtsgelehrter und Stilist gewesen. Man habe ihn verleumdet und gesagt: er sey reicher als der Kaiser, schreibe seiner Klugheit alle Thaten desselben zu und verrathe dem Papste die Geheimnisse. Diese Reden wären dem Kaiser wahrscheinlich geworden, weil Peter sich seiner nicht genügend aus der Kirchenversammlung angenommen habe.
  2. Benvenuto von Imola erzählt zweierlei:
    1. daß Peter sich, nach der Blendung, aus dem Fenster des Gefängnisses herabstürzte, als der Kaiser vorbeiging, und
    2. daß man ihn an mehren Orten umherführte, und er sich in Pisa den Kopf gegen die Mauer einstieß. Er glaubt indeß keinem von diesen Berichten, sondern hält es für wahrscheinlich, daß Peter im Gefängnisse blieb und sich daselbst umbrachte.
  3. Francesko Butri aus Pisa erzählt (Mscr. in der Bibliotheca Riccardiana zu Florenz Nr. 1006): Peter ward 635 auf einem Maulesel sitzend nach Pisa gebracht, ließ sich in die Kirche führen und fragte seinen Begleiter, ob zwischen ihm und der Kirchmauer etwas stehe? Auf die verneinende Antwort lief er mit dem Kopfe so heftig dagegen, daß er starb.
  4. Ein anderer Commentator zum Dante (Riccardiana No. 1004) sagt: Peter erweckte zuerst Verdacht in dem Kaiser gegen seinen Sohn Heinrich und veranlaßte die harten Maaßregeln, welche Friedrich nachher bereute, wie der: Misericordia pii Patris anfangende Brief bezeugt. Ferner schrieb Petrus, wie aus der Gleichheit des Stils der Briefe hervorgeht, auch für den Papst, gegen den Kaiser, und die Barone sagten diesem: wie er dich durch Verdacht um deinen Sohn gebracht, wird er dich um alle treuen Diener bringen. Petrus brachte sich selbst um; über die Art und Weise schweigt die Handschrift.
  5. Salimbeni der Minorit erzählt (Handschrift in der Bibliotheca Vaticana p. 293-94): der Kaiser hatte seinen Gesandten befohlen: es solle durchaus keiner auf der Kirchenversammlung in Lyon allein mit dem Papste sprechen und verhandeln. Dies that Petrus aber mehre Male, und wurde deshalb nach der Rückkunft von seinen Genossen angeklagt. Der Kaiser, welcher in jener Zeit leicht Argwohn faßte, klagte laut über sein Unglück und ließ ihn verhaften. Überhaupt hatte Friedrich die Gewohnheit, jeden den er erhob, nachher zu erniedrigen und ihm das Gegebene wieder abzunehmen; seiner Äußerung gemäß: quod nunquam nutrisset aliquem porcum, cujus non habuisset exungiam.
  6. Bonati (de Astronomia pars I, tractatus 5, consid. 141, p. 210, edit. Basil. 1550) berichtet: quidquid Petrus faciebat, imperator habebat ratum; ipse autem multa retractabat et infringebat de his, quae faciebat imperator. - Beatus reputabatur, qui poterat fimbriolam aliquam habere gratiae ipsius. Nach der gemeinen Meinung habe sich Petrus den Kopf gegen die 636 Wand zerstoßen und, andere Güter ungerechnet, 10,000 Pfund Augustanen hinterlassen.
  7. Giustiniani (Memorie istoriche degli scrittori legali del regno di Napoli 1788, 3 Vol. 4.) äußert: man wisse nicht mit Bestimmtheit, wann Peter Rath und Notar ward, und eben so wenig Ort und Art seines Todes. Ja nicht einmal der Zeitpunkt der Ungnade stehe fest; doch könne man ihn nicht vor dem Junius 1249 ansetzen. Daß er Kanzler gewesen, sey nicht vollkommen zu erweisen. Den Nachlaß berechnet Giustiniani (gewiß übertrieben) auf 900,000 neapolitanische Dukaten.
  8. Der Predigermönch Peter von Aqui, welcher im Anfange des vierzehnten Jahrhunderts lebte, erzählt (Moriondus Memoriae Aquens. II, 151). Friedrich II kam einst in das Haus Peters und ging ungehindert bis in ein Zimmer, wo er dessen Frau mit unbedeckten Armen schlafend fand, sie, ohne irgend etwas weiteres vorzunehmen, zudeckte, aber zufällig oder vorsätzlich seine Handschuhe liegen ließ. Peter fand diese, und sprach aus Eifersucht seitdem nicht mit der Frau. In Gegenwart des Kaisers kam es darüber zu Erklärungen, wo Peter bildlich andeutend sagte: una vigna o pianta, per travers e intra, chi la vigna mia guasta, an fait gran pecca di far a mi tant mal. Die Frau antwortete: Vigna sum, vigna sarai, la mia vigna non falli mai. Darauf Peter: se cossi e, come e narra, plu amo la vigna, che fis jamai. Nun sey eine neue Einigung erfolgt, und Peter habe in der Heiterkeit seines Herzens ein Gedicht gemacht, de XII mensibus anni et de proprietatibbus eorum.
  9. Sismondi (III, 80) spricht von einer pisanischen Handschrift, aus der hervorgehen solle, daß Peter in Pisa starb. Er citirt Flaminio del Borgo Dissert. IV, §. 2, p. 257, die ich nicht habe erhalten können.
  10. Malespini 131, und Villani VI, 22 sagen: lo imperatore fece abbacinare el savio uomo Pietro delle Vigne opponendogli tradimento. Ma cio gli fu fatto 637 per invidia del suo grande stato; per la qual cosa il maestro per grande dolore si lascio morire in prigione, e chi disse che egli medesimo si tolse la vita. Ähnlich äußert sich Johann. de Mussis zu 1248; desgleichen Pipin II, 39, welcher nur noch den Verdacht berührt: quod in vitulo ejus arabat.
  11. Die Annal. Mediol. erzählen zu 1239: die Mailänder hätten mit Peter verhandelt: er solle den Kaiser im Bette ermorden; worauf ihn dieser, nach erhaltener Kunde, habe blenden lassen.
  12. Im Junius 1249 nennt der Kaiser Petern einen proditor; er befiehlt, daß mehre seiner Güter und derer, die sein Bruder Tomaso und Tafuro und Angelo delle Vigne besaßen, dem erwählten Bischofe von Kapua ausgehändigt werden sollten, da sie diese Besitzungen (vielleicht auf ungebührlichem Wege) von der Kirche zu Kapua erhalten hätten (Daniele 86).

Zu diesen Nachrichten fügen wir nur wenige Bemerkungen hinzu:

a) Das Benehmen Peters in Lyon kann aus den bereits im Texte angegebenen Gründen nicht Ursache seines Falls gewesen seyn; und eben so wenig eine Verhandlung über die Ermordung Friedrichs vom Jahre 1239. Wollte man aber diese Zahl in 1249 verwandeln, so bleibt es doch unwahrscheinlich, daß Peter sich mit einer ganzen Stadt über Plane solcher Art eingelassen haben sollte.

b) Peter, der 1212 schon kaiserlicher Notar war (Rosselli miscellanee storiche spettanti alla Sicilia), zählte um die Zeit seines Falls gewiß sechzig, der Kaiser fünfundfunfzig Jahre, und jener hatte mehre Kinder (Epist. IV, 13; V, 19). Deshalb möchten wir den hingeworfenen Sagen über Eifersüchteleien kein Gewicht beilegen.

c) Im Mai 1249 war Friedrich in Pisa (Affò storia 638 di Parma III, 386), und im Junius nennt er ihn Verräther; deshalb könnten seine Verhaftung und sein Tod wohl in jener Stadt eingetreten seyn. Ob ihn Friedrich habe blenden lassen, steht nicht mit vollkommener Gewißheit fest; es ist wahrscheinlich, daß Peter sich selbst aus Verzweiflung den Tod gab. 639

 


 


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