Friedrich von Raumer
Geschichte der Hohenstaufen und ihrer Zeit, Band 4
Friedrich von Raumer

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Achtes Hauptstück.

{1256 bis 1266} In Deutschland blieben die Verhältnisse während dieser Jahre denen ähnlich, welche wir bereits oben geschildert haben. Der Fehden war noch immer kein Ende, und wenn sich einerseits hiebei oft persönliche Tüchtigkeit und ein reiches frisches Leben zeigte, so darf man doch andererseits die Masse des Zerstörten nicht übersehen und muß behaupten: daß sich, bei näherer Beziehung auf Gesetze, bei größerer Anerkenntniß von gemeinsamen höhern Rechten und Richtern, die Mittel und Wege irdischer Fortschritte so wie geistiger Entwickelung nicht würden gemindert, sondern gemehrt und verklärt haben.

Die Grafen von Holstein, Herzog Albert von Braunschweig und die Bürger von Lübeck, welche sich mit Nachdruck der Dänen erwehrtenDaniae chron. I, bei Ludw. reliq. IX, 3.  Annal. Albiani bei Langebek I, 211.  Annal. Esrom. ib. 246. Besonders zu 1259–1262., waren in diesem Wirken gegen Fremde vielleicht am tadellosesten; doch fehlt es nicht an Klagen über ihre willkürliche Behandlung der Geistlichen und der Kirchengüter. – Albert, welcher Elisabeth die Stieftochter Sophiens von Brabant geheirathet hatte, verfocht die Ansprüche ihres Sohnes Heinrichs des Kindes gegen 542 Heinrich den Erlauchten, ward aber am 28sten Oktober 1264 von diesem bei Halle geschlagen, gefangen und erst losgelassen, als er 8000 Mark zahlte und acht Burgen abtratWeiße Geschichte von Sachsen I, 279.  Vitodur. 5.  Über die Ansprüche des Erzbischofs von Mainz auf thüringische Erbstücke, siehe Gudeni cod. I, 681.. Hieraus folgte, daß Heinrich das Kind im Jahre 1265 auf Thüringen Verzicht leisten, und sich mit Hessen und den Städten an der Werra begnügen mußte. – Dieselbe Summe, welche Heinrich der Erlauchte von Albert erhielt, hatte dieser, wenige Jahre vorher, dem gefangenen Erzbischofe von Mainz als Lösegeld abgenommenRohte 1742, zu 1262.  Wadding III, 249.. – Erzbischof Engelbert von KölnSecuris 260, zu 1264. lebte in bösen Händeln mit der Bürgerschaft; und in TrierHontheim hist. Trevir. I, Urk. 503, 507, 512, 514.  Martene thes. II, 548.  Gesta Trevir. Mart. 257. war lange Zeit große Klage, daß der Erzbischof Arnold seinen Pflichten nicht nachkomme, sich die Kirchengüter zueigne u. dergl. Nach dessen Tode erneute sich der Streit über die Wahl und das Benehmen seines Nachfolgers Heinrich; bis der Papst Urban, weil ihm die Berichte der zur Sache beauftragten Bischöfe nicht genügten, aller ächten Kirchenordnung zuwider einigen Minoriten, und weil auch deren Benehmen ihm mißfiel, zuletzt einem bloßen Pfarrer die Untersuchung gegen Kapitel und Erzbischof übertrug!

Andere Fehden fanden statt zwischen Jülich und KölnErfurt. chr. S. Petrin. zu 1260–1265.  Spieß Nebenarbeiten I, Urk. 151., zwischen den von zwei Parteien gewählten Bischöfen von Würzburg, zwischen diesen und dem Grafen von Orlamünde über Theile der meranischen Erbschaft u. s. w. – Im Salzburgischen bekriegten sich die Erzbischöfe und das Kapitel achtzehn Jahre langSalisburg. chron. Canisii 483. sq. und Salisb. chron.; und die Herzöge von Baiern 543 {1256 bis 1266} und die Grafen von Tirol nahmen die Gelegenheit wahr, wenn auch nicht immer Vortheile zu erfechten, doch dem Lande vielfach zu schaden. – Ein Wunder, daß der Erzbischof von Salzburg die Befreiung des Patriarchen von AquilejaRubeis 751, zu 1267., Gregors von Montelongo, durchsetzen konnte, welchen Graf Albert von Görz gefangen nahm und, wahrscheinlich aus Zorn wegen dessen früherer Verfolgung der Ghibellinen, auf schlechtem Pferde und barfuß nach Görz reiten ließ.

An der Ostgränze von Deutschland befehdete Ottokar, der Beherrscher Böhmens und Österreichs, den König Bela von Ungern, welcher den Umfang seines Reichs abendwärts vergrößern wollte, als drohten nicht vom Morgen her weit größere GefahrenNoch 1261 fanden Kirchenversammlungen und Prozessionen in Mainz statt gegen die Mongolen.  Harzheim III, 611.  Gud. cod. I, 681.. Aber Bela ward am dreizehnten Julius 1260 bei Kressenbrun so geschlagen, daß er dem Böhmen Steiermark abtreten, und zur Befestigung des Friedens seine schöne Nichte Kunigunde vermählen mußteAventin. annal. VII, 7, 10.  Rauch Gesch. v. Österreich III, 208.  Staindel.  Pulkava.  Salisb. chron. zu 1257, u. Salisb. chron. Canis. 484.  Udalr. chron. August. zu 1258.  Mellic. chr. Neuburg. chron.  Monach. Patav. 714.  Lambacher 78.. Ottokar verstieß nämlich unter dem Vorwande der Unfruchtbarkeit seine bisherige Gemahlinn, Margarethe von Österreich, welcher er ohnehin nicht treu gewesen warLeobiense chron. 825.  Pappenh. zu 1261.  Pulkava 222, 231.  Hasselbach 730.  Ludw. reliq. XI, 305.  Martin. Polon. 1423.; und diese ging hierauf zum zweiten Male ins Kloster, wenig von den Leuten geachtet, weil sie, um Heirath und Herrschaft willen, dem ersten Gelübde untreu geworden sey. Sie starb 1265 in Krems, einer unverbürgten Sage nach an Gift.

Minder glücklich, als gegen Ungern, kriegte Ottokar 544 {1256 bis 1266} gegen Baiern, und bat endlich den Herzog Heinrich, er möge nach Wels kommen, damit man durch mündliche Unterhandlung allen Zwist über Österreich und die Landesgränzen beilege. Während Heinrich aber diesen freundlichen Aufforderungen traute, überfiel Ottokar arglistig Passau, drang vor bis in die Gegend von Landshut und lagerte bei Fronhofen. Schneller jedoch, als er es für möglich hielt, sammelte Herzog Ludwig ein Heer, und ließ ihm durch Gesandte seinen Friedensbruch und die Geringschätzung aller Bande des Bluts vorwerfenBavar. chr. ap. Pez. II, 78.  Pappenh. zu 1267. – Bela war Herzog Heinrichs Schwiegervater, und Heinrich und Ludwig sonst nicht immer einig.  Gemeiner Chron. 385.. Ottokar bat um einen Waffenstillstand für einen Tag, und entfloh mit wenigen; die mehresten seiner Leute, welche so schnell nicht folgen konnten, wurden dagegen am 25sten August 1257 bei Mühldorf am Inn von den Baiern eingeholt und angegriffen. Die Brücke über den Strom brach unter der zu großen Last; an 400 ertranken; fast alle andern wurden getödtet oder gefangen, und diejenigen, welche sich in benachbarte Thürme gerettet hatten, mit denselben auf Ludwigs Befehl niedergebrannt. Der im Oktober zu Cham geschlossene Friede lautete natürlich vortheilhaft für Baiern; doch erneuten sich die Fehden in den folgenden Jahren.

Vergebens hoffte man, daß von Seiten der beiden deutschen Könige etwas zur Herstellung des Friedens und zu einer gesetzlichen und rechtlichen Entscheidung so zahlloser Fehden geschehen werde. Alfons blieb in Kastilien und hatte fast gar keinen Einfluß auf Deutschland: denn wenn sich auch einmal ein Vasall von ihm belehnen ließ, wie Herzog Friedrich von LothringenLeibnitz cod. Urk. 13., so wurde doch der Urkunde sogleich hinzugesetzt: dieser wolle und solle zu nichts verpflichtet seyn, sobald Alfons nicht binnen zwei Jahren nach Deutschland komme und Kaiser werde. Eben so fruchtlos 545 {1256 bis 1266} blieben seine Versuche, eine Kriegsmacht durch den Herzog Heinrich von Brabant anzuwerben und aufzustellenLünig cod. Germ. II, 1111, Urk. 58..

Thätiger war eine Zeit lang allerdings Richard: aber fast immer brachte sein Eifer nur Einzelnen Vortheil auf Kosten des Ganzen, oder Mächtigern auf Kosten der Schwachen. So belehnte er z. B. den Grafen von Savoyen mit den Gütern Graf Hermanns von KyburgLünig Reichsarch. cont. II, Abth. 4, Absatz 12, von Savoyen, Urk. 7., und den König Ottokar von Böhmen (unter Verletzung mancher Formen) mit Österreich und SteiermarkLambacher Urk. 29, und Seite 78.  Lünig Reichsarch. cont. I, Forts. 1. von kaiserl. Erblanden Urk. 5.. Er überließ dem Grafen Ulrich von Wirtenberg die Reichsstadt Eßlingen, über welche Minderung ihres Standes diese sehr gerechte Klagen erhobArchiv von Stuttgart.  Gebauer Leben Richards 374.. Und wenn der König so viel gab, so nahm man aus eigener Macht noch mehr; wenn er so wenig schützte, so sah man sich nach einem andern Schutzherrn um. Dem gemäß vermachte Herzog Ulrich von KärnthenLünig Reichsarchiv, pars spec., cont. I, Absatz 6, von Kärnthen Urk. 85.  Unrest kärnthische Chron. 494.  Auch in Baiern hatte schon Herzog Otto viel eröffnete Reichslehen eingezogen.  Aventin. ann. VII, 6, 11.  Die Berner Urk. hat Lünig. R. A. cont. II, Abth. 4, Absatz 12, v. Savoyen Urk. 8. an Ottokar von Böhmen nicht bloß sein Allode, sondern auch seine Lehen; daher nahmen die Berner den Grafen Philipp von Savoyen zum Schutzherrn an, bis ein deutscher König in ihre Gegend komme. – Anstatt aus eigener Macht, nach Weise der großen Hohenstaufen, die Freiheit und Unabhängigkeit des deutschen Reiches zu behaupten, oder sich doch in Zeiten der Ohnmacht vor leichtsinnigem Preisgeben zu hüten; nahm Richard keinen Anstoß daran, die Bürger Frankfurts im voraus ihres Huldigungseides zu entbindenLünig Reichsarch. cont. IV, Abth. 14, Urk. 9., sofern der Papst ihn nicht bestätige; und diese 546 {1256 bis 1266} fanden es wohl klug obenein, sich so nach allen Seiten gegen Acht und Bann gedeckt zu haben!

Bei solcher, von Hohen und Niedern offenkundig dargelegten Anerkenntniß der kirchlichen Oberherrschaft, war es kein Wunder, daß sich die Päpste die Entscheidung des Streites zwischen beiden Königen vorbehielten; allein in diesem Augenblicke lag ihnen keineswegs daran, ein zugestandenes Recht schnell auszuüben. Ihr nachdrücklicher Beistand hätte Einem wahrscheinlich das Übergewicht verschafft, Deutschland einig im Innern und wiederum mächtig nach außen gemacht; welche Folge ihnen aber nicht willkommen, sondern gefährlich erschien. Anstatt also, wie der größer gesinnte Innocenz III, den Deutschen mit Ernst die Nachtheile und das Verwerfliche solcher Spaltungen vorzuhalten, anstatt, wie ein wahrer Vater der Christenheit, für schleunige Herstellung der Ordnung und des Rechts alle Mittel aufzubieten und anzuwenden; blieb es bei schönen Worten, während man gern die sich zahlreich darbietenden Gelegenheiten und Vorwände des Zögerns ergriff. Als endlich Alexander IV dem Zwiste ein Ende machen und offen für Richard entscheiden wollteRaynald zu diesen Jahren.  Rymer foed. I, 2, 44.  Cod. Vindob. philol. No. 305, fol. 36, 39, 55; No. 61, fol. 26., starb er; und Urbans, seines Nachfolgers Benehmen war, trotz dem Scheine von Unparteilichkeit und Gründlichkeit, für Deutschland so einseitig und verderblich, wie für ItalienSiehe Gebauers Kritik des päpstlichen Benehmens 206–208.. Während der vier Jahre seiner Regierung war die Sache dem Ziele auch nicht um einen Schritt näher gekommen. Als aber mehre ächt deutsch GesinnteGebauer 195. Die Statthalter, welche Richard während seiner Abwesenheit setzte, waren nur auf ihren Vortheil bedacht.  Wormat. chron. 128.  Rymer foed. I, 2, 103.  Math Paris 670. (weil Richard am vierzehnten Mai 1264 in der Schlacht bei Lewes von den englischen Baronen gefangen ward, und eine königliche Regierung bis auf den letzten Schein 547 {1256 bis 1266} verschwand) nochmals den Gedanken faßten, den letzten Sprossen des großen hohenstaufischen Kaiserhauses, Konradin auf den Thron zu setzen; da war Urban schnell mit entscheidenden Verboten und GegenerklärungenRymer foed. I, 2, 80. zur Hand: »dies Geschlecht,« so schrieb er, »hat die Tyrannei aller andern Verfolger der Kirche weit überboten, sie schwerer beleidigt,. mit härterer Unterdrückung betrübt, zu ihrer mörderischen Ausrottung den Bogen der Wuth und das Schwert der Wildheit geschwungen, sie mit schrecklichen Geißelungen geängstet und bis ins Innerste verwundet und zerrissen. In diesem schändlichen Geschlechte hat sich die alte Bosheit und die Ähnlichkeit der Thaten von dem Vater auf den Sohn vererbt; und gerade in dem sicilischen Reiche, dem Eigenthume der Kirche, war zur Verdoppelung unseres Schmerzes ihre Herrschaft am unumschränktesten und ihre Verfolgung am gewaltigsten. Denn weder die Kirchen, noch die geistlichen Güter, noch die Geistlichen selbst entgingen der Wuth jener Drachen; vielmehr ward alles dasjenige, was den geistlichen Namen trug, von ihrem größten und heftigsten Hasse getroffen, u. s. w.«

Ferner verbotCod. Vindob. phil. No. 61, fol. 61; No. 305, fol. 55.  Tschudi I, 145. Urban: daß Konradin neue Erwerbungen, etwa von Reichsgut mache und wies den Bischof Eberhard von Konstanz, einen gebornen Truchseß von Waldburg, streng zurecht, daß er ohne seine Genehmigung die Mitvormundschaft für den Jüngling übernommen habe. Ganz in demselben Sinne schrieb Klemens dem Erzbischofe von KölnCod. Vindob. phil. No. 61, f. 76; No. 305, f. 136.: »die frühere Doppelwahl, der Spruch der Kirche, Stamm und Geschlecht ständen der Erhebung Konradins entgegen, und überdies sey er, obgleich noch zarten Alters, doch von frühreifer Bosheit. Jeden Laien, der für ihn wirke, treffe Bann und Verlust aller Kirchenlehen, aller Wahlrechte und aller Wahlfähigkeit auf vier Geschlechter hinab; 548 {1256 bis 1266} der Geistliche sey entsetzt, ohne weitere Untersuchung und Rückfrage.« Bei solchen Gesinnungen und Äußerungen der Päpste, mußte man, wenn auch nicht unzählige andere Hindernisse eingetreten wären, jenen Gedanken fahren lassen und sich im einzelnen helfen, so gut man konnte.

Der Städtebund am Mittel- und Nieder-Rhein ward erneut und erweitertAventin. ann. VII, 7, 4., und ähnliche Verbindungen trafen zu wechselseitigem Schutze mehre Landschaften in der SchweizLünig R. Arch., pars spec., cont. I, Anhang 4, Absatz von der Schweiz, Urk. 34, S. 204.. Im Jahre 1259 schlossen zu Köln einen besondern LandfriedenKindlinger Beiträge II, Urk. 78. der Erzbischof Konrad, die Herzöge von Geldern, Kleve und Jülich, die Grafen von Mons und Sayn, der Bischof von Utrecht und viele Städte, wodurch den Kaufleuten, Pilgern, Reisenden u. a. Sicherheit versprochen wurde, sofern sie nur die gesetzlichen Zölle und Abgaben entrichteten. Einige dazu eigens bestellte tüchtige Männer sollten gegen Übertretungen wachen. – Im Jahre 1266 hielt der Erzbischof von Köln eine Kirchenversammlung, wo BeschlüsseConcil. XIV, 335. gefaßt wurden: wider Verächter des Kirchenbannes, Eingriffe in geistliche Steuerfreiheit und Gerichtsbarkeit, Störung der Versammlung, ungehorsame Zehntpflichtige, Eindringen und Einschleichen in Kirchengüter; ferner gegen Laien und Geistliche, welche an Geistlichen Gewalt, ja Mord verübten. – Schlüsse solcher Art zeigen nun zwar die Größe des Übels, und wie die alte Reichs- und Kirchen-Ordnung geschwunden war: aber sie halfen keineswegs hinreichend. Sonst hätten (um aus vielem einiges herauszuheben) Adeliche den Bischof von Merseburg wohl nicht fangen, zu schwerer Lösung und obenein zum Eide zwingen dürfen, daß er das Geld nicht wieder fordern, auch keine Klage erheben wolleLudwig reliq. IV, 397.; sonst hätte es mit Klöstern wohl nicht dahin kommen können, daß sie, statt 549 {1256 bis 1266} sechzig Menschen, kaum drei zu ernähren im Stande warenKlage des zum passauer Sprengel gehörigen Klosters Ranshofen.  Monum. boica III, 334. Urk. von 1267..

So viel geht wenigstens aus dem allen klar hervor, daß Deutschland als solches, als ein Ganzes, durchaus keinen Einfluß auf italienische Angelegenheiten ausüben konnteRichard schrieb zwar, er werde nach Italien kommen, und schickte Gesandte dahin ab: aber er konnte seinen Vorsatz nicht ausführen.  Codex epist. 4957, S. 96.. Und wenn Konradin durch sein Recht dazu auch unbezweifelt persönlich berufen, ja verpflichtet war; so fehlte dem Vereinzelten doch die Macht, und es mußte vieles vorhergehen und zusammentreffen, ehe er dem eigenen Antriebe und den fremden Aufforderungen Gehör geben durfte. Deshalb wird es nöthig, nach diesen für eine allgemeine Übersicht des Zusammenhanges erforderlichen Andeutungen, unsere Blicke von Deutschland hinweg, wieder nach Italien zu wenden.

Daß nach dem Falle Manfreds, des edelsten, geistreichsten und mächtigsten unter den Ghibellinen, die Übermacht in ganz Italien wiederum den Guelfen zufallen würde, hatten alle vorhergesehen: aber wohl nur wenige in der Freude oder dem Leide des raschen Wechsels bedacht oder erkannt, wie sich das Verhältniß zu ihrem neuen und gerade zu diesem Schutzherrn gestalten werde und müsse. Die Torre in Mailand schlossen sich, bei ihren unlöslichen Mißverständnissen mit Palavicini und den Viskonti, freiwillig dem Könige Karl an, der ihnen auch dafür sogleich einen Podesta, Enguerrand von BaurMurat. ann. zu 1266.  Stephanardus S. 67–71.  Mediol. ann. zu 1265 und 1266., setzte. {1266} Anstatt daß dieser, als ein Fremder, sich von der Leidenschaftlichkeit italienischer Parteiungen hätte frei halten sollen, ließ er, um einige von Ghibellinen begangene Frevel zu strafen, zweiundfunfzig ihrer unschuldigen Verwandten auf so furchtbare 550 {1266} Weise martern und tödten, daß selbst Napoleon della Torre erschrak und ausrief: »das Blut dieser Unschuldigen wird über meine Kinder kommen!« – Den fremden, grausamen Podesta verjagte zwar das Volk, stand aber seitdem unsicher und vereinzelt zwischen den Ghibellinen und Karl von Anjou. Zur Zeit Friedrichs I hätte Mailand eine solche Stellung mit Würde behaupten können: jetzt hingegen, wo die frühere Größe, Tüchtigkeit und Einigkeit der Gesinnung dahin war, boten die Torre dem Könige Karl sogar die Herrschaft von Mailand an und glaubten: nur auf dessen Vorwort werde der Papst den Bann lösen, welcher zu allgemeinem Mißvergnügen, wegen Verwerfung des Erzbischofs Otto Viskonti, auf der Stadt lasteteTiraboschi Modena V, Urk. 907.  Ecclesia 147.. Am 23sten März 1266 kam daher ein Bund zu Stande zwischen Mailand, den Markgrafen von Montferrat und Este, dem Grafen Ludwig von Verona, den Städten Mantua, Ferrara, Bologna, Modena, Reggio, Lodi, Padua, Vercelli u. m. a. für Karl von Anjou gegen alle Feinde desselben. Hiemit war ihm die Oberleitung aller lombardischen Angelegenheiten auf eine Weise abgetreten, wie man sie rechtmäßigen Kaisern nie bewilligt hatte; und, vermöge seiner neuen Würde, gesellte er nun den mailändischen Abgeordneten die seinigen hinzu, welche die Sache jener vor dem Papste vertraten und behauptetenMediol. annal. zu 1267.: »nur mit Hülfe Mailands und der Torre habe König Karl durch Oberitalien hindurch dringen und Manfred schlagen können. Es würde sehr unrecht seyn, wenn die Kirche eines so großen Dienstes vergäße, bloß des Erzbischofes Viskonti und einiger vertriebenen Edeln halber, welche dem Tyrannen und Ketzer Ezelin angehangen hätten und jetzt Palavicini ehrten, das Haupt aller Ketzer und Kirchenfeinde. Billig erscheine es vielmehr, daß Otto abgesetzt und Raymund della Torre zum Erzbischof ernannt werde.« – Nach diesen und ähnlichen 551 {1267} Darstellungen der königlichen und der mailändischen Gesandten, glaubten die meisten, sie würden ohne Zweifel obsiegen: allein der gegenwärtige Erzbischof Otto Viskonti, ein gewaltiger, nie einzuschüchternder Mann, stand auf und antwortete: »ich und mein Haus war nie feindselig gegen Mailand: aber die Habsucht, die Erpressungen, die Grausamkeit, die Hinrichtungen der Torre zwangen uns zum Widerstande. Wir suchten Hülfe bei der Macht Ezelins, theilten aber nicht seine Grundsätze; wogegen jene freiwillig Palavicini beriefen und ihm große Gewalt einräumten. Zum Beweise der Wahrheit meiner Rede seht und hört hier einen Unglücklichen, welcher aus ihrem furchtbaren Gefängnisse entkommen ist.« – Dieser, geschickt zu solchem Zeugniß und zur Erregung des Mitleids Herbeigerufene, bestätigte Ottos Worte; worauf sich Klemens erhob und sprach: »erst wenn die Erde keinen Samen trägt, den Sternen das Licht fehlt und der Sturm nicht mehr die Lüfte bewegt, werde ich den Spruch der Kirche gegen die Torre aufheben.« – Da schwuren, um größere Gefahr zu vermeiden, die Gesandten der Torre dem Papste GehorsamAuch den angerichteten Schaden sollten sie ersetzen. Galv. Flamma 304.  Saxii archiepiscop. II, 719.; aber die Parteiungen und Verfolgungen hörten, trotz der Übermacht der Guelfen, hiemit in Mailand keineswegs auf.

{1266 bis 1267} Für niemand mußte der Fall Manfreds von wichtigern Folgen seyn, als für den Markgrafen Palavicini; weshalb bis dieser auch sogleich, um wenigstens nach einer Seite hin gesichert zu seyn, die Hände bot zur Aussöhnung mit dem Papste. Weil er aber diese Unterhandlungen seinem Mitbeherrscher von Cremona, Boso von Doaria, verschwiegen hattePlacentin. chron. mscr. zu 1266.  Martene thes. II, 302.  Memor. Regiens. 1125., so zürnte dieser, oder stellte sich erzürnt, um seinen schon frühern Abfall zu verdecken und zu beschönigen.

Palavicini verlor bei dieser Gelegenheit Cremona; ja 552 allmählich ward er, – einst durch große Klugheit und Tapferkeit Herr von Mailand, Cremona, Brescia, Piacenza, Pavia, Alessandria, Tortona –, durch die Guelfen, unter eifriger Mitwirkung päpstlicher Abgeordneten, so aller Herrschaft beraubt, daß ihm nur ein Paar unbedeutende Schlösser zu seiner persönlichen Sicherheit übrig bliebenGuercius zu 1267.  Mutin. annal.  Monach. Patav. zu 1266.  Er starb 1269.  Placent. chr. mscr.  Salimbeni 409.  Joh. de Mussis.  Sein Testament in Affò Parma III, 406.. Aber auch Boso verlor (eine gerechte Strafe seines Benehmens) noch in demselben Jahre alle Macht und allen EinflußSalimbeni 408.  Bonon. hist. miscella..

{1266} Nicht minder wichtige Veränderungen, als in der Lombardei, ereigneten sich in Florenz. Das Volk, welches zum größern Theil guelfisch gesinnt war, fing nach Manfreds Tode an über Willkür, harte Auflagen, Bezahlung fremder Söldner u. dergl. zu murren, und die von den Ghibellinen zu ihrer Sicherung und Vertheidigung ergriffenen Maaßregeln erhöhten nur die Unzufriedenheit und Gefahr. In solcher Lage hielten diese es für gerathen, etwas zu bewilligen, damit das übrige unangetastet bleibe; und die Guelfen für klug, sich mit wenigem scheinbar zu begnügen, damit nur der Weg zu größern Erwerbungen erst gebahnt werde. Zwei Podesta, dies beschloß man, sollten künftig in Florenz neben einander stehen, ein Guelfe und ein GhibellineMalespini 183, 184.  Villani VII, 14.; sechsunddreißig ehrbare Bürger und Kaufleute aus allen Parteien (die bisher ohne Fehde und friedlich gelebt hatten) erhielten, wie über manches andre, so hauptsächlich über die Staatseinnahmen und Ausgaben eine prüfende Mitaufsicht. Jede der sieben Hauptzünfte (Richter und Schreiber, Kaufleute, Wechsler, Wollenweber, Ärzte und Apotheker, Seidenwirker, Kürschner), welchen sich auch Personen anderer Gewerke anschlossen, erhielt ihre Konsuln, Befehlshaber, Abzeichen und Fahnen; damit die 553 {1266} Zusammengehörigen sich sogleich vereinigen und zum Besten des gemeinen Wesens aller Gewalt und allen schädlichen Neuerungen widerstehen möchten. – So schien das Ganze verständig geordnet und gegen einander abgewogen; ja es wäre vielleicht wirklich so gewesen, wenn man mit den bessern Formen den Parteien hätte einen bessern, oder doch minder leidenschaftlichen Geist einflößen können. Bald aber begünstigten die Sechsunddreißig mehr die Guelfen, als die Ghibellinen, und diese, empfindlich selbst über geringe Minderungen einer sonst ungetheilten Macht, beriefen ihre Freunde aus Pisa, Siena, Arezzo, Pistoja, Volterra u. a. O., um nöthigenfalls durch Gewalt die alte Lage der Dinge herzustellen. Mit Einschluß der Deutschen zählten sie an 1500 Reiter. Dennoch versammelte sich das weit schwächere Volk unter dem tapfern Soldanieri, wo nicht zum Angriffe, doch zur Vertheidigung. Auch kam es in der Stadt zu blutigen, jedoch unentscheidenden Gefechten; als Graf Guido Novello auf einmal (entweder die Gesinnungen der Mehrzahl, oder äußere Feinde fürchtend, oder einen bürgerlichen Krieg über alles verabscheuend) am 21sten November 1266 freiwillig mit den Ghibellinen Florenz verließ und nach Prato zog. Kaum aber waren sie hier angekommen, als die meisten erklärten: die ergriffene Maaßregel sey aus einer ungeheuren Übereilung, Täuschung oder Feigheit entsprungen; weshalb man sogleich, mit den Waffen in der Hand, nach Florenz zurückkehren müsse. Dies geschah: allein die Bürger ließen, Rache fürchtend, sich weder durch Bitten noch durch Drohungen bewegen, die Thore zu öffnen und Gewalt blieb, bei der guten Befestigung und Vertheidigung der Stadt, ohne Erfolg. Das Volk setzte einen neuen Podesta und Hauptmann ein, und die ungetheilte Herrschaft nur einer Partei schien wiederum befestigt zu seyn. Doch muß es nicht an edeln Männern gefehlt haben, welche von höherem Standpunkte das Ganze im Auge behielten; wenigstens kam es im Januar 1267 zu einem neuen Vertrage, vermöge dessen die Ghibellinen nochmals in die Stadt aufgenommen und durch zahlreiche 554 Wechselheirathen mit den Guelfen versöhnt wurden. Die überall Unheil bringende Einwirkung König Karls zerstörte aber dies glückliche Verhältniß, wie sich näher ergeben wird, sobald wir über dessen Regierungsweise in Neapel und seine Stellung zum Papste das Nöthige mitgetheilt haben.

{1266} Nirgends waren die vereinzelten, ihres Hauptes beraubten Anhänger ManfredsKarl ließ alle Ufer und Landungsstellen besetzen, damit alle den Ghibellinen zu Hülfe Kommenden abgehalten oder gefangen würden.  Archiv. di Zecca napol. Urk. v. 23sten März 1266. nach der Schlacht bei Benevent fähig, Widerstand zu leisten; das ganze Reich kam in die Gewalt König Karls. Nur Philipp Chinardo, Manfreds getreuer Flottenführer, segelte mit vielen Söldnern nach Epirus, damit er für Helena und deren Kinder wenigstens diejenigen Besitzungen erhalten möchte, welche sie als Ausstattung bekommen hatteDu Fresne histor. Constantinop. IV, 50.. Michael, Helenens Vater, stellte sich auch anfangs über diese Treue sehr erfreut, und gab an Chinardo die Schwester seiner Frau zum Weibe; dann ließ er ihn heimtückisch ermorden! Der habsüchtige Plan, durch diesen Mord in den Besitz jener Güter zu kommen, mißlang jedoch, weil die italienischen Besatzungen sich nunmehr lieber dem Könige Karl, als ihm ergaben.

Von dem in sich so folgerechten, in seiner Art so bewundernswürdigen Systeme der Verfassung und Verwaltung Kaiser Friedrichs blieb jetzo fast keine Spur. Zuvörderst lösete die Anerkenntniß des gesammten päpstlichen Rechts einen sehr wichtigen Theil jener Einrichtungen völlig auf: von Lehnsverhältnissen, regelmäßigen Steuern der Geistlichkeit, oder weltlichem Gerichtsverfahren gegen dieselbe war nicht mehr die Rede, und von allem Einfluß des Staates auf Kirche und Priester blieb nur ein unsicheres Patronatsrecht übrig. Ferner baten die zu Karl abgefallenen apulischen, es forderten die von ihm neu eingesetzten französischen Großen eine Herstellung der altadlichen, vom 555 {1266} Kaiser veränderten Gerichtsrechte; sie freuten sich dieses Gewinnes und sahen nicht, wie gleichzeitig die größern Gaben und Geschenke Friedrichs verloren gingen. Die höchste Gerichts- und Reichs-Behörde, die magna CuriaPecchia III, 60-75., behielt nämlich keinen Einfluß, weil der König jegliches von seiner Kammer aus mit wenigen Räthen anordnete, und überhaupt keinen Staats- oder Stände-Rath mehr wollte. Der hohe Gerichtshof ebenbürtiger Barone kam außer Thätigkeit; die so wichtigen Landtage (welche die Elemente ständischer und stellvertretender Verfassungen auf eine treffliche und damals einzige Weise vereinigten) wurden nicht berufen oder weiter ausgebildet, sondern vorsätzlich unterdrückt; – und mit dem völligen Untergange aller reichsständischen Bedeutung verlor, wir wiederholen es, der Adel, ja selbst die Geistlichkeit im wesentlichen weit mehr, als sie irgend wo anders in Kleinigkeiten zusammen gewinnen konnten. Auch unterließ Karl nicht einmal, sie in den nächsten und persönlichsten Verhältnissen zu mißhandeln: indem er, unbekümmert um Friedrichs II Entsagung, aufs neue verbotLelli discorsi III, 55., daß irgend ein Lehnsmann ohne seine ausdrückliche Erlaubniß heirathe oder seine Töchter vermähle; indem er Handelsgesetze erließ, welche die Rechte des Adels und der Geistlichkeit sehr beschränkten. Auch das bürgerliche und peinliche Recht machte Rückschritte, weil man Friedrichs treffliches Gesetzbuch erst umdeutelte und dann ganz in Vergessenheit gerathen ließCadde in dimenticanza il divino codice Suevo, sagt Gregorio introduzzione 65.  Beweis durch Kampf z. B. wurde wieder häufig gebraucht. Pecchia I, 172.  Signorelli im dritten Bande.. Hiemit ging der lebendige, geschichtliche Faden aller Entwickelungen verloren, welcher durch römische Rechtstheorien späterer Zeit um so weniger ersetzt werden konnte, als sich ein ächtes Staatsrecht durchaus nicht daran knüpfen ließ.

Überhaupt hatte Karl einen unbegränzten Haß gegen 556 {1266} alles und jedes Hohenstaufische: deshalb gerieth er in Zorn, wenn jemand die Stadt Manfredonia nannteHabuit eam exosam in totum, quod eam audire nominari non poterat.  Salimbeni 407.. und suchte, obgleich ohne Erfolg, diesen Namen zu vertilgen; darum ließ er die vortrefflichen Augustalen Friedrichs sogleich auf höchst ungeschickte Weise in Karlinen umprägenRegesta Caroli I, 63.; daher wurden alle Urkunden, Staatsschriften und Denkmale aus der hohenstaufischen Zeit so vernichtet, daß im königlich sicilischen Archive gar keine schriftlichen Überbleibsel vorhandenKeine Urkunde im sicilischen Archiv ist älter, als 1312. Urschriften wie Abschriften aus früherer Zeit fehlen.  Greg. introduz. 88, 109.  Auch beginnen die Regesta Karls wahrscheinlich mit Vorsatz erst vom Jahre 1268, nach Konradins Tode. Vergl. Troyli IV, 3, 436.  Topi I, 40. und in Neapel (ungewiß durch welches Glück) nur zwei Jahrgänge der Verordnungen Friedrichs II gerettet sind. Man darf diese Zerstörung um so weniger dem Zufalle, man muß sie einem Vorsatze zuschreiben, weil die Denkmale aus normannischer, ja aus noch älterer lombardischer Zeit wohlgeordnet in großer Zahl erhalten sind, und die Lücke genau die Regierungen Heinrichs VI, Friedrichs II und Manfreds umfaßt.

Hat aber, so ist man geneigt zu fragen, Karls Regierung nicht wenigstens zur Vertilgung derjenigen Übel hingewirkt, welche sich früher, wenn auch nicht durch Mangel an Einsicht, doch durch die Noth bei Steuern und Handelssachen eingefunden hatten? Hierauf kann man im allgemeinen antworten: Regierungen, durch Gewalt gegründet, sind jedesmal kostspieliger, als Regierungen, welche sicher auf Recht und Herkommen ruhen. Wenn also Karl auch die gründlichste Einsicht und den besten Willen gehabt hätte, würde arges Unrecht nicht überall vermieden seyn; wie viel weniger, da ihm Einsicht und guter Wille fehlte, Verschwendung abgezwungen und Geiz natürlich warLelli I, 181.. Er mußte seinen, nur um solcher Hoffnungen willen mitgezogenen 557 {1266} Baronen unglaublich viel schenkenVillani VII, 10.  Lelli discorsi I, 108.  Unzweifelhafte Beweise geben Karls Regesta auf allen Seiten., er mußte dazu unglaublich viel fremdes Gut willkürlich in Anspruch nehmen und einziehen; er ordnete ungeheure Erpressungen an, damit für ihn doch auch etwas übrig bleibe, und er sich auf Gold betten könne. Und die Beschenkten waren zuletzt nicht einmal zufrieden, und die Wehklagen der Beraubten hätten jeden andern, als diesen König, sicherlich gerührt und erweicht.

Die durch Friedrich II angeordnete, höchst preiswürdige Verwaltung der Krongüter nannten jetzt blutsaugende Schmeichler uneinträglich und parteiisch. Also ward, um die Einnahmen zu erhöhen und statt der wenigen Pächter und Verwalter angeblich recht viele Personen durch Theilnahme an der Bewirthschaftung jener Güter zu beglücken, folgender Plan entworfen und ausgeführt: alle wohlhabenden Gutsbesitzer, Pächter und Landleute erhalten Theil an den königlichen Weiden und dem Ertrage der königlichen Herden; ja diese werden ihnen ganz übergeben, indem der eine so viel Kühe, der andre so viel Schweine u. s. w. nach einem bequem scheinenden Verhältnisse bekommt. Für eine so große Begünstigung muß dem Könige indeß ein billiger Vortheil werden, welcher nach festen, mit der Natur übereinstimmenden Grundsätzen zu berechnen ist. Eine Sau z. B. (dies nahm man an) wirft jährlich zweimal fünf Junge, vier männliche und sechs weibliche. Die drei weiblichen des ersten Wurfs bringen in demselben Jahre auch noch einmal Junge, sechs männliche und neun weibliche. Von diesen fünfundzwanzig Schweinen verlangt der König – nur zwanzig, oder deren WerthDanach traten Steigerungen auch für die folgenden Jahre ein.! – Hundert Schafe bringen jährlich dreißig männliche und sechzig weibliche Lämmer, und diese sechzig im zweiten Jahre ebenfalls schon wieder Lämmer. Nach dieser Steigerung wird die 558 {1266} Zahl der Herden berechnet und fürs Hundert abgeliefert: zwölf Zentner Käse verschiedener Art und vier Zentner Wolle. Weil jedoch der König diese Naturerzeugnisse nicht füglich gebrauchen kann, so ist der Abkürzung halber sogleich festgesetzt, wie viel sie in Gelde werth seyn müssen! Bei diesen Berechnungen hat man ferner noch nicht auf den großen Gewinn Rücksicht genommen, welcher aus dem Dünger entsteht; deshalb übernehmen die begünstigten Mitbesitzer der Krongüter hiefür noch eine gleich billig berechnete AbgabeSaba Malaspina VI, 7.  Auf ähnliche Weise wurden die Kühe und Stuten ausgethan, ja wie es scheint auch die Ländereien, wo, gegen Ablieferung der Ärnte, nur geringe Bestellungskosten vergütet wurden. Weil indeß die Ausdrücke hier nicht ganz deutlich sind, haben wir nur das durchaus Klare in den Text aufgenommen.! – Ob jemand diese Bedingungen verwarf, ward nie berücksichtigt, sondern jeder, welcher dies ihm zugedachte Glück verkannte, zur bessern Erkenntniß und Selbstliebe gezwungen.

Eben so thöricht und ungerecht war die Gesetzgebung über den Handel. Alle Häfen, welche nicht dem Könige gehörten, wurden durchaus gesperrt, damit Handel und Verkehr in den seinigen zunehmeSaba Malaspina VI, 3.  Erst zur Zeit Gregors X, auf der Kirchenversammlung in Lyon, wagte die, angeblich durch die Anjouiner befreite Geistlichkeit, nicht ohne Besorgniß, ihre Klagen laut werden zu lassen. Aber der König nahm darauf wenig oder keine Rücksicht.. Schon an sich hätte eine solche Ungerechtigkeit keine guten Früchte gebracht, am wenigsten in Verbindung mit gemeiner Habsucht. Die begünstigten Städte mußten nämlich höhere Abgaben zahlenConstitut. regni Neap. II, 1.  Wann jede von diesen Maaßregeln ergriffen wurde, steht nicht genau fest, gewiß stieg das Übel bis zur sicilianischen Vesper, und die alsdann im einzelnen eintretenden Milderungen zeigen erst recht augenscheinlich die Größe der Mißbräuche und Übel., und noch drückender war die Art der Hebung und Aufsicht in dem rings an das Meer stoßenden Lande. Bei jeder 559 {1266} Verschiffung sollte der Mauthbeamte schriftlich verzeichnen und bezeugen: den Betrag der Gegenstände, Ort und Tag der Ausfuhr, Tauf- und Geschlechts-Namen der Käufer und Verkäufer, des Schiffes und Schiffseigenthümers, den Bestimmungsort, die gestellten Bürgen, den Geldempfang u. s. w. Bei jeder Landung ward diese Bescheinigung vorgezeigt und in allen Theilen geprüft. Wer an einen falschen Bestimmungsort segelte, oder die vielfachen Vorschriften in irgend einem Punkte übertrat, wurde sehr streng, der Beamte in gewissen Fällen sogar mit dem Tode bestraft.

So gewiß Gesetze solcher Art, Land- und Wasser-Sperren, selbst in unsern Tagen, nach mancher drückenden Vorübung gehässig und nicht ohne Tyrannei auszuführen waren; so gewiß haben sie, damals eine ganz unerhörte Erscheinung, außerordentlich viel geschadet und zerstört, und zuletzt – nur wenig eingebracht.

Auch sehen wir den König immerwährend in Schulden, und nachdem er vielen Edlen aus neapolitanischen Familien (um sie desto mehr in seine Hände zu bekommen) große Summen zwangsweise abgeliehenAldimari memorie 130, 154, 252.  Archiv. della Zecca in Napoli., oder von einzelnen StädtenSo lieh Pistoja 2000 Lire gegen große Versprechungen.  Salvi I, 213. nicht weniger beigetrieben hatte, gerieth er dennoch den Wucherern in die Hände und mußte verkaufen und versetzen, was nur irgend zur Hand warRegesta Caroli I, 177, 250, 255, 272 u. s. w..

Wie die Verpachtung aller Zölle, ja sogar der Gerichtsgelder und vieler obrigkeitlichen Stellen wirken mußteEr verpachtete, was sich verpachten und nicht verpachten ließ: gabellae, jura curiae, bajulatus u. a. m. Beweise im Archivio della Zecca Napol., sieht jeder, ohne weitere Erläuterung von selbst ein.

Die Wahrheit dieser Nachrichten, welche ohnehin großentheils aus den eigenen Verordnungen des Königs 560 {1266} entnommen sind, wird noch durch einen andern, für ihn sonst nur zu parteiischen, Zeugen bestätigt: – durch den Papst. Um diesem Aufmerksamkeit und Dankbarkeit zu bezeigen, hatte ihm Karl Geschenke, darunter den erbeuteten Kaiserthron übersandtSaba Malaspina III, 14, 15., und angeordnet, daß Innocenz dem vierten in Neapel ein Denkmal errichtet werde – aus dem Ertrage freiwilliger Gaben! Als aber niemand etwas dazu hergab, und Karl, der auf Unkosten anderer gern großmüthig erschienen wäre, die Ausgabe selbst übernehmen mußteRegesta Caroli I, 30., befahl er (weniger wohl aus Verehrung für die Kunst des Alterthums, als aus Geiz) nur dann einen neuen Sarg zu fertigen, wenn man keinen alten auffinden könne, der brauchbar sey.

Kleine Gefälligkeiten und Kunstmittel solcher Art konnten den Papst um so weniger täuschen, da Karl in wichtigen Dingen, und obenein auf eine plumpe Weise, wider die Verträge handelte. Dem päpstlichen Bevollmächtigten z. B., welcher an die längst fälligen Zahlungen erinnerte, gab er zur Antwort: er habe die Zahlungsfristen vergessen und geglaubt, die außer dem gewöhnlichen Jahrgelde bedungenen 50,000 Mark werde man nie wirklich fordern. Klemens, welcher über diese Rede erschrak, minderte die Summe auf 40,000Lello vite 12., bewilligte längere Fristen, erklärte aber dann: von allen übrigen Bedingungen dürfe, bei Strafe des Bannes, auch nicht eine unerfüllt bleiben. Dennoch forderte Karl nicht allein den völligen Erlaß jener Zahlungen, sondern auch, daß der Papst ihn fernerhin als römischen Senator anerkenne. Hierauf erinnerte Klemens: daß der König mehremale und zuletzt am 26sten Januar 1266Murat. antiq. Ital. VI, 105., vier Wochen vor der Schlacht bei Benevent, feierlich und schriftlich versprochen habe, diese Stelle gleich nach der Besitznahme Apuliens niederzulegen; allein Karl blieb 561 {1266} bei seinen Forderungen, und fügte nur den Vorschlag hinzu: »der Papst könne ihn ja mit jener Würde insgeheim belehnen, während er sie öffentlich als eine Gabe der Römer behalte!« Hierin größeren Sinnes, antwortete Klemens: »die Römer sind, wenn auch nicht auf tadellose Weise, doch schon so lange in dem Besitze des Rechtes, den Senator zu ernennen, daß es unschicklich wäre, ihnen dasselbe ohne alle Vorladung und Untersuchung abzusprechen. Der vorgeschlagene Ausweg aber: öffentlich anders zu reden und heimlich anders zu handeln, ist ganz unter der Würde eines Papstes und eines Königs.« Nach Empfang dieser verdienten Zurechtweisung schrieb Karl nach Rom: »da die Kirche behaupte, ihr gebühre die Verleihung der Senatorstelle, so wolle er, – um seiner geliebten Mutter keinen Anstoß zu geben –, dieselbe niederlegen, und die Römer möchten damit nur auch zufrieden seyn.« Klemens antwortete: »dies Schreiben sey boshaft und gehe mehr darauf aus, Ärgerniß herbeizuführen, als zu beseitigenMalitiose; plus provocativa quam repressiva scandali.  Martene thes. II, 324.  In Rom war dennoch keine Ordnung, in sua conversa jam viscera, nescit legem.  Martene thes. II, 353.«; welche Ansicht auch dadurch bestätigt wurde, daß Karl sich, trotz der angeblichen Niederlegung, nach wie vor Senator nannte und seine Beamten keineswegs aus Rom abrief.

Nicht minder bedenklich für den Papst waren die neu sich bildenden Verhältnisse Karls zu Tuscien. Einzelne Guelfen aus Florenz, welche in blinder Leidenschaft über die Versöhnung mit den Ghibellinen zürnten, wandten sich um Beistand an Karl; und dieser, froh einen Deckmantel der Herrschsucht und einen Vorwand zur Übertretung des Vertrags zu bekommen, wollte sogleich ein Heer nach Tuscien senden. Indeß widersprach Klemens und schrieb ums Ende des Jahres 1266 nach FlorenzMartene thes. II, 437.: die Ghibellinen möchten sich gemäßigt benehmen und zu einem billigen Frieden 562 {1266} bereitwillig finden lassen, weil er sonst Karls Theilnahme nicht verhindern werde. Ob nun gleich Billigkeit und Mäßigung jetzt gewiß mehr den mächtigen und drohenden Guelfen, als den geschwächten und bedrohten Ghibellinen fehlte, so konnte sich doch der Papst nicht füglich gegen die kirchliche Partei streng erklären. Darauf bauend ging Karl unbekümmert vorwärts, und sandte Guido von Montfort mit 800 französischen Reitern nach Tuscien. Sobald die Ghibellinen hievon Nachricht erhielten, verließen sie Florenz um Ostern 1267, an demselben Tage, wo 52 Jahre vorher Buondelmonte war ermordetIm Jahre 1215.  Villani VII, 15-19.  Ptol. Luc. ann. zu 1267.  Gesch. der Hohenst. Band III, S. 629. und der Grund zu den unseligen Parteiungen gelegt worden. Sie zerstreuten sich nach Pisa, Siena und einigen andern ihnen noch gewogenen Orten.

Blut hatte man bei dieser neuen großen Auswanderung zwar nicht vergossen, wohl aber unter Karls und des Papstes Beistimmung festgesetzt: daß ein Drittel der ghibellinischen Güter an die Stadt, ein Drittel zum Ersatz an die früher beraubten Guelfen fallen, und das letzte Drittel einstweilen dieser ganzen Partei zur Benutzung bleiben solle. Aber auch selbst dies letzte Drittel ward allmählich von den Guelfen veräußert, wodurch die Ghibellinen wie alles Eigenthum, so die letzte Hoffnung einer wünschenswerthen Rückkehr in ihr Vaterland verloren.

Auf die Erklärung der Florentiner, daß sie ihm die Herrschaft anvertrauen wollten, antwortete Karl anfangs: er verlange nur ihr Herz und ihren guten WillenLo loro cuore e buona volontà.  Mart. thes. II, 465.. Bald darauf nahm er aber die Würde eines Podesta für sechs oder zehn Jahre an, und Pistoja, Prato, LukkaKarl setzte sogleich den Podesta in Lukka.  Mem. di Lucca II, 234. und andere tuscische Orte beeilten sich in ähnlicher Art ihre 563 {1267} Gesinnungen zu zeigen, oder vielmehr seine Feindschaft abzuwehren. – Bei solchen Umständen blieb freilich kaum etwas anderes übrig, als daß der Papst, zur Erhaltung seiner Würde und seines Einflusses, dem Könige das auftrug, was dieser aus eigener Macht zu thun sich nicht scheute; und daß er über die Art und Weise dieses Thuns regelnde Bedingungen aufstellte, statt sich fernerhin gutmüthig der Willkür eines solchen Bundesgenossen anzuvertrauen. Deshalb ernannte er den König auf drei Jahre zum Erhalter des Friedens in Tuscien, ließ sich aber, bei unvermeidlicher Strafe des Bannes, versprechen: erstens, daß Karl wirklich ein Friedens- und nicht ein parteiischer Fehde-StifterPaciarius, non partiarius.  Rayn. §. 5-8.  Martene thes. II, 500.  Murat. antiq. Ital. VI, 106. Gegen König Richard entschuldigte sich Klemens gewissermaaßen: er habe Karln, der ohnehin so große Macht in Tuscien besitze, nicht zum Vicarius imperii, sondern zum conservator pacis, unter den erzählten Bedingungen ernannt, und ähnliches sey von frühern Päpsten nicht bloß vacante, sondern auch fluctuante imperio gethan worden.  Cod. Vindob. phil. No. 305, fol. 33.  Cod. mscr. Vatic. No. 3977, fol. 16. seyn wolle; zweitens, daß er einen Monat nach Entscheidung der Frage über die zwiespaltige Wahl des deutschen Königs, oder nach empfangener Aufforderung des Papstes, diese Würde niederlegen und weder Heeresmacht in Tuscien lassen, noch Orte behalten, noch Geld daher beziehen werde; drittens, daß jede Bedingung des Hauptvertrags über das sicilische Reich in voller Kraft bleibe. – Nachdem Karl in Viterbo alle etwa noch vorhandenen Bedenklichkeiten des Papstes zu beseitigen gewußt, und jene Urkunde am vierten Junius 1267 vollzogen hatte, begab er sich nach Tuscien und ward ehrenvoll in Florenz empfangen. Die Bürger dieses Freistaates hielten es für eine große Gnade, daß der ehemalige Graf von Anjou mehre in den Ritterstand erhob; sie mußten (auch für die Leidenschaftlichsten wohl ein bedenkliches Zeichen der neuen Freiheit) schwören: »wir 564 {1267} wollen der Kirche und dem Könige Karl gehorsam seyn, mit Konradin schlechterdings in keine Verbindung treten, und niemand vor Beistimmung des Papstes als deutschen König anerkennenDieser Eid ward schon im April 1267 geschworen.  Lami memor. I, 496.  Malespini c. 185, 188.  Mecatti I, 74.

Unterstützt von seinen neuen, sogleich zu Kriegs- und Geld-Leistungen angehaltenen UnterthanenExcerpta Magliab. tom. XLIII, S. 42 u. 66  Salimbeni 407.  Manni chron. 140.  Monach. Patav. zu 1267., zog Karl gen Poggibonizzi, einen Zufluchtsort der Ghibellinen; aber vier Monate, bis in den Dezember 1267, vertheidigten sich diese heldenmüthig und wurden nur durch Mangel an Lebensmitteln zur Übergabe gezwungen. Dann schädigte der König aufs ärgste die Besitzungen der Pisaner, eroberte mehre Schlösser und verfuhr dabei auf eine Weise, welche mit seinem Berufe als Friedensstifter im frechsten Widerspruche stand. So wurden z. B. bei der Einnahme von S. Hilario, Alte und Junge, Männer und Weiber, Laien und Priester ohne Unterschied gemartert oder niedergehauenNach dem guelfischen Chron. imper. Laurent. wurden über 400 getödtet, pietate deposita.; und wenn man auch nicht sagen kann, daß Karl jeden einzelnen Frevel anordnete, so duldete er doch deren Überzahl, und es wird ausdrücklich berichtet: keiner von den Thätern sey gestraft wordenNec talia facientes sunt puniti, Chron. imper. Laurent.. – Klemens zürnte über dies Benehmen seines kirchlichen Vorkämpfers und schrieb ihmMartene thes. II, 515.: »vermeide die Grausamkeit, zeige dich wenn auch als Sieger, doch nicht als Rächer; sorge für die wahre Ruhe des Landes und mehr dafür, daß du geliebt, als daß du gefürchtet werdest.« – Karl aber beharrte auf seinem Wege.

Nach der Schlacht bei Benevent waren die Grafen Friedrich und Galvan Lancia aus Kalabrien nach Terracina entkommen, und hatten mit des Königs Marschall einen 565 {1267} Vertrag über ihre Sicherheit geschlossen, welchen jener nicht halten wollte, obgleich ihm der Papst warnend schrieb: »er möge Sorge tragen für Ruf und EhreProvide famae tuae.  Martene thes. II, 432..« – Den Grafen Jordanus, Bernard Kastagna und viele andere in der Schlacht bei Benevent gefangene Edle, hatte Karl sogleich nach Frankreich geschickt, und ließ sie in den allerelendesten Gefängnissen schmachten, bis sie ihre Wächter überwältigten und entflohen. Allein die Unglücklichen wurden wieder ergriffen und nun ließ Karl, – denn Empörer hätten ja schon bei der ersten Gefangennehmung das Leben verwirktDer Papst nennt im August 1266 Galvan Lancia unter den Entflohenen; mithin hatte Karl wahrscheinlich die später Betrogenen mit den zuerst Gefangenen gleich behandelt.  Martene thes. II, 377.  Camici Urk. XXI, S. 65, setzt dies Schreiben auf den 27sten Julius 1266. – Vie de S. Louis, mscr. 56.  Bonon. hist. misc.  Ricob. hist. imper. S. 136.  Cron. mscr. No. 911, S. 215.  Anon. Ital. histor. 263.  Cluniac. cron. mscr. 23.  Leider mehr als genügende Zeugnisse aller Parteien. –, jedem von ihnen eine Hand und einen Fuß abhauen und beide Augen ausstechen! Um so unermeßlichem leiblichen und geistigen Leiden zu entgehen, hungerten sie sich zu Tode! Karl blieb ungerührt bei dieser Botschaft, bei des Papstes wiederholten Warnungen.

Überhaupt muß man anerkennen, daß dieser seinen Schützling aufs dringendste und preiswürdigste zu allem Guten ermahnte, aufs unverhohlenste dessen Fehler tadelte. Wir geben aus diesen Briefen, weil sie die Lage der Dinge so genau als wahrhaft schildern, folgenden getreuen Auszug:

»Es gebührt sich, daß du überall mit Ordnung verfahrest, damit du nicht, wider alles Recht, bei deinen Unterthanen suchest, was sie bei dir selbst nicht finden. Man sagt, du seyst unmenschlich und für Freundschaft ohne alles GefühlInhumanus diceris et ad nullum afficeris, prout dicitur amicitia.  Schreiben vom 22sten September 1266.  Martene thes. II, 406.  Raynald §. 19-21 u. Append. 616.. Männer, welche freiwillig und deiner Gnade vertrauend zu dir zurückkehrten, wurden auf deinen Befehl 566 {1267} gefangen gesetzt, Unschuldige an der Stelle von Schuldigen gestraft, und nutzlose Untersuchungen angestellt und unbillige Beweise von denen verlangt, welche du verdächtig zu nennen für gut fandestMartene thes. II, 507.  Camici Urk. XXI, S. 65 zu 1266.. Da sollte der eine darthun, wo er während der Schlacht von Benevent gewesen sey, der andere, woher er seine Pferde bekommen habe u. dergl. Dies alles schickt sich nicht für einen Fürsten, welcher jeden durch Milde an sich ziehen und mit sich versöhnen soll. – Aber selbst deine getreuesten Anhänger betrügst du um den verdienten LohnSuis fraudas stipendiis., so daß viele Edle (gleich ungeziemend für ihren Adel und deine Ehre) in den Armenhäusern umherliegen, oder gar aus Mangel umgekommen sind. Mit Unrecht verachtest du deine neuen Unterthanen, verzögerst die Rechtspflege, hörst niemandes Beschwerden wie es sich gebührt, sondern entweder gleichgültig, oder ohne Geduld und unter lautem ScheltenMartene thes. II, 505.  Cod. mscr. Vatic. No. 3977, fol. 10-12.: – mit einem Worte, du bist weder zugänglich, noch umgänglich, noch liebenswürdig, noch geliebt von den deinen oder von andernNec adibilis, nec affabilis, nec amabilis. - Nec suis, nec aliis gratiosus.  Martene thes. II, 406, 472.. Bei solchem Verfahren mußt du stets das Schwert in der Hand haben, den Panzer auf der Brust und ein gerüstetes Heer zur Seite: – und ist das nun wohl ein Leben und nicht vielmehr ein Bild kläglichen Todes, immer seine Unterthanen zu beargwöhnen und immerdar ihnen verdächtig zu seyn!«

»Allerdings frägst du öffentlich die Erfahrenen um Rath; nachher aber hörst du insgeheim die Thörichten, welche nicht fähig sind jene zu beurtheilen, und folgst ihren Reden oder deiner eigenen Willkür. Auf so hoher Stelle wir auch stehen, 567 {1267} so haben wir doch, – wo das Gewissen nicht bestimmt widersprach –, unsere Meinungen nie den Rathschlüssen unserer Brüder vorangestellt. Mißtrauest du deinen Räthen, so erwähle andere geprüfte Männer; erneue aber dann nicht, nach französischer Weise, von Tag zu Tag den Argwohn ohne hinlänglichen Grund. Laß dem Geschäftsgange, besonders der Gerichte, freien Lauf, und fordere die Sachen nie ohne erheblichen Grund nach Hofe ab. Entferne die Eingebornen nicht aus ihren Ämtern: nie wirst du das Reich ohne ihren Beistand gut regieren, dein und ihr Wohl muß zugleich stehen und fallen.«

»Um deinen Haushalt und dein Hauswesen wollen wir uns im einzelnen nicht bekümmern, aber auch keineswegs verhehlen, daß es heißt: so viel Köpfe, so viel Herren; daß Unordnung, Verschwendung und Mißbrauch dessen gerügt wird, was zu bessern Zwecken sollte verwandt werden. Schäme dich nicht, von Zeit zu Zeit über die Ausgaben und Einnahmen Rechnungsablegung anzuhörenNec pudeat te, de receptis et expensis, certis temporibus rationem audire.  Martene thes. II, 505., und zügele die Habsucht deiner Beamten, über welche alle klagen, während du allein schweigst. Aber freilich könnte man jene entschuldigen, daß sie Diebe werden, weil sie ihren verdienten Lohn nicht erhalten; deine Nachlässigkeit hingegen verdient doppelte Vorwürfe. Du legst Steuern aller Art und sogar den Geistlichen auf, ohne Rath und Beistimmung der Prälaten, Barone und Gemeinen; so wie darin die härteste Sklaverei liegt, so folgt daraus der ärgste Haß. Mache dem Gräuel dieser furchtbaren Erpressungen ein EndeTollatur infamia de horrendis exactionibus.  Martene thes. II, 443, 445, 506, 525. Als ein besonders schändlicher und eigennütziger Beamter wird der Franzose Wilhelm Lando genannt.  Cirillo 8.  Andria 414., sey zufrieden mit deinem Rechte und laß ihnen ihre Freiheiten. – Wir wundern uns, daß nicht zu deinen Ohren dringt, wie groß das Geschrei und Wehklagen der 568 {1267} Betrübten sey, wie bitter die Beschwerden der Kirchen und Geistlichen, wie viel Gewalt geschehe selbst den Weibern und Jungfrauen, wie viel Raub an Armen, Willkür an Reichen, Unrecht an jedem! Daher bist du allen verhaßtOdiosus reddaris omnibus, - quae deprecationes etc.  Cod. mscr. Vatic. N. 3977, fol. 9., alle verfluchen dich und nicht bloß Schande bricht auf dich ein, sondern du kannst (was dir nicht minder empfindlich seyn dürfte) auf diesem Wege nicht einmal dem Drucke der Armuth entgehen. – Vielleicht findest du diese Äußerungen hart, da sie doch nur heilsam sind, und wir hoffen, daß du lieber durch Worte, als durch traurige Erfahrungen lernen willst. Handele mithin und ordne alles und jedes so, daß das Ende dem Anfange entspreche, und es Gott zur Ehre, dir zum Vortheil und den deinen zur Freude und zum Beispiel gereiche.«

Wenn Karl ein durch Worte zu bewegendes Gemüth, wenn er überhaupt ein Gemüth oder Gewissen gehabt hätte; so würden des Papstes strenge Mahnungen und seiner Unterthanen lauter Jammer nicht so ganz spurlos an ihm vorübergegangen seyn. Jetzt aber, nach solchen Erfahrungen, zweifelte niemand mehr, daß diese neue Strenge, dies neue Elend, wogegen alles früher Getadelte und Beklagte von der höchsten Milde erscheine, ewig dauern werde; sofern man den Tyrannen von Stein und Eisen nicht mit Gewalt bezwinge. Ehrgefühl, Zorn, Noth und Verzweiflung entwickelte endlich auf gleiche Weise, erst bei einzelnen, dann immer allgemeiner die Hoffnung: »aus dem Lande und dem Geschlechte, welches man so lange und so oft als Quell jedes Unglücks bezeichnet hatte, werde die Erlösung kommen: – aus Deutschland, durch den Hohenstaufen Konradin!« 569

 


 


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