Friedrich von Raumer
Geschichte der Hohenstaufen und ihrer Zeit, Band 4
Friedrich von Raumer

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Sechstes Hauptstück.

{1258} Nicht lange nachdem König Manfred auf die oben erzählte Weise in Palermo war gekrönt wordenSaba Malaspina II, 1., verließ er das ihm zugethane Sicilien, um auch in Apulien alle etwanigen Spuren alter Abneigung zu ersticken. Es gelang durch freundliche und geschickte Behandlung der Vornehmen, Belohnung der Getreuen und strenges Beobachten der zweideutig Gesinnten. Nur Aquila, undankbarer als alle übrigen Städte, widerstand seinen Aufforderungen. Weil nämlich die Feinde in dieser Gegend so oft und leicht durch die Bergpässe in das Reich eingebrochen warenPeter Vin. VI, 9., ließ König Konrad IV (und vielleicht schon Friedrich II) die zerstreuten, nicht hinreichend schützenden Burgen eingehen, und aus deren Bewohnern jene neu angelegte Stadt bevölkern. Es wurde ihnen viel Land und Wald zugewiesen, das Jahrmarktsrecht ertheilt und gegen eine billige Entschädigung, jedes Abhängigkeits- und Dienst-Verhältniß zu ihren ehemaligen Herrn so aufgehoben, daß sie von jetzt an allein und unmittelbar unter dem Könige standen. Bald mehrte sich durch diese vortheilhaften Einrichtungen die Zahl und die Kraft der Bürger; anstatt sich jedoch dafür treu dem Könige anzuschließen, brauchten sie zur Beschönigung ihres 447 {1258} Abfalles den Vorwand: daß sie weit mehr der Kirche, als ihm gehorchen müßten. Gern aber boten die Barone, denen Aquilas Stellung von Anfang an sehr mißfallen hatte, jetzt die Hand zur Unterwerfung der Widerspenstigen.

Erscheinungen solcher Art würden das Mißverhältniß Manfreds zum römischen Stuhle noch erhöht haben, wäre es überhaupt noch einer Steigerung fähig gewesen. Denn Alexander IV hatte ihn ja um Ostern 1257 öffentlich gebanntRymer foedera I, 2, 26. Wahrscheinlich erfolgte der Bannspruch öfter und, wie wir sehen werden, mit Steigerungen., aller Besitzungen für verlustig erklärt und die Unterhandlungen wegen Übergabe derselben an den englischen Prinzen Edmund erneut. Weil indeß die mehresten Prälaten und Barone in England diesen Plan noch immer als kostspielig und unausführbar verwarfen, und harter Mittel ungeachtet nur lässig dafür wirkten; so kam nichts erhebliches zu Stande und der Papst klagte über vertragswidrige Säumniß; der König hingegen, daß fast gar kein Geld einkomme und das etwa eingehende nicht für den Hauptzweck gesammelt, sondern von päpstlichen Beauftragten an sich genommen und nach Willkür verwandt werde. Dies Verfahren wollte Alexander jedoch um so weniger abstellen, da ihn Schulden aufs äußerste drückten, und er florentinische und sienensische Kaufleute nur gegen Verpfändung des Zehnten von den geistlichen Gütern in England zu Vorschüssen und Fristbewilligungen vermögen konnte. Auch wußten jene Kaufleute, daß die Rückzahlung des Darlehens schwerlich am Verfalltage richtig erfolgen dürfte; und wenn gleich bis dahin keine Zinsen versprochen waren, so liefen sie doch von diesem Tage an nach ungemein hohen SätzenRymer foedera I, 2, 33, 43. Es ist von 440,000 Mark Sterling Schulden die Rede.. – Damit sich nun der Ertrag der englischen Kirchensteuern mehre, verlangte der Papst für sich und den König: erstens, auf fünf Jahre den Zehnten von allen 448 {1258 bis 1260} geistlichen Gütern ohne Abzug der Ausgaben; zweitens, die Hälfte aller der geistlichen Stellen, welche ihre Inhaber nicht zu persönlicher Anwesenheit verpflichteten; drittens, alle Vermächtnisse an Kirchen und GeistlicheWickes chron. zu 1260.; viertens, die Einnahme von den Pfründen, welche jemand nur durch päpstliche Erlaubniß besitze. So ungeheure Forderungen erregten das höchste Mißvergnügen, und wenn auch die Geistlichen eine ansehnliche Summe bewilligtenNach Math. Paris 640, 42000 Mark., so bedungen sie sich doch bei dieser Gelegenheit andere große Vortheile aus; weshalb König Heinrich (jetzo fühlend, wie wenig er bei der ganzen Sache gewinne) in Rom eine Milderung der frühern Bedingungen verlangte; wo nicht, so möge der Papst, nach Ersatz der bereits gemachten Auslagen, über das apulische Reich anderweit schalten, oder Manfreds Tochter mit Eduard vermählenRymer foedera I, 2, 29. und hiedurch einen für jeden Theil willkommenen Ausgang herbeiführen. Diese Vorschläge waren aber dem Papste keineswegs willkommen, und der König ließ sich durch höfliche Schreiben und Fristbewilligungen verführen, noch Jahre lang diesem verwerflichen Plane nachzuhangen, bis offener Aufruhr ihn davon abzustehen zwang, und der Papst selbst andere Wege einschlugEbendas. I, 2, 34, 37, 40, 80. Diese Angelegenheit gab eine Hauptveranlassung zum Aufruhr der Barone gegen den König.  Wickes zu 1263..

Wenn nun Alexander auf diese oder ähnliche Weise die Kräfte der Geistlichkeit in England, ja in der ganzen Christenheit benutzte, um seinen Krieg gegen Manfred zu führen; so glaubte dieser sich derselben Mittel bedienen zu dürfen. Auch er besteuerte Kirchen und Prälaten, auch er bezog die Einnahmen von erledigten StiftsstellenMath. Paris 659.  Saba Malaspina I, 5.  Sieben Jahre lang verwaltete Johann von Procida, Manfreds Freund, das Erzbisthum Amalfi.  Chron. archiep. Amalfit. 170. – Der Papst besoldete Mannschaft von den erledigten Einnahmen florentinischer Stiftsstellen.  Lami memor. II, 1027., und 449 {1248 bis 1260} übereilte sich gar nicht mit deren Wiederbesetzung. Dies alles gab dem, überhaupt seines kirchlichen Einflusses in Apulien ganz beraubten Papste, neue Veranlassung zu Klagen und Vorwürfen, welche, da sie auf den König nicht wirkten, nunmehr auch gegen die Bischöfe und Geistlichen gerichtet wurden. Sie hätten keineswegs zahlen, keineswegs die Hand zur Krönung Manfreds bieten, oder ihm huldigen sollen. Manche behaupteten, daß sie sich vorsätzlich verspätet, vorsätzlich krank gestellt hätten; wie denn überhaupt alle lässig oder thätig waren in dem Maaße, als sie den König oder die Kirche mehr liebten oder fürchteten. Nur einzelne, wie der Erzbischof von AgrigentPirri Sicil. sacra I, 405., der Bischof von Sorrent, der Abt von Montekassino, hatten für Manfred so bestimmte Vorliebe gezeigt, daß der Papst sie in den Bann that; welches strenge Mittel jedoch hinter der sonstigen Wirksamkeit zurückblieb, weil der König diejenigen Klöster und Geistlichen, welche jenem gehorchten, durch seine saracenischen Soldaten hart mitnehmen und LaienNeritense chron. zu 1255., für ihre, als Verrätherei bezeichnete Anhänglichkeit an Rom, körperlich aufs strengste züchtigen ließNach den Regestis Caroli I, IV, 80, mscr. im Archiv zu Neapel, ließ Manfred deshalb einen miles blenden..

{1259} Sobald Manfred im Innern des apulischen Reichs keine Feinde mehr zu bekämpfen hatte, ließ er seinen Feldhauptmann Parzival von Oria in den Kirchenstaat einrücken, und ernannte ihn, (hiedurch den Umfang seiner Ansprüche bezeichnend) zum Statthalter in der Mark Ankona, dem Herzogthume Spoleto und in RomaniolaBenigni I, Urk. 32, 33.  Baldassinus XLIV, 1260 wird Heinrich von Ventimiglia, und 1262 Konrad von Antiochien als Statthalter Manfreds genannt.  Santini 302, 362-363.  Benigni Urk. 36.  Compagnoni V, 75 und II, 268.. Die Einwohner dieser Landschaften waren, wie in ganz Italien, 450 {1259} theils Guelfen, theils Ghibellinen; obgleich diese Benennung nicht sowohl eine feste Gesinnung für eine als gut erkannte Sache, sondern vielmehr den Zustand innerer, oft ganz grund- und beziehungsloser Parteiung unter den Familien bezeichnete. Doch hatten sich mehre Städte zu einem engern Bunde vereinigt, welchen aber Alexander IV (lombardische Ereignisse befürchtend) am ersten Februar 1259 aufhobBenigni Urk. 32, 33.. Wenige Wochen nachher erschien Parzival mit seiner Mannschaft und wußte die mißgestimmten Gemüther noch mehr gegen den Papst aufzubringen, oder die von ihm einzelnen Orten eingeräumten Begünstigungen zu überbieten. So hatte Alexander z. B. an S. Ginesio versprochen, daß er kein einseitiges Verbot der Getreideausfuhr erlassen wolle; allein die Dankbarkeit für diese Zusage verschwand, als Parzival einerseits drohte, andererseits bewilligte: »die Bürger sind nicht zu persönlichen Kriegsdiensten außerhalb der Mark verpflichtet, sie können an ihrer Statt fremde Söldner stellen, sie werden nie als Geißeln ausgehoben.« – Auch Fermo widerstand den Päpstlichen mit dem SchwerteBenigni Urk. 32, 35.; nicht sowohl aus Anhänglichkeit an Kaiser und König, als aus Haß gegen einige mehr begünstigte Nachbarn. Kamerino endlich kam im August 1259 durch Verrath in Parzivals Hände, ward aber von ihm so hart behandelt, daß man nicht weiß, ob er dadurch mehr schreckte oder zu Feindschaft und Abfall reizteBenigni Urk. 58.  Ughelli Italia sacra I, 537.  Turchi de eccles. Camerin. pontificibus zu 1259..

Auf jeden Fall sah sich Papst Alexander durch diese Ereignisse gar sehr bedrängtRaynald zu 1259, §. 13.  Giannone II, 556., und sprach daher nochmals und in strengerer Form den Bann über Manfred. Er hoffte, daß sein Neffe, der Kardinal Hannibal, auch im Felde, besonders durch Hülfe der sich günstig erklärenden Bologneser, weitere Fortschritte Parzivals verhindern 451 {1259} werdeSavioli III, 2, 722-723.  Alessandro de Magistr. 43.; er rechnete darauf, daß die Kirchenfreunde von dem in jener Zeit aufs höchste gesteigerten Haß der Lombarden gegen Ezelin, den größten Vortheil ziehen müßten. Aber Ezelin hatte sich, der eigenen Macht vertrauend und für seine Selbständigkeit besorgt, in keine näheren Verbindungen mit Manfred eingelassenSaba Malaspina II, 3.; und in den oben erwähnten Bund, welchen Palavicini, Boso von Doaria, Azzo von Este, Verona, Vicenza, Padua, Mantua, Cremona und Ferrara wider Ezelin schlossen, war König Manfred gegen Stellung von Hülfsmannschaft als Freund aufgenommen und ihm versprochen worden, seine Aussöhnung mit der Kirche zu befördernLünig codex Italiae diplomat. I, 1585.  Spinelli 1093.. Selbst nach dem Falle Ezelins kam die Herrschaft nicht, wie Alexander erwartete, in die Hände der GuelfenSaba Malaspina II, 2.; sondern Palavicini gewann den größten Einfluß und ward sogar Manfreds Feldhauptmann in der Lombardei. Auch in Tuscien trat zufolge eines im Mai 1259 abgeschlossenen BundesSaba Malaspina II, 2. u. Malavolti storia di Siena II, 1, 2. zwischen Siena und dem Könige, dessen Verwandter, der Graf Jordanus von S. Severino, nicht ohne Erfolg als Statthalter auf.

Theils dieser Umstände wegen, theils in der Hoffnung, Manfred zu einem Angriffe der Griechen zu vermögen, knüpfte der Papst im Februar 1260 neue Unterhandlungen mit ihm anSpinelli 1095.  Raynald zu 1260, §. 1., und ohne Zweifel würde der König dem ersten Verlangen, einer Herstellung der Verwiesenen, genügt haben; die zweite Forderung hingegen: Vertreibung der Saracenen aus seinem Reiche, hätte ihn um eine große Zahl seiner treuesten Anhänger, um den besten Theil seines Heeres gebracht, und ließ sich ohne Wortbruch und innern Krieg überhaupt nicht ausführen. Darum lehnte Manfred den 452 {1260} ganzen Antrag ab und fügte zornig hinzu: er wolle vielmehr die doppelte Zahl Saracenen aus Afrika berufen. Und wirklich verstärkte er auf diese Weise sein Heer und fiel im Julius 1260, nach dem Abbruche der Friedensunterhandlungen, wiederholt in den Kirchenstaat einSpinelli 1097..

Gleichzeitig traten in Tuscien Ereignisse von solcher Wichtigkeit ein, daß sie eine umständlichere Erzählung verdienen. Viele aus Florenz vertriebene Ghibellinen, an ihrer Spitze der kluge und großgesinnte Farinata degli Uberti, hatten sich nach Siena begeben, blieben jedoch, selbst mit Hülfe der gleichgesinnten Bürger, so schwach, daß sie im offenen Felde keinen Kampf versuchen durften. Daher wandten sie sich um Hülfe an Manfred, welcher ihnen aber, bei allem guten Willen, damals nur 100 deutsche Reiter überlassen konnteMalespini 163.. »Was sollen wir«, sprachen viele ungehalten, »mit so weniger Hülfe?« worauf Farinata klüglich antwortete: »weiset auch den geringsten Beistand nicht zurück; damit indeß unsere Einigung mit dem Könige offenbarer werde und die Hoffnung wachse, so laßt uns um seine Fahne bitten.« Manfred übersandte sie gern, und ihre feierliche Aufsteckung schreckte, wie Farinata erwartet hatte, nicht wenige, und ließ an nahen mächtigern Beistand glauben.

Die Florentiner aber, erzürnt daß ihre Vertriebenen in Siena Schutz fanden, zogen mit Heeresmacht aus, nahmen einige Schlösser und drangen bis in die Nähe der Stadt zum Kloster der heiligen Petronilla. Solche Schmach abzuwehren, eilten ihnen die Ghibellinen mit den durch Geldversprechungen und Wein befeuerten deutschen Reitern entgegen, und es kam am 19ten Mai 1260 zu einem hartnäckigen Gefecht, in welchem die Sienenser siegten, jedoch die königliche Fahne verlorenMalavolti storia di Siena I, 2, 9.  Sanese chr. 30.. Diese Ereignisse erhöhten den Muth der Ghibellinen und begründeten die Überzeugung, daß, bei verstärkter Macht, ein ganz entscheidender 453 {1260} Erfolg nicht ausbleiben könne. Sie liehen also, gegen Verpfändung mehrer Besitzungen, 20,000 Goldgulden von dem sienensischen Handelshause SalimbeniNach della Valle lettere I, 137, u. II, 244, liehen die Salimbeni allmählich an 100,000 Florenen zur Vertheidigung von Siena dar und boten noch mehr, wodurch Muth und Kraft erhöht ward., und schickten sie mit der Bitte an Manfred, er möge ihnen ansehnlichere Unterstützung senden und den Verlust seiner Fahne rächen. Gern bewilligte dieser, was ihm Vortheil brachte und, bei jenen Zahlungen, die vorhandenen Kräfte nicht überstieg. Graf Jordanus, sein Feldhauptmann, gesellte sich mit 800 Reitern zu den bereits in Siena vorhandenen Deutschen, und diese Zahl wurde durch große Anstrengungen der Bürger und ihrer Verbündeten, bis auf 1800 erhöht. In gleichem Maaße verstärkte man die Zahl des Fußvolks und griff nun Montalcino an, welches oft mit Siena, in diesem Augenblicke mit Florenz verbündet war. Der Entsatz dieser Stadt erschien zwar den Florentinern als Pflicht, sie fürchteten indeß die jetzt sehr große Macht ihrer Gegner und beschlossen, erst nach deren bald zu hoffender Verminderung einen Angriff zu wagen. Umgekehrt wünschten die Ghibellinen, welche außer Stande waren jene Mannschaft lange zu besolden und zu verpflegen, daß es sobald als möglich zu einer allgemeinen Schlacht komme; und während nun die hart bedrängten Montalciner in Florenz nochmals um Hülfe baten, wirkte eine List der Ghibellinen zu gleichem Zwecke. Sie sandten nämlich, auf Betrieb von Farinata Uberti, durch zwei Minoriten Briefe nach Florenz, welche mit Bewilligung der obrigkeitlichen neun Männer in Siena geschrieben und mit ihren Wappen versiegelt waren. Der Inhalt dieser Briefe, so sprachen die Minoriten, gereiche zum großen Vortheile von Florenz, dürfe aber, damit er geheim bleibe, nur sehr wenigen mitgetheilt werden. Die Anziane erwählten deshalb zwei aus ihrer Mitte, SpeditoLo spedito ist wahrscheinlich ein spöttischer Beiname: der Hurtige, Übereilte; doch findet sich kein anderer Name.  Ammirato I, 120. und Kalkagni, welche, nach geleistetem Eide der 454 {1260} Verschwiegenheit, folgenden Inhalt fanden: »die meisten und angesehensten Bürger von Siena sind unzufrieden mit der jetzigen Regierung. Wenn die Florentiner, unter dem Vorwande, Montalcino mit Lebensmitteln zu versehen, bis zur Arbia vorrücken wollen, so soll ihnen das Thor des heiligen Veit auf dem Wege gen Arezzo geöffnet und Siena in ihre Hände gegeben werden.« Jene Anziane, mehr eifrig als umsichtig, vielleicht auch geblendet durch 10,000 GoldguldenNach Malespini scheint diese Summe wirklich niedergelegt, nach Villani nur versprochen zu seyn., welche man zur Bestätigung des Vereins sogleich niederzulegen bereit war, zweifelten nicht an der Wahrheit und Heilsamkeit der Sache, und trugen in einer allgemeinen Versammlung der Vornehmen und des Volkes darauf an: Montalcino in höchster Eile zu entsetzen. – Dem widersprachen Graf Guido Guerra und andere Häupter der Guelfen, welche nicht im Geheimnisse, sonst aber kriegskundiger waren, als der große, laut für den Krieg stimmende Haufe. Durch dessen Eifer ungeschreckt, trat Aldobrando Aldimari auf und sagte: »habt ihr schon die schwere Gefahr vergessen, in welche kaum 100 Deutsche euch bey Santa Petronilla brachten, und wißt ihr nicht, daß deren eine weit größere Zahl in Siena angekommen ist? Haltet euch jetzo ruhig, denn binnen kurzer Frist wird sich jene Macht aus Mangel an Solde von selbst auflösen; Montalcino aber kann, wenn wirklich die Noth sehr groß ist, ohne Anstrengung und Gefahr von Orvieto aus mit Lebensmitteln versorgt werden.« – Statt diese Gründe zu widerlegen, sagte Spedito nach seiner anmaaßlichen und vorlauten, beim niedern Volke aber beliebten Weise: »wenn du dich fürchtest, so greife nach den Hosen.« Aldobrando erwiederte: »wenn Gefahr drängt in der Schlacht, wirst du mir nicht folgen, wohin ich vorangehe.« – Unwillig stand itzt Cece 455 {1260} Gherardini auf und wollte dieselbe Ansicht nochmals begründen: aber die Anziane verboten ihm zu reden bei 100 Pfund Strafe. »Ich will«, sagte Cece, »diese Strafe lieber erlegen, als zum Nachtheile meines Vaterlandes schweigen.« Auch die verdoppelte, auch die dreifache Strafe erklärte er sich zu zahlen bereit; da riefen die Anziane: »du bist des Todes, wenn du sprichst!« – und das Volk beschloß, ihnen Beifall gebend, sorglos und stolz den Krieg. Hierauf wurde der Fahnenwagen, das Carrocio, feierlich hervorgeführt, die Kriegsglocke Martinella geläutet, und es entstand ein solcher Eifer, daß kein Haus, keine Familie in Florenz war, welche nicht Reiter oder Fußgänger gestellt hätte.

Eben so thätig zeigten sich die Bundesgenossen der Stadt, Lukka, Pistoja, Perugia, Orvieto, Volterra, Arezzo, S. Geminiano u. a.Diese Städte werden genannt; ob wirklich aus allen Hülfstruppen ankamen, bleibt zweifelhaft., so daß ein Heer von 3000 Reitern und 30,000 Fußgängern zusammenkam, mit welchem man Ende Augusts 1260 unter Anführung des Podesta Rangoni und des Volkshauptmanns Monaldo Monaldeschi nach der Arbia zog, und neben der Burg Montaperto in einer für die Zufuhr und manche andere Zwecke gut gewählten Gegend lagerte. – Kaum hatten die Sienenser zu ihrem Schrecken erfahren, welch großes Heer unerwartet bis vier Miglien von ihrer Stadt vorgedrungen sey, so erschienen auch schon Abgeordnete und verlangten: »daß Siena alle florentiner Vertriebenen fortweise, Montalcino nicht belästige und, allen andern Bündnissen entsagend, sich mit Florenz vereinige.« – Ob nun gleich die obrigkeitlichen Personen in Siena die Größe der Gefahr erkannten, beschlossen sie dennoch, diese Bedingungen nicht anzunehmen; aber ehe ihre Antwort im Lager ankam, steigerten die Florentiner Forderungen wie Drohungen und erklärten, die Stadt müsse sich unbedingt ergeben und zu dem feierlichen Einzuge der Reiterei ein Theil ihrer Mauern niedergerissen werdenMalavolti I, 2, 15.. – Solche Kühnheit ließ auf große 456 {1260} Übermacht oder heimliche Verständnisse schließen, so daß die Menge ihre Angst nicht verbergen konnte. Salimbeni aber, der reiche Kaufmann, bot, in diesem gefährlichen Augenblicke keineswegs verzweifelnd, aufs neue große Summen zur Rettung seiner Vaterstadt darDella Valle lettere sanesi a. a. O.. Dies war der erste äußerliche Trost; dann wandte man sich in Demuth und Gebet zu Gott, hielt feierliche Umzüge und Messen, ernannte Maria, die gute Führerinn, zur Herrinn von Siena, und ließ die Stadtschlüssel durch den Bischof in ihre Hände niederlegen. – Man werde, dies antworteten jetzt die Sienenser den Florentinern, die Stadt mit der alten Tapferkeit, und hoffentlich auch mit dem gewohnten Erfolge vertheidigen.

Unterdeß hatten die vertriebenen Ghibellinen heimlich ihre gleichgesinnten Freunde im florentinischen Heere bitten lassen: wenn es zur Schlacht käme, nicht gegen sie zu fechten; und gleichzeitig bekam ein Florentiner Razzante Kunde von dem Plane, Siena durch Verrath einzunehmen. Im Einverständnisse mit den florentinischen Ghibellinen eilte er nach Siena und warnte Farinata und Gherardo Uberti vor heimlichen Gefahren und offenbarer Übermacht. Diese aber antworteten: »du tödtest uns, wenn du diese Dinge in Siena verkündest. Nie kehren wir in unser Vaterland zurück, wenn wir nicht kämpfen während noch die Deutschen auf unserer Seite stehen, und besser ist es einmal sterben, als lebenslang flüchtig in der Welt umherirren.« Razzante, auch in die übrigen Geheimnisse eingeweiht, trat jetzo mit bekränztem Haupte und fröhlichem Gesichte in die Versammlung der Bürger von Siena und erzählte: »Unordnung und Uneinigkeit herrsche im florentinischen Heere, und man dürfe auf den Abfall vieler in der Schlacht rechnen.« – Kaum hatte Razzante diese Worte beendet, so rief das Volk einmüthig: »zur Schlacht, zur Schlacht!« – und die Deutschen, denen man doppelten Sold versprach, theilten diesen Eifer.

457 {1260} Das Heer, an dessen Spitze Troghisio der Podesta, Rofredo de Isola der Volkshauptmann, und Graf Jordanus der Statthalter Manfreds standen, zählte nur etwa 17000 Mann, und war mithin kaum halb so stark, als das florentinische. 1500 deutsche Reiter und 2000 deutsche Fußgänger überwogen nun zwar eine gleiche Zahl Feinde; doch war es sehr klug, außerdem auf Mittel zu denken, welche den Unterschied der Zahl ausgleichen könnten. Zu dem Zwecke wurden 400 deutsche Reiter unter Anführung eines Marschalls und 800 sienensische Fußgänger, unter Anführung von Nikolo Bigozzo, heimlich rechts ab, auf den Weg gen Alciano gesandt und hinter Hügeln so aufgestellt, daß sie unbemerkt das Schlachtfeld beobachten konnten. Die Hauptmacht zog aus dem Thore des heiligen Veit hervor, worüber die florentinischen Anführer, welche noch immer auf eine verrätherische Einnahme der Stadt rechneten, nicht wenig erschraken und kaum Zeit behielten die Schaaren zu ordnen. Doch widerstand ihr linker Flügel dem ersten Angriffe des sienensischen Fußvolks nicht bloß mit MuthMalavolti I, 2, 17., sondern, weil man von der Höhe herab focht, anfangs auch mit Erfolg: als es aber dem rechten Flügel der Sienenser gelang, sich eines wichtigen Hügels zu bemeistern, wodurch der Plan, das geringere Heer derselben mit der Überzahl einzuschließen, vereitelt wurde; so schien die Schlacht, was das Fußvolk anbetraf, im Gleichgewichte zu stehen. Hingegen ertrug die florentinische Reiterei den Angriff der deutschen um so weniger, weil zu deren Überlegenheit an Kraft, Muth und Übung sich unheilbringender Verrath gesellte. Bokka Abati nämlich, ein heimlicher Ghibelline, drängte sich zu Jakob Pazzi, dem muthigen Anführer der florentinischen Reiterei und hieb ihm plötzlich die Hand ab, so daß sie mit der Hauptfahne zu Boden fiel; und in demselben Augenblicke warfen die übrigen Ghibellinen des Heeres ihre rothen Feldzeichen hinweg, vertauschten sie mit 458 {1260} weißen (der Farbe Manfreds), welche sie heimlich hatten machen lassen, und riefen dabei laut aus: »Tod den Florentinern!«Schreiben der florentinischen Guelfen an Konradin Codex epist. Vatican. mscr. Nr. 4957, pag. 84.  Chron. Udalr. August zu 1259.  Pieri zu 1260.  Math. Paris 667.  Monach. Patav. 714.  Saba Malasp. 4.. Hiedurch entstand Mißtrauen, Unordnung und so übereilte Flucht der florentinischen Reiter, daß nur sechsunddreißig von ihnen ums Leben kamen. Tapferer widerstand noch immer das Fußvolk. Als nun aber zu so vielen Täuschungen, Unfällen und Verräthereien sich ein neues, unerwartetes Übel gesellte, als Bigozzo und der deutsche Marschall mit ihren Schaaren aus dem Hinterhalte hervorbrachen, da ward die Niederlage allgemein, der Heldenmuth einzelner konnte das Glück des Tages nicht wieder herstellen, und der siebenzigjährige Johann TornaquinciAmmirato I, 121-125., welcher beim Carrocio die Wache hatte, opferte sich vergebens mit einem Sohne und drei nahen Verwandten dem Tode, – um das Vaterland vor den eigenen Mitbürgern zu erretten! Das Carrocio und Martinella, die Kriegsglocke, gingen dennoch verloren, so wie vierundsechzig Feldzeichen und alles GepäckSanese chron. 30.  Villani VI, 80.. Die Florentiner nebst ihren Bundsgenossen zählten nach der geringsten Angabe 2500 Todte und 1500 Gefangene, nach der höchsten 10,000 Todte und 20,000 GefangeneDie ersten Zahlen hat Malespini cap. 167 und das Schreiben der Sienenser an König Richard in Würdtw. nov. subs. I, 95.Joh. de Mussis zu 1260 hat 8000 Todte und 2000 Gefangene. Die Ghibellinen reden in ihrem Schreiben an König Richard von 10,000 Todten und 20,000 Gefangenen.  Cod. epist. Vatic. mscr. No. 4957, 87.  Doch sagt Malespini selbst, es seyen mehr als jene Zahl umgekommen und gefallen; und vielleicht muß sie durch Hinzufügung der Bundsgenossen erhöht werden.. In Siena war die Freude so ohne Maaß, wie in Florenz die Trauer: dort hielt man Dankfeste und 459 {1260} stiftete, zum Andenken des vierten Septembers 1260, des Siegstages von Montaperto, jährliche KampfspieleSanese chron. 30.; hier verzweifelten die Guelfen, daß sie die, obgleich noch mit Graben und Mauern eingeschlossene Stadt, behaupten könnten.

Am 13ten SeptemberDiesen Tag hat Villani; nach einer Urkunde bei Gebauer, Leben Richards S. 580, zogen die Guelfen aber schon am 9ten September davon. zogen sie sämmtlich aus Florenz nach Lukka und drei Tage später rückten die Ghibellinen ein, an ihrer Spitze Graf Jordanus, der Statthalter Manfreds. Diesem schworen alle Einwohner Treue und besoldeten eine deutsche Besatzung, welche zwei Jahre lang in der Stadt bleiben sollte. Graf Guido Novello trat an die Spitze der Geschäfte, abhängig jedoch, wie es scheint, von dem königlichen Statthalter. Die Gränzburgen gegen Siena wurden zerstört, vieles abgetreten, noch anderes (wie Montepulciano), von Manfred aus eigener Macht dieser Stadt geschenkt und ein Bündniß mit ihr zu Stande gebrachtUrk. vom 22sten November 1260.  Camici Urk. VII, S. 88.  Lünig cod. dipl. Ital. III, 1501., welches Florenz und seine frühern Verbündeten den Ghibellinen unterwarf. Ganz Tuscien war für Manfred bis auf Lukka, wo die versammelten Guelfen einer bessern Zukunft harrten und sich über die nächste Vergangenheit gerechte, aber fruchtlose Vorwürfe machten. So sagte Aldobrandini zum SpeditoMalespini c. 170.  Villani VI, 82.  Adimari I, 123.: »hieher haben uns deine Vorschläge gebracht, aber freilich gehts nach dem Sprüchworte: die Thoren begehen die Thorheiten und die Weisen weinen darüber.« Spedito gab, uneingedenk daß er Gewalt gebraucht hatte, zur Antwort: »einem Thoren folgen ist noch jämmerlicher, als ein Thor seyn.«

Den Ghibellinen in Florenz erschien aber diese Nachbarschaft der Guelfen gefährlich, weshalb sie mit dem Grafen Jordanus wiederholt in Empoli darüber rathschlagten: 460 {1260} wie der Zustand Tusciens am zweckmäßigsten und dauerhaftesten zu ordnen sey. Hier erklärten alle benachbarte Städte und mit ihnen übereinstimmend viele ghibellinische Häupter: Florenz sey nur durch Gewalt ghibellinisch und werde immer wieder zu den Guelfen zurückfallen; deshalb müsse man es zerstören und in ein schlechtes Dorf verwandeln, damit weder Macht noch aufreizendes Andenken früherer Größe übrig bleibe. – Als der edle Farinata Uberti diese Worte hörte, ergriff ihn Zorn und Schmerz: dazu hätte er nicht gekämpft und gelitten, daß seine geliebte Vaterstadt von der Erde vertilgt werde; sondern daß sie, für das Rechte und Tüchtige gewonnen, in neuem, schönem Glanze aufblüheDie Anwendung von Sprüchwörtern auf die Lage der Dinge, welche Malespini c. 170 erzählt, läßt sich im Deutschen nicht gut wiedergeben.. Seinen Gründen über die Gefahr, den Nachtheil, den Wahnsinn jenes Vorschlags fügte er hinzu: »und dächte auch kein einziger wie ich, ich werde mit dem Schwerte in der Hand Florenz vertheidigen bis zum Tode.« – Als Graf Jordanus und die übrigen einen Mann von solcher Tugend und solchem Ansehn so reden hörten, erwähnten sie jener Maaßregel nicht weiterDankbar zeigte sich indessen das Volk weder gegen ihn, noch seine nächsten Nachkommen.  Villani VI, 82., und durch alle folgende Jahrhunderte ist dem Farinata der Ruhm geblieben: er habe das herrliche Florenz errettet, wie einst aus gleich großen Gefahren, Themistokles Athen und Kamillus Rom.

Leider aber besaßen nur wenige diesen großartigen Sinn: denn ob nun gleich Florenz nicht völlig vernichtet wurde, so zerstörte man doch aus thörichtem Haß eine solche Zahl von Häusern und eine solche Masse von Besitzthum der VertriebenenBeweise giebt der große handschriftliche Foliant, betitelt Guelfi e Ghibellini in der Bibliotheca Riccardiana zu Florenz und Brunetto Latino tesoro II, c. 29., daß kaum begreiflich ist, wie noch irgend etwas übrig bleiben konnte und woher einzelne 461 {1260} Guelfen die Mittel hernahmen, sich aus der Gefangenschaft zu lösen. So stellte man Gherardino Cerchio in Siena auf eine Wagschale, und legte auf die andere so viel Geld, als er schwer war; diese Summe mußte er bezahlen und hatte Ursache, sich noch über Milde zu freuen, denn oft schonte man in leidenschaftlicher Wuth nicht des Lebens der GefangenenLami delizie VI, 106.. So ergab sich bei einem Zuge gen Lukka Cece Buondelmonti dem Farinata, welcher, ritterlich gesinnt, ihn hinter sich aufs Pferd nahm, um ihn zu retten; aber Asino Uberti, Farinatas eigener Bruder, ergriff, von wildem Zorne übermannt, eine eiserne Keule und schlug den Gefangenen todt, ohne Rücksicht auf dessen Bitte und Farinatas WiderstandVillani VI, 86..

Als der Papst von dem Siege der Ghibellinen bei Montaperto und von dessen Folgen Nachricht erhielt, erschrak er sehr, und die meisten Kardinäle theilten seinen SchmerzMalespini 169.; nur Oktavianus Ubaldini zeigte unverholen große Freude und deutete damit die Gefahr einer Spaltung an, welche in spätern Zeiten der Kirche mehr Nachtheil brachte, als mancher weltliche Angriff. Jetzo that Alexander zur Herstellung der Verhältnisse, was in seinen Kräften stand; er schickte seinen Kapellan Guala von Vercelli zu den Guelfen nach Lukka und schrieb ihnenCodex epist. Vatic. N. 4957, 85, 87-89.: um ihrer Sünden willen habe sie einmal Unglück getroffen, sie möchten sich bessern, hoffen und den Muth nicht verlieren. Bei Strafe des Bannes befahl er die Auflösung aller Verbindungen mit Manfred. {1261} Allein der Bann blieb ohne erhebliche Wirkung, während das Ansehen des Königs von Tage zu Tage in ganz Italien wuchs und nicht bloß Ghibellinen feindlich den Kirchenstaat überzogen, sondern sogar 462 Muhamedaner aus Luceria und Afrika. Von solcher Bedrängniß ward Alexander durch den Tod befreitMonach. Patav. 715.  Concil. coll. XIV, 147.  Patavin. chron. 1143.  Memor. Regiens. 1120.  Barthol. ann. z. d. Jahren., er starb zu Viterbo am 25sten Mai 1261. Hätte er wenige Wochen länger gelebt, so würden Trauerbotschaften aus dem Morgenlande das Maaß seiner Leiden noch erhöht haben.

Daß der wohlgemeinte Kreuzzug des heiligen Ludwig die Lage der Christen in Syrien und Palästina nicht verbesserte, ist bereits erzählt worden; nach seiner Entfernung nahmen indeß die Übel noch mehr überhand, und anstatt die geringen Kräfte gegen so viele Feinde zusammenzuhalten oder durch Klugheit und würdiges Benehmen vortheilhaft zu wirken, wütheten Pisaner, Genueser, Venetianer, Johanniter und Templer, aus Neid oder Eigennutz oder Rachsucht oder aus falschem Ehrgefühl, in blutigen Fehden wider einanderRaynald.  Dandolo.  Bartholom. ann.. Die Begeisterung für eine neue glorreiche Begründung des Christenthums im Morgenlande erschien sehr vielen als eine Thorheit, und am wenigsten wollte man sich für die ausgearteten syrischen Christen nutzlos aufopfern. Zwar versuchten die Päpste durch Ermahnungen aller Art den ehemaligen Eifer wieder zu erzeugen und den Frieden zwischen den Parteien herzustellen: aber ihre Worte machten aus den angegebenen Ursachen keinen Eindruck; auch äußerten Abgeneigte und Unlustige: ihre leidenschaftliche Verfolgung der Hohenstaufen sey der Hauptgrund, weshalb das heilige Land vernachlässigt, ja allmählich ganz aus den Augen verloren werde.

Eben so trostlos war die Lage des sogenannten lateinischen Kaiserthums in Konstantinopel. Während Vatatzes, der Kaiser von Nicäa, durch Thätigkeit, Kriegsgeschick und Arglist sein Reich, oder doch wenigstens seinen Einfluß allmählich bis zu den Küsten des adriatischen Meeres ausdehnte, reisete Balduin, der Kaiser von Konstantinopel, vergeblich 463 {1261} Hülfe suchend im Abendlande umher und gewann durch Verkauf von Kostbarkeiten und Verpfändung von Reliquien kaum so viel, als er, nicht aber als das Reich bedurfte. Fehden zwischen Griechen und Bulgaren, der Tod des Vatatzes im Jahre 1255 und die, nach einer nur dreijährigen Regierung seines Sohnes Theodor Laskaris eintretende Vormundschaft des Georg Mutzalon, für seinen Enkel Johann Laskaris, gewährten den Lateinern einige Ruhe: sobald aber Mutzalon gestürzt, Johann Laskaris beseitigt, und Michael Paläologus (welcher aus einem angesehenen Hause stammte und mit den Komnenen verwandt war) erst zum Reichsverwalter und dann zum Kaiser erhoben wurde; traten nicht, wie Balduin und die Lateiner erwarteten, die gewöhnlichen Unruhen und Fehden ein, sondern Michael erhöhte seine und des Reiches Macht durch löbliche, wie durch verwerfliche Mittel und behandelte, im Gefühle seiner innern und äußern Überlegenheit, die Forderungen der Lateiner welche mehre Landschaften zurückbegehrten, als lächerlich und unvernünftig. Und sie waren es auch in der That: denn um diese Zeit nahm Michael den Beherrscher Achajas, Wilhelm von Villeharduin gefangenChron. Udalrici August. zu 1259.  Abulfar. 335.  Monach. Patav. 716.  Martin da Canale, mscr. 68-79.  Sanuto vite 560. und bedrängte Vatatzes, den Beherrscher von Epirus, trotz des Beistandes, welchen ihm sein Schwager König Manfred leistete, so sehr, daß er sich dem neuen Kaiser anschließen mußte, um nicht verjagt zu werden. In Konstantinopel war der Patriarch Pantaleo Giustiniani in solcher Noth, daß Alexander IV befahl, man solle ihm aus Morea Unterstützung senden; ja Balduin ließ aus dem Metalle der Kirchendächer Münzen schlagen, schöne Häuser einreißen um Brennholz zu erhaltenDu Fresne hist. Constant. IV, 19, 20., und schickte seinen Sohn Philipp als Geißel für geliehene Summen an das Haus Kapello in Venedig. Kann man bei solchen Umständen noch von dem Daseyn und von dem erst 464 {1261} bevorstehenden Untergange eines Reiches sprechen, das ohnehin schon auf den Umfang von Konstantinopel beschränkt war?

Während die Venetianer (welche allein noch durch Anstrengungen aller Art ein Scheinleben in diesen Gegenden erhalten hatten) unzeitig mit ihrer Flotte nach Daphnusia am schwarzen Meere segeltenGibbon cap. 61., ließ Michael seinen Feldherrn Strategopulos mit einer anfangs nur geringen, aber unbemerkt immer mehr verstärkten Macht über den Hellespont setzen und sich der Hauptstadt nähern. Mit ihm vereinigten sich Banden verwegener, aus Mangel an Sold und Gehorsam umherschweifender Kriegsleute, welche dem vorsichtigen Strategopulos die Eroberung Konstantinopels (bei den Gesinnungen der griechischen und der geringen Zahl lateinischer Einwohner) als so leicht und unzweifelhaft darstellten, daß er wenigstens den Versuch erlaubte. Einige erstiegen in der Nacht die Mauern, sprengten ein seit langer Zeit nicht gangbares Thor, steckten, die Verwirrung zu mehren, viele Häuser in Brand, und während Strategopulos den Hauptkampf noch erwartete, war er bereits Herr der Stadt. Denn Balduin, der Patriarch und die angesehensten Lateiner hatten sich, ohne Widerstand zu versuchen, so eilig in die venetianischen Schiffe geflüchtet, daß viele auf der Fahrt nach Negropont unterwegs vor Hunger starben.

Die Genueser, welche (ihre Handelsvortheile höher achtend, als die Befehle der Kirche) sich gegen Bewilligung großer Rechte mit dem Kaiser Michael verbunden und ihm ansehnliche Hülfe geleistet hattenBarthol. annal. zu 1260–1262.  Andererseits behauptet er, daß die Genueser mehre Venetianer durch ihre Vorbitte von dem durch Michael befohlnen Ausstechen der Augen und Abschneiden der Nasen erretteten. – Villani VI, 71.  Malespini 162.  Navagiero 1000., erhielten jetzo von ihm das große und wohlbefestigte Schloß der Venetianer in Konstantinopel zum Geschenk; anstatt aber zu bedenken, wie 465 {1261} heilsamen Schutz ihnen dies bei etwaniger Bedrängniß gewähren könne, rissen sie es in übereilter Freude unter Gesang und Musik ganz danieder, und schickten nur einzelne Steine, als aufzubewahrende Andenken, nach Genua.

So ging am 25sten Julius 1261 durch die Eroberung Konstantinopels, unter abendländischer Mitwirkung, das abendländische Kaiserthum zu Grunde, nachdem es sein kümmerliches Leben gebracht auf siebenundfunfzig Jahr, drei Monate und einige Tage. – Groß war die Freude der Griechen: aber bei dem Mangel ächter Tüchtigkeit und Tugend entstand durch ihre wiederkehrende Herrschaft keine wahre Erneuung und Verjüngung; vielmehr füllen Schwächen und Frevel die noch fast zweihundertjährige Krankheitsgeschichte des, langsam und widrig dahinsterbenden, byzantinischen Reiches.

Balduin durchzog Italien, Spanien und FrankreichDu Fresne hist. Const. die letzten Abtheilungen., fand aber nirgends wahren Beistand, sondern überall nur Mitleid und Versprechungen. Er starb nach eilfjährigen vergeblichen Bemühungen und hinterließ Ansprüche, welche seine Nachkommen nicht eher aufgaben, als bis sie durchaus lächerlich und lästig wurden, weil sich auch nicht einmal eine träumerische Hoffnung mehr daran knüpfen ließ. – In langwierigen Handelskriegen übten und erschöpften die Venetianer und Genueser ihre großen Kräfte mit bewundernswerthem Heldenmuthe; vom Christenthum aber und gemeinsamer Anstrengung für dasselbe, mit Beseitigung aller bloß irdischen und eigennützigen Absichten und Zwecke, war, wie gesagt, nicht mehr die Rede. 466

 


 


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