Friedrich von Raumer
Geschichte der Hohenstaufen und ihrer Zeit, Band 4
Friedrich von Raumer

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Sechzehntes Hauptstück.

{1241 bis 1243} Der Kaiser, welcher stets behauptet hatte, er kämpfe nicht gegen die Kirche, sondern nur gegen die Persönlichkeit Gregors, hielt itzt die Hauptfehde für beseitigt und schickte, seiner kriegerischen Überlegenheit in Italien gewiß, den König Enzius mit 4000 Reitern und vielem Fußvolke nach Deutschland gegen die Mongolen. Diese hofften, nachdem sie an der Oder so hart empfangen worden, mit leichterer Mühe die Donau aufwärts in das südliche Deutschland einzudringen: allein König Konrad hatte bereits das Kreuz wider sie genommen und mit größter Anstrengung ein Heer gesammelt, welches er, durch jene italienische Mannschaft verstärkt, den Barbaren muthig entgegenführteErfurt. chr. Schann. 204, zu 1242.. An einem Seitenflusse der Donau, von dem Berichtserstatter Delphos genannt, kam es zu einer Schlacht, welche die Mongolen nach hartnäckigem Widerstande gänzlich verloren; und als sie im nächsten Jahre einen neuen Versuch wagten, wurden sie durch Herzog Friedrich von Österreich und seine Verbündeten gleich nachdrücklich zurückgeworfenSo glaubten wir die Sache nach Vergleichung von Math. Par. 381, 413, Bulaeus III, 189, Haython c. 21, Pernold zu 1243, Pfisters Übersicht der Geschichte von Schwaben, Funks Geschichte Friedrichs II, 263, fassen zu dürfen.. Mithin 107 gebührt (bei noch größerem Glücke, als es Herzog Heinrich dem Frommen zu Theil wurde) die Hälfte des Ruhms für die Errettung von den Mongolen dem Hause der Hohenstaufen und der Babenberger; und das sinnlose Gerücht, als habe der Kaiser jene Brut herbeigerufen, verdient kaum eine Erwähnung, viel weniger eine Widerlegung. Andererseits ist es jedoch nicht minder gewiß, daß auch Papst Gregor die Besiegung dieser ungläubigen Horden sehnlichst wünschte, wenn auch dessen Kreuzpredigten gegen Friedrich II, mittelbar die christlichen Streitkräfte verringerten.

{1241} Unter allem wichtigen erschien itzt die Wahl eines neuen Papstes als das Wichtigste. Zum Zeichen seiner wohlwollenden Gesinnungen stellte der Kaiser alle Feindseligkeiten im Kirchenstaate ein, und begab sich nach Apulien; während der römische Senator, mit Beistimmung der Bürger, die in der Stadt gegenwärtigen Kardinäle einsperrte, damit sie sich nicht entfernen und anderswo, ohne Rücksicht auf die Ansichten der Römer, wählen möchten. In dieser Bedrängniß wandten sich die Kardinäle bittend an den Kaiser, er möge ihre noch in seiner Haft befindlichen Brüder frei lassen, damit sie, ihrem Rechte und ihrer Pflicht gemäß, an der Papstwahl Theil nehmen könnten. Friedrich, welcher sich in diesem Augenblicke durchaus nicht mit jenen so gefährlichen Wählern veruneinigen wollte, bewilligte das GesuchDaß alle drei frei gelassen wurden, scheint hervorzugehen aus Cod. epist. 4957, p. 3, Math. Par. 389, Rich. S. Germ. 1050. und erklärte: man werde daraus, daß er selbst seine Feinde frei lasse, erkennen, wie sehr er wünsche der Kirche ein Oberhaupt zu geben; doch hoffe er, daß die Folgen seines Beschlusses gut ausfallen und die Wahl befriedigen werdeLitt. Princ. ap. Hahn. 24.  Petr. Vin. mscr. 2138, p. 19.. Über diese konnten sich indeß die Kardinäle nicht vereinigen: fünf nämlich gaben ihre Stimmen dem sechsten, dem Mailänder Gottfried Kastiglione, dem Schwestersohn Urbans III; und drei erwählten den vierten, RomanusDonio 264.  Dandolo 333.. Diesen 108 {1241} verwarf angeblich der Kaiser, weil er den frühern Streit mit Gregor vermehrt, die Universität Paris ungebührlich verfolgt und der Königinn von Frankreich unanständige Zumuthungen gemacht habe. Was hievon auch wahr oder nicht wahr seyn mag, so viel steht fest, daß jede Partei auf ihrem Sinne beharrte, mithin keine Wahl (wozu gesetzlich zwei Drittheile der Stimmen gehörten) zu Stande kam. Der Kardinal Otto, welcher, sobald er nicht selbst erwählt werde, dem Kaiser die Rückkehr in die Haft versprochen und dafür Geißeln gestellt hatte, hielt jetzo sein Wort und wurde seitdem von diesem, uneingedenk alles frühern, mit Achtung und Milde behandeltMath. Paris 390.; die übrigen Kardinäle blieben dagegen in Rom eingesperrt, bis sie von Hunger, Noth und Krankheit bedrängt, sich am 23sten SeptemberDiesen Tag hat das Bullar. Rom. I, 82. - Vitae Pontif. 589.  Iperius 722.  Villani VI, 20.  Tonduzzi 281.  Math. Par. 391.  Roland Patav. V, 6.  Mon. Patav. 680.  Martin. Fuld. 1108.  Memor. Reg. 1112.  Bonon hist. misc.  Erfurt. chron. S. Petrin.  Ob er sechzehn oder achtzehn Tage Papst war, darüber finden sich Abweichungen. 1241 für jenen Mailänder einigten, welcher den Namen Cölestin IV annahm. Allein kaum hatte dieser einige Bischöfe geweiht und andere zunächst gebräuchliche Geschäfte verrichtet, als er dem Alter und der Schwachheit erlag und sechzehn Tage nach der Wahl, am achten Oktober starb. Die Kardinäle flohen, neue Mißhandlungen der Römer fürchtend, sogleich aus der StadtSalisburg. chron. zu 1242.  Alb. Stadeus.; eine zweite Wahl kam weder in diesem, noch in dem nächsten Jahre zu Stande; aus Gründen, welche wir darlegen werden, sobald die Erzählung einiger andern, auf jene Hauptsache zurückwirkenden Ereignisse vorhergegangen ist.

Zuvörderst dauerte der Krieg zwischen dem Kaiser und Genua noch immer fort. Seine Flotte beherrschte, nach dem großen Seesiege vom dritten Mai das Meer, und die 109 {1241} Genueser waren gleich sehr besorgt für ihre Küsten, ihre Hauptstadt und ihre aus dem Morgenlande zurückkehrende große Handelsflotte. In dieser Lage baten sie den Kaiser um Verzeihung, erinnerten ihn an seine oft bewiesene Milde, und stellten ihm Eli und Christus als Muster vorDiese in Lami delizie III, 261 ohne Datum abgedruckten Schreiben scheinen hieher zu gehören.. Er antworteteBartol. annal.: »keine Sünde bleibe ungestraft; Judas leide ewig und es sey, nach der Schrift, die Pflicht der Fürsten und Mächtigen auf Erden, dahin zu wirken, daß kein Unrecht geschehe oder geduldet werde.« – Ungeachtet dieser bedenklichen Äußerungen verloren die Genueser den Muth nicht, sondern rüsteten mit größter Anstrengung zweiundfunfzig größere und kleinere Schiffe aus, und sandten jener Handelsflotte einen warnenden Schnellsegler entgegen, welcher sie im Julius 1241 ohne Unfall zum Hafen von Genua führte. Kaum war indeß diese Gefahr glücklich beseitigt, so traf die Nachricht ein: Anselm de Mari habe mit der kaiserlichen Flotte Noli von der Meerseite, die mit ihm einverstandenen Einwohner Albengas und Finales aber von der Landseite so eng eingeschlossen, daß alle außerhalb der Stadt gelegene Häuser schon niedergebrannt wären. Dahin eilte die genuesische Flotte, fand die kaiserliche nicht mehr, freute sich ihrer Flucht und befestigte Noli gegen künftige Anfälle. Anselm war aber nicht geflohen, sondern auf die Nachricht von der bevorstehenden Ankunft der genuesischen Flotte, ins hohe Meer, und dann so rasch als möglich, gerade nach Genua gesegelt. Diese Kühnheit hatte niemand erwartet, und es entstand die höchste Noth, als die kaiserliche Flotte in den Hafen eindrang, die Handelsschiffe angriff und zerstörte, und auf allen Seiten nach reicher bequemer Beute um sich griff. Doch kehrte den Genuesern die Besonnenheit bald zurück: sie vertheidigten die Ufer mit höchster Tapferkeit, und beriefen ihre Flotte durch Feuerzeichen aus Noli zurück, so daß Anselm, um nicht eingeschlossen zu werden, den Hafen verließ.

110 {1241} Hiemit trat aber die erwartete Ruhe nicht ein; vielmehr begann auf zweien Seiten nunmehr auch der Landkrieg. Des Kaisers Statthalter Marinus von Eboli zog nämlich auf der Küstenstraße von Vado und Savona nach Arezzano, wohin sich die kaiserliche Flotte gewandt hatte; Palavicini rückte auf der entgegengesetzten morgenlichen Küste von Spezia her vorwärts und belagerte Vernazza. Beiden Unternehmungen war aber die Beschaffenheit des Bodens durchaus zuwider: denn zwischen dem Meerbusen von Spezia und Genua wechseln in rascher Folge vielleicht vierzigmal hohe Berge und tief eingeschnittene ThälerDante Purgat. canto 3., zur Ermüdung selbst des unbehinderten friedlichen Wanderers, und die hohen Felsen treten sehr oft der Küste so nahe, daß wenige beherzte Männer ein ganzes Heer aufhalten könnten. Auch gelang dies den Bewohnern der benachbarten Orte Rapallo, Chiavari u. a., bis Verstärkung aus Genua ankam. Hierauf zog sich Palavicini freiwillig zurück und Marinus von Eboli war unter ähnlichen Umständen bei Arezzano zurückgeschlagen worden. Doch beharrten fast alle Orte südlich von Savona im Aufstande wider Genua, und jene, auf alle Weise befestigte und gegen Angriffe geschützte Stadt blieb ein sicherer trefflicher Hafenplatz für die kaiserliche Flotte.

Mit dem Frühlinge des Jahres 1242 begannen die Seezüge von neuem; und wenn sie auch zu keiner völligen Entscheidung führten, muß man doch die unermüdliche Thätigkeit bewundern, mit welcher Anselm die Genueser beunruhigte, und diese ihm überall entgegentraten. Jener griff Porto Venere und Levano an, entwich aber dann vor der großen genuesischen Flotte nach Savona. Während der Podesta Konrad Koreggio ihm dahin folgte, hatte er sich bereits zurückgewandt und bedrohte den Hafen von Genua. Als die durch Feuerzeichen berufenen Genueser ihrer Vaterstadt zu Hülfe kamen, war Anselm schon wieder in Savona; als 111 {1242} sie ihn hier suchten, hieß es, er sey in Albenga; im Augenblicke wo sie vor diesem Orte eintrafen, befand er sich an den provenzalischen Küsten; als sie ihn da zu finden hofften, hatte er schon Korsika, schon Apulien erreicht. – Jetzt hielt der Podesta den Feldzug um so mehr für beendigt, da die kaiserliche Flotte durch Sturm gelitten hatte; plötzlich aber war Anselm nochmals bei Savona angelangt und segelte, der von Marinus von Eboli geführten Landmacht zur Seite, bis Arezzano. Zwar drängten ihn die Genueser nach Savona zurück: allein alle Versuche den Hafen zu stürmen, oder die kaiserliche Flotte durch Brander zu vernichten, schlugen fehl, und der Podesta ging endlich bei Noli vor Anker. Kaum war dies geschehen, so brach Anselm wieder hervor, segelte bis Arbizola, kehrte dann nach Savona zurück, und besuchte hierauf zum zweiten Male die provenzalischen Küsten, ohne daß ihn die, zum Theil durch Ausbesserung ihrer beschädigten Schiffe aufgehaltenen Genueser erreichen konnten.

Mehr Vortheile versprach ihnen der Feldzug des Jahres 1243: denn die Markgrafen von Montferrat, Karetto und Ceva, söhnten sich, gegen Empfang bedeutender Summen, mit den Genuesern aus und versprachen, gleich mehren lombardischen Städten, Hülfe zur Belagerung von Savona. Als nun diese Stadt (obgleich einige von den Verbündeten nicht kommen wollten oder konnten) hart bedrängt wurde, wandte sie sich um Hülfe an den König Enzius und den Markgrafen Lancia, welche auch sogleich aus Pavia, Alessandria, Tortona und andern Städten ein Heer sammelten und bis Aqui vorrückten. Hier kam indeß den Genuesern wiederum ihr, nach allen Seiten von Natur befestigtes Gebiet zu Hülfe: denn jene Feinde wagten nicht durch die engen Bergpässe der Bocchetta vorzudringen, sondern begnügten sich Lebensmittel und Kriegsvorräthe, unter Bedeckung von 200 Mann, unbemerkt in Savona hineinzuwerfen. Bei der Ausdauer der Belagerer entstand jedoch neue Bedrängniß in Savona, und ergangenen Aufforderungen gemäß traf der Kaiser Anstalten, der wichtigen Stadt 112 {1243} eine zweite Land- und See-Macht zu Hülfe zu senden. Die Genueser beschlossen vor Ankunft derselben die Stadt zu stürmen: allein dieser Sturm ward am 19ten April 1243 mit so großer Tapferkeit zurückgeschlagen, daß jene die Belagerung aufheben und in ihre Heimath zurückkehren mußten. Dahin folgten die Pisaner mit achtzig Schiffen, schossen höhnend silberne Bolzen in die Stadt und behaupteten seitdem in Verbindung mit fünfundfunfzig kaiserlichen Schiffen, die Herrschaft auf dem Meere und in SardinienPisane monum. zu 1242 nach pisanischer Rechnung..

Weniger Thätigkeit und Anstrengung zeigte sich während dieser Jahre im adriatischen Meere und der Lombardei, obgleich auch hier keineswegs volle Ruhe statt fand. Venedig war in Begriff den Genuesern im Jahre 1241 eine Flotte zu Hülse zu sendenDandolo 354., als die Nachricht eintraf, daß sich die kaiserliche bereits entfernt habe, und der Abfall von Pola und Jadera ihre Kräfte in Anspruch nahm. Die Einwohner der letzten Stadt sprachen den Kaiser um Hülfe an; er wollte jedoch seine Seemacht nicht theilen, sondern lieber in Verbindung mit den Pisanern an einer Stelle obsiegen.

Im Jahre 1241 schlossen die Mailänder Friede mit Pavia; aber das Land zwischen beiden Städten glich mehr einer Wüste wilder Thiere, als einer fruchtbaren AueMagis silva ferarum videbatur quam agricultura.  Galv. Flamma c. 265.; und durch einen neuen Krieg mit Komo ward nun auch die nördliche Landschaft verheert. Gleichzeitig dauerte die Parteiung zwischen Adel und Volk innerhalb der Mauern Mailands fort, und neuer Streit entstand über die Wahl eines Erzbischofs. Endlich kam man überein den anzuerkennen, welchen der Minorit Leo von Perego ernennen werdeSaxii archiep. II, 696, zu 1241.; worauf dieser sich selbst erwählte; anfangs zum Erstaunen aller, dann wenigstens zur Zufriedenheit der guelfischen Partei, denn Leo war ein heftiger Feind des Kaisers.

113 {1241} Ezelin erhöhte nicht minder durch List und Grausamkeit, als durch Klugheit und Tapferkeit seine Macht, besonders auf Kosten des Markgrafen von Este. Den Grafen von Panego, welcher in den Verdacht kam, daß er Verona für große Summen den Lombarden habe übergeben wollen, ließ er ohne Rücksicht auf seine Schönheit und Jugend hinrichten; den Baumeister, welcher sich frech erbot, ihm Gefängnisse und Marterkammern zu bauen, schrecklicher als sie je erfunden worden, ließ er nach so musterhafter als boshafter Vollendung derselben, zuerst auf jämmerliche Weise darin umkommenRoland. Patav. V, 10..

In Bologna zeigte sich böse Spaltung, welche zu strengen Untersuchungen wider die kaiserlich Gesinnten führte; Fano hingegen und Imola traten offenbar auf Friedrichs Seite, und erhielten von ihm mancherlei VorrechteSavioli III, 2, 629, 630.  Griffò. Amiani I, 199.. In Tuscien hatten die Ghibellinen die Oberhand, besonders durch die Einwirkung der kaiserlichen Statthalter Rainald von Spoleto und Friedrich von AntiochienVon 1240 bis 1247 sey Friedrich Statthalter von Tuscien gewesen und 1246 Podesta von Florenz geworden, sagt Lami memor. I, 398. 1242 sey Rainald Statthalter geworden, berichtet Camici 17.. Überall endlich finden wir den höchst thätigen König Enzius, bei Mailand und Piacenza, in Ravenna und Turin, im Genuesischen und an andern OrtenBon. hist. misc. zu 1242.  Johann. de Mussis zu 1243..

Aus all dem Gesagten ergiebt sich: daß der Kaiser zwar über einzelne Gegner in Italien noch immer nicht obsiegen konnte, im ganzen aber doch die Oberhand hatte, und die Hauptbesorgnisse in Deutschland beseitigt warenDavon werden wir bald nachher im Zusammenhange sprechen.. Dagegen liefen üble Nachrichten aus Syrien ein, und noch schmerzlichere Unfälle erlitt Friedrich in seiner eigenen Familie. Am ersten December 1241 starb in Foggia seine von ihm 114 {1241} herzlich geliebte Gemahlinn Isabelle, worüber er ihrem Bruder, dem Könige von England, einen rührenden Brief schriebMath. Par. 391.  Rich. S. Germ. 1048 und der zu berichtigende Roland. Patav. V, 7.; und am 12ten Februar 1242 starb sein ungehorsamer Sohn König Heinrich, – ein Ereigniß, das auf eine noch mannigfachere Weise zugleich den Kaiser und den Vater berührte, und ihn in nachdenkliche Traurigkeit versetzteSiehe oben das achte Hauptstück am Schlusse..

Bald aber trat das Verhältniß zwischen Reich und Kirche, zwischen Kaiser und Papst wieder so bedeutsam und mächtig in den Vordergrund, daß es alle Einsicht, alle Thätigkeit Friedrichs in Anspruch nahm. – Was die Papstwahl anfangs verzögerte, ergiebt sich schon bei einer oberflächlichen Betrachtung. Der Kaiser freute sich, Gregors, seines hartnäckigen Gegners, entledigt zu seyn, und hatte bei der Wahl Cölestins gezeigt, daß er im allgemeinen die Besetzung des päpstlichen Stuhles nicht hindere. Nach dieser offenkundigen Thatsache schien es ihm aber keineswegs rathsam, mit Eifer für eine zweite Papstwahl zu wirken; vielmehr glaubte er, von der hauptlosen Kirche lasse sich eher etwas erstreiten, als von der kräftig durch ein Oberhaupt vertretenen. Das in ähnlichen Lagen früher so oft geltend gemachte Mittel, aus eigener Macht einen Papst zu setzen, der des Kaisers Diener sey, widersprach itzt so der allgemeinen Ansicht, daß jeder in dieser Richtung gemachte Versuch nur geschadet, nicht geholfen hätte. – Andererseits fehlte es auch den Kardinälen nicht an Gründen der Zögerung: sie waren mit Rom, dem gewöhnlichen Wahlorte, zerfallen; einige von ihnen befanden sich wiederum in des Kaisers Haft; sie fürchteten sich fast eben so sehr einen Feind als einen Freund des Kaisers zu erwählen; endlich trachtete jeder selbst nach der höchsten Würde in der Christenheit und gönnte sie keinem andern.

Hiebei drängt sich die Frage auf: ob nicht über diese wechselseitigen Ansichten und Gründe hinaus noch andere, 115 {1241} wenigstens insgeheim, angeregt wurden? ob Friedrich und die Kardinäle nicht auf den Gedanken kamen, die Christenheit könne für immer ohne Papst bestehen? Daß dies dem Kaiser Vortheil gebracht hätte, scheint außer Zweifel; und wenn der behauptete GrundsatzMath. Paris 408. anerkannt wurde: nach erledigtem päpstlichen Stuhle gehe Gewalt und Einnahme auf die Kardinäle über, so hätten diese (selbst bei geringer Kenntniß der Geschichte) eine mehrherrische, aristokratische Kirchenregierung wohl für zulässig halten können. – Dennoch lag diese Ansicht schlechterdings nicht in der Zeit; sie war, wenigstens damals, untauglich und unausführbar. Manche Gefahren, welche aus einer mehrherrischen Regierung für die Kirche selbst entstehen müssen, kamen zwar wenig zur Sprache; doch wurde die Bemerkung schon gemacht: daß jedes Reich alsdann wohl ohne Theilnahme der Kardinäle für sich sorgen könne. Und wiederum sah der Kaiser, daß nur ein Papst ihn genügend von dem drückenden Banne lossprechen und mit der Kirche versöhnen könne, und daß alles, was er etwa während der Erledigung des päpstlichen Stuhles gewinne, immer nur als gewaltthätige Anmaaßung ohne Rechtstitel betrachtet werde.

Abgesehen aber von solchen zuletzt eigennützigen oder doch nur weltlichen Berechnungen, waren die Kardinäle und nicht minder der Kaiser, aus höheren, damals nicht in Zweifel gezogenen Gründen, fest davon überzeugt: daß die geistliche und weltliche Macht unmöglich in einer Hand seyn könne, und eine monarchische Form der Kirche von Christus vorgeschrieben sey. Der Streit betraf nur die Gränzen und den Gebrauch oder Mißbrauch jener beiden, für nothwendig anerkannten Gewalten.

Bei den ersten über die Verzögerung der Papstwahl laut werdenden Klagen, schoben die Kardinäle alle Schuld auf den Kaiser, weil er ihre zur Wahl berechtigten Mitbrüder gefangen halte; nachdem aber Friedrich nicht allein diese, 116 {1242} sondern auch mit vieler Freundlichkeit die meisten übrigen Prälaten frei gelassen hatte, verlor dieser Vorwand alles GewichtMartene thesaur. III, 1281.. Dennoch setzten minder Unterrichtete nicht unnatürlich voraus, daß allein der Kaiser die Wiederbesetzung des päpstlichen Stuhles hindere; weshalb die englische Geistlichkeit ihm eine feierliche Gesandtschaft schickte und bat: »er möge die Unschuldigen nicht um eines Schuldigen willen strafen, sondern, des Hasses vergessend, für Herstellung des Kirchenfriedens Sorge tragenMath. Par. 391..« Friedrich antwortete ihren mündlichen Vorträgen: »wer hindert den Frieden und die Wahl? Ich in der That nicht; sondern der unvertilgbare Stolz der römischen Kirche und ihre unersättliche Habsucht. Wenn ich aber auch wirklich der englischen und römischen Kirche etwas in den Weg legte, wer könnte sich darüber wundern? Denn diese suchte mich auf alle Weise vom kaiserlichen Throne herabzustürzen; jene bannt und schmäht mich, und bringt Geld zu meinem Verderben auf.« Mit dieser Antwort kehrte die englische Gesandtschaft, nicht ohne einige Beschämung, zurück; wogegen die bald nachher eingehende Erklärung der französischen GeistlichkeitMath. Paris 408., mehr wider die Kardinäle als wider den Kaiser gerichtet war. »Wenn man die Papstwahl (so lautete jene Erklärung) noch länger aus Nachlässigkeit, oder unzureichenden Gründen verzögere, so werde Frankreich, vermöge eines alten dem heiligen Dionysius zugestandenen Rechtes, ein eigenes Oberhaupt seiner Kirche aufstellen.« Theils schreckte diese schwer auszuführende Drohung die Kardinäle nicht; theils rechneten sie nach wie vor darauf: daß der Kaiser durch die täglich anwachsenden Klagen über die Verwaisung der Kirche und den Stillstand so vieler höchst dringender Geschäfte, in der Meinung aller mehr verliere, als ihre, selbst während der Erledigung des päpstlichen Stuhles an innerer Macht zunehmende Partei.

117 {1242} Da glaubte Friedrich nicht länger zögern zu dürfen, sondern erließ Schreiben von solchem Nachdruck und solcher Bestimmtheit an die Kardinäle und an alle Christen, daß in der That niemand mehr glauben konnte, er sey der Urheber jener Zögerung. »Viele mögen sich wundern,« heißt es in diesen SchreibenPetr. Vin. I, 14, 17, 32., »daß wir so thätigen Eifer für die Erhebung eines neuen Kämpfers zeigen; aber es ängstet uns das Mitleid über die allgemeine Wehklage, es tröstet uns die feste Zuversicht, daß man einen friedlichen Hirten erheben werde. Die römische Kirche, welche die Mutter und Lehrerinn aller seyn soll, an deren überall hinströmenden Bächen die Bäume der Weisheit gepflanzt sind, mangelt des Trostes eines eigenen Hirten; und die allen den Weg zeigen sollte, irrt auf ungebahnten Pfaden umher und muß gezwungen werden zu lernen, was sie thun und lehren soll! An euch ergehen diese Worte, ihr Söhne Ephraims, die ihr schlecht den Bogen spannt, noch schlechter die Pfeile abschießet und am Tage der Schlacht feige fliehet! An euch ergehen diese Worte, ihr Kinder Belials, ihr Schafe der Zerstreuung, ihr Thiere ohne Haupt! An euch ergehen diese Worte, ihr Kardinäle, ihr verbogenen AngelnCardines., auf denen sich die Welt gar schlecht bewegt! An euch ergehen diese Worte durch mich, Namens der ganzen Welt. Ich sey, wird man einwenden, weltlich und unrein, und könne von solchen Dingen eigentlich nicht reden. Immerhin: so will ich mich als Theil der Welt nicht von ihr trennen, nicht ihr widersprechen; sondern euch über einen widerwärtigen Gegenstand, wie es die Welt verlangt, einen harten Brief schreiben. Jeder glaubt, daß nicht Jesus Christus, der Erlöser, der Friedensstifter zu euch aus dem Himmel herniedersteigt; sondern daß der Satan in eurer Mitte sitzt: dieser Vater der Lügen und Zwietracht, welcher euch dahin bringt, daß ihr weder an euer Heil, noch an das Heil der Welt denkt, und nicht nach dem Himmlischen hinauf seht, 118 {1242} sondern, wie die Schlange mit gebücktem Haupte, nur nach dem Irdischen trachtet. Petri Schifflein, welches auf hohem Meere, ohne Ruderer und Steuermann, von den Stürmen fortgerissen wird, macht euch gar keine Sorge; wenn aber auch jenes Schifflein selbst den Untergang nicht zu fürchten braucht, so leiden doch während jener Stürme viele Gläubige einen jämmerlichen Schiffbruch. Hättet ihr genau Acht, wie die Völker, über welche ihr zu richten pflegtet, jetzt höhnend das Haupt gegen euch erheben; wahrlich, so würde jeder von euch erblassen und keinen genügenden Grund finden können, um eine so öffentliche, so verabscheuungswürdige Schande von sich abzuwälzen. Während jeder nur an sich denkt und gierig nach der päpstlichen Krone trachtet, giebt er dem andern seine Stimme nicht; mithin wird niemand erwählt, die Würde des apostolischen Stuhles verschwindet, der Glaube leidet, und beim Mangel des Hauptes sind auch alle Glieder mißgestaltet und alle Sinne entstellt. So ist euer Gesicht verfinstert, euer Gehör vermindert und der Ton eures Mundes, der sonst wohllautend durch alle Länder erschallte, ist jetzt verstummt oder in ein lächerliches Echo verwandelt. Eure Hände allein sind noch bereit zum Nehmen; aber die Gaben bleiben aus, weil der leitende Stern untergegangen ist, und die aus Saba Kommenden den Herrn nicht in der Krippe finden. Wahrlich, selbst die Thiere sind klüger, als ihr: denn Vögel fliegen nicht ohne einen Führer, Bienen leben nicht ohne eine Königinn; ihr aber gebt schwankend die Kirche allen Zufällen preis und vergeßt, daß jene ohne Anführer umherschweifenden Israeliten zu der Verrücktheit kamen, ein goldenes Kalb zu bilden und an Gottes Stelle zu verehren. Wird etwa, wenn das Papstthum aufhört, ein anderer Heiliger aller Heiligen erscheinen? Wer sollte das wohl seyn? – Leset eure Anklage in eurem eigenen Gewissen; erkennt, daß ihr dem Schiffbruche nahe seyd, wenn ihr ohne Steuermann segelt; nehmet, zu euch selbst zurückkehrend, Haupt, Sinne und Vernunft wieder an, damit die Kirche, so lange ihres 119 {1242} Lichts beraubt, den rechten Glanz und die frühere würdige Stellung wieder erhalte.«

Der sonst so gemäßigte König Ludwig IX von Frankreich warf den Kardinälen fast nicht minder nachdrücklich ihren Eigennutz und sträflichen Zwist vor; andererseits aber versprach er ihnen, sobald sie ihrer Schuldigkeit nachkämen, Schutz und Beistand gegen jedermannPetr. Vin. I, 35.  Ob sich gleich gegen die Ächtheit dieses Briefes einige Zweifel erheben, dürfen wir ihn doch nicht verwerfen.. »Denn,« fügte er hinzu, »wir fürchten keineswegs, sollen wir sagen den Haß oder den zeither unerhörten Betrug eines Fürsten, der etwa zu gleicher Zeit König und Priester seyn möchte. Ein solcher müßte ja das Recht zu beidem nachweisen; was aber ganz unmöglich erscheint, da euer Wahlrecht und der Grundsatz feststeht: daß die weltliche und geistliche Herrschaft nicht in einer Person vereinigt seyn könne. Es bliebe also nur übrig, so Leeres und Verkehrtes mit Gewalt durchsetzen zu wollen; welche aber gar keine Bedeutung hat, sobald ihr mit Unbestechlichkeit handelt, die Wahrheit ehrt, Gott fürchtet und euch nicht vom Bösen unterjochen laßt. Doch wir sagen nicht mehr, damit es nicht scheine, als ob wir anmaaßend unsere Stimme gegen den Himmel erhöben. Wählt also einen solchen Papst, der mit Recht Christi Nachfolger genannt werden könne, einen guten Hirten, einen zuverlässigen Erhalter der Kirche, dessen Reinheit und Lehre heller sey, als die Sonne, und die gesammte Christenheit erleuchte. Auch werde darüber unter euch nicht viel geredet oder lange berathschlagt; sondern durch die Gnade des heiligen Geistes aufgeweckt, erhebe sich der schlafende Löwe von seinem Lager und lasse die Welt erzittern vor seiner Stimme.«

Aber all diese Schreiben, mehre Gesandtschaften, sogar der im Sommer 1242 vom Kaiser im Kirchenstaat erhobene Krieg führten dem Ziele nicht näher; und erst, als während des Frühjahrs 1243 Rom noch mehr bedroht und vorzugsweise die Güter der Kardinäle geschädigt und ausgeplündert 120 wurdenRich. S. Germ.  Dandolo 355.  Mutin. ann.  Pappenh.  Marthol. ann.  Ptolem. Luc. XXI, 39.  Math. Paris 406.  Als einen Haupturheber der Verzögerung bezeichnet Friedrich den Kardinal von Porto, welcher jetzt gestorben war.  Cod. Vind. Phil. No. 305, fol. 131., baten sie den Kaiser um Frieden und versprachen eine baldige Wahl. Jener zog hierauf sein Heer zurück, und die Kardinäle wählten (nachdem der päpstliche Stuhl ein Jahr und neun Monat erledigt gewesen) am 24sten Junius 1243 in Anagni den Kardinalpriester Sinibald Fiesko, Grafen von Lavagna aus Genua zum PapstVitae Pontif. 589.  Bullar. Rom. I, 82.  Baluz. misc. I, 206.  Sarti I, 1, 123.  Roffred. Benev. de ordine judiciar. de forma elect. in fine.  Roland. Patav. V, 7.  Memor. Reg. 1113.  Monach. Patav. 686..

Das Haus Fiesko leitete, obwohl ohne zureichenden Beweis, seinen Ursprung von baierischen Fürsten herPaolo Pansa vita.  Villani VI, 23.  Crescenzi I, 96.; gewiß gehörte es zu den angesehensten im nordwestlichen Italien. Sinibald, der fünfte Sohn Hugo Fieskos, bildete sich zuerst unter der Leitung seines Oheims, des Bischofs Opizzo, und bezog dann die Universität Bologna, wo er Azzo, Akkursius, Johann von Halberstadt und überhaupt die größten Lehrer des bürgerlichen und kirchlichen Rechtes mit solchem Nutzen hörte, daß er nachmals selbst zu den ausgezeichnetsten Rechtskennern gezählt wurde, die vorhandenen fünf Bücher der Dekretalen erläuterte und mit vielen neuen Gesetzen vermehrteTiraboschi IV, 285.  Martin. Fuld. 1709.  Costo 99.  Sarti I, 344.. Doch vernachlässigte er deshalb die Theologie nicht, sondern schrieb Erklärungen mancher biblischen Schriften, und war überhaupt ein Freund und Gönner der Gelehrten. Im Jahre 1223 verlieh ihm Honorius  III, vielleicht aus Freundschaft für seinen Großoheim, den Kardinal Robert Fiesko, eine Stiftspfründe in ParmaRegesta Hon. III, Jahr VIII, Urk. 126.; und als der Kardinal Hugolinus, der nachmalige Papst Gregor IX, den 121 {1243} Frieden zwischen Pisa und Genua vermitteln sollte, unterstützte ihn Sinibald mit so großer Klugheit und Umsicht, daß er von Honorius zum Vicekanzler der römischen Kirche ernannt wurde. Gregor IX endlich erhob ihn im September 1227 zum Kardinal von S. Lorenzo in LucinaNach Ughelli Ital. sacra IV, war Innocenz von 1235 bis 1238 auch Bischof von Albenga., und bediente sich seiner häufig bei den Verhandlungen mit dem Kaiser. Sinibald stand nämlich mit diesem auf freundschaftlichem Fuße: denn die Fieskos rechneten sich zum ReichsadelCosto 4., besaßen viele Reichslehne, und vielleicht die Hälfte ihrer Familie wohnte in Parma, das bis dahin stets dem Kaiser treu geblieben war.

Papst Innocenz IV.

Dennoch hatten die Kardinäle kirchlich gewählt, und Sinibald deutete seine Gesinnungen schon bestimmt genug an, indem er sich, Innocenz des dritten gedenkend, Innocenz den vierten nannte. Auch war Friedrich scharfsichtiger, als seine Umgebungen, welche laut ihre Freude äußerten, daß nun endlich ein kaiserlich Gesinnter den päpstlichen Stuhl bestiegen habe. Weissagend antwortete jener: »ich fürchte, daß ich einen Freund unter den Kardinälen verloren habe, und einen feindlichen Papst wiederfinde! Kein Papst kann ein Ghibelline seynNullus Papa potest esse Ghibellinus.  Galv. Flamma c. 276.  Dandolo 354.  Malesp. 132.  Villani VI, 23.!« Öffentlich ließ er jedoch wegen der glücklichen Wahl ein allgemeines Dankfest halten und schickte den Erzbischof von Palermo, den Großmeister des deutschen Ordens, den Admiral Ansald de Mari, die Großrichter Peter von Vinea und Thaddäus von Suessa, mithin die angesehensten Personen seines Reichs, an den Papst abRich. S. Germ. 1051.  Petr. Vin. I, 33.  Cod. Vind. No. 305, fol. 131., welche Schreiben überreichten, des Inhalts: »er freue sich sehr, daß endlich ein erwünschter Papst gewählt sey, und die Kirche, nach Beseitigung stiefmütterlichen Benehmens, sagen 122 {1243} werde: mein Sohn, siehe hier deine Mutter, durch deren Liebe du leben wirst! Und der Sohn wird antworten: Mutter, hier ist dein Sohn, welchen deine Brust ernährte und auf dessen Gehorsam du dich verlassen kannst. – Schon der vom Himmel vorher bestimmte Name Innocentius deute die Bestrafung nur der Schuldigen an, und das Reich könne auf Frieden, Recht und Freundschaft rechnen, nachdem einer aus den Edeln des Reiches auf den päpstlichen Stuhl erhoben worden. Die Gesandten würden des Kaisers Ansichten näher vortragen und bestätigen: daß er sich, seine Güter, seine Reiche mit wahrhaft kindlicher Liebe dem Papste darbiete, und alles und jedes, was irgend mit den Rechten und der Ehre des Reichs verträglich sey, ihm und der Kirche bewilligen und übergeben wolle und werde.«

Gleichzeitig schickte Innocenz die Bischöfe von Rouen und Modena und den Abt Wilhelm an den Kaiser ab, welche ihn in Melfi fanden und folgendes vortrugenRayn. §. 13.  Concil. XIV, 49.: »der Papst und seine Brüder wünschen sehnlichst mit der ganzen Welt, und insbesondere mit dem Kaiser in Frieden zu leben. Sie ersuchen ihn deshalb, laut seines frühern Versprechens, alle gefangene Geistliche zu entlassen und Vorschläge zu machen, wie er der Kirche Genugthuung leisten wolle. Sollte die Kirche, was nicht glaublich ist, dem Kaiser in einem Punkte Unrecht gethan haben, so ist auch sie zur gebührenden Genugthuung bereit. Leugnet jener alle Schuld, so will der Papst alle Könige, Fürsten und Prälaten an einen sichern Ort berufen, und nach deren Ausspruch Genugthuung geben und nehmen. Solche Genugthuung, so wie überhaupt der abzuschließende Friede, muß aber alle und jede Freunde der Kirche in sich begreifen.«

Bei dieser wechselseitigen, gewiß aufrichtigen Neigung zum Frieden zweifelten viele nicht an dem baldigen Abschlusse desselben: sobald man aber aufs einzelne einging, reichte jene allgemeine Stimmung nicht hin. Aus kleinen Beschwerden 123 {1243} entstanden allmählich immer größere, und um mancher aufreizenden Nebenpunkte willen wurde die Unterhandlung über die Hauptpunkte immer schwieriger. So klagte Friedrich: der Papst halte noch immer einen feindlich gegen ihn wirkenden Gesandten in der Lombardei; Salinguerra verbleibe in der Haft, selbst nachdem er seinerseits die gefangenen Geistlichen losgelassen habe; der ihm abgeneigte Erzbischof von Mainz habe größere Vollmachten bekommen. Die Ketzerei nehme, besonders in der Lombardei, überhand; der Zutritt zum Papste sey seinen Gesandten versagt wordenRayn. 16-22. u. s. w. Innocenz antwortete: der römischen Kirche stehe frei, Gesandte zu schicken wohin sie wolle; und es würde sehr tadelnswerth seyn, wenn sie den mit dem Kaiser noch nicht ausgesöhnten Lombarden diesen Trost verweigerte. Salinguerra sey nicht in des Papstes Haft, auch keineswegs ohne Grund in der eigentlich päpstlichen Stadt Ferrara gefangen worden; doch wolle Innocenz, sofern sich ein Vertrag oder Versprechen darüber vorfinde, thun was sich gebühre. Dem angesehenen Erzbischof von Mainz habe man einiges, ganz ohne Beziehung auf sein Verhältniß zu Friedrich bewilligt, und gern werde der Papst für ihre Aussöhnung sorgen. Wenn die Ketzerei, gegen welche die Kirche bekanntlich stets mit aller Macht gewirkt habe, dennoch zunehme, so liege dies bloß daran, daß der Kaiser alle Mittel und Wege der Einwirkung beschränke und versperre. Das persönliche Gehör sey, einem kirchlichen Herkommen gemäßSchon Gregor IX schrieb im ersten Jahre seiner Regierung (Regesta I, 72): non est consuetudinis, quod pontifex romanus ad colloquium excommunicatos admittat., den Gesandten Friedrichs so lange verweigert worden, als sie noch im Bann gewesen; nach dessen Lösung habe man sie freundlich aufgenommen. Dieses, im September 1243 an die päpstlichen Bevollmächtigten erlassene, mit mancherlei Warnungen und Ermahnungen für Friedrich ausgestattete 124 {1243} SchreibenSavioli III, 2, 631. führte aber nicht zum Ziele; weshalb Innocenz am 23sten Oktober seinen Gesandten in der Lombardei benachrichtigte, daß die gemachten Friedensanerbietungen wechselseitig verworfen seyen, und die Kirche, wenn die Lombarden einig und treu blieben, nie ohne sie Frieden zu schließen gedenke.

Die Schuld jenes Mißlingens aller Friedensbemühungen lehnte der Kaiser von sich ab, und behauptete unter anderemSchreiben Friedrichs in Cod. epist. mscr. No. 4957, p. 19-24.  Concil. XIV, 2.: »ich ließ die gefangenen Prälaten frei und entband sie von dem mir geleisteten Eide; ich gab meinen Gesandten Thaddäus von Suessa und Peter von Vinea Vollmacht, dem Papste über alles und jedes Rede zu stehen und ihm Genüge zu leisten: dennoch konnten diese, aller angewandten Bemühungen ungeachtet, von ihm keine deutliche und bestimmte Erklärung erhalten! Vielmehr äußerte der Papst: »»er verlange alles Land zurück, und behalte das übrige seinen weitern Beschlüssen vor; er wisse für jetzt nicht alles, was offenkundig sey, und vieles, was er davon wisse, könne er jetzo nicht sagenPapa terram sibi simpliciter postulabat et alia suo consilio reservabat adjiciensque quod omnia quae manifesta erant, nesciebat, ad praesens, et quod multa manifesta sciebat, quae tunc dicere non valebat..«« Den kaiserlichen Gesandten schien es gefährlich, bei diesen Äußerungen mit ihren Vorschlägen und Ansichten ohne Rückhalt hervorzutreten: denn leicht könne der Papst, trotz aller Nachgiebigkeit, zuletzt um eines, bis dahin verschwiegenen Grundes willen, den Bann fortdauern lassen. Sie verlangten, daß sich Innocenz wenigstens über das Offenkundige, die kaiserlichen Anerbietungen und insbesondere darüber erkläre: nach welcher Genugthuung er gewiß den Bann aufheben wolle. Dies geschah aber, wie es scheint, damals nicht. Erst als der 125 {1243} mit der Kirche wieder versöhnte Graf von Toulouse sich der kaiserlichen Gesandtschaft zugesellt und der hart bedrängte Kaiser Balduin von Konstantinopel ängstlich um Frieden und Hülfe gebeten hatte, erneuerten sich die Verhandlungen, mit vorzüglicher Rücksicht auf die Lombarden. Innocenz verlangte, daß er (so wie einst Gregor IX) unbedingt als Schiedsrichter ihrer Streitigkeiten mit dem Kaiser anerkannt werde. Dieser antwortete aber: »Gregor war damals nicht mein offenbarer Feind und ich selbst nicht im Bann; auch habe ich böse Erfahrungen über solche Schiedsurtheile gemacht. Oder wurde nicht, um nur ein Beispiel anzuführen, die Mannschaft, welche die Lombarden nach Gregors Ausspruch mir zur Hülfe stellen sollten, zuletzt von ihm wider mich gebraucht?« Als Innocenz hierauf erklärte: er habe sein Wort gegeben, nicht ohne die Lombarden Frieden zu schließen, so behauptete der Kaiser: jene müßten vorher den Eid der Treue leisten und Bürgschaft stellen, daß sie im Reichsgerichte und vor ebenbürtigen Richtern (so wie es in allen Ländern herkömmlich und gesetzlich sey) wegen der Besitznahme der Regalien und wegen anderer Klagepunkte Recht nehmen wollten. – Diesem Verlangen stellte Innocenz die Frage entgegen: ob denn die Lombarden wirklich in solcher Art Reichsvasallen wären, daß sie jenen Rechtsgang nicht verwerfen dürften? Welche Frage aber die kaiserlichen Gesandten mit dem Bemerken ablehnten: es sey sehr beleidigend und gefährlich für Kaiser, Reich und Fürsten, wenn man dem Papste verstatte solche Fragen aufzuwerfen, oder nachmals gar zu entscheiden. Auch könne der Kaiser unmöglich, wie man verlange, ohne Gegenversprechen, ohne Sicherheit und Bürgschaft, alle ihm nachtheilige Bedingungen vollziehen, alle Gefangenen loslassen, alle Macht und Zwangsmittel aus den Händen geben, und dann – gutmüthig abwarten, ob und was seine Feinde wohl zu seiner Genugthuung thun würden!

Diese bisher schon so schwierigen Unterhandlungen wurden durch ein neues Ereigniß, durch den Abfall Viterbos 126 {1243} von der kaiserlichen Partei, noch mehr gestört. Friedrich hatte diese Stadt einige Male gegen die Römer unterstützt, und im Frühlinge 1240, unter dem Vorwande eine Zusammenkunft mit Gregor einzuleiten, selbst besucht. Bei dieser Gelegenheit versammelte er das ganze VolkBussi 125.  Petr. V in. I, 22., und sprach lange mit solcher Würde und Wahrheit über ihre eigenen und die öffentlichen Verhältnisse, daß sich die Parteien der Gatti und Brettoni versöhnten, welche seit zweiundzwanzig Jahren die Stadt zerrüttet hatten. Alle fühlten sich hiedurch verpflichtet; das Volk pries außerdem seine strenge Würde, der Adel sein höfliches, einnehmendes Betragen, und die der Stadt bewilligten inhaltsschweren Freibriefe brachten einzelne Abgeneigte ganz zum Schweigen. War doch, und wie es schien im Ernste, davon die Rede, Viterbo an die Stelle des ungetreuen Roms zur Hauptstadt des Reichs zu erheben. Hiefür unterstützten die Viterbienser den Kaiser in seinen Kriegen, und umlagerten mit ihm Rom, bis Gregor  IX starb. Graf Simon von Theano, welcher als kaiserlicher Statthalter fast dem ganzen Kirchenstaate vorstand, wohnte zu Viterbo in einem neu erbauten kaiserlichen Palaste. – Nach der Wahl Innocenz des vierten erhoben indeß manche Guelfen wiederum ihr Haupt und äußertenNicol. da Tuccia, 291-303.: »es sey kindisch und thöricht sich darüber zu freuen, daß ein neuer Zwingherr in einem neuen Palaste unter ihnen wohne. Neben dem letzten sey auch schon ein neues Gefängniß gebauet und deute an, welche freie Wohnung man den Bürgern anzuweisen gedenke.« Graf Simon, welcher von diesen geheimen Umtrieben Nachricht erhielt, versammelte das Volk am 18ten August 1243 und sagte: »er wisse, daß manche vom Kaiser zum Papste abzufallen gedächten; diese werde er aber strafen wie Verbrecher.« Die erschreckten Viterbienser entschuldigten und rechtfertigten sich zwar sehr demüthig, nahmen aber doch die harte Drohung übel auf 127 {1243} und beschlossen, nach manchem Bedenken: sie wollten unter Darlegung mehrer Willkürlichkeiten des Grafen Simon, den Kaiser um einen andern Statthalter bitten. Friedrich empfing ihre Gesandten mit der größten Auszeichnung und ernannte, ihren Wünschen gemäß, den Grafen von Kaserta zum Nachfolger des Grafen Simon. Ehe jener aber anlangte, hatten sich in Viterbo alle Verhältnisse geändert. Der Kardinal Rainer Kapocci aus ViterboRainer wurde 1243 Bischof von Viterbo, legte aber 1244 anderer Geschäfte halber diese Würde nieder. Näheres über ihn hat Ughelli Italia sacra I, 141. Er starb 1252. hatte den Papst zwar nicht bewegen können, den Krieg offen gegen den Kaiser zu beginnen: wohl aber ließ es Innocenz geschehen, daß Rainer Mannschaft in Rom sammelte und den Viterbiensern zur Hülse führte. Graf Simon, dem man, zur Mehrung des Hasses, verleumderisch nachsagte, er wolle ganz Viterbo zerstören, ward am fünften September 1243 geschlagen und mußte sich in die Burg zurückziehen. Sogleich griff man diese mit solchem Nachdrucke an, daß die Kaiserlichen in die allerhöchste Bedrängniß geriethen, und Graf Simon dem Grafen von Kaserta seine Zögerungen und seinen Mangel am Muth in harten BriefenPetr. Vin. II, 53-58. vorwarf. »Während wir,« so schrieb er, »Hunger, Durst und Noth aller Art leiden, sitzt ihr in Überfluß bei den vollen Fleischtöpfen und gedenkt eures Vergnügens und eures Bauches, nicht unseres Elendes. Als die Nachricht von eurer Ankunft eintraf, erschrak das ganze Land; jetzt, da ihr in kindischem Kleinmuthe die Geistlichen scheut und mit 1500 Mann nicht die paar Hundert des Kardinals anzugreifen wagt, wächst allen der Muth: sie verlachen euch, und wir beschuldigen euch, daß ihr des Reiches Ehre preis gebet. Zwar wendet ihr ein, des Kaisers Ankunft sey abzuwarten, aber wir fürchten jenes Sprichwort wird eintreffen: das Pferd stirbt, während das Gras wächst, und der Hase läuft davon, während der Hund pißt.«

128 {1243} Trotz diesem so streng als spitzig gefaßten Schreiben, blieb der Graf von Kaserta bei Montefiaskone stehn: es sey nun daß er dem Grafen Simon persönlich abgeneigt war, oder seinen Soldaten nicht trauen durfte, oder der Mangel des Soldes diese lässig machte, oder daß er wirklich zu schwach war, um Viterbo mit Erfolg angreifen zu können. Weil man indeß der baldigen Ankunft des Kaisers entgegensah, suchte der Kardinal Rainer sich mit Anstrengung und Gewandtheit nach allen Seiten zu sichern, und schrieb unter andern dem mit Friedrich befreundeten Patriarchen von AntiochienPetr. Vin. Cod. No. 953, 43-62., welche Beschwerden wider den Grafen Simon Viterbos Abfall veranlaßt hätten. Der Patriarch antwortete: er werde hierüber mit dem Kaiser sprechen, müsse jedoch bemerken, daß dergleichen Klagen diesem keineswegs unmittelbar zur Last fielen; vielmehr geschehe manches durch dessen Stellvertreter, was er mißbillige, und wofür er sie, sobald ihr Unrecht bewiesen werde, an Leib und Gut bestrafe. – Mit diesen Worten war die Ansicht ausgesprochen: daß etwanige Mißgriffe des Grafen Simon den Abfall Viterbos und die Theilnahme des Kardinals in den Augen des Kaisers nicht rechtfertigten; weshalb Rainer sich nun dringender als je vorher an den Papst wandte. Dieser wollte einerseits noch immer einen offenen Bruch vermeiden, andererseits aber auch den Rückfall Viterbos zur kaiserlichen Partei verhüten; deshalb schickte er am siebenten Oktober dem Kardinal 2500 Unzen Goldes, damit er die ungeduldigen Söldner bezahlen könneRayn. §. 26..

Um dieselbe Zeit langte der Kaiser mit Heeres Macht vor Viterbo an und machte den Bürgern sehr günstige Anerbietungen: aber Kardinal Rainer erklärte: es sey damit nur auf Täuschung und Betrug abgesehen, und Friedrichs Haß gehe so weit, daß er gesagt habe: »und wenn ich schon mit einem Fuß im Paradiese stände, wollte ich ihn zurückziehen, sobald ich mich nur an den Viterbiensern 129 {1243} rächen könnte, welche meine Getreuen mißhandelt und ihre Häuser zerstört haben.« Dies überzeugte nicht minder die furchtsamen, als die muthigen Guelfen von der Nothwendigkeit des äußersten Widerstandes, und die Ghibellinen wurden abgeschreckt ihre Gesinnungen zu zeigen. – Nach diesem Mißlingen gütlicher Versuche, ließ Friedrich am 12ten Oktober 1243 die Stadt bestürmen; obgleich er aber vom Pferde absteigend an der Spitze der Fußgänger vordrang, obgleich schon ein Theil des die Stadt schützenden Pfahlwerks niedergerissen war, mußten die Kaiserlichen dennoch zuletzt vor dem hartnäckigen Widerstande der Belagerten zurückweichen. Hiemit waren indeß die Sorgen des Kardinals nicht gehoben: denn die Stadt blieb eingeschlossen, und der Geldmangel zwang ihn harte Steuern und Anleihen auszuschreiben. Er nahm sich aber hiebei so geschickt, daß, als die Guelfen nichts mehr hergeben wollten, selbst manche von seinen Gegnern, durch die Aussicht auf großen Gewinn, zu Zahlungen vermocht wurden.

Mittlerweile bereitete der Kaiser alles zu einem zweiten Sturme vorLami memor. I, 493.. Er ließ bewegliche, vorn gegen Feuer und Wurfzeug geschützte Thürme erbauen, von denen man, mittelst eines auf der Höhe angebrachten Ausbaues oder einer Fallbrücke, die Mauern betreten konnte. Er ließ Leitern mit Eisen beschlagen, und um sie leichter fortzubringen, mit Rädern versehen; sie reichten aus der Tiefe des Grabens bis an die Spitze des daran stoßenden Pfahlwerkes. Streitwagen, welche über und über mit brennbaren Dingen bedeckt waren, sollten rasch durch jenen Graben zu dem Pfahlwerke vorgeschoben werden und es anzünden; Fackeln, Wurfzeug aller Art und selbst griechisches Feuer hatte man in Menge zur HandIgnem vero graecum in multa jussit confici quantitate.  Petr. Vin. Cod. 953, p. 59.. Nicht minder thätig zeigten sich die Belagerten unter der unermüdlichen Leitung des Kardinals. 130 {1243} Sie vertieften die Gräben, erhöhten die Brustwehren, verstärkten alle übrige Befestigungen und bedrängten die in der Burg des heiligen Laurentius eingeschlossenen Kaiserlichen so sehr, daß diese, sofern sie nicht eiligst befreit wurden, verhungern oder sich ergeben mußten. Deshalb unternahm Friedrich, nachdem sein Heer aus mehren Theilen Italiens, besonders aus Toskana sehr verstärkt war, am 10ten November einen zweiten Sturm. Beide Theile boten gegen einander auf, was nur der größte Muth und die höchste Kunst vermochten. In unglaublicher Schnelligkeit füllten die Kaiserlichen den Graben mit Strauchwerk, Bündeln und ähnlichen Dingen, so daß Streitwagen, Thürme, Leitern und Wurfzeug am Pfahlwerke und an den Mauern standen, ehe die Belagerten es erwarteten. Gleichzeitig that die Besatzung der Burg einen nachdrücklichen Ausfall; und so von doppelten Gefahren umringt, verloren manche Viterbienser Muth und Besinnung. Da verbreitete sich zur rechten Zeit das Gerücht: »Stimmen vom Himmel wären erschollen und hätten Sieg und Unverwundbarkeit versprochen.« Unermüdlich kämpften itzt alle aufs neue, löschten das griechische Feuer mit Essig, bliesen durch künstliche Vorrichtungen den Kaiserlichen Flammen ins Angesicht, und fanden Unterstützung selbst bei ihren Frauen und Kindern. Ein unbewaffnet Weib sprang in den Graben, warf einem deutschen Soldaten mit Steinen den Helm vom Haupte und setzte ihn sich selbst auf. Ein neunjähriges Mädchen, welche Steine herbeitrug, wurde mit einem Pfeile durch den Arm geschossen; sie zog ihn mit den Zähnen aus und beharrte bei ihrer Arbeit. Andere trugen Reliquien umher, oder verbanden die Verwundeten, oder vertheilten Speise und Trank.

In diesem Augenblicke des noch ununterbrochen fortdauernden zweifelhaften Kampfes drangen die Belagerten durch unterirdische Gänge aus dem Walle in den Graben, und zündeten heimlich die Bündel und das Strauchwerk an. Da entstand plötzlich unter den Füßen der Belagerer 131 {1243} ein furchtbares Feuermeer; es war unmöglich dasselbe zu löschen, unmöglich darin auszudauern, unmöglich die Thürme und das Belagerungszeug ohne Verletzung hindurchzuführen. Nur der Kaiser ordnete noch das Nöthige mit Besonnenheit und Nachdruck; als sich aber ein gewaltiger Nordwind von der Stadt her erhob und die, durch das Übermaaß des Feuers ebenfalls bedrängten, Viterbienser sicherte; als durch die Verwechslung Friedrichs mit einem Ritter das Geschrei entstand: jener sey erschossenMath. Paris 412., – so war der Sieg der Viterbienser vollständig entschieden; und wenn das bei Sutri stehende römische Heer es ernstlich gewollt, oder recht verstanden hätte, müßte des Kaisers Unglück noch viel größer geworden seyn. Einen ganzen Tag blieb dieser im Zelte, seinem Schmerze nachhängend und überlegend, was itzt zu thun sey. – Am folgenden Tage erschien der Kardinal Otto, im Namen des Papstes verlangend, daß Friedrich alle Feindseligkeiten einstellePetr. Vin. II, 2.  Rich. S. Germ. 1052.; und gern gab dieser, unter dem Scheine großer Achtung der Kirche, in Dingen nach, welche er ohnehin nicht durchsetzen konnte. Doch ward in dem abgeschlossenen Vertrage, der Besatzung in der Burg von Viterbo und allen Anhängern des Kaisers freier Abzug und Sicherheit ihrer Güter versprochen. Als diese dem gemäß unbesorgt hervorgingen, wurden sie aber von den wüthenden Römern und Viterbiensern angegriffen, zum Theil niedergehauen, zum Theil ausgeplündert und ins Gefängniß geworfen. Vergeblich suchte der Kardinal Otto dies schändliche Verfahren zu hindern, er gerieth dabei selbst in Lebensgefahr; wogegen sich nirgends findet, daß der Kardinal Rainer, dem größerer Einfluß zu Gebote stand, hemmend dazwischengetreten seyBussi 131.  Niccola de Tuccia 302.. Vielmehr beschuldigt man ihn, er habe viele gefangene Edele in ungebührlicher Haft behalten und zugegeben, daß die Anhänger des Kaisers auch noch später in Viterbo und in der benachbarten Gegend befehdet, geplündert und ihre 132 {1243} Häuser niedergerissen und verbrannt wurden. Mit Bezug auf diese Frevel und jenen Wortbruch, schrieb der Kaiser dem Kardinal OttoMartene coll. ampliss. II, 1203.: »sagt mir, was soll ich erwarten, hoffen, fürchten, wenn Treue, Scham, Eidschwur und Gewissen nichts mehr gelten? Bei so vollkommener Willkür täuschen alle Berechnungen, und alle Maaßregeln verlieren Sinn und Bedeutung.«

Diese Klagen hatten nicht bloß keinen Erfolg, sondern es entstand aus dem Verluste Viterbos auch noch mancher andere. Die Markgrafen von Montferrat und Malaspina, die Städte Vercelli und Alessandria verließen Friedrichs ParteiRayn. zu 1243, § 24, 28. und schwächten seine Macht im nordwestlichen Italien; Adelasia von Sardinien suchte, unbekümmert um die Ansicht ihres Gemahls Enzius, die Aussöhnung mit der Kirche; und Innocenz ward, aller Gegenbemühungen der Frangipani ungeachtet, am 15ten November mit großen Ehren in Rom aufgenommenVitae Pont. 592.. Bald nachher entstand zwar ein Aufstand, weil er 40,000 Mark, welche Gregor bei den Kaufleuten geliehen hatte, nicht sogleich bezahlen konnte; die Unzufriedenen wurden jedoch beruhigt, und es erwuchs hieraus für ihn keineswegs, wie manche hofften, eine dauernde Gefahr.

Bei diesen Umständen erneuerte Friedrich die Unterhandlungen mit dem Papste, welcher in Bezug auf die Wortbrüchigkeit der Viterbienser nicht einmal angeklagt wurde, in Hinsicht der ihnen von der Kirche bewilligten Unterstützung aber ganz kurz bemerktePetr. Vin. cod. 953.  Palat p. 64. II, 2.  Dumont I, 185, Urk. 356.: »der Kaiser habe gar keinen Grund zu zürnen, oder sich zu verwundern, wenn eine Stadt sich ihrem rechtmäßigen Herrn wieder unterwerfe.« Der Graf von Toulouse, Peter von Vinea und Thaddäus von Suessa begaben sich, mit unumschränkten Vollmachten versehen, nach Rom und erklärten: daß Friedrich wegen 133 {1243} Erfüllung der zu verabredenden Punkte nicht bloß einen Eid leisten, sondern dafür auch Fürsten, Barone und Grafen als Bürgen stellen wolleCod. Vind. phil. No. 61, fol. 76; No. 305, fol. 155.. Nach Deutschland schrieb Friedrich: da der von ihm sehnlich gewünschte Friede bald zu Stande kommen werde, möchten die Fürsten der weitern Rücksprache und Bestätigung halber nach Verona eilen. Den König von England ersuchte er Gesandte zu schicken, weil es sich gebühre, daß Verhandlungen wie die vorliegenden, nicht ohne Mitwissen und Theilnahme anderer Mächte eingeleitet und abgeschlossen würden.

{1244} Unterdeß brachte man in Rom folgenden Entwurf der Friedensbedingungen zu StandeMath. Paris 426.: »der Kaiser giebt der Kirche und ihren Anhängern alles zurück, was sie zur Zeit des über ihn ausgesprochenen Bannes besaßen. Er erläßt Schreiben in alle Welt: daß er den Bann Gregors keineswegs aus Verachtung der Kirche oder der geistlichen Macht vernachlässigte, sondern, nach dem Rathe seiner Großen, als nicht vorhanden ansah, weil ihm derselbe nie gehörig bekannt gemacht ward; er gesteht indeß hierin gefehlt zu haben, weil er wohl weiß und fest glaubt, daß der Papst über ihn (wie über alle Christen, Könige und Fürsten, Geistliche und Laien) in geistlichen Dingen die vollkommenste Gewalt besitzt. Zur Genugthuung wird der Kaiser so viel Soldaten stellen und so viel Geld zahlen, als der Papst verlangt; er wird nach dessen Vorschrift Almosen austheilen, Fasten beobachten, und dem Banne bis zum Tage der Lossprechung fromm und demüthig Gehorsam leisten. Den auf der Flotte gefangenen Prälaten will er das ihrige, sofern es an ihn gekommen ist und sich auffinden läßt, wieder herausgeben; das übrige, nach Anweisung des Papstes, (auf dessen Güte er jedoch vertraut) ebenfalls ersetzen, und endlich zur Genugthuung für jene Sünde und zu Ehren Gottes, Hospitäler und Kirchen (wie viel, wo und wie der Papst 134 {1244} es verlangt) erbauen und ausstatten. In Hinsicht aller Beleidigungen, Schäden u. s. w. welche er, nach der Bannung, Kirchen und Geistlichen angethan hat, unterwirft er sich dem Ausspruche des Papstes und dreier Kardinäle; doch ist hiebei von eigentlichen Kriegsschäden nicht die Rede. Besatzungen legt der Kaiser nur in seine eigenen Orte, und erlaubt, daß die Edlen von Romagna, der trevisaner Mark und der Markgraf von Montferrat, ihren Lehnspflichten durch Stellvertreter genügen. Zur Entscheidung aller bürgerlichen und peinlichen Streitigkeiten der Guelfen im Kirchenstaate ernennt Friedrich, mit Beistimmung des Papstes, einen italienischen Prälaten. Alle Gefangenen werden frei gelassen, alle gegen Anhänger der Kirche ergangenen Achts- und Rechts-Sprüche aufgehoben, und ihnen im allgemeinen Friede und Zutritt zu den Gerichten bewilligt. Der Kaiser bleibt unangetastet im Besitz aller Ehren, Rechte und Länder, und wird vom Banne durch eine förmliche Lossprechung der Kirche befreit.«

Diesen Frieden beschworen die Gesandten des Kaisers am grünen Donnerstage, am 31sten März 1244 in Gegenwart Balduins von Konstantinopel, der römischen Senatoren, vieler Prälaten und unzähligen Volkes. Friedrich, welcher versprochen hatte sich allem zu unterwerfen, was seine Gesandten billigen würden, und der einen offenen Beweis seiner großen Nachgiebigkeit geben wollte, scheint wider den Inhalt jener Bedingungen keine Einwendungen gemacht zu habenPost non multos dies elegit resilire potius, quam parere, sagt Innocenz (Rayn. §. 21). – A forma jurata resilvit. Doch wird nirgends ein Eidesbruch hervorgehoben; sondern es handelte sich nach Math. Par. 431 über die Reihefolge des Vollziehens der Friedensbedingungen und besonders über die Lombarden. Die Erzählung beruht hauptsächlich auf dem höchst wichtigen Schreiben Friedrichs im Cod. epist. Vatic. mscr. No. 4957, p. 19-24.; wogegen zwei sehr wichtige Fragen zur Sprache kamen, die im Frieden gar nicht oder nur ungenügend 135 {1244} berührt waren, nämlich: in welcher Ordnung soll jeder Theil die Friedensbedingungen vollziehen? und in welchem Verhältnisse sollen künftig die Lombarden zum Kaiser stehen? Friedrich behauptete wiederholt: er könne, ohne irgend eine Gegenbürgschaft und Sicherheit, unmöglich zuerst alle lästigen Bedingungen erfüllen, Festungen räumen, Gefangene loslassen u. s. w.; doch wolle er sogleich einen Theil des Kirchenstaates räumen, wenn Innocenz ihn vom Banne löse und zur Beschleunigung des völligen Abschlusses in eine persönliche Zusammenkunft willige. Während nun der Kaiser die baldige Lossprechung nur darum zu wünschen schien, damit er in gebührender Würde und nicht als Sünder vor dem Papst erscheinen könne; fürchtete dieser, Friedrich werde, nach seiner Aufnahme in den Schooß der Kirche, sich wenig um die Erfüllung lästiger Bedingungen kümmern, mithin Streit und Noth von neuem beginnen. Er schlug deshalb einen Mittelweg ein und begab sich, als bereite er die persönliche Zusammenkunft vor, nach Civitakastellana; ließ aber dem Kaiser in Bezug auf jenen zweiten Zweifelspunkt durch den Kardinal Otto sagen: »wenn für die verborgene Krankheit, nämlich die Angelegenheit der Lombarden, kein Heilmittel aufgefunden werde, so könne der Frieden überall nicht zu Stande kommenSi latenti morbo, videlicet de negotio Lombardorum, medicina non esset opposita, pax omnino procedere non valebat. Cod. ep. l. c.Nicc. de Tuccia 303.  Concil. XIV, 49..« Hierauf bewilligte der Kaiser: Innocenz solle Schiedsrichter aller Streitigkeiten mit den Lombarden seyn, sofern sie nicht später, als der letzte Bannspruch eingetreten wären. Doch müsse die Entscheidung klar und bestimmt lauten, und der Papst sich anheischig machen ihm die Bedingungen auszuwirken, welche die Lombarden nach dem Siege von Kortenuova zugestanden, oder wenn dies unmöglich sey, wenigstens die Bedingungen, welche sie selbst vor jenem Siege angeboten hätten.

Während dieser scheinbar vorrückenden Unterhandlungen 136 {1244} wurden die Gemüther durch mancherlei Nebendinge und durch heftige und übereilte Äußerungen argwöhnisch gemacht und verstimmt, welche von einigen in blindem Diensteifer wechselsweise dem Kaiser und dem Papste hinterbracht und wahrscheinlich obenein entstellt wurdenMonach. Patav. 680.. Jener, so hieß es, hege noch immer den Plan, der Kirche unter dem Vorwande ächt christlicher Reinigung, alle Gerichtsbarkeit und alle Besitzungen zu nehmen; und dem Papste sagte man nach: er regiere alles aus eigener Macht, habe den Kardinälen auf ihre Einwendungen erklärt, er wolle sie weder fragen, noch hören, und trachte danach, – wie seine Vorladungen städtischer Gesandten nach RomSo lud er am dritten Januar 1244 die Bologneser zur Berathung über öffentliche Angelegenheiten nach Rom.  Savioli III, 2, 632. bewiesen –, auch alles Weltliche ausschließlich unter seine Gewalt zu bringen. – Ferner ließ Innocenz die geheimen Verhandlungen mit dem Kaiser zusammenschreiben, so daß sie jeder am Lateran für sechs Pfennige kaufen konnte; er äußerte: allein für die Gefangennehmung der Prälaten müsse Friedrich 400,000 Mark zahlen und werde ihn dereinst, aber dann gewiß vergeblich, bitten Schiedsrichter zwischen ihm und den Lombarden zu seyn. Ja in Gegenwart der englischen und französischen Gesandten sagte er laut: »wenn den Lombarden nicht volles Recht und sicherer Friede zu Theil werde, so wolle er ihnen, selbst nach der Lossprechung des Kaisers, beharrlich Hülfe leisten.«

Dieser erklärte hierauf dem Papste: »über die Lombarden und gegen den Inhalt des Friedens von Konstanz, könne er ohne Beistimmung der deutschen Reichsfürsten nichts entscheiden, sey aber bereit alles das zu genehmigen, was diese eingehen würden. Er wolle alsdann auch der Kirche jegliches zurückgeben, was sie früher besessen habe, und sich überall mit dem begnügen, was einem gewöhnlichen Schirmvogte gebühre. Der Papst möge nur zwei Kardinäle 137 {1244} bevollmächtigen, um mit ihnen vorläufig alles nach diesen Grundansichten zu verabreden.« Diesen Vorschlägen erklärte sich Innocenz nicht bloß geneigt, sondern eilte auch, angeblich um die Verhandlungen noch schneller und bequemer führen zu können, nach Sutri. Da erscholl auf einmal am Morgen des 30sten Junius 1244 die Nachricht: der Papst sey fort, sey verschwunden, und tausend Vermuthungen durchkreuzten sich unter seinen überraschten Freunden und Feinden.

Gleich nach seiner Erhebung schrieb Innocenz so freundschaftlich und zuvorkommend an seine Landsleute, die Genueser, und nahm ihre Stadt so vorsorglich in seinen besonderen Schutz, daß, nach dem Ausdrucke eines Geschichtschreibers, Alte und Junge, Vornehme und Geringe vor Freuden zu den Sternen aufzufliegen schienenVidebantur ad astra volare.  Barthol. zu 1243 und 1244.  Bullae Pont. ap. Hahn. XXII.. Auch ein minder Scharfsinniger hätte vorhergesehen, welche Vortheile sich aus einer solchen Stimmung der ohnehin dem Kaiser feindlich gesinnten Bürger dereinst wohl ziehen ließen. Als nun die Verhandlungen mit Friedrich eine bedenkliche Wendung nahmen, und dessen Übermacht im Kirchenstaate, trotz dem Verluste von Viterbo, fortdauerte; schickte Innocenz einen Minoriten Bojolus nach Genua mit Schreiben, welche vorsichtig nur die Bitte enthielten, den Worten dieses seines Abgesandten vollen Glauben beizumessen. Insgeheim trug nun Bojolus dem Podesta Philipp Vicedomini aus Piacenza vor: der Papst sey von kaiserlichen Kriegsschaaren so umringt, daß er täglich die Gefangennehmung befürchte; deshalb möge eine genuesische Flotte nach Civitavecchia kommen, und jenen daselbst abholen und erretten. – Der Podesta, welcher fürchtete, dieser Plan werde bei der geringsten Kundmachung durch geheime Anhänger des Kaisers vereitelt werdenPaola Pansa 19.  Villani VI, 23.  Malesp. 132., schlug den Neffen des Papstes öffentlich die Bitte ab, nach 138 {1244} Parma zur Hochzeit einer Verwandtinn zu gehen, und erregte hiedurch den Schein, als sey er allen Guelfen durchaus abgeneigt. Gleichzeitig aber betrieb er das Auslaufen der Flotte und steuerte, sobald er die Neffen des Papstes und einige wenige in das Geheimniß eingeweihte Personen aufgenommen hatte, nicht, wie es hieß, nach den provenzalischen oder afrikanischen Küsten wider Ansald de Mari, sondern gerade nach Civitavecchia. Man landete am 27sten Junius und benachrichtigte unverzüglich den Papst: es warteten seiner zweiundzwanzig genuesische Schiffe und drei seiner Neffen Albert, Jakob und Hugo FieskoNach Stella 988 benachrichtigte ein vierter Neffe Mathias den Papst.  Bullae Pont. ap. Hahn. XXX.. Ohne den geringsten Aufenthalt begab sich Innocenz am 29sten Junius von Civitakastellana nach Sutri, hörte aber hier zu nicht geringem Schrecken, daß 200 kaiserliche Reiter nahten, welchen er die Absicht beimaß, ihn gefangen zu nehmen. Dennoch beharrte er muthig auf seinem Plane, zog unscheinbare Kleider an, bestieg, sobald es dunkel geworden, das schnellste Pferd, und ritt ununterbrochen und mit solcher Geschwindigkeit nach Civitavecchia, daß ihm keiner von seinen Begleitern folgen konnte. Erst am nächsten Morgen kamen, in dem Augenblicke wo man schon die Anker lichten wollte, noch sechs Kardinäle an, um Glück wie Unglück ihres Oberhauptes zu theilenMehre Kardinäle gingen später verkleidet über Mailand nach Lyon.  Galvan. Flamma 278.  Mediol. annal.  In Lyon, und auch schon früher, ernannte Innocenz viele neue Kardinäle.  Bonon. hist. miscella.. Kaum war aber die Flotte im hohen Meere, so erhob sich ein furchtbarer Sturm; und kaum ließ dieser etwas nach, so mußte man an einer pisanischen Insel landen und das Schicksal der gefangenen Prälaten befürchten. Nur durch die höchsten Anstrengungen erreichte man Portovenere, wo sich der von der Fahrt sehr mitgenommene Papst einige Tage erholte; am siebenten Julius endlich lief die Flotte in 139 {1244} den Hafen von Genua ein. Die Bürger, welche erst von Portovenere aus den ganzen Hergang erfahren hatten, waren darüber so erstaunt, als erfreut. Der Erzbischof mit allen Geistlichen, die obrigkeitlichen Personen, die Soldaten, die Frauen, alle zogen reich geschmückt und in zierlicher Ordnung dem Papste und den Kardinälen entgegen, deren Schiffe mit kostbaren Decken von Seide und Goldstoff behangen und vor den übrigen ausgezeichnet waren. Alle Glocken läuteten, und von vielen Instrumenten begleitet, sang der eine Halbchor: »gesegnet ist der da kommt im Namen des Herrn;« worauf die Ankommenden erwiederten: »unsere Seele ist entronnen, wie ein Vogel aus dem Stricke des Voglers; der Strick ist zerrissen, und wir sind losPsalm. 124, 7.

Als der Kaiser in Pisa Nachricht von der Flucht des Papstes bekam, erschrak er sehr und rief aus: »der Ungerechte ist entflohen, und niemand hat ihn verfolgt!« Er zürnte, daß ihn sowohl die Wachen auf dem festen Lande und in den Häfen, als auch die Flotten hatten entkommen lassen; und befahl, das genuesische Gebiet solle von der See- und Land-Seite, insbesondere aber jede nach Frankreich führende Straße genau bewacht werden. Gleichzeitig schickte er den Grafen von Toulouse an den Papst, um seine Verwunderung und sein Bedauern über dessen unerwartete Entfernung an den Tag zu legen, ihn zur Rückkehr einzuladen und zu erklärenBarthol. l. c.: er werde die vorgeschlagenen Friedensbedingungen gern erfüllen. Innocenz aber antwortete: nach so vielfachen Täuschungen könne er kein Vertrauen fassen, und wolle sich nicht von neuem den Gefahren aussetzen, welche seine Person, mithin auch die Kirche und deren Rechte bedroht hättenEben so wenig führte es zum Ziele, daß der Kaiser einigen Kardinälen schrieb: er übertrage ihnen die Vermittelung und werde sich bei ihrem Spruche beruhigen, si in compositione imperii non minuitur dignitas, nec in satisfactione excellentia propulsetur.  Martene collect. ampliss. II, 1137..

140 {1244} Bei einer unparteiischen Prüfung der unter einander abweichenden Zeugnisse ergiebt sich: daß der Kaiser keineswegs den Plan hegte, den Papst gefangen zu nehmen: denn eine solche Gewaltthat würde ihm (wie einst Heinrich dem fünften) kaum einen Augenblick lang genützt, wohl aber bei den damaligen Ansichten der christlichen Welt außerordentlich geschadet haben. Doch ist es allerdings möglich, daß er gleichzeitig mit dem Papste Nachricht von der Ankunft der genuesischen Flotte erhielt und 200 Reiter gen Sutri sandte, um dessen Flucht zu verhindern. Nur waren diese Reiter gewiß nicht Ursach, daß Innocenz, wie er später andeutete, den Plan zur Flucht fassen und nothwendig ausführen mußte. Auf jeden Fall brachte die glückliche Vollführung dieses so klugen, als kühnen Planes, dem Papste die größten Vortheile. Er stand nun, außerhalb dem Bereiche des Kaisers, wieder als selbständige Macht da; während jener, solange Innocenz in Rom war, unzählige Mittel besaß, ihn, ohne eigentliche Gewaltthat, zu ängstigen, zu beschränken und von der übrigen christlichen Welt abzuschneiden. Dies sah Friedrich ebenfalls sehr wohl ein und sagtePaola Pansa 21.: »wenn ich sonst mit dem Papste Schach spielte, machte ich ihn gewöhnlich matt, oder gewann ihm doch einen Thurm ab; jetzt aber haben die Genueser ihre Hände aufs Schachbret gelegt und verursachen, daß ich mein Spiel verliere.« Mit Recht hielt sich indeß der Papst auch in Genua noch nicht für vollkommen sicher, und war im Begriffe nach Frankreich abzureisen, als er erkrankte. Desungeachtet ließ er sich, die engere Einschließung von den Kaiserlichen befürchtend, am fünften Oktober in Betten nach Stella tragen; wodurch aber das Übel so zunahm, daß die meisten an seinem Leben verzweifelten. Glückliche Todesfälle sind indeß den Hohenstaufen nicht so gegen die Päpste, 141 {1244} wie diesen gegen die Hohenstaufen zu Hülfe gekommen: Innocenz erholte sich, und erreichte (trotz aller Gegenanstalten des Kaisers) über Asti, Alessandria, Turin und Susa am zweiten December 1244, LyonDie Verheirathung Beatricens, der Nichte des Papstes, an den Grafen Thomas von Savoyen, fällt wohl erst aufs Jahr 1251.  Murat. ann. zu 1244.  Math. Par. 440.  Estens. chron..

Es war unmöglich eine Stadt zu finden, welche besser für den Aufenthalt des Papstes paßte. Dem Namen nach gehörte sie freilich zum römisch-deutschen Reiche, war aber in Wahrheit gleich unabhängig vom Kaiser, wie vom Könige von Frankreich, und nur in gewissen Dingen ihrem Erzbischofe verpflichtet, welcher dem Papste gern eine friedliche Aufnahme gewährte. Leicht und ungehindert trat dieser von hier aus wiederum in Verbindung mit der gesammten Christenheit; von keiner Seite war eine allgemeine Sperrung möglich, und hieher ließ sich, ohne daß die frühere Gefahr der Land- und See-Reisen eintreten konnte, eine Kirchenversammlung mit größerer Sicherheit und gewisserem Erfolge berufen.

Am 30sten Januar 1245 ergingen daher Ladungen des Papstes: »daß alle Könige, Fürsten und Prälaten am nächsten Johannisfeste in Lyon erscheinen möchten, um über die Lage des heiligen Landes, des lateinischen Kaiserthums, die Mongolen, und den zwischen Kirche und Kaiser schwebenden Streit zu berathen! Friedrich sey ebenfalls aufgefordert sich einzufinden, oder Abgeordnete zu senden, damit er die Anklagen vernehme und sich zu einer angemessenen Genugthuung versteheMath. Par. 442..« Ungeachtet dieser Hinweisung auf ein künftiges Rechtsverfahren, sprach der Papst itzt wiederholt den Bann über Friedrich; eine Maaßregel, welche jedoch von vielen offener oder versteckter gemißbilligt wurde. So sagte z. B. ein Pfarrer in Paris, bei der ihm aufgetragenen weitern Verkündigung des Bannspruches: »ich 142 weiß, daß Kaiser und Papst sich streiten und verfolgen; nicht aber, wer von beiden der Schuldige ist. Den Schuldigen nun stoße ich aus der Kirchengemeinschaft und ertheile dem Unschuldigen die Lossprechung.« Diese, im scherzhaften Tone ausgesprochenen ernsthaften Worte, kamen dem Kaiser und dem Papste zu Ohren, worauf dieser den kühnen Geistlichen streng zurechtwies, jener aber reichlich belohnte. 143

 


 


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