Friedrich von Raumer
Geschichte der Hohenstaufen und ihrer Zeit, Band 4
Friedrich von Raumer

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Fünftes Hauptstück.

Die deutschen Könige hatten während der letzten Jahre fast gar keinen Einfluß jenseit der Alpen: ihren Gesandten bewies man kaum äußerliche Ehre und ihre Freibriefe wurden nur geachtet, wenn sie mit den eigenen Wünschen übereinstimmten. Einzelne hofften jedoch, an frühere Zeiten zurückdenkend, bei veränderten Umständen durch sie einen mächtigen Stützpunkt gewinnen zu können, und mehren diente ihr Name und Wort als Vorwand und Rechtfertigung für eigene Absichten und Zwecke. Umgekehrt war den Königen auch das Unbedeutende und bloß Scheinbare willkommen: denn es bezeugte die ehemalige Macht, und berechtigte zur Anwendung einer künftigen. Wahren Vortheil hatten aber weder Deutsche noch Italiener von dieser schwankenden, haltungslosen Lage der Dinge.

König Wilhelm ernannteLiterae Princip. apud Hahn. 31.  Lünig Reichsarchiv, cont. II, Abtheil. 4, Absatz 12 von Savoyen, Urk. 6. einen Grafen von Romaniola und den Bischof von Speier zu seinen Stellvertretern in Italien; er verlieh dem Grafen Thomas von Savoyen Turin, Bastia und andere Besitzungen mit großen Rechten; er entschied über Ezelin von Romano: aber man nahm auf 420 jene Bevollmächtigte und auf diese Verleihungen und Entscheidungen fast gar keine Rücksicht.

Später meldete König Richard feierlich seine baldige Ankunft in ItalienSavioli III, 2, Urk. 715., aber er kam nicht. Dagegen schickten die Pisaner ihrerseits eine Gesandtschaft an Alfons von Kastilien und erkannten ihn aus eigener Macht als deutschen König und künftigen Kaiser an; für welches zuvorkommende Parteinehmen er ihre alten Rechte bestätigte, ihnen neue Handelsfreiheiten bewilligte und Hülfe versprachUghelli Ital. scara III, 435.  Lünig codex diplom. Ital. I, 1062.  Ristretto cronolog. IV, 14., sobald Lukka, Florenz und Genua billige Friedensbedingungen zurückweisen sollten. Aber auch diese guelfisch gesinnten Städte wandten sich an Alfons und luden ihn ein, nach Italien zu kommen; was indeß durch spätere Ereignisse und durch die innern Verhältnisse Kastiliens unmöglich gemacht wurdeFlorenz schickte den berühmten Brunetto Latini nach Kastilien. Die Schlacht bei Montaperto änderte die Lage der Dinge.  Villani VI, 74.  Malespini 162..

In Rom hatte um diese Zeit weder ein König noch der Papst entscheidenden Einfluß, sondern Brankaleo von Andalo aus Bologna. Als die Römer diesen, durch Geschlecht, Reichthum, Größe des Geistes und Strenge der Sitten gleich ausgezeichneten Mann, im Jahre 1252 zu ihrem Senator erwählten, sah er ein, binnen Jahresfrist könne unter so vielen Abgeneigten nichts tüchtiges durchgesetzt werden: darum verlangte er, daß man ihn auf drei JahreSavioli zu diesen Jahren.  Ghirardacci I, 183.  Guil. Nang. 361.  Math. Paris 576, 620.  Bonon. hist. misc. zu 1252. in jener Würde bestätige und Geißeln aus angesehenen römischen Familien zu seiner Sicherheit nach Bologna sende. Beides wurde bewilligt und war, wie die Ereignisse bald zeigten, keine unnütze Vorsicht. Denn die Einladung, daß der Papst nach Rom kommen möge, (welche 421 Brankaleo hauptsächlich betrieben hatte) erschien jenem um so mehr als Zwang und Zeichen anmaaßlicher Gesinnung, da man ihm auf die Angelegenheiten der Stadt fast gar keinen Einfluß verstattete. Für noch mehr beleidigt hielten sich die hochadlichen Familien der Annibaldeschi, Kolonna u. s. w., deren willkürlicher Herrschaft Brankaleo mit großem Nachdruck entgegentrat; endlich erschien dieses, einige Male zu übertriebener Strenge sich hinneigende, Verfahren selbst manchem aus dem an Unordnung gewöhnten Volke gefährlich und lästig. {1255} Bei solchen Verhältnissen gelang es einer Partei, unter Anführung mehrer Kardinäle, den Senator gefangen zu nehmen; ja man würde ihn getödtet haben, wenn nicht seine Frau nach Bologna geeilt und die Verhaftung der römischen Geißeln bewirkt hätte. Zwar ließ sich der Papst durch die Römer zwingen, deren Loslassung anzubefehlen: allein die Bologneser erduldeten lieber den Bann, als daß sie ihren ehrenwerthen Mitbürger feige preis gegeben hätten; ja im nächsten Jahre nahmen sie sogar zwei Verwandte des Papstes gefangen, und erzwangen hiedurch Brankaleos Entlassung: doch mußte dieser vorher seinem Amte und allen Ansprüchen auf Schadensersatz entsagenNach Vitale I, 117 ging Brankaleo in der Zwischenzeit nach Florenz; nach Math. Paris 626 ward er aus dem Gefängniß wieder erhoben. Wir folgen den Nachrichten bei Savioli.. Weil aber die vom römischen Kanzler gegen ihn geführte UntersuchungVitale I, 122. seine Unschuld dargethan hatte, und seine Feinde ihre neu gewonnene Macht arg mißbrauchten; so entstand ein gewaltiger Aufstand des Volks, welcher damit endete, daß {1257} Brankaleo wieder an die Spitze aller öffentlichen Angelegenheiten kam. Er wandte jetzt seine Thätigkeit vor allem gegen die ihm feindlich gesinnten Edeln, ließ deren feste Thürme niederreißen und zwei AnnibaldeschiBenigni I, 130., vielleicht Verwandte des Papstes, welche ihm die Schuldigsten zu seyn schienen, sogar aufhängen. Nicht minder streng zeigte er sich gegen die Geistlichen und andere mit der weltlichen 422 Herrschaft unzufriedene Anhänger der KircheMath. Paris 446, 459.; worüber der Papst sehr zürnte, erfolglos bannte, und zuletzt in solche Verachtung gerieth, daß er, heftigere Ausbrüche des Zorns befürchtend, nach Viterbo entwich. Kaum konnte er, keineswegs durch Drohungen und Bann, sondern durch dringendes Flehen, seine Vaterstadt Anagni vor der Rache der Römer und des Senators retten, welche während dieser Zeit gewöhnlich in Übereinstimmung mit Manfred verfuhren. Brankaleos im Jahre 1258 erfolgter Tod, das hoffte der Papst, werde eine ihm günstige Änderung der Umstände herbeiführenGuil. Nang. 370.  Ghirard. I, 198.  Savioli III, 2, 719.  Vie de St. Louis, mscr. 49.: aber die Römer verlachten sein Gebot, eigenmächtig keinen neuen Senator zu erwählen, und Kastellano von Andalo, Brankaleos Oheim und Nachfolger, beharrte durchaus auf dessen Bahn. {1259} Im nächsten Jahre stürzte ihn zwar ein Aufstand der Vornehmen: allein die Rücksicht auf die römischen Geißeln in Bologna befreite ihn, so wie früher seinen Neffen, aus der Haft; und diese Verwirrungen, dieser haltungslose Wechsel dauerte noch Jahre langGhirard. I, 201.  Vitale I, 129.  Math. Paris 664., indem 1261 eine Partei den König Manfred, und die andere Richard von Kornwall zum Senator erwählte.

Nicht minder unsicher und unterbrochen als in Rom, war der Einfluß des Papstes im Kirchenstaate. Sein zum StatthalterWenn anders principatus dies heißt.  Benigni I, 130. desselben, oder vielmehr zum Fürsten der Mark Ankona ernannter Neffe, Hannibal Annibaldeschi, konnte weder im Wege der Güte noch der Gewalt das Übergewicht gewinnen; besonders seitdem König Manfreds Einfluß vom Süden her wuchs, und die Städte, trotz päpstlicher Verbote, nach lombardischer Weise in engere Bündnisse tratenNäheres davon bei der Erzählung der neuen Fehde zwischen dem Papste und Manfred..

423 Zwischen den Städten Toskanas wechselte Krieg und Frieden. Im ganzen zeigte sich das guelfische Florenz am mächtigsten, und zwang die Pisaner im Jahre 1256 zu einem FriedenSo wurden z. B. die Sienenser von den Florentinern im Jahre 1252 geschlagen.  Sanese chron. 28.  Camici zu 1256, Urk. V, S. 83.  Villani VI, 59, 63.  Malespini 155., welcher durch seine auf den Handel Bezug habenden Bedingungen merkwürdig erscheint: Florenz sollte fernerhin für seine Waaren von allen Eingangs- und Ausgangs-Zöllen frei seyn, und dessen Maaß, Gewicht und Münze auch in Pisa gelten. Man verlangte die Übergabe des Hafens von Piombino, oder der Burg Ripafatta; und Pisa entging jener großen Gefahr eines nebenbuhlerischen Seehandels nur durch die List, daß es gegen die Abtretung der Burg größere Schwierigkeiten erhob und dadurch die Florentiner bewog, dieselbe, mit Zurücksetzung Piombinos, zu fordern. Dieser Vertrag mit Pisa hielt aber nicht lange, und selbst der innere Friede litt in Florenz wieder Unterbrechungen. Mehre vornehme Ghibellinen wurden daselbst gefangen und hingerichtetVillani VI, 65.  Malespini 159., und aus den Steinen ihrer niedergerissenen Thürme und Paläste die Stadtmauer aufgeführt oder verstärkt. Den unschuldigen Abt Tesauro Beccheria von Valombrosa zwang man durch die Folter, Verbindungen mit vertriebenen Ghibellinen einzugestehen, und weil das Volk unter wildem Geschrei seinen Tod verlangte, {1258} so ward er, mit Verletzung aller Formen und ohne Rücksicht auf Stand und WürdeBei Camici Urk. VI, 87 zu 1258, heißt er sogar Kardinal. Entschuldigungen der Florentiner Codex epistol. Vatic. No. 4957. p. 79-81., hingerichtet. Hiefür bannte der Papst die Florentiner, welche aber des Abtes Schuld behaupteten und seine Hinrichtung damit entschuldigten, daß sie im raschen Auflaufe geschehen sey. Ihrerseits klagten sie ferner: der Kardinal Oktavian habe sich durch eine 424 Verschwörung in den Besitz ihrer Stadt setzen wollen, und rissen Burgen nieder, welche er anlegte, woraus neue Mißverhältnisse zum päpstlichen Hofe hervorgingenCod. epist. 4957, 77-79.  Math. Paris 659 zu 1258..

Noch übler, als in Florenz, gestalteten sich die Fehden in einigen andern StädtenSauro zu 1258.. In Kortona, zum Beispiel, kam es zwischen Guelfen und Ghibellinen zu argen Gewaltthaten, worauf jene Hülfe bei Arezzo suchten. In der Nacht vom 31sten Januar auf den ersten Februar 1258 langte diese auch an und fand beide Theile in heftigem Kampfe. Statt aber dem einen oder dem andern beizustehen, mordeten, plünderten, brannten die Aretiner ohne Unterschied, und schwächten beide Parteien so sehr, daß sie auf mehre Jahre die Herrschaft in ihrer eigenen Vaterstadt verloren. – Die Cremoneser zogen parmensischen Gefangenen die Zähne aus, steckten ihnen Kröten in den MundAffò Parma III, 229., oder hingen sie bei den Beinen auf; so daß von 1575 nur 318 lebendig in ihre Heimath zurückkamen. Bologna, von minder bedeutenden Städten umgeben, als Florenz, übte über dieselben eine bestimmtere und strengere Herrschaft ausFaenza, Forli, fast ganz Romagna schwur den Bolognesern zu gehorchen.  Griffò, Ghirardi zu 1254–1258. Bei Gelegenheit des Bannes über Brankaleo und Kastellano hob der Papst auch die Universität auf, dies hatte aber keine großen Folgen. Bonon. histor. misc. 1256-1261.. Veränderungen seiner Verfassung führten in diesen Jahren zu einem schädlichen Übergewichte des Volks und zu innern Unruhen; wogegen der Loskauf aller Leibeigenen ungetheilten Beifall verdient. Hievon, so wie von der gleich merkwürdigen Entwickelung der staatsrechtlichen Verhältnisse in Genua und Venedig, ist in den Alterthümern umständlich die Rede. Die letztgenannten beiden Städte geriethen über wechselseitige Beleidigungen von einzelnen und aus Handelsneid, in einen schweren KriegWir müssen der Kürze halber die Erzählung der einzelnen Ereignisse übergehen. Siehe Dandolo und Bartholom. annal. zu diesen Jahren.  Sanuto 559.  Martin. da Canale 53, 61., wobei Pisa und 425 König Manfred bald die eine, bald die andere Partei unterstützten, je nachdem hier oder dort Gefahr oder Vortheil überwogHeeren über die Kreuzzüge 366.  Murat. antiq. Ital. IV, 403.. Ein vom Papste Alexander im Jahre 1258 vermittelter Friede dauerte nur kurze Zeit.

Markgraf Bonifaz von Montferrat starb im Jahre 1254Iricus 95.  Moriondus II, 28., und sein Sohn Wilhelm stand anfangs unter der Vormundschaft seiner Mutter Margarethe von Savoyen. Später, im Jahre 1261, schloß er einen Bund mit dem Könige Manfred.

Die durch eigene Geschicklichkeit und durch kaiserliche und königliche Verleihungen anwachsende Macht der Grafen von Savoyen erlitt einen harten Stoß, als Graf Thomas II wegen seiner zu strengen Regierung, mit mehren von ihm abhängigen Städten, insbesondere mit Asti und Turin in offenen Krieg gerieth, und am 22sten November 1255 gefangen wurde. Vergeblich bedrängten seine Brüder die Widerspenstigen, vergebens bannte sie Papst Alexander IVMath. Paris 620, 624.  Corner 904.  Guil. Nang. 361.  Vie de St. Louis, mscr. 39.  Costo 103-116.; der Kardinal Ottobuono, der Neffe Innocenz des vierten, mußte es für ein Glück halten, als es ihm gelang wenigstens die Kinder seiner Schwester Beatrix und des Grafen Thomas aus den Händen der Bürger von Asti zu befreien.

Von Kaisern und Königen hatten die Lombarden in diesen Zeiten nichts zu besorgen; gefährlicher aber, als die im ganzen doch geordnete Herrschaft jener, erschien nunmehr die Willkür der in ihrer Nähe aufwachsenden Zwingherrn, so des PalaviciniErst gewöhnlich Pelavicini (pela i vicini) genannt, die Gier andeutend, sich von Nachbars Gut zu bereichern, später Palavicini.  Affò Parma III, 196., vor allem aber Ezelins von Romano. Um deswillen bemühte sich der Kardinal Oktavian eine, auch 426 für die Kirche sehr vortheilhafte, Erneuung des lombardischen Bundes zu Stande zu bringen, und nach Beseitigung mancher Schwierigkeiten, unterschrieben im März des Jahres 1252 den neuen BundesvertragMurat. antiquit. Ital. IV, 487.: Mailand, Alessandria, Novara, Bologna, Ferrara, Modena, Brescia, der Markgraf von Este, Alberich von Romano und der Graf von Verona. Die von jedem zu stellenden Reisigen und zu gebenden Geldbeiträge wurden genau bestimmt und von dem römischen Stuhle bei weitem der größte Antheil übernommen, der päpstliche Bevollmächtigte aber auch zum Oberanführer ernannt. Doch reichten alle Mittel nicht hin das Übergewicht in diesen Gegenden zu bekommenSavioli III, 2, 675-679., oder auch nur eine solche Macht zu versammeln, wie sie Mailand im zwölften Jahrhundert allein aufstellte.

Diese Stadt war damals durch den furchtbaren Andrang äußerer Gefahr auf den Gipfel innerer Größe gehoben worden; jetzt aber, nach dem Verschwinden jener Gefahren, brachen die innern Übel täglich ärger hervor. Um die Zeit als Kaiser Friedrich II starb, stand Guido della Torre an der Spitze der Guelfen, welche ihre Übermacht ohne Billigkeit gegen die ghibellinisch gesinnten Edeln geltend machten, Jungfrauen raubten und nicht wenige Männer ohne Beobachtung rechtlicher Formen hinrichten ließenAzarii chron. 300.  Mediol. annal.  Galvan. Flamma 290. Der Erzbischof Otto starb 1257 in der Verbannung.  Murat. Script. I, 2, 231.. Noch heftiger wurde der Streit im Jahre 1252, wo das Volk den Adlichen diejenigen Vorzüge nicht mehr zugestehen wollte, welche auf Herkommen und urkundliches Recht beruhten. Der Erzbischof und die Edeln wurden vertrieben, ihre Güter in Beschlag genommen, ihre Häuser geplündert. Aber nicht das Volk herrschte, sondern die TorreBis zum Jahre 1255.; bis die Adlichen einmal ihrerseits die Oberhand gewannen und den Markgrafen Lancia an die Spitze der Geschäfte stellten. 427 {1258} Abwechselnd kam es auch zu Wahlen doppelter Obrigkeiten, wodurch die Stadt in zwei haltungslose Hälften, eine adliche und eine bürgerliche, auseinanderfiel. Endlich im Jahre 1258 (nachdem Martinus della Torre sogar einen Podesta hatte hinrichten lassen) bewirkten Wohlgesinnte einen Vertrag: wonach jener die Schwester des mächtigsten unter den Adlichen, Pauls von Sorexina, heirathete, und Rechte und Stellen zwischen den Vornehmen und der Bürgerschaft gleich getheilt seyn sollten. Wenige Monate darauf wurden aber die Edeln schon wieder verjagt, woraus nicht Friede, sondern Streit unter den Siegern selbst entstand. Die Credenza oder der engere Rath wollte nämlich Martin Torre von den Geschäften entfernen, das Volk hingegen ihm seine Macht verlängern; und es drang durch, nachdem Azolinus, der angesehenste unter Martins Gegnern, war ermordet worden. Eine neue Aussöhnung, welche der päpstliche Gesandte, Erzbischof Philipp von Ravenna, vermittelte, dauerte nur sehr kurze Zeit; dann vertrieb Martin alle ihm irgend Mißfällige, welche Hülfe bei Ezelin suchten, während die Volkspartei sich an Hubertus Palavicini wandteGalvan. Flamma 292..

{1252} Dieser lebte anfangs als Bürger in Parma und besaß so geringes Vermögen, daß er auf einem jämmerlichen Pferde einherritt. Eben so wenig diente ihm sein Äußeres zur Empfehlung: er war schwächlich, mager und verunstaltetSalimbeni 353, gracilis, debilis et monoculus.; denn ein Hahn hatte ihm, da er noch als Kind in der Wiege lag, das eine Auge ausgebissen. Hingegen zeichnete er sich durch Klugheit und ehrgeizige Gewandtheit dergestalt aus, daß er erst vermöge freier Wahl in mehren Städten Podesta wurde, und sich dann, selbst gegen den Willen mancher Bürger, in denselben als Herr erhielt. Und wenn man ihn auch einmal aus der einen vertrieb, so wußte er sie entweder nach kurzer Frist1252 ward er zum Podesta von Piacenza gewählt, 1254 heißt er schon dominus perpetuus, 1257 verjagt, geht nach Cremona, 1261 feierlich wieder aufgenommen u. s. w.  Placent. chron. mscr. Johann de Mussis und Bartholom. annal. zu 1261. wieder zu gewinnen, oder sich in einer andern Stadt mit wachsender Überlegenheit 428 {1253} anzusiedeln. Er war Ghibelline durch seine Stellung und seine Zwecke, weshalb ihn König Konrad im Jahre 1253 zu seinem Stellvertreter in der Lombardei ernanntePoggiali V, 242.  Peter Vin. III, 79.; eine Würde, die zwar damals an sich keine große Macht, wohl aber einem schon Mächtigen Gelegenheit und Vorwand gab, nach mehren Seiten zuversichtlicher und vorwurfsfreier einzugreifen. Mit der Macht hatte sich auch der Reichthum eingefunden, so daß, Brot und Wein ungerechnet, täglich fünfundzwanzig Pfund Silber in seiner Haushaltung ausgegeben wurden. Seine erste Frau, die Tochter des Grafen Rainer von Pisa, entließ er als unfruchtbar und nahm eine zweite, welche ihm zwei Söhne und drei sehr schöne Töchter gebar. Seine Schwester Johanne heirathete den tuscischen Grafen Guido, und ihre Söhne waren Guido novello und Simon

                    Guido Guerra vecchio
                      │
                    Guido
                   Johanna
            ┌─────────┴─────────┐
     Guido novello            Simone
     ┌──────┴─────┐
  Federigo     Manfredi
. – Der Vorwurf, daß Palavicini in allen von ihm abhängigen Städten, z. B. in Piacenza, Cremona, Tortona u. a. keine Ketzerverfolger geduldet, sondern jeden bei seinem Glauben geschützt habeRipoll IV, 401., ist später mit Recht als Lob erschienen; wie er denn überhaupt Mäßigung und Milde niemals so aus den Augen setzte, wie der noch mächtigere Ezelin von Romano, anfangs sein Freund, dann sein Nebenbuhler, endlich sein offenbarer Feind.

Ezelin der dritte, ein Sohn Ezelins des Mönchs und 429 der Gräfinn Adelaide von MangonaSiehe die Stammtafel. Über Sordello, den Gemahl einer Schwester Ezelins und dessen romanhafte Geschichte, Aliprandi chron. in Murat. antiq. Ital. V, 1113. Maffei annal. di Mantova 575.  Tiraboschi Stor. lett. lib. 3.  Millot. Provenc. I, 452; II, 79., wurde geboren am 26sten April 1194, mithin acht Monate früher, als Kaiser Friedrich II. Von der ersten Jugend bis zum Tode zeigte er sich tapfer, im Kriege sowohl als gegen Gefahren anderer Art. Auch Milde, Vorsicht, Treue werden an ihm für die erste Hälfte seines Lebens und mit Recht gerühmt. Der Kaiser, welcher diese Eigenschaften erkannte, gab ihm seine natürliche Tochter zum Weibe, und schrieb ihm heitere, selbst scherzhafte BriefePetr. Vin. III, 8 und 82.  Galvan. Flamma 295.  Laurentius 137.  Godi 90. Eine Vergleichung Ezelinos und Friedrichs zeigt sehr deutlich, wie unrecht manche dem letzten thun, wenn sie ihn kurzweg einen Tyrannen, ja den ärgsten nennen.; ein Beweis, daß Ezelins Gemüth damals noch nicht so versteinert war, als in späterer Zeit. Er hegte einen löblichen Haß gegen Diebe, Räuber, liederliche Dirnen, überhaupt gegen Verbrecher aller Art; anstatt aber diesen Haß durch eigene Tugenden wahrhaft zu begründen und durch Demuth zu heiligen, äußerte er mit einer an den heidnischen Dschingischan erinnernden KühnheitCortusior. histor. 768.: »die Sünden der Völker erfordern eine strafende Hand, wir sind der Welt gegeben, um für die Verbrechen Rache zu üben.« Und so kam er von dem anfangs tadelsfreien Vorsatz, das Böse zu strafen, bald dahin, alles für böse zu halten was seinen willkürlichen Zwecken und seinen Leidenschaften widersprach; bis er mit Bewußtseyn das Frevelhafteste billigte und den Teufel austreiben wollte durch Beelzebub den obersten der Teufel.

Allmählich hatte sich Ezelin Padua, Vicenza, Verona, Feltre, Bassano, Belluno, kurz die ganze nordöstliche Gegend Italiens, nur mit Ausnahme Venedigs, unterworfen; 430 aber in dem Maaße der Ausbreitung seiner Macht, wuchs auch ihr Mißbrauch; und die Bürger, welche früher dem Kaiser das Billigste abschlugen, weil ihm gar nichts gebühre, erfuhren, daß Ezelin, nach Friedrichs Tode von aller Furcht und Schaam befreit, sie wie die elendesten Sklaven behandelte. Daher, und weil zu einer großartigeren Befreiung Geschicklichkeit, Ausdauer und Mittel fehlten, entstanden unzählige Verschwörungen und Versuche, sich der Zwingherrschaft auf irgend eine andere Weise zu entledigen. So wollte z. B. die Familie der Bonici Ezelinen bei einem Gastmahle ermorden; allein der Plan mißlang, und von den Theilnehmern ward nur einem das Leben gelassenRolandin. Patav. V, 19-21.  Monach. Paduan. 682.  Podest. Regiens. catal. zu 1250., weil seine Mutter, mit welcher der Tyrann Umgang gehabt hatte, wahr oder unwahr behauptete, er sey dessen eigener Sohn. Im nächsten Jahre, 1247, verlangte der Schwestersohn Ezelins, Heinrich von Egna, daß Johann Skanarola ihm, als Podesta von Verona, den Zusammenhang einer neuen Verschwörung bekenne. Jener sprang aber, weil man ihm keine Verzeihung hiefür zusichern wollte, wüthend hervor und verwundete den Podesta mit einem früher versteckten Messer so stark, daß er wenige Tage nachher starb. Statt sich durch solche Ereignisse zu vorsichtiger Milde hinleiten zu lassen, wurden Ezelin und sein zweiter Schwestersohn, Ansedisio von Guidotis, nur in ihren tyrannischen Neigungen bestärkt. Ansedisio war im Äußern gar höflich und sehr bereit zu freundlichen Versprechungen: aber unerschöpflich gewandt in Ausreden, um sein Wort nicht zu halten, höchst erfinderisch in Erpressungen aller Art und in Verleumdung aller gut Gesinnten, langsam beim Vergeben, schnell und hart beim Bestrafen. Das unselige Wechselverhältniß Ezelins und Ansedisios trieb ihre Verderbtheit und Grausamkeit auf eine fast unglaubliche Höhe. Äußerungen der Unzufriedenheit in Worten wurden, als Hinweisungen auf 431 Thaten, mit dem Tode bestraft; und nur zu oft erfuhren die Tyrannen bedenkliche Reden, da alle Herzen ihnen abgeneigt, und heimliche Aufpasser in solcher Zahl und von solcher Schlauheit angestellt waren, daß man sich gar nicht genug vor ihnen hüten konnte, und wechselseitiger Argwohn zuletzt selbst die nächsten und heiligsten Bande auflösete. – Als jemand beim Anblick eines Raubvogels einige Verse sagte, welche das Schicksal der Tauben bezeichneten, die den Habicht gegen die Weihe zum König gewählt hatten; so gab dies Veranlassung nicht bloß zum Nachforschen, sondern auch zu Verhaftungen und Hinrichtungen. »Ich bin«, sagte Ezelin zornig, »kein Habicht, der seine Tauben tödten will; sondern ein Vater, der sein Haus reinigen muß von Schlangen, Skorpionen und anderem Ungeziefer.« Manche, die ihn durch Schmeicheleien zu gewinnen hofften, bestärkten nur seine Menschenverachtung und erduldeten dann, außer der Strafe, auch noch höhnende Vorwürfe. Alte und Junge, Männer und Weiber, Soldaten und Priester, Kaufleute und Mönche, alle ohne Unterschied, wurden in den gleichen Untergang verwickelt. Wer schnellen und einfachen Todes starb, galt für glücklich; viele erduldeten vorher noch furchtbare Martern, Blenden, Verschneiden, Verstümmeln, und es geschah, daß Angeklagte sich die Zunge abbissen, um nicht aus Schmerz Unschuldige zu nennen! Ezelin saß in höchster Ruhe, mit unverändertem furchtbaren Angesichte, und ordnete alle Martern und Hinrichtungen, während das Geschrei der Unglücklichen selbst die dicksten Mauern durchdrang und in fernen Straßen Entsetzen erregte. Nur wer den Tod wünschte, ward am Leben gelassen. Schon das Leiden in den Gefängnissen ging über alles denkbare Maaß hinaus. Dumpfe und ungesunde Luft, überfüllt daß man nicht sitzen oder liegen konnte, unerträgliche Hitze, Durst und Hunger so groß, daß Urin getrunken und das Widerwärtigste gegessen wurdeRoland. Patav. VII, 8.  Galv. Flamma 295.  Monach. Patav. 686.  Estense chron.  Malvecius 917, 930.  Ventura c. 2.! Qualen solcher Art raubten nicht 432 wenigen ihr Leben. Niemandem ward verstattet über sein Vermögen zu schalten, Kinder oder Freunde zu sprechen, oder sich durch Geistliche und die heiligen Sakramente zu trösten und zu stärken. Keiner durfte begraben werden ohne Ezelins ausdrückliche Erlaubniß; nicht selten zerstückelte man lieber die Leichname, und warf die zusammengelesenen Theile zuletzt ins Feuer. Nie war von eigentlicher und förmlicher Vertheidigung die Rede; jede theilnehmende Klage galt für Eingeständniß der Mitschuld. – Solche Grausamkeit und Ungerechtigkeit trieb zu neuen Mordanschlägen. Ein auf Ezelins Befehl Geblendeter bat um Gehör, und verwundete zwei Diener, indem er hoffte ihn zu treffen; ein anderes Mal riß ein Angeklagter den Tyrannen wirklich zu Boden und zerfleischte ihn, beim Mangel anderer Waffen mit Nägeln und Zähnen, bis jener losgerissen und getödtet ward.

Vielfache Warnungen und höchst gerechte Vorwürfe des Papstes machten auf Ezelin keinen Eindruck, und der endlich im Jahre 1252Von 1239 bis 1256 besetzte Ezelin das Bisthum Padua nicht.  Gennari zu 1256.  Ripoll I, 193. ausgesprochene Bann gab ihm nur neue Veranlassung, die Kirche zu plündern und ihre Diener zu verjagen. Bei ihm war es nicht auf billigen Schutz angeblicher Ketzer abgesehen, sondern auf eine Vertilgung alles äußern ChristenthumsAuch Graf Meinhard von Görz, Ezelins Verbündeter, verlangte, nach den Lehren Arnolds von Brescia, alles geistliche Gut für sich.  Bonelli notiz. II, 142., wie er das innere längst in sich vertilgt hatte. Selbst sein eigener Bruder Alberich sagte sich los von ihmVerci III, Urk. 213, 216. Meermann V, Urk. 147, 157, 169., und erhielt von Innocenz IV und König Wilhelm die Belehnung mit dessen Gütern; theils aber fehlte ihm die Macht, sich in den Besitz zu setzen, theils fürchteten viele, die Feindschaft beider Brüder sey erheucheltRoland. Patav. IX, 5.  Smeregus zu 1242.  Laurent. 147., um ihre Gegner kennen zu lernen und in die Falle zu locken. Auch lautete nur der Vorwand zu ihren 433 Strafen verschieden nach der Partei, für welche sie sich erklärten: Alberich nämlich sagte, er treffe die Verräther der KircheMartin. da Canale 48.; Ezelin, er verfolge die Verräther der Krone und des Kaisers. Ein im Jahre 1252 zwischen mehren lombardischen Städten und dem Markgrafen von Este unter Genehmigung des Papstes gegen Ezelin geschlossener Bund führte nicht zum erwünschten Ziele; vielmehr wuchs seine Macht immer mehr, bis er im Jahre 1256 auch Mantua angriff und aufs härteste bedrängte. Vor dessen Fall, das glaubten Beherzte und Ängstliche, müsse man gegen ihn auftreten, oder aller Hoffnung jemaliger Befreiung entsagen. An die Spitze dieses neuen Gegenbundes trat der päpstliche Bevollmächtigte, Philipp Fontana, Erzbischof von Ravenna. Von dem Augenblick an, wo sich die klugen und vorsichtigen Venetianer (jene auch sie bedrohende Gefahr richtig würdigend) für Philipps Plan erklärten, wuchs das Vertrauen aller minder Mächtigen. Kreuzpredigten blieben nicht ohne ErfolgLaurentius 148.  Dandolo 364.  Cereta. Monach. Patav. 692., und aus den Städten Vertriebene oder Entflohene gesellten sich zu dem kirchlichen Heere. Ezelin hob, obgleich hievon benachrichtigt, die Belagerung Mantuas nicht auf, sondern hoffte es zu erobern ehe der Erzbischof gegen die wohl versorgten und befestigten Städte und gegen Ansedisio von Padua etwas ausrichten könne. Anfangs wollte dieser im offenen Felde kämpfen: weil aber viele zu den Feinden übergingen, und des Heeres Treue täglich zweifelhafter wurde, so beschloß er sich hinter den Mauern Paduas zu vertheidigen, und traf für die Befestigung und Bewachung der Stadt alle nur irgend zweckmäßigen Vorkehrungen. Dem versammelten Volke sagte er: »das Heer der Kreuzfahrer bestehe aus Leuten, die man ihrer Verderbtheit wegen aus den Städten vertrieben habe, oder aus armem beutesüchtigem Gesindel. Der Feldherr verstehe nur Messe zu lesen, nicht Krieg zu führen. Entweder 434 {1256} zwinge Mangel an Lebensmitteln zu baldigem Rückzuge, oder die länger Verweilenden würden zwischen der Stadt und Ezelins siegreichem Heere eingeschlossen und gänzlich vernichtet.« Diese Gefahren blieben dem Erzbischofe nicht verborgen; weshalb er die Kreuzfahrer zweckmäßig an die Preiswürdigkeit ihres Unternehmens und die Frevel ihrer Gegner erinnerteDie einzelnen Kriegsbegebenheiten, welche vorhergegangen, siehe bei Roland Patav. VIII, 9-11., und dann alles zum Bestürmen Paduas anordnete, in der Hoffnung, die Bürger würden bei der Vertheidigung lässig, ja vielleicht den Angreifenden hülfreich seyn. Mönche aller Art, Franziskaner, Dominikaner, Benediktiner, nahmen unmittelbaren Theil an den Gefechten; aber nicht eher ließen die Bürger in der tapfern Vertheidigung nach, als bis ein Thor, welches man gegen Belagerungswerkzeuge mit Feuer schützen wollte, selbst in Brand gerieth und einen Eingang in die Stadt zu eröffnen drohte. »Herr«, sagte Mino Manioti, ein wohlgesinnter Bürger, in diesem Augenblicke zu Ansedisio, »laßt uns mit dem Erzbischofe Verhandlungen einleiten, damit wir wenigstens Menschen und Güter vor Plünderung und Gewalt schützen.« Statt aller Antwort durchbohrte ihn Ansedisio mit dem Schwerte, floh aber dann, selbst übereilt an aller Rettung verzweifelnd, durch das westliche Thor des heiligen Johannes aus der Stadt. Niemand gedachte nunmehr noch des Widerstandes, jeder glaubte, als das Heer der Kreuzfahrer am 20sten Junius 1256 in die Stadt einzogBonon. hist. misc.  Paduan. regim. catal.  Cortusian. histor. 769.  Thomassinus Giustiniani führte die Venetianer.  Martin. da Canale 48. und der Erzbischof die Gefangenen befreite, alle Leiden Paduas hätten ein Ende. Aber die Kreuzfahrer waren allerdings, wie Ansedisio gesagt hatte, zum großen Theil hungriges, beutelustiges Gesindel, welches, unbekümmert um den Befehl seiner Vorgesetzten oder die Bitten der Bürger, acht Tage lang die Stadt dergestalt ausplünderte, daß selbst die Reichen 435 {1256} arm wurden, und man kaum zu sagen wußte, ob Ezelin, oder die angeblichen Befreier von seiner Tyrannei am ärgsten hauseten. Auf jeden Fall zeigte der Erzbischof weder die Überlegenheit eines Geistlichen, noch eines Feldherrn, indem er dem Übel während so langer Zeit nicht steuern konnte.

Unterdeß war Ezelin von Mantua aufgebrochen, um Padua zu entsetzen. Auf dem Wege nach Verona traf ihn ein Eilbote und er fragte: »was bringst du neues?« – »Übeles, Herr«, antwortete dieser, »denn du hast Padua verloren.« Ezelin, das Unglück an dem Schuldlosen rächend und erzürnt über eine so unvorsichtige öffentliche Verkündigung, ließ den Boten aufhängen. Gewarnt durch dessen Schicksal, antwortete der zweite Bote auf die gleiche Frage Ezelins: »er werde es ihm insgeheim vortragen.« Ein solches Ereigniß konnte aber unmöglich lange verborgen bleiben; auch war der Erzbischof bereits aufgebrochen, um sich Vicenzas ebenfalls zu bemächtigen.

Viele aus seinem Heere, welche ihre Beutelust gestillt hatten, liefen jedoch nach Hause, und noch mehre entflohen, sobald sie hörten: es nahe der furchtbare Kriegsheld Ezelin. Anstatt also weiter angriffsweise zu verfahren, mußte der Erzbischof an die Vertheidigung Paduas denken, welches Ezelin am 30sten August aufs heftigste angriff. Die Bürger, wohl wissend, welch neues Leiden ein zweiter Wechsel der Herrschaft über sie bringen müsse, vertheidigten aber ihre Stadt mit solchem Muthe, daß jener die Belagerung wieder aufhob. Doch entgingen sie dem Unglücke dadurch keineswegs ganz: denn Ezelin hatte alle Einwohner von Padua und dessen Gebiet, die in seinem Heere dienten, oder deren er sonst habhaft werden konnte, auf die Nachricht vom Verluste der Stadt, eingekerkert: jetzt ließ er, der Angabe nach, mehre Tausende derselben martern, verstümmeln und hinrichtenWenn es auch gewiß übertrieben ist, daß von 11000 nur 200 wieder zum Vorschein gekommen wären; so bleibt das nicht zu Bezweifelnde doch arg genug.  Roland. Patav. IX, 8.  Sanuto vite 556.  Smeregus zu 1256.  Laurentius 149.  Monach. Patav. 695.. Dies war, nach der langen Tyrannei und 436 {1256} der unmäßigen Plünderung durch das Heer des Erzbischofs, für Padua der dritte, größte, unersetzlichste Unfall. So wenig als die Paduaner, fand Ansedisio Gnade vor den Augen seines Oheims Ezelin: auch er ward zur Strafe seiner feigen Flucht hingerichtetSmeregus zu 1256..

Ungeachtet dieser Ereignisse und Übelthaten gewann Ezelin neue Verbündete. Palavicini und Boso von Doaria (nächst ihm die beiden mächtigsten Männer in der Lombardei) erfuhren bald, daß die Einnahme Paduas den Muth der Guelfen sehr erhöhe, und der Verlust ihrer Herrschaft ihnen, ohne Anwendung tüchtiger Gegenmittel, ebenfalls bevorstehe. Alberich, Ezelins Bruder und seit Jahren sein heftigster Feind, ward ferner, weil man, wahrscheinlich ohne allen Grund, seiner Treue mißtraute, von den übermüthigen Siegern auf eine beschimpfende Weise behandelt, und versöhnte sich deshalb mit jenem. {1258} Dennoch gelang es den Guelfen, sich in den Besitz des wichtigen Brescia zu setzen, ehe Ezelin und die genannten Verbündeten den dasigen Ghibellinen zu Hülfe eilen konnten. Hiedurch überkühn suchte der Erzbischof Philipp, gegen den Rath von Kriegskundigen, eine offene Schlacht und ward am ersten September 1258Über unbedeutende Abweichungen und den Tag der Schlacht siehe Verci II, 371.  Bonon. hist. misc.  Malvec. 925.  Monach. Patav. 700.  Cortus histor. 772. bei Torrexella gänzlich geschlagen, gefangen und das eroberte Brescia zwischen Ezelin, Palavicini und Boso getheilt. Den Erzbischof behandelte Ezelin sehr ehrenvoll, doch konnte er die bitter spottende Bemerkung nicht unterdrücken: daß jener sich einen friedebringenden, milden Feldherrn der mütterlich sorgenden Kirche genannt, und doch die entsetzliche Plünderung Paduas geduldet habeErst nach Ezelins Tode entkam Philipp aus der Haft, indem ihn Gerhard de Capsonibus an einem Stricke die Mauer hinabließ.  Salimbeni 377.. Philipp 437 {1258} antwortete: auch er mißbillige das Geschehene, sey aber außer Stande gewesen es zu hindern.

Kaum war Ezelins Macht auf diese Weise höher gestiegen, denn je zuvor, als er seiner Härte gegen Untergebene von neuem freien Lauf ließ, und zwischen seinen Verbündeten Boso und Palavicini arglistig Streit zu erregen suchte. Beide verständigten sich indeß und schlossen, weil Ezelin sie nun mit Gewalt aus ihrem Antheile von Brescia vertrieb, gegen ihn einen Bund mit dem Markgrafen von Este und den Städten Padua, Ferrara u. a.Johann. de Mussis.  Roland. Patav.  Monach. Patav. 701.  Dandolo 367. Bonon. hist. misc. zu 1239.. {1259} Obgleich Ezelin das Übele seiner Lage keineswegs verkannte, so hoffte er doch, alle Plane seiner Feinde durch eine größere, geheime Unternehmung gänzlich zu Schanden zu machen.

Die mächtige, vom Volke gehaßte Partei des Adels in Mailand hatte sich nämlich um Hülfe an ihn gewendet und als Beweis aufrichtiger Gesinnungen selbst ihre Kinder zu Geißeln übergeben. Gelang es mit deren Hülfe Mailand einzunehmen, so war Ezelins Herrschaft in Oberitalien fest gegründet. Ehe er indeß hiefür entscheidende Schritte thun konnte, begannen die Verbündeten den Krieg: Palavicini und Boso stellten sich ihm bei Soncino am Oglio entgegen; der Markgraf von Este stand weiter stromabwärts bei Markaria und drohte ihn von seinen abendlichern Besitzungen abzuschneiden; Martin della Torre endlich zog nach Kassano an der Adda, von wo aus er nöthigenfalls den übrigen zu Hülfe eilen konnte und nicht minder Mailand gegen Angriffe deckte. Diese Plane und Berechnungen wollte Ezelin durch eine kühne Maaßregel vereiteln: er ging, ohne daß es Boso und Palavicini merkten, eiligst bei Pallazuolo über den Oglio, ohne daß Torre es ahnete, über die Adda, und würde vor diesem Mailand erreicht haben, wenn nicht Bergamenser den Zug verrathen hätten. Jetzt 438 {1259} traf Torre so ernste Vorkehrungen zum Schutze der Stadt, daß Ezelin, statt des wichtigen Mailand, nur Monza und dann Trezzo angreifen konnte. Beide Angriffe mißlangen aber, ja was noch nachtheiliger war, die Verbündeten hatten ihm unterdeß durch Besetzung der Brücke bei Kassano den Rückzug abgeschnitten und sich der Lebensmittel bemächtigt, welche dem Heere folgten. Ungebeugt und ungeschreckt durch diese Ereignisse, stellte sich der fünfundsechzigjährige Ezelin an die Spitze seiner Mannen, und schon war die Brücke bei Kassano erstürmt, als er am Fuße verwundet und gezwungen wurde, sich nach Vilmerkato zurücktragen zu lassen. Während der hiedurch entstehenden Verwirrung setzten sich die Feinde wieder in den Besitz der Brücke; allein am andern Morgen, nachdem die Wunde verbunden worden, eilte Ezelin nochmals zur Adda, obgleich mehre ihm abriethen über den Fluß zu gehen. »Ich glaube«, antwortete erSalimbeni 336., »daß euer Rath der beste ist, aber ich will vorwärts und nicht zurück.« Der Angriff auf die Brücke von Kassano mißlang itzt zum zweiten Male, und schon freuten sich die Verbündeten, daß ihr Gegner von seinen Besitzungen rettungslos abgeschnitten sey, als sie vernahmen: er habe sich seitwärts gewandt und sein Heer durch eine unbeachtete Fuhrt auf das linke Ufer der Adda geführt. Man folgte ihm schnell, aber mit eben so großem Feldherrngeschick, als er jenen Übergang bewerkstelligte, hatte er itzt alles zur Schlacht geordnet, und würde wohl auch diesmal Sieger geblieben seyn, wenn nicht die Brescianer in so entscheidendem Augenblicke abgefallen und zu den Feinden übergetreten wären. Dies änderte nicht bloß die Machtverhältnisse, sondern erhöhte auch den Muth der Verbündeten; während Ezelins Schaaren nunmehr überall Verrath befürchteten. Nur Ezelin focht, als er sah, daß ein ruhiger Rückzug gen Bergamo unmöglich werde, mit dem größten Muthe allen voraus, und befeuerte durch sein Beispiel selbst die 439 ÄngstlichenMalvecius 933.  Smeregus. Monach. Patav. 703. Roland. Patav. XII, 7-9.  Cereta 1259.  Godi 89.  Bonon. hist. miscella.  Cortus hist. 773.  Galv. Flamma c. 294.; da traf ihn Magold von Lavelongo mit einer Keule so schwer am Haupte, daß er weitern Kämpfen entsagen mußte. Kaum gewahrten dies die Verbündeten, als sie mit verdoppeltem Eifer vordrangen, mit ihrer weit überlegenen Anzahl Ezelins Heer fast ganz umringten und ihn selbst gefangen nahmen. Das Volk drängte sich herzu, seiner zu spotten und ihn zu schmähen; aber die Markgrafen Palavicini und von Este hinderten dies und sorgten für Ärzte und Pflege. Während der ersten Nacht nach seiner Gefangennehmung läutete man, vielleicht aus Freude über die Ereignisse, in einer benachbarten Kapelle und störte ihn sehr; da rief er zornig: »geht und stecht den Priester nieder, welcher mit den Glocken so stürmt.« – »Herr,« antwortete der Wächter, »ihr seyd im Gefängniß!« – »Wo ward ich gefangen?« fuhr Ezelin fort. – »Bei Kassano.« – »Kassano und Bassano ist kein großer Unterschied, bei Bassano zu sterben ward mir geweissagtJacobus von Aqui bei Moriondus II, 157.  Ezelins Sterndeuter, Gerhard von Sabloneta, gab selbst Rathschläge über Kriegführung.  Verci Ecelin III, Urk. 188–189..« – Unzählige Male wiederholte er jetzt in zornigem Schmerze das Wort Kassano. Minoriten und Predigermönche begaben sich zu ihm, rathend und bittend, daß er seine Sünden bekenne und Buße thue. »Ich habe«, gab er zur Antwort, »keine Sünde zu bereuen, als daß ich an meinen Feinden nicht genügende Rache nahm, mein Heer schlecht anführte, und mich täuschen und betrügen ließMartin da Canale, mscr. 51.. Dadurch und dafür bin ich in die Haft gerathen.« – Seitdem saß er schweigend und finster vor sich auf den Boden blickend, verschmähte Arzenei und Nahrung und riß, als dies zu langsam dem Tode entgegenführte (welchen er jenen Weissagungen zufolge für unvermeidlich 440 {1259} hielt), die Binden von seinen WundenJuliani chron. Foroiul.  Ventura c. 2.  Zagata 48.  Burchelati 581.  Smeregus giebt folgende Verse zur Grabschrift:
    Terra Sunzini tumulus canis est Ecelini,
    Quem lacerant manes tartareique canes.
. Am Morgen des 27sten Septembers 1259, am eilften Tage nach seiner Gefangennehmung, fand man ihn umgesunken und todt in seinem Gefängnisse. Feierlich ward er in Soncino begraben. – Mit dem die ganze Lombardei erfreuenden Falle des Tyrannen schien, wie so oft, wiederum ein zur Gründung wahrer Freiheit sehr günstiger Augenblick eingetreten zu seynDer Gefängnißthurm Ezelins zu Padua ist in eine Sternwarte verwandelt, mit der Inschrift:
    Quae quondam infernas turris ducebat ad umbras,
    Nunc Venetum auspiciis pandit ad astra viam.

Maier Beschreibung von Venedig III, 96. Dem Markgrafen Palavicini ist als Besieger Ezelins auf dem Marsfelde in Padua eine Bildsäule errichtet. Viele Anhänger Ezelins söhnten sich nach seinem Tode mit der Kirche aus, mußten aber für Lösung des Bannes viel bezahlen.  Bonelli not. II, 593.
. Ob aber die Tugenden, welche allein dazu führen konnten, ob Mäßigung und Besonnenheit, ob Demuth und christliche Liebe vorhanden waren, ergiebt sich aus dem weitern Benehmen der Städte gegen das Haus Romano.

{1260} Alberich hatte seinem Bruder, seit ihrer Aussöhnung, treuen Beistand geleistet, war aber durch diese neuen Verhältnisse mehre Male dahin gebracht worden, auf eine grausame Weise vorzuschreiten; und selbst nach Ezelins Fall vermied er Fehden gegen Abgeneigte keineswegs so sorgfältig, als es die Klugheit wohl angerathen hätte. Daher verbanden sich Verona, Vicenza, Padua, Mantua und mehre andere StädteCereta zu 1260.  Monach. Patav. 711.  Cortus. histor. 775.  Godi 89., und belagerten ihn nebst den seinen in dem zwischen Bassano und Asolo belegenen Schlosse S. Zeno. Lange jedoch ohne Erfolg: denn Alberich hatte das Schloß 441 {1260} mit allen Bedürfnissen reichlich versehen, und es lag auf einem unersteiglichen Felsen. Endlich aber ließ sich Mesa von Porcilia von den Belagerern durch Geld gewinnen, verführte mehre deutsche Söldner, und so gelang dem Verrathe, was in offener Fehde unmöglich erschien. Alberich rettete sich mit seiner Familie und wenigen Getreuen in einen festen Thurm: allein nach dreien Tagen nahm der Hunger und noch mehr der Durst (es war im Monate August) so furchtbar überhand, daß jener alle um sich versammelte und zuerst seinen Kindern sagte: »Ezelins Kraft und Weisheit ist auf unwürdige Weise daniedergeschlagen worden, und auch ich bin von Verräthern hart umdrängt. So stürzet jetzt das Haus Romano zu Boden; euch aber, lieben Kinder, möge der allmächtige Gott langes Leben, Weisheit, Beständigkeit, treue Freunde und Sieg und Rache über verrätherische Feinde geben.« Hierauf wandte er sich zu seiner Mannschaft und fuhr fort: »es ist besser, daß ich allein umkomme, als daß ich euch alle in das Verderben hineinziehe. Darum gehet hin und saget den Feinden, daß ich bereit sey, mich ihnen mit meinen Kindern zu übergeben. Erinnert sie an alte freundschaftliche Verhältnisse und bittet besonders den Markgrafen von Este, er möge unserer frühern Liebe und dessen eingedenk seyn, daß meine Tochter Adelheid seines Sohnes Rinaldo Weib ward; er möge mich schützen gegen den Haß erbitterter Feinde.«

Alberichs Leute gingen hinab zu den Belagerern und gaben, für freien Abzug, ihn und die seinen ohne Bedingung preis. Des Markgrafen von Este geschieht keiner weitern Erwähnung, und eben so wenig, daß irgend ein anderer Regungen der Milde Raum gegeben habe; vielmehr drang man darauf, daß ein früher in Treviso mit frecher Kaltblütigkeit gefaßter, auf gotteslästerliche Weise beschworner Beschluß zur Ausführung komme. Sobald Alberich mit sechs Söhnen, seinem Weibe Margarethe und zweien Töchtern, Amabilie und Griselde, am 26sten August 1260 in die Ebene hinabgestiegen war, ließ ihm Markus 442 {1260} Badoer, der Podesta von Treviso ein Gebiß in den Mund legen, und, nach solchem Vorgange der ObrigkeitMalvecius erzählt dies zu 1260 ganz bestimmt., deutete freches Gesindel die thierische Behandlung thierisch weiter; so daß sich einer auf Alberich setzte und ihn mit Schlägen und Sporen zwang, auf allen Vieren umherzukriechen. Nachdem man ihn und die seinen hierauf unter Spott und Hohn durch das ganze Heer umhergeführt und, jenem Beschlusse und Schwure gemäß, ein angebliches Gericht bestellt hatte, wurden Alberichs sechs Söhne vor seinen Augen hingerichtetLaurentius 150.  Martin. da Canale 51.  Bonon. hist. misc.  Ricob. comp. chron. 249., in Stücke zerrissen und dem Vater die einzelnen Glieder ins Gesicht gestoßen. Jetzt kam die Reihe an Margarethe und ihre blühenden Töchter: man schnitt ihnen (denn dieselbe Strafe habe einst Alberich verhängt) die Kleider unter der Brust ab, setzte sie so den Blicken der zuchtlosen Menge aus, band nächstdem alle, ungerührt durch ihre Unschuld und große Schönheit, an einen Pfahl, und verbrannte sie lebendig. Alberich selbst, das letzte Opfer wurde, nachdem man ihm mit Zangen das Fleisch stückweise vom Leibe gerissen hatte, an den Schweif eines Pferdes gebunden und zu Tode geschleiftEs finden sich Abweichungen über die geübten Grausamkeiten, welche Verci II, 407 näher prüft. Man hat zwar Grund anzunehmen, daß die guelfischen Schriftsteller die Anklagen gegen Ezelin übertrieben; nicht aber daß sie die Fehler und Verbrechen ihrer Partei vorsätzlich vergrößert haben. Alberich z. B., welcher, solange er es mit der Kirche hielt, von den Mönchen gar sehr gelobt wird, soll sich nachher in einen wahnsinnigen Tyrannen verwandelt und, als er einst seinen Falken verlor, in der Wuth die Hosen abgezogen und Gott den Hintern gezeigt haben!  Salimbeni 360-361.!

Sobald diese frevelhafte Rache an den Personen geübt worden, trat auch der Eigennutz hervor. Die Sieger gaben den Kirchen und Geistlichen keineswegs diejenigen Güter zurück, welche Ezelin ihnen genommen, oder von 443 {1260} einzelnen Bürgern, unter Anwendung mancherlei Zwanges gekauft hatte; sie setzten sich, ohne Rücksicht auf gerechte und nahe Erbansprüche der Verwandten, in den Besitz aller und jeder Güter des Hauses Romano, und theilten sie nach WillkürVerci III Urk. 230–233.  Gennari zu 1259..

Das Übermaaß von Grausamkeit, Habsucht und Sittenlosigkeit, welches sich hier und in so vielen andern Theilen Italiens offenbarte, war jedoch manchem frommen Gemüthe ein Gräuel, manchem ängstlichen ein Gegenstand der Furcht und des Schreckens. Strenge Buße, das meinten sie, sey die erste und nächste Pflicht. Aus dieser Überzeugung entsprang um die Zeit der Ermordung Alberichs von Romano die Sekte der Flagellanten oder GeißlerMemor. Regiens. 1121.  Monach. Patav. 712.  Mutinens. annal.. Von den Hüften aufwärts gingen sie nackt und verhüllten nur das Haupt, nach Weise der Mönche und Nonnen. Mit starken Riemen, in deren Enden harte Knoten eingeknüpft waren, schlugen sie sich in Erinnerung an Christi Geißelung dergestalt, daß das Blut bis auf den Boden hinabfloß. Solche Strenge erschien anfangs sehr wenigen einladend, und es fehlte nicht an Spottreden über das ganze Thun; bald aber griff das Gefühl innerer Sündhaftigkeit und die Hoffnung, sie auf jene Weise abzubüßen, so um sich, daß nicht bloß Geringe, sondern auch Vornehme, nicht bloß Männer, sondern auch Weiber und Jungfrauen sich an jene Geißler anschlossen und zwar nicht in geringer Zahl, sondern zu vielen Tausenden. Alle Musik hörte auf, alle Lust- und Liebes-Gesänge verstummten vor dem allgemeinen Rufe: »heilige Maria, Herrinn, nimm uns Sünder auf und bitte Jesum Christum, daß er uns verschone!« – Lasterhafte gelobten sich zu bessernJacob. a Voragine chron.  Januense 50.  Ventura zu 1260., Wucherer und Räuber gaben den ungerechten Gewinn zurück, Beleidiger überreichten selbst den Beleidigten das Schwert, damit sie sich rächen möchten. 444 {1260} Diese aber machten davon keinen Gebrauch, sondern söhnten sich aus; und selbst von Obrigkeits wegen wurden, so milder Stimmung nachgebend, viele Verbannte zurückberufen und viele Gefangene freigelassen. Von Perugia, wo angeblich diese Geißelungen den Anfang nahmen, verbreiteten sie sich über den größten Theil Italiens, dann nach Frankreich und Deutschland, ja bis Ungern und PolenJohann. de Mussis zu 1260.  Engels Geschichte von Ungern I, 383.  Raynaldi annal. zu 1260. §. 6–11.  Aventin. ann. VII, 7, 21. Cleß Gesch. von Würtenberg II, 2, 575.. Tausende zogen aus einer Stadt in die andere, geführt von Geistlichen mit Kreuzen und Rauchfässern, oder von Einsiedlern, die aus ihren Wüsten hervorkamen. Auf den Straßen und in den Kirchen lagerte die Menge singend und sich geißelnd. – Damit die erste Anregung noch bedeutsamer erscheine, erzählte man jetzt: ein Knabe in der Wiege, oder ein heiligerBarthol. annal. zu 1260.  Ghirardacci I, 200., durch höhere Gesichte geweihter Einsiedler habe solche Bußweise anbefohlen.

Allmählich aber, wie es zu geschehen pflegt, gesellte sich zu der ursprünglichen Zerknirschung und Demuth, der Stolz auf diese Demuth. Abgesehen von aller innern Besserung setzte man alleiniges und genügendes Verdienst darin: daß man sich geißele, nackt in Koth oder Schnee herumwälzePappenheim zu 1261.  Hofmann chron. Bohemiae c. 59., oder was sonst der Äußerlichkeiten und Verkehrtheiten mehr waren. Unsere Buße, sagten die Flagellanten, (die gewöhnliche Weise des Gottesdienstes verachtend) ist besser als euer thörichtes Geschrei; – und leicht reihte sich hieran der Tadel, oder das bestimmte Verwerfen der kirchlichen Obrigkeiten und der anerkannten Lehre. Deshalb erklärte sich der Papst, um größern Mißbräuchen vorzubeugen, gegen dieses, ohne Zustimmung der Kirche begonnene, gesetzlos fortschreitende Treiben; und die weltlichen Herrscher, wie König Manfred, Palavicini, der Herzog von Baiern und andere 445 {1260} verfuhren noch strenger: anfangs, weil sie fürchteten, daß die Geißler leicht gegen sie und für die Kirche benutzt werden könntenParmense chron.  Monach. Patav. 714.  Gemeiner Chron. zu 1262., dann weil eine große Zahl von Unordnungen damit verbunden warChron. Udalrici August. zu 1260.. Endlich schwand der Eifer selbst gar schnell, und es bewies sich auch hier: daß bloße Gefühle des Augenblicks und äußerliche Mittel keineswegs zu einer wahren, dauerhaften, innern Heiligung hinreichen. Italien kam wenigstens durch diese Geißelnden der Tugend, der Frömmigkeit und einem geordneten Glücke nicht näher. 446

 


 


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