Wilhelm Raabe
Kloster Lugau
Wilhelm Raabe

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Neunundzwanzigstes Kapitel.

Am Sonnabend, dem neunten Juli, langten Konsistorialrat Professor Doktor Kleynkauer und Frau in Lugau an. Da sie beide, wenn auch der Wittenberger und sonstigen gelehrten Welt zugehörig, doch geistliche Leute waren, so konnte die Frau Domina nichts dagegen einzuwenden haben, daß sie, zumal auch in Anbetracht der übrigen Umstände, im Kloster selbst Aufnahme fanden. Die Frau Konsistorialrätin, da die Base Augustine wirklich keinen Platz mehr zu vergeben hatte, bei Fräulein Seraphine von Kattelen; der Professor im eben geräumten, fast noch warmen Nest seines – nun, des Doktors Eckbert Scriewer, des blonden Eckberts. Da es hier immer noch ein bißchen nach dem jungen Gelehrten roch – nämlich nach einer süßlichen Pomade, kölnischem Wasser und ganz leicht nach Moschus, so sperrte der würdige, alte gelehrte Herr die Fenster so weit als möglich auf und ging schwer atmend auf und ab, von Zeit zu Zeit die zitternden Hände zusammenlegend und murmelnd:

»Großer Gott, großer Gott! O mein Kind, mein armes, liebes Kind!« –

Wir sind bei der ersten Zusammenkunft der Verwandten am Krankenbett Evas nicht zugegen gewesen; aber am andern Morgen, am Sonntage, nach der Kirche haben wir mit eigenen Ohren gehört, daß die Tante Euphrosyne gesagt hat:

»Vetter Kleynkauer, eine alte Bauernregel lautet: ›Ist das Wetter drei Sonntage vor Jakobi schön, so wird gut Korn gesät, so es anhält!‹ Da die Witterung heute nichts zu wünschen übrig läßt, so wollen wir wünschen, daß das, was jetzt zwischen uns untergepflügt wurde, in der rechten Weise keime, wachse und gute Frucht bringe.«

»Der barmherzige Gott gebe seinen Segen dazu.«

»Ja ihr!« brummte die Tante Euphrosyne unvernehmlich. Sehr vernehmlich sagte sie: »Na, ich für mein Teil bleibe sicherlich als Vogelscheuche im Felde stehen, daß mir der Böse nicht wieder sein Unkraut zwischen den Weizen ausstreue.«

Das Gesicht, welches sie zu dem Wort machte, paßte ganz dazu. –

An dem nämlichen Tage des Herrn, 10. Juli, (in den lutherischen Kirchen wurde über den Hauptmann von Kapernaum und in den katholischen von der Pharisäer Gerechtigkeit gepredigt) erklärte der Pariser Moniteur: Jetzt sei es nicht mehr genug, daß Preußen die spanische Thronkandidatur des Prinzen Leopold von Hohenzollern aufgebe, es müsse nun auch den Prager Frieden erfüllen, dem Süden Deutschlands volle Freiheit lassen, Mainz räumen, seinem militärischen Einflusse jenseits des Mains entsagen und die Angelegenheit mit Dänemark ordnen. Da aus dem Kloster am zwölften wenigstens keine schlimmeren Nachrichten von dem Kinde beim Förster Gipfeldürre eingelaufen waren, so sahen sie dort an diesem Tage wenigstens mal in die Zeitung, das heißt, der Vetter aus Schwaben reichte dem Hofrat Herberger das Wittenberger Tageblatt über den Kaffeetisch zu:

»Hm, leset Se doch mal. Allgemach wird mir die Sach doch über! Sollte wir da net doch Anno Achtundsechzig Ihre saubere preußische Wehrverfassung gerad noch zur rechten Zeit zur näheren Kenntnisnahme genomme habe? Noch einen Schritt weiter, eine Unverschämtheit mehr, ihr Herren Lausbube hinter dem Wasgau, und nachher möcht i doch au noch a Wörtle mitzurede habe als erster schwä – will sagen Königlich Württembergischer Einjährig-Freiwilliger! Herrgottsackerment, sollte man doch schon so rasch im Infanterieregiment Königin Olga seine Studie unter eure verflixte preußische Unteroffizier verwerte könne? Und hier von Kloster Lugau und diese Zuständ aus? Diese Zuständ in Glück und Elend, in Seligkeit und Verdammnis!«

»Blast, blast, und wären es die schwedischen Hörner,« lächelte der königlich preußische Hauptmann der Landwehr, Hofrat Doktor Herberger, das Zeitungsblatt ergreifend.

»Lassen Sie mich jetzt damit in Ruhe. Nur keine gefälschten Zitate, wo die Sachen so ernst liegen und doch auch für Sie – gerade recht für Sie! Zu Flitterwochenidyllen, Hochzeitsreisen und Schäferstunden würde wohl wenig Zeit und Raum bleiben, wenn der große Sturm jetzt wirklich losbräche.«

»Und das Suchen nach dem Lugauer Sachsenspiegel müßte auch wohl auf eine gelegenere Stunde verschoben werden.«

»Das wäre das wenigste!« seufzte Doktor Meyer. »Aber sehen Sie doch, da bekommen Sie schon einen Morgengruß von der Klostermauer herab. Ist das nicht Gräfin Laura, die mit dem Taschentuch von der Terrasse winkt?«

»Ja, und der alte Kleynkauer! Was will der mit den Armen in den Lüften! Und jetzt auch die Frau Oberin und die Tante Euphrosyne! Das halbe Kloster auf der Mauer –«

»Das Kind! Das Evele!« . . .

»Nein! Nein! Das ist es nicht. Aber vielleicht haben sie dort die neuesten Nachrichten aus Paris!«

Sie waren beide die Treppe hinunter, über den Förster Gipfeldürre, sein Weib, seine Kinder, seine Teckel- und Hühnerhunde, sein Federvieh und seine Gartenhecke hinaus und hinweg auf der Landstraße und unter der Klostermauer von Lugau.

»Um des Himmels willen, was ist's, was gibt es denn?«

Daß Gräfin Warberg Tränen weinen konnte, haben wir erfahren, daß sie bis zu Tränen lachen konnte, erfahren wir jetzt:

»Da, Doktor Meyer, halten Sie doch mal die Arme auf! Fangen Sie gefälligst! Den Seinen gibt es der Herr im Schlaf. Hier haben Sie den allerneuesten Beweis davon – die Nase in acht nehmen, Herr Spiegelschwab!«

Und von der Mauer herunter flog ein unheimlich aussehendes, grünlichgelbes, bemoostes, muffig duftendes Bündel dem gelehrten Vetter aus Tübingen in die ausgestreckten Hände und wirklich beinahe ins Gesicht.

»Der Lugauer Sachsenspiegel,« stammelte er.

»Jawohl, und bei dem Herrn Konsistorialrat hier dürfen Sie sich für ihn bedanken: das Wie und Wo, und unter welchen Umständen, wird er Ihnen sofort mitteilen. Aber nun sage noch einer von euch ein Wort gegen die Bücherverwaltung der Nonnen von Lugau! Gott sei Lob und Dank übrigens, daß wir wenigstens dieses Scheusal aus Schweinsleder und Wurmfraß jetzt von der Seele los sind. Nicht wahr, Frau Domina?«

»Ja, bitte, treten Sie näher, meine Herren, und lassen Sie sich von dem Herrn Konsistorialrat das Nähere erzählen,« lächelte die Frau Oberin. »Aber wenn Sie uns armen ungelehrten Frauen einen rechten Gefallen tun wollen, bringen Sie doch lieber nichts hiervon in Ihre gelehrten Zeitungen. Ich für mein Teil bin wahrhaftig unschuldig daran, daß das schreckliche Buch unter den Kleiderschrank in unserm Gastzimmer geraten ist.«

»Was fällt denn da aus dem Schmöker?« fragte die Tante Euphrosyne. »Eine Visitenkarte? Die kann doch nicht aus dem dreizehnten Jahrhundert und von Eike von Repkow stammen!«

Horatio hob im Klostergarten von Lugau das Tagesdokument vom Boden auf.

»Doktor Eckbert Scriewer!« las er. »Ruhig Blut hat er! An wen ist das nun ein Abschiedsgruß? Bitte, Herr Professor –«

Er reichte das nichtsnutzig-boshafte Blättchen dem alten Herrn hin, aber dieser gab's abwehrend, kopfschüttelnd und seufzend zurück. An seiner Statt griff die Tante Euphrosyne zu, zerriß die Karte, warf sie zur Erde und setzte den Fuß darauf.

»Wenn ich um des Himmels willen nur wüßte, was nun diese Szene wieder bedeutet,« seufzte Fräulein von Kattelen an ihrem Fenster. »Du gerechter Gott, habe Erbarmen mit mir in meiner hülflosen Einsamkeit.«

»Unsere Kleine hat wirklich eine recht gute Nacht gehabt, Vetter Meyer,« flüsterte die Tante Augustine dem betäubten Schwaben, und Sachsenspiegler zu. »Die Mutter sitzt bei ihr, ohne das hätten wir, die Euphrosyne und ich, nicht in aller Ruhe diesem Spaß mit Ihnen und Ihrem dummen Tröster da beigewohnt. Übrigens gratuliere ich bestens auch zu diesem Wunder aus der Höhe.«

So ward der Dienstag, der 12. Juli 1870, noch einmal in verhältnismäßiger Ruhe vom Kloster Lugau durchlebt. – – –

Am dreizehnten stand die Weltgeschichte für Lugau sogar ganz still; sie beschäftigten sich daselbst nur mit ihren Privatangelegenheiten. In welcher Weise und in welchen Stimmungen, wird jedermann, der Anteil an ihnen nimmt, sich aus sämtlichen vorhergegangenen Kapiteln herausziehen und zurechtlegen können. Daß an diesem selben Tage in Ems ein bis dahin ziemlich unbekannter Mensch, des Namens Benedetti, den König Wilhelm von Preußen ersuchte, ihn doch zu autorisieren, nach Paris zu telegraphieren, Seine Majestät verpflichte sich für alle Zukunft, nie wieder zuzustimmen, wenn in Sigmaringen ein weitläufiger Vetter sich noch einmal verlocken lasse, König von Spanien zu werden: das konnte Kloster Lugau noch nicht wissen. Und ebensowenig die Antwort, die der alte Wilhelm durch seinen Adjutanten vom Dienst heraussagen ließ, nämlich: Seine Majestät von Preußen habe dem Herrn Botschafter Seiner Majestät des Kaisers der Franzosen nichts weiter mitzuteilen – woran doch gewiß nichts Unhöfliches war.

Aber am Abend des Vierzehnten! Da lief, und zwar durch »ekspressen Bothen«, beim Förster Gipfeldürre ein Brief ein, und zwar von Mamert an den Herrn Hofrat Doktor Herberger, Hauptmann der Landwehr:

»Herr Hauptmann! Seit gestern kann nach die Zeitung und nach den Leuten die Sache gar nicht brenzliger mehr werden. Und da Sie wohl noch immer keine Blätter lesen, so habe ich doch auch ein bißchen für Sie mit beim hiesigen Etappenkommando hingehorcht. Man hat ja so seine Freunde und alte Kameraden, und die Sache wird so, wie ich es Sie schon lange vorausgesagt habe. Für Sie hat's ja wohl noch ein bißchen Zeit; aber daß die Herren Korpskommandanten mit ihrem »übermorgen ist der erste Mobilmachungstag,« Mamerten auch mit seinen vollen Einunddreißig auf dem Rücken mal wieder sofort nötig haben, das ist unzweifelhaft, sagen alle Leute und vorzüglich die Herren Studiosen, die schon ganz aus Rand und Band für das Vaterland sind. Also, Herr Hofrat, habe ich mir auch wieder die Erlaubnis genommen und unsern Haushalt in Ordnung gebracht, wie vor unserer letzten großen Reise, wo wir uns die schwarzen Zulus und Lulus an Ort und Stelle besahen, was wir aber nun demnächst hoffentlich bequemer haben werden, daß sie diesmal uns an Ort und Stelle kennen lernen können. Na, die sollen sich schön wundern! Alle Schlüssel kriegt wieder die gute treue Seele, unsere Frau Hauswirtin. Ich habe ihr dafür auch in Ihrem geehrten Namen versprochen, daß wir ihr diesmal etwas recht Hübsches aus Paris mitbringen wollen. Sollten der Herr Doktor mich, wenn Sie von Lugau kommen, noch uneinberufen vorfinden, so ist's natürlich gut. Wenn nicht, so wissen ja der Herr Hofrat schon von Sechsundsechzig Bescheid und besorgen sich wohl eine Weile wieder allein ohne Ihren Getreuesten. Die Wirtin weiß von allem, und wenn unsere liebste gnädigste junge Braut und Fräulein Gräfin sich jetzt auch schon ein bißchen der Sachen annehmen will und sich in des Herrn Doktors Angewöhnungen finden lernen, so braucht sie nur unten im Hause nachzufragen. Seine Besonderheiten, Schrullen und Grillen hat ja jeder Mensch. Sollte noch was ganz Besonderes passieren, so schreibe ich nochmals. Der Postbote ist bezahlt; aber ich meine, der Herr Hauptmann werden doch unter die laufenden Zeitläufte viel eher wieder selber hier in Wittenberg sein, als Sie es heute noch für möglich halten. Mit der Bitte, mir meine Sorge um Ihn und unsere Pflicht fürs Vaterland nicht übel zu nehmen, des hochgeehrtesten Herrn Hofrats getreuester

Diener, Landwehrmann Christian Mamert.«

Was die beiden Freunde beim Förster Gipfeldürre, der vom linken Ufer des Mains und der vom rechten, dieses wundervolle Schreiben zwischen sich, über Politik, Universalhistorie und die Geschichte des deutschen Volkes redeten und wie sie sich dabei die Hände über den Tisch reichten, das können wir gottlob ebenfalls jedermann zu selbsteigener Ausmalung und Begutachtung überlassen. Wir haben es ja nur mit den Geschichten des deutschen Volkes zu tun, und da hinzu tat Doktor Herberger zuerst sein Wort:

»Was sollen wir in dieser Nacht noch die Frauen da drüben mit unserer Unruhe behelligen? . . . Mein armes, tapferes Mädchen, also wieder – wieder hinaus ins Ungewisse!« . . .

»Wenn das Kindle jetzt den ganzen Tummel verschlafen und erst als weißes Jungferle zum Siegereinzug aufwachen wollte, tät' es mir einen rechten Gefallen!« seufzte der Vetter aus Schwaben.

Der Krieg! – Als ob sie allein in Lugau Briefe darüber gekriegt hätten, die zwei Herren beim Förster Gipfeldürre! Wer am andern Morgen mit den genauesten Nachrichten darüber, daß der Krieg vor der Tür stehe, an der Klosterpforte empfangen wurde, das waren sie.

»O Franz,« schluchzte Gräfin Laura, den Verlobten vor allen Nonnen von Lugau in die Arme fassend, »Franz, was ist das nun wieder? Der König wird heute schon auf dem Wege nach Berlin sein, aber wir, wir? Wohin gehen nun wieder unsere Wege auseinander, du armer, lieber, geduldiger Mensch?«

»Nicht auseinander! Nimmermehr auseinander! Im Leben und im Sterben nebeneinander hin!« rief Franz Herberger, jetzt er als der Ruhige, Gefaßte der Fassungslosen das weiche blonde Haar aus der sonst so kühlen, trotzigen Stirn streichend. »Und zum Glück und zum Siege!«

»Ja, ja, ja! Es darf ja nicht anders sein, es soll nicht anders sein! O behalte recht, habe wie immer recht, du Lieber!« –

In der Wohnung der Tante Augustine fanden sie die ganze Familie Kleynkauer bis auf die Tante Euphrosyne beisammen. Die zwei Wittenberger Alten, der Konsistorialrat und die Frau Konsistorialrätin in vollständiger Betäubung darüber, daß zu allem andern nun auch dieses noch über sie falle. Nach dem Eintritt des Vetters aus Schwaben, des Hofrats und der Gräfin Laura wurden sie so laut, daß jetzt auch die Tante Euphrosyne in der Kammertür der Klostertante erschien. Zuerst mit dem Finger auf dem Munde, dann zornig winkend.

»So fechtet es doch durch, ihr da draußen! Aber hier am Ort in Ruhe! darum möchte ich bitten. Laßt mir mein Kind schlafen!« . . .

Ungarn, Mongolen, Hussiten, den Bauernkrieg, die Schmalkaldener, Wallensteiner, Schweden, Franzosen des Siebenjährigen Krieges und Franzosen von 1806 hatte Kloster Lugau bei sich zu Gaste gehabt: es kannte den Krieg nicht bloß vom Hörensagen oder von Sechsundsechzig her. Der große Sturm fing sofort auch hier an, an den Türen und Fenstern zu rütteln; aber Kloster Lugau duckte sich nur vor ihm, um sich desto standhafter wieder aufzurichten. Wer die Worte »altes Leinen« und »Scharpie« in die Aufregung, den Schrecken, die Angst und Sorge und in den Zorn von Lugau hineinwarf, der sprach das richtige Beschwörungswort aus.

»Ich bitte sämtliche Damen zur Beratung in den großen Saal!« sprach die Frau Domina. »Frau Priorin, liebe Kattelen, Sie übernehmen wohl wieder unsere Sekretariatsgeschäfte? Sie wissen doch von uns allen am besten mit der Feder und dem Rechenbuch umzugehen.«

Wie fest sie aber auch sich dagegen anstemmen mochten in Lugau, abhalten ließ sich der große Sturm nicht von ihren Toren. Er riß sie auf, weit auf! Und alle, die nicht ganz insbesondere in diesem Frieden Gottes Wurzeln geschlagen hatten, riß er von dannen. Sie mußten alle fort aus Kloster Lugau, bis auf die Tante Euphrosyne.

Die nahm am Bette ihres Kindes Abschied von ihrem Vetter aus Schwaben, von dem Hauptmann der Landwehr zweiten Aufgebots, Hofrat Doktor Herberger, von dem in Wittenberg so überaus nötigen, aber leider selbst völlig ratlosen Konsistorialrat und auch von der Base Blandine, welche letztere freilich ihre gottlob in der Besserung befindliche arme Kleine in jetziger Zeit und unter jetzigen Umständen in keinen bessern und sicherern Händen zurücklassen konnte.

Sie mußten alle fort, auf der Stelle – ohne Zögern und Zaudern – alle und alles schwankend auf der Woge einer ungewissen Zukunft. War doch auch der alte König Wilhelm, der Sieger von Königgrätz, der eben am Abend dieses fünfzehnten Juli in Berlin auf dem Potsdamer Bahnhof anlangte, nach seiner Fahrt durch das ihm Sieg, Glück und Heil zurufende deutsche Volk, seines Schicksals nicht gewisser, als seine beiden Kriegsmänner, der vom rechten Ufer des Mains und der vom linken, die sich am Sonnabend, dem Sechzehnten, von Kloster Lugau erhoben, weil, wie Mamert ganz richtig vorausgeahnt hatte, der sechzehnte Juli Achtzehnhundertundsiebenzig in der Tat der erste Mobilmachungstag war.

»O, Tante Euphrosyne,« sagte am Abend dieses Tages Gräfin Warberg, »wie Sie so ruhig dasitzen können!«

»Wo sollte ich ruhiger sitzen, als bei meinem ruhigen Kinde?« erwiderte die alte Dame mit ganz gewiß unbewegtem Gesichte. »Ich habe mir diesen Platz in einem harten Kampf erkämpft. Hier habe ich das Kind fürs erste in Sicherheit, und so bin auch ich nicht minder in Sicherheit und warte unsere künftigen Schicksale in Geduld ab. Was kann der Mensch mehr tun? Und sind nicht auch Sie, Laura, der Welt bis jetzt ein gutes Exempel gewesen? Geben Sie Ihr Glück jetzt nicht auf! Das wäre dumm, Liebste. Ich für mein Teil glaube wieder an das meinige. Und was den Lärm da draußen anbetrifft, nun, so wird sich der wohl auch schon wieder legen. Die Herren Franzosen werden bald zu ihrem Schaden einsehen, was Ihr und mein Freund Mamert für sie bedeutet. Ich kenne sie alle. In diesem Falle nicht bloß vom Wittenberger Universitätsplatz, sondern auch von Kepplershöhe aus!«

Bis auf die Tante Euphrosyne und die kleine Eva Kleynkauer waren sie an diesem ersten Mobilmachungstage Achtzehnhundertundsiebenzig zu ihrem Abendgottesdienst in Kloster Lugau alle in ihrer Kirche versammelt.

Es waren tapfere Seelen.

»Achthundertfünfundfünfzig!« sagte die Frau Domina, und das letzte, was wir im Jahre Achtzehnhundertsiebenzig von Kloster Lugau hören, ist der erste Vers aus Gustav Adolfs Feldlied:

»Verzage nicht, du Häuflein klein,
Obschon die Feinde willens sein,
Dich gänzlich zu verstören,
Und suchen deinen Untergang,
Davon dir recht wird angst und bang;
Es wird nicht lange währen.«

 


 


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