Wilhelm Raabe
Kloster Lugau
Wilhelm Raabe

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Sechzehntes Kapitel.

Kloster Lugau hatte seinen Platz in der nach Krämer und Kompagnies Entwurf auseinandergezogenen Welt. Es war seinerzeit zu einem Zweck gegründet worden, und der Gründer hatte seinen Vorteil sehr wohl dabei im Auge behalten, wenn auch diesmal gerade nicht seinen pekuniären oder gesellschaftlichen. Er hatte sein Geld hergegeben zum Bau und auf Verzinsung in dieser Welt nicht gerechnet. Aber in jener! Ja, für jene Welt rechnete er darauf, daß ihm wenigstens einiges für seine Stiftung ins Guthaben geschrieben werde und durch manches in seinem Soll dort im großen Hauptbuche des Himmels ein Gnadenstrich gezogen werde.

Das Bedürfnis, wenigstens etwas nicht ganz rechtmäßig erworbenes Gut dem Herrn über alle Güter wieder zur Verfügung zu stellen, hatte vor tausend Jahren irgend einen armen Sünder aus billungschem, wettinschem oder welfischem Geschlecht, wohl nicht ohne einiges Zureden der Geistlichkeit, bewogen, mit seinem Mammon zu Kreuze zu kriechen. Zu Kreuze in der wirklichsten, wahrsten Bedeutung des Wortes. Wenn der Böse, dem Sprichwort zufolge, nicht selten hinter dem Kreuze steht, so steht ebensowenig selten der Heilige mit dem Klingelbeutel dort, und sie wußten es sowohl von Rom wie von Mainz, Hildesheim oder Halberstadt besagtem Ludolfinger, Billunger, Wettiner, Brunonen oder Welfen besorgt genug ans Herz zu legen, was sie in »seinem Alter«, bei »seinen Gesundheitszuständen« und mit »dem und dem auf dem Kerbholz« an »seiner Stelle« tun würden.

Wenn dann der Ludolfinger nicht tat, was sie, die hohe Geistlichkeit, unter seinen Umständen jedenfalls getan hätte, so übernahm sie natürlich auch nicht die Verantwortlichkeit für die Folgen.

Da halte denn mal einer, der nicht Lesen und Schreiben gelernt hat und höchstens von Natur aus doch ganz gut zu rechnen verstand, seinen Geldbeutel zu. An einem gewissen warmen Orte in seinem Panzer, wie eine Schildkröte in dem ihrigen, aber in alle Ewigkeit hinein, gebraten zu werden, ist keine erquickliche Vorstellung. Ein gekrönter, glühender Helm in der Hölle – brrrrr! Weshalb war der alte Herr so dumm und kam nicht hier unten noch in jenen besseren Zelten an, wo ihn noch die Walküren, die Totenwählerinnen, auf dem Felde auflesen und ins Behaglich-Kühle hätten mitnehmen können? Nun male deine drei Kreuze unter die Schenkungs- oder Stiftungsurkunde und stirb ruhig im Bette, Grave und Hertog der Deutschen! Daß man auch dich und deinesgleichen nach einem Jahrtausend noch mitzuzählen hat, beweist dieses Blatt.

Aber wie kam es, daß der fromme alte Sünder ein Nonnenkloster gründete? In dieser Hinsicht kann man in den urältesten Chroniken, die von der Stiftung handeln, zwischen den Zeilen lesen, daß er wohl berechtigt war, auch im späten, gebrechlichen Alter dem schönen Geschlecht seine Liebe und Zuneigung zu beweisen. Als junger Mensch nämlich und nach Möglichkeit ins reifste Mannesalter hinein soll er von einem gewissen dynastischen Recht damaliger Zeiten den Jungfrauen gegenüber derartig Gebrauch gemacht haben, daß die Stiftung eines Jungfernklosters nur eine Höflichkeit mehr im »frumben Minnedienst« war.

Geschmack hatte der gottselige Greis jedenfalls; und auch nach einer andern Richtung hin. Die Lage seiner Gründung konnte auf seinem Gebiete gar nicht passender und angenehmer gewählt werden. Da erhob sich das Gebirge mit seinen Vorbergen gerade in der richtigen Entfernung von der Klostermauer, um die schärfsten Winde von der heiligen Schwesternschaft abzuhalten. Reiche Felder und Wiesen mit kleinen Gehölzen und einzelnen Baumgruppen dehnten sich rundum, auch einzelne kleinere und ein großer, fast seeartiger Teich fehlten nicht behufs der Fastenfische. Der Klostergarten ließ nichts zu wünschen übrig; seine Obsterträge waren noch heute weit ins Land hinein berühmt. Daß die Klosterkirche weit ins Land hinein berühmt war, verstand sich wohl von selber. Selbstverständlich war sie romanischen Stils, ebenso wie die Kreuzgänge; während sich an den Wohn- und Wirtschaftsgebäuden schon viel Gotisches einmischte. Auch das Rokoko, welches die adeligen Äbtissinnen des achtzehnten Jahrhunderts hier und da hinzugetan hatten, war allmählich alt genug geworden, um vor den Augen der Kunstverständigen Gnade zu finden. Sonderbarerweise erklärte der gegenwärtige Tag das, was er selber hinzugetan hatte, für das einzig Unschöne an Kloster Lugau. Der Regierungsbaumeister, der an und in Lugau renoviert, restauriert und neu gebaut hatte, mochte es der Regierung, was den Kostenanschlag anbetraf, noch so sehr zu Dank gemacht haben, mochte bei seinen Berufsgenossen in noch so hohem Ansehen stehen und aller staatlichen Ehren- und Ordensklassen noch so würdig sein: in ein Handbuch der Kunstgeschichte gehörte er nicht als Muster, oder doch nur als ein Muster davon, wie man es nicht zu machen habe. Zum Glück ist das uns, die wir hier nicht Kunstgeschichte treiben und schreiben, ganz einerlei. Was geht uns der Immenkorb an? Wir haben es mit den Immen zu tun! Daß die Bienen, die heute im Klostergarten von Lugau um die Blumen summen, noch immer Honig machen und Wachs bereiten wie ihre Schwestern vor tausend Jahren, das ist uns die Hauptsache! –

Nach diesem grauen Mauerwerk und grünen Garten voll Bienen, Schmetterlingen und Klosterschwestern führen wir nun den Leser und die Leserin, und zwar im schönen Monat Juni. Hatten die katholischen Nonnen es ihrer Zeit in Lugau gut gehabt, so hatten es die lutherischen in unsern Tagen darin auch nicht schlecht, ja eigentlich noch besser. Tausend Jahre hatte das Kloster gestanden, und die Leserin mag selber in der Weltgeschichte nachschlagen, was alles in so einem Jahrtausend über die fromme Stiftung hinweggegangen sein konnte. Wenn es ihr aber genügt, daß aus allem guten und schlimmen Geschichtswetter an Gütern und Kapitalien so viel dort übrig geblieben war, daß eine »Stelle« dort immer noch etwas Wünschenswertes für eine weltentsagende Jungfrau sein konnte, so soll uns auch das recht sein. Zu Pfingsten wittenbergscher Bücherstaub und Pergamentmoderduft, wenn wir uns lugauschen Blumenstaub, lugausche Berg- und Waldluft, wenn wir uns lugausche Blütenblätter ins Fenster wehen lassen können? Das wäre noch besser! . . . Uns genügt es vollkommen, daß seit dem sechzehnten Jahrhundert und dem Doktor Martin Luther »Wittenberg« ein zu Pergament, zu Papier gebrachtes vollgültiges Anrecht für seine Professorentöchter, Stadtpfarrers-, Konsistorialrats- und Kirchenratstöchter an die härenen Kutten, die Gürtelstricke und Geißeln des frommen Gründers von Kloster Lugau hat und dasselbe im heftigsten Wettstreit mit den Töchtern des höheren Krieger- und Beamtenstandes nach Möglichkeit ausnutzt.

Daß eine vom höheren Adel der »Provinz« als Domina das Schwesternhäuflein in klösterlicher Zucht hielt, war schicklich – wenn auch nur in dankbarer Rücksichtnahme auf den weiland erlauchten Stifter aus dem Stamme der Brunonen, Ludolfinger, Wettiner oder Welfen. Die Rücksichtnahme auf die mehr bürgerlichen Verhältnisse der Gegenwart war auch hierbei nicht aus den Augen gelassen worden, und blaues und rotes Germanenblut wußten sich, manchmal mehr, manchmal weniger, doch durchschnittlich ganz gut in die seit dem Jahr Achthundertsiebenzig doch ein wenig veränderte Welt zu schicken. Daß sehr blaues Blut auch in den Adern einiger der Schwestern rann, war durch das Vorherrschen des bürgerlichen Elements nicht ausgeschlossen. Eine davon kennen wir schon, wenn auch nicht aus dem William Shakespeare, so doch aus dem geselligen Scherzbedürfnis der Stadt und Universität »Wittenberg«, welche zwei wir, wie wir hier ausdrücklich bemerken wollen, nur aus dem William Shakespeare kennen.

Man erreichte im Jahre 1870 Kloster Lugau noch nicht ganz vermittelst der Eisenbahn. Heute soll das möglich sein; aber damals hatte man mehrere Stunden mit der Post oder auf einem gemieteten Wagen von der nächstliegenden Bahnstation ab zu fahren, ehe man an das Mauertor aus dem Jahre 1490 und den Schatten der hohen Lindenbäume vor demselben gelangte. Aber das Kloster hatte auf dem nächsten Bahnhofe sozusagen seinen eigenen Charon, der für es die Überfahrt aus dem Säkulum gegen eine billige Taxe und ein reichliches Trinkgeld vermittelte. Mit einem Obolus begnügte dieser Charon sich freilich nur ungern.

»Ich bedanke mich auch ganz gehorsamst, Fräulein,« sagte Dickdrewe, nachdem er den Damen beim Aussteigen behülflich gewesen war und auch die Koffer und Schachteln an der Klosterpforte abgesetzt hatte. »Und nun wünsche ich ein recht fröhliches Fest hier in Lugau. Schönes Wetter haben wir ja ausnahmsweise mal, und an der Luft hier herum und der Kost dadrinnen wird es auch nicht liegen, wenn ich dies junge Frölen nicht mit röteren Backen als wie jetzo später mal wieder von hier abhole. Ist es nicht wahrhaftig, als käme es schon wie ein Pfingstkuchengeruch da über das alte Gemäuer? Na, nochmals viel Pläsier in Kloster Lugau, Fräulein Kleynkauers. Da kommen schon die andern alten und jungen geistlichen Tanten. Na, adjes denn nochmals; – wenn's wo vergnügt wird und anfängt gut aus der Küche zu riechen, muß unsereiner immer weiter!« . . .

Der Mann hatte recht; es war nicht bloß die Tante Augustine, die aus der äußeren Klosterpforte hervorstürzte, um den eben in Lugau anlangenden »Logierbesuch« in Empfang zu nehmen und zu begrüßen. Ein halb Dutzend anderer jüngerer oder älterer »geistlicher Tanten« kam mit ihr unter die hohen Linden hinaus, und – wieder hatte Dickdrewe recht: alle brachten sie einen pfingstfestlichen Duft an sich mit, und zwar in der Tat aus der Küche oder vom Backofen her. Nach Weihrauch roch keine von ihnen; – ja, ja, was wohl der fromme Gründer hierzu gesagt haben würde?! . . .

»Da seid ihr denn endlich!« rief die Tante Augustine. »Nun laßt euch vor allen Dingen erst mal besehen!«

Und die Klostertante, nur einen kurzen, aber vielsagenden Blick auf die Tante Euphrosyne werfend, besah sich das Kind wirklich sehr genau, faßte es dann noch zärtlicher, aber auch sozusagen noch vorsichtiger unter die Arme, am liebsten schien sie es auf dieselben genommen zu haben wie ein wirkliches Kind, um es aus der Zeitlichkeit im braven Kloster Lugau in Sicherheit zu bringen.

»Was hat man aus dir gemacht, mein armes Herz?« Aber nun standen sie schon in dem alten, von den schönen romanischen Kreuzgängen umgebenen Klosterhofe, und aus allen Fenstern sahen die Nonnen, die nicht mit ans Tor dem Pfingstbesuch entgegengelaufen waren, teilnahmsvoll auf ihn herunter – auch Fräulein von Kattelen, die Frau Priorin, die hinter vorgehaltenen Händen und im Flüsterton sonst auch wohl als »Polizeiwachtmeister« unter der frommen Schwesterschaft umging. Und aus der Pforte der Klosterkirche kam eine schöne junge Dame, die jüngste der Nonnen von Kloster Lugau, unter aufgespanntem himmelblauem Sonnenschirm, – eine hochgewachsene, etwas zur Wohlbeleibtheit neigende, blonde, blauäugige Asketin im elegantesten Frühlingskostüm, reichte der Tante Euphrosyne freundlich die Hand, nahm der Tante Augustine das Evchen vom Arm weg, schloß es in ihre eigenen Arme, küßte es und sagte:

»Gut, daß du da bist, Mätzchen! Mein armes Mäuschen, hat sie dich auch in den Klauen gehabt, die böse Katze Welt? Freilich, Freilich, da müssen wir für dich wirklich hier nach dem Rechten sehen!«

Das war ein vieldeutiges Wort und Fräulein von Kattelen, der Polizeiwachtmeister von Kloster Lugau, würde es vielleicht noch anders und schärfer bezeichnet haben; aber diese jüngste Nonne von Kloster Lugau, Gräfin Laura Warberg, war schon längst bekannt, Fräulein von Kattelen nannte es: berüchtigt wegen ihrer vieldeutigen Worte.

 


 


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