Wilhelm Raabe
Kloster Lugau
Wilhelm Raabe

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Achtes Kapitel.

Der Herr läßt Gras wachsen auf den hohen Bergen; aber als lieber Gott hat er seinen schönen Blumen den Aufenthaltsort durchschnittlich doch mehr im Tal angewiesen. Auf den hohen Bergen weht oft ein sehr kalter Wind, der nackte Fels tritt da zu Tage, Gletscher schieben sich dicht heran an die letzten grünen Wiesen; und wenn die Sonne dort am längsten weilt, so hat sie wohl Licht, aber wenig Wärme zu vergeben, und schöne Blumen brauchen letztere notwendig, sowohl in der Pflanzenwelt wie in der Menschenwelt. Soweit das Gras reicht und Heu gemacht werden kann, steigen die verständigen Leute und wird das Rindvieh getrieben, sowohl auf den Bergen wie auf den Kulturhöhen der Menschheit. Weiter hinauf wagen sich nur die großen Forscher und die kleinen Bergfexe, die einen, um die Welt nach Möglichkeit zu übersehen, die andern, um möglichst sehr von der Welt gesehen zu werden. Beide kommen in die Zeitungen, wenn sie, was ziemlich häufig geschieht, mit dem Kopf nach unten plötzlich wieder im Tal anlangen und liegen bleiben, bis sie von den vernünftigen Leuten aufgehoben und im nächsten Kompendium der Kultur- und Weltgeschichte oder dem zunächst liegenden Dorfkirchhofe beigegraben werden. Damen erheben sich über ihre Schwestern auf Erden am besten nur so weit, als Esel und Tragsessel reichen; studieren sie aber kurz geschoren in Zürich, so mögen sie meinetwegen auch in Männerhosen den Montblanc erklettern: Esel sind die, welche sie sich wieder herunterholen, und mögen dann auch unbeschadet ihres häuslichen Glückes für das politische Stimmrecht ihrer Weiber reden, schreiben und drucken lassen – es kommt wirklich nichts darauf an für uns andere – es geht gottlob fürs erste nur sie allein was an.

Indem wir nun noch einmal sagen, daß schöne Blumen besser im Tal oder an den Abhängen mitteler sonnig-schattiger Hügel bleiben, und jetzt hinzufügen: liebe kleine Mädchen auch! bleibt uns nichts mehr übrig, als unsere deutsche Universität mit einem sehr hohen, einem höchsten Berge zu vergleichen und unser Evchen Kleynkauer mit einer sehr hübschen Blume, die da oben gar nicht an ihrem Platze ist. Nicht daß der Papa eigentlich dran schuld gewesen wäre. Der war von Natur Professor und Oberkonsistorialrat und stand von Natur sich mit dem bis Anno Sechsundsechzig angestammten Fürstenhaus und mit dem lieben Gott so gut, daß es wirklich Unrecht gewesen wäre, wenn sie ihm die Titel nicht beigelegt hätten. Und nur sein wohlerworbenes gelehrtes Recht war es, daß er mit verschiedenen Kollegen sich sehr schlecht stand und als kleines, dürres, gutmütiges Männchen ihnen vom Katheder und durch die Druckerpresse die größten, dicksten, boshaftesten »Wahrheiten« aus eigener Denkerkraft und mit Belegen aus einer Unmasse von Büchern großer, gleich erleuchteter Vordenker nicht vorenthielt. Daß er manchmal auf einen Wurm zu treten glaubte und eine Schlange sich aufbäumte und wehrte, verschlechterte seine Stimmung oder gar seinen Charakter nie so sehr, daß seine Familie darunter zu leiden gehabt hätte. Seine Gattin ließ ihn höchstens auch noch ein bißchen mit darunter leiden, gab ihm aber jedesmal den besten Rat in der Sache und wußte häufig, oft noch besser als er, wie man solchen Schlangen den Kopf zertrete: »Du bist ein Dummkopf, Kleynkauer; den Brief an den Kultusminister läßt du unterwegs, und deine Antikritik fürs literarische Zentralblatt bitte ich dich mir zu zeigen, ehe du sie abschickst.«

In die Kinderstube gehören solche Sachen überhaupt nicht, und Professor Doktor Kleynkauer trug sie, soviel an ihm lag, auch nicht hinein, was die Gattin sehr häufig tat. Wenn das kleine Mädchen von frühester Jugend an merkte, daß es in einer bösen Welt voll unartiger Menschen lebe, so kam ihm das mehr von Mutters- als von Vaterswegen. Die Mutter nahm sich lange nicht so wie der Vater vor dem Kinde mit ihren Bemerkungen über die Leute in acht, und so erfuhr die Kleine wahrlich früh genug, wie tückisch, frech und unverschämt gerade oft die besten Freunde, die würdigsten, gelehrtesten, vornehmsten Herren und die liebenswürdigsten Damen aus der allernächsten Bekanntschaft sein konnten. Es wäre kein Wunder gewesen, wenn sie einmal den ganzen ersten Gesellschaftskreis der Stadt und Universität in die Luft gesprengt hätte durch die Frage: »Du, wenn du so dumm und solch ein Bösewicht bist, weshalb kommst du denn zu uns, wenn Papa und Mama dich einladen?« oder: »Du, wenn du eine so falsche Katze bist, wie meine Mama sagt, weshalb sagst du denn ›mein liebes Herz‹ zu ihr? Daß du ihr gestern nachmittag auf dem Vorsaal einen Kuß gegeben hast, ist auch nicht hübsch von dir, und an Mamas Stelle hätte ich ihn dir ganz gewiß nicht wiedergegeben. Aber dein Mann wird doch nicht Prorektor – etsch!«

Bessere, das heißt liebere Eltern wünschte sich das Kind ganz gewiß nicht. Die Mama war so klug und der Papa so herzensgut; und das letztere war, insofern es sein Töchterlein anbetraf, vollkommen richtig. Der berühmte Gottesgelahrte hielt sich viel häufiger und länger in der Kinderstube auf als seine weltkluge Gattin und holte sich auch viel häufiger als diese sein dummes kleines Mädchen in seine Studierstube. Und vorzüglich, wenn die Frau Professorin nicht zu Hause war, sollen in letzterer zwischen dem Herrn Vater und Fräulein ganz sonderbare Sachen vorgefallen sein, und kopfschüttelnd soll des Hauses Dienerschaft ihre Welterfahrung noch einmal in dem alten indogermanischen, aber auch den Nigritiern und Ozeaniern nicht unbekannten Wort: »Ja, wenn die Katze nicht zu Hause ist, tanzen die Mäuse auf Tisch und Bänken«, kundgegeben haben. Selbst ein Dekan der theologischen Fakultät darf sich hier wohl auf das Beispiel des Königs Heinrich des Vierten von Frankreich berufen. Übrigens machte bei solchen Gelegenheiten der spanische Gesandte (in unserem Falle zum Beispiel der alte, gute, kinderreiche Professor Doktor Bademutter) nie solche absprechende Bemerkungen wie Maria von Medici, wenn sie früher, als sie erwartet wurde, aus der Kaffeevisite nach Hause kam; zum Beispiel:

»Aber Kleynkauer, ich habe dich doch schon so oft gebeten, mir das Kind nicht noch nervöser zu machen, als es schon von Natur ist! Das besorgt doch wohl deine gute Kusine Euphrosyne bereits zur genüge . . . Und zeig doch mal, was hast du ihm denn nun wieder als Bilderbuch aus deiner Bibliothek in die Hände gegeben? Longus, les amours pastorales de Daphnis et Chloé – aber Kleynkauer!«

»Ich habe wirklich das Buch nicht so genau angesehen. Es ist wohl die Übersetzung von Amyot? Ja, jetzt erinnere ich mich: das Exemplar stammt noch aus meinen Studienjahren. Nun, nun, meine Beste, das Kind versteht ja jetzt noch weder Griechisch noch Französisch, und es schien solche Freude an den Bilderchen zu haben.«

»Man kann euch keinen Augenblick allein euch überlassen,« ächzte die Frau Oberkonsistorialrätin. Der alte griechische Roman mit seinen hübschen französischen Kupfern von Vidal flog in die fernste Ecke des Museums des diesjährigen Dekans der theologischen Fakultät und die entrüstete Mutter wie eine Erlkönigin mit dem weinenden Kinde ab, aber nicht in das Märchenreich hinein.

»Sie wird wohl wie immer auch diesmal recht haben,« seufzte der Oberkonsistorialrat, erst dem einzigen Roman in seiner Bücherei und dann seiner gleichfalls einzigen Gattin nachstierend. –

Es war ein seltsames Verhältnis, in welchem die Base Euphrosyne zu dem Hause Kleynkauer stand; aber in gewissen Beziehungen bleiben sich die Verhältnisse in dieser Welt doch immer ziemlich gleich: die Tante Euphrosyne in »Wittenberg« hatte, obgleich sie am Universitätsplatz nur zur Miete wohnte, über ein Vermögen zu verfügen, wie die Tante Adele in Immelborn, die daselbst ein eigen Haus und Anwesen hatte. Was in Wunsiedel nicht aus dem Auge gelassen werden durfte, das durfte auch in Wittenberg, Jena, Greifswald, Halle, Göttingen, Kiel und Rostock darin festgehalten werden.

Daß bis zur Götterdämmerung hin festgegründete Throne unter den Inhabern zusammenbrechen können, hatte das Jahr 1866 nur zu deutlich wieder einmal bewiesen. Die schlechtesten Börsenpapiere und die bestgegründeten Hoffnungen depossedierten Gottesgnadentums halten sich in Betreff ihrer Ertragsfähigkeit im Gemüt des engeren Vaterlandsfreundes nur zu häufig die Wage, und nur zu häufig senkt sich die Schale mit dem Papier und schnellt die mit dem Pergament bis an die mitleidslose Himmelsdecke empor. Preußische Staatspapiere, wenn auch hassenswürdig, waren doch sehr gut, und von Stinken konnte bei ihnen ebensowenig die Rede sein wie bei dem Golddenar, den der Kaiser Vespasianus unter eine allzu zart besaitete Quiritennase hielt. Die Tante Euphrosyne hatte aber, gerade im Frühjahr 1866, einen bedeutenden Teil ihres nicht unbedeutenden Barvermögens in preußischen Konsols angelegt (»Ich kenne sie alle und weiß, was ich tue,« hatte sie alles Abredens zum Trotz gesagt), und die Verwandtschaft gestand zu, daß sie, die Tante, wenn nicht sittlich, edel, schön, so doch sehr gescheit gehandelt hatte. Oberkonsistorialrat Kleynkauer und Frau hatten in Hinsicht auf das Vermögen sowohl in bar wie in Papier und auch – liegenden Gründen nichts gegen den intimsten Verkehr ihrer Tochter mit der »lieben, aber sonderbaren alten Seele« einzuwenden. Im Hinblick auf das, was so eine gute Tante und gräßliche alte Person dermaleinst mit dem Ihrigen beginnen konnte, verstand es die Mutter Kleynkauer gerade so gut wie Mutter Blume, ihren Gefühlen Zwang anzutun und ein Lamm auf den Altar zu legen.

»Und außerdem wäre es doch sehr unangenehm, wenn sie auch nur ihren Garten der Universität oder gar der unbekannten süddeutschen Verwandtschaft, der schwäbischen Vetterschaft, vermachte. Imstande ist sie zu allem, wenn wir ihr in dem Verkehr mit dem Kinde zuwider sind, Kleynkauer! Nun, eine vernünftige Ehe, für die ich später einmal nach Möglichkeit die Augen offen halten werde, bringt hoffentlich wieder in Ordnung, was jetzt da am Universitätsplatz an unserer Kleinen und meinen und deinen Lebensanschauungen gesündigt wird.«

»Ich hoffe mit dir das Beste, meine Liebe,« sagte der Gatte.

Nun hatte es mit diesem Garten der Tante Euphrosyne auch seine eigentümliche Bewandtnis. Eigentlich stammte er von der süddeutschen Verwandtschaft, und ein gewisses Anrecht darauf konnte die unbekannt gewordene schwäbische Vetterschaft immerhin nachweisen. Da war nämlich so in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts so ein Schwab aus der damals freien Reichsstadt Biberach gekommen, das heißt, von Tübingen aus als Professor der Sternkunde nach dem Norden berufen worden. Der hatte ihn angelegt, nachdem er eine Mamsell Kleynkauer geheiratet hatte, hatte ein noch vorhandenes turmartiges Häuschen darin gebaut und nicht nur den Hofrat Wieland aus Weimar, sondern auch den Konsistorialrat von Herder und den Hofrat Schiller und den Geheimen Rat von Goethe, sowie viele andere erlauchte Räte und Menschen des achtzehnten Jahrhunderts drin bewirtet. Sowohl der Garten wie der Turm hatten also ein kultur- und literarhistorisches Interesse, und die Tante Euphrosyne war heute die Eigentümerin davon, was das Besitztum anbetraf, und hielt sich, was das Interesse anging, als Mandatarin des deutschen Volkes verpflichtet, jedem Versuch, das Grundstück in den Stadtbauplan einzuziehen, vi, clam aut precario entgegenzutreten. Durch öffentlich gröbliches Aufbegehren, heimliche Hintertreibung, ja auch einschmeichelnd-bittliche Vorstellungen hatte sie es wirklich fertig gebracht, daß »Kepplershöhe« bis jetzt noch der gleichmachenden Tatze des Enteignungsverfahrens glücklich entgangen war, wenn sie gleich von dem Garten ein Stück für einen neuen Straßenzug abgerissen hatte. Noch stand der Turm, von dem aus die hohen Gäste zu dem Übermaß der Sterne aufgeblickt hatten, wenngleich ihn der nächste Fabrikschornstein schon um etliche Fuß überragte. Noch umgaben ihn hohe Bäume, unter denen Schiller gesagt hatte: »Lieber Professor, meine astronomischen Kenntnisse sind nur schwach, und ohne freundliche Beihilfe würde ich wohl nicht meinen Wallenstein mit solchen geschmückt haben.« Noch blühten Rosen um das alte Gemäuer und reiften Stachelbeeren und Johannisbeeren, und Oberkonsistorialrat Professor Kleynkauer sagte: »Du hast ganz recht, Kind, auch dieses Besitztum wird von Tag zu Tage wertvoller, und dann auch ist es für die Gesundheit unserer Kleinen doch von großem Nutzen, daß wir sie dort unter bester Obhut wild laufen lassen dürfen.«

»Unter bester Obhut? . . . wild laufen?« seufzte die Gattin. »Ich habe kein Wort dafür, wie verwildert das Kind jedesmal mir von dort ins Haus zurückkommt; aber freilich!« – –

So führte Eva Kleynkauer ihre Kindheit und Jugend durch ein sozusagen zwiefaches Leben: im Hause ihrer Eltern, und am Universitätsplatz und auf Kepplershöhe. Nur selten hatte, selbst in »Wittenberg«, ein Jungfräulein so gute Gelegenheit, sich nach den verschiedensten Richtungen hin auszubilden, über alles reden zu hören und – alle kennen zu lernen. Großer Gott, und wie dumm sie dabei blieb!

Der ganze Lektionskatalog zog durch den Salon ihrer Mutter und bildete sie nicht. Die größten Geister Deutschlands in allen Wissenschaften, ortsangehörige und auf der Durchreise begriffene Weisheitslehrer, berufene und unberufene Professoren aller vier Fakultäten redeten auf sie ein, und sie dachte dabei an was anderes, aber immer so hübsch und freundlich, ängstlich und scheu lächelnd, daß selbst die abstrusesten, ernstesten, gröblichsten aus ihrer Würde zu väterlicher Treuherzigkeit niederstiegen und dem Papa bemerkten:

»Kollege, man darf Ihnen wohl sein Kompliment machen! Sie haben da wirklich ein allerliebstes Kind!«

»Die Gans ist imstande und bittet Helmholtz, ihr das Klavier zu stimmen!« sagte die Mama.

»Wenn er's kann und seine Tonempfindungen mal nützlich verwenden will, tut er's wohl auch,« meinte die Tante Euphrosyne.–

Prinzlichen Umgang konnte das junge Mädchen sowohl in dem Elternhause, wie auf Kepplershöhe und in der Wohnung der Tante Euphrosyne haben. Die Tante nahm sich auch, was das anbetraf, manches »guten Jungen« an und ließ auch wohl einen himmelblaublütigen Flegel aus ihrem Reich abfahren, indem sie ihm ihr gewohntes Wort: »Kenne sie alle!« nachlächelte. Für Prinzenführer aber hatte sie sogar ein »faible

»Erstens beruht die Hoffnung der Vaterländer auf ihnen,« sagte sie, »und zweitens haben sie gewöhnlich eine feine, eine feinfühlige Mutter gehabt und von ihr die Mitgabe bekommen, die Nase nicht bloß in einer Richtung geradeaus vor sich hinzuschieben. Diese Herren müssen nach den verschiedensten Richtungen hin riechen können und über das Gerochene mit Geschmack reden. Man kann sie sprechen lassen, ohne befürchten zu müssen, totgeredet zu werden. Dieser Doktor Herberger zum Beispiel gefällt mir wieder mal ganz gut, und ich habe ihn eingeladen, Evchen, öfters zu uns zu kommen und sich nicht bloß hier in unserm Gartenturm Wielands Autographen an der Fensterscheibe, sondern auch die Welt von unsern Fenstern in der Stadt aus anzusehen. Sein durchlauchtiger Knabe hat sich zwar noch etwas mehr in unserer Welt heimisch zu machen, aber wirklich doch schon das Gute, daß er durchaus nicht darin stört. Und so soll er auch seine Tasse bekommen, wenn er uns mit seinem Doktor auf unserm Universitätsplatze besucht.«

»Weshalb nennen sie eigentlich den Herrn Doktor Herberger Horatio, Tantchen?«

»Gänschen, weil sie das gebildete Publikum sind und von dem Prinzen Hamlet und seinem braven Freunde gar nichts wissen, aber ins Theater gehen, öffentliche Vorlesungen besuchen und ihren menschlichen Gefühlen nach der bösen wie nach der guten Seite hin gern ein Mäntelchen umhängen und für ihre menschlichen Stimmungen gern anderer Leute Bilder und Worte gebrauchen.«

Mehr als aus irgend was anderem sehen wir aus diesem Wort der Tante, in welcher Weise sie sich ihren Umgang an dem berühmten Kulturorte auslas. Und viele, die über die ausgetretenen Treppenstufen schimpften, wenn sie sich beinahe das Genick darauf gebrochen hatten, bissen nachher den sentimentalen Ästhetiker heraus und verglichen sie mit der Scala santa in Rom und glaubten ihr, der Treppe, damit eine Schmeichelei zu sagen.

»Dummes Zeug!« schnarrte die Tante, und zwar dem damaligen Günstling, Amanuensis usw. des Doktors Franz Herberger, dem jungen, liebenswürdigen Gelehrten Eckbert Scriewer, so geradeaus ins Gesicht, daß der arme junge Mensch mehr als eine Woche brauchte, ehe er sich zu einer neuen ähnlichen Geistreichigkeit gesammelt hatte.

Aber so leicht gab er's nicht auf, immer liebenswürdig zu erscheinen. Er verschoß sein Pulver noch verschiedene Male, ehe die Tante den Prinzenerzieher beauftragte:

»Hören Sie, Herberger, Ihr Purpurgeborener ist ein wackerer Junge und gefällt mir; aber bemerken Sie doch bei Gelegenheit Ihrem andern jungen Grazioso, daß er endlich mich und mein Kind mit seinen Abgeschmacktheiten verschonen möge. Mich langweilt der gelehrte, strebsame Jüngling, und die Kleine hat dergleichen Konversationen doch wahrlich schon zu Hause in Hülle und Fülle. Und nun, guter Freund, Ihren guten Magen bewundere ich offen. Wird Ihnen denn noch immer nicht übel von dem Narren, den Sie an diesem egoistischen, schlauen Süßling gefressen haben?«

Sie wußte sich auszudrücken, die Tante Euphrosyne, und benutzte gern ihr Talent, geschmackvoll noch einmal ihre Meinung über Menschen und Dinge kund zu machen. Wir haben auch in diesem Falle davon ja schon die Erfahrung.

 


 


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