Wilhelm Raabe
Kloster Lugau
Wilhelm Raabe

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Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Wir sind jetzt, für einen Tag, wieder da, wo wir im November des Jahres 1869 den Faden unserer Geschichte aufnahmen und ihn nach Möglichkeit fest in der Hand behielten, was, beiläufig gesagt, in diesem Falle nicht ganz leicht war. Die Freunde haben sicherlich auch diesmal wieder das Ihrige dazu tun müssen, um ihn auch für sich mit festzuhalten. Aber die Sachen sind nun mal so vorgefallen, die Leute so zueinander gekommen und auseinander gelaufen; wir haben nur erzählt, wie wir gesehen und gehört haben, und – wer von unsern Freunden und Freundinnen am lautesten aus eigenen Lebenserfahrungen mit- und dreinreden konnte, der wird wohl auch am besten zwischen den Zeilen gelesen haben, wo es nötig war.

In »Wittenberg« am Morgen des 7. Juli 1870 alles in der gewohnten Ordnung, auf der Höhe der Situation und selbstverständlich auf dem allerhöchsten Gipfel der augenblicklich menschenmöglichen Kultur! Die Professoren mit kühlen, klaren Stirnen auf den Kathedern, die Studenten mit oft sehr heißen Köpfen auf den Bänken davor; der Universitätsrichter in seinem Amtszimmer mild und friedlich die Nachtrapporte der etwas übernächtigen und nicht ganz so milde und friedlich gestimmten Pedelle durchblätternd. Und wie am schwarzen Brett der Alma mater nichts außergewöhnliches Aufregendes, so auch in der Philisterwelt nichts, weiter nach außen hin zu außergewöhnlicher Aufregung im Tagesleben Anlaß gebend! Auch da in den Amtsstuben, Schreibstuben, Handwerksstuben, am Klavier und in der Küche alles, alles in der gewohntesten Ordnung!

Und wie über Kloster Lugau auch über Wittenberg der blaueste, wolkenloseste Sommerhimmel, und Hofrat Doktor Herberger nicht mehr bei Regensturm und Flockenschnee, nicht mehr am überheizten Ofen die letzten fieberischen Reiseschauer seiner letzten Weltwanderschaft verträumend, sondern bei offenen Fenstern vollkommen in Ruhe und Gelassenheit, seines Leibes Herr, seines Glückes Schmied, nach menschlicher Berechnung seines künftigen Lebensbehagens Meister und – die Zeitung in den Händen!

»Hm, quel travail pour le roi de prusse? Wie sich die Leute da in Paris wieder einmal aufregen! corps legislatif – Beanwortung der Interpellation Cochery über die Eventualität der Besteigung des spanischen Throns durch einen preußischen Prinzen. Einen preußischen Prinzen? Na, was sagt denn der Herr Minister des Äußern, der Herr Herzog von Gramont? Hm! Wir glauben nicht, daß die Achtung vor den Rechten eines Nachbarvolkes uns verpflichtet, zu dulden, daß eine fremde Macht einen ihrer Prinzen auf den Thron Karls des Fünften setzt – welch alberne Komödiantenphrase! – und dadurch zu unserm Schaden das gegenwärtige Gleichgewicht Europas in Unordnung bringt – natürlich stürmisches Beifallsgetöse! – und so die Interessen und die Ehre Frankreichs gefährden könnte – – um Gottes willen, Mamert, was ist denn das für ein infamer Geruch?«

»Da muß wohl unten in der Küche unserer Madam die Milch übergekocht sein,« sagte Mamert, durch die eben von ihm geöffnete Stubentür über die Schulter zurückschnüffelnd.

»Scheint mir auch so,« brummte der Hofrat, die Lektüre des letzten Pariser Telegramms fortsetzend: »Dieser Fall wird nicht eintreten, und dafür daß er nicht eintrete, zählen wir zugleich auf die Weisheit des deutschen und die Freundschaft des spanischen Volkes. Sollte es anders kommen, so würden wir, stark durch Ihre Unterstützung, meine Herren, und durch die der Nation, unsere Pflicht ohne Zaudern und ohne Schwachheit zu erfüllen haben.«

»Zugleich aber hier ein Brief aus Lugau, Herr Doktor!« sprach Mamert, und die Zeitung flog auf den Arbeitstisch und über ihn weg: wie brenzlich es in der Welt riechen mochte, Hofrat Doktor Herberger hatte keine Nase mehr dafür.

»Mensch, wie sagst du das!« rief er, dem treuen Diener das Schreiben entreißend. »So gib doch!« Und Mamert, mit einem Seitenblick auf seinen Herrn, gab und bückte sich und griff seinerseits das Wittenberger Tageblatt vom Boden auf. Er kannte die Handschrift auf der Adresse dieses Lugauer Briefes zu gut, um nicht zu wissen, daß sein Herr nach den politischen Neuigkeiten fürs erste nicht weiter fragen werde.

»Na, wenn das man gut ausgeht,« meinte er, draußen im Vorzimmer die jüngsten derselben wiederum seinerseits überfliegend. Was die Herren Garnier-Pagès, Raspail, Arago, Crémieux, Picard, Glais-Bizoin, Granier de Cassagnac und der Minister des Innern, Ollivier, über die Antwort des Herzogs von Gramont weiter zu bemerken hatten, konnte das Wittenberger Tageblatt erst am folgenden Tage bringen; aber Mamert wußte doch schon genug von ihnen, um jetzt schon ganz genau wissen zu können, wie sie sich »nun wieder rauchen würden«.

»Ja, diese Herren Gelehrten, und meiner nicht ausgenommen! Bloß lange vorher und sogleich nachher wissen sie, was sich zusammenbrauen kann! Da muß wahrhaftig unsereiner wieder dran. Ich sehe die Feldwebels, weiß der liebe Himmel, schon wieder laufen mit ihren Einberufungsordres. Gerade wie Sechsundsechzig, wo auch keiner dran glauben wollte und sie in Berlin unsern alten König Wilhelm von wegen seinem militärischen Besserverstehen am liebsten die Nase abgebissen hätten, nachdem sie ihm die Ohren taub geschrieen hatten –«

»Mamert! Mamert! Hierher, Mamert!«

»Zu Befehl, Herr Hauptm – Hofrat wollt ich sagen! Herrgott, was ist denn da nun wieder los? Von draußen der Franzosenkrieg und da drinnen wieder, weil wahrscheinlich unser gnädigstes Fräulein Gräfin noch immer kein Ende machen will, um eine wissenschaftliche Dummheit auf die Landstraße nach dem kältesten Nordpol und ins heißeste Afrika. Nun, wohin soll's denn jetzt, Herr Doktor?«

»Nach Lugau! nach Lugau, Alter!« rief Franz Herberger, seinem treuen Diener die Arme um den Hals legend. »Nach Lugau in das Glück, das Glück, das Glück! Nach Kloster Lugau zu meinem Mädchen, zu Deiner – unserer Herrin – es ist ein Traum – nein, nein, Mamert, es ist die Wahrheit –«

»Sie hat ein Ende gemacht?« stammelte Mamert, und dann heulte er geradewegs heraus wie ein Kind und der beste aller Schildknappen: »Ja, wenn das so ist, dann ist natürlich alles übrige Wurst, und der Louis Napoleon mag uns von seinem Paris aus weisen, was er will, uns kümmert's nicht. Hurra, Hurra! Aber, lieber Gott, was läßt du deine Menschenkinder für Komödie um ihr Glück und Unglück spielen! Hurra, Herr Hofrat, ja, da darf auch ich Ihnen wohl meinerseits um den Hals fallen.«

»Deine Hand – beide Hände, alter treuer Lebens- und Wandergenosse! Doch nun – der nächste Zug nach * * geht natürlich erst am Nachmittag, – diese Eisenbahnverbindungen sind zu dumm! Da komme ich erst am späten Abend beim Förster Gipfeldürre an. O, um den Zaubermantel Fausts! Von * * weiter zu Wagen, zu Pferde, zu Fuß –«

»An unsere Kamele vorm Jahre in der afrikanischen Wüste denke ich mein Lebtage,« grinste Mamert.

»Ich erdrossele dich, Mensch, wenn du mich jetzt gar hier noch durch Dummheiten aufhältst. Tot oder lebendig heute abend, diese Nacht in Lugau, Lugau, Lugau!«

»Laufe, reite, fahre ich auch diesmal mit dem Herrn Doktor?«

»Ich hätte freilich dich nüchternen Tropf jetzt nötiger als je, um mir die fünf gesunden Sinne beieinander halten zu helfen; aber vielleicht brauche ich dich doch auch hier in Wittenberg! Mamert, ich bitte dich um Gottes willen, bleib du unentwurzelt! Um mich dreht sich alles im Kreise.«

»Verlassen Sich der Herr Hofrat ganz auf mich. Na ja, ich sehe es ein, für den Moment bin ich hier in Wittenberg besser am Platze, schon um den Herrschaften auf mögliche Anfragen mit Auskunft dienen zu können, wo der Herr – Horatio wiedermal geblieben sind.«

»Das überlasse ich ganz und gar dir, mein Sohn!« lachte der glücklichste der Prinzenerzieher. »Da rede, schwatze, erzähle, was du willst; – was geht mich in Kloster Lugau Wittenberg an?«

»Nun, dann geben Sie nur alle Ihre Schlüssel wieder her; was ich jetzt an nötigem Bedarf zusammenpacken kann, nehmen Sie mit ins Coupé. Brauchen Sie aber weiter noch Geld und reine Wäsche, so werden Sie wohl schreiben, schicken oder telegraphieren müssen.«

»Ja, ja, ja, alles, was du willst – für mich – für dich – für Wittenberg –«

»Dann nur noch eine Frage! Nämlich wenn morgen oder übermorgen in Ihrer Abwesenheit die Franzosen doch ihren Krieg mit uns ausbrechen ließen?«

»Und fällt der Himmel ein
Kommt doch eine Lerche davon!«

rief Hofrat Doktor Herberger den Alten von Weimar zum Zeugen auf, daß sich der Mensch durch mögliche zukünftige »Dummheiten« das flüchtige Behagen des Augenblicks nicht verderben zu lassen brauche. Nämlich: »Dummheit, Mamert,« fügte er hinzu, »übrigens kannst du mir ja meinetwegen das letzte Blatt aus der Zeitlichkeit mit in den Eisenbahnwagen geben, wenn dir das zur Beruhigung gereicht. Aber nun rasch – packen, packen!«

»Sofort! An mir soll's nicht liegen, Herr Doktor, bei dieser unserer Ordre vom Himmel: der 7. Juli ist der erste Mobilmachungstag für einen seligen Ehestand.«

»Der Kampf ist zu Ende, die Herrin ist gekommen, das Reich des Friedens und des Glückes hat sich aufgetan! O, mein armes, stolzes, herrliches Mädchen – mein Weib, mein Weib – endlich, endlich! Ja, Mamert, was geht es uns an, was für Gesichter die Leute vor den Lampen jetzt schneiden werden? Die Komödie ist aus, und die Wirklichkeit tritt aus der Kulisse heraus und in ihr Recht.«

»Von Theatersachen verstehe ich nichts, Herr Hofrat. Aber lassen Sie nur Ihre Schlüssel hier und sorgen Sie sich um nichts jetzt in Wittenberg. Hier am Ort werde ich den Herrschaften den Deckel vom Topf zu tun wissen. Reisen Sie vergnügt, Herr Doktor, und grüßen Sie in Kloster Lugau auch von mir unsere Gnädigste, und sagen Sie, daß auch Mamert – nein, sagen Sie ihr nur nichts. Was sie von mir zu wissen braucht, weiß sie gottlob lange schon.«

 


 


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