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Elftes Kapitel.
Der Aufwiegler

Unsere Leser wissen jetzt also, woher der Lärm stammte, der die Gäste in der Schenke in Bewegung setzte, und welcher Art die Scene war, zu der sie, voller Neugier, sich herzudrängten. – Vergebens hatte Reinhold sich zwischen seinen Vater und den Alten geworfen; vergebens hatte Margareth, mit flehender Stimme, ihn zu besänftigen gesucht, bis sie, rathlos, in die Schenke gestürzt war, ihren Mann zu Hilfe zu holen: der stille, ruhige Meister kannte sich selbst nicht mehr. Noch immer, mit unerbittlicher Faust, hielt er die Kehle des Unglücklichen Sandmoll umklammert; seine Stimme, sonst leis und schüchtern, hatte ehernen Ton; wie Glockenklang, machtvoll, nachhallend, tönte sie über den weiten Platz.

Was, rief er, Elender, hindert mich, diese Kehle zusammenzudrücken, aus der des Unlautern und Verworfenen so viel gesprudelt ist? auszulöschen mit Einem Griff dies elende Lebenslicht, das mit seinem ekeln Qualm so viel Würdiges beschmutzt, so viel Edles vergiftet hat? Bin ich einmal dem Untergang geweiht und hat Gott beschlossen, daß ich in Schanden enden soll, ist es nicht besser, ich befreie die Welt vorher von diesem Ungeheuer und stelle ein Beispiel auf, an dem seine Beschützer und Helfershelfer sich spiegeln mögen? Ja, fuhr er fort, indem er sich zu den Umstehenden wandte, die mit sprachloser Neugier das unerhörte Schauspiel betrachteten: seht her, das bin ich und das ist dieser! Das bin ich, der ich still und kümmerlich meinen Weg gehe und wo ein Wurm darüber kröche, gerechter Gott, ich nehm' ihn ja lieber heraus und stehe still, ehe ich nur den Wurm zertrete – und das ist dieser, aufgenährt, entstellt, gedunsen von jeder Art von Scheußlichkeit und Laster, gebrandmarkt an seinen Gliedern von der Hand Gottes, daß die Knaben ihn verspotten auf der Gasse und wer ihn sieht, speit aus vor ihm – und diesem ist Macht gegeben über mich! und dieser hat das Ohr der Großen und Vornehmen im Lande und in meiner eignen armen Hütte darf er seine schmutzige Hand erheben gegen meine sterbende Schwester! und dieser darf mich anstecken mit seinem Gift und darf mich machen zu dem, was Ihr mich jetzt seht, rathlos, sinnlos, daß ich mich schäme vor mir selbst?!

Eine prächtige Figur, straf' mich Gott, flüsterte Herr Florus, indem er sich zutraulich in den Arm seines Reisegefährten hängte: brächte man diesen Mann so auf die Scene, ich möchte das Parterre sehen, das sich das Schluchzen verhielte …

Herr von Lehfeldt winkte lächelnd.

Denn schon begann der Meister aufs Neue; die Umstehenden zitterten ordentlich vor Neugier und reckten die Hälse in die Höhe. Denn sie hielten sich fest überzeugt, daß jetzt, aber auch ganz gewiß jetzt das große Geheimniß, das sie so lange schon beschäftigt hatte, an den Tag kommen müßte und jedes nächste Wort, das der Meister sprach, müßte die Lösung bringen.

Allein für diesmal irrten sie sich noch; der Meister konnte nicht loskommen von der Betrachtung seines Unglücks. Ihr kennt nicht mich, fuhr er fort, und ich kenne nicht Eure Gesichter. Ich habe Niemand geschmeichelt, Niemand in meinem Leben, und bin zu alt, es vor Euch zu lernen. Und darum sag' ich Euch frei, daß ich auf den meisten etwas lese, das mir nicht gefällt. Sei's, es kümmert mich nicht, es ist die Sache Eurer Lehrer und Prediger: und wie ich höre, habt Ihr ja deren jetzt sehr fromme im Ort. Aber so wahr Ihr noch ein menschliches Antlitz tragt, das der Himmel diesem Verworfenen nicht mehr gönnt, so wahr frage ich Euch, und Ihr sollt mir als Zeugen dienen vor aller Welt: wißt Ihr etwas Uebles von mir? Ihr habt Euch verkauft an den Teufel der Maschinen; Ihr opfert dem Moloch und erhaltet Euren Lohn von ihm, alle Woche, regelmäßig, für den Ihr Eure Seele dahin gegeben habt. Auch das mag sein: ein höheres Auge …

Hier wagte Niemand mehr auch nur zu athmen, so fest glaubten sie, jetzt müsse das Stichwort kommen; auch war der Meister, in seiner langen, hagern Gestalt, entblößten Haupts, umflossen vom bleichen Mondlicht, in der That erschütternd anzusehen …

Ein höheres Auge, sagte der Meister, wacht über diesen schwarzen Geistern, eine stärkere Hand wird ihre Herrlichkeit in Asche legen, wenn ihre Stunde gekommen. Aber weil ich meine Knie nicht beuge vor dem allgemeinen Götzen, weil ich nicht abfallen will von dem Gewerbe meiner Väter und will nicht zum Verräther werden an der edlen Kunst, die meine Altvordern erhalten, Jahrhunderte lang, und Eure auch, in glücklicheren Zeiten, wo man noch nichts wußte von den eisernen Dämonen, die uns jetzt gefesselt halten – bin ich darum ein Verbrecher? muß ich darum gehetzt werden und verfolgt, bei Tag, bei Nacht, offen und heimlich, als wär' ich Kain der Brudermörder und Gott hätte mich preisgegeben den wilden Thieren des Waldes? Darf darum um Mitternacht, in der Stunde, welche die Weisheit des Himmels bestimmt hat, sich durch Schlaf zur Arbeit zu stärken, dieser Unhold, unter dem Namen des Gesetzes und geschützt durch sein heiliges Ansehn, sich niedersetzen unter meinem Dach und darf durch seine Drohungen den Schlaf scheuchen von den müden Wimpern meiner Schwester? Wenn Ihr ein Zugthier habt und es ist von Kräften und fällt hin am Wege und stirbt, wer von Euch würde es nicht in Ruhe sterben lassen? Was?! und ich bin ein Mensch und soll nicht verenden dürfen in Ruhe?!

Die Rede des Meisters und zwar am Allermeisten vielleicht, ganz abgesehen von ihrem Inhalt, das ungewohnte, der Mehrzahl unverständliche Pathos, mit dem er sie vortrug, fing an Mitleid zu erregen unter den Umstehenden.

Er hat Recht, sagte der lange Karrenschieber, es ist ein Greuel, wenn man's bedenkt, wie es zugeht in der Welt; wenn da nicht bald auf Aenderung gedacht wird, müssen wir selbst ein Einsehn nehmen.

Ein Narr ist er gewesen, schluchzte die dicke Wirthin, sein Lebelang und ich habe den dummen Kerl, der so stolz ist und im Wirthshaus läßt er sich niemals sehen, nicht leiden können alle meine Zeit. Aber was wahr ist, muß wahr bleiben: ein guter dummer Narr ist er und wer den hören könnte ohne Thränen, als was ein anständiges Frauenzimmer ist, das müßte ja auch gar kein bischen christlichen Glauben in seinem schwarzen Herzen haben …

Das Auge des Meisters war auf Konrad gefallen, der verlegen neben ihm stand und Margarethen böse Blicke zuwarf. Es war, so schien es, des Meisters Absicht, sein Herz heute einmal ganz zu erleichtern und Alles auszuschütten, was ihm, seit Jahren, heimlich daran gefressen: einer Wolke gleich, die, nachdem sie einmal angefangen, sich zu ergießen, nicht ehe wieder aufhört, als bis sie sich selbst verzehrt hat. Ah, sagte er und ließ den Sandmoll fahren, da bist du ja, mein würdiger Schwiegersohn! du Trost meiner Tochter! du Stab und Stütze meines Alters! Schelt' ich mit dir? Nein, mit dir schelt' ich nicht: die trifft mein Fluch, die dich beschwatzt haben und hinweggelockt von meiner ehrlichen Armuth an die große Schlachtbank, wo die Maschinen rasseln und die Oefen geheizt werden mit dem Mark unserer Söhne und Töchter! ihn trifft er, der den Unterhändler gemacht hat und hat dich, in der Einfalt deines Herzens, bestrickt und entzündet mit höllischen Künsten! Man braucht Trunkenbolde wie du, braucht Spieler, die, gleich dir, im Stande sind, ihren eigenen Leib auf die Augen eines Würfels zu setzen – unsre Reichen brauchen sie: denn sie brauchen Sklaven. O Menschen, Menschen, rief er mit einer herzdurchdringenden Stimme: seht Ihr denn nicht, wie der Satan seine Stätte aufgeschlagen hat unter Euch und seine Nüstern schnauben vor Wollust?!

Aller Augen, bei diesen Worten, wandten sich unwillkürlich nach dem Fabrikgebäude hin, wo, Tag und Nacht, eine Dampfmaschine in Bewegung war; auch jetzt wieder, in langem Schwall, spie sie Dampf und Funken gegen den reinen Nachthimmel, daß die Sterne davon für Augenblicke überdunkelt wurden. – Der Eindruck dieses zufälligen Zusammentreffens war gewaltig; ein dumpfes Brausen, wie von Meereswogen, ging durch die Versammlung.

Herr von Lehfeldt schien an dem ganzen Vorgang ein außerordentliches Vergnügen zu finden; er drehte behaglich an den Knöpfen seines zierlichen Gilets und summte ganz leise ein Liedchen zwischen den Zähnen.

Ganz anders der Dichter. Nachdem er kurz zuvor dem Meister seine poetische Anerkennung dargebracht, zog er jetzt auch die praktische Seite des Vorfalls in Betracht: und diese fand er weniger angenehm. Ich gäbe was darum, flüsterte er zu seinem Nachbar, mein bester Herr … Schmidt, daß Herr von Lehfeldt diesen Auftritt mit ansähe. Das ist ja der pure Aufruhr, die pure Rebellion ist das ja, was der Kerl da predigt! Ob die Regierung nur nichts davon weiß? und ob denn kein Militair liegt in der Gegend?

Herr von Lehfeldt wiegte lächelnd den Kopf und begann seine Melodie von Neuem.

Laßt mich aus dem Spiel, Meister Werner, sagte Konrad mit grober, drohender Stimme: ich bin nicht in der Laune heut, Fastnachtsdienstag mit Euch zu spielen – und mischte sich brummend in den dichten Haufen.

Der Sandmoll dagegen, sowie er sich von der Hand des Meisters erlöst und sichern Boden unter seinen Füßen fühlte, erhob seine Stimme, so laut er konnte. Ah, ah, schrie er, Gewalt! Hilfe! Mörder! Ihr habt es gesehn, Ihr müßt mir zeugen allzusammen: ich bin beleidigt worden in meinem Amt! Amt! der Meister muß in den Karren, lebenslang, weil er sich vergriffen hat an einem Beamten des Staats!!

Aber nur ein wieherndes Gelächter von allen Seiten ward ihm zur Antwort. Selbst der dicken Wirthin, die doch sonst vor allen öffentlichen Autoritäten einen unerschütterlichen Respect bezeigte, war dies denn doch auch zu viel. Gnade Gott, murrte sie in ihrer Einfalt, dem Staat, wo du ein Amt hast, du verhutzeltes Nußknackergesichte du, das müßte ja, mit Verlaub zu sagen, ein rechter Lumpenstaat müßte das sein …

Wir wollen ihm unser Zeugniß gleich schriftlich aufsetzen, meinten Einige von den Burschen, indem sie die Aermel in die Höhe streiften.

Dieser Vater Schlappfuß, sagten Andere, ist der verruchteste Mensch im Dorf, es ist eine Schande für uns, daß wir ihn so lange unter uns geduldet haben.

Soll der Meister in den Karren, meinte ein Dritter, so soll Vater Schlappfuß wenigstens erst darunter …

Wieder Andere erinnerten sich gegenseitig an die Härte, welche der Sandmoll bei verschiedenen Gelegenheiten auch gegen sie bezeigt. Mit einem Wort: die Stimmung für den Vater des Herrn von Lehfeldt, wenn er es war, war sehr ungünstig.

Der tolle Heiner drängte sich in den Kreis. Heda, Platz! jauchzte er: »Laßt mich ein Wort sprechen mit diesem kundigen Thebaner.« Ein Wort, Jungens: diese

Misgeburt voll Mäler, wühlend Schwein,
Er, der gestempelt ward bei der Geburt
Zum Sklaven der Natur, der Hölle Sohn …

ist nicht werth, daß eine ganze honette Gesellschaft, wie wir sind, ihre Hände an ihm befleckt: wir wollen ihn auswürfeln, gelt? und wer ihn gewinnt, soll das Recht haben, ihn aufzuhängen.

Dieser Einfall, allerdings werth, in dem Hirn eines Wahnwitzigen entsprungen zu sein, fand bei einer Versammlung, gleich der gegenwärtigen, die glänzendste Aufnahme; der Branntwein, der in ihren Adern brannte, und die ganze wüste Aufregung der durchschwärmten Nacht ließ sie die Scheu, welche sie sonst vor dem unheimlichen Alten empfanden, ganz vergessen.

Ja, ja, riefen sie wild durcheinander: der Tolle hat wieder einmal den gescheitsten Einfall: auswürfeln wollen wir ihn, so soll es sein! und wer ihn gewinnt, soll ihn aufhängen dürfen, wo er will!

Der Meister, bei dem jetzt allmälig die Schwingen der Leidenschaft sich zu senken begannen, erschrak über das Unheil, das er anzurichten im Begriffe stand; mit gläsernen Augen, wie Einer, der aus einer schweren Trunkenheit zu sich selbst zurückkehrt, im Kreise umher irrend, wollte er dem wahnwitzigen Beginnen Einhalt thun.

Allein Niemand hörte mehr auf ihn; Alles, mit entsetzlichem Jubelgeschrei, warf sich auf den Alten und zerrte ihn, unter Stößen und Püffen, herüber und hinüber, nach der Schenke zu.

Herr Florus, der sich immer dicht an den Maler hielt, konnte kaum Worte finden, seine äußerste Empörung auszudrücken. Es ist unverantwortlich, sagte er, von der Regierung, und so wenig ich mich sonst in Staatsangelegenheiten mische, so werd' ich doch kaum umhin können, einen Artikel darüber zu schreiben in die Zeitungen, daß sie kein Militair gelegt hat in diese Gegend. Es ist ja die reine Mordbrennerbande hier und kein anständiger Mann ist sich seines Lebens sicher.

Herr von Lehfeldt lächelte. Sie machen da, sagte er, dem »wühlenden Schwein« ein Compliment, dergleichen es gewiß lange nicht vernommen hat.

Mit diesen Worten, ganz gleichmüthig, drängte er sich dicht an die Gruppe, die sich um den Alten zusammengeballt hatte und ihn, der Eine hier, der Andere dort, vorwärts zu schleppen suchte. – Daß Herr von Lehfeldt sich bei alledem immer möglichst tief im Schatten hielt, war gewiß nur reiner Zufall.


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