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Fünftes Kapitel.
Eine gemüthliche Unterhaltung

Auch dieser Drohung des Fremden, wie gebieterisch sie auch ausgesprochen ward, setzte der Alte nur ein beharrliches Stillschweigen entgegen. Ueberhaupt von dem Moment an, wo der Andere in Leidenschaft gerathen war, hatte das Wesen des Alten sich merklich verändert. Keine Spur mehr von Unruhe und Verlegenheit, im Gegentheil, er benahm sich wie ein Mann, der nicht nur seiner selbst, sondern auch seiner Umgebung vollkommen sicher ist und sie beherrscht. Wiewohl von Niemand dazu eingeladen, hatte er, die müden verkrüppelten Beine nach beiden Seiten weithinspreizend, neben dem jungen Manne Platz genommen und schaute, indem er alle Geberden desselben genau nachahmte, ebenso unverwandt in die Sonne wie dieser.

So saßen Beide geraume Zeit, ohne ein Wort zu sprechen; wer sie so neben einander gesehen, hätte sie unvermeidlich für ein Paar recht harmlose, friedliche Leute halten müssen, die, nach einem gut vollbrachten Tagewerk, sich gemeinschaftlich in den Genuß des schönen Abends vertieften.

Endlich unterbrach der Alte die lange Pause.

Es ist, sagte er in komisch kläglichem Tone, doch gewissermaßen recht hart für einen armen alten Mann, seinen einzigen Sohn verläugnen zu sollen, einen Sohn, für den er doch, so lange es ihm möglich war, jederzeit nach Kräften gesorgt hat …

Ja wohl, wiederholte der Andere mit schmerzlich bitterm Spott, indem er das Auge noch immer fest auf die Sonne gerichtet hielt, die eben noch wie ein kleiner rother Stern über den Wolken schwebte und gleich darauf völlig versank: nach Kräften gesorgt! Mein Vater oder nicht – deine Schuld, beim Allmächtigen, ist es nicht, daß ich in diesem Augenblick nicht ein Dieb bin und ein Gauner oder vielleicht auch ein Mörder! – He, alter Sandmoll, rief er, in eine plötzliche wilde Lustigkeit übergehend: weißt du noch, wie wir diese Gebirge durchstrichen, du und deine Spießgesellen, ich als ein armseliger, nacktbeiniger Bettelbub hinterdrein, schmuggelnd, stehlend, nach Schätzen grabend, und dabei die dummen Bauern prellend, wo wir sie trafen?! Als ich heut Mittag den verwilderten Fußsteig aufsuchte, an den Steinbildern vorüber, mußte ich selbst beinah darüber lachen. Ihr habt, dächt' ich, schon einige Mal unter dem Baume dort gesessen und habt Geld nachgezählt, das nicht für Eure Tasche bestimmt war, oder Ihr lagt auf der Lauer und ich kam und brachte Euch die Kundschaft, oder bracht' ich sie nicht, um so schlimmer für mich! so bekam ich Schläge, garstige Schläge, Sandmoll …

Diesen letzten Theil der Rede überhörte der Alte geflissentlich; er gurgelte aus tiefster Kehle:

Ob ich es weiß? sagte er: freilich weiß ich es! Es war, abgerechnet die Sündhaftigkeit, welche mein lieber Heiland um seines theuren Blutes willen (bei diesen Worten rückte er den grauen Filz, der sein Haupt gleich einem Heiligenschein umgab) mir vergeben möge, eine recht vergnügliche Lebensweise. Ja wenn es nicht meiner armen Seele wegen wäre und weil man doch nie so recht wissen kann, was das Ding für ein Ende nimmt, es giebt Augenblicke, wo ich wünsche, es wäre noch so. Man hatte seine Talente, hatte sein Ansehn, seinen Wirkungskreis; es gab zu thun, man legte etwas zurück dabei – mein jetziges Handwerk ist anständiger, ist auch bequemer und sicher ist es nun gar; aber du lieber Himmel, was bringt es auch?! Ah und Ihr erst! Ihr erst, Söhnchen! Um Euch ist es Schade, Ihr hattet Gaben, aus Euch konnte etwas werden, etwas Großes! Noch nicht zehn Jahre wart Ihr alt und machtet Euer Stückchen wie ein Alter! Die Schlösser, die Ihr abdrücktet! Die Schlüsselchen, die Ihr feiltet! Und vor allem die Handschriften! die Handschriften! ah, ah, diese Handschriften!

Die Stimme des Alten verröchelte bei diesen Worten … habt ihr wol jemals einen Gutschmecker von Austern und Trüffeln erzählen hören? oder einen jener weißköpfigen, spitzbäuchigen Habitués des Ballets und der großen Oper, wenn ihn die Erinnerung an die Pirouetten einer Elsler, die Triller einer Catalani überkam? Nun gut, so wißt Ihr auch, wie bei diesen Worten die Stimme des Alten in Wollust verröchelte …

Der junge Fremde inzwischen, von dieser Bewunderung unbestochen, maß den Alten mit einem unaussprechlichen Gemisch von Mitleid und Verachtung.

Ihr habt Euch garstig verworfen seitdem, Sandmoll, sagte er: Ihr spielt eine miserable Figur jetzt; Eure Beine waren etwas gerader dazumal, wißt Ihr noch? als Ihr vor den Grenzjägern lieft, einen ganzen vollen Tag lang, und endlich entwischtet Ihr ihnen doch? Das ließt Ihr jetzt bleiben, alter, lahmer Sandmoll, setzte er mit einem Lachen hinzu, so roh, so widerwärtig – Niemand hätte für möglich gehalten, daß jemals von diesen feinen Lippen ein so grobes Gelächter kommen könnte!

Aus den Augenschlitzen des Alten schossen grünliche Blitze.

Das machen die Ketten, röchelte er: zwölf Jahre Ketten, Söhnchen, es will etwas heißen! Und das verwetterte Sperreisen zwischen den Knöcheln, das ist eine schlechte Erfindung: und Ihr am Wenigsten, Söhnchen, solltet mich darüber ausspotten, da es im Grunde doch Niemand war, als Ihr, kleiner Schäker, dem ich das Vergnügen zu danken hatte. Wir hatten falsche Scheine gemacht, es ist wahr; aber, du großer Gott, so lange die Leute ihn nehmen, ist ein falscher Schein nicht so gut wie ein ächter? und sind sie nicht aus Papier alle beide? Auch hätten die Herren Commissäre sollen lange an uns herum rathen und wären nicht klüger geworden als sie waren: und das war wenig klug. Aber da tratet Ihr auf, ich seh' Euch noch! wie Daniel vor den Richtern, ein kleiner zehnjähriger Knirps: die Haut, die jetzt so weiß scheint, wie eitel Milch, war schwarz damals, wie Ebenholz, vor Sonnenbrand und, mit Permiß zu sagen, vor Schmutz; die Haare waren voll Zotteln und wenn Euch das Hemd nicht aus den Hosen hing, so war es nur darum, weil Ihr nämlich keins anhattet. – Ei ja, Söhnchen, damals wart Ihr eine miserable Figur, und die Herren Commissäre, wie Ihr auftratet, hielten die Nasen zu …

Der Alte schien eine Entgegnung von Seiten des jungen Mannes zu erwarten; da sie indessen nicht erfolgte, fuhr er fort:

Also tratet Ihr auf vor versammeltem Gericht und zeugtet gegen uns, und alle unsere Streiche decktet Ihr auf, und unsere feinsten Ausreden, sogar auch die allerfeinsten, machtet Ihr zu Schanden. Und wo einer von den Herren Commissären zweifeln wollte an Eurer Aussage und wollte Euch das Concept verrücken durch Querfragen und Zwischenreden, husch, hattet Ihr den Beweis bei der Hand und gabt ihm eins auf den gelehrten Schnabel, daß er stille ward und glaubte: und der ganze Gerichtshof rieb sich die Hände vor Vergnügen. Es war ein großes Schauspiel das, und ich vergesse es nicht und wenn ich alt werde wie Methusalem; ganz gewiß, ich vergesse es nicht! Tinte und Feder ließt Ihr Euch geben und zeichnetet den Herren vor der Nase die Unterschriften von dem Schein, Unterschriften, so gleich und so ähnlich, daß sie außer sich geriethen vor Verwunderung. Wie sie aber fertig waren mit Wundern, ließt Ihr Euch einen Schein geben, einen ächten, und zeigtet die Unterschiede an der Schrift – Unterschiedchen, so fein, so winzig, es hatte Einer können ein Schreibmeister sein und er hätte sie nicht gemerkt. Und darauf auf der Stelle zeichnetet Ihr die Schriften noch einmal; da waren sie ächt! und die Herren Commissäre schlugen sich vor den Kopf und rückten auf den Stühlen vor Verwunderung: Ein Wunderkind! ein Wunderkind!! schrien sie und sahen Euch ordentlich mit Ehrfurcht an und dachte keiner mehr an seine Nase. Und hernach wieder, wie Ihr Eure Kindheit schildertet und weintet und schwurt Stein und Bein, daß Ihr unschuldig wäret und es sei Alles blos erzwungener Weise geschehen, und weil Ihr noch ein Kind wäret und hättet kein Einsehn gehabt und keinen Verstand von der Sache; mich aber, der ich Euch doch immer ein guter Vater gewesen war, und wenn Ihr Talente hattet und hattet Kenntnisse, von wem hattet Ihr sie, als von mir?! … mich maltet Ihr schwärzer als den Teufel. Ei nun, ich wußte recht gut, daß es nicht Alles so war, wie Ihr sagtet, und auch, daß wir es waren, die darüber zu Grunde gingen, die größte und schönste Bande, die seit Jahren gewesen war im ganzen Lande, das wußt' ich ebenfalls recht gut. Aber ich hätte Euch doch nicht widersprechen mögen, auch wenn ich es gekonnt hätte, so freute sich mein väterliches Herz und war stolz auf Euch, da ich Euch sprechen hörte vor den Herren Commissären. Es war aber auch sehr recht von dem Herrn Präsidenten, daß er Eure Jugend geltend machte und Eure wichtigen Geständnisse, auch daß Ihr verführt worden wärt und gezwungen von Euerm eignen Vater: sodaß Ihr pardonnirt wurdet und kamt blos zwei Jahre in eine Schule, wo sie Euch lernen ließen, gute Sachen, wie die vornehmen Leute lernen, und bei denen man nicht nöthig hat zu schmuggeln und zu stehlen. Und auch daß er Euch nach zwei Jahren herausnahm aus der Schule und nahm Euch zu sich in sein Haus und machte einen großen Herrn aus Euch und schickte Euch auf Universitäten und hohe Schulen, das war auch sehr recht von dem Herrn Präsidenten, und hab' ich recht meine stille väterliche Freude daran gehabt, derweil ich saß in den Eisen …

Während dieser langen Rede, welche der Alte in einem Tone vortrug, von dem es unmöglich war zu bestimmen, ob Ernst oder Spott, so künstlich hielt er die Mitte zwischen beiden, war der Fremde ernster und ernster geworden.

Wenn es wahr ist, sagte er nach einer Weile, da der Alte endlich schwieg, und du bist wirklich mein Vater, so sehe ich es ein, ich habe ruchlos gehandelt an dir und du hast Entsetzliches erdulden müssen, da du dich verkauft sahst und verrathen von deinem eigenen unmündigen Fleisch und Blut …

Mit diesen Worten, mit einer raschen, gleichsam unwillkürlichen Bewegung griff er hastig –

Wohin? die Hand des Alten zu ergreifen? Fast hätte es so scheinen können. Aber nein: es war nur ein Glühwürmchen, das sich in diese Einöde verirrt hatte und das der junge Mann, es sorgsam vor sich hinsetzend, mit einer Aufmerksamkeit betrachtete, als hätte er noch nie ein Glühwürmchen gesehen.

Thut nichts, thut nichts, Söhnchen, beruhigte ihn der Alte, einen heftigen Hustenanfall zurückkämpfend: Bist doch bei alledem ein gutes Söhnchen gewesen, bis auf jetzt, wo du gar mein Söhnchen nicht mehr sein willst und ich soll nicht mehr dein Vater sein. Hast mir, als ich herauskam aus den Eisen, Geld gegeben und hast mich hiehergeschickt ins Gebirge, wo ich lebe als ehrlicher Mann und bekehre mich alle Sonntage in der Kirche. Ich will nicht behaupten, daß es geradezu Liebe gewesen, weshalb du das an mir gethan. Denn warum, Söhnchen? Ein alter Mann wird vorsichtig in seinen Behauptungen und angenehm kann es auch nicht sein, wenn man ein vornehmer Herr ist, einen Vater zu haben vor seinen Augen und vor den Augen der Leute, der im Zuchthaus gesessen hat und muß betteln an den Straßenecken. Aber immerhin, ich bin nun hier und wer mir vorwerfen will, ich hätte gesessen im Zuchthaus, den zeig' ich an bei den Herren Commissären und er muß mir zahlen, was Gesetz ist. Zwar gesteh' es nur, Söhnchen: ein bischen verschieden sind unsere Schicksale immer noch, und der Vater eines so großen Mannes, eines so mächtig großen Mannes, wie du bist, sollte es besser haben. Was bin ich? Ein armer alter Greis, der sich quälen muß, wie er sich durchbringt bei den theuren Zeiten; ein Steuereintreiber, ein Greifzu und Haltefest, dem die Leute aus dem Wege gehn auf hundert Schritt; ein Polizeispion, ein Angeber und Aufpasser von der alleruntersten Sorte. Aber du? Ich weiß es recht wohl: der Herr Präsident sind Minister geworden seitdem, der Herr Minister regieren das Land, es ist kein Geheimniß, selbst nicht für einen armen alten Mann, wie ich – und du bist dem Herrn Minister seine rechte Hand. Ich heiße Vater Schlappfuß und Sandmoll, und lebe von den Pfennigen, die ich den armen Webern abschinde: du lebst in Pracht und Herrlichkeit, du führst ein Wappen und heißest Herr von Lehfeldt …

Hätte der alte Mann Zähne gehabt, kein Zweifel, daß man sie in diesem Augenblick hätte knirschen hören.

Aber mit Herrn von Lehfeldt war schwer verkehren; wer mit ihm zu thun hatte, mußte sich gefaßt halten auf wechselnde Launen, rasch umspringende Stimmungen. – Kaum daß der Alte den Namen genannt hatte, auf einmal jäh auffahrend, mit einer Stimme, in der das Brüllen des Löwen vereint schien mit dem Zischen der Schlange:

Wie heiß' ich? rief er: Landschaftmaler Schmidt heiß' ich! Hört Ihr? Schmidt – geht Euch der Name ein? Der Landschaftmaler Schmidt wird sich in Euerm Dorf aufhalten, drei Tage, drei Wochen, drei Monate, gleichviel: wo Ihr dem Landschaftmaler Schmidt begegnet, da ist es das erste Mal, daß Ihr ihn seht, und Ihr kennt ihn nicht ehe, als bis man Euch sagt, wer es ist; daß es aber einen Herrn von Lehfeldt in der Welt gibt, davon wißt Ihr so viel, wie von dem Mann im Mond, verstanden? – Im Uebrigen, setzte er mit gemäßigterer Stimme hinzu: was Euch angeht, so seid Ihr nicht deswegen hieher beschieden und nicht dazu werdet Ihr in Sold und Brod gehalten, hier alte dumme Geschichten, Träume eines altersschwachen Hirnes zu erzählen: sondern Red' und Antwort sollt Ihr stehen und sollt Auskunft geben, wonach man Euch fragt.

Der Alte hatte seine Fassung keinen Augenblick verloren.

Sie sind der Landschaftmaler Schmidt, sagte er mit trotziger Kälte: Fragen Sie; ich werde antworten.

Herr von Lehfeldt fuhr fort:

Man ist, sagte er, höhern Ortes sehr wenig zufrieden mit Euch; ich habe schon manche böse Rede hören müssen um Euretwillen. Es heißt, Ihr neigtet Euch sehr merklich zu Euerm alten Lebenswandel zurück; kein schlechter Streich, heißt es, auf zehn Meilen in der Runde, daß Ihr nicht Eure Hand dabei im Spiele hättet. – Was diese Beschuldigungen betrifft, sprach Herr von Lehfeldt weiter, indessen der Alte unbeweglich saß, wie eine Marmorsäule, so will ich sie auf sich beruhen lassen, nämlich für jetzt. Was ich dagegen gewiß weiß und weswegen ich Euch ernstlichst verwarnt haben will, ist dies, daß Ihr weder als Steuereintreiber, noch als Beauftragter der Polizei Eure Dienste mit derjenigen Accuratesse und derjenigen pünktlichen Strenge verrichtet, welche der Staatsdienst überhaupt von Jedem erwartet und verlangt, doppelt aber von Euch, als einem entlassenen Sträfling, der so vieler Gnade gar nicht werth ist und der daher schon wegen der übeln Dinge, die man sich ein für alle Mal zu ihm versehen darf, vor vielen Andern ganz besondere und außergewöhnliche Proben seines Wohlverhaltens und seiner dienstlichen Aufmerksamkeit und Treue beizubringen hat. Es zeigen sich, sicherm Vernehmen nach, bereits seit Längerem unter den Webern des hiesigen Districts unverkennbare Spuren von Aufsässigkeit und übelm Willen, ohne daß Eure Berichte bisher auch nur das Mindeste davon gemeldet hätten – Kein Widerspruch! schnaubte er den Alten an, der bei dieser Stelle allerdings nicht übel Lust bezeigte, eine Bemerkung einzuschieben: das Volk ist aufsässig, es muß aufsässig sein, ich will es so!! und erwarte von Euch, daß Ihr Eure ganze Sorgfalt auf diesen Punkt wenden werdet; jede Anzeige, welche Ihr in diesem Sinne macht, wird Euch Lob und Beförderung einbringen und Nachsicht mit Euern sonstigen Schwächen. Desgleichen empfehle ich Euch fortan die unnachsichtigste und unerbittlichste Strenge bei Eintreibung der Steuern und Gefälle. Es ist der Wille Seiner Excellenz und eine hochpreisliche Regierung läßt hiemit durch meinen Mund an Euch, als ihren bestallten Executor, die gemessene Weisung ergehen, durchaus von Stund' an mit Niemand mehr auch nur die allermindeste Nachsicht zu haben – mit Niemand, hört Ihr? Denn es kann dem Staate nichts daran gelegen sein, Unterthanen zu haben, welche außer Stande sind, ihren Verpflichtungen gegen Staat und Gemeinde nachzukommen. Und zwar wird Euch dies durch meinen Mund gesagt, in der Absicht, daß, falls eine hochpreisliche Regierung sich veranlaßt sehen sollte, schriftliche Befehle und Verordnungen im entgegengesetzten Sinne zu erlassen, Ihr diese Befehle, als bloß ostensible, zu höheren Regierungszwecken gegebene, durchaus unbeachtet lassen und Euch in Allem und Jedem nur an diejenige Weisung binden sollt, welche Seine Excellenz Euch hiemit durch mich unmittelbar ertheilen. Auch sollt Ihr in diesem Falle von der sonstigen Amtsverschwiegenheit entbunden sein und wird es nicht allein nicht ungnädig, sondern im Gegentheil mit Wohlgefallen bemerkt werden, wenn Ihr die bevorstehenden strengen Maßregeln auf geschickte und unverfängliche Weise ins Publikum zu bringen wißt: damit nämlich ein Jeder zum Voraus wisse, was er zu erwarten hat, und nicht unvorbereitet zu Schaden komme. Ja selbst wenn Seine Durchlaucht unser allergnädigster Fürst, in Person oder durch eigenhändige Unterschrift, das Gegentheil verfügen sollten, so sollt Ihr wissen, daß auch diese durchlauchtigsten Verfügungen lediglich dazu bestimmt sind, den Diensteifer der Angestellten auf die Probe zu stellen, und sollt Ihr daher dessen unerachtet auch kein Haarbreit nachlassen, so lieb Euch Euer Dienst – Alles, setzte der junge Mann, plötzlich wieder in seinen skurrilen Ton zurückfallend, hinzu, unter Androhung sofortiger Wiederaufnahme gewisser Prozesse, von denen Euch ohne Zweifel selbst bekannt ist, alter Sandmoll, daß sie zwar aufgeschoben sind, aber noch keineswegs aufgehoben.

Und dann mit einem Male sich dicht vor den Alten stellend, die Arme auf dem Rücken, sich behaglich in den Hüften wiegend:

Wozu, fragte er, denkst du wohl, daß ich eigentlich hier bin, Sandmoll?

Allein so leicht ließ der Alte sich nicht aufs Glatteis führen.

Sie sind, schnarrte er, der Landschaftmaler Schmidt; ich soll Acht haben auf die unruhigen Köpfe; ich soll die Steuern eintreiben ohne Nachsicht – und wozu Sie hier sind, weiß ich nicht.

Der junge Mann lächelte.

Zum Exempel, sagte er und fixirte den Andern dabei mit einer Schärfe, die auch den Unschuldigsten hätte können befangen machen: es wird seit einiger Zeit wieder entsetzlich viel geschmuggelt in dieser Gegend. Es müssen freche Spitzbuben sein, die Geld hinter sich haben; denn sie treiben das Geschäft im Großen. Dafür, wenn ich sie packe, sollen sie auch sitzen im Großen.

Der Alte hielt baumstill. Nur, indem er seine Verwunderung über diese Neuigkeit ausdrücken wollte, versagte ihm die Stimme völlig und er brachte nichts heraus, als ein einmaliges, sehr kurzes, dünnes Ah …

Herr von Lehfeldt fixirte ihn noch einige Augenblicke. Dann kehrte er sich kurz um, setzte sich und fuhr im gutmüthigsten Ton, den man sich denken konnte, fort:

Von etwas Anderem. Aber erst, mein' ich, brennen wir uns eine Cigarre an.

Mit einer Leutseligkeit, die noch wenige Minuten zuvor platterdings unmöglich geschienen hätte, bot er dem Alten Cigarre und Feuer an.

Und nun, während Beide den Rauch in langen Wolken von sich bliesen, entspann sich folgendes seltsame Gespräch, das von beiden Seiten mit einer sehr wohl berechneten schläfrigen Gleichgiltigkeit geführt und mit einer Virtuosität zwischen halbgeschlossenen Lippen hervorgemurmelt ward, daß nichts darüber ging.

Herr von Lehfeldt, den Kopf in die Hände gestützt, sagte:

Im Schlosse bekannt, Sandmoll?

– Mäßig bekannt.

Guter Herr, der Commerzienrath?

– Mäßig guter Herr.

Klug?

– Sehr klug.

Hart gegen seine Arbeiter?

– Sehr hart.

Viel Geld da?

– Sehr viel Geld da – dem Anscheine nach, verbesserte der Alte sogleich vorsichtig sich selbst.

Verheirathet?

– Zweite Frau; vornehme Dame.

Kinder?

– Zwei Kinder, beide erster Ehe: eine Tochter, fast zwanzigjährig, in der Pension in der Hauptstadt; ein Knabe, zwölfjährig, schwindsüchtig, wird nimmer alt.

Einigkeit in der Familie?

– Mäßig einig.

Herr von Lehfeldt wußte das natürlich längst und weit vollständiger aus bessern Quellen, als der Alte ihm bieten konnte. Aber er liebte es und war dies eine seiner Eigenthümlichkeiten, über Dinge, die er längst und vielleicht besser als irgend Jemand wußte, sich von den verschiedensten Personen noch einmal anscheinend unterrichten zu lassen.

Das Ergebniß der eben angestellten Prüfung schien ihn zu befriedigen. Er stand auf, pfiff dem Hund. Hilf mir, sagte er zu dem Alten, das Pferd den Fußsteig zurückführen auf die große Straße. In einer Viertelstunde geht der Mond auf; du gehst voran ins Dorf, ich selbst, auf einem Umweg, folge dir noch diese Nacht.

Mechanisch gehorchte der Alte; er fühlte sich von der innern Aufregung, die er stundenlang gewaltsam zurückgepreßt hatte, an allen Gliedern wie gerädert.

Herr von Lehfeldt dagegen war frisch und munter, in jener angenehm erhöhten Stimmung, wie man sie aus geistreich anmuthiger Gesellschaft mitzubringen pflegt. Er pfiff eine leise Melodie zwischen den Zähnen und redete mit Hoh! und Hah! dem Pferde, das auf dem schlechten Wege öfters auszugleiten drohte, gutmüthig zu. Den Steinbildern gegenüber, wo der Quell im Moose brodelt, hielt er plötzlich still und sah dem Alten, der mühselig hinter ihm daherkroch, so scharf ins Antlitz, als die Dämmerung es irgend erlaubte.

Der tolle Heiner, sagte er, wer ist das?

Das völlig Unerwartete dieser Frage machte den Alten, der ehe auf alles Andere gefaßt war, einen Augenblick völlig verdutzt; er focht mit den langen Armen hin und her, wackelte mit dem Kopf, rollte die Augen und konnte bei alledem keine Antwort finden.

Der tolle Heiner, sagte er zuletzt, je nun, das ist der tolle Heiner: ein verrückter Mensch, über den sich von vernünftigen Leuten nichts sagen läßt. Wie es heißt, fügte er hinzu, so ist er ehedem Geistlicher gewesen, auch Schulmeister. Jetzt ist er Vagabond; doch glaube ich nicht, daß er stiehlt.

Der Weg wand sich jetzt so mühsam zwischen den Bäumen hindurch, daß er die größte Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, besonders in Anbetracht des Pferdes. Endlich hatten sie die große Straße erreicht.

Herr von Lehfeldt zäumte das Pferd auf und machte sich fertig, aufzusitzen. Schon den Fuß im Bügel:

Dieser Heiner, sagte er, ist ein höchst gefährlicher Mensch, der unter seinen irren Reden mehr Verstand verbirgt und mehr böse Anschläge, als ihm gut ist. Ich will, daß er unvermerkt in Aufsicht genommen wird. Gib einem Manne aus dem Dorf, der sich am Besten dazu paßt, den Auftrag; ich werde sorgen, daß ihm seine Mühe hin und wieder durch eine Kleinigkeit vergolten wird.

Der Alte sah ihn erstaunt an; er zweifelte, ob er recht gehört. – Herr von Lehfeldt beachtete es nicht; er saß schon im Sattel.

Adieu, Sandmoll, rief er, und vergiß nicht, was ich dir versprochen habe: hundert Thaler, wenn du mir Beweise bringst, daß ich dein Sohn; tausend, wenn du mir beweisest, daß ich es nicht bin!

Damit lenkte er das Pferd um, drückte ihm die Sporen in die Seiten und jagte in scharfem, kurzem Trabe den Berg hinan; der Hund, gewaltig anschlagend, folgte in langen Sätzen.


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