Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Polar-Expedition von 1871.

Die Fahrt des »Isbjörn«.

Plan der Expedition. – Abfahrt von Tromsö. – Eindringen in das Eis. – Zehntägige Gefangenschaft. – Untersuchung des Eismeers zwischen Spitzbergen und Nowaja Semlja. – Project, Gillis-Land mit einem Boot zu erreichen. – Spitzbergen. – Rückkehr ins Nowaja Semlja-Meer. – Zurückweichen seiner Eisgrenze. – Rückkehr nach Europa.

 

Das Scheitern der zweiten deutschen Nordpol-Expedition als solcher, hatte die Fortsetzung der Polarforschung auf das Nowaja Semlja-Meer hingewiesen. Angeregt durch Grafen Wilczek, war auch in Oesterreich-Ungarn das Interesse und der Entschluß gereift, sich an der Lösung dieser wissenschaftlichen Frage zu betheiligen. Nächst der huldvollen Unterstützung durch Seine Majestät bot eine hochherzige That diesem Vorhaben die erste materielle Basis; Graf Wilczek stellte einer österreichisch-ungarischen Nordpol-Expedition die Summe von 40.000 fl. ö. W. 2000 fl. wurden davon bei der Recognoscirungsfahrt ausgegeben, 8000 fl. dienten zur Aussendung eines kleinen Schiffes, welches Grafen Wilczek an Bord haben, in Nowaja Semlja 1872 ein Depot von Kohlen und Proviant anlegen und noch denselben Herbst zurückkehren sollte; 30.000 fl. dienten als Beitrag der Kosten zur Ausführung der großen, in den Norden Asiens zu entsendenden Expedition. Auch von Seite Deutschlands erfuhren diese Expeditionen namhafte Unterstützung, insbesondere durch die Stadt Frankfurt und durch Seine königl. Hoheit den Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach. zur Verfügung. Um aber der Befürchtung vorzubeugen, große Summen auf die Erreichung eines unausführbaren Planes, oder eines Zieles von zweifelhaftem Werthe zu setzen, vollführten Schiffslieutenant Weyprecht und ich 1871 eine Vorexpedition in das Nowaja Semlja-Meer, deren Ergebnisse die Aussendung einer mehrjährigen Expedition dringend wünschen ließen. Der Verlauf dieser Vorexpedition soll im Nachstehenden geschildert werden.

Die Motivirung unseres Planes bestand in Folgendem: Durch die letzten Expeditionen dachte man es sich erwiesen, daß der Erreichung der arktischen Centralregion auf dem Wege durch die Baffinsbai, die Behringsstraße, längs der grönländischen Küste, endlich von Spitzbergen aus, fast unüberwindliche Hindernisse entgegentreten, hauptsächlich weil alle diese Routen den großen arktischen Strömungen entgegenlaufen, die dem Polarbassin als Abzugscanäle für das Eis dienen. Diese Strömungen führen ununterbrochen gewaltige Eismassen mit sich, die sie an allen von ihnen berührten Küsten absetzen. Nun wurde auf Grund der Ergebnisse vieler norwegischen, russischen und deutschen, theils wissenschaftlichen, theils mercantilen Reisen behauptet, daß der Golfstrom nicht schon am Nordcap sich verliere, sondern seinen gewaltigen erwärmenden Einfluß noch an Orten und auf Breiten ausübe, davon man früher keine Ahnung hatte, wie z. B. bis zur Nordostküste von Nowaja Semlja. War dies der Fall, so durfte man bestimmt erwarten, daß eine Expedition, welche mit dem wärmern Wasser des Golfstromes geht, geringere Hindernisse finde, als eine, die gegen die arktische Strömung mit ihren kolossalen, gegen Süden treibenden Eismassen zu kämpfen hat. Im Osten von Spitzbergen liegt ein Land, das zwar schon öfters gesehen wurde, dessen Erreichung aber noch nie ernstlich angestrebt worden ist, – Gillis-Land. Dieses Land liegt gerade in der Richtung des weiteren Verlaufs des Golfstromes, und man kann mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen, daß sich, ebenso wie bei Spitzbergen, wo man ohne alle Schwierigkeit in jedem Jahre 80° Nordbreite erreichen kann, unter seiner Westküste schiffbares Wasser findet. Zieht sich diese Küste weit nach Norden hinauf, was nach den schwedischen Peilungen wahrscheinlich ist, so läßt sich erwarten, auf diesem Wege höhere Breiten, als auf irgend einem anderen zu erreichen.

Merkwürdigerweise war das ganze Meer zwischen Spitzbergen und Nowaja Semlja der Wissenschaft vollständig unbekannt; trotz der voraussichtlich so günstigen Umstände war noch nie eine Expedition in diese Gegenden gesendet worden. Seit Jahren strebte Dr. Petermann, eine größere wohlausgerüstete Expedition zur Erreichung der höchsten Breiten auf diesem Wege zu veranlassen; Schiffslieutenant Weyprecht und ich waren so glücklich, dieses Project zu verwirklichen. Die verfügbaren Mittel reichten zu einer Recognoscirungsfahrt dahin, um zu untersuchen, ob die klimatischen und Eisverhältnisse in jenem Meere in der Wirklichkeit so günstig seien, als die Theorie es voraussetzen ließ. Die Erreichung hoher Breiten wurde bei derselben nicht angestrebt und konnte bei den gegebenen Verhältnissen ebenso wenig erwartet werden, wie wichtige geographische Entdeckungen. Der Wasser- und Lufttemperatur, den Strömungen, dem Zustand des Eises und der Beurtheilung des zu hoffenden Erfolges 1872 sollten hauptsächlich die anzustellenden Beobachtungen gelten. Die Expedition hatte Mitte Juni von Tromsö abzugehen, Mitte September dahin zurückkehren und ward nur für diese Zeit ausgerüstet.

Sowohl um die Kosten zu verringern, als auch wegen der für den Zweck völlig ausreichenden Eignung, mietheten wir in Tromsö Tromsö wurde deßhalb gewählt, weil von diesem Orte aus (wie von Hammerfest) ein äußerst ergiebiger Fischfang und die Jagd auf Thranthiere im nördlichen Eismeer betrieben wird und die Nähe des letzteren ein großes Schiff entbehrlich machte. im nördlichsten Norwegen ein kleines Segelschiff. Ein Dampfer wäre uns zwar sehr zu statten gekommen, hätte jedoch die Kosten der Reise (5700 Thaler) vervierfacht und uns in Anbetracht, daß wir uns für eine Ueberwinterung weder ausrüsten durften noch konnten, auch nicht in die Lage gesetzt, eventuelle Entdeckungen nachdrücklich zu verfolgen. Die gemiethete Schute »Isbjörn« (Eisbär), ein Segelschiff von 21 Commerzlast (50 Tons) mit Kuttertakelung, 55 Fuß lang, 17 Fuß breit, 6 Fuß Tiefgang, am Vordertheil mit dünnem, 2 Fuß über und 2 Fuß unter Wasser reichenden Eisenblech beschlagen, war ein völlig neues, starkes Schiff, das mit uns seine erste Fahrt machte. Es befanden sich an Bord zwei kleine Boote und ein größeres, sogenanntes Fangboot. Die Bemannung des Isbjörn bestand aus einem Schiffsführer, Capitän Kjelsen, aus einem Harpunier, vier Matrosen, einem Zimmermann, einem Koch, durchgehends Norwegern; daher waren wir genöthigt, die Landessprache zu erlernen. Die Besatzung war somit um drei Mann stärker, als sie Schiffe von so geringer Größe in der Regel besitzen. Dies geschah, weil es unsere Absicht war, von der Walter-Thymensstraße aus in einem Boot nach Gillisland überzusetzen, falls dasselbe von Süden aus zu Schiff nicht zu erreichen wäre. Mit den erforderlichen Instrumenten Diese waren: 1 Prismenkreis, 1 Sextant nebst künstlichem Horizont, 1 Azimuthcompaß mit Prismendiopter, 1 Theodolit, 2 Box- und ein Taschenchronometer (Vorauer), 1 Tiefseeschöpfer, 3 Barometer und 6 Thermometer (alle mit den Vergleichungen der hydrographischen Anstalt in Pola), 3 Areometer; außerdem ein Apparat zu Tiefseelothungen. waren wir durch die k. k. Marinesection und das k. k. militär-geographische Institut ausgerüstet worden. Proviant hatten wir für vier bis fünf Monate an Bord. Der österreichische Consul Aagaard in Tromsö ging uns bei Aufnahme und Ausrüstung des Schiffes mit größter Liebenswürdigkeit an die Hand. Es darf auch nicht unerwähnt bleiben, daß wir kein absolutes und directes Dispositionsrecht über Schiff und Mannschaft erlangen konnten, sondern daß die Verantwortung über das erstere und der unmittelbare Befehl über diese dem Schiffsführer Kjelsen contractlich anheimfielen. Dessenungeachtet blieb Weyprecht der eigentliche Leiter des Schiffes.

Die Erkundigungen, die wir inzwischen über die Eisverhältnisse unseres Forschungsgebietes einzogen, lauteten sehr widersprechend. Während z. B. Dr. Bessels 1869 auf dem Rosendal'schen Dampfer »Albert« einen Zweig des Golfstromes im Süden von Gillisland noch an der Eisgrenze mit +4° R. wahrgenommen, hatte uns Dr. Petermann in Gotha Lamont's briefliche Äußerung mitgetheilt: »Jedes Jahr erscheint mir dieses Eis grauenhafter.« Die Aussage der Tromsöer Walroßjäger, welche das Eis allerdings nur vom Hörensagen und nicht aus eigener Anschauung kannten und in keinerlei Beziehung, selbst über dessen äußere Grenze, eine positive Auskunft zu geben vermochten, stellten dem Eindringen in jenes Eismeer, oder dem Vordringen nach Gillisland von Süden aus, ein ungünstiges Prognostikon. Ja, selbst den vielen von Spitzbergen nach Nowaja Semlja fahrenden Schiffern war dieses Gebiet völlig unbekannt. Die wenigen ernsten Versuche, das 1707 zuerst gesehene, von den Schweden als Continent aufgefaßte Land zu erreichen, waren resultatlos geblieben. So ihr Versuch, 1864 und 1868 von Südwest aus vorzudringen, 1868 allerdings mit einem arg beschädigten Dampfschiff und in vorgerückter Jahreszeit. Ebenso erfolglos war Capitän Koldewey's Versuch, der drei und einen halben Monat vorher von den Tausend Inseln aus unternommen wurde. Diese Expeditionen überschritten die Grenze des äußeren Eises in etwa 76 Grad nördl. B. nicht wesentlich; ihr Fehlschlagen trug neuerdings viel dazu bei, das Nowaja Semlja-Meer als unfahrbar hinzustellen, so daß jedes Unternehmen dahin unterblieb.

Das Südende von Tromsö.

Allenthalben trat unsern Nachforschungen somit die Erwartung eines äußerst ungünstigen Jahres entgegen. Man hielt sich zu dem Schlusse berechtigt, daß das ungewöhnlich strenge Frühjahr des nördlichen Norwegen, mit seiner noch Mitte Juni bis zum Meeresspiegel herabreichenden Schneedecke, eine übermäßige Eisanhäufung im Norden voraussetzen lasse. Uebrigens hörten wir, daß das Eis schon 20 norwegische Meilen nördlich vom Nordcap liege. Thatsächlich hatten die wochenlang herrschenden Nordwinde bisher eine Anzahl Fischer- und Jagdfahrzeuge, darunter selbst einen Dampfer am Auslaufen aus den Scheeren verhindert. Auf alle Fälle wollten wir in Berücksichtigung dessen an dem Plane festhalten, die Hope-Insel anzusegeln und die Eisgrenze von hier aus nach Ost zu verfolgen. Die Ausdehnung der eigentlichen Eisschiffahrt mußte lediglich von günstigen, möglicherweise vom Golfstrome zu erwartenden Zuständen abhängig gemacht werden. Da die Erreichung von Gillisland schon in diesem Jahre nicht außer dem Bereiche der Möglichkeit lag, so war es vorderhand nicht rathsam, das Vordringen nach Norden östlicher, als bis zum 40. Längengrad zu versuchen.

Am 20. Juni verließen wir Tromsö Wir hatten uns bereits am 18. Juni eingeschifft; doch gestattete das Wetter erst am 20. Juni den Hafen zu verlassen. während eines Schneegestöbers; da wir den Qualsund ohne eigentlichen Lootsen hinauskreuzten, geriethen wir vorübergehend und leicht auf Grund, – nur aus Artigkeit unserer verheiratheten Schiffer gegen ihre Damen, um diese, nach definitivem Abschied, dem Lande so nahe als möglich auszuschiffen. Bei Rysö, am Ausgange der Scheeren, trafen wir die Tromsöer Jagdflotille Unter den kühnen, abergläubischen Spitzbergenfahrern befand sich ein wahres Original, der Quäne Mattilas, welcher sein ganzes Leben im Eise zugebracht und in demselben manches Schiff verloren hat. Wir luden ihn zum Abendessen auf dem »Isbjörn.« Er interessirte sich sehr für unsere Lefaucheux- und Wänzl-Gewehre, und um uns einen Beweis seiner Freundschaft zu geben, beeilte er sich, eines derselben in die Hand nehmend, zu versichern, daß er nicht die Absicht habe, seine Trefflichkeit durch einen Spruch zu schädigen. vor Anker, auf Wetterveränderung wartend, sie, die wir schon im Eise glaubten, darunter Schiffe, welche Tromsö bereits vor 4 Wochen verlassen hatten.

Rysö in Qualsund.

Die kleinen und großen Felseilande der finnmarkischen Küste sind von öden Klippen umgeben; ihre Höhe erreicht im Mittel 2500 Fuß, oft bedeutend mehr. Die Baumvegetation hat hier aufgehört; nur die Birke kommt noch vor, allein nicht mehr in Wäldern, sondern als einzelner Strauch. Die zahllosen, der Gneißformation angehörenden Inseln weisen im Kleinen denselben originellen Terraincharakter, der Norwegen im Großen auszeichnet. Bergplateaux von unbeschreiblicher Oede, ein Durcheinander von Kesseln, Schluchten, dazwischen einsame Bergseen, spaltenartige Wasserläufe, deren plötzliche Unterbrechung in den Felsmulden Torflager veranlassen. Die landschaftliche Schönheit dieser Inseln ist namentlich in Bezug auf Kühnheit der Formen außerordentlich groß, das Erträgniß dieser Klippen aber ist unendlich dürftig. Aermliche, von der Welt abgesperrte Familien bewohnen die einsamen Felsgestade, fern von einander, ohne Verkehr unter sich, leben sie vorzugsweise von dem ergiebigen Fischfang; In jüngster Zeit ist ein neuer Erwerbszweig, der Handel mit Eiderdunen hinzugekommen. Die Eidergänse, welche die Klippen Norwegens einst in so großer Zahl belebten, haben sich später, zu sehr verfolgt, nach Spitzbergen zurückgezogen. Auch hier in der unsinnigsten Weise gejagt und ausgerottet, haben sich die Vögel abermals nach Norwegen gewandt, wo die Jagd auf sie nun gesetzlich verboten ist. Jetzt ist die Eidergans aus jenen Klippen ein gepflegtes Hausthier. Die Pächter der Ansiedlungen verbessern ihre Nester mit Holz oder Steinen, nehmen den frei herumgehenden Thieren, ohne daß sie es merken, einige von den weichen Federn, womit diese ihre Nester ausstatten; Niemand berührt sie, sie werden vielmehr auf alle Weise geschützt. Wer eine solche Insel ohne Erlaubniß betritt, zieht sich einen Ueberfall zu, wie der, welcher auf einer italienischen Alpe mit Steinen nach dem Vieh wirft. Tromsö oder Hammerfest gelten ihnen als Zierden der Welt. Längs der Ansiedlungen bilden zahllose Abfälle von Fischen, ihre Köpfe u. s. w. häufige Annäherungshindernisse; auf den Lofodden befindet sich eine Guanofabrik, welche die Abfälle verwerthet. Bei Sandö verbrachten wir Gegenwindes halber den 24. und 25. Juni. Die Insel ist bis etwa 600 Fuß hinauf mit Meersand bedeckt und voll kleiner Muscheln; von ihrem höchsten Gipfel aus (2000 Fuß), genossen wir den Anblick eines bis Andesnes reichenden Panoramas – unzähliger Klippen im weiten Meere, den traurigen Eindruck der norrländischen Gebirgswüsten, die ohne Wälder, Wiesen und Ortschaften nur Wände, Wasserfälle und öde Vorgebirge zeigen. Stunden, lang narrte uns ein Adler, der mit leichten Schwingen sich hoch erhebend oder rasch herabschießend, seinen schwerfälligen Verfolgern das ermüdendste Bergsteigen auferlegte. Am 26. Juni kamen wir endlich in See, passirten den ungeheuren Felsthurm Fuglö, wo man sich, um Eiderdunen zu gewinnen, mittelst Tauen über die jähen Klippen herabläßt; am folgenden Tage war alles Land außer Sicht.

Je weiter wir bei der frischen Brise nach Nord kamen, desto häufiger wurden die Walfische. Am 28. Juni Nachts stießen wir auf das erste Eis; – für den Polarfahrer ein anheimelnder Anblick! Es lag nicht dicht, sondern leicht vertheilt, von Nordwinden herabgetrieben, blinkenden Punkten gleich, am nebelverschleierten Horizont. Wir befanden uns südöstlich der Bäreninsel in 73° 40' nördlicher Breite und 21° östlicher Länge von Greenwich und fanden das Eis in einem solchen Zustande der Auflösung, daß Weyprecht unbedenklich in dasselbe eindrang, um zu untersuchen, in welcher Breite seine geschlossenen Massen beginnen würden. Vierzig Meilen legten wir im leichten Treibeise zurück, erst unter 74½ Grad nördl. B. und 23 Grad östl. L. trafen wir dichtes Eis. Schon am 30. Juni erfuhren wir die Ohnmacht eines kleinen Segelschiffes unter solchen Verhältnissen; die inzwischen eingetretene Windstille machte das Schiff in dem Augenblicke steuerungsunfähig, wo das Eis wirr durcheinander trieb. So sehr wir uns bis aufs Aeußerste durch Warpen, Ausbringen und Einholen mittelst Eisankern, die an Tauen befestigt waren, und durch Abstoßen mit Eisstangen dagegen sträubten, es half Alles nichts; am 30. Juni war das Schiff, rings vom Eise dicht eingeschlossen, d. h. besetzt. Nebel, Sturm, schwere Dünung wechselten während der nun folgenden zehntägigen Die Details darüber lauten aus meinem Tagebuche jener Zeit: 31. Juni: In 74° 36' nördl. B., 22° 46' östl. L. besetzt, vergebliche Arbeit, uns im freien Wasser zu erhalten; das Eis schließt uns rings dicht ein. 1. Juli: Vormittags warpten wir uns etwa hundert Schritt weit, während einer augenblicklichen Erleichterung unserer Gefangenschaft, nach Süd; allein schon Mittags lag das Schiff wieder festgeklemmt. In der Nacht vom 1. zum 2. Juli: Sturm und furchtbares Eisschieben; wer in der Koje liegt, erhält durch die von jeder Welle verursachten entsetzlichen Stöße den Eindruck, als schlüge ein Kruppscher Hammer nahe dem Ohr auf Deck, oder als müsse das Eis in die Cajüte eindringen. Am 3. Juli öffnete sich das Eis einigermaßen. Sofort versuchten wir wieder südwärts durchzubrechen; allein nach mehrstündiger schwerer Arbeit waren wir nur wenig weitergekommen, Mittags waren wir wieder von großen Schollen dicht umringt, so daß man keinen Tropfen Wasser schöpfen konnte. In der folgenden Nacht von Neuem heftiges Eisdrängen bei starker Dünung, Sturm. Erst Nachmittags am 4. Juli hörte der Wind auf; das Wetter wurde klar, die äußere See entfernte sich immer mehr und rauschte nur noch dumpf. Nachts vom 4. zum 5. Juli vermochten wir uns bei Nordwind mit vollem Segeldruck und mittelst Abstoßens über die völlig weiße, kaum merklich geöffnete Bahn hindurchzupressen. Langsam zog das Schiff über die eisige Einöde mit ihren in der Mitternachtssonne roth glänzenden Klippen. Binnen fünf Tagen hatte uns die Strömung nach den astronomischen Ortsbestimmungen 39 Meilen nach Nordost versetzt; während wir Tags vorher dem offenen Meere 2½ Meilen nahe waren, befanden wir uns jetzt wieder 4 bis 5 Meilen davon entfernt. Ja, die Ortsbestimmung am 5. Juli ergab, daß wir uns, ungeachtet zwölfstündigen, wenngleich geringen Vordringens nach Süd, um eine Meile nördlicher als Tags vorher befanden. Mittags war das Wetter herrlich; nirgends offenes Wasser, wieder dicht besetzt, und zwar von weit schwererem Eise, als gestern. Ein Versuch, uns durchzupressen, mißlang. 6., 7. und 8. Juli: Erst Abends eine halbe Meile nach Ost vorgedrungen, dann wieder völlig eingeschlossen. 10. Juli: Endlich frei geworden. Gefangenschaft mit einander ab.

Die beständig wechselnde Gesellschaft bald dünner, bald mächtiger Schollen erhielt uns während dieser Zeit in unausgesetzter Aufregung. Tage hindurch erfuhr der »Isbjörn« so schwere Pressungen, daß seine Lage sehr gefährdet war. Am 4. Juli hatten wir schweren Sturm aus Südost, welcher das Eis immer dichter zusammenpackte, und während die See innerhalb desselben sonst ganz ruhig zu sein pflegt, gerieth sie nun in heftige Bewegung. Nachmittags hörten wir durch dichten Nebel den Donner der Brandung am äußern Eissaum, und in dem Maß, als sich das Geräusch verstärkte, nahm auch die See zu. Die Versuche, uns tiefer in das Eis und damit in ruhigeres Wasser zu holen, waren vergeblich; das Schiff lag dicht gepreßt und war nicht mehr von der Stelle zu bewegen. Unsere Lage wurde mit dem Vorschreiten der wüthenden See immer unheimlicher; rings herrschte die ganze Nacht hindurch ein entsetzliches Brausen, Kochen und Toben. Zuerst barsten die gepreßten Felder in concentrischen Sprüngen; dann richteten sich die abgetrennten Theile zu einem Walle auf. Bald ächzte und knarrte das Steuer unter dem Druck andrängender Eisfelder und war in Gefahr abzubrechen, so daß es fest gemacht werden mußte; bald bebte und knackte der gesammte, aus dem Wasser gehobene Schiffsleib unter dem unaufhörlich oscillirenden Drängen des Eises, oder eine hart an die Davits streifende Eisgruppe riß ein Boot in Stücke. Unausgesetzt war die Mannschaft mit Eishacken am Gangspill oder mittelst Einholens »ausgebrachter Taue« thätig, diesen Angriffen zu begegnen. Es kam dabei hauptsächlich darauf an, die Begegnung mit sehr großen Eisfeldern zu vermeiden, um nicht erfaßt und zerdrückt zu werden. Das Unheimliche einer solchen Situation liegt vorzüglich darin, daß Niemand weiß, ob das gepreßte Schiff werde widerstehen können, da die Größe des von einem Eisfeld zu erwartenden Druckes nicht bemeßbar ist.

Gegen Abend hob sich der Nebel und entrollte uns ein Schauspiel furchtbarer Großartigkeit. Dicht vor uns lag das offene Wasser mit schwerem Seegang gegen das in wilder Bewegung begriffene Eis. Jedes Stück desselben war für uns ein Riff. Wie Ballen wurden die Schollen und Eisberge von den Wogen durcheinander geworfen, zermalmt und als Brocken fortgespült. Schritt für Schritt rückte die See auf diese Art bis zu uns heran. Um Mitternacht befand sich unsere ganze Umgebung in tollem Aufruhr; tanzend hoben sich die Eisberge aus den brausenden Wogen, unser kleines Schiff erhielt Stoß auf Stoß, krachend dröhnten die Planken des »Isbjörn«. Seinen Untergang verhinderte der dichte Brei zermalmten Eises, der sich inzwischen rings um das Schiff angesammelt hatte. Als der Sturm abnahm, schoben sich große Eismassen bis an den Rand des Horizonts vor, und Morgens konnte man das offene Meer vom Deck aus nicht mehr erblicken. Es war ein grausiges Schauspiel der Zerstörung, das wir, unfähig uns seiner Gewalt zu entziehen, dennoch ungestraft bestanden hatten. So furchtbar auch die Eindrücke des Erlebten waren, sie konnten nicht mit jenen verglichen werden, welche wir ein Jahr nachher in demselben Meere erfuhren. Erst nachher machten wir die Wahrnehmung, daß sich die Eisfelder wechselseitig derart zermalmen, so daß kaum eine Quadratklafter Fläche verschont bleibt; nur der Frost verkittet sie wieder zu großen Tafeln.

Der neue Tag brach an; die Sonne sah wieder unschuldig herab, aber welche Veränderung im Eise! Die See hat sich beruhigt; eine flache Dünung erstirbt am äußern Eissaum; rings aufgethürmtes Eis, unheimliche Todtenstille! Der Himmel ist wolkenfrei; die unzähligen Eisformen des Horizonts heben sich als blau-neutrale Schatten ab, zwischen denen die von der Sonne beschienenen Flächen silberrein erglänzen. Die Bewegung des äußeren Meeres nimmt ab, die Canäle innerhalb der Schollen, kaum noch bemerkbar, erweitern sich; von Neuem bedeckt sich der Himmel, Im äußeren Eise herrscht in der Regel Nebel oder bedeckter Himmel, weil die wärmere Seeluft mit der kalten Luft über dem Eise aufeinander trifft. das Meer wird bleifarbig, obgleich völlig ruhig, am nördlichen Horizont tritt der Eisblink auf. Ruhelos wechseln die Schollen ihre Plätze, oft wie eine Völkerwanderung voll Kampf und Drängen. Sonst geschieht diese Bewegung so langsam und unscheinbar, daß, – abgesehen von der veränderten Lage der Wasserstraßen – hievon wenig bemerkbar wird, am wenigsten für das Gehör.

Der »Isbjörn« an der Eisgrenze.

Erst am 10. Juli preßte sich das Schiff bei günstigem Wind mit vollem Segeldruck durch die noch ziemlich geschlossenen Schollen und erreichte das offene Wasser. Die Eismassen, durch die wir brachen, waren ziemlich schwer, eine Scholle sogar an 35 Fuß dick. Sofort wurde die unterbrochene Fahrt längs der Eisgrenze nach Nordosten wieder aufgenommen; Die Meerestiefe hatte, seit wir die norwegische Küste verlassen, beträchtlich abgenommen; wir befanden uns hier auf der Bank der Bäreninsel und fanden bei 90 Meter Grund. Windstille, Ostströmung und Ostwinde, Mitte Juli selbst schwere Stürme bereiteten ihr große Hemmnisse. Für die nächste Zeit lauten die besonderen Notizen des Tagebuches. 11. Juli: Mehrere Walfische gesehen, Eisgrenze sehr dicht. 13. Juli: Um den 30. Längengrad das Eis sehr leicht und aufgelöst, Nebel ein constantes Hemmniß. 17., 18. Und 19. Juli: Sturm, 23. Juli: Deßgleichen, das Schiff erleidet furchtbare Stöße im Eis. 24. und 25. Juli: Regen, Nebel, daher »beigelegen«. 26. und 27. Juli: Im Nebel an der Eisgrenze kreuzend, Walfische in Sicht. Das Schmelzwasser der Eistümpel aus den Schollen hatte bei +0,4°R. – 1,0003 specifisches Gewicht. Die Reise geschah theils im Treibeis, theils außerhalb desselben, wie es die Umstände erforderten. Wir machten dabei die Erfahrung, daß das Eis des Nowaja Semlja-Meeres nicht im entferntesten mit den schweren grönländischen Eismassen sich vergleichen lasse. Man sah vorherrschend einjährige Schollen; die Eisberge waren klein, nahmen nach Osten an Zahl ab und verschwanden am 40. Längengrade fast gänzlich. Einige Wochen später beobachteten wir das Gegentheil. Diese Länge erreichten wir am 21. Juli, nachdem wir die Grenze des Eises von 74 bis 75 1/2 Grad nördl. B. verfolgt hatten, und drangen nun in dieses selbst ein. Ueberall lag Treibeis; einem Dampfer hätte es jedoch keine Hindernisse von Belang bereitet. So günstig sich die Verhältnisse für ein solches Schiff erwiesen, die herrschenden Ostwinde, Windstille, der fast ununterbrochene Nebel, unser mangelhaftes Fahrzeug und die unzureichende Dispositionsfähigkeit über eine fremde Mannschaft »Diese norwegischen Eismatrosen sind,« wie Weyprecht sagt, »ausgezeichnete tüchtige Jäger; sie besitzen Genügsamkeit, kaltes Blut und einen Muth, der sie nicht leicht vor irgend einer Gefahr zurückschrecken läßt. Diese Eigenschaften, die sie für ihren Zweck unübertrefflich machen, sind aber leider von Indolenz begleitet. Bleibt ein Schiff besetzt, so legt man die Hände in den Schoß und wartet entweder auf die Hilfe des Windes, oder man verläßt, wenn die Jahreszeit schon zu spät ist, ruhig das Schiff und rettet sich in den Booten. An andauernde Arbeit zur Selbsthilfe ist nicht zu denken. Die Leute sind eben mehr Jäger als Matrosen, und als solchen ist es ihnen einerlei, ob sie vorwärts kommen oder nicht; Fang finden sie überall. Dies sind aber Bedingungen, ohne welche das Vordringen im Eise in einer bestimmten Richtung mit einem Segelschiff unmöglich ist. Schon die Art und Weise, wie die Schiffe manövrirt werden, legt diese Indolenz an den Tag. Hindernisse, welche man entweder durch aufmerksames Manövriren ganz vermeiden oder doch durch geringe Händearbeit beseitigen könnte, werden durch Anrennen mit dem Schiffe überwunden. Es ist leicht begreiflich, daß ein Fahrzeug, wie stark es auch gebaut sein möge, solchen Stößen, wenn sie durch lange Zeit rücksichtslos fortgesetzt werden, nicht widerstehen kann. Der Vergleich zwischen den alljährlich außerordentlich großen Verlusten an Schiffen mit den fast Null betragenden Verlusten an Menschenleben ist die beste Bestätigung dieses Urtheils. Wir haben diese norwegischen Eismatrosen während unseres langen und intimen Verkehrs mit denselben schätzen, in mancher Beziehung wahrhaft achten gelernt. Allein dies ist kein Grund, gegen ihre schwachen Seiten blind zu sein.« Es ist übrigens selbstverständlich, daß sich diese von Weyprecht bemerkten Mängel nur bei »Fangschiffen« bemerklich machen, nicht aber bei einer ausgewählten Mannschaft wirklicher Seeleute. in Bezug auf außerordentliche Arbeiten, endlich die große Ausdehnung des noch zu erforschenden Gebietes gestatteten es nicht, unsere Aufmerksamkeit ausschließlich diesem Abschnitte zuzuwenden. Wir kehrten daher nach Westen zurück, um eine andere Einbucht näher zu prüfen. Dies geschah am 22. Juli am 35. Längengrad mit ähnlichen Ergebnissen. Wir drangen an 15 Meilen weit in das Eis ein und sahen sehr leichte einjährige Schollen, die mehrentheils so dicht lagen, daß unser Schiff mit vollem Segeldruck einem Schlitten gleich wie über eine weiße Schneefläche dahinzog. Vom Laviren und Aufsuchen der offenen Wasserstraßen konnte keine Rede sein. Die schwere Dünung, Diese erfuhr hier im Eis eine locale Verstärkung durch abnehmende Meerestiefe. die Wirkung wochenlangen Seegangs aus Südosten und das Herannahen eines stärken Südoststurmes veranlaßten Weyprecht in südwestlicher Richtung zur Eisgrenze zurückzukehren.

Verhältnißmäßig minder günstig erwies sich das Nowaja Semlja-Meer am 29. Längengrad. Nachdem wir bis 76½ Grad nördlicher Breite in das Eis eingedrungen, bemerkten wir hohe Eisgruppen und schwereres Eis überhaupt. Mit genauer Noth entrannen wir am 28. Juli bei eintretender Windstille der Gefahr eines abermaligen Besetztwerdens.

Inzwischen hatten wir die Ueberzeugung gewonnen, daß wir mit unsern Mitteln und einer nicht aus Freiwilligen bestehenden Mannschaft, in Anbetracht der schlimmen Wind- und Wetterverhältnisse, selbst bei dem so günstigen Zustande des Eises unfähig seien, den Zweck einer Recognoscirungsfahrt in das Nowaja Semlja-Meer zu überschreiten, sei es durch die Erreichung hoher Breiten, oder durch jene von Gillisland. Auch durften wir nicht daran denken, durch eine besondere Anstrengung der Mannschaft im Warpen etc. ersetzen zu wollen, was wir durch die Seltenheit günstigen Wetters zum Segeln verloren. Solche besondere Anstrengungen einzig und allein hätten uns vermocht, weiter nach Norden, oder in einer bestimmten Richtung überhaupt, wenngleich nur langsam vorzudringen. Auch warten muß man im Eise können, wenn der Augenblick nicht günstig ist; allein ein Segelschiff läuft dabei nicht bloß Gefahr, besetzt zu werden, sondern es ist auch um jeden Preis darauf angewiesen, die kurze Fahrzeit zu benützen. Es wird in seinen Bewegungen ohnehin nur zu oft gehemmt, Dagegen lernt man die Schiffahrt und Bildung des Eises, die allmählige Zerstörung desselben, den Einfluß von Stürmen, Strömungen und der Niederschläge die Plötzlichkeit in der Veränderung der Wasserplätze und zugleich die Gefahr des Eingeschlossenwerdens nur mit einem Segelschiffe deutlich kennen; ein Dampfer fährt dort noch stolz seine Bahn, wo ein Segelschiff bereits unüberwindbare Hindernisse findet. War ja doch die Nacht vom 3. zum 4. Juli für den »Isbjörn« weit schlimmer, als die zwei Sommer währende Reise in dem ungleich schwereren grönländischen Eise für die »Germania«. darf also nicht warten. Kommt dann die beste Fahrzeit, der Herbst, und ist dasselbe nicht für den Winter ausgerüstet, so muß es zurück, oder es fällt der Nacht, dem Sturm oder dem jungen Eise zum Opfer.

Es war also nicht zu erwarten, in diesem vorgerückten Sommer den Weg wieder zurück zu machen, wenn wir auch tiefer in das vorliegende Eismeer einzudringen im Stande gewesen wären. Mit Ende October ging unser Proviant zu Ende. Nichts blieb also übrig, als die Erreichung von Gillisland mit dem Boote anzustreben, um zu erfahren, ob dieses Land die ihm von den Schweden beigelegte Bedeutung besitze und die Aussendung einer besonderen Expedition begründe. Das Schiff mußte zu diesem Zweck in einem sicheren Hafen zurückbleiben. Als solcher war nur jener bei Cap Lee an der Walter Thymens-Straße zu betrachten. Also wandten wir uns nach West, dem Stor-Fjord entgegen. Das Laviren und Kreuzen an der Eisgrenze während ununterbrochenen Nebels, bei fortwährend schwerem Seegang und ungünstigem Wind, ist eine äußerst mißliche Sache, welche unausgesetzte Aufmerksamkeit erheischt. Nicht selten tritt der Eisblink rings am Horizont auf; man erkennt, daß man in eine große Wacke gerathen sei, Am 1. August trat der Eisblink in 76° 31' östl. Länge überall am Horizont auf, es schien, als seien wir in einer Wacke rings vom Eise eingeschlossen. Windstille herrschte; das Eis, mit der Strömung nach Süd treibend, bedrohte uns mit dem Besetztwerden. Bugsirend hielten wir mit Anstrengung im offenen Wasser, als etwas Wind aufkam, versuchten wir aus gut Glück den Ausweg in südöstlicher Richtung, welcher sich nachher als der einzige erwies, der uns noch zu Gebote stand. Dabei stießen wir auf einen Walroßjäger, welcher die Eisgrenze entlang von Nowaja Semlja nach Spitzbergen fuhr und sehr vergnügt war, da wir ihm eine Quantität Rum für einige Steine und Petrefacte gaben, welche er von Nowaja Semlja mitgebracht hatte. oder Windstille macht das Schiff in dem Augenblicke steuerlos, wo ein starker Strom es unaufhaltsam in das Dickicht der Eismassen fortreißt. Diese und andere Verlegenheiten wurden uns zu Theil, bevor wir im Nebel zwischen mehr als 100 Fuß hohen Eisbergen kreuzend, plötzlich das langgestreckte Plateau der Hope-Insel erblickten, welches auf der schwedischen Karte nach Schiffslieutenant Weyprecht's Beobachtung um 40 Minuten in der Breite fehlerhaft situirt ist. Die wirkliche Lage des Südwestcaps der Insel fällt auf 76° 29' n. B. und 25° ö. Länge. Wir drangen, durch eine große Einbucht verführt und momentan von unserm Wege abweichend, östlich der Insel nach Nord vor, um Gillisland von hier aus zu erreichen. Aber nachdem wir einen ganzen Tag hindurch zwischen den Klippen festsitzender Eisberge im Nebel gekreuzt hatten und von einem schweren Oststurm immer weiter nach West waren abgedrängt worden, durften wir (in 76½° nördl. Breite) vom Glück sagen, daß wir bei heftigem Seegang plötzlich an dem Eissaum anlangend, nicht zerschellten. Hier durchzudringen war unmöglich; somit nahmen wir unsern Curs nach der Walter Thymens-Straße wieder auf. Ein dichter, mehrere Meilen breiter Eisgürtel und ein starker nach Südwest setzender Strom wehrten jeden Versuch, die Hope-Insel zu betreten. Charakteristisch für unsere Mannschaft erwies sich hier ein Zwischenfall. Im Südwesten der Hope-Insel versuchten wir am 31. Juli, zwischen einem festsitzenden großen Eisberg und einer Treibeismasse durchzukommen. Spät, doch zum Glück zeitig genug bemerkte Weyprecht, daß das Treibeis mit großer Geschwindigkeit durch eine Strömung in der Richtung gegen den Eisberg bewegt werde. Wir beeilten uns zu wenden, um auf der andern freien Seite des Eisberges vorbeizukommen, und nicht vom Eise erfaßt und zerdrückt zu werden. Einer der finnmarkischen Matrosen am Steuer gab indessen das Spiet verloren, gelassen und sanft machte er die Bemerkung: »Ja nu er for fen« (Ja nun ist es zu spät)! Westlich derselben fanden wir die Eisgrenze in 76° nördlicher Breite, aus schwerem, dicht gedrängtem Packeise gebildet; viele kleine Eisberge, oder deren abgezehrte Reste fielen darin auf. Verhältnißmäßig rasch legte das Schiff die Strecke südlich von den Tausend-Inseln bis zum Südcap Spitzbergens (76½° Breite) zurück. Zahlreiche Klippen und Wellenbrecher, welche die Karten verschweigen, traten in der Nacht des 4. August wenige Schiffslängen fern aus dem Nebel; mit harter Mühe gelang es, bei Seegang und steifem Nordostwind zu wenden.

Als die schweren Gewitterwolken sich Tags darauf für einige Zeit von der horizontalen, schroff abfallenden Bergplatte des Cap Lookout erhoben, machten wir die unangenehme Entdeckung, daß wir uns im Südwesten desselben befanden. Während wir bisher im dichten Nebel gefahren, empfing uns hier nach Überschreitung der durch das Südcap gebildeten Wetterscheide fast ununterbrochener Sonnenschein, welcher die ganze Westseite Spitzbergens bis hinauf zu Prinz Karl-Foreland erleuchtete. An der lanzenförmigen Spitze Westspitzbergens fließt ein Strom von einer bis zwei Meilen Fahrt, vom Stor-Fjord kommend, nach Süd und jenseits des Südcaps die Westküste entlang nach Nord. Im Scheitel dieser Strömung, dem Südcap, liegen außer vielen Klippen und Wellenbrechern zwanzig Inseln, darunter einige von ziemlicher Größe. Die Karten geben von diesen Verhältnissen eines für die Eisschiffahrt seit zweieinhalb Jahrhunderten so wichtigen Vorgebirges eine sehr mangelhafte Vorstellung. Viele Schiffe scheiterten an dieser Stelle, meistens spitzbergische Fischer, welche der absoluten Ortsbestimmung unkundig, ihre gesammte Schiffahrtskunst auf das Ansegeln dieser Oertlichkeit basiren. Ohne Kenntniß eines so schlimmen Fahrwassers, mehrentheils im Nebel, versuchten wir Anfangs August dreimal von der Westseite des Südcaps aus nach dem Stor-Fjord zu gelangen; doch dreimal wurden wir von der Strömung trotz günstigen Windes und vier Meilen Fahrt westlich des Südcaps zurückgeführt. Dieser Vorfall verschaffte uns unerwartet Gelegenheit, die mit begletscherten Fjorden geschmückte Westküste Spitzbergens bis in die Nähe des Hornsunds kennen zu lernen. Eine Dampfhülle, dicht wie die zur Steinkohlenzeit, schwebte fast unausgesetzt über der Pyramide des Haytand und dem Hornsundstind (4500 Fuß). Das zur Zeit eisfreie Wasser des Golfstroms, belebt von zahllosen Thieren, und die wenngleich nur mattgrünen Abhänge an der Küste gewährten einen Anblick, welcher mit der kalten Größe Grönlands, seinem klaren Sommerhimmel, seiner Windstille, seinen Schneeorkanen im Winter und seinem riesigen Bergland verglichen, Spitzbergen kaum als ein arktisches Land erscheinen ließe. Selbst die Felsgestade des nördlichen Norwegen sind fast öder und arktischer anzublicken. General Sabine nannte Spitzbergen einst sehr treffend mit Grönland verglichen: »Ein wahres Paradies.« Zu dem romantischen und malerischen Anblick eines verjüngten Hochgebirges standen nur die vielen großen Gletscher nicht im Verhältniß.

Am 10. August begann das Eis aus dem Stor-Fjord herauszusetzen; mit großer Geschwindigkeit trieb es von Nordosten herab, um das Südcap herum und längs der Westküste gegen Nord, dieselbe in Zeit von sechzehn Stunden dicht besetzend. Am 12. August geriethen wir in Folge Nebels und starken Stromes zwischen schweres Treibeis, mit diesem zwischen die Riffe des Südcaps. Der Rechnung nach hätten wir 25 Meilen östlich davon sein sollen. Nur durch rücksichtsloses Anrennen mit voller Fahrt entging der »Isbjörn« der Gefahr des Besetztwerdens. Am 13. August Abends hatten Kjelsen und ich das Schiff im Nebel verlassen, um zu jagen. Gegen unsere Absicht entfernten wir uns so sehr von demselben, daß wir nichts mehr von ihm sahen und seine Lage nicht mehr zu bestimmen vermochten. Inmitten des Geschreies der Alken und Rotjes war auch alles Rufen vergeblich. Nach einiger Zeit erst erkannte das geübte Ohr des Schiffers das kaum hörbare Geräusch des Schlagens der Segel; wir ruderten emsig in der Richtung dahin und sahen glücklich das Schiff aus dem Nebel tauchen. setzte der Wind endlich um; es gelang, weit nach Süden abstehend, nach zehntägigen Irrfahrten in Wibe-Jans-Water einzulaufen.

Dieser gezwungene Aufenthalt in der nächsten Nähe des Südcaps von Spitzbergen bot Gelegenheit, dieses Land zweimal zu betreten, Die dem Südcap vorgelagerten Inseln bestehen an ihrer Westseite aus Kohlenkalkschichten; die tieferen Lagen sind bitumenreich, schwarz und ohne Petrefacte, die höheren Lagen, aus einem lichten, sandigen Kalk bestehend, sind überaus reich an großen Productus- und Spiriferenarten ( Productus pustulosus, giganteus und Spirifer striatus), deren Steinkerne zu Tausenden gesammelt werden konnten. Während unsers Aufenthaltes im Westen des Südcaps betrieb die Mannschaft den erfolgreichsten Fang auf Dorsche und Plattfische, deren manche bis 16 Pfund wogen. einen Kairn zu erbauen und darin eine Notiz über den weiter beabsichtigten Curs zurückzulassen. Eine flüchtige Aufnahme diente dazu, die gröbsten Kartenfehler zu beseitigen. Am 14. August Abends sichteten wir die Edge-Insel und kreuzten in dichter werdendem Treibeise gegen dieselbe auf. Dabei stießen wir auf zwei finnische Walroßjäger, Sie waren bereits auf der Heimreise begriffen. Der Schiffer des »Oernen« Lumijervi (ein Quäne), theilte uns mit, daß das Eis unter der Edge-Insel fest liege, in der Deicrow-Bucht 14 Schiffe eingeschlossen seien, und daß Wibe-Jans-Water gegen Norden bis Cap Agardh mit Eis erfüllt sei. Nur unter der Westküste des Stor-Fjords befinde sich offenes Landwasser. Das Eindringen in den nördlichen Theil des Stor-Fjords war bei den herrschenden Eisverhältnissen mit der Gefahr verbunden, daselbst überwintern zu müssen. Wir kauften daher von einem der Walroßjäger 600 Pfund Schiffszwieback, wenn uns dies gleich noch keineswegs zur Ueberwinterung befähigte. Allein Marcus, der zwölfjährige Schiffsjunge, erkannte darin dennoch unsere Absicht zu überwintern, und er begann zu weinen, weil – er nur ein paar Schuhe besaß! – Auch am 12. August, nahe dem Südcap, hatten wir einen Walroßjäger aus Hammerfest getroffen; sein Gewehrschrank war in der Nähe des Compasses, sein Thermometer hing auf Deck an dem Ofenrohre, seine Uhr zeigte auf eilf statt auf sieben. deren Aussagen über die Eiszustände uns bestimmten, den directen Curs nach Cap Lee aufzugeben und den Umweg längs der Westseite des Fjords vorzuziehen. Das Eis wurde dichter. Das Schiff, bereits durch Pressungen und unzählige Stöße geschwächt und Wasser schöpfend, Es wurde bereits erwähnt, wie roh und rücksichtslos diese Schiffe im Eise manövrirt werden. Bei jedem Stoß, den das unsrige erhielt, – einige waren so heftig, daß die Schiffsglocke zu läuten begann und die schwere Holzplatte oberhalb des Raumes aufflog, – riefen die norwegischen Matrosen harmlos: »Nu blifver Skutan frisk« (Nun wird das Schiff frisch). Ein Schiff auf diese Art zu beleben und zu erfrischen, ist wohl eine ebenso eigenthümliche Volkscur, wie die innere Anwendung von gestoßenem Glase gegen Scorbut; Nordenskjöld berichtet, daß dieselbe bei den spitzbergischen Walroßjägern vorkomme. wurde so arg mitgenommen, daß der unter Wasser befindliche Theil des Stevens zersplitterte und das Holz in Stücken fortschwamm, das Wasserstag abbrach und mehrere Außenplanken des Rumpfes eingedrückt wurden. Um sich überhaupt eine Vorstellung von der Gewalt der Stöße zu machen, zu welchen wir, um uns Bahn zu brechen, gezwungen waren, diene die Bemerkung, daß die zolldicken eisernen Gürtel, mit welchen der Steven in Tromsö verstärkt worden war, leichten Spänen gleich absprangen.

Gegen Nordwinde aufkreuzend, kamen wir am 16. August Nachts, nächst der Whales-Bai in zertheiltem Eise in 77° 30' nördl. Breite an. Das erwartete freie Küstenwasser war nicht vorhanden, und der widrige Wind benahm uns jede Aussicht, Cap Lee vor einer Woche lavirend zu erreichen. Wollten wir dennoch unsern Plan verfolgen und die mindestens drei Wochen erfordernde Bootsexpedition von Cap Lee aus nach Gillisland 130 Meilen weit (hin und zurück) ausführen, so war die Ueberwinterung in jenen Breiten unabwendbar; denn Ende August pflegt das Eis, aus Ost kommend, im Süden des Stor-Fjords sich anzuhäufen und diesen zu verschließen. Ein solcher Verlauf der Vorexpedition aber hätte aus dem für das Jahr 1872 projectirten Unternehmen eine Aufsuchungsexpedition gemacht. Diese Erwägung und der Hinblick auf unsere Ausrüstung geboten, von dem Vorhaben abzustehen, den Stor-Fjord sofort aufzugeben und nach der verlassenen Eisgrenze zurückzukehren.

Die Westküste des Stor-Fjords ist in geologischer Beziehung fast ununtersucht, die Besteigung eines an 2000 Fuß hohen Berges Die außerordentliche Verwitterung aller spitzbergischen Gebirge erschwert ihre Besteigung ungemein, bei jedem Tritt rutscht man beträchtlich zurück. gewährte daher interessante Aufklärungen über die hiesige Juraformation, welche sich weit nach Süden zu erstrecken scheint. Außerdem wurden Spuren von jüngeren Braunkohlen, wenngleich nicht anstehend, getroffen, Petrefacte (Bivalven in einem eisenschüssigen Mergelkalk), nebstdem noch blühende Pflanzen und rother Schnee gesammelt. Diese Excursion gestattete es auch, die so schön entwickelten Gletscher Spitzbergens näher kennen zu lernen. Unter den Bergen des Landes ist nur der Hornsundstind Der höchste Gipfel Spitzbergens. (4500 Fuß) imposant, von Osten aus gleicht er einem Pfeil. Die übrigen Berghöhen an der Küste des Stor-Fjords besitzen eine Durchschnittshöhe von 2000-4000 Fuß. Zu beiden Seiten des in der Mitte des Landes meridional herabziehenden Hauptkammes lagern schöne Gletscher; einige erreichen am Meeresspiegel 2-4 Meilen Breite und stürzen bis 80 Fuß hoch ab. Diese Gletscher lehnen sich mit geringer Neigung ihrer 4-8 Meilen langen Hauptaxen an die Firnkessel des Hauptkammes an. Die Firnlinie der in den Stor-Fjord mündenden Gletscher dürfte bei 1000 Fuß liegen; ihre Oberfläche ist nur wenig zerspalten. Eigentliche Eisberge vermag keiner dieser Gletscher zu liefern, dazu sind sie nicht groß genug; auch ist das Wasser nächst der Küste zu seicht, die Abbrüche ihrer Enden sind nur mehr oder minder große Eisbrocken.

Unter den gegebenen Verhältnissen konnte es keine ersprießlichere Aufgabe geben, als die Untersuchung, welche Veränderung das Eis im Osten Spitzbergens seit den letzten Wochen erfahren habe, besonders wenn wir diese Untersuchung bis an die Küste Nowaja Semlja's, 660 Meilen weit, ausdehnten. Damit begann der zweite Abschnitt unserer Reise. Schmerzlich fühlbar wurden uns jetzt die am Südcap verlornen vierzehn Tage. Wurden wir in so später Jahreszeit vom Eise besetzt, so war es nicht leicht, wieder loszukommen; denn die Schiffahrt im Eise hört fast plötzlich auf, nachdem sie ihre günstigsten Zustände erreicht hat. Stürme, Schneefälle, Nebel und Strömungsabänderungen, zunehmende nächtliche Dunkelheit, beschleunigte Bildung von Jungeis zwischen den Schollen überraschen das verspätete Schiff und bereiten ihm ernste Verlegenheiten. Am 16. August Abends hatten wir uns, vor dem Winde segelnd, gewaltsam einen Weg durch das Eis des Stor-Fjords gebahnt; durch Treibeis und offenes Wasser fahrend, langten wir zwei Tage darauf bei der Hope-Insel an. Doch trat die schroffe Wand der Insel erst in dem Augenblick aus dem Nebel, als wir uns, dicht unter ihr, zwischen den schon vor drei Wochen beobachteten, noch immer festsitzenden Eisbergen befanden. Wir landeten im Südosten der wenig besuchten Insel. Hier führte ein ungewöhnlich starker Strom mit etwa zwei Meilen Geschwindigkeit nach Südwest, so zwar, daß das Schiff anfangs vor dem Anker trieb. Wir hatten genug Ursache zur Vorsicht, als wir uns mit dem Fangboot dem Lande näherten; denn rings um Hopö gibt es Wellenbrecher und Klippen, welche keine Karte nennt. Unmittelbar, nachdem wir den flachen, mit spärlicher Vegetation bedeckten Landvorsprung betreten hatten, wurden wir vier weißer Füchse ansichtig, welche erschreckt aufsprangen und die Höhe hinan flüchteten. Sie fanden indeß ihre Eile bald unbegründet, setzten sich nieder und ergötzten sich an ihrem heiseren Schrei, welchen die Walfischfänger für den des Teufels halten. Es gefiel den Matrosen zunächst, auf die Thiere zu pfeifen und es ihnen nachher sehr übel zu nehmen, daß sie sich nicht gutwillig jagen ließen. Das Leben dieser Thiere scheint eine Kette von Verbrechen gewesen zu sein; ringsum sah man zerstörte Nester, die Ueberreste verspeister Vögel etc. In geologischer Beziehung herrscht auf der Insel völlige Uebereinstimmung mit den Bergen im Süden der Whales-Bai. Auch Braunkohlen wurden angetroffen, wenn es gleich der kurze Aufenthalt nicht ermöglichte, ihre Lagerstätte aufzufinden. Treibholz, und zwar von der sibirischen Lärche und Fichte, lag in Menge am Strand.

Der Hornsundstind Spitzbergens vom Stor-Fjord aus.

Der »Isbjörn« zwischen Eisbergen.

Die Hope-Insel.

Ueberraschend war die Wandlung, welche inzwischen mit dem Eise westlich und östlich vor sich gegangen; es war verschwunden. Wir beeilten uns, es aufzusuchen, um nochmals soweit als möglich in dasselbe einzudringen. Bei stürmischem Wetter kreuzten wir am 19., 20. und 21. August In der Nacht vom 23. bis 24. August fuhr das Schiff mit dem Vordertheil an ein Eisfeld auf und wurde trotz aller Arbeiten nicht eher frei, bis der Wind, und zwar eben in dem Augenblicke auffrischte, als ein großes Eisfeld, das uns jedenfalls noch höher hinaufgedrängt hätte, im Anzuge war. mit geringem Erfolg gegen den schon seit Wochen herrschenden Nordwind auf; eine Strömung aus Nord setzte uns unausgesetzt nach Süd. Seit wir den Stor-Fjord verlassen, übertraf die Temperatur des Wassers die der Luft. Am 22. August fanden wir in 76¾° nördl. B. und 28½° östl. L. äußerst spärliches Treibeis, das in vereinzelten Streifen 1 bis 2 Zoll die Wasserfläche überragend, der Schiffahrt kein Hinderniß bot. Dasselbe war noch in 77.° 12' nördl. B. (22. August) der Fall. Dem Vordringen nach Nord stand nichts im Wege, als die Ungunst des Windes, gegen welchen wir auch am 22. und 23. Abends mußte in der Cajüte zum ersten Male wieder Licht angezündet werden. August zu kämpfen hatten, und mehr als dies die Bedenken, welche Capitän und Mannschaft erhoben, sich noch in so später Jahreszeit in die höchsten Breiten zu begeben, wenngleich die Nähe von Land kaum bestreitbar war. König Karl-Land lag nur vierzig Meilen nördlich, doch es war des Nebels wegen nicht sichtbar. Unter diesen Umständen waren wir genöthigt, am 24. August, dem Tag, an dem wir die Sonne zum ersten Male wieder untergehen sahen, am 32. Längengrade von Nord nach Ost abzufallen. Die Zahl der Eisberge nahm von hier an beständig zu, während wir einige Wochen vorher in demselben Gebiete keinen einzigen beobachtet hatten; es ist dies vielleicht dadurch erklärbar, daß das Auftreten der Eisberge einer unregelmäßigen Periodicität unterliegt, welche von dem Freiwerden der Baien, Fjorde und der ungleichartigen Gletscherbewegung abhängt. Am 26. August herrschte stürmisches Wetter, Regen und Schneefall; am 27. geriethen wir bei hohem Seegang, lauem Wind und Nebel in die unmittelbare Nähe eines erst im letzten Augenblicke entdeckten Eisberges, zwischen dessen Klippen sich die See in hochspringenden Schaummassen brach. Mit Noth gelang es, zu wenden und dicht an dem Koloß auszuweichen. Am 29. August machten wir die Wahrnehmung, durch eine Strömung binnen kurzer Zeit um 1½° nach Ost versetzt worden zu sein.

Je weiter wir nach Ost kamen, desto mehr zog sich das Eis nördlich zurück, und wir durften hoffen, dem Pole näher zu kommen, als es je vorher in diesem Meere gelang. Die nördlichste, d. h. Minimalgrenze des Eises im Nowaja Semlja-Meere wurde im Spätsommer bisher bei etwa 76° nördl. B. angenommen. Allein wir erreichten den 78. Breitegrad Siebzehn Monate vorher hatten wir an der Ostküste Grönlands die Breite von 77.° 1' nur mit größter Mühe mit dem Schlitten erreicht während das Schiff sogar nur bis 75½° nördl. B. zu kommen vermochte. in 42° Länge, ohne ein Stückchen Eis zu sehen (30. August). Der »Isbjörn« war somit in einem noch völlig unbetretenen Gebiete bereits 100 Meilen weit eingedrungen. Noch stand schwere Dünung aus Nord; die Temperatur des Wassers war indeß binnen vierundzwanzig Stunden um 2 Grad gefallen und seine Farbe nicht mehr ultramarinblau wie gestern, sondern trübgrün. Sanguinischen Erwartungen fern, waren wir daher jeden Augenblick gewärtig, auf Packeis zu stoßen. Schon war der Eisblink da und dort am Horizont sichtbar.

Walfische, in diesem Meere frei von Verfolgung, erschienen schnaubend auf der Oberfläche; nicht selten kamen sie paarweise in unmittelbare Nähe des Schiffes. Ihre Jagd könnte nicht leicht mit so viel Erfolg betrieben werden, als hier. Am 31. August Vormittags sahen wir sechs Eidergänse die Vorboten nahen Landes; sie pflegen dieses erst einige Wochen später zu verlassen, um nach Süd zu ziehen. Ein blauer Schatten am östlichen Himmel fesselte eine Zeit lang die allgemeine Aufmerksamkeit; doch das vermeintliche Land zerrann in Nebel! Wir hatten das Gefühl, als seien wir an der Grenze werthvoller Entdeckungen; allein unsere karge Ausrüstung wehrte weiteres Vordringen. Leicht mochten wir durch unbekannte Strömungen fortgeführt werden; auch das sich im Süden hinter uns schließende Eis konnte uns den Rückweg nach Europa abschneiden. Nichts verbürgte uns, daß wir nicht in eine ungeheuere, sich weit nach Nord ziehende, aber rasch veränderliche Bucht oder Sackgasse gerathen waren. Am 31. August (78° nördl. B.) Nachts stießen wir auf das Eis, es lag theils zerstreut, theils dicht, doch nirgends in schweren Massen, einige Eisberge ausgenommen, überragte es den Horizont kaum merklich; für ein Dampfschiff hätte es kein erhebliches Hinderniß geboten, wir aber waren von den Launen des Windes abhängig.

Die nach Nordost zurückweichende Eisgrenze verfolgend, überschritten wir am 1. September Morgens die Breite von 78° 30'. Unverkennbar war der günstige Einfluß der hohen Breite auf die bereits dunkel werdenden Nächte; dagegen war die Temperatur seit einigen Tagen unter Null gesunken, eine Schneedecke lag auf dem Schiff, glasartige Ueberzüge aus Eis umhüllten die Takelung. Ein heftiger Nordwind war eingetreten, jagte den Nebel fort und enthüllte eines jener nur dem hohen Norden durch blendende Farbeneffecte eigenthümlichen Bilder: – die Sonne in glühender Pracht, schwere Dunstmassen durchdringend, den Mond auf der anderen Seite des nächtlichen Himmels! Gegen Nord lag einem Nordlicht gleich, der Eisblink.

Wir hatten 78° 38' nördl. B. erreicht; das Eis unserer Umgebung bot noch kein Hemmniß, – wenigstens nicht, so weit wir sehen konnten. Wohl vermochten wir noch eine Strecke zwischen dem Eise nach Nord aufzukreuzen; allein damit hätten wir jene Zeit verloren, die wir zur Untersuchung des östlichen Nowaja Semlja-Meeres bedurften.

Das Vorgehen nach Nord versprach aber nur dann Erfolg, wenn es mit einem Dampfer geschah, um an irgend einer noch unbekannten Küste im äußersten Norden zu überwintern. Diese Gründe bewogen uns vor vereinzelten Strömen leichten Treibeises östlich abzufallen. Eintretender Nebel und hoher Seegang aus Nordwest veranlaßten die Abänderung dieses Curses mehr und mehr nach Südost. Zum ersten Male machten wir in jenen hohen Breiten die Beobachtung von Treibholz. Wir befanden uns in einem Meergebiet, dessen Oberflächentemperatur die der Luft nicht unwesentlich übertraf; doch auch die letztere war gestiegen, plötzliches Thauwetter trat ein. Die Farbe der See wechselte zwischen Blau und Trübgrün. Wenige Tage vorher hatten wir einen Meerestheil durchfahren, worin der Reichthum an niederen Thieren (auch die Rippenqualle, Beroë) auffiel; kein Tropfen war frei von denselben. Finwalfische Der Finwal ist weit kühner, kräftiger und gewandter, als der grönländische Wal; sein Werth beträgt nur etwa 1500 Thaler, denn er hat weniger und minder werthvolles Fischbein als dieser. Lütke erwähnt, daß diese Thiere zuweilen bis 110 Fuß lang werden; diejenigen, welche wir sahen, hatten nur die Hälfte dieser Größe. Der Finwal wird auch in Ostfinnmarken im Baranger Fjord gefangen; Capitän Sven Foyen, ein Norweger, erzielte 1870 daselbst eine Ausbeute von 50.000 Thalern. sahen wir in überraschender Menge.

Es galt nun zu untersuchen, ob das bis in so hohe Breiten angetroffene offene Wasser nur eine zufällige Einbuchtung, oder ein zusammenhängendes Meer sei. Letzteres anzunehmen schien gewagt, da die Breite von 76½° in jenem Meere noch nie überschritten war. Um uns hierüber Gewißheit zu verschaffen, hielten wir am 1. September Mittags vom Eise ab und liefen in offenem Wasser bis auf 75° 52' N. und 51° 44' O. herab. Von hier aus beabsichtigten wir abermals nach Nord zurückzukehren, um die Lage des Eises gegen Osten zu untersuchen, stießen jedoch auf schwer überwindbaren Widerstand von Seite des Capitäns. Zur Eiskante zurückkehrend, fanden wir sie am 5. September in 78° 5' N. und 56° O. Dunstige Luft verhinderte, das Eis deutlich zu übersehen; es lag dicht, ohne schwer zu sein, über seine Fahrbarkeit ließen sich keine Schlüsse ziehen. Hohe See mit wenig Wind, die gerade auf das Eis stand, zwang uns dasselbe zu verlassen. Mit Südostcurs überschritten wir in 77½° nördl. B. den 59° östl. L.; – auch hier war südlich des 78. Grades kein Eis. Weiter östlich vorzugehen lag außerhalb unseres Planes, und da eine erneuerte Rückkehr zum Eise, nach den oben erwähnten Verhältnissen, zwecklos gewesen wäre, so gedachten wir nun in eine Bucht an der Westküste Nowaja Semlja's einzulaufen, um Brennholz und Wasser einzunehmen, dessen wir dringend bedurften. Diese Fahrt nach Süden mußten wir gegen schwere Südweststürme erkämpfen; ihr Eintritt ist zugleich der Zeitpunkt, wo die Eisschiffahrt für Segelschiffe aufhört. Die bereits mehrstündige Nacht macht es in diesen Sturmwettern fast unmöglich, ein Segelschiff im Eise zu manövriren; nur für einen guten Dampfer wären die Verhältnisse einige Zeit vielleicht noch günstig gewesen. Auf 77½° nördl. B. betrug die Wassertemperatur am 5. September +3° C., auf 76½° am 8. September in Sicht von Cap Nassau sogar +4,5° C.

Im Küstenwasser Nowaja Semlja's.

Der Stürme wegen mußten wir unausgesetzt in See halten und kreuzen. Beständig setzte uns eine Strömung nach Nordost, trotz unseres lebhaften Wunsches war es unmöglich, auf Nowaja Semlja zu landen, kaum daß wir es sahen. In der Nacht vom 12. zum 13. September befanden wir uns in dem Kampfbereich der äquatorialen und polaren Luftströmung und hatten Gelegenheit, den orkanartigen Vorgang bei einem solchen Zusammentreffen zu beobachten. Das Barometer fiel hiebei etwa zwei Zoll, und die See war so confus, daß das Schiff bei frischem Wetter steuerunfähig blieb. Am 14. September befanden wir uns vor Matotschkin-Schar, konnten jedoch nicht vor Anker gehen, da ein Schneesturm von Nordost die Küste verhüllte. An diesem Tage kam ein Schneezeisig völlig erschöpft an Bord und ließ sich ohne Widerstand fangen. Wie immer in solchen Fällen, starb der Vogel schon in wenigen Stunden. Auffällig war die inzwischen eingetretene Veränderung des Himmels. Schwere Gewitterwolken lagen über uns, wie sie innerhalb der Passate eigenthümlich sind, und die jeden Augenblick in Begleitung von Böen sich zu entladen drohen. Am 15. September sahen wir das erste Nordlicht in Gestalt eines durch unseren Zenith gehenden Bogens. Fühlbarer Mangel an Holz und Wasser und die Beendigung der Heuerzeit des Schiffes mit dem letzten September nöthigten uns, den eingetretenen günstigen Wind zu benützen und die Heimreise anzutreten, leider ohne Nowaja Semlja Es scheint, daß dieses Land schon im 11. Jahrhundert von den Russen entdeckt wurde. zu betreten.

Refractionserscheinungen auf Nowaja Semlja.

An diesem Tage erkrankten drei von unsern sieben Mann, darunter einer am Scorbut. Dicht unter der lappländischen Küste lagen wir noch einen Tag lang, eines Nordoststurmes wegen »beigedreht«; erst am 20. September liefen wir in den Tana-Fjord östlich des Nordcaps von Europa ein und nahmen Wasser. Die traurigen Klippen des Tanahorn und die schroffen Felsküsten standen an schreckhafter Oede den verlassenen Ländern durchaus nicht nach. Am 24. August passirte der »Isbjörn« das Nordcap, am 4. October ankerte er in Tromsö. Weyprecht war am Schiffe geblieben; ich dagegen hatte es mit einem lappisch und norwegisch sprechenden Matrosen im Tana-Fjord verlassen und die Rückreise nach Tromsö durch das Innere Lapplands ausgeführt; in schmalen Booten auf den seichten Flüssen, mittelst Renthierschlittens auf festem Lande.

Weder Entdeckungen, noch das Erreichen hoher Breiten hatten im Plane dieser Expedition gelegen, nur die Untersuchung, ob das Nowaja Semlja-Meer, sei es durch den Einfluß des Golfstromes oder aus andern Gründen, zum Eindringen in das Innere des noch unerforschten Polargebietes sich eigne. Viele Gründe sprachen dafür; – sie entstammten den Ergebnissen der Reise, Schiffslieutenant Weyprecht gehörte der hervorragende Antheil an denselben an.

Diese Ergebnisse bestanden in einer vierstündigen Beobachtungsreihe Beobachtungen, bei welchen Schiffslieutenant Weyprecht und ich uns in regelmäßigen Wachen ablösten. über die Temperatur und Dichtigkeit des Wassers im Nowaja Semlja-Meere, sowohl an der Oberfläche, als auch in verschiedenen Tiefen, in meteorologischen Beobachtungen, Wahrnehmungen über das Vorkommen von Strömungen und Treibholz, ferner in einer doppelten, theilweise sogar dreifachen Reihe von Tiefseelothungen und in der Sammlung von Grundproben aus verschiedenen Breiten von Spitzbergen bis Nowaja Semlja. Dazu kam noch eine flüchtige Aufnahme der Inseln, welche Spitzbergen im Süden vorgelagert sind, geologische Sammlungen u. dgl.

Gegenüber den abschreckenden Erfahrungen unserer Vorgänger, deren Mißerfolge auf diesem Weg ihre mangelhafte Ausrüstung und die Wahl der ungünstigsten Schiffahrtszeit zum Theil erklären, schienen unsere Beobachtungen folgende Schlüsse zu gestatten: Die Folge hat in einigen Fällen wider unsere damaligen Anschauungen entschieden.

1. Das Nowaja Semlja-Meer ist nicht mit unbeschiffbarem Eis erfüllt, sondern es wird häufig bis etwa 78° offen und hängt dann mit der im Herbst eisfreien Karischen See zusammen. Schiffslieutenant Weyprecht bemerkt darüber: »Man wird wahrscheinlich nicht verfehlen, die Existenz dieses offenen Polarmeeres dem Zufalle oder einem besonders günstigen Eisjahre zuzuschreiben. Was Letzteres betrifft, braucht man nur die diesjährigen Berichte der Walroßjäger von Spitzbergen und Nowaja Semlja und die bedeutenden Schiffsverluste zu hören, um sich die Ueberzeugung zu verschaffen, daß das Jahr 1871 nicht allein kein günstiges, sondern sogar ein sehr ungünstiges Jahr im Eise war. Wibe Jans-Water konnte fast gar nicht, das Karische Meer nur durch die südlichste, die Jugorsky'sche Straße befahren werden. Man könnte also nur zufällig vorherrschende Winde als Ursache angeben. Allein unser meteorologisches Journal zeigt uns vom 4. August bis 5. September mit Ausnahme von 12 Wachen, d. i. 2 Tagen, Nord- oder wenigstens nördliche Winde, die oft sehr frisch wehten. Diese können aber das Eis auf keinen Fall gegen Nord gesetzt haben. Was die leichte Gattung des von uns getroffenen Eises betrifft, könnte man einwenden, daß wir nur das äußere Eis gesehen haben. Allein erstens befanden wir uns oft so weit innerhalb desselben, daß nicht mehr von äußerem Eise die Rede sein kann, und zweitens kann die Eiskante immer nur der Ausdruck des rückwärts liegenden Eises sein. So oft der Wind gegen das Eis steht, liegt dasselbe sogar gegen außen am dichtesten, und man findet erst offene Stellen, wenn man sich durch das äußere Eis durchgearbeitet hat.«

2. Die günstigste Schiffahrtszeit in diesem Meere fällt in die zweite Hälfte August, währt indessen, wenngleich durch Nacht, Stürme und Jungeis gefährdet, noch bis Anfang September, in welchem Zeitpunkt die Eisbedeckung ihr Minimum erreicht haben dürfte.

3. Das Nowaja Semlja-Meer ist eine Flachsee, schließlich also den Terrainverhältnissen Sibiriens an. Im äußersten Norden fanden wir nur mehr 180 Meter, nahe im Südost von Gillisland sogar nur 90 Meter Meerestiefe.

4. Gillisland ist kein Continent, sondern besteht wahrscheinlich nur aus einer oder mehreren Inseln; dagegen ist aus dem Umstande, daß wir auf unserer Vorexpedition im äußersten Norden (in etwa 79° nördl. B.) mit Schlamm bedecktes Treibholz, Seegras, Thiere, welche sich nur in der Nähe von Land aufhalten, abnehmende Meerestiefen, Süßwassereis und schuttbedeckte Eisberge antrafen, mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit auf die Existenz von Landmassen Das nachher entdeckte Kaiser Franz Joseph-Land. im Nordosten von Gillisland zu schließen.

5. Das Auftreten sibirischen Treibholzes ausschließlich im nördlichsten Theil unserer Reise scheint auf eine Ostströmung daselbst hinzudeuten.

6. Inwieweit bei den geschilderten günstigen Schiffahrtsverhältnissen des östlichen Polarmeers sich der Einfluß des Golfstromes betheiligt, ob als Trift oder als Strömung, läßt sich noch nicht mit Gewißheit aussprechen wenn gleich sowohl die Eisverhältnisse, als auch die beobachteten Temperaturen des Wassers, Farbe und Thierleben desselben für den Golfstrom zu sprechen scheinen. Möglich, daß der Golfstrom seinen stärksten Einfluß an der Westküste Nowaja Semlja's erst im Anfang September ausübt; denn während die Temperatur des Meerwassers im Juli und August nördlich von Matotschkin-Schar in 74° B., allmählig von +6° R. auf +2° R. in 75° B., noch nördlicher auf dem Nullpunkt und darunter nachgewiesen wurde, haben wir noch am 6. September im 78° nördl. B. +3° R. und in 75½° B., am 10. September +4° R. beobachtet. Die Temperatur der Luft war in allen diesen Fällen beträchtlich geringer. Man könnte versucht sein, diese ungewöhnlich günstigen Eisverhältnisse im Osten Spitzbergens warmen südlichen Luftströmungen zuzuschreiben. Allein die Beobachtungen geben fast ununterbrochene nördliche Winde an. Es ist auch möglich, daß der Golfstrom Anfangs und Mitte Sommers nur nahe an Nowaja Semlja's Küste zieht, und daß er sich gegen den Herbst immer mehr nach West ausbreitet.

Thatsächlich constatiren die ausgeführten Beobachtungen im östlichen Nowaja Semlja-Meer das Vorhandensein einer 36-40' mächtigen erwärmten Wasserschichte, unterhalb welcher ohne Uebergang eine kältere folgt; offenbar ist es die ungleiche Dichtigkeit dieser Schichten, die ihren Ausgleich verhindert. Die Schichte wärmeren Wassers scheint nach Norden immer mehr an Mächtigkeit abzunehmen; nahe am Nordcap, wurde sie 150 Fuß mächtig mit der Temperatur von fast 7° C. wahrgenommen. Auch die Häufigkeit der Nebel im Nowaja Semlja-Meer und die den arktischen Regionen sonst unbekannten Gewitter-Böen, wie sie namentlich das südlichere Gebiet zu charakterisiren scheinen, deuten auf eine warme Wasserströmung. Wie dieser warme Strom nach Norden hin allmählig erkaltet, an Tiefe verliert und wie deutlich er wieder in jene den Golfstrom so charakterisirenden Wasserschichten gleicher Temperatur zerfällt, lehren drei Beobachtungsreihen, welche von Weyprecht mit dem Casella'schen Maximal- und Minimal-Thermometer in verschiedenen Breiten ausgeführt wurden.

72°30' Br., 44° Länge. 77°26' Br., 44° Länge. 76°40' Br., 55° Länge.
12' bis 114' + 4°8C. 6' bis 30' + 2°2C. 6' bis 36' + 2°5C.
144 + 2·5 36 + 1·8 48 + 1·0
174 + 2·0 45 + 0·3 60 - 0·0
204 + 1·5 60 + 0·3 72 - 0·6
234 + 1·3 75 - 0·9 90 - 0·6
264 + 1·0 90 - 0·8 120 - 1·3
294 + 0·5 120 - 1·6 180 - 1·2
360 + 0·5 180 - 1·8 300 - 1·2
450 + 0·0 360 - 1·6
600 - 0·4
800 - 1·3

Endlich seien noch einige charakteristische Daten über die klimatischen Zustände des Nowaja Semlja-Meeres angeführt. Die mittlere Lufttemperatur betrug Ende Juni und im Monat Juli in dem besuchten Gebiet etwas unter +2° C., im August etwa +1,5° C. und im September +3° C., im letzten Monat allerdings nur in Folge rapiden Zurückweichens der Eisgrenze gegen Nord. Das Maximum der Lufttemperatur betrug +6° C., das Minimum -2° C. Während das Eismeer längs der ostgrönländischen Küste im Sommer durch vorherrschende Windstille sich bemerkbar macht, zeichnete sich das im Jahr 1871 untersuchte Gebiet bis Mitte August durch Ost-, Nordost- und Südwestwinde aus; diesen folgten nördliche und Anfangs September südliche. Stürme traten Ende Juni, Mitte Juli, Anfangs August und Anfangs September ein. Ganz besonders vorherrschend aber waren die Nebel, wodurch sich die klimatische Verwandtschaft des Gebiets mit Spitzbergen ausprägt. Nebel und Nimbus erfüllten nicht weniger als 90 Procent unserer Reisedauer; davon entfallen auf den ersteren 60 Procent. Ja, wir besaßen überhaupt nur 26 Stunden völlig wolkenlosen Himmel, während auf Nebel, Schneefall, Regen an tausend Stunden entfielen.

Alle diese angeführten Erfahrungen und Beobachtungen machten die Entsendung einer wohlausgerüsteten Expedition in das Nowaja Semlja-Meer sehr wünschenswerth, sei es zum Vordringen nach Norden, oder im Sinne der Nordostdurchfahrt; – letztere Route, minder gewagt, wurde das Ziel der folgenden österreichisch-ungarischen Polarexpedition, weil dieselbe nur über ein Schiff verfügte. Der Standpunkt dieses Unternehmens war ebenso entfernt von der Annahme eines offenen Polarmeeres, wie von dem Glauben an eine erfolgreiche Schlitten- oder Bootunternehmung zur Erreichung des Pols. Die Expedition hoffte in das innerarktische Gebiet leichter und erfolgreicher, als auf irgend einem andern Punkt zwischen Nowaja Semlja und Spitzbergen einzudringen, und zwar wegen des 1871 im äußersten Norden angetroffenen, über alle Erwartungen leichten Eises. Als Ursache dieser Erscheinung konnte, abgesehen von dem bereits Erwähnten, der ungeheure Effect der Wärme und Strömung erkannt werden, welchen die sibirischen Flüsse auf ein seichtes Meer ausüben, – Flüsse, die dem, durch hohe Sommertemperatur ausgezeichneten Innern Asiens entstammen, und von welchen Ob und Jenisej zusammen ein Stromgebiet besitzen, größer, als das des gesammten Mittelmeeres, oder das Gebiet des Mississippi. Der Verlauf der durch sie verursachten Strömung ist unbekannt; aber es stand zu erwarten, daß an einer derart beeinflußten Küste altes schweres Packeis sich nicht bilden könne. Dies bestätigten auch alle Beobachtungen der Russen, welche hier selbst in den kältesten Perioden des Jahres Stellen offenen Wassers (Polynjen) fanden. Middendorf traf die Taimyrbucht am 26. August 1844 vollständig eisfrei, wir selbst fanden die Nordost-Durchfahrt bis 60° östl. L., Mack bis 81° östl. L. (in 75¾° nördl. B.) schiffbar. Vom Cap Tscheljuskin bis zu den von Anjou, Wrangel, Hedenström, Tatarinow etc. constatirten Polynjen, fehlen die Beobachtungen gänzlich; allein es war nicht unwahrscheinlich, daß die Eisverhältnisse dieses Gebietes sich den nachbarlichen Zuständen anschließen würden. Von Nowaja Semlja an bis zur Behringsstraße ist, wenige Seemeilen von der asiatischen Küste entfernt, Alles völlig unbekannt; niemals befuhr ein Schiff dieses ungeheure östliche Polarmeer.

Im Plane der Expedition lag es, etwa in der zweiten Hälfte August (der Zeitpunkt, in dem die Nordküste Nowaja Semlja's eisfrei zu werden pflegt) in ostnordöstlicher Richtung vorzudringen. Die Ueberwinterungsstationen ließen sich nicht vorausbestimmen; sie konnten möglicherweise der Nordspitze Asiens (Cap Tscheljuskin), den neusibirischen Inseln, oder aber neu zu entdeckenden Ländern angehören. Der Rückweg durch die Behringsstraße, obwohl wenig wahrscheinlich, bildete das ideale Ziel der Expedition, nicht aber die Erreichung des Poles, da diese beiden Aufgaben sich nicht miteinander vereinigen lassen. Alle weiteren Details blieben den Umständen vorbehalten.

Die Hauptaufgabe der Expedition war also die geographische Entdeckung. Die Bestimmung der magnetischen Constanten, meterologischen Mittelwerthe u. dgl. bildete voraussichtlich in jenem ungeheuren beobachtungsleeren Gebiete für sich allein ein Resultat von hohem wissenschaftlichen Werth. Auch über das Nordlicht sollten Untersuchungen angestellt, im Uebrigen zahlreiche Sammlungen gemacht werden. Die Expedition war ernster Hindernisse durch das Eis gewärtig, besonders bei dem weit in das Eismeer hineinragenden Cap Tscheljuskin. Im Fall des Verlustes des Schiffes sollte die Expedition trachten, mittelst der Boote die sibirische Küste zu erreichen und über einen der riesigen Wasserläufe Nordasiens in südlichere Gegenden zu gelangen. Möglicherweise konnte der Besatzung bei Verlust des Schiffes auch das kleine Lebensmittel- und Kohlendepot, welches Graf Wilczek im Sommer 1872 an der Nordküste Nowaja Semlja's anzulegen beschloß, als nächste Zuflucht dienen. Auf allen hervorragenden Oertlichkeiten sollten Steinpyramiden errichtet und Nachrichten über den gewählten Curs darin hinterlassen werden.

Bis zur Rückkehr im Spätherbst 1874 war die Expedition im voraus von jedem Verkehr mit Europa abgeschlossen. Nicht in Ehrgeiz oder Abenteuerlust sind die Motive so mühevoller Unternehmen zu suchen. Der Reiz des Außerordentlichen wird durch die Wiederholung abgeschwächt; nebst dem Wunsche, der Wissenschaft durch einen Schritt über die Fußstapfen unserer Vorgänger hinaus zu dienen, trieb uns dazu die Pflicht, die Hoffnungen, die wir selbst erregt, zu erfüllen.

Richtung und Stärke der Winde, welche an Bord des »Tegetthoff« beobachtet wurden.

Beobachtungstage Mittlere Wind-   Beobachtungstage Mittlere Wind-
  Richtung Stärke     Richtung Stärke
1872   Mai 31 N5°W 0·53
  Juni 30 S79°O 0·97
Juli 15 N53°O 1·36   Juli 31 N74°W 0·82
August 31 S56°W 1·15   August 31 S48°O 0·31
September 30 S45°W 0·54   September 30 S53°O 0·14
October 31 S23°O 0·43   October 31 N42°O 1·82
November 30 S71°O 0·26   November 30 N54°O 1·10
December 31 S44°O 0·64   December 31 N66°O 1·21
1873   1874
Jänner 31 S64°W 1·42   Jänner 31 S70°O 0·93
Februar 28 N32°O 0·26   Februar 28 N47°O 1·16
März 31 N37°O 0·63   März 31 N59°W 0·83
April 30 N61°O 0·53   April 30 N80°O 0·94

 << zurück