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Frühjahrsreisen.

Unsere Ausrüstung. – Reiseantritt. – Vorgänge und Leben auf einer Schlittenreise. – Rückkehr zum Schiff. – Abermaliger Aufbruch. – Hochstetter's Vorland. – Haystack. – Bärenjagd. – C. Ritter. – Reste von Eskimo-Sommerhütten. – Roon-Bai. – Eisberge. – Teufelscap. – Orientirungs-Inseln. – Dove-Bai. – Hochgebirge und Gletscher im Westen. – C. Helgoland. – Sturmbai. – Der 77. Breitengrad überschritten. – Proviantmangel. – Rückkehr zum Schiff. – Antritt der Schlittenreise nach Ardencapse-Insel. – Temperaturerhöhung. – Schwieriges Fortkommen in tiefem Schnee. – Bärenüberfall. – Fligely-Fjord unpassirbar – Reise entlang der Ruhn-Insel – Erwachen des Thier- und Pflanzenlebens. – C. Bremen. – Rückkehr. – Geologische Excursionen, Ausnahmen, Bergbesteigungen. – Jagden. – Ankunft beim Schiff

 

Frühjahrsschlittenreisen sind überall in Norden mit vielem Ungemach verbunden. Sie erfordern große Anstrengungen; eine Strecke, die ein Schiff in einem Tage durchfahren kann, nimmt mit dem Schlitten eine Woche, oft noch längere Zeit in Anspruch. Reisen dieser Art, welche wir in Ostgrönland sowohl am Küstensaum, als auch nach dem Inland ausführten, mußten immer auf dem zugefrornen Meer, oder den Fjorden unternommen werden. Ueber Land sind sie absolut unausführbar, in Folge der Unebenheit und der selbst im Winter unzureichenden Schneebedeckung. Die für Schlittenreisen günstigste Jahreszeit ist in Ostgrönland der durch klares Wetter und mäßige Kälte ausgezeichnete Herbst. Im Frühjahr dagegen erschweren sie die grauenhaften Schneestürme, welche den dritten Theil der Jahreszeit ausfüllen. Die mitgeführte Proviantmasse bedingt natürlich bei solchen Unternehmungen in erster Linie die Ausdehnung des zu entdeckenden Gebietes. Sie wird begrenzt durch die Tragfähigkeit des Schlittens und durch die Erfahrung, daß ein Mann unter günstigen Verhältnissen nur 2½ Centner zu ziehen vermag. Selbstbegreiflich bildet auch die Beschaffenheit der Bahn einen wichtigen Factor des Vordringens. Während der folgenden Reisen bestand sie aus Schneewogen, von Stürmen schneidig berandet und gleichsam ausgehobelt, völlig glatt war sie selten; oder es waren tiefe Lager feinen Schneepulvers, worin man schrittweise bis zum halben Schenkel einbrach. Dann mußte die Last abgeladen und getheilt fortgeschafft werden, oder der Schlitten zersprengte das junge Eis, zerbrach an Absätzen, versank in Schneesümpfen, die bei gesteigerter Temperatur durch die Schmelzwasser des Landes und die am Küstenrand übertretende Fluth sich gebildet hatten. Die Unbewohntheit Nordostgrönlands machte es uns unmöglich, Hunde zum Schlittenziehen zu erlangen. Unter günstigen Schneeverhältnissen besitzt das Reisen mit Hunden große Vortheile. Der wolfsähnliche Charakter von Eskimohunden, die Schwierigkeit, sie zu ernähren, ihre raubthierartige Freßgier, vor welcher nicht der mitgenommene Proviant, nicht das Schuhzeug und die Zugstränge, selbst nicht ein in ihrer Nähe hinfallender Mensch (Hayes 1854) sicher sind, fuhren jedoch nicht selten ebenso große Verlegenheiten herbei, wie die epidemisch unter ihnen ausbrechenden Krankheiten, die plötzliche Abnahme ihrer Kräfte, ihre Widersetzlichkeit, endlich ihre rücksichtslosen Desertionen. Dessenungeachtet sollte eine Expedition nie auf dieses wichtige Hilfsmittel verzichten. Renthiere konnten wir weder fangen, noch abrichten und ernähren; so blieb uns nichts übrig, als die Schlitten selbst zu ziehen. Dessenungeachtet haben wir auf fünf Reisen dieser Art fast 1000 Meilen zurückgelegt. Unsere Ausrüstung war sehr mangelhaft. Zum Schutz gegen die rauhe Witterung hatten wir uns Seehundsröcke genäht, und da wir sie ohne vordere Oeffnung durch ein Loch über den Kopf zogen, waren wir gegen den Wind einigermaßen geborgen. Pelzkapuzen, Gesichtsmasken, Aus Flanell mit kleinen Oeffnungen für Augen und Mund. Die Nase wird besonders eingesetzt. Zu längerem Gebrauch eignen sich jedoch diese Masken nicht, weil sie vereisen. Auf die Details der Ausrüstung einer Schlittenexpedition wird übrigens bei der österreichisch-ungarischen Expedition hingewiesen. Pelzhandschuhe und Segeltuchstiefel vervollständigten unsere Abwehr gegen die Kälte. Zelt und Schlafsack waren zu klein ausgefallen, ein Versehen, das sich bitter an uns rächte. Zur Bereitung der Mahlzeiten in einer eisernen Kochmaschine nahmen wir 60 Flaschen Spiritus mit uns. Der Proviant bestand aus etwas Chocolade, boiled beef, Schinken, Butter, Schmalz, Salz, schwarzem Hartbrod, Pemmikan, Fleischextract, Hülsenfrüchten und Einbrennmehl. Dazu kamen noch 20 Flaschen Cognac. Die Hülsenfrüchte wurden an Bord gekocht, auf Deck dem Gefrieren überlassen, in Stücke geschlagen und in einen Sack geworfen. Der Schlitten mit 166 Pfund Eigengewicht, Instrumente, Schlafsack, Zelt, Verpackung, Hammer, Axt, Schaufel, Brechstange, Apotheke, 5 Pfund Privatgeräth per Mann, 3 Wänzl-Gewehre und 200 Patronen bildeten das sogenannte todte Gewicht.

Wohlan! Es ist der 8. März. Probefahrten mit dem so beladenen Schlitten sind befriedigend ausgefallen; die Temperatur von -20 bis -28° R. gewährt zwar noch keine Aussicht, daß es bald beträchtlich wärmer werde, noch weniger die Hoffnung, daß die einen so großen Theil der Zeit raubenden, unbeschreiblich furchtbaren Schneestürme aufhören würden; allein die Zeit ist zu kostbar, wir haben bereits 10 Stunden Tag, der Schlitten ist gepackt, die Reise wird angetreten. Während des Marsches geschieht die Orientirung und Aufnahme mittelst absoluter Ortsbestimmungen, nach Umständen auch auf trigonometrischem Wege. Näherte man sich beim Ablesen den Kreisen des Theodoliten, so waren diese durch Athmen und Gesichtsausdünstung im Nu dicht bereift, die Loupen des Nonius oder des Oculars am Fernrohr mit einem Frosthauch überzogen. Die Beobachtung durfte daher nur mit zurückgehaltenem Athem geschehen. Indem ich im Folgenden jede Einzelnheit einer solchen Situation zu schildern versuche, werde ich zum Schluß auf die Ergebnisse und Vorfälle der Reise selbst zurückkommen.

Das Wetter ist prächtig; am Himmel ziehen leichte Wolken hin, ein mäßiger Wind weht von Norden her über die harte Schneedecke. Der Schlitten gleitet in hohen knisternden oder klingenden Tönen darüber hinweg, aus denen man bis zu einem gewissen Grad die jeweilige Kälte errathen kann. Dort am nächsten Felscap, jenseits dessen das Schiff sich dem Blicke verbirgt, kehren die zurückgebliebenen Genossen heim, nachdem sie den zeitlich Verbannten das übliche Geleit gegeben. Bald sind die Cigarren, mit welchen Jedermann die Reise introducirt, und die Flasche Schmelzwasser, eine Gabe, die man dem Wohlwollen des Schiffskoches verdankt, überwundene Standpunkte. Allmälig gewöhnen sich die Ziehenden an das rauhe Gebläse; die Colonne, in drei Reihen mit convergirenden Zugsträngen abgetheilt, gewinnt jenen gleichmäßigen Takt, jenes Tempo der Resignation, welches mit dem Einfrieren des bescheidensten Wunsches identisch ist. Zunächst wird das Auge durch den Lichtreiz der weißen Flächen, durch den Abgang eines Maßstabes zur Beurtheilung der Entfernungen und durch die Eintönigkeit der Landschaft gequält. Vierzig bis fünfzig Meilen entfernte Küstengebirge behält man Tage lang in Sicht. Aus unbedeutenden Erhebungen über die endlosen Schneeflächen wachsen erst im Lauf der Stunden stattliche Eisberge empor, hinter deren Leibern ungeheure Schneewehen lagern. Als rasch gesteigertes Uebel tritt der Durst auf. Das durch die Anstrengung des Ziehens beschleunigte Athmen veranlaßt bald eine belästigende Trockenheit der Luftröhre und des Mundes, weil die sehr kalte, folglich nur wenig Feuchtigkeit enthaltende Luft ein-, dagegen warme, mit Feuchtigkeit vollständig gesättigte, wieder ausgeathmet wird.

Schwierig ist das Einhalten des Curses, sobald die Schneeflächen mit einer, wenngleich nur wenig hohen Nebelschichte überdeckt sind. Es ist dann, gleichwie bei einem heftigen Schneegestöber, nicht anders möglich, als nach dem Compaß zu gehen; nur zuweilen kann diese ermüdende Weise, vorwärts zu kommen, durch die Benützung momentan sichtbarer Eisberge als Directionsobjecte unterbrochen werden. So lange Nordstürme die Jahreszeit beherrschten, konnten wir uns auch nach den mächtigen Schneefurchen zurechtfinden, ähnlich den Bewohnern Sibiriens, welche die Tundry auf ungeheure Ausdehnung hin durchziehen, ohne irgend einen andern Leiter in der unterbrechungslosen Einöde, als diese, von den vorherrschenden Winden wellenförmig aufgeworfenen Schneestreifen. Die Strahlenbrechung veranlaßt die seltsamsten Verzerrungen des Landes. Bald erscheinen entlegene hohe Inseln, wie auf einem 1000 Fuß hohen Sockel aufgestellt, aus Kegelbergen werden Quaderformen; säulenartig ragen die Eisgruppen zu vielfach vergrößerter Höhe empor, die Linien der Gebirgskämme nehmen eine furchtbare Wildheit an, ihre Spitzen werden zu Pfeilen, jeder Gipfel droht umzufallen. Die so verzerrten Bilder besitzen rasche Beweglichkeit, wachsen zu doppelter Höhe, fließen in einander; sie schaffen das scheinbar untrügliche Bild eines Landes, welches allerdings existirt, doch nicht dort, wo man es wahrnimmt ( Fata Morgana). So geschah es, daß wir unter dem 77. Breitengrad fast einen ganzen Tag einem Lande zumarschirten, dessen Einzelnheiten, Schneerinnen und Felszüge, wir unbestreitbar erblickten; doch als wir Abends aus dem Zelte traten, war es verschwunden. Eine in physikalischer Beziehung ähnliche Erscheinung, die man auf Frühjahrsreisen häufig beobachten kann, die der Nebensonnen, entsteht durch die Refraction des Sonnenlichts in den in höhern Luftschichten schwebenden Eiskrystallen. Die Nebensonnen bilden sich zuweilen zu doppelten Ringen um die Sonne (Höfen) mit farbigen Bogenstücken, auch mit lichten, von der Sonne ausgehenden horizontalen Streifen aus. Die rothe Farbe ist stets im Innern dieser Bögen, nach außen zeigen sich Uebergänge in Blaßgrün und in ein sehr lichtes Himmelblau. Diese Erscheinung wird von einem sehr intensiven Gelb im Innern des ersten, von einem Gelbgrau innerhalb des zweiten Kreises begleitet und findet nur bei einem gelben, dunstigen Himmel statt, der mit verwaschenen Strati leicht bedeckt ist.

Zu den Unannehmlichkeiten einer polaren Schlittenreise gehört vor Allem die Monotonie der Existenz. Die Conversation von Männern, die vorgebeugt in den gespannten Zugsträngen liegen, kann nicht sehr lebhaft sein. Unausgesetzt währt der Kampf mit dem Wärmeverlust, in hundertfacher, beständig wechselnder Weise macht sich das Kältegefühl geltend. Bald erstarrt das Kinn, es tritt eine schmerzliche Spannung der Stirne, ein heftiges Stechen des dem Winde zugekehrten Nasenflügels ein; stets läuft man Gefahr, die Ferse, Fußspitzen oder Hände zu erfrieren. Die Gesichtshaare, ja selbst die Augenwimpern bereifen sich, verschließen das Auge oft völlig; jede erfrorne Körperstelle muß sofort, bis zum Eintritt prickelnder Erwärmung, mit Schnee gerieben werden. Wenn nun, wie es Manchem aus der Reisegesellschaft geschah, der Hände oder Füße erfroren hatte, das Reiben mit Schnee zu spät angewandt wurde, so führte dasselbe nur zu zahlreichen Blasen. Die Finger schwellen an, werden gefühllos; die Nase hingegen, die wir sämmtlich erfroren, kam besser weg, sie trat aus dem weißen in ein rothes Stadium vergrößerter Dimension, dann überzog sie sich mit einer pergamentartigen Haut, blieb eine Zeit sehr empfindlich und erlangte nur allmälig wieder ihren normalen Zustand. Die Eigenwärme, welche man durch die Kleidung, insbesondere durch vieles Wollenzeug zu erhalten trachtet, bläst der leichteste Wind geradezu fort. Nimmt er zu, so tritt das Kältegefühl zwischen jedem Knopfintervall der Seehundskleidung auf, die andringende Eisluft wird an jeder Naht fühlbar, die Arme hängen erkaltet »bleiern« herab, Niemand vermöchte ohne einen besondern Schutz des Gesichtes zu marschiren. Steigert sich die Stärke des Windes, erheben sich vom Boden Schleier durchdringender Schneekrystalle, so ist ein Schneesturm zu erwarten, der durch ein weißes Segment des südlichen Himmels, durch den violetten Ton der nahen Berge und tief ziehende Wolken sich anzukündigen pflegt und stets von Norden kommt. Noch darf man es wagen, gegen die sich verdichtende Schneefluth anzumarschiren; aber bald mahnen Atembeschwerden und das Steifwerden der Glieder zum Aufschlagen des Lagers.

Unter gewöhnlichen Verhältnissen wird dasselbe auf einer ebenen Schneefläche gegen 6 oder 7 Uhr Abends errichtet und vor Eintritt der Dunkelheit bezogen. Es wird bewerkstelligt, indem man mit der Schaufel rasch eine Grube aushebt, darin das Zelt aufstellt, die ausgesprengten Schneeblöcke zu seiner Sicherung rings aufbaut und den Schlitten als Brustwehr gegen die Sturmseite benützt. Nachdem der Schlafsack im Innern des Zeltes ausgebreitet, das Privatgut geordnet, der Kessel vom Koch mit Schneestücken vollgestopft, die Lampe angezündet und die Abendration ausgetheilt ist, wird das Nachtlager auch von den Gefährten bezogen, die durch die rasch gesteigerte Kälte des Abends außerhalb empfindlich zu frieren begannen. Schon während der letzten halben Stunde des Marsches war Jeder beschäftigt, den zu einem Eisklumpen umgewandelten Bart mit der Hand aufzuthauen, damit dies nicht erst während des Kochens geschehe und die Kleidung durchnäßt werde. Hat die Gesellschaft die Plätze im Zelt eingenommen, so werden dessen Oeffnungen mit Haken geschlossen und die Vorbereitungen für die Nacht getroffen. Wechselseitig werden die an die Strümpfe angefrornen Segeltuchstiefel, nun zu Kopfpolstern bestimmt, mit der Hand aufgethaut, mühsam losgerissen, die schneebereiften Strümpfe abgeschabt, ausgezogen und auf der Brust verwahrt, um sie durch die einzig disponible Wärmequelle, die Eigenwärme, zu trocknen und am folgenden Tage in gleicher Weise zu verwenden. Endlich haben sich Alle in den Schlafsack hineingezwängt. Jeder liegt theilweise auf seinem Nachbar und harrt, auf den bescheidensten Raum beschränkt, auf das Abendbrod. Doch erst nach einer Stunde ist der tief erkaltete Schnee in der Kochmaschine geschmolzen, nach einer zweiten das Abendmahl fertig; gierig und möglichst heiß genießt man es. Die Dampfentwicklung während des Kochens, welches bei großer Kälte ein Pfund Spiritus in Anspruch nimmt, bewirkt, daß man, wie in einem Dampfbad, von seinem Nachbar absolut nichts sieht; die Zeltwände werden gänzlich durchnäßt, die Temperatur steigt innerhalb momentan bis +2° R. Die Feuchtigkeit der bereiften Decken und Kleider nimmt zu, die Oeffnung der Zeltthüre führt sofort Schneefall herbei, und nach Beendigung des Kochens vereist Alles, oder es wird mit einer dicken Schneekruste belegt.

Es ist 8 oder 9 Uhr geworden; die geringe Ration einer aus Hülsenfrüchten und etwas boiled beef bereiteten Suppe ist nicht im Stande, den täglich wachsenden Hunger zu stillen. Der Schlaf soll ihn ebenso vergessen machen, wie den quälenden Durst; bei dem kargen Spiritusvorrath ist es nur selten statthaft, ein kleines Extraordinarium an Wasser zu bereiten. Während des Marsches tragen Einige schneegefüllte Gummi- oder Blechflaschen am bloßen Leib, und zwar an der der Sonne zugewandten Seite; sie müssen mit dem Laufe derselben am Horizont, am Leibe verschoben werden und liefern nach vielen Stunden nichts, oder nur einige karge Löffel Schmelzwasser.

Zuletzt hat sich auch der Koch, nachdem er den Kessel ausgekratzt, einen Platz im Schlafsack geradezu erkämpft. Die Seitenlage auf dem einschlafenden Arm ist die einzig mögliche, heute liegen Alle links, morgen Alle rechts; – Sondergelüste, wie z. B. Rückenlage, erfahren gemeinsamen Protest, ebenso jede Bewegung, ist einmal der Zustand der allgemeinen passiven Versunkenheit oder Erstarrung stillschweigend angenommen. Aus acht Menschen ist eine einzige Masse geworden. Die Nase wirkt nicht mehr bloß als Condensator, wie auf einer Herbstreise; sie wird zum Kältepol. Ein auf sie gelegtes Sacktuch vereist, ist jedoch noch immer dem Versuch, sich zu schützen, vorzuziehen, indem man den Kopf in den Sack untertaucht. Der Mund als Quelle der Ausdünstung muß geöffnet bleiben; doch die Zähne erkalten so sehr, daß sie das Gefühl von eben so vielen Eiszapfen verursachen und die Gesichtsmaske an den langen Bart anfriert. Schneidende Kälte durchdringt den Schlafsack; im Innern des Zeltes sinkt die Temperatur auf -12 bis -15° R., der Körper wird der künstlichen Erwärmung durch die stattgehabte Bewegung und die heiße Nahrung schnell wieder verlustig. Die natürliche Folge dieser Temperaturverhältnisse ist ein gegen Morgen steigendes Frostgefühl. Der Sack hat sich tagsüber am Schlitten gründlich erkältet; durch unsere eigene Wärme soll er nun wieder erwärmt werden. Er ist in eisenharte Falten gefroren; wer auf sie zu liegen kommt, liegt wie auf Latten, erst gegen Morgen verlieren sie an Schärfe. Einer oder der Andere trägt die schneegefüllte Gummi- oder Blechflasche auf dem bloßen Leibe! Der Athem condensirt sich an der, unmittelbar oberhalb des Gesichtes abfallenden Zeltwand in langen Schneegeweben, welche bei der geringsten Bewegung herabfallen. Dieser unbehagliche Zustand erreicht sein Maximum während eines oft drei Tage anhaltenden Schneesturmes. So lange er als Orkan auftritt, kann Niemand das Zelt verlassen, ohne Gefahr fortgeblasen zu werden. Diese grönländischen Stürme gleichen tropischen Orkanen; nur führen sie eine furchtbare Schneefluth mit sich, welche die Sonne völlig verdunkelt. Ein leeres Zelt würde binnen kurzer Frist fortgeweht werden, nur seiner innern Belastung verdankt man seine Erhaltung. Im Innern desselben herrscht große Bedrängniß.

Der Wind verringert den ohnehin beengten Raum noch mehr, indem er die Wände tief eindrückt. Durch das Gewebe, aus den Nähten, aus der kleinsten Oeffnung sprüht, eine feine Schneekörnerfluth, ergießt sich wie Mehl aus der Mahlmaschine und sammelt sich an der Innenfläche des Zeltes in anhaftenden Massen, die in Folge zunehmenden Gewichtes zu kleinen periodischen Lawinen werden. Allmälig bildet sich eine zollhohe Schneelage auf dem Sack, in welchem wir das Ende des Sturmes abwarten müssen; wir schaben sie zwar mit dem Messer weg, doch entsteht sie rasch von Neuem. Mitunter beginnt dieser Schnee zu schmelzen, die Kleider zu durchdringen; wie das Fell eines aus dem Wasser tauchenden Seehundes, sind die Kleider der sich aus dem Sack Erhebenden völlig durchnäßt. Bei fortgesetzter Temperatursteigerung schmilzt auch der Schnee, auf dem man liegt; der Sack wird sogar von unten naß, bis zum Sommer nicht wieder trocken und gefriert am Schlitten in jene gefürchteten Falten. Wiederholt empfanden wir den Mangel an Gummidecken. Viele der hier genannten Beschwerden entsprangen, wie schon erwähnt, lediglich aus dem Umstande, daß die Expedition für Schlittenreisen gar nicht ausgerüstet war, daß kein einziges taugliches Geräth hiefür sich an Bord der »Germania« befand. Das Material hiezu mußte erst während der Reise nothdürftig beigeschafft werden. Bei der Vereisung des Franz Joseph-Landes drei Jahre nachher schlief ich bei der furchtbarsten Kälte ohne übergroße Beschwerde, weil unsere Ausrüstung vortrefflich war. Wird diese vernachlässigt, treten für Polarreisende zuweilen jene »folternden rheumatischen Beschwerden« ein, welche Wrangel, der sie selbst erlitt, seinen Schlittenfahrten im Eismeer zuschrieb. Der Kochtopf ist leck geworden, auf dem Sack bildet sich ein kleiner See; die gelöthete Spirituslampe rinnt, wiederholt bedroht sie das Zelt mit Feuersgefahr. Die Vernichtung desselben während des Sturmes wäre das Werk eines Moments. Der Koch klagt, verbrennt sich die Finger, die er gestern erfroren; seine Thätigkeit ist einer unausgesetzten Kritik unterworfen, zu welcher der allgemeine Hunger reizt. Jedermann harrt des großen Augenblicks, wo das Essen bereit ist. Alle Lebensmittel sind steinhart gefroren, in einer Nacht begann selbst Cognac zu gefrieren. Büchsenfleisch und Schinken werden mit dem Beil zerschlagen, Butter läßt sich unbedenklich in der Westentasche unterbringen, – unter Verhältnissen, wo das Thermometer in der innern Rock- oder Hosentasche gewöhnlich -6° bis -10° R. zeigt.

Wehe dem Unglücklichen, der endlich nach zweitägigem Ausharren die Gelegenheit einer momentanen Abnahme des Sturmes benützen muß, um ins Freie zu kommen! Er wird fast umgerissen, von der schneeerfüllten Luft fast erstickt, geräth in Schneewehen, vermag das Auge nicht zu öffnen. Starr vor Kälte, weiß wie ein Müller, kehrt er zurück. Er ist der Gegenstand des Entsetzens und der Verwünschung für seine Nachbarn im Sack; er beabsichtigt ja ihre Wärme zum eigenen Aufthauen zu verwenden. Das beim Oeffnen der Zeltthüre hereingewehte Schneepulver ist durch alle Kleider gedrungen, die Felle müssen mit dem Messer abgeschabt, eingetretene Erfrierungen durch Reiben beseitigt werden. Erst nach einer Stunde ist die Störung und Aufregung überwunden, welche ein solcher Gang ins Freie nach sich zieht.

Und in solcher Situation wartet man nicht selten 2 bis 3 Tage lang, dicht gedrängt hockend, mit erstarrenden Händen, die Handschuhe oder Strümpfe ausbessernd, dem Gefrierpunkt nahe, vermummt, den Bart voll Eis, beengt durch ein Chaos gefrorener Kleidungsstücke und Stiefel, durch die zusammengeschrumpfte Decke, endlich schlimmer als Alles, fastend; denn entgeht dem Zweck der Reise ein Theil der Zeit durch Stürme, so läßt sich dieser Verlust nur durch Reduction der Rationen einbringen, die in dem Fall oft in nichts, als in einer dünnen Abendsuppe bestehen. Am meisten leiden jedoch die Schneeblinden Stets solche, die ihre Schneebrillen zerbrachen. während eines solchen Lagers, wenn auch das Rauchen aus Rücksicht gegen sie unterbleibt. Auf dem Marsche können sie der Kälte wegen keine nassen Umschläge tragen; die einfache Binde dagegen befreit nicht von dem glühenden Schmerzgefühl. Das Auge auch nur einen Augenblick zu öffnen, ist unmöglich. Doch auch die Blinden müssen mitziehen, da die Schlittenlast die Anspannung aller Kräfte erfordert. Wer hier erkrankt, dem wäre überhaupt besser, er läge unter Schakalen in der Wüste.

In der Regel wird Morgens gegen 5 Uhr aufgebrochen; dünner schwarzer Kaffee mit kaltem, seine erwärmende Eigenschaft vernichtendem Brodstaub Das mitgeführte Hartbrod zerfällt durch das Aus- und Abladen der Säcke in Staub. wird zu einem Brei vermengt eingenommen; dann folgt das umständliche »Klarmachen« der Kleidung für jeden Witterungsgrad. Die gefrornen Stiefel werden mit der Hand aufgethaut, ihre Falten, ihr Inneres gleich dem des steif gewordenen, biegsam zu klopfenden Zeltes vom Schnee befreit. Dieselbe Behandlung erfährt der Schlafsack, welchen wir als Zeichen unsers Abscheues und wegen seiner durch Vereisung täglich wachsenden Last »das Walroß« nannten. Die durchnäßte Seehundskleidung gefriert im Freien sofort; Feuchtigkeit condensirt sich an den Haaren in dichten Frostblüthen. Mit geschabtem Schnee wird das Gesicht abgerieben; eine andere Art, sich zu waschen, verhindert der Wassermangel. Bei Wind geschieht dies mit Gefahr, die Hände zu erfrieren. Nach jedem Schneesturm müssen Schlitten und Zelt ausgegraben, ihr Inhalt mühsam gereinigt werden. Ungefähr nach zwei Stunden ist Alles dies geschehen; die Zugstränge werden mit Befriedigung aufgenommen, als sehnsuchtsvoll herbeigewünschte Erlösung von der Pein des Nachtlagers, der angefrorene Schlitten wird losgerissen, die Reise fortgesetzt. Sie führte uns nach 23 Tagen zum 77. Breitegrad, dem nördlichsten an der Ostküste Grönlands erreichten Punkt. Doch nehmen wir jetzt die Erzählung unserer Fahrt wieder auf.

Am 8. März zogen wir mit zwei Schlitten und zehn Mann aus; der kleinere mit vier Mann bespannt, sollte uns eine Woche lang begleiten, mit Lebensmitteln versehen, und nach Hinterlegung eines Depots an der Ostküste von Hochstetter's Vorland nach dem Schiffe zurückkehren. Wir wähnten die Reisedauer so auf 50 bis 60 Tage ausdehnen zu können. Schon am ersten Tage wurde das Fortkommen durch scharf berandete Schneewogen so beschwerlich, daß wir die Schlitten nur mit halber Ladung, also mit dreifacher Zurücklegung des Weges, fortzuschaffen vermochten und nicht weiter kamen, als bis zum Nordende der Sabine-Insel. Hier schliefen wir bei -28° R. Am folgenden Tage kam scharfer Nordwind; die Bahn wurde rauher, wir waren nicht mehr im Stande, den großen Schlitten mit nur sechs Mann fortzuschaffen. Wir vergrößerten daher das Zelt, – während Schneetreibens und der Kälte eine peinliche Arbeit, obgleich wir uns beim Nähen ablösten – und setzten dann die Reise mit acht Mann und nur einem Schlitten nach Norden fort. Der andere Schlitten und die übrigen zwei Mann kehrten zum Schiffe zurück. Allein auch am 10. März mehrten sich die Uebelstände; der Wind drohte der Vorbote von Stürmen zu sein, die holperige Bahn brachte den Schlitten bei jedem Schritt in Gefahr zu zerbrechen; daher kehrten wir nach dem Schiff heim, um das Unternehmen unter günstigeren Aussichten zu erneuern. Nahe dem Hafen sahen wir einige Jäger einen Eisbären verfolgen, der mit katzenartiger Gewandtheit an den Abhängen des Germania-Berges emporkletterte. Er gehörte zu der Gruppe derjenigen, welche schon seit einigen Wochen das Schiff gleichsam belagerten. Am 12. März holten wir die am Nordende der Sabine-Insel zurückgelassenen Schlitten und errichteten daselbst ein Lebensmitteldepot. Die furchtbaren Schneestürme der nächsten Tage ließen uns den Zeitverlust verschmerzen; sie zeigten, wie erfolglos die Fortsetzung unserer Reise gewesen wäre.

Das Zelt wird während eines Schneetreibens vergrößert.

Endlich am 24. März glaubten wir an eine günstige Aenderung der Witterungsverhältnisse; somit verließen wir das Schiff zum zweiten Male. Sechs Mann: Ellinger, Herzberg, Mieders, Klentzer, Wagner, der Zimmermann, die Führer K. Koldewey und ich zogen den großen, vier Mann: Sengstacke, Krauschner, Iversen und der Bootsmann zogen den Begleitschlitten. Wie schon vordem, überzeugten wir uns auch diesmal von der milderen Temperatur im Hafen, gegenüber jener der großen, nördlich der Sabine-Insel gelegenen Schneewüste. Sengstacke erfror noch an demselben Tage den rechten Fuß gänzlich; alle während der Nacht durch Schneereiben angewandte Mühe war erfolglos. Der Begleitschlitten mußte am folgenden Tage zurückkehren, für uns ein großer Verlust. Mit möglichster Vermehrung unseres Proviants, durch die Uebernahme vom anderen Schlitten, setzten wir die Reise fort. Allein schon am 27. März hielt uns ein Schneesturm im Zelt zurück; am 28. März Nachmittags zerbrach der Schlitten, so daß eine Kufe unter ihm liegen blieb. Er wurde mit vieler Mühe reparirt; aber die heftigen Schneestürme am 29. und 30. März gestatteten uns nicht, das Zelt zu verlassen. Am 31., nach einer qualvoll verbrachten Nacht, durchzogen wir die Straße zwischen Hochstetter's Vorland und der großen Shannon-Insel, von der aus uns eine Gruppe Moschusochsen staunend nachsah. Bei einem großen Eisberg angelangt, benutzten wir das sonnige Wetter einer Mittagsstunde, unsern gänzlich vereisten Schlafsack auszuklopfen. Leider brachte dies auch für die folgende Nacht keine Erleichterung; die tiefe Temperatur, welche er dabei annahm, raubte uns in Anbetracht der mangelhaften Bekleidung mit Wollwäsche den Schlaf.

Den gerade von Nord nach Süd streichenden Küstensaum von Hochstetter's Vorland passirten wir nahe genug, um eine leider erfolglose Jagd auf eine Herde Moschusochsen zu unternehmen. Sobald sich die Jäger auf 200 Schritte genähert hatten, bildeten die Thiere das übliche Quarré, nahmen die Jungen in die Mitte, ergriffen jedoch darauf sämmtlich die Flucht und erneuerten diese Taktik, sobald man ihnen folgte. Werthvoller war eine geologische Excursion nach den kleinen Thalrissen des wellenförmigen, wenige Hundert Fuß aufsteigenden Landes, dessen völlig horizontal geschichtete, glimmerreiche Sandsteine (mit Steinkernen von Bivalven) der mesozoischen Formation angehören, Lager von Liaskohle enthalten und von einem den krystallinischen Massen der höheren Gebirge ausgehenden Strome erratischer Blöcke überlagert sind. Dunkle, zum Theil syenitische Gneise, auch röthliche Abarten spielen dabei eine Hauptrolle. Abends traten die etwa 2000 Fuß hohen Koldewey-Inseln in wilden Formen, durch die Refraction verzerrt, über den Horizont. Gegen den zunehmenden Wind suchten wir uns durch energisches Schlittenziehen zu erwärmen; allein Nase, Füße und Hände wurden dabei, wie auch später beim Zeltaufschlagen, sehr gefährdet.

Die zurückgelegte Strecke hatte in der letzten Zeit täglich 8 bis 12 Meilen betragen; wir hatten das Nordende von Shannon überschritten und sahen vor uns Eisberge in wachsender Zahl. Am 2. April hielt uns abermals ein Schneesturm im Zelt zurück; am 3. erreichten wir das Nordende von Hochstetter's Vorland, d. h. die nördliche Grenze Grönlands, soweit nämlich dieses bisher erforscht ist. Die Halbinsel Haystack, von Clavering irrthümlich für eine Insel gehalten, ein 700 Fuß hoher Kegel, gegen Nordwinde als Schneefang dienend, lag vor uns, an ihrem südlichen Fuße ein schneefreies Glatteisgebiet. Als wir dieses erreichen, brach unser Schlitten zum zweiten Male. Wir bestiegen den Gipfel der Halbinsel, welche bis etwa 500 Fuß mit erratischen Blöcken jüngerer Formation überschüttet ist, und gleich den hohen Kämmen der Küstenfront aus einem, mit Amphibolit wechsellagernden, durch rothen Feldspath ausgezeichneten Gneis besteht. Die karge Vegetation zeigte bereits junge Triebe. Von der Spitze aus gewahrte man nach Nord eine große Einbucht, Bessel-Bai, mit den Mündungen mehrerer Fjorde, nach Ost nichts als Eis und das Nordende von Shannon mit den sanften Bogenschwingungen seiner Berge. Clavering's Roseneath-Inlet war nicht zu sehen. Nahe im Südwesten zog sich eine schöne, nach Süd geöffnete Bai hin. Ihrer Lage nach wäre man geneigt gewesen sie für den schönsten Winterhafen zu halten. Und dennoch, welcher Gefahr wären wir verfallen, wenn wir diese Bai im verflossenen Sommer eisfrei gefunden und bezogen hätten! Jetzt war sie mit Eis dicht verschlossen, gewiß für Jahre. Ueberall lag mehrjähriges Eis.

Noch im Laufe des nachmittägigen Marsches hatten wir eine, wenngleich nicht erfolgreiche Bärenjagd bestanden; es war eine Bärin mit zwei Jungen, letztere Pudeln nicht unähnlich. Weithin sichtbar durch ihre schmutziggelbe Farbe und ihre schwarze Nase, waren sie auf uns zugeeilt; doch vertrieb sie das aus übertriebener Befürchtung schon auf 400 Schritt begonnene Feuer. Am 4. April überfiel uns ein Bär Morgens im Zelt, büßte jedoch seine Frechheit mit dem Leben; er lieferte eine Kanne Fett zum Brennen und viel Fleisch, von dem wir sogleich eine große Menge roh genossen. Zum ersten Male trat Schlafsucht ein; bald zog der Eine, bald der Andere mit geschlossenen Augen.

Nachmittags begann wieder Schneetreiben aus Nord; einige Stunden marschirten wir gegen dasselbe an, als es jedoch immer mehr zunahm, schlugen wir das Zelt auf. Der eingetretene Schneesturm, der auch den 5. April hindurch währte, hielt uns darin gefangen. Eine unerwartet plötzliche, wenngleich nur einige Stunden anhaltende Temperaturerhöhung thaute den Schnee innerhalb des Zeltes auf und versetzte uns in eine unerquickliche Lage. Am 6. April überschritten wir den 76. Breitegrad und erreichten den flachen Bergfuß des Cap Ritter, am Nordende der fjordreichen Bessel-Bai. Den Strand bildete Glimmergneis, wechsellagernd mit Amphibolit, durchbrochen von einem sehr grobkörnigen Ganggranit mit rothem Orthoklas, grünem Oligoklas und schwarzem Glimmer. Auf der Südseite des Vorgebirges trafen wir Knochenreste von Meeresthieren und die Ueberbleibsel einstiger Eskimo-Wohnungen. Es waren Sommerzelte, markirt durch in Kreis gestellte Steine, unter welche man einst die Felle geschoben und durch eine Centralstütze aufgerichtet hatte. Unsere Bahn hatte inzwischen den Charakter abgerundeter Eishöcker angenommen. Heftige Bewegungen des Schlittens innerhalb derselben veranlaßten, daß wir die Kanne mit Bärenfett verloren. Abends erreichten wir das Südende der von begletscherten Felsmassen umgürteten Roon-Bai.

Die »Die Bessel-Bai«.

Von hier an nahmen die Eisberge an Zahl und Höhe zu. Ihr Auftreten auf offener See erfolgt unregelmäßig, da die Vereisung der Baien und Fjorde ihre Communication mit dem Polarstrom oft für Decennien absperrt, in Folge dessen die Eisberge zu einer Masse mit dem Flächeneis zusammenwachsen, bis sie durch Stürme befreit werden. Es ist auch möglich, daß die ostgrönländischen Eisberge vorzugsweise durch die Sunde des Binnenlandes nach Süd hinabziehen. Capitän Koldewey fand nachher an der Mündung des Kaiser Franz Joseph-Fjords, daß die Eisberge durch die verringerte Meerestiefe an der Außenküste verhindert werden, den Fjord zu verlassen, und erkennt darin mit Recht den Grund, warum man im ostgrönländischen Meere fern von der Küste keinen Eisbergen begegnet.

Gerade nördlich vor uns erhob sich eine an 3000 Fuß hohe Wand: das Teufelscap, deren schalig gebogene Gneisbänke in allen Farben wechselten. Hinter demselben schien die Küste nach Nordwest umzubiegen; allein gegen Abend enthüllten sich aus der bedeckten Luft in großer Ferne neue imposante Felsgebirge mit vorgeschobenen Inseln im Norden. Ob wir es mit einer insularen Auslösung überhaupt, oder mit einer ungeheuren Bai zu thun hatten, ließ sich nicht erkennen. Unsere Aufgabe gebot das Einhalten des äußeren Küstensaumes, von dem wir schon durch die Koldewey-Inseln abgetrennt waren. Daher setzten wir unsern Curs in Nordostrichtung fort. Ueberhaupt kann es bei solchen Reisen als nützliche Regel gelten, von der Küste, gelegentliche Bergbesteigungen ausgenommen, ungefähr 4 bis 8 Meilen entfernt zu bleiben. Man spart dadurch Umwege, vorspringende Caps werden nur tangirt, nicht cotoyirt, Irrfahrten vermieden, vor Allem die Orientirung und Aufnahme erleichtert.

Unser neuer Curs brachte uns noch am 7. April Abends in eine Wüste mit losem Schnee von zunehmender Tiefe, der unser Fortkommen plötzlich lähmte. Aeußerst effectvolle Nebensonnen mit doppelten Ringen schwebten über den Felskolossen der Roon-Bai und ließen ungünstige Witterung erwarten. In der That herrschte am 8. April Schneegestöber. Der Schnee, in welchen man trotz der Kälte immer tiefer einbrach, wurde endlich so hinderlich, daß wir 1½ Stunden zu einer Meile brauchten und die Querhölzer des Schlittens förmlich als Pflüge wirkten. Das gewöhnliche Uebel solcher Reisen, Durchfall, stellte sich ein. In der Nacht vom 8. zum 9. April überfielen Füchse den Rest des gefrorenen Bärenfleisches am Schlitten.

Am 9. erreichten wir nach ermüdendem Marsche die 6 bis 700 Fuß hohe Gruppe der Orientirungsinseln innerhalb der Dove-Bai. Von ihrem Gipfel aus erkannten wir, daß der Weg durch die engen Straßen im Norden der Koldewey-Inseln genommen werden müsse, um zum äußern Küstensaum zurückzukehren. Hohes Gebirgsland schloß den Hintergrund der Dove-Bai nach West und Nord; es war in seinen Thälern von breiten Gletschern erfüllt, von Fjorden durchbrochen, die höchsten Gipfel mochten etwa 6000 Fuß betragen. Möglich, daß diese Fjorde mit der Ardencaple- und den Sunden der Bessel-Bai communiciren. Große Eisberge, anfangs für Inseln gehalten, lagen innerhalb der weiten Bucht unterhalb eingeeist. Die Felsen der Orientirungs-Inseln zeigten bis zum Gipfel deutliche Polirung; in den abenteuerlichsten Stellungen, oft nur durch kleine Steine gestützt, ruhten ungeheuere erratische Blöcke auf den Kämmen. Die Blöcke schienen an Ort und Stelle niedergefallen, nicht hingerollt. Vielleicht waren sie einst, von Eisschollen getragen, auf den Boden des Meeres gefallen, und dieser hatte sich im Laufe der Zeit erhoben, oder das Niveau des Meeres gesenkt. Mehrstündige Arbeit hatte mich völlig erstarrt. Insbesondere bedarf das Zeichnen bei sehr tiefer Temperatur der Abhärtung; stets stellt es die Ausdauer auf eine schwere Probe, nur jahrelange Gewohnheit und die unabweisbare Notwendigkeit ermöglichen es. Oft arbeitete ich in früheren Jahren 8-12 Stunden auf den höchsten Alpengipfeln. Diese Schule befähigte mich später an mancher der in diesem Buche vorkommenden Illustration, selbst bei 20-35° R. unter Null stundenlang zu zeichnen, am Sonklar-Gletscher sogar bei -40°R., wenngleich minder lang. Abends kehrten wir zum Zelt zurück über Schneehänge, die mit Spuren von Bären und Schneehühnern bedeckt waren.

Am 10. April hielten wir die Richtung nach dem Nordende der Koldewey-Inseln ein; heftiges Schneetreiben, Schneeblindheit und Schlafsucht gestatteten nur geringe Fortschritte. Fast den ganzen Tag hindurch hielten wir das durch die Fata Morgana erzeugte Bild eines Landes für Wirklichkeit. Abends wurde Cap Helgoland erreicht; es besteht aus einem sehr dünnschichtigen Hornblendeschiefer mit deutlichen Spuren des Eisschliffs. Zum ersten Male sahen wir, trotz der niedrigen Temperatur, den Schnee an den Felsen bei der schon wirksamer gewordenen Sonne schmelzen. Am 11. April Morgens hatten wir wieder 26.4° R. unter Null. In fast nördlicher Richtung setzten wir unsern Weg fort und gelangten an das Ziel unserer Schlittenreise, in eine bergumringte Einbucht, die wir Sturmbai zu nennen begründete Ursache hatten. Am 12. April erstiegen wir ein etwa 1200 Fuß hohes Plateau nördlich von Cap Bismarck; heftiges Schneetreiben verhinderte jede geographische Ausbeute. Als wir zum Zelt zurückkehrten, brach ein wüthender Sturm los; er dauerte drei Tage und war von dichtem Schneefall begleitet. Während dieser Zeit aßen wir, unseres geringen Proviantvorrathes halber, fast gar nichts. Selten wurde die Fastenwoche (14. April, Gründonnerstag) strenger eingehalten, als diesmal von uns.

Der letzte Gang nach Nord.

Erst am 15. April konnten wir das Zelt verlassen. Das dreitägige Stillliegen hatte uns sehr geschwächt; mit Zurücklassung des Schlittens und einer Bedeckung traten wir den letzten Gang nach Norden an. Unser Proviant reichte nur mehr für vier Tage; es war unmöglich, die Rückkehr nach dem Schiffe noch länger aufzuschieben. Einige Moschusochsen, auf welche wir stießen, waren klug genug, die Schußweite des Systems Wänzl nicht an sich erproben zu lassen und hatten Ellinger zum Besten, dem sie jedesmal in Carrière durchgingen, wenn er ihnen auf großen Umwegen zu nahen glaubte. In tiefem Schnee legten wir den 24 Meilen langen Hin- und Rückweg nach einem 1000 Fuß hohen Berge zurück, der das Plateau der Küste überragte.

Wir hatten den 77. Breitengrad überschritten! Wie so manchem unserer Vorgänger, trat auch an uns, die wir ein sehnsüchtiges Verlangen trugen, den Schleier zu lüften, der die arktische Welt zum Theil noch verhüllt, das gebieterische: »Bis hieher und nicht weiter!« entgegen. Wie so Viele vor uns, erreichten auch wir ein Ziel, weit hinter dem, welches der kühne Flug der Phantasie vorausgesetzt.

Vergeblich spähten wir nach der Lösung jener Räthsel, welche die Wissenschaft von uns erwartete. Auf die einst aufgetauchte Vermuthung eines offenen Polarmeers vermochten wir, schon von unserm Standpunkt aus, abgesehen von anderen Gründen, nur verneinend zu antworten. Bis zum fernsten Horizont war das Meer mit einer völlig geschlossenen Eisdecke überzogen; eine Beobachtung mit dem Theodolit ergab, daß es bewegungslos lag, so daß wir die Schlittenreise, ohne den gedachten Proviantmangel, ungehemmt hätten fortsetzen können. Die äußere Küstenlinie setzte sich ungefähr in Nordrichtung fort; nach Nordwest schlossen begletscherte Bergreihen die Aussicht schon nach wenigen Meilen. Die Frage nach dem Nordende Grönlands hatte also durch unsere Reise keine Erledigung gefunden. Die große Zahl von Einbuchten gaben der Vermuthung, das Hauptmassiv des Landes biege, falls dieses doch ein Continent sei, vielleicht schon am 76. Breitengrad nach Nordwest ab, und wir hätten es am 77. nur noch mit vorgelagerten hohen Inseln zu thun, eben so weiten Spielraum, als der Annahme einer fast meridionalen Fortsetzung der Küste, welche unsere Karten schon seit Decennien verkünden.

Ein feierliches Gefühl ergreift selbst den nüchternen Menschen, wenn sein Fuß jungfräulichen Boden betritt, wenn vor seinem Auge sich der Anblick einer Welt entrollt, auf der noch niemals der Blick eines Europäers geruht hat. Die norddeutsche und die österreichische Flagge Dieselbe Flagge, welche vier Jahre später auf dem 82. Breitengrade im Norden des Franz Joseph-Landes entrollt werden sollte! wehten in leichtem Nordwind nebeneinander. Wir erbauten einen Cairn (Steinpyramide), der, wohl kaum wieder gesehen, erst nach Jahrhunderten verwittern wird, und hinterlegten darin einen kurzen Reisebericht. Capitän Koldewey hatte seine Studien über die Eisverhältnisse im Osten beendet, ich die Aufnahme; einige Moose, Flechten, Steinbrecharten und Musterstücke der anstehenden granitischen und syenitartigen Hornblendegneiße waren gesammelt worden. Dann traten wir den Rückweg an, geriethen in heftiges Schneetreiben, und nachdem wir erschöpft das Zelt erreicht hatten, begann der Schneesturm mit orkanartigen Böen. Aus der peinlichen Verlegenheit, in welche uns der Proviantmangel für die Rückreise versetzte, befreite uns inzwischen ein unerwartetes Glück. Es war nämlich den beim Zelte Zurückgebliebenen gelungen, zwei Moschusochsen zu erlegen, welche sie uns triumphirend zeigten. Mühevoll gesammelte Weiden gewährten einen willkommenen Zuwachs an Brennmaterial; diesem verdankten wir etwas Wasser, außerdem die Möglichkeit, etwas von dem Moschusochsenfleisch zu kochen. Das übrige Fleisch wurde von den Thieren geschnitten und nebst den Schinken auf den Schlitten geladen. Dieser Proviantzuwachs und ein wenige Tage darauf erlegter Bär reichten für unsere Bedürfnisse bis zum Schiffe aus. Allmälig hatten wir uns daran gewöhnt, Renthiere, Walrosse, Seehunde, Bären, Moschusochsen sofort nach dem Erlegen roh zu genießen; der Nahrungswerth des frischen Fleisches überwand die Unannehmlichkeit des Thrangeschmacks, es zu kochen, besaßen wir fast nie Spiritus genug.

Der Schneesturm hielt auch den 16. April an; die Temperatur stieg für einige Stunden plötzlich bis auf -6,4° R., was im Zelte lästiges Thauen des hereingefegten Schnees zur Folge hatte. Erst um 5 Uhr Nachmittags, als wir aufbrachen, wurde es windstill; fußhoch lag frischer Schnee, noch währte das Schneegestöber, die Wolken lagen dicht am Boden, das Teufelscap war nur für Augenblicke zu sehen. Der Rückweg bis Cap Helgoland ging schweigend und langsam vor sich. Dann gelangten wir in die große Schneewüste der südlichen Dove-Bai. Wir durchwateten sie während der Osterfeiertage, Schritt für Schritt durch die überkrusteten Schneefelder bis zum Schenkel einbrechend; trotz der größten Anstrengung legten wir nur ganz kleine Tagmärsche zurück. Keuchend lagen wir vorgebeugt in den Zugsträngen; mit Widerstreben folgte der sich tief in den Schneestaub einbohrende, fast ebenso schwimmende als gleitende Schlitten. Nachts blieb die Sonne nur kurze Zeit unter dem Horizont; wir marschirten während derselben, hielten um Mitternacht eine kurze, durch den Frost peinliche Rast im Zelte und schliefen am Tage. Glühend ging die Sonne am röthlichen Himmel kurz nach Mitternacht über den mattvioletten Gebirgen des König Wilhelm-Landes auf, rosig leuchteten die endlosen Schneefelder; der Wind jagte mit dichten Schneeschleiern gleich einer wallenden Bessemerfluth über die diamantsprühende Bahn hinweg. Die langen Schatten der durch die Schneemassen brechenden, sich heftig bewegenden Männer stießen in einander, es war dies Durchbrechen und Ziehen eine Arbeit für Verdammte; Dante hätte sie den Koryphäen der Hölle vorbehalten.

Während kurzer Rasten waren wir stets damit beschäftigt, das gefrorne Fleisch der letzten Jagdbeute zu spalten, mit dem Messer in kleine Späne, hart wie Eichenholz, zu zerschneiden und es in den Kessel mit der Suppe oder dem Kaffee zu stopfen, damit es darin aufthaue und genießbarer werde. Der vorher oft siedend heiß genossenen Nahrung wegen, waren unsere Zungen mit Beulen bedeckt. Der beständige Wechsel von Frost und Nässe, die fortdauernden Entbehrungen und die Vereisung des Schlafsackes wurden immer belästigender; zuletzt gingen wir meist ohne Stiefel in zerrissenen Strümpfen. Wer nach einem mehrtägigen Schneesturm aus dem Zelte trat, fühlte die Ermattung eines Reconvalescenten. Dazu gesellte sich Schlafsucht; Manche gingen mit geschlossenen Augen, man konnte nicht bestimmt sagen, ob sie zogen oder schliefen. Wenn wir hielten, sanken sie sofort in den Schnee und in tiefen Schlaf; natürlich mußten sie allsogleich geweckt werden. In Fällen dieser Art machen sich jene Tugenden geltend, welche den Seemann im Allgemeinen auszeichnen, unsern Matrosen aber in besonderem Maße eigen waren; ging ihnen doch ihr Capitän mit bestem Beispiele voran. Im Gegensatze zu dieser Wahrnehmung erinnere ich mich eines Falles, wo ein Mann auf einer Schlittenreise mit stoischer Geringschätzung auf solche Anstrengungen sah, der es vorzog, während seine Collegen in den gespannten Zugsträngen vorgebeugt lagen, gemächlich sein Tagebuch zu schreiben, und der die Last seiner Gefährten dadurch zu erleichtern suchte, daß er, den heimlich verzehrten Proviant ergänzend, die Säcke mit dem viel leichteren Schnee nachfüllte.

Als wir am 17. April Morgens das Lager aufschlugen, betrug die leicht zu durchstoßende Schneetiefe 4 Fuß. Am 18. April erreichte die Kälte wieder -20° R., unser tägliches Fortkommen betrug unter den erschöpfendsten Anstrengungen nur wenige Meilen. Stundenlang blieben verlassene Eisberge in scheinbar unveränderter Nähe. Erst am 19. April besserte sich die Bahn. Wir hatten gut geschlafen; der sonnige Morgen und die gemäßigte Kälte belebten unsere Stimmung. Am 20. April südlich vom Teufelscap wollte uns ein Bär im Zelt überfallen; allein wir erlegten ihn. Sein Fett gab uns etwas Brennstoff; schon waren wir darauf angewiesen, an den entfernten Küsten nach Weiden zu suchen, alles entbehrliche Holz vom Schlitten hatten wir bereits abgeschnitten. Am 22. April überfiel uns ein Bär während des Ziehens und wurde erlegt. Ein Stück seines Felles wurde mitgenommen, der abgeschlagene Kopf zu den übrigen gelegt. Darauf kam sturmähnliches Schneetreiben, ohne uns jedoch am Fortkommen zu hindern. Wir hatten den Wind im Rücken, ein aus den geleerten Proviantsäcken genähtes Schlittensegel erleichterte das Ziehen beträchtlich; ja eine Strecke weit liefen wir vor dem Schlitten einher, treibender Schnee verhüllte das Land bis zur Unsichtbarkeit. Dasselbe Wetter hielt auch am 23. April an; sein erstarrender Einfluß wurde durch einen einstündigen Aufenthalt bei der Halbinsel Haystack recht empfindlich, als wir uns lange vergeblich anstrengten, den Schädel eines auf der Hinreise erlegten Bären abzuhauen und mitzunehmen. Etliche Füchse nagten an dem eisenhart gefrornen Fleische; kaum ließen sie sich vertreiben, immer von Neuem kehrten sie zurück.

Zudringliche Füchse.

Die Temperatur, in den letzten Tagen auf -14° R. gestiegen, fiel am 24. und 25. April wieder auf -20° R. Einer der Matrosen, der Frankfurter Peter Ellinger, Leider ist dieser wackere Mann, bald nach der Rückkehr von der Expedition gestorben. Er war eine Zierde des Seemannsstandes, pflichttreu und standhaft. hatte sich die Hand erfroren, so daß ich mit ihm die Abtheilung Capitän Koldewey's verließ, um das 32 Meilen ferne Schiff und den Doctor daselbst sobald als möglich zu erreichen. Am 26. April gingen wir mit etwas Proviant und Schmelzwasser, das in einer Gummiflasche am Leibe verwahrt, bald gefror, nach Süd voraus, während der Schlitten langsam nachfolgte. Je näher wir dem Lande kamen, desto tiefer wurde der angewehte Schnee. Nahe der Sabine-Insel gewahrten wir die gefürchteten Anzeichen eines Schneesturmes. Dichte Schneeschleier erhoben sich vom Boden; weil wir uns ohne Pelze befanden, dachten wir schon daran, uns in den Schnee einzugraben. Doch legte sich der Sturm, als wir den Strand der Insel betraten; die Sonne blickte wieder strahlend über das Land. Wir rasteten wenige Minuten; Ellinger legte sich am aufgebrochenen Saum des Küsteneises nieder, ich setzte mich zu ihm, das Gewehr lag geladen mit gespanntem Hammer am Boden. Mit großem Behagen konnte man die sonnige Wildniß betrachten. Das durch die Fluth bewegte Strandeis begann zu flüstern und zu klingen; die Stimme eines Vogels in den Wänden oberhalb war zu hören, der erste Gruß der erwachten Schöpfung! Obgleich in Strümpfen, zogen wir über Felshänge, Blöcke und Schneehalden, über mehrere hohe Gebirgsjoche der Insel; von der Höhe des letzten Joches aus erblickte man den Winterhafen. Dort lag das eisumringte Schiff; die Küstenländer rings hatten ihr charakteristisches Braun angenommen, die weiße Winternacht abgestreift. Voll freudiger Erwartung näherten wir uns dem Schiff; es erschien größer und stattlicher als je. Mitternachts betraten wir es nach 21½stündigem Marsche; ein schwarzes Gesicht tauchte verwundert aus der Oeffnung des Maschinenhauses empor; es war das des Maschinisten Krauschner, der eifrigst beschäftigt war, die Maschine für die Sommerfahrt in Stand zu bringen. Die ungewohnten Tritte auf Deck riefen Copeland, Bürgen und Pansch bewaffnet herauf; mit großer Freude begrüßten wir uns wechselseitig. Sofort brach Sengstacke mit einigen Begleitern auf, ging dem Schlitten auf Koldewey's Befehl mit Proviant entgegen; Koldewey's Abtheilung war bereits ohne Proviant. am folgenden Tage (27. April) kehrten sämmtliche Abwesende zum Schiffe zurück.

Der Eintritt unter ein geheiztes Obdach bedarf nach einer solchen Unternehmung eines allmäligen Uebergangs. In der Cajüte angekommen, drang das Blut mit Wallung an die Peripherie des Körpers. Doch welche Wonne bot jetzt das Schiff, – eine Cajüte! – Sie war zwar zu einer Tischlerwerkstatt umgewandelt; aber man konnte darin aufrecht stehen, und es waren Kisten da, auf die man sich setzen konnte. Nach fünf Wochen wieder einmal die Möglichkeit sich auszuziehen, Kojen, Matratzen, Decken, kein Schlafsack mehr, – welche Menge von Bequemlichkeiten! Der außerordentliche Fall veranlaßte den Koch sogar, zu dulden, daß man unbeobachtet von seinem Schmelzwasser trank. Die größte Anstrengung erforderte die Sättigung. Stundenlang aßen wir ohne Unterlaß von Allem, dessen wir habhaft wurden, genossen gebratenes Bärenfleisch, Speck, Kraut, Brot, Butter, Käse, tranken Wein, Chocolade, schwarzen Kaffee etc.

Die Resultate dieser Reise Ihre Länge betrug sammt den Krümmungen 320 Meilen. bestanden in der Entdeckung des nördöstlichen Grönland: Kaiser Wilhelm-Land. Die von Capitän Koldewey ausgeführten Thermometerablesungen erwiesen, daß die Temperatur während der Reise um 2,2 °R. geringer, als gleichzeitig unter der Sabine-Insel war, was auf eine Temperaturerniedrigung nach Norden schließen läßt.

Noch Ende April umgab die »Germania« eine Eisdecke von 7 Fuß Dicke. Vor Mitte Juli stand unsere Befreiung und die Wiederaufnahme der Schiffahrt nicht zu erwarten. Die Zwischenzeit konnte nicht besser, als durch abermalige Schlittenunternehmungen ausgenützt werden. Die Erforschung des Ardencaple-Inlet und des in denselben mündenden Fjords bot ein erwünschtes Ziel. Eile war unerläßlich; das Erweichen der Schneefelder stand nahe bevor. Nach zehntägiger Rast hatten sich alle von der letzten Reise erholt; nur Klentzer, leider auch der wackere Ellinger, noch immer marschunfähig, mußten am Schiffe zurückbleiben.

Die Hoffnung, wie im vergangenen Herbst im Innern des Fligely-Fjords schneefreies Eis anzutreffen, bestimmte mich, den Weg durch diesen nach der Ardencaple-Bai zu wählen. Gegen Mangel waren wir diesmal gesichert; kaum vermochten wir die vielen Proviantsäcke fortzuschleppen. Dagegen wurde das »todte Gewicht« beschränkt, indem wir aus leichten Decken einen gemeinschaftlichen Sack machten und das Zelt möglichst verkleinerten. Drei Hinterlader und 100 Patronen bildeten unsere Bewaffnung, Theodolit, Aneroïd und Thermometer unsere Instrumente, 30 Flaschen Alkohol und 60 Pfund ausgeschmolzenes Walroßfett den Brennstoff; auch neun Flaschen Ingwer wurden in einer Blechkanne mitgenommen. Wir erleichterten unsere Kleidung und befreiten sie vom Pelzwerk. Für den Fall, daß die Ablösung des Küsteneises uns vom Schiffe abschneiden sollte, versprach Capitän Koldewey, uns durch ein Boot und ein Lebensmitteldepot am Cap Berlin zu unterstützen.

Reisen zu Ende des Frühjahres haben nichts mit jenen zu Anfang desselben gemein. Litten wir früher durch den Frost, so geschah dies jetzt durch die Wärme, wenn auch das Thermometer im Schatten noch immer unter dem Gefrierpunkt stand; höchst belästigend wirkte das von den Schneefeldern reflectirte Sonnenlicht. Auf der folgenden Reise stieg die Temperatur im Zelte am 9. Mai auf +8,8° R.; am 10. auf +14,8° R., am 26. Auf +20° R. Wir wurden in demselben, gleichwie in einem über Feuer gestellten Topfe, förmlich gedünstet. Die bisher steinharten Schneefelder verwandelten sich Ende Mai in Schmelzwasserteiche; übertretendes Fluthwasser machte sie noch ausgedehnter. In den ersten Tagen des Mai ließ die Kälte nach, die Temperatur stieg auf 8-16° R. unter Null, die Sonne ging nicht mehr unter; die Stürme hörten fast plötzlich auf. Insofern konnten wir uns keine günstigeren Reisebedingungen wünschen, als Tramnitz, Herzberg, Wagner, Mieders und ich am 8. Mai aufbrachen. Tags vorher war etwas Schnee gefallen; mehr als dies, hemmte die Schlittenlast (14 Centner) unser Fortkommen, so daß wir die Südwestspitze der Sabine-Insel erst nach vier Stunden erreichten. Ein schneebedeckter Isthmus, über den wir setzten, um einen weiten Umweg abzukürzen, zeigte die große Schwierigkeit, den Schlitten auch nur wenige Schritte über Land zu ziehen. Schneefreie Flächen verhindern dies natürlich ganz und gar.

Die immerwährende Sonne gestattete, unabhängig von der Tageszeit zu reisen, so daß wir unser Lager erst am Morgen des 9. Mai (-15,2° R.), und zwar in der Clavering-Straße aufschlugen. Von Norden her mehrten sich die Anzeichen schlechten Wetters; dunstig und grau lag der Himmel über uns, als wir die Reise fortsetzten. Der Schnee wurde tiefer, nur mit großer Anstrengung brachten wir den Schlitten weiter; völlig erschöpft rasteten wir einige Stunden vor Cap Berlin. Am 10. Mai (-7,4° R.) kamen wir, nach vier Stunden, kaum zwei Meilen vorwärts. Schritt für Schritt tief in den Schnee einbrechend, hatten wir den Schlitten, nur ruckweise und aussingend, »Aussingen«, ein seemännischer Ausdruck, bezeichnet einen Gesang von auffallendem Rhythmus, nach dessen Tact die Mannschaft ihre Kraftanstrengung gleichzeitig ausübt. weiter gebracht, ein Verfahren, welches deprimirender wirkt, als jedes andere Ungemach. Die Aussicht, jenseits einer 10 Meilen breiten Schneewüste ebenes Eis zu treffen, belebte unsere Hoffnung; in der That trafen wir schon am 10. Mai Abends (-5,6° R.), nach Cap Hamburg aufbrechend, eine bessere Bahn. In der Regel legten wir jetzt 260 Schritte binnen 5 Minuten zurück; als wir am 11. Vormittags (-15,2° R.) hielten, lag die röthliche Gneißwand des genannten Vorgebirges mit ihren gefalteten Schichten und Granitgangmassen nur noch 1½ Meilen fern; an ihrem Fuße vermutheten wir Glatteis.

Abends zogen wir weiter (-7,9° R.); doch schon mit den nächsten Schritten steigerten sich die Schwierigkeiten bis zur Hoffnungslosigkeit. Der Fortgang nahm von 70 Schritten in der Minute auf 20 ab; zuletzt blieben wir geradezu stecken, Schlitten und Mannschaft versanken im erweichten Schnee, selbst Curven von großem Radius waren unausführbar. Eine dreitägige ungeheure Anstrengung folgte, Tritt für Tritt brachen wir bis zum halben Schenkel ein; ohne Unterbrechung erscholl am Fuße der Wände der monotone Ruf des »Aussingenden«. Der helle Lichtglanz weißer Flächen wirkte bei unserer großen Erschöpfung wahrhaft sinnverwirrend; das unaufhörliche Anrücken am Schlitten erzeugte jenen heftigen Kopfschmerz, bei welchem jeder Pulsschlag peinlich fühlbar wird. Das Gepäck vermochten wir nur zum dritten Theile fortzuschleppen; wir waren daher genöthigt, denselben Weg fünfmal zurückzulegen. Alle zehn Schritte mußte der versinkende Schlitten förmlich ausgegraben werden; ja, die von uns durchzogene Strecke glich einem tiefen Schneehohlweg. Immer wieder lagen wir im Schnee, um »auszuschnaufen«; als dieser noch weicher wurde und das am Küstensaume hervortretende Fluthwasser seine tieferen Schichten in einen Schmelzwassersumpf verwandelte, waren wir genöthigt, fortgesetzt liegend oder kniend, mittelst Aufstützens der Hände in dem Schnee, zu ziehen. Da wir auf diese Art täglich nur wenige Hundert Schritte vordrangen und mit einem Büchsenschuß unser jeweilig letztes Nachtlager erreichten, schien es fast unmöglich, das Land zu gewinnen, obgleich wir uns ihm bis auf eine halbe Meile genähert hatten. Der 11. und 12. Mai verstrichen; an letzterem Tage trat ein Schneesturm ein, doch ohne den grauenhaften Charakter jener früherer Monate. Wir schafften einen Theil der Schlittenladung 800 Schritt, unsern ganzen Tagesmarsch, voraus und kehrten nach dem Zelt zurück, um den Rest des Gepäckes zu holen. Bevor wir jedoch daran gingen, es abzubrechen, rasteten wir darin eine halbe Stunde. Wieder hervortretend, erblickten wir einige Bären, welche das vorausgeschaffte Gepäck einer Untersuchung würdigten, deren Ergebniß die gänzliche Zerstörung desselben sein mußte. Rasch feuerten wir mehrere Schreckschüsse ab, um sie zu verscheuchen. Dies gelang zwar, aber noch immer war zu besorgen, daß sie mittlerweile Zeit gehabt, empfindlichen Schaden anzurichten. Ganz besonders bekümmert war ich wegen meines Arbeitsbuches; denn in diesem befand sich das Material der Aufnahme sämmtlicher bisherigen Entdeckungen.

Kein Merkmal der ungeheueren Kraft dieser Thiere hätte uns mehr imponiren können, als die unglaubliche Behendigkeit, womit sie in dem grundlosen Schnee, obgleich tief einsinkend, zu entkommen wußten. Wir kamen erst nach langer Zeit zur Stelle der befürchteten Verwüstung. Vom Kasten des Theodoliten waren die Tragriemen abgerissen; auch hatte er mehrere Bisse erhalten, ein Stück Zucker, 1½ Pfund Käse, alle Stearinkerzen waren verschlungen, das Brot umhergestreut. Den Flaschenmund der Ingwerkanne hatten die Bären, bevor sie dieselbe umwarfen, zum Glück nur platt gebissen, der Spirituskanne, ausgenommen daß der Korkpfropf ausgezogen war, nichts zu Leid gethan. Wäre sie umgefallen, so hätten wir unseren ganzen Spiritusvorrath verloren. Selbst die Kautschukflaschen waren zerstückelt oder aufgefressen, von einem Tabakspacket eine Ecke abgebissen, doch wieder ausgespuckt. Die Steigeisen hatten die jungen Bären eine Strecke weit als Spielzeug mitgenommen, wir fanden sie mit abgefressenen Riemen. Nur mein Buch war den Bären offenbar zu zäh gewesen; sie hatten sich damit begnügt, es anzubeißen.

Am 13. Mai gestaltete sich unser Fortkommen nicht leichter; die tieferweichten Schneewehen stürzten geräuschvoll in sich selbst zusammen, wie man ihnen nahte. Der Transport des getheilten Gepäckes geschah unter unendlichen Beschwerden, Mittags stieg die Temperatur zwar nur bis -6,3° R.; dessenungeachtet erzeugten die directen Sonnenstrahlen das Gefühl geradezu glühender Hitze. Als wir endlich an den Hummocks des von der Fluth aufgebrochenen Küsteneises, am Fuße der Wände anlangend, den Schlitten mühevoll über Eishöcker und Wassertümpel hinwegschafften, entdeckten wir mit großer Enttäuschung, daß der Fligely-Fjord, statt mit dem vermutheten Glatteis, mit einer ununterbrochenen Schneedecke erfüllt war. Indeß gaben wir die Hoffnung nicht auf; noch war es möglich, daß die Schneetiefe im Hintergrunde des Fjords abnahm. Neuerdings begannen wir einen Schneehohlweg zwischen den Eisklippen und Felsen des Strandes auszuwühlen; endlich gelangten wir auf eine weite, etwas überhöhte Schneefläche, – ein gräulicher Anblick! Wir kannten ja nur zu wohl die verborgenen Mühseligkeiten, welche unter der anscheinend gangbaren, so verrätherisch anlockenden Fläche unser harrten. Die Berge rings des Fjords waren, Steilwände ausgenommen, völlig weiß; die winterlichen Stürme und stärkere Niederschläge, als wir sie im Winterhafen erlebt, schienen die mitgeführten Schneemassen an den Stirnen der Berge fallen gelassen und die Fjorde damit überschüttet zu haben. Nirgends bemerkten wir jene aus Nord kommenden Streifen, welche sich, ein Product der Stürme, so auffällig an den Schneefeldern des äußeren Küsteneises zu zeigen pflegten. Schneeammern zwitscherten harmlos in unserer Nähe; ein Rabe krächzte von einer Anhöhe herab, nicht wenig überraschte uns der Anblick eines von schroffen Felshängen herabblickenden Moschusochsen.

Eisbären überfallen unser Gepäck.

Wir hatten den Schlitten zurückgelassen. Während Wagner sich in südlicher Richtung nach der Mitte des Fjords wandte, ging ich mit Tramnitz den Strand entlang, um die Möglichkeit des Weiterkommens zu untersuchen. Allein bald überzeugten wir uns, daß es unthunlich sei, Ardencaple-Inlet durch den Fligely-Fjord zu erreichen. Nachdem wir zum Zelt zurückgekehrt, war es unsere Aufgabe, den mühevollen Weg der letzten Tage zurückzumachen und die Erreichung unseres Zieles östlich von der Kuhn-Insel anzustreben. Erschöpft legten wir uns vorher noch zur Ruhe; aber eine Springfluth überraschte uns im Schlaf, zwang uns den Schlitten zu packen und den Rückweg sofort mit getheilter Ladung anzutreten (14. Mai).

Glücklicherweise war der Himmel bedeckt und die Temperatur auf -9,5° R. gesunken. Die Schneesümpfe erstarrten; nur wenig mehr brachen wir in sie ein, und erreichten schon nach drei Stunden den einige Tage vorher verlassenen Lagerplatz an der Grenze festeren Schnees. Mit belebter Stimmung legten wir noch an demselben Tage eine weite Strecke zurück (15. Mai -16,6° R.). Abends bemerkten wir 20 Moschusochsen, 2000 Schritte fern, auf dem sanften Ostabhange der Kuhn-Insel. Tramnitz schlich sich auf Umwegen in ihre Nähe, während ich mit Herzberg eine geologische Excursion nach einem Thalrisse der Küste unternahm und die Beobachtung machte, daß an die Gneißgranitkämme der Ostküste außerordentlich petrefactenreiche, der mesozoischen Zeit angehörende Schichten von Schieferthon, Kohlenletten und Sandstein sich anschließen. Tramnitz war minder glücklich; er kam mit leeren Händen, einem verdorbenen Gewehre und zerrissener Kleidung zurück und berichtete, daß ihn ein Moschusochs umgeworfen und getreten habe. Erst später, auf einem von Tramnitz und Wagner unternommenen Jagdzuge, wurde eines dieser Thiere erlegt.

Die Erhöhung der mittleren Temperatur und das immerwährende Tageslicht hatten die Physiognomie des Landes inzwischen völlig verändert. Das organische Leben erwachte wieder für die wenigen, dem Polarklima eigenthümlichen Pflanzen; unter den Schneebrücken und Gletschergewölben hörte man das Flüstern der Sickerwasser. Lange Züge von Eiderenten kamen aus Süd, Lemminge huschten aufgeschreckt über das Steingeröll, darüber hin krochen gelbbraune Raupen in fruchtloser Emsigkeit; weiße Hasen schwelgten an den jungen Trieben der Moose, Renthiere belebten die tiefen Rinnsale der Gletscherabflüsse, und über die sonnige Wasserfläche, wenngleich noch immer fern von uns, tauchte der neugierige Kopf des Seehunds empor.

Wir hatten so viele Zeit verloren, daß der Erfolg unseres Unternehmens von einer fortgesetzt günstigen Bahn abhing. Mieders war schneeblind; wir nahmen ihn daher beim Schlittenziehen in die Mitte. Feuchte Umschläge, während des Marsches einen Monat vorher der Kälte wegen unthunlich, stellten ihn bald wieder her. Nachts wurde die Luft nebelig und schwül, auch Tramnitz wurde schneeblind.

Der Schnee wurde wieder weich; von Neuem begann das »Aussingen« und ruckweise Fortschaffen des Schlittens, obgleich wir ihn durch Zurücklassung eines Lebensmitteldepots erleichterten, kamen wir doch kaum vorwärts. Am 16. Mai stieg die Temperatur des Schnees auf -3,2° R.; dichter Nebel und Schneefall hinderten uns vor Abend aufzubrechen. Selbst während des Nachtmarsches waren wir nicht im Stande, zehn Schritte weit zu sehen, so daß wir die Richtung verloren und sie immer wieder nach dem Compaß corrigiren mußten. Am 17. Mai (-8° R.) passirten wir bei heftigem Schneegestöber den Ausgang der romantischen Bastians-Bai und langten am 18. am Fuße des Cap Bremen an. Unser Fortkommen hatte trotz erschöpfender Anstrengungen in den letzten Tagen nur 3-7 Meilen betragen. Die Zeit erfolgreicher Schlittenreisen war vorüber. Eine Besteigung des 3200 Fuß hohen, von horizontalen Doleritmassen durchsetzten Cap Bremen sollte entscheiden, ob es rathsamer sei, in Ardencaple-Inlet einzudringen, oder die Kuhn-Insel geologisch zu untersuchen und die bisherigen Aufnahmen zu vollenden.

Am 19. Mai stieg ich mit Herzberg und Wagner ein steiles Schneefeld und den mit schroffen Gneißwänden nach der Ardencaple-Bai abfallenden Berggrat hinan; nach 3½ Stunden erreichten wir die Spitze (-2,8° R.). Klares Wetter begünstigte die umfassende Fernsicht, welche vom Sattelberg und den Pendulum-Inseln bis zum Nordrande der Koldewey-Inseln reichte. Durch volle 8 Stunden gestattete es die Gunst des Wetters, das gesammte Panorama zu zeichnen und die Azimuthalwinkel zu messen. Ardencaple-Inlet, tief unter uns, war gleich dem Fligely-Fjord von einer ununterbrochenen Schneedecke überlagert, deren Beschaffenheit und Tiefe zu untersuchen, Tramnitz' Aufgabe war. Ardencaple-Inlet ließ sich ungefähr 40 Meilen weit verfolgen, schien dann nach West umzubiegen und war so weit in seinen Hauptumrissen kartographisch darstellbar. An seinem Ausgange lagen viele Eisberge im Binneneise eingeschlossen; dadurch gab sich die Existenz großer Gletscher in diesem Fjord kund, waren auch nur wenige sichtbar. Eine scharfe Linie schied die Schneefläche zwischen den Inseln Kuhn und Shannon in zwei Theile, wovon der näher gelegene sich als ebene Fläche, der entferntere als wellenförmig erwies. Die ebene Fläche war ein Schneesumpf. Auch alle übrigen Anzeichen sprachen dafür, daß es Zeit sei, binnen einer Woche zum Schiffe zurückzukehren. Den Fjord weiter zu erforschen, als wir von unserem dominirenden Standpunkte aus vermochten, wäre in Anbetracht der Schneeerweichung ganz unausführbar gewesen. Ich gab daher Ardencaple-Inlet auf und wandte mich zur Erforschung der Kuhn-Insel nach Süden. Nachdem wir auf der Spitze ein 7 Fuß hohes trigonometrisches Signal in Form eines massiven Steinkegels errichtet, verließen wir sie und kehrten zum Zelt zurück, welches der noch immer schneeblinde Mieders bewachte.

Am 20. Mai (-6,4° R.), als wir den Rückweg antraten, bildete die verlassene Lagerstätte, wie stets in der letzten Zeit, eine tiefe Schneegrube. Am 21. (-12° R.) erreichten wir die Mitte eines segmentförmigen Vorsprungs der Kuhn-Insel. Seine wellenförmige Abdachung besteht aus einem Schichtensystem von schiefrigen Sandsteinen und Mergeln (die Petrefacte deuten ein mesozoisches Alter an), welche mit erratischem Schutt überlagert, mantelartig auf den krystallinischen Gesteinen aufliegen. Am 22. und 23. Mai wurden die einzelnen Etagen der Formation untersucht; sie zeigten, wie die auf der Südseite der Kuhn-Insel vorkommenden, ein südwestliches Fallen der Schichten von 7 Grad. Kohlenletten, petrefactenreiche (Inoceramen, Ammoniten, Belemniten u. s. w.) blaugraue Schieferthone, dünnschichtige Mergel und ziemlich grobkörnige Sandsteine wechselten miteinander ab. Kohlenlager waren nirgends zu entdecken. Dagegen fand sich unmittelbar unter dem Gipfel der »schwarzen Wand« ein Sandstein mit eingesprengten kleinen Kohlenstücken. Doleritmassen zogen in horizontalen Lagern durch die obersten Bänke der sedimentären Schichten. Da Hochstetter's Vorland denselben geologischen Charakter trägt, so kann man diese beiden Oertlichkeiten wahrscheinlich mesozoischer Sedimentgesteine als ein und dasselbe, nur durch das Senkungsfeld von Ardencaple-Inlet unterbrochene Vorkommen betrachten.

Das Quarré der Moschusochsen.

Sehr unheilvoll wurde unser Aufenthalt einer Herde Moschusochsen; in der Nähe überfallen, war es vergeblich, daß sie ihre gewohnte Vertheidigung gegen uns anwandten: das Quarré zu bilden. Am 21. Mai hatte Tramnitz eine Kuh geschossen; am 22. überraschte Wagner eine schlafende Herde und erlegte einen Ochsen, am folgenden fiel ein anderer durch mich. Er wurde sorgfältig abgezeichnet. Zuletzt erlegte Tramnitz noch ein Kalb und einen Hasen. Am 24. brach ich mit Herzberg und Wagner zur Besteigung der schwarzen Wand auf, um die ausgezeichnete Lage dieses höchsten Berges (3400 Fuß) der Insel für die Kartenarbeit zu verwerthen. Unser Weg führte erst durch ein von prächtigen Wänden eingeschlossenes Hochthal und aus dessen Firnkessel über felsdurchbrochene, bis 45 Grad geneigte Schneehänge. Ueber Braunkohlensandstein, der die Syenitgneise überragte, gelangten wir nach 5 Stunden auf den Gipfel. Dieser besteht aus einem 150 Fuß hohen, von schlanken Doleritsäulen umgürteten Aufbau in Form einer Kappe. Auch an vielen anderen Punkten der Kuhn-Insel trat der Dolerit auf dem Gebirgskamme selbst in Gängen auf, häufig in Verbindung mit Mandelsteinen. Interessant wurde diese Bergbesteigung durch die Entdeckung eines neuen Sundes, welcher die Südwestecke des Fligely-Fjords mit Ardencaple-Inlet zu verbinden schien. Im Osten lag das Packeis bis an den Horizont; doch zeigten sich in demselben nicht wenige schiffbare Canäle.

Zum Zelte zurückgekehrt, bemerkten wir nahe dabei einen rauschenden Bach, der einer Schneeschlucht entströmte, seit dem verflossenen September das erste fließende Wasser; es bot sich seit dieser Zeit die erste Gelegenheit, sich wieder einmal ordentlich zu waschen und satt zu trinken. Am 25. Mai wurde eine Basis auf dem Meereise gemessen, mit deren Hilfe die Höhe einiger Berge bestimmt werden konnte. Die Temperatur überstieg den Gefrierpunkt (+0,6° R.), die Auflösung des Schnees ging rascher denn je vor sich. Tags, während wir schliefen, erreichte die Temperatur im Zelte +18° R., so daß wir uns auf den gemeinsamen Sack, statt wie bisher in denselben legten. Fliegen summten an den Zeltwänden, die Hitze wurde so drückend, daß der Schlaf keine Erquickung bot. Seit zwei Monaten hatten wir auf Schnee geruht; jetzt thaute ihn die Körperwärme unter uns auf, es umgaben uns kleine Seen.

Am 25. Mai kehrten wir zum Schiff zurück. Die reiche Ausbeute an Mineralien, Petrefacten etc. (auch Moschusochsenhörner und Felle) machte, daß der Schlitten wieder so schwer war, wie Anfangs der Reise. Am 27. erreichten wir Cap Berlin; es war durch Schneetreiben verhüllt. Die tiefen Schneewehen an seinem Fuße hatten sich inzwischen in Folge der Wärme in zähen Kleister verwandelt, der sich ballend vor den Kufen staute. Noch einmal erfuhren wir hier (28. Mai, +4,8° R.) die Widerwärtigkeit des Schlittenziehens mit getheilter Last und die des tiefen Einbrechens in den Schnee. Erst in der Clavering-Straße wurde der Weg besser, am 29. Mai erreichten wir nach 21tägiger Abwesenheit das Schiff. Wir trafen das tümpelbedeckte Eis unseres Winterhafens in einem vorgerückten Stadium des Schmelzens, welches der Regen der nächsten Tage noch mehr beschleunigte. Bald klärte sich wieder der Himmel. Binnen weniger Tage entlockte die zunehmende Temperatur Am 1. Juli erreichte dieselbe das während der Expedition überhaupt beobachtete Maximum von +10,5° R,; die mittlere Temperatur dieses Tages betrug +7° R. dem kurz zuvor noch hartgefrornen Boden die Erstlinge einer kargen Flora. Bald nachher kamen auch die Astronomen Börgen und Copeland Männer von seltenem Wissen, ersterer gegenwärtig Director der Sternwarte von Wilhelmshafen, letzterer jener des Lord Rosse in Parsonstown in Irland. von ihrer äußerst mühevollen Reise zur Recognoscirung eines Gradmessungsversuches zurück; die Schmelzwasserteiche hatten ihnen ungewöhnliche Hindernisse bereitet, die nur ihre bewunderungswürdige Ausdauer besiegte.


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