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Das innere Polarmeer.

Das Eismeer ein Gletscher im Großen. – Das offene Polarmeer. – Die Bedeutung günstiger Eisjahre für die Schiffahrt. – Das innerste Polargebiet und die Schiffahrtsgrenzen unserer Zeit.

 

Der Totaleindruck des Eismeers erinnert in einigen Zügen lebhaft an den unserer Gletscher. In beiden Fällen drängt das Eis von einer klimatisch am wenigsten begünstigten Zone nach einer wärmeren Region. In dem einen Falle geschieht dies von der Höhe nach der Tiefe, in dem andern in der Ebene nach abnehmender geographischer Breite; in beiden Fällen erreichen die durch Terrainverhältnisse oder durch Meeresströmungen gebildeten Zungen und Ausläufer der Eismassen ihr Ende, sobald sie in eine isothermische Höhen- oder Breitencurve gelangen, deren mittlere Jahrestemperatur hinreicht, sie aufzulösen, oder ihre Bildung überhaupt zu verhindern. Auch die Erscheinung der Moränen wiederholt sich im Eismeer; denn es ist eine bekannte Thatsache, daß sowohl Eisberge als Flächeneis, mit Schutt arktischer Länder befrachtet, ihre Gesteinsladungen rings an der Peripherie des Eismeeres absetzen, und daß man das Entstehen der Bänke Neufundlands zum Theil diesem Processe zuschreibt.

Ist dieser Vergleich zwischen den Erscheinungen des hohen Nordens und der Höhe an sich richtig, so verhält sich auch das sogenannte offene Polarmeer, welches durch den Reiz des Unerwarteten einst die sanguinischesten Hoffnungen erweckte, ungefähr so, als wollte man in unsern Gletschergebirgen oberhalb einer bestimmten Höhenlinie das Aufhören von Eis und Schnee behaupten.

Der Glaube vergangener Tage an ein offenes Polarmeer Diesen schuf der holländische Geograph Plancius für den Norden, der portugiesische Historiograph João de Barros vor drei Jahrhunderten für den Süden. erinnert mächtig daran, wie ungenügsam der Menschensinn dem Einfachen begegnet, wie uralt seine Neigung ist, das Ungewöhnliche und Entlegene mit dem Kleide des Wunderbaren zu schmücken. Es ist bemerkenswerth, daß diejenigen Eskimo's, welche J. Roß 1818 in Grönland traf, die dem offenen Polarmeer entgegengesetzte Hypothese auf unsere Breiten anwandten. Sie glaubten nämlich, man könne von ihren Wohnsitzen aus nicht nach Süden vordringen, »weil das Eis dorthin immer undurchdringlicher werde« und hielten sich deßhalb für die einzigen Menschen auf der Welt. Was war das offene Polarmeer anders, als das Harzmeer des Nordens, der Fabelkreis entschwundener Jahrtausende vom ewig sonnigen Eden der Hyperboräer, weit jenseits des Landes der Anthropophagen, über welches eine undurchsichtig schneeverhüllte Luft sich ausbreite! Wer hat das offene Polarmeer je gesehen? Erwiesen es die Berichte der Seefahrer? Nein! Diese Berichte waren vielmehr eine constante Reihe von Gegenbeweisen. Hudson, Baffin, Phipps, Tschitschagoff, Buchan, Franklin, Parry, Collinson, Scoresby, Mac Clintock, Koldewey, Torell und Nordenskjöld hatten sich alle dagegen ausgesprochen, und wenn es dessenungeachtet dann und wann Männer gab, die es erblickt haben wollten, so war es um so befremdlicher, daß sie es nicht auch befuhren. In unserer Zeit hat man den großen Vorkämpfer der Polarfrage, Dr. Petermann, sehr mit Unrecht zum Verfechter desselben machen wollen; in den Mittheilungen dieses hochverdienten Geographen finden sich viele Stellen entschiedenen Protestes gegen dieses Ansinnen. Seine Annahme reicht nur bis zu einem, unter gewissen Voraussetzungen schiffbaren inneren Polarmeer; jeder Kenner desselben darf sich diesem Standpunkt anschließen, besonders wenn er mit der Begrenzung jener Voraussetzungen vorsichtig verfährt.

In Jahrhunderten aber, da die Naturwissenschaften sich noch geringer Pflege erfreuten, die Theorie der Passatwinde (bis Mitte des 17. Jahrhunderts), der äquatorialen und polaren Meeresströmungen noch unbekannt war, die Vorgänge im Eismeere noch keiner wissenschaftlichen Prüfung unterworfen wurden, kann auch die Befangenheit nicht auffallen, womit man die Erscheinungen desselben beurtheilte. In jener Zeit war Alles über Norwegen hinaus ein Chaos eiserfüllter Finsterniß; ein wissenschaftliches Bedürfniß, jene Wüsten zu erforschen, war noch nicht vorhanden, und durch Jahrhunderte, bis auf J. Roß herab, brachten die heimkehrenden Polarfahrer keinerlei wissenschaftliche Kunde von der arktischen Natur, weil sie nur die Erreichung Indiens im Auge hatten. Die Instruction, welche Willoughby, der erste Polarfahrer, erhielt, gewährt uns einen Einblick in die Irrthümer jener Zeit; sie warnt die Seefahrer vor schwimmenden nackten Menschenfressern, auf welche man im Meere wie in den Flüssen gefaßt sein müsse. Es war also die Zeit längst vergessener Fabeln. Maldonado, de Fuca, Bernarda, Yelmer, Andrejew, Martinière und einige Walfischfahrer überbrachten die Märchen von gefundenen Durchfahrten, neuen Continenten, dem erwiesenen Zusammenhange Nowaja Semlja's mit Sibiriens Nordspitze (Yelmerland), oder gar mit Grönland.

Vor zwei Jahrhunderten gab man auch Rußlands Handelspolitik die Schuld, daß alle Versuche einer Nordostdurchfahrt mißlängen, da es doch erwiesen sei, daß es im Norden immer wärmer werde, das Meer aufhöre zu gefrieren, und das Land sich wieder mit üppigem Grün bedecke.

Eine gewisse logische Consequenz lag in dem Glauben an ein offenes Polarmeer nur, so lange man noch nicht wußte, daß Eis im offenen Meere wie an den Küsten sich bilden könne; es gab auch eine Combination, welche seine Existenz nicht so unwahrscheinlich machte. Man konnte nämlich voraussetzen, daß die alljährlich erneute Eisbildung in den arktischen Regionen ewige Bollwerke der Erstarrung und die Vernichtung des organischen Lebens nach sich ziehen müßte, wenn nicht die Meeresströmungen den die klimatischen Extreme mildernden Ausgleich herbeiführen würden. Alles Eis rings des Poles bildet sich in einer bestimmten, nicht aber unbegrenzten Menge. Da diese gegebene Quantität Eis nun durch die Meeresströmungen ungefähr gleichmäßig vom innersten Polargebiet aus nach niedrigem Breiten geführt werden dürfte, so muß, wenigstens 1-2 Sommermonate hindurch, in der Periode des Eisminimums, während welcher keine Neubildung desselben stattfindet, an die Stelle des eisbedeckten ein relativ eisfreies Meer treten. Dieses Meer muß um so offener und schiffbarer sein, je geringer das Landvorkommen am Pole ist, weil dieses die Bildung und Anhäufung des Eises begünstigt. Allein ein solches schiffbares Centralpolarmeer wäre nur denkbar bei einem völlig regelmäßig und radial gerichteten Abströmen des Eises von einem bestimmten Punkt aus, ohne jede Störung durch Wind, Gegenströmung und Land, also bei einer Harmlosigkeit und Einfachheit der arktischen Hydrographie, für welche die Natur in keiner Sphäre Vorliebe zeigt.

Dove hat die mittlere Jahrestemperatur des Nordpols mit -13,2° R. Und die mittlere Temperatur des Sommers zu -1,5° R. angenommen; wahrscheinlich ist sie aber noch weit geringer. Welche Wahrscheinlichkeit hat daher ein offenes Polarmeer schon in Anbetracht dieses Jahresmittels? Auch alle Nachrichten über ein nach Norden hin zunehmendes Thierleben, woraus man auf eine klimatische Begünstigung der innersten Polarregion und auf ein offenes Polarmeer geschlossen hat, müssen nach wie vor mit Vorsicht aufgenommen werden; namentlich beweist das Auftreten zahlreicher Vögelschaaren nicht mehr, als daß sie sich eben dort aufzuhalten pflegen, wo momentan offenes Wasser zu finden ist, und daß sie ihren Aufenthalt mit dessen Verschiebung verändern.

Weit größer jedoch war die Tragweite, welche man in späterer Zeit dem Golfstrom, als einer die arktische Oceanität bedingenden Ursache, beigemessen hat, wenngleich Dr. Petermann erst in neuester Zeit durch eine höchst verdienstvolle Arbeit klar gemacht hat, daß sein Einfluß nur in den Meerestheilen um Spitzbergen und Nowaja Semlja sich erkennen lasse. Im Norden Spitzbergens insbesondere wurde sein Dasein von den Schweden durch Auffindung tropischer Gewächse ( Entada Gigalobium) sichergestellt. An der Nordküste Nowaja Semlja's steht dieses Eindringen »warmen Golfstromwassers« noch keinesfalls außer Zweifel, obschon die Existenz einer zeitweisen Nordströmung unleugbar ist. Lütke glaubte zu beobachten, daß diese Strömung schon in etwa 76° 5' erlischt, und er fügt hinzu: »Längs der nördlichen Küste von Nowaja Semlja folgt das Meer der allgemeinen Bewegung von Ost nach West. Wir erkannten diese Strömung an einer Menge von Treibholz, der wir, wie im vorigen Jahre unter 76° 5' B. begegneten, und welche nur aus den sibirischen Flüssen dahin gelangt sein konnte«. Etwas zu sicher fährt er fort: »Diese zwei Strömungen begegnen einander am Nassauer Vorgebirge und müssen eine Furche von Südost gegen Nordwest erzeugen, deren Richtung auch die aus dem sibirischen Ocean und aus dem karischen Meere gekommenen Eismassen folgen.« Auch unsere Vorexpedition von 1871 bemerkte die von Lütke erwähnte Westströmung und ihre sibirische Treibholztrift, deren Ablagerungen die Küsten Nowaja Semlja's einfassen. Für das Eindringen des Golfstromes aber konnte die Expedition von 1872-1874 keine Belege bringen; weder eine constante Strömung, noch eine den Golfstrom charakterisirende höhere Wassertemperatur ließen sich nachweisen, wenngleich die Beobachtungen ein Jahr vorher darauf hingedeutet hatten.

Nicht minder hat man eine zeitlang auch die innerarktischen Wacken, welche Wrangel und Morton sahen, als Anzeichen eines eisfreien Polarmeeres betrachtet. Gegen jene Morton's in 81° 22' warf Richardson sehr triftig ein: »Das offene Wasser des Kennedy-Canals im Monate Juni ist nicht von größerer Ausdehnung, als die offenen Stellen, welche gelegentlich durch Walfischfänger im Norden Spitzbergens im Sommer gesehen wurden.« Und in Hinsicht jenes Streifens offenen Wassers, welcher im Osten der neusibirischen Inseln, besonders durch Wrangel beobachtet wurde, sagt dieser selbst: »Meiner Meinung nach ist die sowohl von uns, als auch von Herrn Hedenström beobachtete südöstliche Strömung des Meeres in den Polynjii den frischen nordwestlichen Winden zuzuschreiben, durch welche diese Polynjii entstanden sind«. Wrangel selbst, nachdem er vorher die geringe Ausdehnung jener Polynja skizzirt und ihr wesentliches Einschrumpfen in sehr kalten Wintern hervorgehoben, brachte es endlich zu keiner andern Erklärung, als zu der eines localen Küstenwindes, er, der dem offenen Polarmeer am ehesten das Wort zu reden veranlaßt gewesen wäre, weil er noch gegen Scoresby der Meinung war, daß es im offenen Meere wegen des Mangels an Stützpunkten niemals gefrieren könne.

Auch die Trift des Treibholzes, die Windrichtungen, die Bewegung der Fluthwelle, die Wanderungen der Thiere erfuhren in früheren Jahrhunderten Deutungen, welche, ohne Rücksicht auf die Schwierigkeit, jedes einzelne dieser Facta auch nur sicherzustellen, ihren wahren Werth weit überschätzten, deren Ziel immer der versuchte Nachweis irgend einer Durchfahrt im hohen Norden war. Gemeinplätze dagegen, wie jenes: »eisfrei, soweit das Auge reichte«, – das Auge, das von dem beschränkten Horizont eines Schiffes aus eben niemals weit reicht, waren zu allen Zeiten nur für Laien bestechend. Der Beobachter sieht vom Schiffe aus, je nach seinem Standpunkte etwa fünf bis fünfzehn Meilen. Er kann also ein »offenes Meer« vor sich wähnen, während ein Anderer nahe von ihm, auf einem nur wenige Hundert Fuß hohen Berge, »nichts als Eis« jenseits eines schmalen Wasserstreifens zu sehen glaubt. Demungeachtet war die geringe Höhe des Standortes den Beobachtern »offener Polarmeere«, oder »eisbedeckter Seen« selten ein Hinderniß, ihre Vermuthungen als Thatsachen zu betrachten.

Die praktische Anwendung, welche das offene Polarmeer haben sollte, war diesem schon durch Plancius zugedacht worden, – ein in möglichst hohen Breiten auszusuchender Weg nach China. Somit entstammen alle eigentlichen Nordpol-Expeditionen dieser Hypothese, die jedoch heute nur mehr wenige Anhänger zählt, wenn sie auch einst mit großer Hartnäckigkeit vertheidigt wurde.

Der Gegenbeweis von hundert gescheiterten Unternehmungen wurde immer wieder durch ein günstiges Jahr im Eise Solche günstige Jahre waren insbesondere die beiden Sommer von 1817 und 1818, in welchen nach Scoresby selbst die grönländische See zwischen 74-80° nördl. B. auf einer Fläche von etwa 2000 geographischen Quadratmeilen fast eisfrei war. aufgewogen, bleiben auch die Erfolge in diesen Fällen weit unter den Erwartungen.

So schritt Barentz in dem überaus günstigen Sommer 1594 ohne Mühe einen Breitegrad über das Nordende Nowaja Semlja's hinaus, während seine Nachfolger häufig schon am Cap Nassau unbesiegbaren Schranken begegneten, ja er selbst die Eisverhältnisse im folgenden Jahre auf das ungünstigste verändert fand. Die Jahre 1664, 1871, 1874 öffneten für Vlaming, Mack, Carlsen und die beiden österreichisch-ungarischen Expeditionen dort ein offenes Meer, wo sich 1665, 1872 und 1873 entweder gar keine, oder nur vereinzelte Wasserstraßen zeigten.

Im Sommer 1816-1817 hatte sogar der mächtige Eisstrom an Ostgrönlands Küste dermaßen abgenommen, daß Scoresby zwischen 74 und 80° nördl. B. nur wenig Eis fand; seither haben die Schiffer stets und wohl kaum irgendwo schwereres Eis gesehen, als gerade dort. Erst 1875 wurde an der ostgrönländischen Küste abermals ausgedehntes Küstenwasser beobachtet, und zwar durch den Walfischfänger David Gray. 1753 und 1754 war das karische Meer eisfrei, was Murawjew's Fahrt sehr zu statten kam. 1754 waren sowohl das karische als das nordspitzbergische Meer eisfrei; 1768 sah Roßmyßlow das letztere von einem hohen Berge der Matotschkin Schar aus (Anfang September) derart offen, daß er glaubte, ohne Hinderniß in dasselbe eindringen zu können. Aber schon in den folgenden Jahren pochten die Fischer wieder vergeblich an seine eisversperrten Eingänge. 1823 sah Lütke von einem Punkt an der Westküste des karischen Meeres kein Eis; Mitte August 1833 fand Pachtußow die Westseite des karischen Meeres offen, während er ein Jahr vorher die karische Pforte nicht zu passiren vermochte. 1834 mißlang sein Versuch, die eisgesperrte Matotschkin Schar zu durchdringen (Mitte August), und 1835 war er, selbst Ende August, mit großen Schwierigkeiten kämpfend, nur im Stande, von dem Ostende dieser Straße aus etwa 18 deutsche Meilen weit der Ostküste der Nordinsel entlang zu folgen. Dagegen befuhr Nordenskjöld 1875 das karische Meer bis zur Mündung des Jenisej.

1743 und 1773 bot das nordspitzbergische Meer abermals verlockende Verheißungen, welche Demjenigen, der ihnen gefolgt wäre, möglicherweise gestattet hätten, eine noch etwas höhere Breite zu erreichen als die, welche Nordenskjöld und Koldewey 1868 gewannen.

Die norwegischen Fischer haben das karische Meer in den letzten Jahren oft befahren; allein häufiger sind ihre glücklichen Schiffahrtszüge zur öffentlichen Kenntniß gelangt, als ihr Mißgeschick. Im Jahre 1872, zu derselben Zeit, da der »Tegetthofs« im östlichen Nowaja Semlja-Meer nicht vorzudringen, vermochte, erreichten norwegische Fischer im westlichen Theile dieses Meeres das noch nie betretene König Karl-Land ohne nennenswerthe Hemmnisse des Eises. Die Schweden dagegen konnten nicht einmal die schon oft besuchten und zur Ueberwinterung ausersehenen Parry-Inseln erreichen. So wechselvoll sind die Verhältnisse an der Eisgrenze. J. Roß traf im ersten Jahre seiner zweiten Reise die günstigsten Schiffahrtsverhältnisse, in den folgenden Jahren die trostlosesten; Aehnliches widerfuhr J. C. Roß 1840-1843 im Südpolarmeer. Penny fand 1850 den Wellington-Canal frei vom Eis, 1854 (26. Juni) erreichte Morton am Cap Constitution eine Wacke im Norden des Kennedy-Canales, welche er für den Anfang eines offenen Oceans ansah; allein 1852 standen Belcher, obgleich weiter vordringend, als Penny dort und Hayes 1861 hier, vor Pack- und Treibeis, Hayes selbst bezieht seine Voraussetzung offenen Wassers nur auf einen »Wasserhimmel oberhalb gelockerten Eises«.

Scoresby der Jüngere, »der wissenschaftliche Walfischfänger«, dessen tiefer Beobachtungsgabe wir die bedeutsamsten Winke über die Natur der Polarmeere verdanken, vermochte trotz zwanzigjährigen Befahrens des grönländischen Eismeeres nur einmal an dessen Küste zu landen. Während die schwedische Expedition sich Nordost-Spitzbergen 1861 nur in Booten zu nähern vermochte, befuhr Smith dasselbe 1871 bis zum Cap Smith. Der Walroßjäger Matilas hingegen umschiffte 1864 die Nordostinsel völlig; der ebenso glückliche als erfahrne Eisschiffer Carlsen vollführte 1863 sogar die Umschiffung ganz Spitzbergens, 1871 jene Nowaja Semlja's und fand daselbst die Reliquien des Barentz'schen Winterquartiers. Im Jahre 1872 wurde König Carl-Land umschifft, nachdem sowohl Koldewey und Nordenskjöld (1868), als auch die österreichische Vorexpedition (1871) vergeblich versucht hatten, sich demselben zu nähern. Ebenso unberechenbar sind die Schiffahrtschancen von einem Jahre zum andern im Südpolarmeer. Cook erreichte in diesem 78° 10' südl. B., ohne Packeis zu sehen. 1842 mußte J. C. Roß 800 Meilen Eis durchbrechen, um einen halben Grad weiter zu kommen, als Cook 1774. Wedell erreichte 1823 74° 15' südl. B. ohne erhebliche Schwierigkeiten, während J. C. Roß 1843 in demselben Meridian schon in 65° 13' südl. B. durch eine »undurchdringliche Eismasse« ausgehalten wurde. Admiral d'Urville vermochte selbst nicht bis zum 64° südl. B. zu gelangen.

Wie sehr außerdem die günstigen oder ungünstigen Eisverhältnisse eines Jahres an einzelne Gebiete gebunden sind, wie sehr sie zu gleicher Zeit an verschiedenen Orten einander widersprechend aufzutreten pflegen, beweist die Thatsache, daß Franklin von Walfischfängern Ende Juli 1819 in der Davis-Straße erfuhr, sie hätten das Eis noch nie so dicht und mächtig gesehen, als eben damals, wo Parry einige Breitengrade nördlicher, durch die glänzendsten Verhältnisse begünstigt, seinen weiten Entdeckungsweg bis zur Melville-Insel und im folgenden Jahre ungehindert nach England zurück vollführte.

Diese Beispiele, denen sich noch viele anreihen ließen, mögen zeigen, wie wandelbar die Chancen der Eisschiffahrt von einem Jahr zum andern sind, wie mächtig die Hindernisse sich selbst unter den vortheilhaftesten Umständen erwiesen haben, da man noch nie im Stande war, in das innerste Polargebiet einzudringen, bis dorthin nämlich, wo das offene Polarmeer nach den Anschauungen einer früheren Zeit liegen sollte.

Jene günstigen Eisjahre sind daher nichts Anderes, als ein vermehrtes, doch im großen Ganzen geringfügiges Zurückweichen der äußern Eisgrenze, eine vermehrte Fahrbarkeit einzelner Küstenwasser, oder eine locale Auflockerung des inneren Polareisnetzes. Ein solches Jahr ist ohne Zweifel ein wesentlicher Factor, wenn es sich um die südlicheren Gebiete des Eismeeres, oder um die amerikanischen Sunde handelt; bei der Frage der Schiffbarkeit des innersten Polarmeeres dagegen fällt es nicht mit demselben Gewicht in die Wagschale.

In Wirklichkeit ist das gesammte Gebiet des Eismeers Ohne ausdrücklichen Hinweis ist hier immer nur vom nördlichen Eismeere die Rede. mit seinen unzähligen Feldern und Schollen und dem Gewebe schmaler, sich kreuzender Wasserstraßen nichts Anderes, als ein in seinen Maschen durch locale, terrestrische Ursachen beständig bewegtes Netz, dessen Veränderung demnach entweder systematisch oder zufällig auftritt, und dessen Erscheinungen, wenngleich einem beständigen Wechsel unterworfen, doch nach dem innersten Polargebiete hin eine mehr oder minder unschiffbare Dichtigkeit vermuthen lassen. Nach meinen eigenen auf drei Reisen erworbenen Erfahrungen halte ich dafür, daß die Eiszustände zwischen 82-90 Grad im Allgemeinen sich nicht wesentlich von jenen unterscheiden, welche, den äußersten Eissaum ausgenommen, südlich des 82. Grades beobachtet wurden; eher wäre ich geneigt, an eine Verschlimmerung, denn an eine Verbesserung derselben zu glauben.

Ist aber auch diese Anschauung richtig, keineswegs folgt daraus, daß wir den Pol mittelst des Schiffes zu erreichen im Stande sind; denn schon das Vordringen bis zum 82. Oder 83. Grad erschöpft erfahrungsgemäß völlig die verfügbare Schiffahrtszeit und setzt für sich allein die günstigsten Bedingungen voraus. Ein Schiff, das im Anfang des Herbstes den 82. Grad erreicht, darf nichts mehr riskiren; nur wirklich offenes Wasser darf es noch befahren, die Sorge für den Winterhafen überwiegt notwendigerweise jedes andere Bestreben.

Wer aber mit einem Schiffe heutiger Construction erwartet, den Pol in einem einzigen Sommer zu erreichen, der glaubt notwendigerweise an die polare Oceanität. Selbst das Vordringen im Smith-Sund bis zum 84. Breitengrad, oder das Erreichen des Cap Tscheljuskin auf dem nordöstlichen Wege wäre noch kein Beweis für sie, sondern nur dafür, daß die inneren Theile des Polarmeeres zeitweise und örtlich Wasserstraßen öffnen, welche einzelnen Schiffen einen sonst unerhörten Erfolg ermöglichen. Diese Thatsache steht außer Zweifel; ihr Eintritt aber ist völlig von den glücklichsten Zuständen eines Jahres abhängig, und es ist nicht wahrscheinlich, daß sie sich schon im folgenden Jahre wiederholen und dem eingedrungenen Fahrzeuge gestatten, seinen Weg fortzusetzen oder zurückzukehren. Gehört aber auch das Wagen ohne Bedenken zur Ausführung einer solchen Expedition, der Plan muß mit aller Vorsicht entworfen werden.

Die letzte amerikanische Expedition ist mit widersprechenden Aussagen hinsichtlich der Schiffbarkeit der Lincoln-See zurückgekehrt, und weil sie nicht durch die That erwiesen ist, so haben wir keine überzeugende Ursache, daran festzuhalten. Der englischen Expedition, welche gegenwärtig diese Route zur Erreichung des Poles verfolgt, ist daher das verdienstvolle Werk vorbehalten, neues Licht über die Verhältnisse im oberen Smith-Sund zu verbreiten; mit Freuden wird die gesammte civilisirte Welt die erhofften großartigen Erfolge einer Nation auf diesem Felde begrüßen, welche durch ihre jahrhundertlange Beharrlichkeit am würdigsten ist, sie zu erreichen.


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