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Die dritte Schlittenreise.

Zweck. – Temperaturerhöhungen. – Cap Oppolzer. – Bärenjagd. – Unsichere Bahn. – Bärenjagd. – Besteigung des Cap Brünn, 2500 Fuß. – Kälte, Wind und schwierige Arbeit. – Richthosen-Spitze. – Ausdehnung des Kaiser Franz Josephs-Landes nach Westen. – Geschlossene Eisdecke nach Süden. – Rückkehr zum Schiffe und Abschluß der Schlittenreisen.

Wahrhaft lieblich war das Wetter der letzten Tage des April; Windstille und klarer Sonnenschein machten die Thätigkeit im Freien um so behaglicher, als die Temperatur nur in ihren Minima's noch auf 15 oder 20° R. unter Null herabsank. Diese vorübergehende Kälte war hinreichend, die Schnee-Erweichung noch für einige Tage zu verhüten und die Ausführung einer dritten Reise zu begünstigen. Ihr Ziel war der Westen des Franz Josephs-Landes; denn die Frage seiner Ausdehnung gegen Spitzbergen hin war kaum minder interessant, als die gegen Norden. Gerne hätte ich Wochen auf diese Unternehmung verwandt; aber unsere nahe bevorstehende Rückkehr stellte mir nur wenige Tage zur Verfügung.

Am 29. April (-15° R.) verließen Schiffslieutenant Brosch, Haller und ich das Schiff. Jubinal und Toroßy zogen den mit einwöchentlicher Ausrüstung belasteten Hundeschlitten; Pekel begleitete uns als Freiwilliger. Die Ergänzung jener Winkel, welche die gemessene Basis mit dem aufzunehmenden Lande in trigonometrische Verbindung bringen sollten, hielt uns so lange auf den Höhen der Wilczek-Insel zurück, daß wir die nördlich folgende Ebene des Eises erst am 30. April (-15° R.) Morgens betraten. Die Sonnenwirkung war jetzt an einzelnen Tagen bereits so groß, daß die mittägige Zelttemperatur bei Windstille bis +14° R. erreichte, während sie in den vergangenen beiden Monaten 10° bis 20° unter Null betragen hatte. Fiel die Temperatur während des Tages nur etwa 6° unter Null, so waren wir nicht mehr im Stande, anders als in bloßer Wollwäsche und Strümpfen zu gehen.

Ein Bär überrascht uns.

Als wir wieder aufbrachen, fiel etwas Schnee; die Berge bedeckten sich mit Dunstmassen, deren horizontale Lagerung sie in halber Höhe durchschnitt. Nur Cap Brünn, unser Ziel, lag unverhüllt; westlich davon war die lange, die Insel Mac Clintock umsäumende Gletschermauer das beständige Spiel der Strahlenbrechung, sie ließ sich bis Cap Oppolzer verfolgen und schien sich dann gegen Nordwest zu wenden.

Die Schneebahn des Sundes war noch immer fest, so daß unsere Hunde nur geringer Hilfe bedurften, um das Gepäck fortzuschaffen, umsomehr, als wir den Bedarf für den Rückweg in einen Eisberg vergruben. Kaum war dies geschehen, so entdeckten wir die Höhle eines Bären in dem massig angewehten Schneelager an seinem Fuße; gleich darauf erblickten wir ihren Bewohner in großer Entrüstung auf uns zukommen. Uebereilte Schüsse hatten jedoch zur Folge, daß der Bär nur verwundet wurde und entkam. Je mehr wir uns der Mac Clintock-Insel näherten, desto häufiger gewahrten wir Sprünge im Eise, der Küste parallel, mit einer nur vier Meilen entfernten kleinen Wacke im Süden communicirend. Wir vertrauten indeß, daß diese Sprünge sich innerhalb der nächsten Tage noch nicht bis zur Unüberschreitbarkeit öffnen würden, setzten über sie hinweg und schlugen unser Lager eine Meile von der genannten Insel entfernt in der Nähe ihrer Gletscherabstürze auf.

Noch immer waren die Hunde unversöhnliche Gegner der Bären; der traurige Ausgang Matotschkins hatte nicht vermocht, sie zur Vorsicht einzuschüchtern, besonders deßhalb nicht, weil sie blind auf unsere Überlegenheit gegenüber den gemeinsamen Feind rechneten. Keinen erfreulicheren Anblick gab es für sie, als einen verwundeten Bären; wenn er auf seiner Flucht ermattete, so umringten sie ihn, zerrten an seinen Beinen und thaten Alles, sein Entkommen zu erschweren. Ebensoviel Muth als Schadenfreude sprach sich in ihrem Treiben aus. Der kleine Pekel war der Anführer der Angreifenden, in seiner Schule bildete sich endlich auch Toroßy zu einem mittelmäßigen Verfolger aus. So geschah es auch jetzt. Während wir im Zelte uns damit beschäftigten, das Nachtmahl zu bereiten, kam ein junger Bär; noch ehe wir es verhindern konnten, stürmten die Hunde hinaus, vertrieben und verfolgten ihn weithin. In der Regel pflegt der Bär sich dann plötzlich umzukehren und seine bisherigen Verfolger zu jagen. Wir waren daher sehr besorgt um unsere Hunde, besonders um Toroßy, der nicht einmal so klug war, ein Zelt wiederzufinden, selbst wenn er es sah. In der That kam auch der Bär bald wieder zurück; Toroßy verfolgte ihn nun, indem er vorauslief und von Pekel nach dem Zelte geführt wurde. Die Rücksicht auf unseren geringen Patronenvorrath und der Ueberfluß an Bärenfleisch, das wir feingeschnitten vom Schiffe mitgenommen, hätten es diesem Thiere leicht gemacht, einen Zustand wechselseitiger Achtung zu erzielen, wäre er in hinreichender Ferne geblieben. Allein er kam in unsere unmittelbare Nähe, und zu unserem Bedauern sahen wir uns genöthigt, ihn zu tödten und uns seiner Zunge zu bemächtigen. Forster sagt, der Eisbär schmecke gleich schlechtem Rindfleisch, wir waren in der Lage dies zu bestätigen, denn jeder von uns verzehrte im Laufe der Expedition etwa vier Eisbären.

Der Markham-Sund und die Richthofen-Spitze vom Cap Brünn aus.

Am 1. Mai (-12,4° R.)wollten wir, über den Simony-Gletscher hinweg, die den Umkreis beherrschende Pyramide Cap Brünn besteigen, um von deren Höhe aus mit einem Blicke dasjenige zu erfahren, wozu, in der Tiefe, viele Tagreisen gehört hätten. Doch ungünstiges Wetter entschied dagegen. Wir mußten im Zelte liegen bleiben; und Schiffslieutenant Brosch, vorher durch die magnetischen Beobachtungen an Bord abgehalten, mich seinem Wunsche gemäß nach Norden zu begleiten, widerfuhr dabei die Unannehmlichkeit, sich den Fuß zu verletzen. Nur Haller und ich verließen daher, von Pekel begleitet, am 2. Mai das Zelt, um, des heftigen Schneetreibens aus WNW. ungeachtet, die Bergbesteigung auszuführen. Zwei Stunden wanderten wir, ans Seil gebunden, über den Simony-Gletscher bergan, dann im Zickzack die schroffe Pyramide des Cap Brünn hinauf. Unausgesetzt mußten wir dem Schneetreiben entgegengehen; niemals habe ich eine Bergbesteigung mit größerem Ungemach vollführt. Eine steile Schneeschlucht führte durch den Felskranz des aus einer langen Schneide bestehenden Gipfels. Nach fünfstündigem Marsche hatten wir ihn erreicht; eine Aneroïdbeobachtung ergab 2500 Fuß Höhe.

Erforderte die Besteigung in Folge heftigen Windes und wahrhaft durchdringender Kälte der ganzen Selbstbeherrschung strapazengewöhnter Männer, um nicht unverrichteter Dinge nach dem Zelte zurückzukehren, so bedurfte es jetzt auf dem Gipfel eines so unvergleichlichen Antriebes, wie es nur ein großes, völlig unbekanntes Land bietet, um nicht an der Möglichkeit zu verzweifeln, daselbst trotz 18° Kälte und stürmischen Windes aufmerksam zu zeichnen, im Azimuth zu messen, die Distanzen seiner wichtigsten Oertlichkeiten zu schätzen und für jene Punkte, wo sich verläßlichere Schnitte erwarten ließen, auch die Höhenwinkel zu beobachten. Weil aber der Theodolit durch den Wind unausgesetzt bewegt wurde, so erheischte jeder Winkel eine mehrmalige Wiederholung, um brauchbare Mittelwerthe zu erzielen. Erst nach mehreren Stunden der härtesten Arbeit war meine Aufgabe erledigt.

Sie galt vorzugsweise dem südlichen Theile des Zichy-Landes, einem großartigen Bergcomplexe, jenseits des breiten Markham-Sundes. Fast die Hälfte des Horizontes bestand aus Klippen, schimmernden Schneehöhen und grauen Felsenkesseln. Das System der Kegelberge herrschte auch hier vor; fast nur die Richthofen-Spitze, der vielleicht 5000 Fuß hohe Culminationspunkt des bekannten Franz Josephs-Landes, erhob sich als schlanke weiße Pyramide. Das Land war überall von Fjorden zerrissen und von Gletschern bedeckt; seine Grenzen gegen Spitzbergen oder Gillisland ließen sich nicht bestimmen, weil noch in einer Entfernung von etwa fünfzehn bis zwanzig deutschen Meilen sich deutlich Gebirgszüge erkennen ließen. Es scheint demnach, daß die Landmassen in dieser Richtung sich mindestens noch bis zum 50., vielleicht sogar bis zum 48. Grad östlicher Länge erstrecken. Die Karte versinnlicht die Ausdehnung des Landes nach dieser Richtung, doch ohne auf Genauigkeit Anspruch zu machen. Zum ersten Male machten wir jetzt die Wahrnehmung, daß die Landmassen im Süden des Markham-Sundes durch einen Fjord, – Negri-Sund, – getrennt seien. Er war bereits offen, und da auch im Markham-Sunde einige dunklere Stellen auf Sprünge im Eise deuteten, so scheint es, daß Schlittenreisen im Franz Josephs-Lande nur im Anfang des Frühjahrs ohne Gefahr des Abgeschnittenwerdens unternommen werden können. An eine Schifffahrtschance war zur Zeit noch nicht zu denken, selbst dann nicht, wenn sich ein Schiff in diesen zusammenhanglosen, kleinen Wacken befunden hätte.

Haller hatte diese Zeit windgeschützt in einer Felskluft unterhalb des Gipfels zugebracht; seine Disposition zu rheumatischen Affectionen machte ihn unfähig, Wind und Kälte zu ertragen, und es genügte, daß er zu meiner Unterstützung herbeieilte, wenn ich gezwungen war, mein kaltes Arbeitsbuch fallen zu lassen, um die erstarrten Hände mit Schnee zu reiben.

So groß aber auch unser Entzücken über die neuen Länder, Trophäen der Ausdauer, war, so sehr entmuthigte uns der Blick nach Süden. Eine ungeheuere Eisfläche dehnte sich dahin aus, ein trauriger Anblick, dachten wir an die bevorstehende Heimkehr. Nur ein einziger Wasserfaden zog sich schlangenförmig und gelbglänzend unter der Sonne hin nach Südost, das noch festliegende Landeis von dem Reiche der Schollen scheidend, und fast mit dem kleinen Bassin vom Küstenwasser im Süden der Insel Mac Clintock in Verbindung stehend. Doch war es nur zu gewiß, daß schon der nächste Hauch aus Süden ihn wieder schließen würde. Sonst war alles eine völlig geschlossene Eisdecke; der unruhige Wechsel von Licht und Schatten darauf ließ keinen Zweifel, daß sie nicht aus einer Ebene, sondern aus zahllosen Theilen gethürmten Eises bestand, zwischen denen da und dort dunklere Stellen sichtbar waren, Wasserplätze geringsten Umfanges.

Auf dem Rückweg brachten wir einige Zeit mit der Untersuchung des unteren Gletschergebietes zu, so daß wir erst Nachmittags wieder beim Zelte eintrafen. Unser Reisezweck war erfüllt; die Erweiterung der gemachten Entdeckungen hätte ein mehrtägiges Vordringen in Nordwest-Richtung, die Mitnahme eines leichten Bootes und die Besteigung eines Berges, etwa die der Richthofen-Spitze vorausgesetzt. Da wir jedoch den Rückzug nach Europa schon binnen zwei Wochen antreten wollten, so gebot die Nothwendigkeit Rückkehr zum Schiffe. Dieser Rückweg, am 2. Mai Nachts begonnen, bestand in einem zweiundzwanzigstündigen Eilmarsch; obgleich die Temperatur am 3. Mai zwischen -12° und -16° schwankte, waren wir doch in Schweiß gebadet. Mit Leichtigkeit zogen die Hunde den nur noch mit drei Centnern belasteten Schlitten allein und lieferten den glänzendsten Beweis ihrer Leistungsfähigkeit. Wir zweifelten nicht daran, daß ein verstärktes Gespann dieser Art die unvergleichlichste Form der Schlittenreisen sein müsse. Abends erreichten wir den Tegetthoff; die Schlittenreisen nahmen damit ihren Abschluß, nachdem wir im Ganzen etwa vierhundert und fünfzig Meilen zurückgelegt hatten.


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