Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Herbst und das erste Betreten des Landes.

Witterung. – Freiragen des Schiffes im Eise. – Einstellung der Befreiungsarbeiten. – Beginn der Rückzugsgedanken. – Abnehmendes Tageslicht. – Die Vögel verlassen uns. – Nordlichter. – Windrichtung und Schneefälle. – Erneuerung der Eispressungen. – Düstere Aussichten. – Wir treiben in die Nähe des Landes. – Wir betreten die Wilczek-Insel. – Landexcursionen der nächsten Tage.

 

Der Herbst des Jahres 1873 war ungewöhnlich mild, wenngleich stürmisch und trübe. Bis zum 20. September sank das Thermometer täglich um einige Grade unter Null, es fiel noch etliche Male Regen; erst der Ausgang des Monats enthielt die tägliche Minimaltemperatur von -8 bis -12° R., wodurch die mittlere Monatstemperatur bis auf -3,3° R. herabsank. Der milde Charakter dieses Herbstes stand vielleicht im Zusammenhang mit einem ungewöhnlichen Zurückweichen der Eisgrenze im Süden; möglicherweise war es aber auch nur eine Folge offenen Wassers, das während des Dahintreibens der Schollen vielleicht nahe von uns unter Land sich gebildet hatte, und dieses wurde um so wahrscheinlicher, da das Land selbst nur selten sichtbar war und schwere Massen schwarzblauer Wolken, wie sie sonst südlichen Breiten eigentümlich sind, in der Regel darüber hingen. Häufige Schneefälle hüllten unsere Umgebung wieder in das intensive Weiß des Winters; es erschienen Nebensonnen als die gewöhnlichen Vorboten des Schneetreibens, welches das Schiff mit hohen Schneewehen umringte. Schon Anfangs August hatten die zahllosen kleinen Seen auf dem Eise während der Nacht sich überbrückt, und mit Ende dieses Monats trugen sie uns auch während des Tages. Krachend zersprang ihr Spiegel, sobald die Temperatur plötzlich um einige Grade fiel, während der Effect der Zusammenziehung sich im Schiffe durch häufige »Schüsse« äußerte. Die Wacken waren mit Eisschleim überzogen, an ihren Rändern umsäumten sie tragfähige Decken. Das Schiff ragte nun fast gänzlich unbedeckt aus dem Eise; sein Achtertheil lag sieben Fuß über der natürlichen Wasserlinie, etwa vierzehn Fuß hoch erhob sich der Rumpf über die umgebende Schneefläche. Um die Communication mit dieser zu erleichtern, waren wir genöthigt gewesen, hohe Treppen aus Eisstufen zu seinen beiden Seiten aufzuführen.

Seit dem 7. September waren die Arbeiten zur Befreiung des Schiffes eingestellt; das kleine nunmehr überfrorene Bassin am Vordersteven, das Ergebniß monatelanger Anstrengungen, gewährte uns für etliche Tage den bescheidenen Vortheil des Eislaufes.

Die Erfahrungen des vergangenen Sommers hatten mächtig dazu beigetragen, alle jene Gründe zu bestärken, welche uns mit Rücksicht auf die Gesundheitsverhältnisse und die geringen Erfolge eines längeren Verweilens bestimmen konnten, unser hilfloses Fahrzeug im folgenden Sommer zu verlassen und die Rückkehr nach Europa mittelst der Schlitten und Boote zu versuchen.

Wenn wir unsern nur mehr geringen Vorrath an Citronensaft bedachten, so blieb uns über diese Notwendigkeit kaum ein Zweifel mehr: es erwachte in uns nur die Besorgniß, ob wir bis dahin im Stande sein würden, das räthselvolle Land im Norden zu erforschen. Als die Arbeiten im Freien aufgehört hatten, wuchs wieder die Zahl unserer Kranken; Krisch, Vecerina, Fallesich und Palmich litten durch den ganzen folgenden Winter hindurch mehr oder minder an Scorbut, der bei dem Ersten als Folgeübel auftrat, bei den Uebrigen die ausschließliche Krankheit bildete. Feuchtes Wetter, hervorgebracht durch periodisches Steigen der Temperatur, war stets die Veranlassung seines Umsichgreifens.

Die Rückkehr nach Europa binnen Jahresfrist zu versuchen, war daher, wenngleich noch nicht officiell in unser Programm aufgenommen, doch schon jetzt als unvermeidlich zu betrachten. Der Transport unserer Boote über erweichte Schneelager schien mittelst breiter Schleifen leichter ausführbar, als mittelst der sich tief eingrabenden Schlitten; aus diesem Grunde wurden die Vorarbeiten schon jetzt begonnen. Am 2. September war eine solche Schleife fertig geworden; ihre Mängel lagen nur in der Unzulänglichkeit des verfügbaren Materiales. Eine Probefahrt bei guter harter Bahn ergab zwar, daß der Schlitten dem neuen Transportmittel noch immer weit überlegen sei; doch galt ihre beabsichtigte Verwendung bei dem bevorstehenden Rückzuge einer Jahreszeit, in welcher das Eis von schuhtiefen Lagern lockeren Schnee's bedeckt ist.

Das Tageslicht erbleichte immer mehr; am 9. September ging die Sonne schon um 8½ Uhr unter, zum ersten Male wieder wurden die Sterne in der Nacht sichtbar. Bereits von der Mitte September an brannten auch die Lampen die ganze Nacht hindurch wieder in unseren Wohnräumen; unsere Umgebung und Existenz, wenngleich niemals belebt durch wechselnde Bilder oder Ereignisse, nahm abermals die tiefe Einsamkeit des bevorstehenden Schattenreiches an. Die Vögel wurden seltener, obgleich sie uns noch nicht gänzlich verließen, so lange es noch offenes Wasser in der Nähe gab; Taucher und Alken waren jedoch bereits verschwunden. In langen Reihen geschaart, zogen sie nach Süden, und wenn sie durch das Tauwerk des Schiffes schwirrten, so fühlten wir die Ueberlegenheit des kleinen Thieres gegen uns Menschen und gegen unser Schiff, das seine Schwingen nie mehr erheben sollte. Etwas Niederbeugendes lag in diesem Vergleich der Ohnmacht des Herrn der Schöpfung mit dem Nimbus seiner großen Erfindungen gegen das leichtbeschwingte Thier. Nur Eismöven, die gemeine graue, die breitschwänzige Schmarotzer- und die Raubmöve hielten noch bei uns aus; einmal schossen wir auch eine rosenfarbige, die sonst nur in Nordamerika und Island heimisch sein soll. Am 28. September hatten wir den letzten Schneezeisig erblickt. Am 22. September wurde das erste Nordlicht in diesem Jahre bemerkt, und sein Licht fiel in dem folgenden Winter nicht mehr bloß auf die vergänglichen Formen des Eismeeres, sondern auch auf das ferne Franz Josephs-Land, uns damit die beruhigende Gewißheit gebend, daß wir noch nicht außer Sicht desselben getrieben waren. Am 5. October trat auch der Vollmond zum ersten Male wieder klar über den Horizont.

Ende September hatten wir dahintreibend, wie bereits erwähnt, nahezu den 80. Breitegrad erreicht, und obgleich wir auch des Tags über nur wenige, besonders vorgeschobene Oertlichkeiten des Landes in dürftigen Umrissen erblickten, so war doch die unscheinbarste Klippe, welche aus großer Entfernung über das Eis emportauchte, hinreichend, uns Alle auf Deck zu rufen. Der vergangene Winter war mehrentheils durch Windstille oder schwache Brisen und geringere Schneefälle charakterisirt; der nunmehrige brachte stürmisches Wetter und Schneefälle in Fülle. Die Winde kamen vorherrschend aus Nord, und da sich diese nördlichen Winde durch ihre überlegene Stärke und durch langdauerndes Schneetreiben auszeichneten, so gewannen wir den Vortheil der Schneehärtung. Im October herrschten Nordostwinde vor; sie wechselten mit Nordwestwinden, welche erst im Anfang des November überwiegend wurden, während die erste Hälfte des December wieder unter Nordostwinden verlief. Der zweite Theil dieses Monats war von Windstille erfüllt und von ihrer gewöhnlichen Begleitung, großer Kälte. Ein beständiges Fallen der Temperatur fand während dieser drei Monate statt; die Mittel derselben waren: -14°, -21,2°, -23° R.; ihre Maxima erreichten, wenngleich nur für einige Stunden, -3° (2. October), -6,2° (17. November), -10° R. (21. December); ihre Minima: -23° (19. October), -31,8° (20. November), -34° R. (16. December). Mitte December fiel die Temperatur sogar sechs Tage lang täglich unter -30° R.; doch herrschte während so niedriger Temperaturen gewöhnlich Windstille.

In der zweiten Hälfte October hatten die anhaltend nördlichen Winde unsere Scholle wieder nach Süd und West getrieben, und in dem Maße, als wir uns dem Lande näherten, vergrößerten sich die Zerstörungen aller Eisfelder im Umkreise, weil sie mit den unverrückbaren Barrieren des Landes in Berührung kamen. Auch unsere eigene Scholle, seit dem Ausgang des September dem allgemeinen Drängen und Pressen des Eises ausgesetzt, hatte sich stetig verkleinert. Am 1. October näherte uns ein scharfer Ostnordostwind dermaßen dem Lande, daß wir inmitten des Bereiches der Zerstörung geriethen. Unser Eisfeld zersprang, und so rasch verringerte sich sein Umfang durch den beständigen Druck, daß die Entfernung vom Schiffe zum Schollenrand, welche am 1. October nach Süden hin noch 1300 Schritte betragen hatte, sich am 3. October nur mehr auf 875 Schritte belief, am 6. October sogar auf 200 Schritte herabsank. Schritt für Schritt nahte die Bewegung des Eises; weithin sah man von den Masten aus nichts mehr, als ein emporgethürmtes Chaos von Bergen und Thälern, nur unsere kleine Scholle war noch ein Stückchen ebene Fläche. Aber auch sie ward mehr und mehr verschlungen durch den unaufhaltsam näherrückenden Wall prasselnder klirrender Eisstücke, der sich unter beständigem Donner zu uns heranwälzte.

Und auch diese kleine Ebene zitterte, jede ihrer Bewegungen fand in dem Schiffe den treuesten Wiederhall. Am 15. October, als der Schollendurchmesser nach allen Richtungen hin nur mehr wenige hundert Schritt betrug, vernahmen wir zum ersten Male wieder das im Holzwerk des Schiffes dahinlaufende Knacken und Knistern, welches so aufregender Natur ist, da es die Erwartung auf ein plötzliches Aufbrechen des Eises bis zur Unheimlichkeit spannt. Wiedergekehrt waren die Tage beständiger Aufregungen; der Bereitschaftszustand wurde erneuert, Jedermann füllte seinen Rettungssack, und wenn wir vor der pochenden Gewalt des vorrückenden Walles standen, sein Geheul vernahmen und sahen, wie das bebende Eis in concentrischen Sprüngen am Schollenrande wich, sich erhob und hinübertrat in die klirrenden Reihen unserer Dränger, so stand ein Bild schwerer Kämpfe für die kommenden Tage der Finsterniß vor unserem Auge. Und was mochte das Ende sein? Das Land, nach dem wir uns gesehnt hatten, lag vor uns, aber eine Qual war sein Anblick geworden; unerreichbar schien es zu bleiben, an seinem unwirthlichen Gestade mußte wohl unser Schiff in dem Kampfe, der ihm nahe bevorstand, zu Grunde gehen. Wohin dann? Viele Pläne wurden laut; allein alle waren gleich unausführbar, nur unter dem Wunsche entstanden, sich dem Reiche der Zermalmung zu entziehen. Sie waren unausführbar, ob sie nun der zeitigen Flucht vom Schiffe weg, mit allem Fortschaffbaren nach dem nächsten Lande hin, galten, oder dem Eingraben in einen festsitzenden Eisberg.

Dieser Art waren die Aussichten, als wir am 31. October einer vorgeschobenen Landmasse von geringer Höhe aus die Entfernung von etwa drei Meilen nahe getrieben waren und uns in einem Umkreise von Eisbergen befanden, deren sich leicht zehn von ansehnlicher Höhe zählen ließen. Die Berge, oder wir selbst, oder beide Theile trieben sehr rasch dahin, wie die Peilungen zeigten. Trieben die Berge, so mußten sie alle Eisfelder zersplittern, die ihnen im Wege standen; die Schönheit ihres Anblicks wurde von der Gefahr ihrer Nachbarschaft überwogen. Wir befanden uns nunmehr in 79° 51' nördlicher Breite und 58° 56' Länge. Hier, genau in der Länge der Admiralitäts-Halbinsel Nowaja Semlja's, und zwar nach Norden zu Osten mit dem Schiffe anliegend, sollten wir hafenlos den Winter verbringen.

Am 1. November Vormittags (-22° R.) lag das Land im Dämmerlichte in Nordwesten vor uns; die Deutlichkeit seiner Felszüge verkündete jetzt zum ersten Male, daß es erreichbar sein müsse, ohne durch zu langes Ausbleiben die Rückkehr zum Schiffe zu gefährden. Alle Bedenken schwanden; voll Ungestüm und wilder Aufregung kletterten und sprangen wir über das zu Wällen gethürmte Eis nach Norden. Die Wälle bestanden aus bis fünfzig Fuß hohen Barrièren erst jüngst emporgepreßter Eisstücke, die zerschlagenem Zucker ähnlich da lagen, und wovon einzelne Stücke bis eine Kubikklafter groß waren. Daran stieß eine zwei Meilen breite Fläche von Jungeis, dessen Salzdecke, ungebrochene Lage und geringe Mächtigkeit von nur sechs Zoll bewies, daß noch kurz vorher offenes Wasser vorhanden gewesen sei. Solche Wacken, mögen sie sich nun unter Land oder im Eise selbst bilden, entstehen zu allen Jahreszeiten; hier aber hätte ihre geringe Erstreckung dem »Tegetthoff« nur dann eine Schiffahrtschance, jene des Küstenwassers, geboten, wenn er frei und durch irgend eine Macht 2½ Monate vorher wäre dorthin versetzt worden. Ueber diese Fläche jungen Eises rannten wir jetzt dem Lande zu, und als wir auch den Eisfuß überwunden hatten und es wirklich betraten, sahen wir nicht, daß es nur Schnee, Felsen und festgefrorene Trümmer waren, die uns umgaben, und daß es kein trostloseres Land auf der Erde geben könne als die betretene Insel; für uns war sie ein Paradies, aus diesem Grunde erhielt sie den Namen Wilczek-Insel.

So groß war unsere Freude, das Land endlich erreicht zu haben, daß wir seinen Erscheinungen eine Aufmerksamkeit schenkten, die sie sonst nicht verdient hätten. In jeden Felsspalt sahen wir hinein, berührten jeden Block; über jede Form und Contour, die tausendfach und überall jeder Riß bietet, waren wir entzückt; großmüthig nannten wir die vereisten Hänge seiner Einschnitte Gletscher! Keine Frage aber lag uns im ersten Moment näher, als die seiner geologischen Beschaffenheit, und es war eine seltsame Ueberraschung, hier ganz genau dasselbe Gestein anzutreffen, das wir während der zweiten deutschen Nordpol-Expedition auf den Pendulum-Inseln kennen gelernt hatten. Dieses bestand aus Dolerit, und sein Säulenbau verlieh den Gestaden der Wilczek-Insel eine wunderbare Aehnlichkeit mit den Ufern von Griper Roads und Shannon (E. Philipp Broke). Unbeschreiblich dürftig war die Vegetation; sie schien nur auf wenige Flechten beschränkt, nirgends zeigte sich das erwartete Treibholz. Auch Spuren von Renthieren oder Füchsen hatten wir erwartet; allein alles Nachforschen blieb vergeblich, das Land schien ohne lebende Geschöpfe zu sein. Darauf erstiegen wir eine Felsenhöhe am südlichen Saume der Insel, von wo aus wir das Eismeer gegen Süden hin und zwar noch einige Meilen über das Schiff hinaus überblicken konnten. Es liegt etwas Erhabenes in der Einsamkeit eines noch unbetretenen Landes, wenngleich dieses Gefühl nur durch unsere Einbildung und den Reiz des Ungewöhnlichen geschaffen wird, und das Schneeland des Poles an sich nicht poetischer sein kann, als Jütland. Wir waren aber für neue Eindrücke sehr empfänglich geworden, und der Goldrauch, welcher am südlichen Horizont einer unsichtbaren Wacke entstieg und sich als wallender Vorhang vor die mittägige Himmelsglut breitete, besaß für uns denselben Zauber wie eine Landschaft Ceylon's. Auch die Hunde theilten unsere Freude; voll Eifer und bellend liefen sie von Stein zu Stein, von Cap zu Cap.

Wie schmerzlich war es uns jetzt, daß wir dieses Land nicht einige Wochen vorher erreicht hatten, um es selbst auf die Gefahr hin, das Schiff zu verlieren, erforschen zu können. Die Sonne war leider schon seit einigen Tagen untergegangen; das mittägige Dämmerlicht der nächsten Tage gestattete nur geringe Excursionen vom Schiff aus, welche unser Verlangen, den Bau und die Gliederung des Landes kennen zu lernen, nicht befriedigen konnten, und bis zum nächsten Frühjahre war nur zu sehr zu befürchten, daß die fortgesetzten Nordwinde uns längst wieder außer Sicht desselben treiben würden. Nach Süden dehnte sich eine blaugraue Eisebene aus, die, gegen den Horizont hin immer dunkler werdend, jenseits des fernen Schiffes eine große Wacke enthielt, deren gelbem Spiegel wallende Dämpfe entstiegen. Darüber hinaus drängten sich die Reihen der Schollen in dunklen Linien parallel an den Gesichtskreis, welchen der südliche Himmel in einem intensiven Carmin überragte.

Ueber einen glasartig beeisten Trümmerhang waren wir bergan in das Innere dieser kleinen vorgelagerten Insel gegangen, um einen freien Blick nach Norden hin zu gewinnen; doch ohne unsere Absicht zu erreichen, kehrten wir endlich um, da mit der Dauer unseres Ausbleibens vom Schiffe die Befürchtung wuchs, dieses könnte wegtreiben und uns in der Einöde zurücklassen. Am folgenden Tage gingen wir wieder nach dem Lande, und so groß war der feierliche Eindruck dieser Tage und Ereignisse, daß Carlsen, der alte geprüfte Eisfahrer, seinen Olafsorden unter dem Pelze an die Brust heftete, um unsere Expedition und seine norwegische Heimat zu ehren. Wir erbauten eine sechs Fuß hohe Steinpyramide auf der Wilezek-Insel und ließen eine unserer Flaggen an einer Stange festgebunden darin zurück.

Am 3. November zogen Etliche von uns schon um acht Uhr Morgens aus – es war noch ganz finster – um einen Gletscher zu erreichen, den wir im Norden der Wilczek-Insel jenseits einer zugefrorenen Meerenge wahrgenommen hatten. Drei Hunde begleiteten uns mit einem kleinen Schlitten. Da solche Ausflüge in der beständigen Besorgniß geschahen, vom Schiffe abgeschnitten zu werden, so erfolgten sie stets in größter Hast, und wenn wir zurückkehrend den »Tegetthofs« wieder fanden, so beglückwünschten wir den Verlauf unseres Wagnisses. Ueber eine matte silbergraue Schneefläche waren wir an diesem Tage dahingeeilt, einzelnen rosigen Dämmerlichtern zu, welche refractionsbewegt darüber schwebten. Es waren Eisberge, die wie Juwelen glühten, und die wir für die lange Abbruchswand unseres Zieles, des Gletschers, hielten. Aber erst nach Stunden kam sein wirklicher Saum zum Vorschein, nachdem das Schiff längst unsern Blicken entschwunden war. Schon vorher, als wir das Ostende der Wilczek-Insel erreicht hatten, begann Schneetreiben, und oberhalb seiner wallenden Schleier sahen ferne Terrassengebirge in trüben Umrissen jenseits einer breiten Einfahrt herüber, welche wir querüber zu passiren im Begriff standen. Ein weißes Band tauchte im Osten plötzlich vor uns auf; es war der Gletscherabsturz, unser Ziel. Sein hoher Abschwung war mehr und mehr eingesunken, und als wir ihn nach vierstündigem Marsche endlich erreichten, überraschte es uns, daß seine Neigung nur zwei bis drei Grad betrug. Seine Höhen mußten daher in großer Entfernung liegen. An seinem linken Ufer zog eine Seitenmoräne in die Tiefe. Als wir nach dem Schiffe zurückkehrten, erlosch der rosige Abendschein in dem höheren Gewölk; darauf begann es hinter dem Riesenleib des Gletschers heller zu werden und schwarz hob sich dessen Saum vom leuchtenden Himmel ab. Dann blitzte ein Strahl des Mondlichts über den dunklen Bogen herüber, und nun stand dieser selbst als riesengroße emporsteigende Leuchtkugel da, die den oberen Gletscherrand durch einen Silberschimmer von der stahlblauen Nacht trennte. In allen Eistümpeln irrte das Mondlicht glitzernd vor uns her; blitzend fiel es von allen Schneefugen, und weil das Knarren unserer Schritte in dem Schnee die einzige Bewegung in der feierlichen Mondstille war, so schien es uns, als seien wir die einzigen Menschen auf der Welt.

Wanderungen nach dem Lande im Mondlicht.

Es war schon völlig finster, als wir den Umkreis des Schiffes wieder betraten, wo der wackere Carlsen, mit Gewehr und Walroßlanze zu jedem Strauße gerüstet, uns entgegenkam. Bei einer Excursion am 6. November (-25° R.) gelangten wir bis zur Nordwestecke der Wilczek-Insel und überschritten zum ersten Male während dieser Expedition den achtzigsten Breitegrad. Mit Sehnsucht blickten wir nach dem fernen Hauptland hinüber, das, vom Monde hoch überragt, in seinem kalten matten Silberlicht sich vor uns ausdehnte, und in den wenigen Dämmerungsstunden eines Tages unerreichbar war.

Unbeschreibliche Einsamkeit lag über diesen Schneegebirgen, welche der Dämmerungsbogen im Süden und der Mond gleichmäßig schwach erleuchteten. Wenn das Strandeis nicht durch Ebbe und Fluth ächzend und klingend gehoben wurde, der Wind nicht seufzend über die Steinfugen dahinstrich, so lag die Stille des Todes über der geisterbleichen Landschaft. Wir hören von dem feierlichen Schweigen eines Waldes, einer Wüste, selbst einer in Nacht gehüllten Stadt. Aber welch ein Schweigen liegt über einem solchen Lande und seinen kalten Gletschergebirgen, die in unerforschlichen duftigen Fernen sich verlieren, und deren Dasein ein Geheimniß zu bleiben schien für alle Zeiten. Es war selbst Mittags so dunkel, daß das Ablesen eines Compasses von großer Theilung Anstrengung erforderte, die Lage der Sonne unter dem Horizont sich auf fünfzehn Grad Abweichung im Azimuth nicht mehr genau bestimmen ließ.

Auch am 7. November (-23° R.) fand noch ein Ausflug statt, und zwar nach der Südwestseite der Wilczek-Insel; doch hatten alle diese Anstrengungen nicht das gewünschte Resultat, uns über die Configuration selbst der nächstliegenden Theile des Landes aufzuklären; bis zum Frühjahre hin verblieb daher Alles, mit Ausnahme der Südseite der Wilczek-Insel, ein räthselvolles Geheimniß. Nur das hatten wir zu erkennen vermocht, daß das Eis im Süden von Cap Tegetthoff noch jüngst aufgebrochen war, während es die Sunde im Osten davon als ebener alter Plan erfüllte. Auch in der folgenden Zeit geschah es noch, daß sich Sprünge und Wacken südlich des Schiffes öffneten; schon Ende October hatten sich die letzten Möven über ihnen gezeigt.


 << zurück weiter >>