Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Eispressungen in der Polarnacht.

Tagebuch-Auszug.

 

Verhältnißmäßig gering gegen den quälenden Gedanken unserer Gefangenschaft war die Bedrohung unserer Existenz, wenn sie gleich die furchtbare Form der Eispressungen gewählt hatte. Fast täglich erfuhr unser Schiff die Angriffe des Eises, und auch die Stunden ihres Stillstandes waren von ihren Drohungen begleitet. Mein Tagebuch verzeichnet eine lange Reihe dieser Beunruhigungen, vorzugsweise den 3., 4., 5., 7., 10., 11., 12., 13., 15., 18., 20., 22., 23., 24., 25., 26., 27., 29., 30. und 31. Jänner. Die Pausen selbst waren mit einem fortwährenden Flüstern, Zittern, Beben oder Krachen im Holze erfüllt, und die lange Dauer dieser Eindrücke bereitete uns ein Leben, dessen geistige Qualen den furchtbarsten Höllenschilderungen entsprochen hätten. Am 3. Jänner war es ein grauenerregendes Brüllen, welches so lange währte, bis selbst das älteste Eis zersprungen war, und dessen Pressung so groß, daß sich die Luke des großen Raumes etwas verschob. Am 4. Jänner dauerten die Pressungen fast den ganzen Tag; am 22. Jänner überboten sie an Furchtbarkeit alles bisher Erlebte. Morgens, eben als wir aufstanden, ertönte ein entsetzliches Krachen; dann folgten pulsirend schwächere Pressungen. In der Cajüte hörten wir ein tiefes Brüllen; das Beben glich dem eines Dampfkessels unter großer Spannung, auf Deck aber empfing uns ein pfeifendes Geheul des Eises, und zu unserem Entsetzen überzeugten wir uns von der ungeheuren Gewalt dieses Angriffes. Das Eis hatte sich zehn Schritte achter des Schiffes in einem Augenblick zu Bergen emporgepreßt, deren Höhe man nicht sah, sondern nur aus dem Rasseln der Blöcke dicht oberhalb des Schiffes vermuthen konnte. Unter größter Schwierigkeit wurden die Boote in der Finsterniß näher an Bord gebracht, 1000 Pfund Fleisch, 300 Pfund Pemmikan, 300 Erbswürste steuerbord des Schiffes geschafft; die ausgesetzten Kohlen dagegen konnten nur zum Theile gerettet werden. Ein aus Segeln gebildetes Zelt war verschlungen, unser bisheriges Wasserloch durch die Pressung verschoben worden. Erst nach manchem Fehlgriff fanden und durchdrangen wir eine dünnere Platte und erreichten das Wasser. Am 26. Jänner Nachts rissen uns abermals wüthende Pressungen aus dem Schlafe; binnen einer halben Stunde war Alles bereit, das Schiff zu verlassen, das sich vorne bereits emporhob, und ich glaube, daß es Manchen gab, der bei dem furchtbaren Getöse auf Deck, des Ausganges harrend, wünschte, das Schiff möchte endlich zerdrückt werden, um der endlosen Qual eines solchen Bereitschaftszustandes zu entgehen.

Eine Eispressung.

Ich will den Leser nicht durch die Wiederholung des täglichen Einerlei dieser Gefahren ermüden, sondern nur eine Stelle meines Tagebuches aus jener Zeit hier einschalten, um unsere Lage zu erklären.

»Kaum und nur nach großer Ermüdung durch den endlich gefundenen Schlaf aller Sorge entrückt, ächzt und prasselt das Holz des Schiffsrumpfes dicht neben dem Ohre; man erwacht und lauscht dem wilden Angriffe des Eises. Noch hören wir der Wache kreischenden Schritt auf dem Eise, und so lange ihr Tempo Gleichmäßigkeit verräth, ist nichts zu befürchten. Auf einmal ertönt ein hastiger Schritt auf Deck – und der Ruf: »Auf, ihr Schläfer! – zwei Bären!«

»Sie sind erlegt, und wieder legen wir uns in den Zellen zur Ruhe. Aber noch lesen wir eine Zeitlang das Begonnene weiter, Rohlf's Africa. Es sind Züge der Natur, welche die Phantasie hier im Eise stärker erregen, als irgendwo anders. So lesen wir von der herrlichen Allee der Brodfruchtbäume, dem ewig saftgrünen Teppiche des Bahamagrases, auf welchem zahme Gazellen sich tummeln, im Hintergrunde die tiefblauen Lagunen von einem palmenbewachsenen – – –. Da, in der tiefen Einsamkeit der Mitternacht prasselt die Holzwand des Schiffes dicht neben dem Ohr, das Eis regt sich! – – – – »Sandgürtel begrenzt, ganz in weiter Ferne die tobende Barre, jenseits im unendlichen Ocean die stolzen Dreimaster, welche ihre Ladungen – – –«. Wieder jenes unheimliche Knistern im Holze; jetzt aber kracht auch des Schiffes ungeheurer Resonanzboden, und, wie so oft schon, ruft die Wache die Meldung herab, daß Alles in furchtbarer Bewegung sei. Es ist ein ewiges: »Macht fort; Eures Lebens Ziel ist da!« Und wieder, wie so oft vor- und nachher, springen Alle aus dem Bett, kleiden rasch sich an, ergreifen den stets gefüllten Rettungssack, laden das Gewehr und stehen in der Finsterniß bereit auf Deck. Nur dem Gehöre offenbart sich die Sprache ihrer Schrecken; wie sinnlose Ungeheuer bekämpfen sich die Elemente. Will man den Verlauf einer nächtlichen Pressung verfolgen, so muß man, da eine Laterne nichts erleuchtet, entweder mit dem inneren Auge schauen, oder sich das periodische Licht des Mondes vergegenwärtigen. Im Herbste, als die Eisfelder erst halb so mächtig waren, noch nicht so dicht und klingend hart, damals war ihre wechselseitige Zerstörung von tiefen Tönen begleitet, aber mit der Kälte hat ihr Wuthgeheul Der Lärm bei einer Eispressung kann durch kein anderes Wort besser bezeichnet werden. zugenommen. Ein Kochen und Brüllen im Eise hatte die Besatzung auf Deck gerufen. Näher gekommen war die brausende Bewegung. Dort, unsern dem Schiffe, erhebt sich eine düstere Schneewand über den Horizont; ihre Bewegungen zucken auf unserer Scholle nach; wie vor einem Erdbeben aus sorglosem Schlaf erweckend, künden sie die unmittelbare Nähe der Gefahr an.«

»Immer näher kommt das Klingen und Rauschen, wie wenn Tausende von Sichelwagen Ich kenne keinen Vergleich, der dem factischen Vorgange so nahe käme, als die Bewegung einer großen Anzahl von Wagen über eine Sandfläche, ein Vergleich, den, wie ich glaube, schon Mac Clintock in einem ähnlichen Falle gemacht hat. dahinrasten über die Sandflur eines Schlachtfeldes. Stets wächst die Stärke des Druckes; schon beginnt das Eis dicht unter uns zu beben, in allen Tonarten zu klagen, zuerst wie das Schwirren unzähliger Pfeile, dann kreischend, tosend, mit den höchsten und tiefsten Stimmen zugleich, – immer wilder brüllend erhebt es sich, sprengt in concentrischen Sprüngen des Schiffes Umkreis, rollt die zerbrochenen Glieder der Schollen auf. Ein furchtbar kurzer Rhythmus des stoßweisen Geheuls verkündet die höchste Spannung der Gewalt, ängstlich lauscht das Ohr dieser wohlbekannten Bewegung. Dann folgt ein Krach, mehrere schwarze Linien irren ohne Wahl über den Schnee. Es sind neue Sprünge in unmittelbarer Nähe, die im nächsten Momente als Abgründe auseinander klaffen. Oft ist damit die Gewalt gebrochen. Dröhnend rücken und stürzen die erhobenen Gerüste zusammen, gleich einer einfallenden Stadt; dann flüstern sie noch in abgebrochenen Pausen, endlich scheint die Ruhe hergestellt. Doch heute war dies nur der Anfang, und wiederholt mit neuer, immer größerer Kraft beginnt furchtbarer noch ein zweiter, dritter, vierter Angriff. Zwar ist die schützende Eisdecke um das Schiff schon zerstört; aber noch umgeben es keine Berge. Wieder erhebt sich das Eis. Neue Massen brechen am Umfang unserer kleinen Scholle ab; steilrecht schwingen sich ihre Tafeln aus dem Meere, ein unermeßlicher Druck wölbt sie bogenförmig auf, ja in Blasen steigen die Felder empor, ein grausiger Hinweis auf die Elastizität des Eises. Ueberall ringen die krystallenen Schaaren, zwischen ihren Gliedern fluchet der Wasserschwall in die hinabgepreßten Kessel; die Eisklippen zertrümmern im Einsturze, und Schneeströme fließen von den berstenden Hängen nieder. Vergeblich setzen sie ihre Kraft entgegen dem andrängenden Troß noch ungebrochener Tafeln! Wo ist da der Tod? Alles lebt! Dort liegt ein mehrere Winter alter Schollenveteran. Ein Riese in diesem Kampfe, zermalmt er durch seine furchtbaren Rotationen die schwächeren Nachbarn. Aber mit allen anderen unterliegt er selbst wieder dem gewaltigen Eisberge, dem Leviathan der Eisgeschöpfe. Denn unbeirrt von dem tosenden Chaos, bohrt dieser seine Bahn durch die Phalanx zappelnder Pygmäen, Alles zersplitternd, was ihm zu trotzen wagt mit erbärmlichen Schilden, furchtbar nur dem Menschen. Wehe dem Schiffe, dem er begegnet! Spaltend, brechend zieht er dahin; Wälle hoch aufgeschichteten Eises drängt er häufend vor sich her, gleich brandendem Schaum; ein Strom zermalmten Eises umfließt seinen Leib, und wie Rauch gegen Himmel trägt ihn der Wind!«

»Und in diesem Wirrsal ein Schiff! Es windet, neigt und hebt sich; entsetzlich aber ist der Ausdruck der Pressung, wenn sie die »Abhalter«, fußdicke Eichenbäume, plattquetscht, das Schiff selbst zu prasseln beginnt. Und die Menschen auf ihm, bei dreißig Grad Réaumur unter Null, Hunderte Meilen fern von jedem Freunde und Befreier! Die Menschen, sie arbeiten längst nicht mehr, nur im Geiste ringen sie um ihr Leben. Nicht mehr nähen sie das Eis mit Tauen zusammen; nur anfangs rennen sie etwas durcheinander, irren mit Lampen zu den Sprüngen, bis das rings berstende Eis das Schiff selbst zu würgen beginnt. Des Einen Sorge, des Anderen düstere Fassung auf dem Angesichte, Beides verbirgt die Nacht. Unhörbar verhallen Worte, nur Schreie sind noch verständlich. Boote, Schlitten, Zelte, Proviant, Waffen, Alles ist bereit, wenn das Schiff berstet. Bereit für eine Rettung hinaus in das Reich der Zermalmung? Nein, Jedermann denkt, Niemand glaubt daran; aber Niemand leugnet laut die Möglichkeit. Mit Verwunderung und Grauen über den Widerstand, welchen ein geringes Menschenwerk leistet, wird das Beben des Schiffes gefühlt – in beständiger Erwartung, daß es platze. Wohin aber soll das Schiff noch steigen? Schon steht es auf einem Berge; wird es nicht kentern?«

»Wieder wechselt das Bild, der Kampf schweigt; Alles athmet auf, wie verändert, fremdartig starrt uns jetzt Alles an. Wenige Minuten haben hingereicht, aus einer Ebene ein Gewirre von Gebirgsketten zu schaffen, die überallhin wilde Klippen dehnen. Dahin sind die ebenen Schneeplane von gestern, die abgerundeten Wälle, die schneeüberschütteten Hügel mit ihrer ineinanderfließenden Ausgleichungstendenz, der Winde mühsames Werk. Mit Trümmern übersäet ist die Stätte, und in ragenden Reihen liegen die Gefallenen, denn wie in der Mongolenschlacht war kein Platz da für sie zum Hinsinken. Ueberall klaffen frische Bruchflächen blaugrünen Eises, Abgründe gähnen dazwischen, aus denen das düstere Meer hervorschaut. Ausgetobt hat das ergreifende Ringen; unheimliche Ruhe folgt, denn jeder Augenblick kann den Kampf neu entflammen. Nur da oder dort ächzt oder zuckt noch ein Wall, knistert eine Mauer, rasselt zusammen; ferner Eisberge beständigen Kampf trägt der Schall herüber. Oder es stürzt ein Thurm ein, der emporgepreßt lag auf den Rändern zweier Schollen, die nun auseinandertreiben. Allmälig wird es stiller, wiedergefunden scheint das Gleichgewicht in dem öden Reiche des Eises. Neue Canäle und Seen öffnen sich, zahllos ragen Krystallwände, Pyramiden, kühn in die Luft, majestätisch rauschen sie dahin, neuer Kampf in der Ferne folgt ihrem Drängen. Nur das Schiff geben sie nicht wieder frei. Wenn dann des Mondes silberne Strahlen, von Wolkenschatten gefolgt, dahinirren und einen blitzenden Flor ausbreiten über die Wüste, – was Anderes ist dies als bethörende Verheißung eines erlogenen Friedens?«

»Wo auf Erden herrscht solch' ein Chaos? Unbewußt ihrer Schrecken walten die Naturgesetze. Ein leichter Hauch aus Süden, unten freudig vielleicht begrüßt von einem Schiffer, preßt hier eines Anderen Hoffnung und Existenz zusammen auf ein furchtbar zitterndes Minimum, auf eine Luftblase im Eise! Und was ist die Gefahr, wenn sie, die Bedrohten ungeschädigt verlassend, einmal der Vergangenheit angehört? Ist sie mehr noch als ein bloßer Begriff, gilt sie schon nach einer Woche mehr noch als eine trügerische Einbildung? Gewiß, undankbar ist das Gedächtniß der Erfahrung, oft zum Wohle des Menschen!«


 << zurück weiter >>