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Entdeckung des Kaiser Franz Joseph-Fjords.

Abschied von der Ueberwinterungsstation. – Jackson-Insel. – Besteigung von Cap Broer Ruys 3400 Fuß und Cap Franklin 4500 Fuß. – Entdeckung des Kaiser Franz Joseph-Fjords. – Befahrung desselben – Besteigung zweier Berge von 6 und 7000 Fuß Höhe. – Das Innere Ost-Grönlands. – Petermann-Spitze. – Verlassen des Fjords. – Seine künftige Bereisung. – Rennthierjagden.

 

Am 1. August, als wir die Sabine-Insel wieder verließen, war es das letzte Mal, daß wir von unserer Ueberwinterungsstation Abschied nahmen, uns trennten von den Armen der kleinen Bai, die uns gegen andrängendes Eis und tosende Winterstürme geschützt hatte. Offenes Wasser lag nach Süden unter der Küste; erst an der Mündung der Gaël Hamkes-Bai stießen wir auf dichtes Eis. Auf Umwegen wurde die Jackson-Insel erreicht und im Osten derselben geankert. Die Besteigung des 800 Fuß hohen Gipfels dieser Insel gewährte einen weiten Einblick in die Gaël Hamkes-Bai. Westlich von Jordan Hill schien ein Fjord tief in das Innere des Landes einzudringen. Am 3. August setzten wir unsere Reise nach Süd fort; das Wetter war herrlich, die Lufttemperatur stieg bis +6° R., die Fahrt fand dampfend im offenen Wasser statt, weil Landwinde das Eis nach Ost abgesetzt hatten. Bis Mittag erreichten wir die stolze Berggruppe Cap Broer Ruys ( Hudsons hold with hope), wenige Meilen südlicher lag eine geschlossene Eisfläche, das noch ungebrochene Landeis, welches die Foster-Bai erfüllte. Der Scoresby- oder Davy-Sund, unsere vorgesteckten Ziele, waren somit zur Zeit kaum zu erreichen.

Wir hatten ein Gebiet betreten, welches in klimatischer Begünstigung Alles übertraf, was wir bisher vom Sommer Grönlands wahrgenommen. Grünliche Höhenzüge, Temperatursmaximen bis +10° R., große Renthierherden, Schwärme von Mosquitos waren die unmittelbaren Abzeichen dieser Veränderung. Sofort nach der Landung begann Capitän Koldewey die Beobachtung der Fluthwelle, die Astronomen die Ortsbestimmung, und Dr. Pansch bereicherte seine botanische Sammlung. Ich selbst erstieg mit meinem treuen Gefährten Ellinger den höchsten Gipfel des Cap Broer Ruys (3400 Fuß), um die Aufnahme fortzusetzen. Von dieser Höhe aus erblickten wir die Mündung eines großen Fjords, 100-200 große Eisberge lagen vor derselben; – diese Meerenge, noch auf keiner Karte verzeichnet, erhielt den Namen Kaiser Franz Joseph-Fjord.

Bei einer darauf folgenden Bootfahrt, an welcher der Capitän, Copeland, Börgen und ich theilnahmen, näherten wir uns dem Fjordeingang; nur dichtes Eis verwehrte das Einlaufen in denselben. Das vorliegende, 4000 Fuß hohe Cap Franklin verbarg den Anblick des Fjords, deßhalb erstiegen Copeland und ich den Berg. Nachmittags den 8. August verließen wir das am Strande errichtete Zelt. Die Fortschaffung von Barometer, Theodolit, Stativ u. s. w. war so unbequem, daß wir den Leichtsinn begingen, die Gewehre zurückzulassen, obgleich wir Bären wiederholt selbst auf Bergen angetroffen hatten. Dem Lauf eines aus dem Gebirge tretenden Thales folgend, kamen wir zu einem tosenden, bis 100 Fuß tief in das Gestein eingeschnittenen Gletscherbach; Cap Franklin lag jenseits desselben. In unsern Alpen finden sich in der Nähe solcher Hindernisse immer Brücken oder Stege; wie kommt man aber in Grönland ans andere Ufer? Lange beschäftigte uns diese Frage vergeblich, bis wir endlich zu einer natürlichen Brücke gelangten, welche herabgefallene Lawinen gebildet, und deren Tragfähigkeit wir durch das Hinabstürzen von Felsblöcken prüften. Darauf begann ein langwieriger Marsch über einen aus Felsblöcken bestehenden Abhang, dessen Trümmer sich sämmtlich in Bewegung setzten, sobald wir einen von ihnen berührten. Dann erreichten wir eine, das Granitmassiv gangartig durchbrechende Basaltwand; ihre zerfallenen Säulengruppen drohten bei der geringsten Berührung einzustürzen. Wir krochen durch das Felsengewirre weiter, über einen klippigen Grat am Saum eines dachartigen Gletschers hinan zur Spitze.

Welch unerwarteter Anblick bot sich hier dem entzückten Auge! Ein ungeheurer Fjord lag, mit schimmernden Eisbergen erfüllt, zu unsern Füßen. Mit seinen Verzweigungen umschloß er die begletscherten Felsmassive großer Inseln, überall von schroffen Wänden umgürtet und an der Mündung mit zahlreichen Felseilanden besäet. Vierzig Meilen im Westen bog ein Arm des Fjords, von 8000 Fuß hohen Gebirgen umgeben, in südwestlicher Richtung ab. Die Eisdecke des Wassers war geschmolzen oder aus dem Fjord hinausgetrieben; auch darin erkannte man das Uebergewicht der Sommerwärme in diesen Felsengassen gegenüber den Erscheinungen an der Außenküste. Gegen Süd trat das düstere Felscap Parry, dem Andrang des Packeises trotzend, weit vor in die See; über eine Reihenfolge noch gänzlich unerforschter Baien, Landzungen, Gebirgszüge und Gletscher schweifte der Blick zu den an 60 Meilen entfernten, wohl 8000 Fuß hohen Werner-Bergen (südwestlich) mit ihren dolomitähnlichen Formen. Nach Osten lag schweigend und starr bis an den Horizont eine weiße Fläche, durch welche wir in einigen Tagen den Rückweg nach Europa finden sollten, – das Packeis. Nach fünfstündigem Marsch hatten wir den Gipfel erreicht, die Temperatur betrug +0,8 R., kein Lüftchen regte sich; ich war im Stande vier Stunden lang ohne Rock zu arbeiten. Darauf gingen wir den Grat entlang nach einer Felskuppe im SW. (4500 Fuß), um uns darüber Gewißheit zu verschaffen, ob der Hauptarm des Kaiser Franz Joseph-Fjords in nördlicher Richtung zu suchen sei. Dieser Theil war zugleich der reichste an Eisbergen, die in Folge von Strömungen moränenartig längs den Küsten sich anhäuften. Zum Zelt zurückgekehrt, veranlaßte die Mittheilung des Entdeckten den Beschluß des Capitän Koldewey, sofort nach dem Schiffe zurückzukehren und mit diesem in den Sund einzudringen.

Schon am nächsten Vormittag wurde dieses Vorhaben ausgeführt. Wir fuhren mit dem abermals nothdürftig reparirten Kessel von Broer Ruys zwischen vom Landeise abgetrennten Eisschollen hindurch nach dem Küstenwasser der Fjordmündung. Dicht am Cap Franklin vorbei, zwischen Eisbergen, deren viele von der doppelten und dreifachen Höhe des Schiffes waren, dampften wir über die glatte Wasserfläche in das Innere von Grönland.

Der Fjord, Dieser, so wie die meisten anderen, sind vielleicht versunkene Längenthäler Grönlands. Fjorde nennt man bekanntlich schluchtenartige Meereseinschnitte in das Land, wie dies an den Küsten von Norwegen, Island, Grönland, Patagonien etc. der Fall ist. Großartiger als alle anderen Meereseinschnitte dieser Art ist der grönländische Fjord. Von den meisten derselben kennt man an der Ostküste nur die Mündung. Wie weit sie sich in das Innere dieser großen Ländermassen erstrecken, und welche Rolle sie in dessen Topographie spielen, weiß man noch immer nicht. Wir kennen eben nur die Außenküste. an seiner Mündung 8-12 Meilen breit, verengte sich bald auf 8 und behielt in dem verfolgten Zweige zuletzt eine mittlere Breite von 4-6 Meilen. Die Tiefe des Wassers war durchgehends sehr bedeutend, wie sich schon aus den senkrecht abfallenden Uferwänden und aus dem Vorhandensein bis 200 Fuß hoher Eisberge schließen ließ. Letztere setzen eine Wassertiefe von etwa 1000 Fuß voraus. In der That ergab eine Lothung bei 3000 Fuß noch keinen Grund. Die Eisberge besaßen wunderbar phantastische Formen, bald die von Pyramiden, bald die von Triumphpforten; oder es wiesen sich wilde Klippen, lang gestreckte Eiswälle, prächtige Katarakte Schmelzwassers brausten von selben herab. Die häufige Veränderung der Lage ihres Schwerpunktes macht sie zu ebenso gefährlichen, als interessanten Objecten; leicht erhält die eine Seite ein solches Uebergewicht, daß der ganze Eisberg umkippt, oder in große Stücke zerfällt. Dann geräth weithin das Wasser in Auffuhr; auf mehrere Meilen Entfernung macht sich die Dünung bemerkbar. Wehe dem zerbrechlichen Fahrzeug, das sich dicht bei einem berstenden Eisberge befände! Mit seinem Verderben müßte es den Hochgenuß erkaufen, Zeuge eines solchen Titanenschauspiels zu sein. Flächeneis vermochten wir nirgends wahrzunehmen. Je weiter wir vordrangen, desto wärmer wurden Luft und Wasser; der Salzgehalt des letztern unterschied sich wenig von dem des offenen Meeres.

Geleitet von dem Wunsche, tief als in das Innere des Landes einzudringen, überquerten wir den acht Meilen breiten, nach Norden streichenden Hauptarm Aus der muthmaßlichen Richtung des hinter Vorgebirgen verschwindenden Fjords ließ sich auf seinen Zusammenhang mit der Gaël Hamkes-Bai schließen. Auch die Untersuchung von zwei weiteren Aesten des Kaiser Franz Joseph-Fjords mußte unterbleiben. des Fjords. An seinem Westufer, wenngleich entfernt, erblickten wir den großen Waltershausen-Gletscher; er schien mehrere Meilen breit und fiel mit einer hohen Wand in das Meer ab. Die Einzelnheiten des von uns verfolgten, nach Westen sich erstreckenden Fjordsarmes waren der höchsten Aufmerksamkeit werth. Die Eigenthümlichkeiten der Alpenwelt: ungeheure Wände, tiefe Erosionsschluchten, wilde Hochspitzen, gewaltige zerrissene Gletscher, tobende Abflüsse und Wasserfälle, welche bei uns in so ausgezeichneter Weise gewöhnlich nur vereinzelt vorzukommen pflegen, alle diese Bilder wilder Pracht umfaßte hier ein Blick! Wir waren in einem Kessel angekommen, dessen Ufer Felsen bildeten, wie ich sie in herrlicheren Formen und Farben noch nie gesehen. Der unmittelbare Eindruck dieser großartigen 5, 6 bis 7000 Fuß hoch aus dem Wasser aufragenden Felsburgen war überwältigend. Ein kubischer Felskoloß streckt sich auf schmaler Basis als Landzunge weit hinaus in den Fjord; unmittelbar aus dem grünen Wasserspiegel erhebt sich sein Riesenleib, gegen 5000 Fuß hoch, rothgelbe, schwarze und lichtere horizontale Streifen zeigen die Schichtung seines Gesteines. Paläozoische Quarzite, Thonschiefer und Kalke. Die Erkern und Thürmchen ähnlichen Vorsprünge an seinen Kanten verleihen ihm eine gewisse Ähnlichkeit mit einer zerfallenen Burg. Wir nannten ihn das Teufelsschloß. Ich habe nie vorher ein imposanteres Felsmassiv gesehen. Dort ragt ein kleines Matterhorn aus dem Wasser empor; hier entströmt einem Gletscherthor ein Wasserstrom, um über die Riesenwand hinab sich in den unbewegten klaren Spiegel tief unten zu stürzen. Nur wenige Wochen währt sein Brausen, der Frost läßt ihn bald wieder zu schimmernden Katarakten erstarren, überspannt die Wasserfläche der Fjorde mit Eis; – unermeßliche Mengen von Schnee treibt der Wind von den Bergen nieder in die stillen Thäler. Es liegt eine unbeschreibliche Anregung in solchen Momenten. Tag und Nacht und wieder einen Tag stehen wir auf Deck, jeder Augenblick bringt eine überraschende Scene, zaubert ein neues Naturwunder herbei; mit Staunen irrt das Auge von einem Punkt zum andern, vergeblich sucht es nach Spuren menschlicher Thätigkeit. Die große Durchsichtigkeit der Luft läßt jede Einzelnheit genau erkennen. Kein Laut, als der monotone Tact der Maschine und das Rauschen des Kielwassers, unterbricht die Stille. Behaglich durchwärmt die Morgensonne die blaue Luft, in welcher der von dem Schornstein ausgestoßene Rauch in horizontalen Streifen sich hinkräuselt.

Und wie bequem ist eine solche Entdeckungsfahrt, ohne Schlafsack und Schlittenziehen! Der Fjord öffnete sich in neuen Windungen. Wir verfolgten den nach Südwest abbiegenden Arm, und wo die coulissenartig gestellten Wände etwas zurücktraten, ließen sie immer neu überraschende Naturscenen erblicken. Leider war es uns nicht gestattet, diesen Entdeckungsweg zu beenden; abermals begann der Kessel zu lecken. Der Capitän war genöthigt, am Fuße eines größeren Gletschers nahe an einer Dreitheilung des Fjords anzulegen, Wir ankerten in 10 Faden Wasser. was bei der bedeutenden Wassertiefe und der Nähe einiger Eisberge nicht ohne Schwierigkeiten geschah. Die Astronomen bestimmten diese Oertlichkeit zu 73° 11' N. B. und 25° 58' W. L. Immer von Greenwich aus.

So wünschenswerth auch die Erforschung des nun wieder westlich laufenden Fjords war, wir mußten auf den bedenklichen Zustand unseres Kessels Rücksicht nehmen; die im Binnenlande herrschende Windstille wies uns ja ausschließlich auf die Dampfkraft an. Wir durften es nicht wagen, die Entdeckungsfahrt bis zu völliger Untauglichkeit des Kessels fortzusetzen, wollten wir eine zweite Ueberwinterung vermeiden. Gegen eine solche sprachen aber gewichtige Gründe. Während der Maschinist durch Verankerung der beschädigten Röhren den Kessel wieder nothdürftig in Stand zu setzen suchte, machten wir aus der Noth eine Tugend und waren emsig darauf bedacht, den größtmöglichen Gewinn aus der uns aufgenöthigten Lage zu ziehen. Waren wir auch tief in das Innere Grönlands eingedrungen, so hatte uns doch die Beschränkung des Gesichtskreises verhindert, Land und Gebirgsbau auf größere Ausdehnung zu studiren. Nur die Besteigung eines hohen und dominirenden Berges konnte uns Ersatz bieten; nur ein solcher vermochte durch Gewährung des Gesamtüberblicks eine Kenntniß des Landescharakters zu verschaffen, die selbst eine mehrtägige Benützung der Dampfkraft in der Tiefe rücksichtlich der erzielbaren Resultate aufwog.

Unmittelbar nach dem Anlegen des Schiffes (11. August) hatte ich daher mit Sengstacke einen 5 bis 6000' hohen Berg von der Gestalt eines abgestutzten Felskegels bestiegen, um mich über die Wahl eines derartigen Aussichtspunktes vorläufig zu orientiren. Nach eilfstündigem Marsche waren wir wieder an Bord. Eine gegen 7000' hohe Bergmasse im Südwesten schien allen Erwartungen zu entsprechen; der Weg dahin führte über einen 8 Meilen langen, ein breites Thal erfüllenden Gletscher, dessen mächtiger Abfluß unweit der »Germania« in den Fjord mündete.

Ich schlief einige Stunden und brach am folgenden Tage (12. August, 10 Uhr Morgens) mit Copeland und Ellinger bei herrlichem Wetter zur Besteigung dieses Berges auf. Unsere Ausrüstung bestand in Steigeisen, Bergstöcken und einem 18 Klafter langen Seile. Die Scenerie des Thales war einfach, aber imposant: ungeheuere Granitwände, zwischen welche sich die Eiszungen kleiner Hochferner preßten, deren Abflüsse eine Reihe schöner Wasserfälle bildeten, mächtige Eisthore und wilde Seracs, welche von den hohen Gletscherspitzen im Hintergrunde treppenartig herabhingen. Nahezu isolirt in dem kesselartigen, bei 6 Meilen breiten Firngebiet, ragte auf einer 4000 Fuß hohen Basis eine schlanke Eispyramide 3000 Fuß hoch kühn in die Luft. Anfangs hielten wir uns auf einem leidlichen, von Renthieren getretenen Steig oberhalb des linken Bachufers an den Abhängen des am Tag vorher erstiegenen Berges, welche mit dem auch unsern Hochalpen eigenthümlichen rauhen Grase bedeckt waren. Da und dort wucherten dichte Filze von Heidelbeergesträuch mit vereinzelten Beeren, auch Kriechweiden und Zwergbirken waren nicht selten, letztere größer und stärker, als sonst. Dr. Pansch fand nebst mehreren Steinbrecharten Mohn, Lichtnelke, Fingerkraut etc., sogar die Alpenrose, leider schon verblüht. Er erlegte ein Hermelin und sah Raben, Enten, Hasen und Renthiere. Ein Schneehuhn, das im Schutt vor uns einherlief, ließ sich weder durch Schüsse, noch durch Steinwürfe vertreiben; eine Spinne dagegen verbarg sich hastig; sie wollte sich nicht für die Wissenschaft mißbrauchen lassen.

Ankerplatz der »Germania« im Kaiser Franz Joseph-Fjord.

Fast bei jedem Gletscher tragen die Umgebungen seiner Eiszunge, sowie die seinen Abfluß begrenzenden Berghänge Spuren einstigen Eisschliffs. Glatt polirte Felsplatten, abgerundete Ecken, seitlich übereinander gelagerte, theilweise schon mit etwas Vegetation überzogene Seitenmoränen, schuhtiefe Ansammlungen des einst als Schleifmaterial wirkenden Steinmehles waren daher Erscheinungen, die man nur erwartet hatte. Das Ende des größten Thalgletschers – Sonklar-Gletscher – lag bei 900 Fuß über der Meeresfläche, fast 300 Fuß hoch fiel die Umrandung der schuttbedeckten Eiszunge, anfangs convex, dann concav, klüftereich auf das nachbarliche Terrain herab. Es ist selten vortheilhaft, derartige Eiszungen früher als in ihrer Längenmitte zu betreten; erst in dieser Gegend fängt die Oberfläche des Gletschers an, bequem gangbar zu werden. Wir erstiegen den Gletscher in 2200 Fuß Meereshöhe; seine Oberfläche, gleichwie die Abhänge der Berge waren völlig schneefrei, wir hielten uns an dessen Mittellinie, in der Regel der gangbarste Theil der Gletscher, und betraten diese an einem Punkte, der dadurch interessant war, daß die bisher zusammenhängende Schuttdecke des Gletschers sich höher aufwärts in vier Mittelmoränen verzweigte. Das Gletschereis war rein grünblau; zahlreiche Bäche flossen in klaftertief eingeschnittenen Rinnsalen sprudelnd die Oberfläche hinab. Ihre Neigung betrug 4°, weiter aufwärts stellenweise bis 20°, doch bedurften wir nirgends der Steigeisen. Mit dem Betreten der Firnregion (3 Uhr Nachmittags), welche in Grönland schon bei durchschnittlich 3500 und zwar, wie in den Alpen, in der Längenmitte der Gletscheraxe ihren Anfang nimmt, begann der Gletscher in Folge einmündender Seitenzuflüsse spaltenreich zu werden.

Der größte Zufluß, von Granitklippen eingeschlossen, kam aus Süd; mehrere Mittelmoränen wurden durch das Uebergreifen dieser Gletscherzweige geradezu verschlungen. Dicht gedrängte Spaltenreihen zerrissen die langen Wellenformen; wir geriethen von Labyrinth zu Labyrinth und wurden zu vielen Umwegen genöthigt. Manche große Kluft verhüllte die Firndecke; obgleich vorsichtig sondirend, versank ich doch wiederholt bis zur Achsel, klirrend wie Glasscherben fielen die abgebrochenen Eiszapfen in die ungeheure Tiefe. Die Anwendung des Seiles, an das wir uns banden, war unerläßlich; wer hinabstürzte konnte nicht, wie bei einer europäischen Alpenpartie, von Leuten aus dem Thale geholt, heraufgezogen werden. Oft standen Alle vereint auf einem schmalen Eisband, umgeben von einer trügerischen Schneedecke, unter welcher ein schwarzer Abgrund lauerte. Wir mußten die Bergstöcke zu einer Art gebrechlicher Brücke zusammenlegen, um auf dem Bauch darüber zu kriechen. Die im Winter vorherrschenden Nordwinde wehen nämlich Unmassen von Schnee gegen die Bergwände, an deren Fuß sie sich anhäufen. So geschah es, daß die Schneetiefe plötzlich von 1 Fuß auf 5 Fuß zunahm, als wir uns der hohen Umwallung des Firnkessels näherten; mit jedem Schritte sanken wir bis zum halben Leib ein. Mit vieler Mühe hatten wir uns endlich 100 Schritt weit, mehr schwimmend als gehend, durchgearbeitet. Als die Schwierigkeiten jedoch immer wuchsen und wir uns überzeugten, daß wir die ersehnte Spitze kaum in weiteren 10 Stunden, vielleicht gar nicht mehr erreichen würden, so entschlossen wir uns, den Gletscher zu überqueren und eine andere, jenseits desselben gelegene massige Felsspitze zu besteigen. Sie war die höchste Erhebung des den Gletscher umfassenden Gebirges und bot den Vortheil der Schneelosigkeit. Am Fuß ihres letzten Aufbaues angelangt, gab eine kurze Rast dem erschöpften Ellinger neue Kräfte. Der Berg bestand aus horizontalen Schichten eines in Glimmerschiefer übergehenden, granatreichen Gneißes. Die schroffen Schutthänge emporsteigend, tranken wir aus jedem Rinnsal, um unsern Durst zu löschen. Um 8½ Uhr Abends, nach zehnstündigem Marsche, erreichten wir die klippenreiche Spitze. Das Comité der zweiten deutschen Nordpol-Expedition erwies mir die Ehre, diesen Berg nach mir zu benennen.

Der Kaiser Franz Joseph-Fjord und die Petermann-Spitze.

Wir befanden uns gegen 8 Meilen westlich des Schiffes; eine Meile südlicher lag ein 8000 Fuß hohes Eishorn. Eine Barometermessung Copeland's ergab für die Höhe des erstiegenen Berges gegen 7000 Fuß. In der umfassenden Fernsicht, welche sich uns nach jeder Himmelsrichtung erschloß, herrschte die Erstarrung des Todes; fast kein Zeichen von Naturleben unterbrach die rauhe Größe des Berglandes. Statt der üppigen Sohlen unserer Alpenthäler mit ihren Gehöften und Ortschaften, lag hier der dunkle Wasserspiegel des Fjords 7000 Fuß tief zu unseren Füßen. Unzählige Eisberge, in der Ferne glänzende Perlen, schwammen auf dessen Fläche umher; eine furchtbare Wand fiel anscheinend senkrecht in denselben hinab. Von allen Bergstufen, aus jedem Thale senkten sich gigantische Gletscher in die Tiefe der gewaltigen Felsgasse; von den hohen Eisbarrieren ihrer unteren Enden lösten sich jene prächtigen Eisberge ab, welche Ebbe, Fluth und Strömung durch das sundreiche Hochland dem Ocean zuführen. Mehr, als irgend ein anderer Gegenstand, fesselte eine ungeheure Eispyramide – Petermann-Spitze – im Westen unsere Aufmerksamkeit. Um ungefähr 5000 Fuß überragte sie einen hohen Gebirgskamm, welcher sich im dritten Theile der Längenausdehnung Grönlands in meridionaler Richtung erstreckt. Die Höhe dieser Spitze ließ sich nur annähernd ermitteln; eine Messung mit dem Theodolit, bei welcher die Höhe unseres Berges als Ausgangspunkt diente, gab diese zu mindestens 11.400 Fuß. Ein wohl 12 Meilen langer Gletscher mit einer prächtigen Mittelmoräne erstreckte sich von derselben bis ans Meer herab. Rings am Horizont lag eine Alpenwelt mit vielen, das Niveau von 10.000 Fuß überschreitenden Gipfeln. Den Kaiser Franz Joseph-Fjord vermochte man noch etwa 40 Meilen weit gegen Westsüdwest zu verfolgen. In dieser Ferne erkannten wir noch mehrere Arme, in die sich der Fjord zu verzweigen, und deren größter nach Süd abzubiegen schien. Deutlich ließ die perspektivische Trennung der Landmassen die Fortsetzung dieser Canäle jenseits der hohen Inselmassive erkennen. Das auffallende Verschwinden des Hochlandes in südwestlicher Richtung schien zur Annahme einer Verbindung mit dem Scoresby- und Davis-Sund zu berechtigen.

Ich hatte auf dem Gipfel über zwei Stunden lang gezeichnet und mit dem Theodolit gearbeitet, der auf einem beengten Felsvorsprung aufgestellt war. Um vor dem Ausgleiten sicher zu sein, hatte ich die Schuhe ausgezogen; meine Strümpfe waren vom langen Marsch im Schnee durchnäßt und gefroren. Aus dieser Ursache litt ich diesmal mehr durch die Kälte, als während der schlimmsten Periode unserer Schlittenreisen, obwohl wir nur 2,2 R. unter Null hatten. Doch befand sich an der Südseite eines Felsblockes noch etwas Schmelzwasser. Die gleichzeitig am Schiffe beobachtete Temperatur von 5,6° R. ergab die Wärmeabnahme von 1° für je 880 Fuß Erhöhung. Von den bis kubikzollgroßen Granatausscheidungen des unsere Spitze bildenden Gneißes nahmen wir einige Handstücke mit; leider fiel das schönste derselben, als ich es abschlug, die Wände hinab. Nach Professor Waltershausen, welcher eines dieser Musterstücke gesehen hat, kommen dieselben Gesteine, doch nur erratisch, auch auf Island vor, was mit der Annahme eines früheren, durch Eis vermittelten Transportes hochnordischer Gesteine nach geringeren Breiten sehr gut übereinstimmt. Das organische Leben war auf ein langes Moos ( Grimmia lanuginosa var. arct.) und auf jene schwarzen und gelben Flechten ( Gyrophora anthracina) beschränkt, welche man auch auf den höchsten Alpengipfeln antrifft.

Abermals wurde Ellinger unwohl; etwas Bärenfleisch, das wir theilten, stärkte ihn wieder. Vor Mitternacht verließen wir die Spitze; der Rückweg über den Grat des Berges herab war weit kürzer, nur anfangs über steile Eishalden beschwerlich. Weiter unten folgten verwitterte Abhänge, über welche wir auf den Sonklar-Gletscher hinabliefen. Dem Lauf eines tief in die Eisfläche eingeschnittenen Gletscherbaches folgend, geriethen wir in ein Labyrinth von Eisschluchten; erst auf der geschlossenen Fläche der Eiszunge kamen wir rasch vorwärts, um 5 Uhr betraten wir die »abgeworfene« Seitenmoräne ihres linken Ufers. Um 7 Uhr Morgens waren wir nach 21stündiger Abwesenheit wieder beim Schiffe. Hier war schon Alles zur Abfahrt und Rückkehr nach Europa bereit; mit größtem Interesse wurden unsere Berichte von der weitern Verzweigung des Fjords und von dem riesigen Bergland entgegengenommen. Capitän Koldewey hatte versucht hier, wie an jeder Ankerstelle, Fluthbeobachtungen anzustellen; allein sie mißlangen, weil das Einstürzen der Eisberge das Wasser in beständiger Dünung erhielt. Seine Messung der Oberflächentemperatur des Wassers ergab +6,2° R., die der Luft am 11. August das Maximum von +9,3° R.

Bald darauf, als die » Germania« den Anker lichtete, erfüllte dichter Nebel den Fjord; wir waren daher zu Einhaltung des Curses ausschließlich auf den Compaß angewiesen. In einem engen von Felswänden eingeschlossenen Fjord war dies jedoch sehr bedenklich; schon nach 7½stündiger Fahrt sah sich Koldewey genöthigt, in einer Bai zu ankern, um das Aufklaren des Wetters abzuwarten. Wir kamen dabei auf Grund, eine Unannehmlichkeit, welche durch das Ausbringen eines Theiles der Schiffsladung gehoben wurde, mir aber die willkommene Gelegenheit verschaffte, ans Land zu gehen und mit einer großen Partie Handstücke der anstehenden Gesteine nach dem Schiffe zurückzukehren. Am 14. August durch die Fluth wieder flott geworden, dampften wir um 7¼ Uhr in östlicher Richtung den Fjord entlang weiter; nur vorübergehend trat störender Nebel ein. Glücklicherweise hob er sich zeitweilig, so daß uns der Anblick des mit einer ungeheuren Wand in das Meer abfallenden Waltershausen-Gletschers vergönnt war. Als wir uns Cap Franklin näherten, kam Alles auf den Zustand des Eises daselbst an; lag es unschiffbar dicht, so war der Fjord unser Gefängniß, eine zweite Ueberwinterung unvermeidlich. Auch die Bildung von Jungeis war bereits vorgeschritten. Doch das Glück war mit uns; mit voller Dampfkraft anrennend, durchbrachen wir das Eis und ankerten 12 Uhr Nachts unter Cap Broer Ruys. Hier trieben viele Schollen umher, welche vom Küsteneise an der Bontekoe-Insel abgebrochen, ein Spiel der Fluthströmungen waren.

Die damit beendete Unternehmung lieferte den Beweis, daß das Eindringen in das Innere Grönlands Ergebnisse von hohem wissenschaftlichen Werth verspricht; es wäre zu wünschen, daß die naturhistorische und geographische Erforschung desselben das Ziel der nächsten ostgrönländischen Expedition bilde. Die Erreichung hoher Breiten dürfte eine solche Expedition an dieser Küste schon deßhalb nicht anstreben, weil die Aussichten daselbst nur gering sind. Das von uns versuchte Eindringen war, in Bezug auf die geographische Forschung, eine Schule, in der wir lernten, in welcher Weise in Zukunft Entdeckungsreisen dieser Art ins Werk zu setzen seien, um den größtmöglichen Erfolg zu verbürgen. Das Eindringen in einen Fjord mit einem Schiff ist ein Wagniß; – Jahre lang kann es durch Andrängen oder Hereinsetzen des äußern Küsteneises darin gefangen gehalten werden. Es ist daher rathsam, das Schiff in der Nähe der Fjordmündung zurückzulassen und die Entdeckungsfahrt nur mit einer kleinen Dampfschaluppe zu unternehmen. Dazu würde in der Regel der August dienen; die Zeit von Mitte September bis Mitte October, wo die Fjorde mit einer schneefreien Glatteisfläche bedeckt sind, wäre zu Schlittenreisen mittelst Schlittschuhen auszunützen. Frühjahrsreisen müßten innerhalb der Fjorde schon Anfangs März unternommen werden; Anfangs Mai werden ihre Schneebahnen ungangbar.

Die naturhistorische Forschung dagegen macht die Ueberwinterung eines Schiffes im Binnenlande wünschenswerth. Die Notwendigkeit, beide Aufgaben, die naturhistorische wie die geographische, zu vereinen, setzt daher voraus, daß eine solche Expedition zwei Schiffe besitze, deren Bestimmung es wäre, sich bald nach dem Erreichen der ostgrönländischen Küste zu trennen, ohne jedoch ihre Verbindung für immer aufzugeben. Die jetzige englische Nordpol-Expedition folgt im obern Smith-Sund ähnlichem Principien; wichtige wissenschaftliche Ergebnisse sind von ihr zu erwarten.

Drei Tage noch währte unser Aufenthalt beim Cap Broer Ruys; seine grünen Abhänge waren von Renthieren belebt, in Scharen zogen sie einher, ungeachtet der Verfolgung, welche sie bereits vor einer Woche erlitten, kamen sie sogar in die Nähe des Schiffes. Es geschah dies sehr zu ihrem Verderben, denn die Friedfertigsten an Bord waren plötzlich in eifrige Jäger umgewandelt; bis zum Verlassen Grönlands widerhallte es an den stillen Geländen des Vorgebirges von Gewehrsalven, aus jedem Thal vertrieben, blieb dem Rest der den Kugeln entgangenen Renthiere endlich nichts Anderes übrig, als der Rückzug in die unfruchtbaren Felswüsten des Westens. Leider war diese, unsere weitaus ergiebigste Jagd ohne Gewinn; schon wenige Tage darauf mußten wir bei der Insel Jan Mayen über 1000 Pfund Renthier- und Moschusochsenfleisch über Bord werfen, da es in Folge plötzlicher Temperaturerhöhung außerhalb des Packeises verfault war.


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