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Der Rückzug nach Europa.

Die letzten Tage auf dem »Tegetthoff«.

Erholung. – Bergung des wissenschaftlichen Materials. – Beendigung der Ausrüstung für den Rückzug. – Unsere Umgebung. – Abschied vom Lande. – Die Form der Ausrüstung. – Verwendung der Hunde. – Reiseplan. – Bedingung des Gelingens.

 

Alle Sorge war vorbei; mit Ehren konnten wir zurückkehren, denn unentreißbar waren die gemachten Beobachtungen und Entdeckungen, und der bevorstehende Rückzug konnte kein größeres Uebel bringen, als den Tod. Die Tage bis zum Antritt dieses Rückzuges, oder wie Klotz es nannte, bis zum »Plündern des Schiffes«, waren der Erholung gewidmet. Nicht mehr viel Zeit war dazu übrig und die kurze Frist des Wohllebens, an welchem nun Alle theilnahmen, machte aus dem Schiff einen Staat von Epikuräern. Unser künstlicher Wein war fortan ein Gegenstand der Verachtung, er war so beschaffen, daß sich die Matrosen scheuten, ihre Ration auf einmal auszutrinken.

Emsiger noch suchten wir die erworbenen Erfahrungen in Sicherheit zu bringen. Schiffslieutenant Weyprecht ließ den reichen Schatz der gesammelten meteorologischen und magnetischen Ablesungen, die Logbücher und Schiffspapiere am 14. Mai in einer Blechkiste verlöthen; wenige Tage darauf wurde auch ich mit der Ausführung eines genauen und übersichtlichen Duplicats der gemachten Aufnahmen fertig. Es bestand in zwanzig Blättern und enthielt sämmtliche während der Reisen gemachte Vermessungen. Ich hatte insbesondere darauf Rücksicht genommen, sie derart einzurichten, daß auch ein Anderer die Karte des Franz Josephs-Landes darnach zu zeichnen im Stande war, falls ich selbst auf der Rückreise umkommen sollte. Diese Blätter wurden gleichfalls, und zwar im Verein mit den zoologischen Zeichnungen und etwa zweihundert Skizzen des Landes, des Eismeeres und unserer Erlebnisse, nebst der Flagge der Schlittenreisen und meinen Tagebüchern, in einer blechgefütterten Kiste verpackt und verlöthet. Von der zoologischen Originalsammlung konnten leider nur eine kleine Auswahl des leichter Transportabeln und die Grundproben mitgenommen werden.

Im Uebrigen verlief diese Zeit mit unerwarteter Geschwindigkeit, die Tage waren zu Ende, kaum daß sie begonnen. Jedermann war damit beschäftigt, seine Kleidung für den Rückzug in Stand zu bringen; unausgesetzt wurde im Raume der Mannschaft genäht, Berge von Zwirn verschwanden unter ihren Händen, um in massivem Zickzack die defecte Kleidung zu durchirren. Lawinen gleich hingen weggeworfene Kleidungsstücke über den schneeumringten Schiffsrumpf herab. Das Schiff, – nicht mehr gepflegt wie sonst, – wies Spuren zunehmenden Verfalles. Eine große Zahl getödteter Bären lag auf dem Eise, immer neue Opfer kamen hinzu, Am 5. Mai war uns ein Bär durch Fehlschüsse entkommen, ein zweiter aber in dem Augenblicke erlegt worden, als er auf Toroßy losstürzte. Am 9. Mai wurde wieder ein Bär durch Fehlschüsse vertrieben, am 11. Mai einer durch Orel erlegt. Er hatte bereits einen Schuß in der Schulter und einen zweiten im Kopfe, 1½ Zoll unterhalb des rechten Auges. nur das Gehirn, die Zunge und das ausgewählteste Fleisch wanderten noch in die Küche, die übrigen Theile der Leichname aber blieben unter Schneewehen halb vergraben liegen und wurden den Hunden überlassen, die nun zum ersten Male der Pedanterie der Rationentheilung sich enthoben sahen. Einen Monat später hätte ein solches Bärenschlachtfeld zur Heimat der Pest werden müssen.

Abschied vom Lande.

Kleinere, mit den Hunden unternommene Excursionen nach dem Lande beendeten die durch die große Tiefe des Schnees überall sehr erschwerten Untersuchungen über die Gletscherbewegung. Die letzte dieser Wanderungen fand am 15. Mai statt, und hier, an der Stelle, wo wir es zuerst betraten, nahmen wir Abschied von dem Grab unseres abgeschiedenen Gefährten und von dem Lande, das die glückliche Laune einer Scholle uns geschenkt hatte, um uns eine Rückkehr ohne demüthigende Enttäuschung zu ermöglichen. Damit waren alle Aufgaben der Expedition unter den herrschenden Umständen als erloschen zu betrachten, alle Gedanken galten nun dem Rückzug nach Europa. Von Nichts aber in der Welt konnten wir uns so wenig eine klare Vorstellung machen, als von dem Verlaufe desselben. Brachte er Rettung und Heimkehr, oder das Ende, – auf jeden Fall mußte unser Geschick binnen drei Monaten entschieden sein; nur für diese Reisedauer vermochten wir den unentbehrlichsten Lebensbedarf mit uns zu schleppen.

Die Ausrüstung zu diesem Rückzuge war schon vor dem Antritt der Schlittenreisen von Schiffslieutenant Weyprecht und mir berathen und dann mit der größten Umsicht durchgeführt worden. Ihre Grundlage bestand in dem trefflichen, bereits beschriebenen Materials der Schlittenreisen; die besonderen Vorkehrungen, welche noch hinzukamen, beschränkten sich auf zweckmäßige Verpackung des Proviants und auf die möglichste Verminderung des Gepäcks. In Bezug auf dieses setzte uns die rasche Abnahme der Kälte und das Steigen der Temperatur selbst über den Gefrierpunkt, in die Lage, unsere Bekleidung auf ein Minimum herabzusetzen, ohne unsere Gesundheit zu gefährden; ebenso ließ sich keine behaglichere Schlafstätte für Eismeer-Reisende ersinnen, als das Innere eines trockenen, zeltüberspannten und mit Decken versehenen Bootes. Es war daher eher zu erwarten, daß wir durch Hitze als durch Kälte leiden würden; begründeter war die Gefahr unzureichenden Proviants.

Drei unserer Boote waren für den Rückzug bestimmt. Die zwei größeren von ihnen waren norwegische Fangboote, 20 Fuß lang, 5 Fuß breit, 2½ Fuß hoch, sie enthielten das eine als Besatzung den Schiffslieutenant Weyprecht, Dr. Kepes, Lusina, Orasch, Latkovich, Palmich, Vecerina, Klotz, das andere Zaninovich, Haller, Lukinovich, Scarpa, Stiglich, Pospischill, Schiffsfähnrich Orel und mich; das dritte etwas kleinere Boot bestiegen Schiffslieutenant Brosch, Capitän Carlsen, Cattarinich, Lettis, Sussich, Marola und Fallesich.

Jedes dieser Boote ruhte auf einer Schleife und barg folgende Geräthe:

Zu jedem Boote gehörte ferner ein großer Schlitten mit folgender Belastung: Dieselbe war nur beim dritten Boote um zwei Centner geringer.

Pemmikan 4 Büchsen à 50 Pfd. 200 Pfd. 245 Pfd.
  1 Büchse à 25 " 25 "
4 Büchsen à 5 " 20 "
Erbswurst 2 Kisten à 100 Pfd. in Blech verpackt 200 " 300 Pfd.
  1 Kiste à 100 in Papier verpackt " 100 "
Fleischgries 1 Kiste à 80 " 80 "  
Boiled beef 5 Kisten à 10 Büchsen à 7½ " 375 " 405 Pfd.
  4 Büchsen à 7½ " 30 "
Mehl 3 Büchsen à 33 " 99 "  
Brod 3 Säcke à 83 " 249 "  
Chocolade 3 Büchsen à 30 " 90 "  
Spiritus 3 Fässer à 46 Flaschen à 77 " 231 "  
Salz 1 Büchse à 12 " 12 "  
Fleischextract 2 Büchsen à 5 " 10 "  
Thee 1 Büchse à 3 " 3 "  
           
Zusammen 1724 Pfd.

Dazu kamen noch 100 Pfd. Brod für die Hunde, für jeden Schlitten 1 Schaufel, 1 complete Kochmaschine, 2 Thraneinsätze und 8 Eßschalen.

Unser Gepäck betrug daher allein an Lebensbedarf etwa 50 Centner, mit allem Uebrigen etwa 90 Centner. Parry hatte 1826 auf seiner 61tägigen, mit 28 Mann, 2 Booten und 4 Schlitten unternommenen Reise (von Spitzbergen aus nach dem Nordpol) ein Gesammtgewicht von 75 Centner fortzuschaffen, so daß etwa 2½ Centner auf einen Mann entfielen. Parry verproviantirte sich für 71 Tage und verließ das Schiff am 22. Juni. Während der sieben Stunden, welche täglich zum Schlafen bestimmt waren, ließ er regelmäßige Wachen aufstellen. Im äußersten Norden erreichte sein tägliches Vordringen über die Eisfelder ein Mal bis 10 Meilen im Tag, während der ersten sechs Tage seiner eigentlichen Schlittenreise jedoch nur wenig über eine Meile. Trotz der großen Hindernisse, welche er durch das Eis erfuhr, dürfte seine Reise doch unter günstigeren Verhältnissen als die unserige stattgefunden haben; denn er vermochte die 1½ Breitengrade, welche während derselben auf das Eis selbst entfielen, in 31 Tagen zurückzulegen. Unser Proviant bestand vorzugsweise aus Pemmikan, Erbswurst und boiled beef. Morgens und Abends genossen wir eine aus diesem und etwas Mehl bereitete kleisterartige Suppe, Mittags Thee, ? Pfund Zwieback und ? Pfund Chocolade.

Von unseren Hunden konnten nur noch Jubinal und Toroßy zum Ziehen des kleinen Schlittens verwendet werden; ein Centner Brod war Alles, was wir für sie mitnehmen konnten, im Uebrigen mußten sie von dem Ergebnisse der Jagd gespeist werden. Gillis dagegen wurde seiner Unverträglichkeit, Semlja ihrer Schwäche wegen erschossen. Nur Pekel durfte uns begleiten, er allein hatte das Recht, frei einherzugehen; doch war auch sein Leben nur sichergestellt, so lange Proviant ausreichend vorhanden war.

Unsere persönliche Ausrüstung bestand während des Marsches in zwei Wollhemden, einer wollenen Unterhose, drei Paar Strümpfen, ledernen Wasserstiefeln und Mützen, und in einem Pelze zum Schlafen. Reine Schafwollwäsche war ein sehr gesuchter Artikel, seine Erwerbung geschah durch listige Manöver, deren redlichstes die Ueberredung war. Jedermann trug außerdem noch ein großes Messer, einen Löffel und ein Paar Schneebrillen bei sich. Keinen anderen Luxus gestatteten uns die Umstände, als die Mitnahme eines Tabaksbeutels per Kopf; jeder aber wurde mit solcher Kunst gefüllt, daß er an Schwere einem Steine glich. Es war nicht gestattet, auch die Röcke mit Tabak zu füttern.

Unser Reiseplan war einfach und galt in Hinsicht der einzuschlagenden Route dem Lebensmitteldepot bei den Barentz-Inseln in fast genau südlicher Richtung. Hier wollten wir den Proviant ergänzen und dann längs der Küste Nowaja Semlja's hinabfahrend, eines jener Schiffe erreichen, welche die Lachsfischerei in den Flüssen dieses Landes bis zum Beginn des Herbstes zurückhält. Es war auch nicht unmöglich, daß wir schon vorher, das heißt, an der Nordküste Nowaja Semlja's, von einem norwegischen Robbenschläger entdeckt und aufgenommen würden.

Unter allen Umständen sollten die Boote trachten, beisammen zu bleiben; für den Fall aber, daß sie dennoch getrennt würden, galten die Wilhelms-Inseln bis Mitte August als Sammelplatz. Zum Marsche selbst wurde im Anfang die Nacht gewählt, die Tageszeit diente zum Schlafen doch wurde die Einhaltung dieses Verfahrens durch besondere Umstände immer mehr verhindert. Allen Erfahrungen nach hing das Gelingen des Rückzuges davon ab, daß wir das eisbedeckte Meer bis Ende August überwunden hatten. Seine größten Schwierigkeiten waren von der Schneeerweichung zu erwarten; denn wenngleich das Thermometer noch Anfangs Mai auf 14 bis 17 Grad unter Null fiel, und scharfe Nordostwinde die Auflösung des Schnees noch etwas hinausschoben, so näherten sich die mittleren Tagestemperaturen doch schon dem Nullpunkt, am 16. Mai wurde dieser zum ersten Male überschritten. Im Anfang unserer Reise durften wir daher nur geringe Fortschritte voraussetzen. Zwei unserer Leute, Stiglich und Vecerina, waren noch immer dienstunfähig, und wir mußten zufrieden sein, daß sie langsam nachzukommen vermochten, ohne daß wir sie zogen. Die übrige Mannschaft war gesund. Auch die Anschwellung der Füße, an welcher einige der Schlittenreisenden gelitten hatten, war gehoben.


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