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Das Schicksal der »Hansa«.

Vergebliche Anstrengungen, das Eis zu durchdringen. – Die »Hansa« vom Eise eingeschlossen. – Kohlenhaus. – Das Schiff wird zerdrückt und sinkt. – Treiben auf einer Eisscholle nach Süd. – Schreckliche Lage. – Rettung.

 

Ende Juni drang die »Hansa« in das Eis ein, konnte jedoch nur wenig vorwärts kommen. Die Triftströmung trieb sie fast bis 72° herab; sie sah sich daher genöthigt, aus dem Eise wieder herauszugehen. Anfangs August segelte sie an der Eisgrenze nördlich, um dasjenige, was sie durch die Trift im Eise nach Süd verloren, im offenen Wasser einzubringen. Bis Mitte August hatte sich das Schiff mit großer Mühe und beständig warpend dem Besetztwerden durch die Schollen entzogen, – einmal befand es sich von den Inseln Shannon und Pendulum nur mehr etwa 30-40 Meilen entfernt.

Aber von da an hörte der Fortgang dieses Segelschiffes fast gänzlich auf. Jungeis verband die dasselbe einschließenden Schollen, die von widrigen Winden so dicht zusammengedrängt wurden, daß die Fortschritte nur noch in »Schiffslängen« bestanden. Am 5. September segelte die »Hansa« zum letzten Male. Abends war sie bei eintretender Windstille vom Eise eingeschlossen und blieb in dieser Lage bis zu ihrem Untergange.

Bis Mitte September fror das Schiff in 73° 25' nördlicher Breite und 18° 39' westlicher Länge gänzlich ein und trieb vor Wind und Strömung nach Süd. Ende September war die Nothwendigkeit der Ueberwinterung im treibenden Eise vor der Küste mit oder ohne Schiff entschieden; schon vorher hatte Capitän Hegemann die Boote ausgerüstet, um das Schiff verlassen zu können, falls dieses zerdrückt werden sollte, denn die Pressungen des Eises nahmen Ende September in beunruhigender Weise zu. Für den Fall einer Katastrophe ließ die Trift des Eises nach Süd und das Beispiel einiger Walfischfahrer im vorigen Jahrhundert unter ähnlichen Umständen es nicht unwahrscheinlich vorkommen, daß die Besatzung auch ohne eigenes Hinzuthun während des Winters nach Süd geführt würde. Schiffbrüche dieser Art und ähnliche Schicksale der Besatzungen, wie dasjenige der Hansamänner haben sich an der ostgrönländischen Küste schon öfter zugetragen. Im Jahre 1769 wurden sieben Hamburger und englische Schiffe im Eise nahe der Shannoninsel besetzt, trieben nach Süden und gingen mit ihren Besatzungen größtentheils zu Grunde; nur Wenige kehrten nach Europa zurück. 1826 wurde das englische Schiff »Dundee« in der obern Baffins-Bai eingeschlossen, trieb während 75 Wintertagen mit allen Schrecken kämpfend, siebenhundert Meilen südwärts, wurde erst im Frühjahr frei und kehrte nach England heim. 1830 wurden 19 englische und ein französischer Walfischfahrer im Eise der Melville-Bai größtentheils vernichtet. Tausend Mann campirten einen Monat auf den Eisschollen; zum Glück wurden etliche der eingeschlossenen Schiffe wieder frei, auf welchen die Heimkehr geschah. Unter den Schiffen, welche zu Grunde gingen, befand sich auch das Fangschiff »Three brothers«. Als das Fahrzeug unter den Pressungen des Eises sank, stand die Mannschaft auf einer benachbarten Scholle und belohnte den tapfern Widerstand des endlich berstenden Schiffs mit einem dreimaligen Hurrah. Ich bezweifle sehr, ob sie so gehandelt hätten, wenn nicht eine ganze Fischerflotte und auch einiger Branntwein in ihrer Nähe gewesen wäre; dem sinkenden »Tegetthoff« hätten wir sicher kein Hurrah nachgerufen!
Im Jahre 1777 wurden etwa fünfzig holländische und hamburgische Walfischfahrer bei der Gaël Hamkes-Bai besetzt und zerdrückt. Nur wenige von der Mannschaft vermochten sich zu retten; sie zogen von Schiff zu Schiff, und als das letzte gesunken war, ward eine Eisscholle ihre Zufluchtsstätte. Obdachlos, einer Hungersnoth preisgegeben, trieben sie nach Süden und durch einen glücklichen Zufall jenseits Cap Farewell, die Westküste Grönlands entlang bis Holsteinborg nach Norden. Fünf Monate lang waren die Unglücklichen in dieser Noth, Viele waren ihr erlegen. Die Wenigen, welche noch am Leben geblieben, wurden von einem dänischen Schiffer in Holsteinborg für harte Arbeit während des Winters in Dienst genommen. Von dreihundert Menschen kamen nur zwölf Mann nach Europa zurück; hier wurde ihnen der verheißene Arbeitslohn entzogen. Im Sommer desselben Jahres wurde das englische Schiff »Guillaumine« im ostgrönländischen Eise besetzt, Mitte September durch einen Eisberg zerdrückt. Die Mannschaft rettete sich auf eine Eisscholle, trieb mit dieser nach Süd, gelangte zu den Eskimos, Mitte März 1778 nach Frederikshaab, von wo aus sie nach England zurückkehrte.
Es kam jedoch darauf an, eine Ueberwinterung auf dem Eise für den Nothfall zu ermöglichen. Zu diesem Zwecke wurde ein Haus aus Kohlenziegeln auf der mächtigen Scholle erbaut, woselbst das Schiff verankert war. Dieses Haus war 20 Fuß lang, 14 Fuß breit, 6½ Fuß hoch und wurde mit Spieren, Planken und Segeltuch eingedeckt.

Untergang der »Hansa«.

Am 19. October erneuerten sich die Pressungen mit solcher Gewalt, daß das ohnehin nicht sehr starke Schiff zerdrückt wurde. Es stieg unter dem untergeschobenen Eise aus dem Meere empor, und als es sich wieder senkte, füllten sich seine Räume dermaßen rasch mit Wasser, daß selbst das angestrengteste Pumpen ohne Erfolg blieb. – Das Schiff wurde aufgegeben, der Kochherd, die Oefen, Brennholz und Lebensbedarf, die gekappten Masten – kurz, was man erreichen konnte, auf das Eisfeld des Kohlenhauses geschafft (20. Und 21. October). In der folgenden Nacht sank das Wrack.

In dieser Weise nur auf das nothdürftigste geschützt, trieben die Schiffbrüchigen im Laufe des Winters 1869/70 längs der Ostküste Grönlands und meist in geringer Entfernung von ihr nach Süd herab. Die periodischen Eispressungen verminderten den Umfang ihrer Scholle Deren Dicke Dr. Laube auf 40-50 Fuß angibt. immer mehr; ursprünglich hatte ihr Durchmesser zwei Seemeilen betragen, Mitte Jänner war er bis auf 150 Fuß verringert. Auch unter dem Hause selbst barst das Eis bei einem Schneesturm; mit Mühe gelang es den Geprüften, ein neues kleines Kohlenhaus zu errichten (19. Jänner 1870). Dasselbe hatte nur mehr für 6 Mann Raum, die Uebrigen mußten in den zeltüberspannten Booten schlafen. Oft trennten sie neu entstandene Spaltungen ihres Eisfeldes von einem oder dem andern ihrer Boote; tagelang harrten sie schneeumwirbelt bei diesen kleinen Fahrzeugen aus, von deren Erhaltung ihr Leben abhing. Unter derart fortgesetzten Eindrücken des Schreckens und der zu allen Zeiten fast trostlosen Lage war es nicht zu verwundern, daß einer der Theilnehmer in einen Zustand von Geistesstörung verfiel, der ihn erst bei der Rückkunft nach Europa wieder verließ.

Erst am 7. Mai geriethen die Schiffbrüchigen unter 61° 12' nördl. Br. in freieres Wasser, worauf sie sofort ihren bisherigen Aufenthalt, die Scholle verließen, um sich mittelst ihrer Boote nach der Küste hin zu retten. Anfangs noch über Eis, dann im offenen Meere, fuhren sie längs dieser nach Süd herab und erreichten am 13. Juni in der herrnhutischen Missionsstation Friedrichsthal die dringend bedürftige Rettung. In Julianehaab fanden die Reisenden die dänische Brigg »Constanze«, deren menschenfreundlicher Capitän Bang sie gastlich aufnahm und nach Kopenhagen brachte. Ich kenne kaum ein Beispiel in der arktischen Geschichte, welches so sehr die Bewunderung heldenmütiger Ausdauer verdient, wie das Benehmen der Hansamänner. Nur mit Franklin und der Expedition von Chariton Laptew Dieser wurde 1740 ausgesandt, Asiens Nordspitze von der Lenamündung aus zu umschiffen. Er kam nur bis C. Thaddäus; rückkehrend litt er im Eise Schiffbruch. Mit Noth rettete sich die Besatzung ans Land; hier war es ihre Aufgabe, ihre Winterquartiere an der Chatanga aufzusuchen. Noch aber waren die bis dorthin zu überschreitenden Flüsse nicht zugefroren, man mußte warten. Eine Woche lang obdachlos bei steigendem Frost, vermochten sich die Schiffbrüchigen nur dadurch am Leben zu erhalten, daß sie mühsam Löcher in den hartgefrornen Boden gruben, und sich Einer über dem Andern in dieselben legten. Endlich waren die Ströme vereist. Nach einmonatlichem Umherirren hatten Kälte und Hunger die meisten der Leute hingerafft. Immer weiter zog der Rest dieser Märtyrer, welche fast keine Geschichte menschlichen Ruhmes im Dienste der Wissenschaft nennt, durch völlig unbekannte Wildnisse. Endlich nach drei schrecklich verbrachten Monaten langten sie an der Chatanga an; kurz vor Erreichung der Depots waren noch 12 Mann der übergroßen Drangsal erlegen! Die Expedition Buldakow's, noch furchtbarer in den Einzelheiten ihres Schicksals und Ausgangs, hat in Bezug auf Disciplin nichts mit dem vorgenannten Falle gemein. Die Geschichte arktischer Abenteuer nennt auch einen Fall, wo vier russische Matrosen von ihrem Schiffe getrennt, gezwungen waren, sechs Jahre ohne alle Hilfsmittel auf Spitzbergen zuzubringen. Robinson Crusoe ähnlich, erhielten sie sich am Leben. Aus einem Stück Eisen, das sie fanden, machten sie Lanzen und Pfeile. Mit der Lanze erlegten sie einen Bären; dessen Sehnen dazu dienten, eine Treibholzwurzel zu einem Bogen umzuwandeln, Renthiere, Füchse und Bären zu schießen. Nur ein Mann starb, die übrigen wurden zufällig von einem Schiffe aufgefunden und gerettet. kann ich es vergleichen; der deutsche Seemannsstand kann mit Stolz auf Capitän Hegemann blicken, welcher die Disciplin unter seinen Leuten in Fällen zu erhalten wußte, wo Noth und Verzweiflung alle Bande der Ordnung zu zerreißen drohen. 1676 erlitt der Nordostfahrer Wood an Nowaja Semlja's Küste mit 70 Mann Schiffbruch. Ein Boot hatte man zu retten vermocht; es faßte indeß nur 30 Mann. Die Mannschaft beschloß das Boot zu zertrümmern; kurzsichtig wollten sie sich des einzigen Rettungsmittels berauben, um zu verhindern, daß das Loos den Gewinnenden die Rettung ermögliche. Nur dadurch vermochte Wood seine Leute von der Ausführung ihres Vorhabens abzuhalten, indem er sie 10 Tage lang trunken erhielt, bis das in der Nähe kreuzende Begleitschiff zur Befreiung Aller anlangte. Der mit der Geschichte der Polarfahrten Vertraute erinnert sich ferner unwillkürlich an Hudson, der 1611 im Begriffe, von einer erfolggekrönten Expedition heimzukehren, von der meuterischen Mannschaft mit seinem Sohne, und 7 Kranken auf einer Eisscholle ausgesetzt wurde!


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