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Eisschiffahrt.

Schwierigkeit der Eisschiffahrt. – Vorbereitung. – Nothwendigkeit der Rückkehr in ungünstigen Jahren. – Schiffahrt im landfernen Eismeer und im Küstenwasser. – Schiffahrtsmaximum im landfernen Eismeer. – Wahl der günstigen Jahreszeit. – Nothwendigkeit der Dampfkraft. – Fahrgeschwindigkeit. – Bauart der Schiffe. – Allgemeine Schiffahrts-Taktik im Eise. – Besetztwerden – Vortheil kleiner Schiffe. – Eiserne Schiffe unbrauchbar. – Anwendung zweier Schiffe. – Schiffahrtsregeln in dichtem Eise. – Festlegen der Schiffe an Eisschollen. – Wahl der Route. – Werth fester Luftballons. – Krähennest. – Eiszertheilende Wirkung der Windstille. – Wahl des Winterhafens.

 

Ist es auch nicht möglich, Jemandem, der das Eismeer nicht durch eigene Anschauung kennen gelernt hat, eine völlig klare Vorstellung von seinem Charakter zu geben, so hat doch die Anführung der eben besprochenen Erscheinungen wohl hingereicht, die Schwierigkeiten Vor zwei Jahrhunderten schrieb Martens, dem wir die erste rohe, naturhistorische Kunde über die Polarwelt verdanken, obgleich er nur Barbier eines Hamburger Walfischfahrers war: »Man wagt die Schiffe in das Eis hinein, wie man es wagt mit einem Glas, das, ob es wohl auf die Erde fällt, doch zuweilen ganz bleibt.« und Gefahren klar zu machen, welchen Schiffe bei seiner Befahrung ausgesetzt sind. Sind diese Hemmnisse an sich genug furchtbar, so werden sie oft noch künstlich durch vorgefaßte Theorien und übertriebene Erwartungen vergrößert, welchen gewöhnlich bittere Enttäuschung folgt.

Jahre vergehen oft, bis man das objective Urtheil erringt, welches allen kühnen Schiffahrtsplänen in das Innerste des Polarbeckens Mißtrauen in ihre Ausführbarkeit und den Hinweis auf Hunderte von Expeditionen entgegensetzt, welche nach einem mehr oder weniger mäßigen Eindringen in das landferne Eismeer heimgekehrt sind. Jahre vergehen auch mit dem bloßen theoretischen Studium der Polarfrage, d. h. mit der Prüfung alles dessen, was die Vorgänger auf dem betretenen Wege erfahren und verzeichnet haben, dem Vergleich ihrer Aussprüche mit den großen Thatsachen der Natur; unreif bleibt alles Urtheil ohne diesen persönlich geübten Vergleich. Ungemein wichtig ist dieses Studium für den Polarfahrer; Wahrheiten und Erkenntnisse, zu welchen oft die aufreibendste Thätigkeit von jahrelangen Expeditionen gehörte, und die man nur zu leicht als eigene Errungenschaften anzusehen geneigt ist, solche Erfahrungen erblickt man nicht selten schon vor Jahrzehnten, ja vor Jahrhunderten niedergeschrieben.

Die volle Kenntniß der Beobachtungen der Vorgänger, die Würdigung ihrer Aussprüche, die richtige Schätzung persönlicher Entschlossenheit und Umsicht, Objectivität des Urtheils und der Beistand des Glücks sind die Bedingungen des Erfolges einer Expedition; es folgt daraus, daß der Führer einer größern Nordpol-Expedition eine vorbereitende Schule durch eine sogenannte Vorexpedition gemacht haben müsse.

Das wichtigste Moment des Glücks ist die Wahl eines günstigen Eisjahres, ein nothwendiger Act der Selbstüberwindung die Rückkehr einer Expedition, sobald sie von der Ungunst der Schiffahrtszustände sich überzeugt hat; denn es ist besser, denselben Versuch in einem zweiten und dritten Sommer zu wiederholen, als wissentlich gegen unüberwindbare Hindernisse durch das Eis anzukämpfen.

Die Eisschiffahrt hat eine natürliche Unterscheidung, in die im landfernen Eismeer und in die im sogenannten Küstenwasser, machen gelehrt. Mißerfolge einer Expedition wurden seitdem stets der unrichtig gewählten Jahreszeit oder dem Umstande zugeschrieben, daß man die dem jeweiligen Vorgang entgegengesetzte Schiffahrtsmethode nicht zur Anwendung gebracht habe. Als 1818 Buchan's Nordpol-Expedition ausgerüstet wurde, glaubte man an die Unfehlbarkeit der Anschauung, daß Fotherby, Baffin, Hudson, Phipps nur deßhalb nicht reussirten, weil sie, anstatt im landfernen, offen gedachten Eismeere, unter der Küste Spitzbergens vorgedrungen waren, dort, wo jetzt allein undurchdringliche Eismassen vorausgesetzt wurden. Die erste ist weitaus gefährlicher, völlig vom Zufall abhängig ernsten Katastrophen ausgesetzt, ohne bestimmbares Ziel und ohne Bürgschaft eines sogenannten Winterhafens für die lange Dauer, wo Kälte und Finsterniß jede Schiffahrt vereiteln. Längs dem Lande hingegen bildet sich, und zwar vorzugsweise in Lee von Meeresströmungen ein Streifen offenen Wassers, der nur im Winter dem Ansatz des Landeises Platz macht. Das Küstenwasser entsteht also nicht, indem das Eis durch die größere Wärme aufthaut, welche das Land empfängt, sondern weil ein Land eine unverrückbare Barrière gegen Wind und demzufolge gegen Eisströmung ist. Die Unbeständigkeit des Windes jedoch vereitelt alle Schiffahrtscombinationen für auch nur wenige Stunden im vorhinein; sein Wechsel kann es mit sich bringen, daß ein offenes Landwasser, »soweit das Auge reicht«, binnen kurzer Frist wieder vom Eise erfüllt ist. Oft jedoch verharrt das Landeis auch während des Sommers an den Küsten; es ist dann nothwendig, das Fahrwasser zwischen dem Außenrande des festliegenden und dem treibenden Eise aufzusuchen. Tritt dieses jedoch als Packeis auf, so muß bei geschützter Lage des Schiffes der Augenblick erwartet werden, wo Landwinde die unfahrbar dichten Eismassen mit sich entführen und eine eisfreie oder doch wenigstens nur mit Treibeis bedeckte Gasse zum weitern Vordringen öffnen. Es ist selbstverständlich, daß auch die Schiffahrt im Küstenwasser nur langsame Fortschritte ermöglicht; allein in der Praxis ist sie noch immer mit dem größten Vortheile angewandt worden. Von Barentz wurde sie zum ersten Male, wenngleich nur vorübergehend gewürdigt, von Parry jedoch, einem der bedeutendsten aller bisherigen Polarfahrer, in ihrer ganzen Wichtigkeit erkannt; seitdem gilt sie als ein unumstößliches Schiffahrtsdogma innerhalb des Eises. Parry sagt darüber (1819): »Unsere Erfahrung hat meiner Meinung nach offenbar gezeigt, daß die Beschiffung des Polarmeeres nie mit einiger Wahrscheinlichkeit ohne eine zusammenhängende Küste geschehen kann. Nur durch das Abwarten der Oeffnungen, die zuweilen zwischen dem Eise und dem Lande eintraten, machten wir unsere letzten Fortschritte, und hätte sich das Land in der gewünschten Richtung weiter erstreckt, so kann es keine Frage sein, daß wir, so langsam es auch sein mochte, der Erreichung unseres Zweckes näher gekommen wären.«

Die Erfolge der Engländer im nordamerikanischen Inselarchipel lagen in der methodischen Benützung dieser Schiffahrtsweise, das heißt, im Aufsuchen und Befahren von engen Zweigsunden, wenn die Hauptroute noch durch Packeis gesperrt war, und im Durchschlüpfen und Ausbeuten der geringsten Trennung des Eises vom Lande; auch die sibirischen Küstenexpeditionen geschahen mit beharrlichem Verfolgen des Küstenwassers. Wo das Küstenwasser entweder gar nicht, oder wie an der Ostküste Grönlands nur in beschränkter Ausdehnung existirt, kann auch von dessen Benützung nicht die Rede sein; da die zweite deutsche Nordpol-Expedition principiell auf das Vordringen in demselben angewiesen war, so war ihr Mißlingen eine nothwendige Folge.

Zu den Expeditionen im landfernen Meere zählen dagegen alle die vergeblichen Versuche, von Spitzbergen aus nach Norden vorzudringen, Expeditionen, deren Verlauf und Ende einander gleichen, wie ein Ei dem andern. Tschitschagoff erreichte daselbst 1765: 80° 21', im folgenden Jahr 80° 28' Phipps 1773: 80° 37', Buchan 1818: 80° 34', Scoresby der Aeltere 1806: 81° 13', Scoresby der Jüngere 1822: 80° 31', Clavering 1823: 80° 20', Parry 1827 (mittelst Schiff): 81° 6', Torell 1861: 80° 30', Nordenskjöld 1868: 81° 42', Koldewey 1868 81° 5' nördl. B. Auch die Expeditionen zur Aufsuchung einer Nordostdurchfahrt gehören zu dieser Kategorie, und zwar in Folge der großen Länge des Weges der im offenen Eismeere zwischen Nowaja Semlja und Cap Tscheljuskin zurückzulegen ist.

Im landfernen Eismeer aber muß die Strecke von 2-300, höchstens 400 Seemeilen erfahrungsmäßig als dasjenige Maximum betrachtet werden, welches ein Fahrzeug unter günstigen Bedingungen binnen der wenigen Sommerwochen zurückzulegen vermag. Daß J. C. Roß in der Südpolarregion, die norwegischen Fischer im karischen Meere noch größere Strecken zurücklegten, beweist nur, daß sie durch Eis wenig oder gar nicht gehemmt waren. In der That beobachtete J. C. Roß, daß die Schollen und Felder des südlichen Eismeeres kleiner sind, als die des nördlichen; er erklärt dies, wie folgt: »Die Ursache dieses Unterschiedes liegt in dem Umstande, daß das Eis der südlichen Regionen den gewaltsamen Bewegungen des Meeres weit mehr ausgesetzt ist, während das Nordpolarmeer von verhältnißmäßig ruhigem Charakter ist.« Das geringere Landvorkommen am Südpol, welches den Meeresströmungen, dem Treiben und der Zerstörung des Eises einen größeren Spielraum gestattet, dagegen die Gelegenheit zum Ansatze des Eises an den Küsten vermindert, scheint daher derjenige Factor zu sein, welcher die Canäle des Wasserstraßennetzes erweitert und die Schiffahrt erleichtert. Selbst die Dünung wird im Südpolarmeer innerhalb des Eises bemerkt, während sie im Nordpolarmeere niemals vorkommt. Außer diesen größeren Hindernissen, welche das Nordpolarmeer im Allgemeinen bietet, kommt zu denen der Nordostdurchfahrt insbesondere noch der Uebelstand, daß die sibirische Flachsee an vielen Orten das unmittelbare Befahren der Küsten verhindert.

Ein wichtiges Erforderniß bei der Eisschiffahrt ist ferner die Wahl der günstigen Jahreszeit, welche nicht in allen Meeren gleichzeitig ist, und deren Vernachlässigung eine gewöhnliche Ursache der Erfolglosigkeit von Expeditionen früherer Jahrhunderte war. Da das Eis im Juni von der Sonnenwirkung noch fast ungeschwächt ist und dicht liegt, außerdem weit nach Süden herabreicht, so erhellt daraus die Zwecklosigkeit von Anstrengungen, im Juni sich dort einen Weg erkämpfen zu wollen, wo die nach Norden zurückweichende Eisgrenze, oder die Umwandlung von Packeis in Treibeis 4-6 Wochen später freies Fahrwasser erzeugt.

In der Baffins-Bai betrachtet man den August als die günstigste Schiffahrtszeit, in Ostgrönland das Ende des Juli und den Beginn des August, in den Gewässern Spitzbergens die zweite Hälfte des August und den Anfang des September; in der Gegend der Parry-Inseln erreicht sie Anfangs September ihr Ende. Im Allgemeinen hat es den Anschein, als beginne die günstigste Schiffahrtszeit für alle Routen, welche dem Küstenwasser angehören, einige Wochen früher, als die beste Fahrzeit im landfernen Eismeere. Da aber in einer so vorgerückten Jahreszeit, wie es im Eismeere schon der Anfang des September ist, den günstigsten Zuständen oft eine plötzliche Reaction durch Stürme, rasch eintretende Kälte, heftigen Schneefall, sonach die rapide Bildung jungen Eises folgt, so wird diese an sich höchst gewagte Schiffahrt gerade dann am bedenklichsten, wenn die eingetretene Minimal-Eisbedeckung des Oceans die größten Erfolge zu versprechen scheint.

Das Befahren des Eismeeres bedingt vor Allem die Hilfe der Dampfkraft; durch sie allein ist ein Schiff im Stande, sich den Launen des Windes zu entziehen. Die Bewegungen eines Schiffes im Eise bestehen nothgedrungen aus unausgesetzten Curven, und die Fähigkeit, Bögen von kleinstem Radius zu beschreiben, ist eine der ersten Bedingungen, welche es erfüllen muß, um enge, vielfach versperrte Wasserstraßen verfolgen zu können. Ohne Unterlaß erleidet es heftige Stöße durch das Eis, aus welchem Grunde Raddampfer unbrauchbar sind; selbst bei Schraubenschiffen »Errebus« und »Terror« waren die ersten Schraubendampfer, welche in den arktischen Regionen zur Verwendung kamen. soll auf den Schutz des Propellers durch eine besondere Construction Rücksicht genommen werden.

Die Fahrgeschwindigkeit im Eise darf nur gering sein, etwa 3 bis 6 Meilen in der Stunde; eine größere würde ein Schiff binnen kurzer Zeit seeuntüchtig machen. Aber selbst dann ist es nicht zu vermeiden, daß der innige Verband der Theile eines Schiffes durch das unausgesetzte Anrennen erschüttert und gelockert wird; man erkennt dies daran, daß der Anprall gegen das Eis, anstatt in kurzem Donner, sich in anhaltendem Dröhnen und Aechzen äußert. Je größer das Schiff, desto geringer ist seine Widerstandsfähigkeit gegen Einflüsse dieser Art; umso früher zeigen sich diese Merkmale seiner verminderten Festigkeit.

Ein Schiff, welches das Eismeer zu befahren bestimmt ist, soll ferner nicht bauchig, sondern scharf gebaut sein, damit bei Pressungen das Eis untergetaucht und das Fahrzeug emporgehoben, nicht eingeklemmt und zerdrückt werde. Das bauchige oder volle Schiff kann sich, vom Eise gedrückt, deßhalb nicht heben, weil es dem Andrange der Gewalt auch unter dem Wasser eine gerade Seitenfläche bietet. Die »Hansa« war bauchig gebaut und wurde bei der ersten Pressung zertrümmert; die »Germania«, der »Tegetthoff« und der »Isbjörn« hingegen, scharf construirte Schiffe, haben sich im Eise trefflich bewährt. Um den Schiffsrumpf gegen das heftige Anstreifen an rauhe Eiszungen zu schützen, pflegt man ihn bis einige Fuß über der Wasserlinie mit einer Eisenhaut zu panzern und den Vordersteven so stark als möglich zu machen, weil dieser durch das unaufhörliche Anrennen den größten Erschütterungen ausgesetzt ist.

Die Taktik eines Schiffes im Eise richtet sich völlig nach dem Charakter der zu besiegenden Hindernisse. Sind die Felder schwer und groß, so pflegen sie durch größere Wasserstraßen und Wacken getrennt zu sein; stundenlang vermag ein Schiff oft innerhalb solchen Eises mit nur geringen Abweichungen seinen Curs zu verfolgen. Wird die Fahrt aber einmal durch eine Barrière gehemmt, pflegt das Hinderniß ernsterer Natur zu werden. Schwere Felder lassen sich durch die Kraftäußerung des Schiffes nicht mehr vom Platze drängen, und der Seefahrer ist genöthigt in möglichst geschützter Lage ihre Zertheilung abzuwarten.

Gewährt auch die Schiffahrt innerhalb ausgedehnten Flächeneises den Vortheil des raschen Vordringens, so erhöht sie dagegen die Gefahr des Zerdrücktwerdens, sobald das Schiff eingeschlossen ( das » Besetztwerden« genannt) und gepreßt wird. In leichterem Eise, innerhalb kleiner Schollen, besteht die Taktik im Anrennen an vorliegende Barrièren, wenn diese durch das Wegschieben einer einzelnen Scholle geöffnet werden können, und in der Ausübung continuirlichen Druckes bei voller Dampfkraft, sobald eine Anhäufung dichteren, doch kleineren Eises durchdrungen werden soll. In Fällen dieser Art haben große Schiffe den Vortheil eines größeren Bewegungsmomentes, welcher das Eis noch dort zu trennen vermag, wo ein kleines Fahrzeug sich regungslos festklemmt. Anhäufungen kleineren Eises erhöhen überhaupt die Gefahr des » Besetztwerdens«, vermindern dagegen die von Pressungen, weil sich die Kraftäußerung vieler kleinen Schollen zersplittert. Im Uebrigen ist das Vermeiden des Besetztwerdens die große Kunst der Eisschiffahrt; sonst ist das eingeschlossene Schiff jedem Zufall preisgegeben.

Aus dem Gesagten erhellt, daß kleine Schiffe großen Fahrzeugen im Eise mit seltenen Ausnahmen weitaus überlegen sind, nicht nur wegen ihrer leichteren Beweglichkeit, sondern mich wegen ihrer erhöhten Widerstandskraft und größeren Leichtigkeit, gehoben zu werden; der Nachtheil des geringeren Kraftmoments, das sie selbst auszuüben vermögen, ist verhältnißmäßig nur von untergeordneterem Belang. Die Erfahrungen aller Nordpol-Expeditionen dieses Jahrhunderts haben gelehrt, daß Schiffe von 150 bis höchstens 300 Tonnen ihren Zwecken am besten entsprechen.

Wiederholt, doch mit sehr ungünstigen Resultaten versuchte man es, eiserne Schiffe im Eise zu verwenden; sie vermögen Pressungen weniger zu ertragen, als hölzerne, wie dies unter andern das Schicksal des »River Tay« 1868 in der Baffinsbai und das des schwedischen Expeditionsschiffes »Sofia« im Norden Spitzbergens bewiesen haben.

Die Anwendung zweier Schiffe bei einer Polarexpedition hat unbestreitbar die größten Vortheile vor der Entsendung eines einzelnen Fahrzeuges voraus; wofern die verfügbaren Mittel es ermöglichen, sollte man stets an diesem Principe festhalten. Beide Schiffe aber müssen über Dampfkraft verfügen; sonst ist ihre Trennung fast unvermeidlich, eine Gefahr, auf die man übrigens unter allen Umständen gefaßt sein muß.

Alles, was man im gewöhnlichen Leben vom Vordringen durch das Eis mittelst »Durchsägens« und »Durchbohrens« spricht, ist eine Fabel, hervorgerufen durch mißverstandene technische Ausdrücke. Eine unrichtig gedeutete Redensart ist auch die Phrase vom »fußweisen Vordringen durch das Eis«. Wo es schiffbares Wasser gibt, kann Jedermann fahren; wo keines vorhanden ist, Niemand. In den Jahren 1869 und 1870 hätten wir in Grönland, im Osten Shannon Islands, in einer Sackgasse des Eises angekommen, nicht einen Schritt weiter vorzudringen vermocht. 1871 zogen wir in leichtem, aber dichtem Eise warpend, Warpen heißt ein Schiff mit Hilfe »ausgebrachter« Taue, Anker, u. dgl. fortbewegen. nur die kleinen Schollen an uns heran, ohne vorwärts zu kommen, 1872 wurden wir trotz Dampf zweimal in dichtem Eise besetzt.

Erzwingen läßt sich das Vordringen durch dichtes Packeis nicht; es helfen nur Ausdauer und ruhige Erwägung. J. Roß empfiehlt dem Polarfahrer deßhalb mit Recht: Vorsicht und Geduld; J. C. Roß räth demjenigen, welcher durch ein ausgedehntes Packeisgebiet gelangen will, auch die geringste Gelegenheit weiter zu kommen, nicht zu versäumen, da man nie wissen kann, wie weit sie uns führt, oder wie unwiederbringlich der Schaden sein kann, wenn man sie versäumt. Wird ein Schiff durch die momentane Unfahrbarkeit der beabsichtigten Route in seiner Fahrt gehemmt, so muß es die Zertheilung des Eises abwarten, welche in der Regel durch Windstille herbeigeführt wird. Doch scheinen auch Ebbe und Fluth den Zusammenhang des Eises wesentlich zu beeinflussen.

In solchen Fällen pflegen Segelschiffe größere Wacken aufzusuchen und lavirend sich in den freiesten Wasserstraßen zu erhalten, um der Gefahr des Eingeschlossenwerdens vorzubeugen. Dampfschiffe hingegen bedürfen dieser Vorsichtsmaßregel weit weniger; denn ihre Fähigkeit, rasch und nach jeder Richtung hin zu entrinnen, sichert sie gegen Bedrohungen dieser Art. Sie sind im Stande, sich an Eisschollen mittelst Eisanker, natürlich in ihrer Leeseite, zu befestigen, müssen jedoch unter Feuer und solchem Dampfdrucke liegen bleiben, um den Platz binnen kurzer Frist verlassen zu können, sobald das Eis näher rückt. Im Princip, und insoweit es ohne gänzliche Erschöpfung der Kräfte möglich ist, sollte ein Schiff im Eise überhaupt trachten, in unausgesetzter Bewegung zu bleiben, selbst wenn große Coursänderungen und die momentane Rückkehr zu einer verlassenen Position damit verbunden wären. Das Festlegen an einer Scholle soll erst dann unternommen werden, wenn jede Schiffahrtschance weithin im Umkreise sich als illusorisch erwiesen hat. An Eisbergen anzulegen, bringt zwar den Vortheil des geringen Treibens, ist jedoch möglichst zu vermeiden, und zwar wegen der Gefahr ihres Umkippens oder Berstens, Ereignisse, welche viel häufiger eintreten, als man beim Anblick ihrer scheinbar großen Stabilität anzunehmen geneigt wäre. Den gedachten Vortheil aber erreicht man auch durch die Auswahl großer Schollen, da diese weniger als kleine treiben.

Wenn ein Schiff ungeachtet aller angewandten Vorsicht dennoch »besetzt« wird, so ist es rathsam, das Steuer auszuheben, um es vor Beschädigung zu sichern; es müßte denn von außergewöhnlicher Schwere und Festigkeit sein, wie dies bei der »Germania« und dem »Tegetthoff« der Fall war. Einer ernsten Gefahr ist ein Schiff auch ausgesetzt, wenn es beim Eintritt von Windstille zwischen Eisberge geräth. Da diese jedoch selbst im dichtesten Nebel von einer auffälligen Lichthülle umgeben sind, ist diese Gefahr noch im letzten Augenblicke durch Warpen vermeidlich.

Die zweite Bedingung der Eisschiffahrt ist, bis in das kleinste Detail des einzuschlagenden Weges, die glückliche Wahl der Route, mithin rasche Orientirung und Beurtheilung, ob eine eisbedeckte Wasserfläche das Durchdringen gestatte. Es folgt daraus, von welch großer Wichtigkeit die Verwendung von Luftballons für die Zwecke der arktischen Schiffahrt wäre, und daß es höchst gewinnbringend sein müßte, mit einem Ballon zur Höhe selbst nur weniger 100 Fuß vom Schiffe aus emporzusteigen. Unzweifelhaft wird das erste Schiff, welches im Stande ist, von diesem Hilfsmittel Gebrauch zu machen, hieraus außerordentliche Vortheile ziehen.

Vom Deck eines Schiffes aus erscheint selbst Treibeis in geringer Entfernung oft von unschiffbarer Dichtigkeit, während man von den Masten aus zur selben Zeit mehr Wasser, als Eis, erblicken kann. Um diesen Horizont möglichst zu erweitern, befestigte man bisher ein Faß, das » Krähennest«, an die Spitze des Vordermastes, in welchem sich unausgesetzt ein wachhabender Officier befindet, und von wo aus alle Operationen des Schiffes geleitet werden. Bei einem Schiffe von der Größe und Höhe des »Tegetthoff« beträgt die Aussichtsweite vom Krähennest 11 Meilen; Ohne ausdrückliche Unterscheidung ist hier immer von Seemeilen die Rede, deren vier bekanntlich eine geographische Meile bilden. aber schon auf 5 Meilen läßt sich die Möglichkeit des Durchdringens nicht mehr genau bestimmen. Dieser Officier beschäftigt sich jedoch nur mit dem Studium der Durchfahrten im Allgemeinen; seine Aufmerksamkeit ist vorzugsweise auf das Entfernte gerichtet, weil dessen Beurtheilung am schwierigsten und nur ihm allein möglich ist. Nicht seine Aufgabe, sondern die einer besonderen Wache des Vorderstevens ist die Aufmerksamkeit auf das unmittelbar Vorliegende, das Vermeiden vereinzelter Eisschollen, deren Zusammenstoß mit dem Schiffe zu verhindern, unausgesetzte Sorgfalt erheischt. Der Matrose am Steuer dagegen leitet die Bewegungen des Schiffes nach den Winken und Rufen, welche ihm vom Krähennest aus zukommen, und modificirt sie in kurzen Bögen nach jenen der Wache am Vordersteven. Die übrige Mannschaft entfernt geringere Bruchstücke des Eises mit langen Stangen vom Cours des Fahrzeuges und sorgt namentlich dafür, daß sie die Schraube nicht beschädigen.

Während die Meeresströmungen geschlossene Züge von Eis in constanten Bahnen bewegen, bringen die Winde durchgreifende Störungen in dieselben und öffnen lange Wacken in ihrer Richtung, zwischen welchen oft Streifen des dichtesten Packeises wechseln. Diese Bewegung des Eises ist bei jeder Scholle verschieden; ihre Geschwindigkeit hängt von dem Verhältniß des über das Wasser emporragenden, einem Segel ähnlich wirkenden Theiles zu der Gesammtmaße der Scholle ab.

Windstille hingegen besitzt erfahrungsgemäß die beachtenswerthe Eigenschaft des Eiszertheilens; es folgt daraus von selbst, wie entscheidend die Kenntniß und Benützung dieser Umstände für den Schiffer ist.

Das Auseinandertreiben des Eises wird vielleicht nicht unwesentlich durch den Dichtigkeitsausgleich des von den Schollen abfließenden Schmelzwassers mit dem dichteren Meerwasser herbeigeführt, indem sich das erstere gegen die offene See hin bewegt, das letztere unter dem abströmenden Schmelzwasser hinweg dem Eise zu. Während nämlich die Dichtigkeit des gewöhnlichen Seewassers an der Oberfläche 1,01-1,028 Nach den Untersuchungen von Maury, Hagen, Wagner und Hermbstädt unter wechselnden Umständen. Im grönländischen Meere wurde sie im August 1870 mit 1,0249 beobachtet. beträgt, sinkt sie innerhalb des Eises etwas herab; ihre Abnahme läßt daher auch auf die Nähe des Eises schließen.

Läuft der Cours eines Schiffes quer oder gegen eine Strömung, so erleidet es eine beständige Abtrift, welche wir an der ostgrönländischen Küste z. B. mit 5-10 Meilen binnen 24 Stunden beobachteten; es folgt daraus die Wichtigkeit, Routen nach, nicht gegen den Verlauf der Strömungen zu wählen.

Von der allergrößten Bedeutung für den Verlauf einer arktischen Expedition ist endlich die rechtzeitige Wahl eines geeigneten Winterhafens, entstehend aus der Notwendigkeit, noch vor Beendigung der Schiffahrtszeit die Nähe einer Küste festzuhalten. Das Aufsuchen eines Winterhafens ist in einem unerforschten arktischen Lande mit den größten Schwierigkeiten verbunden; Wie unsicher es sei, einen Winterhafen zu treffen, zeigt die Südpolar-Expedition von J. C. Roß, der an der Ostküste von Victoria-Land überwintern wollte, allein alle Buchten mit einem mächtigen Saum von Landeis und Gletschern versperrt fand. Eine andere Schwierigkeit ist die, einen Hafen nach überstandener Ueberwinterung zu verlassen, um wieder in freies Fahrwasser zu gelangen. Dies zeigt die zweite Expedition von J. Roß. Erst am 17. September 1830 wurde sein Schiff aus dem Hafen frei; nachdem er drei Seemeilen zurückgelegt, wurde er wieder eingeschlossen. Um eine nahe Bucht zu erreichen, sägte seine Mannschaft einen Monat lang, einen 850 Fuß langen Canal im Eise herzustellen. Im folgenden Jahre kam er nur 4 Meilen weiter! nur zu oft ist die Beschaffenheit der zu Gebote stehenden Buchten derart, daß das Eis bei Winterstürmen heraustreibt, oder der Hafen ist vor denselben in einer Weise gesichert, daß er auch im folgenden Sommer erst spät oder gar nicht aufbricht. Baien von geringer Tiefe, welche fast bis auf den Grund ausfrieren, die in Lee Diejenige Direction, nach welcher Wind oder Strömung gerichtet sind. einer Strömung, oder im Innern eines buchtenreichen Fjords liegen, sind hiezu die geeignetsten Plätze.


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