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Herbstschlittenreisen.

Reise nach dem Fligely-Fjord. – Cap Berlin, Cap Hamburg. – Bärenjagd. – Glatteis. – Gneisformation. – Renthiere. – Westend-Spitze. – Im Osten undurchdringliches Packeis. – Rückkehr zum Schiffe. – Einbrechen in eine Spalte. – Kohlenlager auf der Ruhu-Insel. – Ankunft am Schiffe. – Reise nach dem Tyroler Fjord. – Copeland von einem Bären überfallen. – Dichtes Eis und Irrgänge. – C. Borlase Warren. – Clavering-Insel. – Tyroler Fjord. – Zeltlager im Herbst. – Westseite der Clavering-Insel. – Jordanhill. – Renthierjagd. – Der Hintergrund des Tyroler Fjord und seine Gletscher. – Die Rückreise. – Ausgebrochene Eisbahn. – Nächtlicher Marsch. – Verfolgung durch Walrosse. – Ankunft im Winterhafen.

 

Es war nun die Aufgabe der Besatzung der »Germania«, durch Schlittenreisen dasjenige zu ersetzen, was wir durch den Ausfall der Schiffahrtserfolge verloren hatten. Dies war nicht leicht, denn eigentliches Schlittenreisenmaterial besaßen wir nicht an Bord; es wurde auch in der Zukunft nur nothdürftig beschafft, und Niemand von uns war mit dieser Art des Reisens vertraut. Die erste dieser Expeditionen fand vom 14. bis 21. September statt; unsere Ausrüstung dazu bestand in einem Schlitten, in Decken, Proviant für 8 Tage, Theodolit, Barometer und Thermometer. Der Schlitten, mit 6 Centner belastet, wurde von sechs Mann: Capitän Koldewey, Tramnitz, Krauschner, Klenzer, Ellinger und mir gezogen. Anfangs ging es mit Leichtigkeit über das beinahe schneefreie, von glattüberfrorenen Wassertümpeln bedeckte Eis; doch schon eine kleine Strecke hinter dem Südwestcap der Sabine -Insel wurde die Bahn durch alte, im Sommer halb aufgethaute und wieder gefrorene Schneewehen so rauh, daß es erheblicher Anstrengungen bedurfte, dem westlichen Hauptlande, unserem Ziele, näher zu kommen.

Ungeübt in solchen Reisen und den hundert kleinen Handgriffen, um rasch mit Zeltaufschlagen und Kochen fertig zu werden, brauchten wir lange Zeit, um das Lager zu beziehen. Obgleich die Bären zahlreich umherstrichen, stellten wir während der Nacht dennoch keine Wache aus, sondern begnügten uns mit der Vorsicht, ein geladenes Gewehr nebst einem geladenen Revolver ins Zelt zu nehmen und dieses zu schließen. Der Bär konnte uns dann allerdings noch immer an den Füßen oder am Kopfe beißen. Die Zeit der Ruhe auf solchen Reisen ist jedoch äußerst kurz, das Ablösen der Wachen würde sie in der störendsten Weise beeinträchtigen. Man ist daher genöthigt, der bedächtigen Natur des Bären Rechnung zu tragen, der überdies zuerst das Zelt einzureißen hätte, ehe er an dessen Bewohner käme.

Am nächsten Morgen (15.) gingen wir in nordwestlicher Richtung über die Claveringstraße dem Festlande zu. Die Temperatur war -4,5° R., das Wetter schön, mit Leichtigkeit schafften wir den Schlitten über den harten Schnee. Die Claveringstraße wird links und rechts von horizontal abgeschnittenen Plateaux doleritischer Gesteine eingeschlossen, deren obern Saum ausgebildete Säulenreihen einfassen. Nur am Ausgang der »Falschen-Bai« tritt eine kleine Granitpartie zu Tage, auf welcher Sandstein lagert. Cap Berlin erreichten wir nach einem sechsstündigen Marsche. Nach kurzer Mittagsrast zogen wir durch eine Wüste zunehmend tiefen Schnees dem Festland entgegen. Dieses umfing eine sich weit nach Süd erstreckende Bai und einen Fjord, westlich von unserer Marschrichtung. Die Erforschung dieses Fjords war unsere nächste Aufgabe. Wir glaubten seinen von imposanten Gneiswänden gebildeten Ausgang (Cap Hamburg) in wenigen Stunden erreichen zu können, da wir die Entfernung wie gewöhnlich unterschätzten. Doch je weiter wir marschirten, um so mehr schien sich das Land zu entfernen, und bei dem angestrengten Marsch durch weichen Schnee machte sich ein erklärlicher Unmuth über diese fortwährende Täuschung geltend. Es war bereits dunkel, als wir das Land erreichten.

Am 16. September kam ein weißer Fuchs zu unserm Frühstück, um an demselben theilzunehmen. Er büßte seine Verwegenheit mit dem Leben. Auch ein Bär ließ sich blicken, trollte nach dem verlassenen Lagerplatz, drückte einen zurückgelassenen Topfdeckel zu einem Knäuel zusammen und kam dreist auf uns zu. Tramnitz erlegte ihn. Inzwischen hatten wir zu unserer Ueberraschung wahrgenommen, daß der Fligely-Fjord von einer ununterbrochenen Glatteisfläche bedeckt sei; schmerzlich bedauerten wir daher, keine Schlittschuhe mitgenommen zu haben. Dessenungeachtet kamen wir sehr schnell vorwärts. Mit Bergstöcken schoben wir uns auf dem Eise gleitend fort; der Schlitten folgte leicht, fast schon unter dem Einfluß des Windes. Das Eis des Fjords, offenbar erst im September gebildet, war anfänglich 3 bis 4 Zoll stark, nahm aber dann bis zu ¾ Zoll ab, so daß unsere Schritte ein ununterbrochenes Knacken begleitete. Lange Sprünge bildeten sich; wir hielten uns daher dem Lande nahe, um im Falle des Einbrechens Grund zu finden. Mit dem Eisenstachel des Bergstockes ließ sich die Eisdecke mit einem Stoß durchbohren; gierig tranken wir von dem emporsprudelnden Brackwasser. Unmittelbar unter der Oberfläche des Eises war es wenig salzig und trinkbar.

Prächtige Bergreihen aus Gneis umgaben den Fjord, sanfte, mit einiger Grasvegetation geschmückte Hänge zogen an ihrem Fuße hin. Ueberall kamen Renthiere verwundert an den Strand; doch widerstanden wir der Jagdlust, um keine Zeit zu verlieren. Einen Eisbären, der sich uns näherte, vertrieben wir durch Schreien; bald darauf brach Klentzer durch das Eis, er wurde jedoch herausgezogen, darauf ein breiter Spalt mühsam überschritten. Das Eis ward jetzt so dünn, daß es gefahrdrohend zu brechen begann; trotzdem langten wir wohlbehalten auf der Westseite des scharf nach Nord umbiegenden Fjords an. Schon jetzt schien es, als stünde der betretene Sund mit Ardencaple-Inlet in Verbindung. Am folgenden Tag verfolgten wir den Fjord nach Nord, um eine daselbst sichtbare dominirende Spitze zu erklimmen, von deren Rundsicht wir die Lösung dieser Frage erwarteten. Der Schlitten wurde unter der Bewachung von Tramnitz, Krauschner und Klentzer zurückgelassen, während Capitän Koldewey, Ellinger und ich zwei Stunden lang über die glatte Eisfläche in nördlicher Richtung eilten, und dann über die von der Fluth aufgebrochenen Eistafeln springend, das Land am Fuß der zu besteigenden Westend-Spitze betraten.

Ueberall trafen wir tief eingeschnittene Gletscherbäche; sie waren von Schneewehen überbrückt, unter denen das Murmeln des Wassers zu hören war. Unser Weg führte über einen jäh abfallenden Vorberg. Oberhalb eines reizenden, mit einem See geschmückten Thales ging es über große Felsblöcke, dann über ein Firnfeld zur Spitze, die wir nach 6½ Stunden erreichten. Das Gebirge war mehrentheils schneefrei, große Gletscher fehlten gänzlich. Nirgends ließ sich eine entschieden ausgesprochene Vegetationsgrenze wahrnehmen.

Die Aussicht vom Gipfel erstreckte sich über Hochstetters Vorland und Shannon bis zu den Pendulum-Inseln und überzeugte uns von der undurchdringlichen Dichtigkeit des Packeises längs der Außenküste, sowie davon, daß der Fligely-Fjord wirklich in die Ardencaple-Bai münde. Nach West begrenzten Kuppen von 4-5000 Fuß Höhe den Horizont. Mehrere Ablesungen des Quecksilberbarometers ergaben die Höhe unseres Berges aus etwa 4000 Fuß. Die Temperatur betrug -8,8° R. Nach drei Stunden waren die Arbeiten beendet. Ueber Firn- und Karrenfelder kehrten wir zurück; vergebens bemühten wir uns, ein in denselben zurückgelassenes Gewehr zu finden; ebenso vergeblich war es, den jetzt erstarrten Gletscherbächen einen Trunk für unsern brennenden Durst abzugewinnen. Auf dem glatten Eise längs des Strandes war der Weg trotz der Dunkelheit nicht zu fehlen. Es war eine herrliche Nacht, völlige Windstille bei wolkenleerem Himmel. Ein intensives Nordlicht im Süden verbreitete eine überraschende Helle über die eisigen Gefilde; deutlich waren die firnbedeckten Gipfel der umliegenden Berge zu erkennen. Mitternachts kamen wir zum Zelte. Die Leute lagen bereits in ihre Decken gehüllt; das aus Treibholz und Renthierfett Tramnitz hatte inzwischen ein Renthier geschossen. angezündete Feuer war dem Erlöschen nahe. Es wurde wieder zur hellen Flamme angefacht, und bald saßen wir vor einem Topfe mit kräftiger Renthierfleischsuppe.

Am 18. September (-5° R.) hing ein graues Nebeldach über dem Fligely-Fjord. Tramnitz und Ellinger fanden das zurückgelassene Gewehr, die Andern sammelten Treibholz am Strande. Um vier Uhr Nachmittags traten wir den Rückweg zum Schiffe an; leider hinderte Proviantmangel die Erforschung von Ardencaple-Inlet, welche wir dieser Reise so leicht hätten hinzufügen können. Die schon früher erwähnte breite Spalte der Fjordbahn brachte uns diesmal in eine unangenehme Lage; Klentzer brach mit dem Schlitten durch. Es gelang ihm zwar, sich persönlich auf etwas stärkeres Eis emporzuarbeiten; dagegen sank der Schlitten tiefer und tiefer. Es war unmöglich, ihn auf dem dünnen Eise emporzuziehen, ohne ihn vorher zu entlasten. Somit durchschnitten wir die Packstricke und schafften die Geräthe und den Schlitten einzeln wieder aufs Eis. Bei diesem Unfall gingen die beiden Barometer zu Grunde; aus dem Kasten des Theodoliten sprudelte das Wasser hervor, als habe ihn Moses' Stab berührt. Wir waren genöthigt, sofort eine Lagerstelle am Strande zu beziehen, um an einem mit Andromeda Dieses Feuerungsmaterial mußte unter frisch gefallenem Schnee hervorgesucht werden, wobei Einige sich die Finger erfroren. genährten Feuer unsere Decken u. s. w. zu trocknen. Daß dies bei -6,4° R. nicht gelang, ist begreiflich. Nicht ohne Schwierigkeit wurde das durchnäßte, gefrorene Zelt aufgestellt; seine Falten schienen zu Eisenblech erstarrt. Nachts litten wir durch die Kälte, zumal das Wetter unfreundlich und feucht war. Morgens (19. September -8° R.) näherte sich uns eine Moschusochsenheerde auf etwa 60 Schritte, einige Renthiere kamen in unsere unmittelbare Nähe, – wir ließen sie unbelästigt.

Renthiere nähern sich uns ohne Scheu.

Während des Rückwegs fand ich am Südhange der Kuhn-Insel ein Kohlenflötz; es war ¾ bis 18 Zoll mächtig – wahrscheinlich Liaskohle und wechsellagerte mit einem petrefactenreichen Sandstein. Die Entdeckung eines Kohlenlagers an dieser Stelle ist für die spätere Erforschung Grönlands von Wichtigkeit. Denn von all' den Lebensbedürfnissen, die man mit sich schleppen muß, ist das Brennmaterial dasjenige, welches der Dauer einer Reise ins Binnenland und dem Aufenthalt daselbst zuerst Grenzen setzt. Der Proviantvorrath läßt sich ergänzen, sobald man über eine genügende Anzahl Patronen disponirt. Die Bekleidung unterliegt keinem fühlbaren Verbrauch; im Uebrigen sind die Bedürfnisse Wüstenreisender erschöpft, sobald sie über Feuerstahl, Kessel und Axt verfügen. Das Brennmaterial dagegen ist nicht allein unentbehrlich, sondern läßt sich auch nur höchst unvollkommen ergänzen. Bietet jedoch ein Kohlenlager unerschöpflichen Vorrath und baut man sich eine Steinhütte zum Schutz gegen Sturm und Kälte, so ist ein beliebig langer Aufenthalt im Innern des Landes möglich und damit Aussicht gegeben, dasselbe auf einen sehr beträchtlichen Umkreis und mit einer Gründlichkeit zu durchforschen, auf die man bei Reisen, wie die von uns ausgeführte, nothgedrungen verzichten muß.

Am 21. September zogen wir bei -6,4° R. und heftigem, die Sonne verschleierndem Schneetreiben über die acht Stunden lange Schneewüste nach, dem Cap Berlin. Nach kurzer Mittagsrast daselbst und nach weitern drei Marschstunden kamen wir nahe dem Eingang der »Flachen-Bai« an, wo wir übernachteten. Am folgenden Tage (22. September) ging es zu Fuß über das junge Eis unseres Winterhafens bis an Bord des Schiffes. Die Ausdehnung dieser Reise betrug 107 Meilen.

Mancherlei Ursachen hielten uns in dem folgenden Monat am Schiffe fest; erst kurz vor dem Scheiden des Tageslichtes fand eine zweite Schlittenreise statt, deren Zweck die Erforschung des Südens war.

Ein unbewohntes Land hatten wir betreten, aber wir konnten nicht sagen, das Verlangen, es zu erforschen, sei deßhalb abgeschwächt worden. Die arktischen Pioniere Englands und Amerikas blieben auf ihren Entdeckungsreisen fast immer in Verbindung mit menschlicher Bevölkerung, wenn auch nur mit solcher, deren Culturstufe zu den niedrigsten zählt. Der flüchtige Hundeschlitten der Eskimo's Dieses langsam aussterbende Volk wurde lange Zeit irrthümlich zur mongolischen Race gezählt. erweckt in den Berichten jener Entdecker nicht minder das Interesse wie die Kunst ihrer Zauberer die Geschicklichkeit ihrer Jäger, oder die nicht zu befriedigende Annexionslust dieser trotz ihres Tobens und Schreiens harmlosen Geschöpfe, welche die langen Polarnächte, dicht gedrängt in rauchigen Hütten, halb im Nichtsthun, halb im Schlaf verträumen. Uns selbst war jedwede Befriedigung geselligen Bedürfnisses vorenthalten; denn die Eskimo's hatten sich von der Ostküste Grönlands entweder tief nach Süden zurückgezogen, oder sind daselbst ausgestorben. Die Abwesenheit jeder Art menschlicher Thätigkeit erweckt jedoch unsere Aufmerksamkeit auf die Natur desto mehr.

Der Winter stand vor der Thür, es war natürlich, daß wir noch vor seinem Eintritt durch eine Schlittenreise den engen Kreis des Bekannten erweitern wollten. In ruhiger Klarheit spannte sich der azurne Himmel über das erstarrte Land; der Frost überbrückte die unbewegte, tiefblaue Wasserfläche der Fjorde mit glänzenden Eisbahnen Bei einer künftigen Expedition in Ostgrönland möchte ich es anempfehlen, der Ausnützung des Herbstes zu Schlittenreisen die größte Aufmerksamkeit zu widmen.; in jeder Hinsicht erwies sich der Herbst als eine unserm Vorhaben sehr günstige Jahreszeit. Die Temperatur bewegte sich zwischen -4,6° R. und -19,2° R.; das Wetter war äußerst klar und beständig. Die mäßige Kälte des Herbstes bietet gegenüber der weit strengeren des Frühjahrs den Vortheil, mit einer verhältnißmäßig leichten Bekleidung auszureichen. Reichliche wollene Wäsche vermag noch die beschwerlichen Pelze zu ersetzen; zur Noth lassen sich auch noch lederne Stiefel anstatt solcher aus Segeltuch verwenden. Selbst Schneebrillen sind im Herbste nur nach frischem Schneefall oder bei bedecktem Himmel nothwendig; denn das schneefreie Land bietet dem Auge noch genug Ruhepunkte.

Aus diesen Gründen verließen Copeland, Wagner, Herzberg, Iversen und ich mit einem kleinen Schlitten am 27. October das Schiff, um die inneren Verzweigungen der Gaël-Hamkes-Bai zu untersuchen. Unsere mangelhafte Ausrüstung reichte für neun Tage.

Am 27. October, dem Tage unseres Aufbruches vom Schiffe, hatten wir nur noch vier Stunden Sonnenlicht. Schon in wenigen Tagen sollte dasselbe für drei lange Monate verschwinden; Eile war daher dringend geboten. Unser Weg führte nach Süd. Fast bis zu dem düstern Fels Cap Wynn zogen wir auf Schlittschuhen dahin; dann nöthigte uns die zunehmende Unebenheit des Eises und ein scharfer, den Schlitten seitwärts abdrängender Südwind, diese abzuschnallen. Der Wind nahm an Stärke zu, und da uns unsere wärmeren Bekleidungsstücke ihrer Verpackung wegen momentan unzugänglich waren, so litten wir trotz der mäßigen Kälte von -14° R. derart, daß Einige Gefahr liefen zu erfrieren. Eine Gruppe von Doleritsäulen am Strande, hinter welcher wir uns südlich der »Flachen Bai« vor dem eisigen Winde bargen, gewährte zu rechter Zeit willkommene Zuflucht. Wir krochen in die Felsklüfte, um Schutz zu suchen, und schlugen das Zelt auf, keine leichte Arbeit, besonders bei der Schwierigkeit, die angefrornen Steine zu erlangen, deren wir zu seiner Befestigung bedurften. Schon um 4 Uhr Nachmittags legten wir uns zur Ruhe, um die Reise desto früher wieder antreten und durch einen forcirten Marsch das Versäumte einbringen zu können. Erst gegen Morgen legte sich der Wind, dessen durch kältender Einfluß selbst im Zelte recht unangenehm fühlbar war. Am 28. October, um 3 Uhr Morgens, begünstigt durch Mondlicht und Windstille, zogen wir weiter (-12° R.).

Erst nach 2 Stunden stießen wir auf ein immer dichter werdendes Gewirre von kleinen Eisbergen und Hummocks, die uns zu erheblichen Umwegen nöthigten; zuletzt blieb uns nur noch eine Richtung offen, aber sie führte weitab von unserm Ziele nach Osten. Die Helligkeit hatte inzwischen derart zugenommen, daß die Besteigung eines Eisberges genügende Orientirung versprach. Wir hielten einen Augenblick, zerstreuten uns, und ich erstieg eine Anhöhe. Da hörten wir Copeland in geringer Entfernung im Tone der Bestürzung rufen: » Ein Bär! ein Bär!« Eiligst kamen wir herbei und fanden unsern Gefährten hinter einer Gruppe hoher Eisklippen in jenem Zustande der Aufregung, welche ein eben stattgehabtes Handgemenge mit einem Eisbären erklärlich macht. Copeland erzählte, er sei aus einer Entfernung von ungefähr 50 Schritten überfallen worden. Der Bär war aus einem Dickicht ragenden Eises hervorgebrochen, hatte sich auf dem Glatteise bis auf 5 Schritte Entfernung schleifend genähert, dann aufgerichtet, anspringend mit beiden Vordertatzen nach Copeland geschlagen und ihn umgeworfen. Copeland hatte nicht Zeit gehabt, sein Gewehr zu laden, doch als ihm das Thier die Kleidung aufriß, hieb er es mit dem Laufe auf die bei allen Bären empfindliche Schnauze. Dies, – vielleicht auch unsere lärmende Annäherung, – hatte die unerwartete Folge, daß der Unhold die Flucht ergriff. Wir sahen ihn einige Hundert Schritte weit in jenem den Bären eigenthümlichen schwankenden Galopp, sich häufig umsehend, von dannen ziehen. Diese Erfahrung diente uns als Lehre, die Gewehre künftig selbst auf dem Schlitten schußbereit zu halten und unsere Wachsamkeit, besonders bei beschränktem Horizont, zu verschärfen.

Trotz aller Versuche, eine südliche Route festzuhalten, drängte uns die zunehmende Dichtigkeit des Eisgewirres immer mehr nach Ost; als wir auf der Breite des zu umfahrenden Cap Borlase Warren am Ausgang der Gaël-Hamkes-Bai hielten, waren wir von der Küste fast vier Meilen abgekommen und befanden uns inmitten eines Labyrinthes hoher Eisklippen, dessen Grenzen selbst von einem erhöhten Standpunkt aus nicht zu entdecken waren. Rings um uns starrten die krystallnen Barrièren empor; wir waren somit in eine Sackgasse gerathen. Offenbar hatte das Packeis im vergangenen Sommer mächtig in die Bai hereingesetzt und sich daselbst zu Bergen aufgethürmt. Eine Seemeile östlich von uns glänzte eine helle Fläche, dem Anschein nach verlockend glatte Bahn. Sie zu erreichen, hätten wir unser Gepäck über die chaotischen Eismassen stückweise transportiren müssen; überdies waren wir noch keineswegs sicher, auf diesem neuen Umweg unser Ziel zu gewinnen. Schon schickten wir uns zu dieser mühseligen Arbeit an, als wir plötzlich das grunzende Pusten von Walrossen vernahmen und ihre sphinxähnlichen Leiber aus der vermeintlichen Eisfläche, – dem Wasserspiegel, auftauchen sahen.

Copeland wird von einem Bären überfallen.

Hierauf gingen wir zwei Stunden lang zurück, um einen Ausweg dicht an der Küste zu suchen. Dies geschah mit glücklichem Erfolge. Längs des Strandes, auf dem durch die Fluth aufgeworfenen Eise zogen wir weiter. Bei der scharf vortretenden Felsgruppe Cap Borlase Warren angelangt, stießen wir auf eine große Zahl gestrandeter Eisberge; es war mühevoll, zwischen ihnen hindurch Weg zu bahnen. Entlang der scharf nach West abbiegenden, mit Ueberresten einstiger Eskimowohnungen bedeckten Küste, verfolgten wir die nunmehr freie, aber mehr und mehr mit Schnee bedeckte Fläche und übernachteten nach 20 Meilen zurückgelegten Weges auf einem flachen Bergfuße nördlich von Cap Mary.

Am 29. October war prächtiges Wetter (-8° R.); nichts unterbrach den Marsch, als gelegentlich eine topographische Aufnahme. Vor uns lag die schroffe Gebirgsfront der Clavering-Insel mit 4-5000 Fuß hohen, firnbedeckten Bergmassen. Schon aus der Ferne war ihr geologischer Charakter unverkennbar, – Granit- und Gneismassen, welche dunkle nach Nord streichende Basaltgänge durchbrachen. Der oberhalb der Clavering-Insel zu erforschende Fjord erstreckte sich zunächst in nördlicher Richtung und bog dann, klausenartig von prächtigen Bergdomen eingeengt, nach Westen um.

Der lebhafte Wunsch, unser Reiseziel möglichst weit auszudehnen, konnte nur erfüllt werden, wenn wir die karg zugemessene Zeit bis auf das äußerste ausnützten, aber den eben so karg zugemessenen Proviantvorrath durch knappe Rationirung schonten; deßhalb verzichteten wir auch auf die Bereitung eines Mittagmahles. Auch unser Spiritusvorrath war viel zu gering, als daß wir uns hätten erlauben dürfen, Eis bloß zur Gewinnung von Trinkwasser damit zu schmelzen, daher der Durst in quälender Weise zunahm.

Die Schneelage auf dem schon mehrere Fuß dicken Eise fanden wir ab und zu von glatten Flächen unterbrochen, über welche wir mit Schlittschuhen hinwegkamen. Stellenweise, späterhin fortwährend, trafen wir auf eine beim Gefrieren des Meerwassers ausgeschiedene Salzschicht, als concentrirte Lösung auf dem Eise, welche unser Fortkommen sehr erschwerte.

Es war bereits dunkel geworden, als wir nach zurückgelegten 22 Meilen (-14,4° R.) am Fuß eines großen Schuttkegels unterhalb klippiger Wände der Clavering-Insel unser Lager aufschlugen. Ein prächtiges Nordlicht mit violettem, grünem und gelbem Farbenspiel war über uns; mit ungewöhnlicher Lichtintensität ging es von West nach Ost durch unsern Zenith. Unsere Astronomen überzeugten sich später, daß die an den Rändern der Strahlen und im dunkeln Segment öfter bemerkte violette Färbung nur eine subjective Erscheinung, sei. Das Spektroskop zeigte keine Linien außer einer gelbgrünen. In der Nacht erhob sich ein heftiger Nordwind, der uns wenig Schlaf gönnte. Lassen sich auch die Unbequemlichkeiten eines solchen herbstlichen Zeltlagers nicht mit denen im Frühlinge während der größten Kälte und zur Zeit der Schneeorkane vergleichen, so sind sie doch keineswegs so unbedeutend, daß ihre Schilderung nicht von Interesse sein könnte. Ich führe sie nach dem Wortlaut meines Tagebuches mit dem Bemerken an, daß sie die Eindrücke einer ersten Reise bei sehr unzureichender Ausrüstung waren. Bei vermehrter Erfahrung und durch wiederholte arktische Reisen gewöhnt man sich daran ohne ernstliche Belästigung.

»Nach beendigtem Tagemarsch, in der Regel bei Eintritt der Finsterniß, wählt man eine geeignet scheinende Stelle des Strandes, oder irgend eine Eisfläche zur Lagerstätte. Kleinere Schneelagen werden mit dem Füße weggestreift, scharfkantige festgefrorne Blöcke mühsam beseitigt, größere manchmal mehr als hundert Schritte weit hergeschleppt, um die Zeltstricke daran zu befestigen u. s. f., eine Arbeit, die bei einer Temperatur von -12 bis -20° unter Null, besonders wenn Wind hinzukommt, immerhin einige Ueberwindung erfordert. Gelegentlich hat man dem Wind eine leichte Gummidecke, die den Boden des Zeltes bildet, und die er bereits entführt hatte, wieder abzujagen. Das eine Gewehr liegt schußbereit auf dem Boden, während einer aus der Reisegesellschaft mit dem andern zum nächsten, zuweilen ziemlich entlegenen Eisberg geht, um das zur Bereitung von Nachtmahl und Frühstück erforderliche salzfreie Eis zu holen. Die Waffe ist absolut nothwendig; denn der Bär stattet seine Besuche immer dann ab, wenn man am wenigsten darauf gefaßt ist. Die Nacht hat ihre Fittiche über die trostlose Einöde ausgebreitet; die Berge rings um den Fjord erscheinen als schwarze, gespensterhafte Massen.«

»Der Schlitten ist seiner Last entledigt, eine viel schwierigere Sache, als es scheint; denn obgleich nur Unentbehrliches mitgenommen wurde, so hat man doch der Sorgen genug, die Instrumente und das sonstige Gepäck zu sichern, die geologische und die karge botanische Ausbeute zu ordnen; endlich, und dies hat auch am Morgen zu geschehen, Barometer und Thermometer abzulesen. Das Zelt, diesmal 4 Fuß hoch, 8 Fuß lang und 5 Fuß breit, ist aufgestellt, die Decken sind hereingeschafft, das Gewehr liegt nächst dem Eingange; nach einer bestimmten Ordnung wird nun das Zelt mit den Instrumenten, dem Kochapparat und dem Schuhgeräthe bezogen, zuletzt der Schlitten schützend an dasselbe angelehnt. In Europa zieht man sich zum Schlafengehen aus; in den Polarregionen dagegen zieht man sich dazu an. Jedermann befreit den langen Bart von dichten Eisklumpen und sucht seine Reservestrümpfe, oder die aus Bärenfell genähten Schuhe. Die Stiefel werden in den Schlafsack gesteckt, ihnen folgt der Leib. Der Raum ist so beengt und die Bevölkerung so dicht, daß, wenn man seine Stiefel ausziehen will, dies nur bewerkstelligt werden kann, indem man auf dem Bauche des Nachbars sitzt, daß jedes ein gewisses Normalmaß überschreitende Körperglied, oder dessen geringste, nicht völlig gerechtfertigte Bewegung schreiende Entrüstung Aller hervorruft, oder daß man, will man seine Pelzhandschuhe suchen, – auf dem Schienbein eines Andern kniet. Nahe dabei, wo das Knie ruht, hört man schreien und fährt arglos zurück, dabei stößt man an die Lampe, – eine deckellose Blechschüssel, welche mit Bärenfett gefüllt, an einem Draht vom Zeltgiebel herabhängt, – eine Thranfluth ergießt sich; doch wer achtet solcher Dinge! Bedrohlich aber ist es, wenn das Zelt in Brand geräth, ein Fall, der zweimal auf unserer Reise eintrat. Im Nu loderten mehrere Quadratfuß Decken, auf welchen brennender Spiritus verschüttet worden war, in Flammen. Wir verbrannten Pelzhauben und Handschuhe, indem wir das Feuer zu ersticken suchten. Sodann zogen wir Strümpfe über unsere Hände.

»Die eis- oder schneegefüllte Kochmaschine ist in Thätigkeit, rasch erhöht sie die Temperatur; mächtige Dampfwolken erfüllen das Zelt, so daß man die eigene Hand dicht vor den Augen nicht mehr sieht, eine brennende Kerze gleicht dem hofumringten Mond, ein leichter Sprühregen fällt von der gänzlich durchnäßten Zeltwand herab, welche nach beendigter Dampfentwicklung sofort vereist. Die Feuchtigkeit der Kleider und Decken nimmt auf diese Weise täglich zu; die Körperwärme ist dazu bestimmt, diese Frostsumme während der Nacht etwas auszugleichen. Die Befriedigung des Durstes, dieses großen Ungemachs arktischer Schlittenreisen, durch geschmolzenes Eis und die Zubereitung des Nachtmahls (Cacao oder Kaffee mit ein wenig Brod und Speck) hat die Spiritusflamme wohl drei Viertelstunden in Anspruch genommen; hierbei verbreitet sich ein die Augen in hohem Maß angreifender Dunst, – durch seine tägliche Widerkehr eine immer neue Qual.«

»Nachdem das Abendbrod eingenommen ist, – Keiner gäbe es hin um alle Schätze der Welt, tritt eine kurze Siesta ein, die einzige behagliche Zeit des Tages. Man raucht, die Matrosen aus kleinen Pfeifen jenes furchtbare, »Kamelhaare« genannte, Kraut. Die Tagesereignisse und die neuen Entdeckungen, sowie mögliche Eventualitäten werden nun gemeinsam erörtert, das Tagebuch wird geschlossen und den am Durchfall Erkrankten Opium gereicht. Darauf werden regelmäßig zwei bis drei Löffel Rum oder Cognac gespendet, – zur unvergleichlichen Wonne der Betheilten. Auf allen Schlittenreisen konnte man die Beobachtung machen, daß der Genuß einer so geringen Quantität geistiger Getränke, zufolge der sich steigernden Abnahme der Körperkraft und des zunehmenden Hungers, sofort stürmische Fröhlichkeit erzeugt, auf welche eine Art Betäubung folgt. Einige Minuten flammt die Unterhaltung in ausgelassener Heiterkeit auf, dann wird die Pfeife ausgeklopft, die Richtung, in welcher dies geschieht, wird durch keine Rücksicht eingeschränkt. Darauf wird jeder unter seemännischem Singsang in seinen Platz im Schlafsack hineingedrängt und an seinen Nachbar möglichst dicht angeschoben. Mehrtöniges Schnarchen folgt bei den Glücklichen, peinliches Wachen bei den minder Begünstigten. Vom Moment der Ankunft bis zu diesem Augenblick vergehen zwei bis drei Stunden. Die Temperatur in dem leichten Zelt fällt wieder sehr bedeutend unter Null. Umhüllt von einer thauenden Decke, auf einem Thierfell liegend, durch welches die intensive Bodenkälte dringt, in der Seitenlage von den Nachbarn platt gepreßt, regungsunfähig, halb auf dem einschlafenden Arme, mit den Füßen ebenso hoch, als mit dem auf einem Stein ruhenden Kopfe, – so pflegt man der Ruhe.«

»Der Schlaf, zu welchem nur fünf bis sechs Stunden Zeit bleiben, soll den empfindlichen Nahrungsmangel vergessen machen. – Doch man fühlt, daß der Schenkelknochen unmittelbar auf einem spitzen Stein ruht, den zu beseitigen die Erbauer des Zeltes übersehen haben. Geduld! es kann deshalb abgebrochen werden. Man bemerkt, daß die Nase einem Condensator ähnlich wirkt, der Wind die Zeltwand gleich einem Segel einwärts bläht und auf den Kopf herabdrückt, der Hauch in langen Eisfäden an dem Zeltdach krystallisirt und zu Geweben anwächst, welche bei der geringsten Erschütterung sich ablösen und ins Gesicht fallen. Doch mehr als alles quält die schneegefüllte Gummiflasche, natürlich nur denjenigen, der eben an der Tour ist, sie zur Gewinnung von Trinkwasser auf den Bauch zu binden. Diese Flasche erinnert lebhaft an jene Eisjungfrau, deren Umarmung ihren Geliebten erstarren machte.

»Plötzlich fühlt der Nachbar ein Tasten und Krabbeln an seinem Kopf; es brummt draußen. Der Ruf: »Ein Bär!« erweckt die Schläfer, – es war nur ein Fuchs. Der Sturm fällt das Zelt in mächtigen Böen heulend an, sein rauher Hauch dringt durch das Gewebe und durch den Schlafsack wie durch ein Sieb fällt ununterbrochen feiner Schneestaub nieder. Die Fluth beginnt; hart neben dem Zelte drängen und schieben sich die gebrochenen Eistafeln; da gibt es ein Knacken und Aechzen, ein Seufzen und Quieken, wie Kinderstimmen, ohne Ende. Die Lampe hat sich endlich losgerüttelt, – fällt herab und entleert sich. Nur vollkommener Gleichmuth hilft solche Uebel ertragen.«

»Endlich nach mehrstündigem Harren senkt sich der sehnlich herbeigewünschte und so nothwendige Schlaf auf Jedermann herab. Wird man durch keine neue Bärenvision, auch nicht durch den Ellbogen des Nachbars geweckt, welcher sich auf den Mund des Andern legt oder dolchartig in dessen Hüfte eindringt, besteht keiner darauf, eine höchst merkwürdige Geschichte zu erzählen, – stört nichts von alldem, so kann es doch die Pflicht gegen sich selbst sein, welche einen Beklagenswerten nöthigt, das Freie zu suchen. Doch über die Körper der Schlafgenossen gibt es keine Viaducte; er ist also genöthigt, auf dieselben zu treten, fällt draußen über die ausgespannten Stricke, – das Zelt stürzt ein!«

»Es ist 3 Uhr, die Zeit des Aufbruchs. Anziehen, Kochen, Packen im Finstern u. s. w. verursachen anfänglich viel Zeitverlust; erst nach einer weiteren Stunde ermöglichen Uebung und Präcision den Abmarsch. Mangel an Achtsamkeit rächt sich durch bittern Schaden. Der Wind hat den Deckel des Kochtopfes entführt, oder Einem den Handschuh geraubt. Wer seine Stiefel Nachts im Freien ließ, findet sie voll Schnee, starr wie Eisenblech. Den Frost beseitigt kein Mittel; sie brechen beim ersten Versuch, sie anzuziehen. Das Eis oder der Schnee in der leidigen Gummiflasche ist erst halb geschmolzen, und wenige Löffel Wasser sind alles, worüber, die Reisegesellschaft zur Löschung ihres Durstes zu verfügen hat. Es ist eingespannt »Marsch!« – behutsam geht es über die von der Fluth zerbrochenen Ränder des Küsteneises, sodann im Tacte der Automaten 40-50.000 Schritte weit über die bahnlose Wüste, die eigentlich ein Meer sein soll – in schweigsamem Ziehen!«

Erst gegen 9 Uhr (30. October) waren wir im Stande, die Reise fortzusetzen. Wir bogen westwärts in die klausenartige Windung des Sundes ein, welchem wir seiner großartigen Scenerie wegen den Namen des » Tyroler Fjords« beilegten. Die Breite desselben, die Anfangs 7 Meilen betrug, verengte sich plötzlich auf 1½ Meilen; Klippen eingedrungener Eisfelder bereiteten dem Schlitten vorübergehende Hindernisse. Ein gewaltiger, dem »Eiger« der Schweiz ähnlicher Vorsprung lag, mit schroffen Wänden in den Fjord abfallend, vor uns als nächstes Ziel. Unmittelbar aus dem Meere ragten gegen 3000 Fuß hohe Felsmassen empor, gletschererfüllte Thalspalte zogen dazwischen herab. Ihre geologische Formation gehört dem grauen normalen, von Ganggraniten (mit röthlichem Feldspath) durchzogenen Gneis an. Derselbe wechsellagert häufig mit Hornblendegneis. Wir befanden uns nunmehr an dem Nordrande der Clavering-Insel und blickten in ein Hochalpenthal mit großen Gletschern, umgeben von 4-5000 Fuß hohen Schneegebirgen und nadelartig zugeschärften Felspyramiden. Unwillkürlich erinnerten die Formen an die »Aiguilles« der Montblanc-Gruppe. Der Hauptgletscher dieses Thales, dessen unteres Ende bei 600 Fuß Meereshöhe haben mochte, zeigte die vollkommensten Seiten- und Mittelmoränen. Nur die Unmöglichkeit, die Reise anders als über die Eisfläche des Fjords fortzusetzen, bestimmte uns, dem lebhaften Wunsche, in dieses Gebirge einzudringen, zu entsagen. Die Fluthhöhe im Fjord betrug in dieser Gegend 2-3 Fuß. Nach siebenmonatlichen Beobachtungen Capitän Koldewey's im Winterhafen betrug die Höhe der Fluthwelle daselbst bei Springfluthen im Mittel 4,21, bei Nippfluthen 1,86 englische Fuß. Dasselbe war noch im Innern des Kaiser Franz Joseph-Fjords der Fall. Unser Weg, einer wahren Felsengasse ähnlich, führte bald wieder über ein Schneefeld von mehreren Wegstunden Ausdehnung, dann neuerdings über Glatteis, von sporadischen Schneeflächen unterbrochen, über welches wir mit Schlittschuhen dahineilten. Als dies unthunlich wurde, gingen wir, schon bei tiefer Dunkelheit, entlang des im Nordwest der Insel sich verflachenden Strandes, und machten nach 20 Meilen zurückgelegten Weges Halt. Die Existenz des von Clavering vermutheten Sundes zu constatiren, war einer der Zwecke unserer Reise. Er war erfüllt; überdies hatten wir gefunden, daß der betretene Sund sich im Westen in zwei Arme spalte. Genauere Kenntniß seiner Topographie erwartend, sahen wir dem nächsten Morgen mit Spannung entgegen.

Ein Gletscherthal der Clavering-Insel.

Die Westseite der Clavering-Insel, die man von hier aus fast ganz überblickt, besteht aus einem von den Höhen herabgeschwemmten grobkörnigen, graulichgelben granitischen Materiale, welches leicht zerbröckelt, von den Gletscherabflüssen tief durchfurcht wird und in einiger Entfernung den Eindruck eines verwitterten Sandsteins macht. Diese sedimentäre Bildung fällt unter 5 Grad Neigung nach Westen ein. Ihre Oberfläche war mit einem dichten Filze von wenige Zoll hohen Birken, Weiden, Gräsern und Andromeda bedeckt. Es war dies die an Vegetation reichste Oertlichkeit, welche wir in Grönland bis dahin gesehen hatten. Mit Sicherheit ließ sich auf die Anwesenheit von Renthieren schließen; sie waren uns um so erwünschter, als unser Proviant ungeachtet größter Sparsamkeit bedenklich zur Neige ging. Nur die Gunst des Jagdglücks konnte die Fortsetzung der Reise ermöglichen. Ich sandte Herzberg und Iversen auf die Jagd, Wagner blieb als Zeltwache zurück; Copeland und ich gingen nach der Mitte des sich gabelnden und hier wieder 3-5 Meilen breiten Fjords, um seine Verzweigungen zu erforschen, Eisklippen in großer Zahl erfüllten dieselben; ihre lichte Farbe stach grell von dem Stahlgrün des die Fjordfläche bedeckenden Eises ab. Gegen Norden und Westen starrten über 3000 Fuß hohe Wände imposant empor; gleich riesigen Pfeilern umstanden sie den nördlichen Abschluß des gletscherreichen Tyroler Fjords.

Ein durch den anhaftenden Reif gedämpftes Grün überzog die untern Berglehnen der Clavering-Insel, darüber hingen die Zungen langer Gletscher mit den erstarrten Wasserfällen ihrer Abflüsse herab, überragt von dem schneeigen, bis 6000 Fuß hohen Hauptkamm. Aus der Mitte des an Breite zunehmenden und in südwestlicher Richtung in neue Zweige sich auslösenden Fjords sahen wir eine wohl 4000 Fuß hohe begletscherte Felsinsel aufragen. Diese war von Clavering schon früher von einer anderen Seite her betreten und Jordanhill genannt worden. Der Anblick dieser hochnordischen Welt und das sehnsüchtige Verlangen, sowohl die Natur des grönländischen Hochgebirges durch Ersteigung hoher Spitzen, als auch das Innere der Fjorde durch Verfolgung ihres Laufes kennen zu lernen, machte es uns doppelt schmerzlich, daß weder unsere Ausrüstung, noch die rasch abnehmende Tageslänge die Fortsetzung unserer Reise gestatteten. Auf diesem Recognoscirungsgange führte uns eine dunkle, geschichtete Varietät des vorgenannten Conglomerats bis auf vier Meilen nahe von Jordanhill. Durch die Aehnlichkeit der Farbe getäuscht, hofften wir ein Kohlenlager aufzufinden. Nachdem wir unsern Irrthum erkannt hatten und zurückkehrten, fanden wir unsere Jäger damit beschäftigt, zwei junge, fast schneeweiße Renthiere zu zerlegen. Wir waren sehr hungrig und genossen sofort von dem rohen Fleische, die abgetrennten Keulen schleppten wir nach dem Schlitten.

Darauf brachen wir das Zelt ab, und durch die unerwartete Proviantbereicherung zuversichtlicher gemacht, beschloß ich noch einen Tag zu opfern, um den Hintergrund des Tyroler Fjords zu erforschen. Es war völlig dunkel, als wir dicht unter jähen Wänden in den nur 1½ Meilen breiten Fjord eindringend, unsere Lagerstätte auf der Verflachung eines Schuttkegels aufschlugen (-5° R.).

Am Strand der Clavering-Insel hatten wir eine ziemliche Menge Treibholz gefunden, wodurch es uns möglich wurde, ein großes Feuer anzuzünden, über welches wir den Kochkessel mit dem Renthierfleisch an einem eisernen Ladstock hingen. Clavering hatte auf dem Südrand der Insel einst Eskimo's getroffen. Jetzt aber ließ sich schon aus dem Vorhandensein des Treibholzes auf ihre Abwesenheit schließen, weil sie dasselbe sonst sorgfältig eingesammelt hätten.

Am 1. November, als wir in der Dunkelheit nach dem Hintergrunde des Tyroler Fjords aufbrachen, begünstigte uns noch immer prachtvolles Wetter (-10,4° R.), wie dies im Laufe des Herbstes überhaupt fast ohne Unterbrechung der Fall war. Ja, es schien, als hätten wir eine ungünstige Veränderung desselben noch lange nicht zu besorgen. Der Himmel schimmerte in voller Sternenpracht, mit hellem Glanze übergoß der Mond unsere einsame Bahn. Aus jedem Seitenthal der majestätischen Felsgasse starrten Gletscher herab; das Ende des Fjords war nicht erkennbar, eine Zeit lang glaubten wir, derselbe stehe mit dem Fligely-Fjord in Verbindung, wodurch uns die Möglichkeit eröffnet worden wäre, auf einem weit kürzeren, neue topographische Entdeckungen versprechenden Wege nach dem Schiff zurückzukehren. Nach drei Stunden (-11,2° R.) hatten wir die Längenmitte des Fjords erreicht und hielten an dessen Westufer gegenüber einem prächtigen Halbkreis von Gletschern, in dessen Mitte ein gewaltiger Granitkoloß hervortrat. Das untere Ende dieser Gletscher mochte bei 300 Fuß Meereshöhe haben.

Eine mattweiße Barrière schien den Fjord eine Meile nördlich von unserm Standpunkte abzuschließen. Bei der noch um 9 Uhr Vormittags herrschenden Dämmerung erkannten wir darin erst allmälig den mächtigen Wall eines Gletscherendes. So natürlich diese Entdeckung war, so überraschte sie uns doch; denn schon aus der Ferne erkannten wir, daß wir es mit einem primären Gletscher ersten Ranges zu thun hatten. Begierig, denselben näher kennen zu lernen, ließen wir den Schlitten zurück. Während unsere Begleiter Andromeda sammelten, um damit und mit dem Reste des gesammelten Treibholzes die Mahlzeit zu bereiten, strebten Copeland und ich nach dem Hintergrunde des Fjords. Ein Löffel Cognac, den wir vor dem Abgehen zu uns nahmen, bewirkte bei dem beständigen Hungergefühl, bei der Aufregung und Kälte eine größere Betäubung, als für unsere Zwecke ersprießlich war. Nachdem wir 1½ Stunden lang schleifenden Schrittes über die spiegelglatte Eisfläche des zugefrorenen Fjords gegangen waren, stießen wir auf einen an 300 Fuß hohen, isolirt aufragenden Felskegel. Auf dem entgegengesetzten Fjordufer erblickten wir einen ähnlichen, gleichfalls abgesonderten Vorbau. Hinter demselben und einem großen Schuttbette lag eine kolossale Endmoräne, über diese blickte die zerklüftete Front eines Gletschers herab. Ueberall war die Sprache der Gletscherbewegung an dem Gestein zu erkennen. Die Mantelfläche des genannten Kegels war völlig abgeschliffen und von einer Reihenfolge paralleler, bis zu einer Klafter tiefer, rinnenförmiger Concavitäten durchfurcht, welche unter 8 Grad Neigung nach Süden abfallend, an dem Felsen hinzogen. Wo eine locale Abweichung des mit der Neigung des benachbarten Gletschers übereinstimmenden Gefälles jener Concavitäten stattfand, zeigte sich auch die Erklärung durch stauende Vorsprünge. Parallel mit den eben beschriebenen Concavitäten, liefen überall kleinere Rillen herab; erstere, die eingeschliffenen Concavitäten größerer Dimensionen, dürften sich durch die Annahme erklären, daß der Gletscher zu verschiedenen Epochen in ungleich großer Mächtigkeit herabfloß, daß sonach dessen Oberfläche an verschiedenen Stellen die Mantelfläche des Kegels passirte und ungleich lange an den einzelnen Niveaux verharrend, überall die Spuren seiner Anwesenheit zurückließ. Letztere, die kleineren Risse und Rillen, werden bekanntlich durch Blöcke hervorgebracht, welche der vorbeifließende Gletscher an die ihn begrenzenden Felswände preßt. Merkwürdig ist das stellenweise Emporsteigen sowohl der großen Concavitäten, als auch der kleinen Rillen. Dasselbe zeigt sich gerade an denjenigen Stellen, an welchen die zähflüssige und von der Wucht der oberen Gletschertheile vorwärts getriebene Masse durch Vorsprünge eingeengt, gestaut, d. h. auf kurze Strecken zum Aufsteigen gezwungen wurde. Wo nur irgend die geringere Neigung der Mantelfläche des Felskegels es zuließ, fanden sich erratische, bis zu einem Kubikmeter große Blöcke; stellenweise waren die Gehänge mit denselben förmlich besäet, und ebenso die Spitze des etwas abgerundeten Felskegels damit überschüttet. Am Fuße der Fjordwände lagerten bis 80 Fuß hohe, terrassenartig übereinandergereihte Seitenmoränen; der große Gletscher hatte alle diese Oertlichkeiten offenbar längst verlassen.

Der Hintergrund des Tyroler Fjords.

Ueber die von zugefrornen Lachen bedeckte Schuttfläche erreichten wir die 150 Fuß hohe Endmoräne, über welche die Gletscherabflüsse in eiserstarrten Katarakten herabhingen. Welche Wasserfluthen mögen wohl dem Fjord zur Zeit beständigen Sonnenscheins zueilen!

Von der Höhe des Endmoränengrates fiel der Schuttabhang 40 Fuß tief auf den äußersten Gletschersaum herab. Der Eisstrom, den wir seiner azurblauen Farbe und seiner Reinheit wegen »Pasterze« nannten (folgerichtig hießen wir den ihn überragenden Gipfel »Großglockner«), erhob sich in verworrenen Gruppen, doch ohne die in unseren Alpen so charakteristischen scharfen Kanten des Eises. Diese Erscheinung mag wohl in dem Umstande ihre Erklärung finden, daß das Eis der grönländischen Gletscher nicht so dicht und glasartig ist, als dasjenige der unsern. Es ähnelt gewissermaßen dem Firneis. Infolge dessen können sich in demselben Sprünge nicht so häufig wie bei uns ereignen, und die Kanten haben länger Zeit, sich durch Abschmelzen und Verdunsten zu runden. Das Eis war vollkommen glatt; nur mit Mühe gelang es, wenige hundert Fuß Höhe zu erreichen.

Erst von hier aus ließ sich der Gletscher Es war das erste Mal, daß wir einen grönländischen Gletscher in unmittelbarer Nähe kennen lernten; denn die bis dahin betretenen, halb zu Eis verdichteten Firnlager in der Nähe unseres Winterhafens konnten auf diese Bezeichnung nicht Anspruch machen. einigermaßen überblicken. Er wurde durch fünf große Zuflüsse gebildet, welche sich von den Plateaux oberhalb der Fjordwände ziemlich zerklüftet herabsenkten. Vielleicht waren diese riesigen Breschen in den Fjordwänden zum Theil das Resultat einer durch Jahrtausende fortgesetzten Erosion. Deutlicher als alles Andere aber berechtigten die ausgesprochenen Schliffe an den dem Hornblendegneis angehörenden und in Gängen von Epidotgranit durchzogenen Wänden zu der Annahme, daß diese grönländische »Pasterze« einst den ganzen Fjord erfüllt haben müsse; denn im Hintergrunde desselben reichen sie bis zu 700 Fuß Meereshöhe und senken sich in gleichmäßiger Neigung gegen den Ausgang des Sundes bis auf 500 Fuß herab. Oberhalb dieser Schliffe erscheinen die Felsen rauh und klüftig, so daß auf den ersten Blick die Höhe zu erkennen war, bis zu welcher der einstige Gletscherstrom gereicht hatte. Dieselbe Beobachtung machte Dr. Laube bei einer Localität in West-Grönland. Er sagt: »Kein Zweifel blieb darüber, daß wir es hier mit einem alten Gletscherbett zu thun hatten, als wir beim Niederstieg in die obern Partien der Schlucht gelangten. Dort zeigten die entblößten Felsmassen die schönsten unzweideutigsten Karrenfelder, welche auf keine andere Weise als durch Gletschereis entstanden sein konnten. Diese Beobachtung, welche ich später noch in einer ähnlichen Thalspalte auf Kaksimiut und in der Nähe von Frederickshaab machte, legt die Ansicht nahe, daß es eine Zeit gegeben haben müsse, wo Grönland noch viel mehr vereist war, als es jetzt ist. Daß diese Zeit als lange vor der historischen, ja sehr wahrscheinlich als gleichzeitig mit der Eisperiode der nördlichen Erdhälfte anzunehmen ist, ohne daß die sichtbaren Zeichen verwischt wurden, wird bei der geringen Verwitterung der Felsen und aus den niedrigen Vegetationsverhältnissen des Landes leicht erklärlich.« Tags darauf bemerkten wir am südlichen Ausgang des Fjords eine alte, 500 Fuß über dem Meere gelegene Seitenmoräne. Der Grat dieses viele Jahrtausende alten Schuttwalles hob sich in scharf ausgeprägter Abgrenzung von den Blockhängen unterhalb der Wände ab. Sowohl der petrographische Charakter ihrer Massen, als auch das den Moränen eigenthümliche Steinmehl unterschied sie deutlich genug von jenen Trümmerhängen.

In unseren Alpen fällt die Zeit der geringsten Schneebedeckung der höheren Gletschergebiete auf den Anfang September; in Grönland dagegen tritt sie um 1½ Monate später ein. Eine Meile abwärts von der Mündung der Gletscherbäche in den Fjord war das Eis desselben noch auffallend durchsichtig, lichtblau, äußerst glatt und schloß zahlreiche schachfigurenartige Hohlräume ein. Dieses Eis war offenbar aus dem leichtern Süßwasser der Gletscherabflüsse entstanden und ging allmälig in das stahlgrüne Salzwassereis über.

Wir befanden uns nunmehr 3½ Längengrade westlich vom Schiff und trotz des großen südwärts beschriebenen Bogens wieder mit ihm in gleicher nördlicher Breite. Unser Proviant bestand fast nur noch in etwas Renthierfleisch, dessen beinahe ausschließlicher Genuß Durchfall verursachte, gegen welchen selbst Opium wirkungslos blieb. Die Rückkehr zum Schiffe war deßhalb sofort geboten. Wir nahmen unsern Curs nach der verlassenen Lagerstelle, welche wir (-13,6° R.) nach zurückgelegten 12 Meilen erreichten. Hier wurde uns der Anblick eines prachtvollen Meteors zu Theil; mehrere Secunden lang glühte der ganze Fjord im intensivsten Carminroth. An demselben Tage stürzte in unserer Nähe die Riesenlast einer Eislawine etwa 1500 Fuß hoch durch einen Einschnitt der Wände herab. Einer der Begleiter hielt die inmitten Wolken von Schneestaub herabbrausenden Eisstücke für eine Heerde herabstürmender Bären, ein Irrthum, der nebenbei ganz besondere Begriffe von der Unzerbrechlichkeit dieser Thiere beurkundete. Nachts wölbte sich ein Nordlicht über die düstern Felscaps am Fjordeingang. Gegen Morgen kam ein Fuchs und schleppte zwei Renthierkeulen mehrere hundert Schritte weit fort, büßte jedoch seine Vermessenheit mit dem Leben.

Der Südausgang des Tyroler Fjords.

Am 2. November um 8 Uhr Morgens (-15,2° R.), brachen wir bei klarem und windstillem Wetter auf und legten 25 Meilen ohne Aufenthalt zurück. An einer Stelle trafen wir die Ueberreste eines Renthieres im Eise, es schien einem Bären zum Opfer gefallen zu sein. An demselben Tage ging die Sonne für unsern durch die Berge beschränkten Horizont schon kurz nach Mittag wieder unter; es war längst vollkommen dunkel, als wir unsere Lagerstelle bezogen (-14,4° R.).

Am 3. November zogen wir über eine Wüste frisch gefallenen Schnees. Eine Renthierheerde trabte uns eine Zeitlang in Schußweite am Strande nach; wir verzichteten jedoch auf eine Jagd, die bei der Unmöglichkeit, die Thiere fortzuschaffen, zwecklos gewesen wäre. Um 6 Uhr Abends erreichten wir nach 18 Meilen Wegs den Lagerplatz vom 28. October (-19,2° R.). Nachts hielt uns Sturm und Schneetreiben wach. Am 4. November (Westwind und -20° R.) umfuhren wir Cap Borlase Warren und erreichten Mittags die »Flache Bai«. Die Sonne trat heute nicht mehr ganz über den Horizont empor. Wir ruhten eine Stunde; ein Spiritusrest verschaffte uns eine Suppe, dann ging es mit Umgehung des Eislabyrinthes dicht unter der Küste über die nunmehr schneebedeckte Bahn weiter. Oberhalb der »Flachen Bai« wurde dieselbe sehr unsicher; die letzten Nordstürme hatten das Eis aufgerissen, zersplittert und breite Wasserstraßen geöffnet, welche nur zum Theil mit dünnem Jungeis bedeckt waren, das sich unter dem Tritt wie Leder bog.

Verfolgung durch Walrosse.

Es war dunkel geworden; selbst offenes Wasser erkannten wir nur durch unausgesetztes Sondiren mit dem Bergstock. Bald überzeugten wir uns, das Nachziehen des Schlittens müßte mit dessen Verlust verbunden sein; wir ließen ihn deßhalb an einer geeigneten Stelle an der Küste bepackt zurück, um ihn später bei sicherer Bahn nachzuholen. Nur die Instrumente und Bücher wurden mitgenommen. Zunächst folgten wir dem Küstensaum; seine ungangbar wirren Eismassen zwangen uns aber bald wieder, die verrätherische Jungeisdecke des Meeres aufzusuchen. Mühsam und auf Umwegen in der Finsterniß die unheimliche Bahn verfolgend, jede Unterbrechung mit dem Stock sondirend, über breite Eisspalten springend und wiederholt einbrechend, (deutlich phosphorescirte das Meerwasser) drangen wir vor. Plötzlich erschreckten uns einige Walrosse, die dicht in unserer Nähe durch das Eis brachen. Wir flüchteten, so rasch es ging; jeder Versuch sich zu vertheidigen, wäre sinnlos gewesen. Aber die Walrosse schwammen eben so rasch unter dem Eise nach, zertrümmerten es in unserem Umkreise und trugen offenbar Verlangen, in unserer Gesellschaft zu schwimmen, – eine Zumuthung, die ebenso ungerechtfertigt als unheimlich war, und die sie uns durch halb grunzende, halb pustende Laute vergeblich anempfahlen. Wir zerstreuten uns möglichst und liefen über den verdichteten, von unseren Stöcken durchstoßenen Eisschlamm, indem wir die lichtern, muthmaßlich verläßlichern Partien aufsuchten, verfolgt von dem Rauschen und Prasseln der durchbrechenden Ungeheuer. Wer versunken wäre, hätte unmöglich herausgezogen werden können. Zum Glück befreite uns eine Decke alten Eises beim Cap Wynn endlich von der Zudringlichkeit unserer Begleiter.

Von hier bis zum Schiff (quer über Griper Roads) war das Eis seiner größern Dicke wegen vom Sturm unbeschädigt geblieben. Während eines intensiv gelben, einen großen Theil des Himmels einnehmenden Nordlichts eilten wir nun über die schneebedeckte Oberfläche und langten nach 26 Meilen Weges um 9 Uhr Abends im Winterhafen an, – gerade als man um unser Schicksal besorgt, Vorbereitungen traf, einen Schlitten zu unserer Aufsuchung abzuschicken. Die Ausdehnung dieser Reise hatte 160 Meilen betragen.


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