Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

In Lindenruh.

Zu Hause angelangt, legte sich Heinz nicht mehr zu Bett. Er ging langsam den großen Gang auf und nieder, der sich oben am Abhange des Berges hinzog. Er war nie blind gewesen und taub für die Schönheiten der Natur! Wie oft schon hatte sein Auge von hieraus trunken hinabgeblickt in die reizende Landschaft, hatte sein Ohr der Finken hellen Schlag, der Nachtigall süßes Klagen vernommen, hatte er die frische Morgenluft eingeathmet in vollen, tiefen Zügen, und doch hatte die Landschaft noch nie so geprangt, hatten die Vögel noch nie so herzergreifende Melodien gesungen, war der Morgenwind noch nie so frisch und erquickend gewesen, wie an diesem Morgen. Und was war es, das ihn mitten unter all' dem Blühen und Klingen der Natur so schmerzlich ergriff, ihm das Herz so beengte, ihn mit tiefem Kummer erfüllte? Was machte ihn so traurig? War die Welt nicht schön? War er nicht jung und stark? War er nicht der Stolz und die Freude seiner Freunde, der Schrecken seiner Feinde? Stand ihm nicht eine glänzende Zukunft bevor, voll Ruhm und Ansehen? Hatte er nicht eben ein schönes, herrliches Weib kennen gelernt! Was machte ihn so traurig?

Nur wenige Tage hielt Heinz es in Fischersbach aus. Als sein zerstreutes, einsiedlerisches Wesen den Freunden auffiel und die einen mit Sorge nach seiner Gesundheit fragten, die andern ihn damit neckten, er könne wohl gar verliebt sein, da war er zornig aufgefahren und hatte sie schweigen geheißen. Nun fühlte er, daß sie alle darum wußten, daß er liebte und das peinigte ihn unsäglich. Drei Tage war er schroffer denn je, länger hielt er es nicht aus, und am vierten Morgen wanderte er dem Gebirge zu. Bergauf und bergab führte der Fußpfad, folgte dann eine Zeitlang der Sohle des Thales, dem rauschenden Bache, und führte dann wieder bergauf. Ueberall des Buchenwaldes hell schimmernde Säulen, überall Vogelklang und Stimmen des Waldes. Aus der Schonung tritt ein Rehbock, lugt mit klugen Augen nach dem Wanderer, schüttelt das gehörnte Haupt und schreitet langsam zurück in das Dickicht; still und unbeweglich sitzt das Eichkätzchen auf dem Zweige, das Schwänzchen zierlich aufgehoben und blinzelt schelmisch herab; wie ein lustiger Waldgeist schaut der Buntspecht um den verbergenden Stamm und führt dann sichere, rasche Schläge. Dort, wo der Steg über das Wasser führt, läßt sich prächtig ausruhen vom raschen Gange. Welch ein geschwätziger Gesell ist der Bach. Das plätschert und murmelt und gurgelt und quillt, das drängt sich und preßt sich. Gerade dort, wo der große Stein steht, jeden Zugang verwehrend, gerade da muß er hindurch, gerade wo die alten Wurzeln der Weiden tief herabreichen, muß er sich drücken und winden. Thut er doch, als hätte er die größte Eile, als hätte er die wichtigsten Dinge zu thun, und es steckt doch nichts dahinter, als daß er sich freut, lebendig zu sein und in raschem Schusse dahin zu fließen, und daß er hofft, einmal ein gewaltiger Strom zu werden, der große Schiffe trägt und breite Barken, und an dessen Ufer die Leute stehen, auf seinen weiten Spiegel blicken und staunend sprechen: Welch ein Strom! Du lieber, thörichter Bach! Du allein wirst's nicht machen, und wenn Du erst in die Ebene kommst und der Menschen Deiche werden Dir die Brust einengen, daß Du mehr Kraft habest, ihre Mühlen zu treiben und ihre Maschinen, dann wird es Dir bleischwer in den Gliedern liegen, dann wirst Du langsam dahin schreiten und nachdenklich vor Dich hinschauen und wirst Dich fragen: Ist es denn das, was ich erträumte, und was mich dort oben so fröhlich machte? Aber wenn Du Dich dann mit vielen andern Deinesgleichen vereinigt haben wirst, und Ihr alle nun so nebeneinander und übereinander hinströmen und dort weit unten bei Hamburg große Schiffe tragen werdet, dann wirst Du sprechen: So, wie ich es mir dachte dort oben unter den Buchen, so ist es zwar nicht gekommen, ganz so nicht, aber gekommen ist's doch, und das ist schön so, und Du wirst zufrieden münden in's deutsche Meer!

Heinz liegt im Grase am Bache und seine Augen folgen dem Bach und seine Gedanken sind um nichts ruhiger und klüger als die des Baches.

Dann springt er auf, streicht sich das Haar aus dem Gesicht und wandert weiter. So, noch einmal bergauf, dann ein paar hundert Schritte – dort unten liegt das Dorf. Wie die weißen Häuser, die rothen Dächer schmuck aus den grünen Bäumen hervorlugen! Fürwahr, nicht mit Unrecht nennt man Dich Lindenruh!

Als Heinz nun am Ziele war, da wurde sein Gang immer langsamer; eine ungewohnte Blödigkeit überkam ihn, und wenig fehlte, er wäre umgekehrt. Aergerlich winkte er mit der Hand, als wollte er den lästigen Gast verscheuchen und schritt weiter. Die Kirche lag in der Mitte des Dorfes, das Pfarrhaus ganz am Ende. Aus der Kirche klangen, obgleich es nicht Sonntag war, Orgeltöne hervor, und einem plötzlichen Impulse folgend, ging Heinz auf die Kirche zu. Die Kirchthür war offen. Heinz trat leise ein. Es war ein trauliches Kirchlein. An den weißen Wänden hingen Immortellenkränze und dort über dem Altare reichte der Herr dem übereifrigen, überverzagten Petrus die rettende Helferhand. Wie die Orgeltöne so feierlich daherklangen, wie einsam es hier war, wie weltfremd, wie weltverlassen! Welch eine seltsame Sprache sprachen diese Töne. Erst rauschten sie gewaltig dahin wie Sturmesbrausen, wälzten sich daher unwiderstehlich, warfen nieder, was aufrecht stand, schleuderten zu Boden, was trotzig widerstrebte. Aus Zornes-Wolken, aus des Grolles Donnern redete der Herr der Heerscharen und sündenzerknirscht, furchterfüllt warf der Mensch sich nieder, das schreckensbleiche Antlitz ängstlich verhüllend. Doch zu dem Zerbrochenen, Schreckerfüllten kommt der versöhnte Gott hernieder. Wie leichtes Säuseln des Abendwindes kommt er und faßt mit weicher, mit menschlicher Hand das verbergende Tuch und zieht es vom Haupte, und entzückt schauen die Augen in ein sanftes Menschenantlitz und doch nicht Menschenantlitz. Leise klingt es mit Himmelsstimmen: Nun ist vorüber Dein langes Leid. Da Du Dich gebeugt dem gerechten Gotte und warst zerbrochen und wurdest zerschlagen, da hebt Dich auf des Heilands Hand, und richtet Dich auf des Retters Liebe.

Also spricht er und tausend Engel fallen ein in jubelndem Chore und jauchzen und singen: Heil ihm in der Höhe!

Es schwieg das Lied, langsam klangen die Töne aus im Kirchlein, in Heinzens Herzen. Er hatte vergessen, weshalb er gekommen, wohin er gewollt, wo er war! Ein leichtes Rauschen brachte ihn wieder zu sich; er hatte richtig gefühlt, Anna hatte gespielt. Auch in ihrer Seele zitterten noch die Töne nach; sie reichte ihm stumm die Hand, und beide verließen schweigend die Kirche, die ein Knabe, der Anna gefolgt war, schloß. Erst als sie eine Strecke gegangen waren, sagte Heinz:

»Die Orgel ist doch das schönste Instrument! Was läßt sich mit ihr an feierlichem, erhabenem Wohlklange vergleichen! Was gleicht ihrer Töne gewaltiger Macht!«

»Sie empfinden wie ich,« erwiderte Anna. »Schon die Beschaffenheit der Orgel verbietet alles Triviale, Gemachte, alle unvermittelten Uebergänge, alle Coquetterie.«

»Spielen Sie häufig?«

»Täglich! Es ist das der größte Genuß, den ich habe.«

»Sie Glückliche!«

»Spielen Sie nicht?«

»Ach nein, ich bin ganz unmusikalisch. In meinem Elternhause durfte keine Taste berührt werden, mein Vater mochte die Musik nicht.«

»Leben Ihre Eltern noch?«

»Nein, sie sind todt.«

»Beide?«

»Ja, Beide.«

Anna sah ihn mitleidig an.

»Es muß schwer sein, so ganz allein zu stehen in der Welt,« sagte sie.

»Pah, wer ist am Ende nicht allein in der Welt? Die Menschen mögen uns noch so nahe stehen, uns noch so sehr lieben, kann Menschenliebe uns befriedigen? Sehnen wir uns nicht nach einer Liebe, die schrankenlos, grenzenlos ist, die sich selbst vergißt, nicht einmal, sondern immer, ganz, völlig, und welcher Mensch kann solche Liebe bieten!«

»Glauben Sie denn nicht, Herr Eichenstamm, daß es auch unter Menschen eine Liebe giebt, die grenzenlos, selbstvergessen, ewig ist?«

»Nein, und wenn es eine gäbe, so ist es noch fraglich, ob die, denen sie gilt, sie zu würdigen wüßten.«

Der Pfarrer hatte von seinem Fenster aus die Beiden kommen sehen und kam ihnen nun entgegen.

»Grüß' Sie Gott, Eichenstamm,« rief er und schüttelte Heinzens Hand, »das war ein glücklicher Einfall! Seien Sie mir willkommen!«

Nun kam auch Marie hinzu und Alle setzten sich auf die Bank unter den Linden. Heinz mußte von Fischersbach und den Arminen berichten, dann erzählte der Pfarrer von seinem Dorf und den Verhältnissen der Bewohner. Das Dorf sei nicht reich, das Holz und die Vögel des Waldes mußten das Beste thun. Das erinnerte Heinz an den Großvater Rechberg und er erzählte nun von ihm und schilderte ihn mit großer Liebe. Die Damen fragten nun nach Diesem und Jenem, und Heinz erzählte von der Heimath, vom Elternhause, von Lelia, von seiner Jugend.

»Und Sie sind in dieser ganzen Zeit kein einziges Mal zu Hause gewesen, haben Ihre Angehörigen kein einziges Mal besucht?« fragte Marie. Sie hatte, obgleich sie noch sehr jung, erst 15 Jahre alt war, in ihrer Sprache etwas Rauhes, Heftiges.

»Nein, was sollte ich dort! Ich glaube nicht, daß man mich dort einen Augenblick vermißt hat.«

»Vergessen Sie alle Ihre Lieben so rasch?«

»Sie dürfen,« nahm Anna das Wort, »die Worte meiner Schwester nicht allzu ernst nehmen. Meine liebe Marie ist noch sehr heißblütig!«

»Warum sagst Du »noch«,« erwiderte Marie trotzig. »In diesem Sinne werde ich immer heißblütig bleiben, immer, immer. Ich werde nie zulassen, daß wir die eigene Herzenskälte damit entschuldigen, daß wir unsern Verwandten die Liebe absprechen.«

Sie sagte das sehr eifrig und heftig. Anna legte begütigend die Hand auf ihre Schulter, der Pfarrer sagte lächelnd: »Da haben Sie es, Eichenstamm, der Hieb saß.«

»Da Sie weder meinen Onkel noch meine Cousine kennen, mein Fräulein,« sagte Heinz ein wenig scharf, »so können Sie doch unmöglich wissen, ob ich ihre Gefühle richtig oder unrichtig beurtheile.«

»Nun,« erwiderte Marie, »ich urtheile nach dem, wie Sie diese Menschen eben selbst geschildert haben. Uebrigens geht es mich allerdings gar nichts an, ob Ihre Verwandten Sie lieben oder nicht.« Damit stand sie auf und ging davon.

Der Pastor schaute ihr schmunzelnd nach: »Was das heftig ist,« sagte er.

Mariens schroffe Art hatte Heinz das Blut in die Wangen getrieben. Er suchte sich auf jede Weise von dem erhobenen Vorwurfe zu reinigen. »Sie müssen,« meinte Anna, als er gesprochen hatte, »mit Marie ein wenig Geduld haben. Leidenschaftlich und jung, wie sie ist, erscheint es ihr undenkbar, daß man Jemand lieb haben kann, ohne an ihm zu hängen und für ihn durch Feuer und Wasser zu gehen. Da sie nun ihr eigenes, heftiges Gefühl zum Maßstab auch für anderer Leute Gefühle macht, wird sie leicht ungerecht. Auch ich habe, so sehr ich sie liebe, doch oft genug den Vorwurf der Kälte und Selbstsucht von ihr hinnehmen müssen, und ich muß jede Liebesäußerung, die ich einem andern Menschen erweise, mit ein wenig übler Laune meines Schwesterchens erkaufen.«

»Sind Sie denn gar nicht eifersüchtig?« fragte Heinz.

»Nein,« erwiderte Anna lächelnd. »Dieses Gefühl ist mir ganz fremd.«

»Um so vertrauter ist es mir,« rief Heinz lebhaft. »Wenn Wesen, die ich liebte, Andern Freundlichkeit erwiesen, ist es mir immer wie ein Stich durchs Herz gegangen. Daß ein kleiner Hund, den wir früher hatten, auch meinen Vater und unsern Diener liebte, hat mir viel heiße Thränen gekostet.«

Heinz erzählte nun die Geschichte vom kleinen Hahn.

»Sie Armer,« sagte Anna.

Der Pfarrer meinte, Heinz sei ein gefährlicher Mensch, den man eigentlich gar nicht in's Haus lassen dürfe. Er für seine Person verbitte sich alles Ernstes Heinzens Liebe, denn dieser bringe ihm noch am Ende in einer eifersüchtigen Anwandlung eine seiner Töchter um.

Von der Dorfgasse her ertönte ein lustiges Hurrah! Es waren Hanning und Hellberg, die, ohne von Heinz zu wissen, den schönen Tag benutzt hatten, wie er. Als Hanning Heinz gewahr wurde, schwenkte er lustig die Mütze und lachte über das ganze Gesicht.

»Hurrah! Senior soll leben,« rief er lachend. »Senior hoch! Grüß Gott, Herr Pfarrer! Grüß Gott, gnädige Frau! Senior ist ein verteufelt schlauer Bursche! Aber wir sind auch schlau, wir kommen ihm auf die Schliche.«

»Laß Deine Thorheiten,« sagte Heinz ärgerlich. Es war ihm gar nicht genehm, daß die Beiden gekommen waren.

»Wie geht es Ihnen, Herr Hanning,« fragte Anna.

»Danke für die Nachfrage, gnädige Frau! Wie dem Pfingstvogel um Johannis. Vortrefflich! Wo ist Ihr Fräulein Schwester?«

Anna lächelte. »Marie ist wohl im Hause,« erwiderte sie.

»So? Sieht wohl nach dem Essen! Ist übrigens keine Anspielung, bei Gott nicht, wir gingen über Walddorf und haben im »Lustigen Finken« gefrühstückt.«

»Nun, das wird ein lustiges Frühstück gewesen sein,« meinte der Pfarrer lachend. »Da gehören Sie ja auch recht eigentlich hin.«

»Sie meinen von wegen der Lustigkeit! Danke für's Compliment! Heute Abend muß der Senior hinein! Ich versichere Sie, gnädige Frau, der Heinz ist in den letzten Tagen so verdrießlich gewesen, wie eine Ameise im Spätherbste.«

Heinz fühlte, wie er erröthete, und weil er das fühlte, erröthete er noch mehr.

»Ich habe Dich schon einmal gebeten, Deine unpassenden Späße zu lassen,« sagte er rauh.

Die Andern sahen Heinz betreten an, Hanning aber rief lustig: »Hurrah! Kratzbürste soll leben! Brr! Sieh mich nur mit Deinen großen Augen an! Wirst mich doch nicht fressen!«

Sein lautes Wesen rief Marie herbei. Sie begrüßte Hanning ungemein herzlich, wie es Heinz schien, in demonstrativer Weise, und dieser war voll lustiger Einfälle. Der Pfarrer und die Frauen lachten über sein munteres Geschwätz, Heinz schaute mürrisch vor sich hin, Hellberg blickte in seiner ruhigen Weise von Einem zum Andern.

»Du mußt uns nachher etwas auf der Orgel vorspielen, Anna,« sagte er.

»Warum kamst Du nicht früher,« erwiderte sie. »Ich habe mein Pensum bereits gespielt.«

»Ach, und das war so schön,« sagte Heinz. Er dachte daran, wie wundervoll die Stunde in der Kirche gewesen war, wie viel schöner, als die jetzige.

»Nun aber, Du bist vielleicht so freundlich, noch einmal zu spielen?«

»Wenn Du es wünschest, gern.«

Nach Tische gingen Alle in die Kirche. Anna spielte vielleicht eben so schön als vorher, aber Heinz fand keine Freude daran. Mußte er doch den Genuß mit Hellberg und dem Pfarrer theilen, während Hanning und Marie sogar während des Spieles leise mit einander plauderten. Nachher spielte auch Hellberg und Anna hörte ihm andächtig zu. Als sie zufällig aufsah und ihr Blick auf Heinz fiel, erschrak sie vor dem lodernden Feuer, mit dem sein Auge auf ihr ruhte.

Es war ein wonniges Erschrecken, denn sie wußte nun, daß er sie liebte, und das empfängliche Gefühl des Weibes sagte ihr, daß er eifersüchtig war auf die Aufmerksamkeit, die sie einem Andern schenkte. Sie wandte sich mit einer leisen Frage an ihren Vater und verwickelte ihn in ein flüsternd geführtes Gespräch.

Als das Spiel aufhörte, machte man einen Spaziergang in den Wald. Hanning und Marie gingen unter Lachen und Scherzen voraus, der Pfarrer folgte mit Hellberg, dem er die tragische Geschichte eines Wilddiebes erzählte, der einen Förster erschossen hatte und am gestrigen Tage in's Gefängniß abgeführt worden war. Anna und Heinz schlossen den Zug.

»Warum fertigten Sie ihren Freund vorhin so kurz ab?« fragte sie. »Das war nicht hübsch von Ihnen.«

»Sie haben recht, gnädige Frau, aber haben Sie es nie erfahren, wie unerträglich es ist, wenn das, was unsere ganze Seele erfüllt, zum Gegenstande eines auch noch so gut gemeinten Scherzes gemacht wird?«

Obgleich Hanning nun für die Unbetheiligten keinerlei unpassende Scherze gemacht hatte, so verstand Anna doch, was Heinz meinte.

»Wir dürfen nicht verlangen,« sagte sie, »daß unsere Freunde sogleich verstehen, was uns bewegt.«

»Ich weiß nicht, ob wir es dürfen,« erwiderte Heinz trotzig, »aber wir müssen es mitunter verlangen. An mein Gefühl soll mir Niemand mit frecher Hand rühren!«

»Sie sind sehr heftig, Eichenstamm!«

»Nennen Sie es nicht Heftigkeit. Die dummen Menschen mögen ihre platten Späße treiben, womit sie wollen, sie mögen ihr albernes Gelächter aufschlagen über unsere Art, unsere Worte, meinetwegen über unser Denken, aber unser Fühlen sollen sie in Ruhe lassen.«

»Wer giebt uns das Recht, so unser eignes Wollen zum Gesetz für die Andern zu machen?«

»Was bedarf es des Rechts? In solchen Dingen trägt Jedermann das Recht in sich selbst.«

»Sie stehen auf einem gefährlichen Boden. Das Gefühl ist ein schlechter Richter, zumal in der eigenen Sache.«

»Das mag sein, und doch giebt es in solchen Dingen keinen anderen, competenteren. Das ist's ja, was ich auch in der Arminia ausrotten will, ausrotten werde, – die Vorstellung, als könnten Andere uns sagen, was uns beleidigen darf, und was nicht, als könnten drei beliebige, platte Gesellen uns sagen: Das sollst Du thun und jenes lassen.«

»Und doch giebt es nur in der Unterordnung Heil.«

»Ja, für den großen Haufen. Dem mag es nothwendig sein, in Reih' und Glied zu marschiren, bei klingendem Spiele anzugreifen. Der kräftige, muthige Mann ermüdet und verzagt auch allein nicht.«

»Einsamkeit und Unglück sind Geschwister, Eichenstamm.«

»Das kann Ihr Ernst nicht sein, gnädige Frau. So dürfen Sie nicht sprechen. Die geschwätzigen Krähen fliegen in großer Gesellschaft, der Aar zieht einsam seine Bahn.«

»Ja, weil er ein Raubvogel ist!«

»Sei es, aber kann er sich ändern? Kann er ein Feldhuhn werden, oder eine Ente, oder ein Kranich?«

»Nein, Eichenstamm, ein Aar kann das nicht, und man sollte darum solche Bilder nicht gebrauchen, denn sie verwirren nur unsern Sinn. Ein Aar kann sich zu keinem andern Vogel machen, aber aus einem selbstsüchtigen, stolzen und hochfahrenden Menschen kann gar wohl ein wackerer Mann werden, der statt am Kampfe, am Wettstreite seine Freude findet und mit seinen Mitbürgern in Reih' und Glied kämpft.«

»Wenn Sie so denken,« sagte Heinz, »so muß Ihr Vetter Hellberg recht nach Ihrem Sinne sein.«

»Ja, das ist er auch. Ich habe ihn sehr gern. Sein festes Wesen, sein klares Wollen, sein ruhiges Empfinden berührt mich immer sehr angenehm.«

»Ich liebe ihn auch, gnädige Frau,« erwiderte Heinz, »und doch hätte ich, wenn ich dächte wie er, mir längst das Leben genommen, denn welchen Werth hat ein Leben, wie er sich's erhofft, ein Leben, in dem man einmal als Lehrer seine Buben Tag für Tag langweiliges Zeug lehrt und Abends dann in's Wirthshaus zum Schöpple geht, die Welt und ihr Treiben altklug zu besprechen.«

Anna schüttelte lächelnd das Haupt. »Sehen Sie,« sagte sie, indem sie mit der Hand auf die Gipfel der Berge wies, die in rothem Lichte strahlten, »wie schön! wie herrlich!«

Ein hübscher Knabe, der in jeder Hand ein Körbchen voll Erdbeeren trug, ging an ihnen vorüber.

»Hast Du die Erdbeeren für die Mutter gesucht, Kuni?« fragte Anna. »Das ist rechtschaffen!«

Der Junge wurde blutroth. »Ich habe gedacht, daß sie Ihnen schmecken würden,« sagte er schüchtern, »und da habe ich –«

»Nun, dann meinen herzlichen Dank.« Sie fuhr ihm mit ihrer weißen, schmalen Hand freundlich über das lockige Haar.

»Der Knabe hat Aehnlichkeit von Ihnen,« sagte sie unwillkürlich. Erst als sie die Worte gesprochen hatte, fiel ihr ein, daß sie mißdeutet werden könnten, und das Blut färbte ihre Wangen roth.

Erst nach Sonnenuntergang kehrte man in's Pfarrhaus zurück, und der Mond stand schon längst am Himmel, als die Freunde sich verabschiedeten.

Als die Schwestern ihr Zimmer aufgesucht hatten, setzte sich Anna an's Fenster und blickte gedankenvoll hinaus. Marie, die sich unterdessen auskleidete, suchte vergeblich durch lautes Auftreten und durch das Hin- und Herschieben von mancherlei Gegenständen ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Endlich eilte sie auf die Schwester zu, umschlang ihren Hals und sagte leidenschaftlich:

»O, wie ich diesen Eichenstamm hasse!«

»Warum das, Marie?«

»O, er ist selbstsüchtig, wild und roh!«

»Und wenn er es wäre, Marie, ich sage nicht, daß er es ist, aber auch wenn er es wäre, wie kann das Dich veranlassen, ihn zu hassen?«

»Wie? Weiß ich denn nicht, Anna, daß Du ihn lieben wirst; daß Du diesen unleidlichen Menschen lieben wirst? Alle die Liebe, die Du mir vorenthältst, wirst Du an ihn wegwerfen. Für ihn werden sich Deine bleichen Wangen röthen, für ihn wird Dein Mund lächeln.«

Während Marie so sprach, strömten ihre Thränen auf der Schwester Wangen und sie schluchzte laut.

»Aber liebe Marie,« sagte Anna erschreckt, »nimm Dich doch ein wenig zusammen. Wie kannst Du so thöricht reden! Ein junger, mir sonst wildfremder Mensch, ein Student, tanzt mit mir an einem Abend und besucht uns darauf, und Du thust, als wäre er mein Bräutigam.

Marie ließ die Schwester los und strich das aufgelöste Haar, das in langen, dunkeln Wellen fast bis zum Knie herabfiel, aus dem thränenfeuchten Gesichte. »Ja, sprich nur so,« sagte sie, »mir machst Du nichts weiß. Wenn er das nächste Mal kommt, der abscheuliche Mensch, so will ich dafür sorgen, daß es das letzte Mal ist. Gewiß, das will ich.«

»Aber, liebe gute Marie, was willst Du nur? Und wenn ich ihn wirklich lieb gewönne, was läge daran?«

»Das will ich Dir sagen, Anna. Wenn Du diesen wilden Menschen mit den unheimlichen, heißen Augen lieb gewönnest, so würde er Dich sehr, sehr unglücklich machen, und wenn Du noch unglücklicher würdest, als Du schon bist, und noch trauriger, dann würdest Du mich und den Vater und den guten Vetter Hellberg, der Dich so innig liebt, und noch viele andere Leute unglücklich machen. Das liegt daran!«

Damit wandte sie sich zornig ab und war durch keine Liebkosung der Schwester dazu zu bewegen, noch ein Wort zu sprechen, oder ein freundliches Gesicht zu fachen.

Unterdessen wanderten die Freunde durch die helle Mondnacht der Stadt zu.

»Warum empfingst Du uns denn heute Morgen so knurrig, Senior?« fragte Hanning, als sie eine Strecke gegangen waren. »Ich wußte nicht, daß Du schon so tief drin bist.«

Heinz wollte aufbrausen, aber er dachte an das, was Anna gesagt hatte und beherrschte sich mühsam.

»Liebster Freund,« sagte er so ruhig als möglich, »thu' mir den Gefallen, und laß diesen Gegenstand aus dem Spiele.«

»Schön, schön, Senior, aber einen guten Geschmack hast Du, das muß man Dir lassen!«

»Schweig!« donnerte Heinz mit Löwenstimme und ergriff Hanning am Arme, »wenn Du noch ein Wort über diese Dame sprichst, so schlage ich Dich zu Boden!«

»Was fällt Dir ein, Heinz?« fragte Hanning erschreckt.

»Sei nicht toll, Eichenstamm!« rief Hellberg. »Was hat er denn gesagt?«

»Er soll überhaupt nicht von ihr sprechen. Er kann über Niemand sprechen, ohne sich über ihn lustig zu machen. Wie darf er Frau von Oehes Namen in den Mund nehmen?«

»Ich weiß nicht, ob Du betrunken bist oder wahnsinnig, oder was sonst,« sagte Hanning kalt, »aber Du wirst Deine Worte morgen, zu verantworten haben.« Damit wandte er sich um und wollte sich in der Richtung, aus der sie gekommen waren, entfernen, Hellberg aber folgte ihm und bat ihn, noch einen Augenblick zu warten. Dann eilte er zu Heinz zurück und flüsterte hastig:

»Eichenstamm, willst Du, daß der Name meiner Cousine vor dem Burschengerichte genannt wird?«

Heinz schlug sich mit der Hand vor die Stirn und eilte auf Hanning zu. »Verzeih',« sagte er, »Du weißt, ich bin sehr heftig! Es thut mir leid, Dich beleidigt zu haben.«

Hanning ließ sich nicht lange bitten. Gemeinsam setzten sie ihren Weg fort und erreichten unter gleichgültigen Gesprächen die Stadt.


 << zurück weiter >>