Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ein einseitiges Brautpaar.

Am folgenden Tage kam Horace zu Heinz, um ihm zu danken. Als er von Monsieur Bertrand sprach, flossen seine Thränen reichlich. »Sie werden mich für weibisch halten, Eichenstamm,« sagte er, »aber Sie würden meinen Schmerz verstehen, Sie würden ihn theilen, wenn Sie den Verstorbenen gekannt hätten. Ach! er war so edel, so gentil! Wenn mich etwas trösten kann, so ist es nur die Aussicht, durch dieses unsägliche Unglück Ihnen näher getreten zu sein. O, ich bitte Sie, schenken Sie mir Ihre Freundschaft. Sie werden es mir nicht wie eine Schmeichelei auslegen, wenn ich Sie versichere, daß ich Sie jetzt schon liebe. Sie sind so stark und so selbstbewußt, ich glaube, Sie wüßten sich in jeder Lage zu helfen.«

»Lieber Horace,« sagte Heinz und drückte ihm die Hand, »es soll mich freuen, wenn wir rechte Freunde würden.«

»Sie sind sehr gütig. Ich muß Ihnen auch in meiner Schwester Namen nochmals danken. Mama sagte mir, daß Madeleine Ihnen gegenüber sehr unbesonnen gehandelt habe, ich hoffe, Sie nehmen ihr das nicht übel. Sie ist sehr lebhaften Temperamentes.«

Heinz, der durchaus nicht wußte, was er zu dieser seltsamen Entschuldigung sagen sollte, brach das Gespräch ab, indem er nach Diesem und Jenem fragte, nahm sich aber, als Horace aufbrach, vor, denselben nach Kräften zu protegiren. Einsam, wie er sich fühlte, mußte er sich einer Freundschaft freuen, in welcher er der Mittheilende war, und in nicht allzulanger Zeit waren die Beiden unzertrennliche Genossen.

Frau von Balteville schien damit freilich sehr unzufrieden. Sie wünschte sehnlich, daß ihr Sohn womöglich ausschließlich mit jungen Edelleuten verkehre, und mußte nun ansehen, daß er durch Heinz in dessen bürgerlichen Kreis gezogen wurde. Indessen ließ sich das bei der großen Liebe, die Horace für Heinz gefaßt hatte, nicht gut ändern, und Amanda tröstete sich mit dem Gedanken, daß diese Freundschaft doch bald ein Ende haben werde, da Heinz auf die Petersburger Universität, Horace aber nach Heidelberg sollte, weil die Nachbarn ihr erzählt hatten, daß diese die vornehmste Universität sei, und weil mehrere Majoratsherren der Gegend ihre Söhne eben dort sich austoben ließen. Verächtlich lächelte der Doctor über diesen Beschluß und ließ Horace durchaus entgelten, daß er seiner Mutter Sohn war.

»Du solltest Dich mit der französischen Schauspieler-Bande nicht so viel einlassen,« sagte er in seiner schroffen Weise zum Sohn und ließ, als dieser ihm darauf heftig antwortete, die Sache fallen. Mit Madeleine kam Heinz im Baltevilleschen Hause fast gar nicht zusammen, und wenn es sich bei Tische dennoch so machte, so blickte dieselbe kaum von ihrem Teller auf, und betheiligte sich fast gar nicht an der Unterhaltung, in der Frau Amanda in der Regel Alles aufbot, sich in Heinzens Augen unendlich lächerlich zu machen. Da er nun noch dazu bald durch seinen Freund erfuhr, daß Madeleine in seiner Gegenwart schwieg, weil es ihr befohlen war, so hätte er sich zweifellos auf's Heftigste in sie verliebt, wenn ihn seine Neigung zu Lelia nicht davor bewahrt hätte. Diese schien nun freilich völlig hoffnungslos, denn er fühlte nur zu deutlich, daß Lelia in ihm nur den Vetter und ehemaligen Spielkameraden liebte, und sein wachsender Hochmuth machte ihm jedes Entgegenkommen seinerseits unmöglich. Da half er sich denn mit seiner Doppelnatur. Er versetzte sich mit ihr in jene phantastische Welt, in der er, wenn er allein war, lebte, und während er auch seinerseits jedes Zusammensein mit der wirklichen, lebenden Lelia mied, war die Lelia seiner Phantasie seine stete Gesellschafterin, der Mittelpunkt seines Daseins. Wunderlich war sein Verhältniß zu Adelheid, seiner Gefährtin im wirklichen Leben. Es war eigentlich kein Liebesverhältniß, obgleich das frühreife, leidenschaftliche Mädchen es als ein solches empfand, und die nahe Blutsverwandtschaft machte es ihnen möglich, sich über die Tragweite desselben zu täuschen.

Sie war ihm so ganz ergeben, daß sie in der Lebhaftigkeit und dem Feuer ihres Gefühles es wie eine selbstverständliche, nicht weiter zu erörternde Sache ansah, daß aus ihnen einmal ein Paar werden müsse, und sie, die übermüthige, trotzige Adelheid fand einen unwiderstehlichen Reiz darin, ihm gegenüber allen und jeden Eigenwillen aufzugeben und sich vor ihm zu beugen wie eine Sclavin vor ihrem Herrn. Er seinerseits hätte nicht so jung und nicht ein so hochmüthiger Bursche sein müssen, wie er es war, wenn dieses Verhältniß nicht einen großen Zauber auf ihn hätte ausüben sollen.

»Heinz,« flüsterte ihm Adelheid eines Tages zu, während sie am Schachbrett saßen und Frau Irene mit einer Stickerei am Fenster beschäftigt war, »morgen!«

Heinz nickte mit dem Kopfe. »Schach dem König,« sagte er laut.

Der folgende Tag war ein Sonntag, das Wetter wundervoll, einer jener wenigen schönen Tage, an denen der Mai sich uns im Festgewande zeigt. Die Alleen am Flusse prangten im frischesten Grün, vom Schloßgarten her wehete der balsamische Duft eben erst erblühten Flieders, und die warme Sonne spiegelte sich breit und voll im dunkeln Wasser, während der Lerchen Lieder in reichem Chore hoch aus der Luft herabklangen auf die verjüngte Erde, zugleich mit dem Glockenklange, der zur Kirche rief.

Heinz saß wohl schon seit einer halben Stunde im Boot und ließ die Sonntagsfrühe in ihrer ganzen Herrlichkeit Einzug halten in seine Seele, athmete in langsamen Zügen die balsamische Luft ein und lauschte den Lerchen, bis er die einzelnen Stimmen im Chore unterschied, und mit ihnen jubelte über die sonnedurchglühte, wonneerfüllte, singende, plätschernde Gotteswelt. Dann kam Adelheid und setzte sich an das Steuer, während Heinz langsam stromaufwärts ruderte. Beide sprachen kein Wort, nur die Lerchen, die Glocken und das leise Plätschern des Wassers unterbrachen die Stille. Adelheid hatte eigentlich wenig Sinn für die Natur, aber sie liebte Heinz, und ein Mädchen, das liebt, versteht Alles, was der Geliebte versteht. Dieselben Lerchen und Glocken, dasselbe Plätschern des Wassers, das sie sonst nicht beachtet hätte, stimmten sie jetzt, da sie in Heinzens Herzen widerklangen, ernst und feierlich, und hielten ihren unruhigen Sinn fest in wonnigem Verständnisse.

Leise rauscht das Schilf an der Mündung des kleinen Flusses weiße Wasserlilien leuchten rings umher, und sanft stößt der Bug des Bootes an die sammetgrüne Wiese. »Komm,« sagt er, als er ihr aus dem Boote hilft, und sagt es so leise, als könnte sein Wort die Lerchen erschrecken, die hoch über ihnen im blauen Aether schweben, daß sie plötzlich verstummen. Hand in Hand gehen die Beiden nun über die grüne Wiese, auf der einzelne Eichen den Vögeln des Waldes Herberge gaben. Die Natur liegt anbetend auf den Knieen, sie feiert den Maien-Sonntag.

Dort, wo sich die Wiese ein wenig hebt, steht eine besonders prächtige Eiche, unter ihr lagern sich die Beiden.

»Fühlst Du Gott?« fragt Heinz, indem er laut denkt.

Adelheid fühlt nicht den Schöpfer des Weltalls, aber sie hält Heinzens Hand in ihrer Hand, und sie ist in ihrer Weise so glücklich, als er.

Das halblaute Wort hat ihn aufgeschreckt aus seiner süßen Betäubung, und er wiederholt es jetzt mit Bewußtsein.

»Fühlst Du Gott?« fragte er nochmals.

Adelheid zögerte ein wenig mit der Antwort. »Nein,« sagte sie endlich fest.

»Hast Du ihn noch nie gefühlt?«

»Nein, Heinz, nie.«

»Wie kannst Du dann an ihn glauben?«

Adelheid lachte; der Zauberbann, in dem ihn noch eben die Natur gehalten, wich mit jedem Worte mehr aus seiner Seele und damit zugleich auch aus der ihrigen.

»Unter uns gesagt,« spricht sie, »ich fürchte, es ist mit meinem Glauben schwach bestellt. Du glaubst nicht, wie sehr ich die Menschen beneide, die an Gott glauben, Gott fühlen.«

Sie sagte das ganz ernst, aber auch ihr Ernst hatte immer einen leichtfertigen Klang.

»Glaubst Du an Gott?« fragte sie.

»Ja,« sagte Heinz, »wenn auch nicht an den Gott der Kirche. In solchen Stunden, wie wir eben eine erlebten, da fühle ich ihn in seiner unendlichen Liebe, fühle mich in seinen Armen, nicht bildlich, sondern so buchstäblich und so gewiß, wie ich mich als Kind von den Armen meiner Mutter umschlungen fühlte. Ich lehne mich an seine Brust und lasse die Welt in ihrer ganzen Herrlichkeit an mir vorüberrauschen.

Adelheid lag auf den linken Ellenbogen gestützt, neben ihm im Grase, hatte die Finger der Hand tief in ihr schwarzes Haar vergraben, von dem die Hand blendend weiß abstach, und blickte ihn aus ihren großen, schwarzen Augen unverwandt an.

»Aus Dir wird einmal ein berühmter Mann werden,« sagte sie im Tone der Ueberzeugung. Sie dachte daran, daß sie an seinem Ruhme Theil haben würde, und ihr Stolz weidete sich an dieser Aussicht.

»Ich hoffe es,« erwiderte Heinz, »an mir soll es nicht liegen, wenn ich es nicht werde.«

»Gewiß, Heinz, gewiß! Du hast das Zeug dazu, Du bist von anderem Schlage, als andere junge Leute. Du bist klug, muthig und ausdauernd, Du bist ein echter Eichenstamm!«

Es fiel ihnen Beiden nicht ein, daß noch kein Eichenstamm berühmt geworden war. Sie waren Beide in solcher Verehrung dieses Namens aufgewachsen, daß es ihnen selbstverständlich erschien, daß ein echter Eichenstamm auch nothwendig ein Uebermensch sein müsse.

»Ich weiß nicht, auf welchem Gebiete Du die Lorbeeren pflücken wirst, die ich als Kranz auf Deinem Haupte sehe,« fuhr Adelheid fort, »aber ich weiß, Du wirst hoch fliegen. Du hast Adleraugen, Heinz, starke, feste Augen, die die Sonnenstrahlen nicht scheuen. Du wirst auch nicht vom Wege abweichen aus feiger Rücksicht auf Andere; wenn sie Dir im Wege liegen werden, wirst Du über sie hinwegschreiten. Die Menschen sind es ja auch nicht Werth, daß man um ihretwillen auf seiner Bahn innehält.«

Es lag ein starker Zug Menschenverachtung in der Eichenstammschen Art, und er sprach sich oft unbewußt schon in den Kindern aus, bevor noch die Erfahrungen des Lebens sie darauf geführt.

»Ja,« sagte Heinz, »Du hast Recht, ich will und ich werde hoch fliegen. Ich werde meinen, unseren Namen zu Ehren bringen, er soll mit Achtung und Bewunderung genannt werden, nicht nur in der Heimath, nein, in ganz Deutschland, in der Welt; er soll leben durch Generationen, Jahrhunderte sollen ihn nicht auslöschen aus dem Gedächtnisse der Menschen.«

Es war ein sehr unklares Gefühl, das ihn so sprechen ließ, aber er meinte es doch anders als Adelheid. Nicht der gemeine, selbstsüchtige Ehrgeiz sprach aus ihm, er wollte als Wohlthäter der Menschen berühmt werden.

»O, Heinz, wenn Du Dich selbst sehen könntest,« rief Adelheids indem sie sich aufrichtete und leidenschaftlich seine Hand ergriff, »wenn Du Dich selbst sehen könntest!«

Seine Schönheit, die, als er von lebhaftem Gefühle hingerissen, mit leuchtenden Augen gesprochen hatte, so recht zu Tage getreten war, hatte ihren Ausruf hervorgerufen, aber er war an solche Huldigungen ihrerseits gewöhnt, und nahm sie hin, wie etwas Selbstverständliches. Er sprach zu ihr, wie mit sich selbst, und legte den Aeußerungen seines Hochmuths ihr gegenüber keinerlei Schranken an. Daß sie diese als ganz natürlich hinnahm, machte sie ihm werth.

»Ja,« fuhr er fort, »ich weiß es, ich bin von Gott ganz besonders begnadigt, geistig und körperlich. Ich bin schön und klug. Ich weiß aber auch, daß ich damit die Verpflichtung überkommen habe, mit meinen Gaben Haus zu halten, sie zu verwenden im Dienste der Menschheit. Du hast recht, wenn Du sagst, daß mein Auge stark genug ist, um in die Sonne zu blicken, darum will ich aber auch stets sonnewärts fliegen, der Menschen ärmlichem Gewimmel den Rücken kehrend; mir die gewaltigen Schwingen frei erhalten vom Schmutze des Lebens, daß ich rein vom Erdenstaube die Brust im hohen Aether baden kann.«

Heinz glaubte nichts Schlimmes zu thun, wenn er zu der Vertrauten so offen sprach, und doch that er sich selbst damit unsäglich Schaden, denn indem er so seinen hochmüthigen Gedanken einen Ausdruck, gleichsam eine Sprache verlieh, machte er sie erst recht heimisch in seinem Herzen und machte aus scheu und verlegen blickenden Fremdlingen trotzige, herrische Hausherren.

Sie standen jetzt auf und kehrten zum Boote zurück. Noch immer jauchzten die Lerchen, prangte die Wiese im Blumenschmucke, lächelte die Maiensonne, wie zuvor rauschte das Schilf, als das Boot es durchstrich, leuchteten die Wasserlilien und plätscherte das Wasser, aber Heinz hörte, sah, fühlte es nicht mehr; ehrgeizige, hochmüthige Gedanken erfüllten sein ganzes Sein.

So langsam Heinz stromaufwärts gerudert hatte, so pfeilschnell trieben seine heftigen Ruderschläge jetzt das Boot mit der Strömung. Zu den wühlenden Gedanken in seinem Kopfe paßte die schnelle Bewegung. »Wann gehst Du auf die Universität?« fragte Adelheid. Sie hatte ihn schon oft darnach gefragt und wußte, daß ihre Fragen das gewünschte Ereigniß nicht beschleunigen konnten, aber ihre Ungeduld ließ ihr keine Ruhe.

»Zu Weihnachten, nach dreiviertel Jahren,« antwortete Heinz.

Adelheid nickte mit dem Kopfe.

»Es freut mich, daß Du nicht nach Dorpat gehst,« sagte sie. »Du bist zu schade, um Deine Studienzeit in dem kleinen Neste zu vertrauern. Du wirst nach Petersburg gehen und im Winter uns besuchen. Es wird Dir bei uns gefallen, Heinz. Wir sind dort nicht so entsetzlich steif und pedantisch wie Ihr hier, man hört dort nicht das ewige: ›das schickt sich nicht‹ bei den Vergnügungen, und das noch unleidlichere ›das ist unnütz‹ bei den Ausgaben. Unter uns gesagt, ich werde herzlich froh sein, Heinz, wenn ich von Tante Irene loskomme. Obgleich sie mir, wie ich glaube, so viel Freiheit läßt, als ihre Grundsätze ihr irgend erlauben, so habe ich neben ihr doch immer das Gefühl, als wäre ich an der Kette.«

Das Boot landete an der Brücke, und die Beiden trennten sich rasch, um nicht etwa von einem Verwandten gesehen zu werden. »Adieu, Frau Adler,« rief Heinz, sich noch einmal nach ihr umsehend.

Als sie sich entfernt hatten, verließen auch ein Herr und eine Dame, die sie von einer im Buschwerke versteckten Bank aus beobachtet hatten, ihren Platz und schlugen den Weg zur Stadt ein. Der Herr trug ein Fernrohr in der Hand. »Du siehst, ich hatte Recht,« sagte die Dame.

»Ja, ja,« war die ungeduldige Antwort, »aber wir wollen der Sache ein Ende machen.«

Als Adelheid mit raschen Schritten nach Hause ging, holte sie Lelia ein, die aus der Kirche kam. »Guten Morgen, Lelia,« sagte sie.

»Guten Morgen, Adelheid,« war die Antwort. »Wo hast Du heute gesessen, ich habe Dich nicht gesehen.«

»Das will ich Dir glauben, denn ich saß, während Du in der Kirche warst, im Boote.«

»Wie? Habt Ihr eine Bootpartie gemacht?«

»Ja, das heißt Heinz und ich.«

Lelia blickte sie verwundert an.

»Ich hätte nicht geglaubt, daß Tante Irene Dir das erlauben würde,« sagte sie.

»Du bist gewaltig gescheidt,« spottete Adelheid, »ich glaube, Du hörst das Gras wachsen. Ich glaub' es selbst, daß Tante Irene mir das nicht gestattet hätte, ich habe sie daher auch nicht um ihre Erlaubniß gebeten.«

»Das ist sehr unrecht von Dir, Adelheid.«

Adelheid lachte laut auf. »Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß,« rief sie. »Tante glaubt mich in der reformirten Kirche, statt dessen war ich mit meinem Heinz mutterseelenallein auf dem Wasser.«

»Wie? Mit Deinem Heinz?«

»Ja, mit meinem Heinz, mit meinem Heinz. Ist das nicht herrlich, Lelia, daß er mein Heinz ist?«

Sie blickte, während sie das sagte, Lelia so scharf und lauernd in's Gesicht, daß diese, die ihre Gedanken errieth, erröthete. Sie erröthete aus Unwillen, aber Adelheid mißverstand sie.

»Du liebst ihn,« rief sie leidenschaftlich, Lelia's Hand ergreifend, »gesteh' es!«

Lelia machte ihre Hand ärgerlich los. »Ich liebe ihn nicht,« sagte sie stolz, »aber wäre es denn ein Unrecht, wenn ich ihn liebte, daß Du mich so anfährst?«

Adelheid glaubte ihr nicht, obgleich Lelia sie voll und ruhig anblickte. Lelia nahm ihr hochfahrendes Wesen ihr zum erstenmale übel. Das bestärkte sie nur noch in ihrer Meinung, aber sie hielt es für klug, zu thun, als ob sie ihr glaubte, und rief:

»Sei nicht unnütz empfindlich, Lelia, ich meinte es nicht böse, aber Du thätest doch unrecht, wenn Du ihn liebtest. Ihr Beide paßt nicht zu einander, glaube es mir. Ich bin nicht so einseitig, wie Ihr hier, ich bin, wenn auch noch jung, doch schon mehr in der Welt herum gewesen, als mancher Graukopf hier bei Euch in seinem ganzen Leben. Ich kenne die Menschen. Du wärst keine Frau für ihn. Du bist ein gutes, liebes Mädchen, Lelia, aber Du bist zu weich, zu sanft, und willst nicht hoch hinaus. Heinz hat auch mitunter so etwas Weichliches in sich; ich kann, so viel ich auch darüber nachdenke, nicht heraus bekommen, wo er das her hat, er ist ja sonst, gottlob, ein echter, rechter Eichenstamm, und wir Eichenstamms haben nichts Sentimentales an uns; aber eben darum braucht er einmal eine Frau, die selbst nicht weichlich ist, und die ihm nöthigenfalls mit starker Hand die weichen Gefühle aus der Brust reißt.«

»Nun, bis Du seine Frau wirst, kann noch viel Wasser den Berg hinabfließen,« erwiderte Lelia. Sie sagte das ganz arglos, weil der Gedanke so nahe lag, aber Adelheid dachte: »Aha, das war ein Stich! Ja, thue nur so sanft und ruhig, Du Heuchlerin, ich sehe doch, wie es in Deinem Herzen kocht.«

»Das finde ich gerade schön,« sagte sie, »daß unsere Herzen sich schon so jung gefunden haben; wir werden uns so recht miteinander einleben. Er wird ja auch nicht in Dorpat studieren, um dann mit Euch hier in der Provinz ein Philisterleben zu führen, dazu ist er viel zu schade, und dazu ist er auch nicht der Mann. Er wird nach Rußland gehen, da ist für seinesgleichen ein weiter Spielraum. Keine Frucht hängt dort so hoch, daß ein Mensch von seiner Schönheit, seiner Thatkraft und seinem Selbstbewußtsein nicht darnach greifen dürfte. Doch nun Lebewohl, Lelia, ich muß machen, daß ich nach Hause komme.«

»Lebewohl, Adelheid! Meinen herzlichen Glückwunsch!«

»Ich danke Dir. Es freut mich, daß Du theilnimmst an meinem Glücke. Ich habe es nicht gehofft.«

»Du irrst, Adelheid, ich nehme vollen und ungetrübten Antheil daran.«

Adelheid lächelte spöttisch, als sie ihres Weges ging. »Ich weiß, was ich weiß,« dachte sie. »Ich bin klug, mich betrügt man nicht. Das fehlte noch, daß mein Heinz sich einen solchen Klotz an den Fuß schmiedete. Nein, der braucht eine andere Gefährtin! Ich bin schwindelfrei, ich kann auch in die Sonne blicken. Fliege zu, mein Adler!«

Ihr weiblicher Instinkt sagte ihr, daß zwischen Lelia und Heinz ein geheimnißvolles Band bestand, aber sie suchte den Knoten auf der falschen Seite.

Während sie weiter ging, kam ihr der Gedanke, daß sie doch eigentlich zu viel gethan, wenn sie sich Lelia gegenüber als Braut declarirte, aber sie schlug sich den Gedanken aus dem Sinne. »Dummes Zeug,« dachte sie, »was thut's, daß wir es nicht gerade in Worten ausgedrückt haben, Brautleute sind wir ja doch. Hat er mich doch ›Frau Adler‹ genannt.«

Zu Hause fragte Tante Irene Adelheid, ob sie in der Kirche gewesen sei, wie sie gewollt habe. »Natürlich!« antwortete diese. Sie konnte das mit gutem Gewissen sagen. Die Eichenstamms waren eine sehr wahrhafte Familie und logen nie, dazu waren sie viel zu stolz, und Adelheid log auch nie, dazu war auch sie viel zu stolz. Sie log auch jetzt nicht, sie war, ehe sie zu Heinz ging, auf einen Augenblick in die Kirche getreten.

Als Lelia nach Hause gekommen war, suchte sie den Großvater auf. Sie war gewohnt, Alles, was sie bewegte, mit ihm zu besprechen, und daß Adelheid sich mit Heinz verlobt hatte, berührte sie sehr nahe. Sie liebte Heinz nicht, wie man einen Liebsten liebt, im Grunde ihres Herzens ruhte eine ängstliche Furcht vor ihm, die sie nicht los werden konnte, sie mochte sich darüber Vorwürfe machen, so viel sie wollte; aber sie war dem Vetter, von dessen Liebe zu ihr sie nichts ahnte, doch herzlich gut und Adelheid aufrichtig zugethan.

Als sie dem Großvater, mit dem sie jetzt auf der Bank im Garten saß, die Neuigkeit erzählt hatte, schüttelte dieser bedenklich mit dem Kopfe.

»Das ist eine schlimme Nachricht, mein Kind,« sagte er, »ich fürchte, sie haben sich Beide arg verflogen, und nun fliegen sie vielleicht um die Kirchthürme bis der Winter kommt, und der Heinz erfriert. Ich kenne das, ich habe so manchen tüchtigen Werfer an eine Spucht verloren.«

»Großvater,« rief Lelia vorwurfsvoll! Sie war mit des Großvaters Redeweise vertraut, und wußte, was der Alte meinte.

»Ja, ja, es mag Dir wehe thun, mein Kind,« fuhr er fort, »aber eine Spucht ist sie, und weiter nichts. Sie ist ebensowenig eine echte Eichenstamm vom alten Schlage, wie der Heinz einer ist, obgleich sie sich Beide so viel darauf einbilden. Wo sie es Beide her haben, weiß ich nicht, aber es ist, wie ich sage. Die Eichenstamms sind hochmüthige, trotzige, gewaltthätige Leute, aber es steckt in ihnen eine unverwüstliche Rechtschaffenheit und Wahrheitsliebe und ein nüchterner, auf das Praktische gerichteter Sinn. Wenn sie auch nicht darüber reden, und überhaupt immer schlechter sprechen als sie sind, so hat doch noch kein wirklich Nothleidender vergeblich an ihre Thür geklopft. Wenn sie ihm auch mit mürrischem Gesichte helfen und mit harten Worten, ohne die sie es nun einmal nicht thun können, und wenn sie sich vielleicht auch ihr Thun höher als gerade nöthig anrechnen, – sie helfen doch. In der Adelheid aber wohnt nackte Selbstsucht und ein Hochmuth, der alles Maß übersteigt. Dabei ist sie auch windig und falsch. Sie wird nie einen Andern glücklich machen, und wird auch selbst nie glücklich sein. Wenn sie den Heinz jetzt liebt, so ist es, weil sie in ihrem Spatzenverstande denkt, aus ihm wird einmal ein großer Mann werden, und meint, wo gehobelt wird, da fallen Späne, und ist Heinz einmal Minister, so ist seine Frau Ministerin. Wenn Du glaubst, daß sie als solche Ruhe hätte und zufrieden wäre, so bist Du im Irrthume. Sie ist wie die Ilsebill im Märchen, sie würde dann Kaiserin und zuletzt der liebe Gott werden wollen. Sie würde nicht ruhen, bis sie vom Himmel herabgefallen wäre, und sich todtgeschlagen hätte. Glaub's mir, so ist sie.«

»Großvater,« fragte Lelia, »glaubst Du, daß Heinz einmal hoch steigen wird?«

»Nein, Kind, ich glaube es nicht. In dem Heinz wohnen zwei Seelen, die nicht zusammenstimmen und ihn nie werden zu einem rechten Fluge kommen lassen. Die eine Seele ist die Eichenstamm'sche. Die ist gerade, ehrlich, fleißig und ausdauernd, wenn auch hochmüthig, eitel und trotzig, die für sich kann's aber zu nichts Großem bringen, weil sie zu leicht mit sich zufrieden ist, in Staunen geräth über sich selbst, es nicht merkt, wie viel ihr noch fehlt, zufrieden ist, wenn sie nur die Erste ist, die Erste, gleichviel wo, und wär's auch nur wie der Hahn auf dem Misthaufen. Wie ich die andere Seele, die der Heinz im Leibe hat, nennen soll, weiß ich nicht, denn ich begreife nicht, wo er sie her hat, aber ich will sie die Eschenseele nennen, denn sie ist wie eine Esche. Tief in den Sommer hinein bedenkt diese sich, ob sie überhaupt ausschlagen und grün werden soll, und kaum ist sie grün, so läßt sie auch schon die Blätter wieder fallen. Die Eschenseele ist eine Träumerin. Eine gute, liebe Träumerin mit einem wachsweichen Herzen; mit der Eschenseele könnte der Heinz sich sein Nestchen bauen im hohen Kornfelde, mit seiner Brut einmal froh durch die Halme schlüpfen und glücklich sein, wie ein Feldhuhn, aber das wird die Eichenstamm'sche Seele nicht zulassen. Dann ist da noch etwas dabei, das ihm keine Ruhe geben wird, ein Drittes, ich weiß wohl, was es ist, aber ich kann es leider nicht ausdrücken, mir fehlt das Bild dazu. Ich meine, er wird auch als Hahn immer wissen, daß der Misthaufen, auf dem er steht, nur ein Misthaufen ist, und das wird ihn sein Lebelang unglücklich machen.«

Der Alte räusperte sich und nahm eine Prise, Lelia schaute sinnend in den blauen Himmel über ihnen.

»Nein, er wird nie hoch fliegen, wird auch nie recht glücklich sein. Die eine oder die andere Seele wird ihn hindern, er wird wanken, er wird fallen. Wenn die eine sagen wird: ›Jetzt greif zu, und Du hast es,‹ so wird die andere sagen: ›Laß es stehen, es löhnt sich ja doch nicht der Mühe;‹ wenn die eine sagen wird: ›Ach, wie schön ist es hier!‹ so wird die andere ihm zuflüstern: ›Das ist doch nichts für einen so klugen Mann, wie Du bist, dazu bist Du doch zu schade, es ist doch nur eine Lumperei.‹«

»Großvater,« sagte Lelia, »Deine Worte klingen so hart!«

Der Großvater sah sie an, große Thränen rollten über ihre Wangen. Er umfaßte sie, drückte sie an sein Herz und küßte sie.

»Meine liebe Lelia,« sagte er und streichelte ihr nach seiner Art den Kopf, »dadurch, daß man sich so etwas nicht klar macht, ändert man nichts daran. Vielleicht irre ich mich auch, vielleicht gelingt es dem Heinz noch einmal, die beiden Seelen in Einklang miteinander zu bringen. Niemand würde sich mehr darüber freuen als ich, Du weißt ja, wie sehr ich ihn liebe.«

Die Beiden sprachen nicht mehr davon, Lelia mußte aber in Bezug auf Heinz dem klugen alten Manne Recht geben, wenn sie auch glaubte, daß er Adelheid Unrecht thue.

Der Abend war so schön, wie der Tag und die Rechbergs gingen, wie es ihre Gewohnheit war, hinaus vor die Stadt, ihn recht zu genießen. Als sie mit einbrechender Dunkelheit heimkehrten, begegnete ihnen Heinz und schloß sich ihnen an. Der Großvater und der Notar gingen voran, Heinz und Lelia folgten.

»Meinen herzlichsten Glückwunsch, Heinz,« sagte Lelia warm und reichte ihm die Hand.

»Glückwunsch? Wozu?« fragte dieser verwundert.

Es that Lelia wehe, daß er ihr gegenüber so fremd that. »Entschuldige, ich wollte nicht zudringlich sein,« erwiderte sie.

»Was heißt das, Lelia? Ich verstehe wahrhaftig nicht, was Du meinst.«

»Entschuldige nochmals,« antwortete sie kurz. »Adelheid war, wie ich nun wohl sehe, gegen Deinen Willen offener als Du.«

Heinz wußte jetzt, was Lelia's Glückwunsch sollte und das Blut wallte zornig in ihm auf.

»Hat Dir Adelheid gesagt, daß wir verlobt seien?« fragte er mit bebender Stimme.

Lelia, die den Ton, in dem er sprach, nur zu gut kannte und einen Ausbruch seines Jähzornes fürchtete, beeilte schweigend ihre Schritte.

Heinz fühlte, was in ihr vorging, ach, und wie fühlte er es! »Fürchte Dich nicht, Lelia, ich schwöre Dir, ich will ganz ruhig sein; antworte mir nur, hat sie die Frechheit gehabt, Dir zu sagen, wir seien verlobt?«

»Heinz, um Gotteswillen mach' keine Scene,« flüsterte Lelia, indem sie weiter eilte. Sie waren schon dicht hinter den beiden alten Herren.

»Dann hat sie frech gelogen,« schrie Heinz so laut, daß die Andern erschreckt zusammenfuhren und sich umwandten. Heinz sah ihnen einen Augenblick wild in's Gesicht, dann drehte er sich auf dem Absatz um und ging, ohne zu grüßen, davon. Lelia zitterte am ganzen Leibe und hielt sich schwer am Arme des Großvaters.

»Was das für eine unbändige Natur ist,« sagte der Notar. »Gott schütze ihn vor Versuchungen!«

»Amen,« sagte der Großvater.

Heinz stürmte in höchster Aufregung dahin, voll Zorn auf Adelheid, voll Liebe zu Lelia. Wenn diese auch nur ein freundliches Wort an ihn richtete, so war es mit allem Hochmuth und allem trotzigen Raisonnement zu Ende und er liebte mit der vollen Kraft der ersten Neigung auch die wirkliche, lebende Lelia. Er war auch voll Zorn gegen sich selbst. Er war zornig, daß er seinem Jähzorn eben wieder freien Lauf gelassen und Lelia's Furcht nur noch vermehrt hatte, und er war zornig darüber, daß er den Handel mit Adelheid so weit getrieben. Freilich, er war heute den ganzen Tag über den Gedanken nicht losgeworden, daß sie doch am Ende die Rechte sei, die rechte Gefährtin für den Adler, für den er sich hielt; aber jetzt, in diesem Augenblicke fühlte er es in jeder Faser, daß sein Herz nur Lelia gehöre und immer nur ihr gehören werde. »Dem muß ein Ende gemacht werden,« murmelte er, »morgen am Tage. Ich darf das Mädchen nicht täuschen. Ich darf ihr nicht zürnen, daß sie sich als meine Braut ansah, es ist meine Schuld, wenn es geschehen ist, aber ich darf sie nicht länger in dem Wahne lassen.«

Er ging festen Schrittes nach Hause und wollte am folgenden Tage mit Adelheid sprechen. Es wurde ihm sehr schwer, aber er sah ein, daß es seine Pflicht sei, und er war entschlossen, seine Pflicht zu thun.


 << zurück weiter >>