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Auf der Mensur.

Wenn Heinz am nächsten Morgen immer noch schwankte, ob er sich unter das schwarz-roth-goldene Banner stellen solle oder nicht, so erlebte er noch an demselben Tage ein Abenteuer, das ihm über alle Zweifel weghelfen sollte. Er war, nachdem er sich vorläufig als Mitglied der philosophischen Facultät hatte immatriculiren lassen, in eine Restauration gegangen, um daselbst zu frühstücken und hatte eben Platz genommen, als einige Studenten mit großem Geräusch eintraten und sich an denselben Tisch setzten, an welchem er saß. Der eine von ihnen, ein ungewöhnlich großer, schlanker Bursche, schlug mit der Reitpeitsche auf den Tisch, daß die Flaschen, die auf demselben standen, ängstlich klirrten, warf sein Cerevis auf einen Stuhl, streckte seine langen Beine auf einen zweiten und schrie dann überlaut: »Ledermacher! Zum Teufel, Ledermacher! Höchst lederner Ledermacher! Schelm von einem Ledermacher!« Auf sein Geschrei schob sich der Gastwirth, ein kleiner, schwarzer Mann, verdrießlich zur Thür herein und fragte mürrisch: »Was steht zu Diensten, Herr Baron?«

»Scheeren Sie sich zum Teufel mit Ihren Diensten, Ledermacher, ich will Ihre Dienste nicht. Halten Sie mich für betrunken, daß Sie mir am hellen, lichten Tage Ihre Dienste anbieten! Ihre Dienste bestehen in Beefsteaks von ausgedienten Gemeindebullen, in Grüneberger Auswurf und in weichselzöpfigen Dirnen. Behalten Sie Ihre Dienste, bis man darnach fragt, Sie alter Wucherer! Ihr Geld will ich! Mit Ihren Diensten können Sie mir kommen, wenn Sie einmal sehen, daß ich Ihre schmutzigen Silbergulden in goldenen Rheinwein umgesetzt habe.«

»Wenn Sie so schreien, Herr Baron,« erwiderte der Wirth mit einem Blicke auf Heinz, »so kann ich Ihnen nicht aufwarten. Mein Haus ist keine Schenke, und ich bin kein Wucherer, obgleich Sie mich so zu nennen belieben. Ich bin zwar nur ein einfacher, schlichter Mann, aber so etwas laß' ich mir nicht gefallen. Einen Wucherer laß ich mich nicht nennen!«

Der Baron lachte laut auf.

»Pardon, mein Engel,« rief er, »wenn ich Ihrer zarten Ehre zu nahe getreten bin. Kommen Sie her, Sie einfacher, schlichter Mann! Wahrhaftig, Ledermacher, Sie sind gewiß früher einmal Büchsier gewesen. Sie haben das »deutsch« vergessen, Ledermacher! Sie müssen sagen: Ich bin ein einfacher, schlichter deutscher Mann, dann weiß doch Jeder, der's hört, daß Sie im Begriffe sind, Einem das Fell über die Ohren zu ziehen. Wenn sich einer dem Teufel selbst als einfacher, schlichter, deutscher Mann vorstellt, so mag der sich in Acht nehmen, daß ihm nicht binnen fünf Minuten Hahnenfeder, Schweif und Klaue abhanden kommen. Sie müssen auf die Ausstellung, Ledermacher! Als Muster eines Gastwirths müssen Sie auf die Ausstellung, und zwar mit einer schwarz-roth-goldenen Mütze auf dem Kopfe und der Unterschrift: »Ein einfacher, schlichter, deutscher Wucherer!«

»Bravo, bravo,« hieß es von den anderen Studenten. »Das müssen Sie thun, Ledermacher! Ja wohl, ja wohl! Sie bekommen die goldene Medaille.«

»Was, goldene Medaille,« schrie der Baron dazwischen, »wenn ich Ausstellung sage, so meine ich den Pranger, und wenn der Hallunke Medaillen bekommen soll, so müssen es Gulden sein, die ihm auf die Wangen und Thaler, welche ihm auf die Stirn, gebrannt werden.«

Der Wirth, welcher unterdessen mit finsterem Gesicht unter den Gläsern gekramt hatte, wandte sich um und wollte das Zimmer verlassen, der Baron aber schnellte wie eine Feder empor und ergriff ihn noch in der Thür.

»Wohin, Du alte Kellerratte?« rief er und hielt den sich heftig Sträubenden mit eiserner Hand fest. »Glaubst Du, alte Ohreule, ich wäre hierher gekommen, blos um Dir die Ehre anzuthun, Dich zu maltraitiren? Geld will ich haben, verstehst Du? 300 Gulden will ich haben, und das gleich.«

»Lassen Sie mich los,« war die Antwort, »lassen Sie mich los. Ich habe für Sie kein Geld. Ich habe für Sie keinen Kreuzer!«

Die Andern legten sich nun in's Mittel.

»Laß ihn los, Otto,« rief der Eine, »Du treibst die Sache zu weit, Du siehst ja, daß Ledermacher blöde ist. Der arme Kerl genirt sich vor dem Herrn da.« Damit wies der Redner sehr unbefangen mit dem Finger auf Heinz, der, da er wohl einsah, daß er an einen Ort gerathen, an den er keineswegs gehörte, in überaus peinlicher Stimmung Zeuge dieses Gesprächs gewesen war.

Der Baron wandte sich jetzt nach Heinz um. Heinzens vor Verlegenheit und Zorn geröthetes Gesicht mochte er für Blödigkeit nehmen, genug, er ließ den Wirth fahren, trat auf Heinz zu und betrachtete ihn, ohne ein Wort zu reden, von oben bis unten. Dann ergriff er die Flasche, die vor Heinz auf dem Tische stand, hielt sie gegen das Licht und sagte, indem er die Flasche wieder hinstellte und Heinz auf die Schulter klopfte:

»Müssen keinen Rothwein trinken, junger Mensch! Davon bekommt man eine rothe Nase!«

Heinz sprang empört auf:

»Sie sind ein Unverschämter!« rief er.

»Allerliebst, mein Theurer,« sprach der Baron lachend. »Allerliebste Säbel! Sie geben doch Satisfaction, liebe Seele?«

Heinz, der aufgestanden war und den Wirth heranwinkte, um ihn zu bezahlen, hielt sich mühsam zurück.

»Jawohl!« sagte er so ruhig als möglich.

»Nun, und welcher Name wird in den Zeitungen publicirt, falls Sie sich verlaufen haben?« fragte der Baron weiter.

Die Beiden standen sich dicht gegenüber. Sie waren ungefähr von gleicher Größe, aber ein Athlet hätte Heinz den Vorzug gegeben. Der Baron war ganz ruhig und betrachtete Heinz mit unverschämtem Lächeln, während dieser vor Wuth bebte.

»Wenn Sie,« sagte Heinz sehr langsam, »noch ein Wort nachtouchiren, so werde ich meinerseits Sie für satisfactionsunfähig erklären und Sie demgemäß behandeln!«

Der Baron lenkte ein.

»Ja, aber wie heißen Sie denn, Verehrtester? Wie nennt Sie Vater und Mutter, wie die holde Maid ›Sonntags hinterm Gartenzaune‹?«

»Mein Name ist Eichenstamm.«

Der Baron trat einen Schritt zurück.

»Wie? Eichenstamm? Sind Sie etwa gar ein Landsmann von mir?«

Heinz kehrte sich, ohne zu antworten, um und verließ das Zimmer.

Der Baron drehte ärgerlich seinen Schnurrbart.

»Das ist eine schöne Geschichte,« sagte er. »Am Ende kommt der Mensch frisch von Hause und ich habe einen Fuchs auf Säbel provocirt. Das wäre eine schöne Geschichte.«

»Beruhige Dich,« erwiderte der Student, der vorhin mit dem Finger auf Heinz gewiesen hatte. »Der Bursche war so wenig ein Fuchs, als Du und ich. Ein Landsmann von Dir mag er sein, aber Fuchs ist er gewiß nicht. Ist denn der Mensch von Familie?«

»Nein, das nicht, und wenn er kein Fuchs ist, so mag er sich vorsehen, aber darüber muß ich Gewißheit haben. Liebster Westerberg, thu' mir die Liebe und verschaffe mir darüber nähere Auskunft. Ich kann doch unmöglich einen Fuchs mit dem Säbel zurichten. Stellt sich heraus, daß er einer ist, so geh' zu ihm und revocire in meinem Namen. So, und nun zur Sache! Ledermacher, wo sind die 300 Gulden?«

»Hier, Herr Baron, aber ich muß Sie sehr bitten, künftig doch mehr Rücksicht zu nehmen, wenn ein Fremder –«

»Halten Sie Ihre Zunge mit den Zähnen fest,« Ledermacher, unterbrach ihn der Baron, »ich empfehle Ihnen das als ein sehr hübsches Spielchen, das die Hände frei läßt, und geben Sie mir, Papier und eine Feder.«

Darauf nahm er einen Bogen und schrieb darauf, daß er, Otto Schweinsberg, von dem Schenkwirth August Ledermacher die Summe von 600 Gulden auf ein Jahr geliehen habe und solche mit 5% pro anno verrenten wolle. Dann fragte er, während er etwas auf das Papier zeichnete, den Gastwirth, der hinter ihm stand und die Daumen seiner gefalteten Hände mit rasender Geschwindigkeit um einander drehte, ob er wisse, wie man in der Sahara Löwen fangen könne, und als dieser seine Unwissenheit bekannte, theilte er ihm mit, daß das in der Weise geschehen könne, daß man die Sahara in ein Sieb thue und selbiges dann schüttele. Dann fiele der Sand durch und die Löwen blieben darin. Nachdem er noch einige ähnliche Räthsel aufgegeben hatte, stand er auf und übergab das Papier, das als Initiale die wohlgetroffene Carricatur des am Galgen schwebenden Wucherers zeigte, dem Original, riß ihm die Scheine aus der Hand, steckte sie, ohne sie zu zählen, in die Tasche und verließ mit seinen Gesellen das Zimmer.

Der Wucherer blickte ihm finster nach. »Warte nur,« murmelte er und drohte mit der geballten Faust hinter dem Baron her, »Du sollst noch an mich denken lernen. Du magst so reich sein als Du willst, so wie Du es treibst, wirst Du es doch nicht lange machen. Wo nur so ein Unsal von Mensch herkommen mag?«

Damit ging Herr Ledermacher, Schweinbergs Schuldschein zu den anderen zu legen.

Versuchen wir, seine Frage zu beantworten.

Otto Schweinsberg war seinem Temperamente nach einer von jenen, bei uns in allen Ständen vorkommenden Menschen, die lieber laufen als gehen, und lieber springen als steigen. Einer von den Menschen, die nicht bequem sitzen, wenn sich nicht ihre Füße höher befinden, als ihr Kopf, und die Nachts lieber neben dem Bette liegen, als in ihm. Er war ein Mensch, der lieber acht Stunden spazieren ging, als daß er eine Stunde arbeitete; der eine Meute Hunde lieber hörte, als die berühmteste Sängerin. Geld erschien ihm wie ein Ding, das einzig und allein da war, auf irgend eine Weise verbraucht zu werden, der gute Ruf – wie ein chimärisches Gebilde, um das sich Krämer und alte Weiber zu sorgen hatten, und jede Art Arbeit wie die gemeine Thätigkeit eines Knechtes. Nie war ihm wohler, als wenn Alles um ihn her blutige Köpfe, geschwollene Backen und blaue Augen hatte, und er hatte durchaus nichts dagegen, das Vergnügen, Andere in diesen Zustand zu versetzen, gelegentlich mit einer tüchtigen Tracht Schläge erkaufen zu müssen. Da aber alles Dieses lediglich Sache des Temperamentes war und mit der ganzen Naivität eines bodenlos leichtsinnigen Charakters ausgeübt wurde, so war es möglich, daß seine Freunde mit Erstaunen bemerkten, wie dieser wüste und lasterhafte Mensch doch bei alledem auch sehr gutmüthig war und gelegentlich große Weichheit und Herzlichkeit sehen ließ.

Sein bisheriger Lebenslauf war bunt genug gewesen. Der einzige Sohn eines reichen Grundbesitzers, war er früh Waise geworden und in das Haus eines Onkels gekommen, der, obgleich gebildet und persönlich brav, doch nicht im Stande war, den wilden Neffen zu bändigen. Nachdem er binnen eines Jahres drei Hauslehrer gehabt hatte, gab der Onkel den Knaben zu einem Pastor in Pension, der seiner Strenge und seines pädagogischen Geschickes wegen weithin bekannt war. Bereits nach acht Tagen kam Otto zurück und überbrachte ein Schreiben des Pastors, worin dieser dem Baron mittheilte, daß er sich völlig außer Stande sehe, ein so zuchtloses Kind länger in seinem Hause zu behalten. Otto habe gleich am zweiten Tage eine Schnur über die Treppe gezogen, so daß der Lehrer, der seiner Gewohnheit nach Abends ohne Licht sein Zimmer aufgesucht, darüber gefallen sei und sich stark beschädigt habe. Ueber seine That zur Rede gestellt, habe Otto keinerlei Reue an den Tag gelegt, und als er, der Pastor, ihn nun habe körperlich züchtigen wollen, sei der böse Bube mit einem Messer, das zufällig auf dem Tische gelegen, auf ihn losgegangen.

Da Otto auf Befragen alles dieses bestätigte, so war guter Rath theuer, und es blieb nichts übrig, als wieder zu Hauslehrern zu greifen, die, trotz des hohen Gehaltes, so lange mit rapider Geschwindigkeit wechselten, bis sich einer fand, dem es gelang, Otto wenigstens die nothdürftigsten Kenntnisse beizubringen. Als er dies erreicht hatte, verließ auch er das Haus und Otto kam in's Gymnasium, aus dem er nach einem Vierteljahr entfernt wurde, weil er sich mit allen seinen Kameraden geprügelt hatte und gegen alle seine Lehrer grob gewesen war.

Es folgten nun einige Jahre, in denen er dem Namen nach Privatstunden nahm, in Wahrheit aber sich mit lockeren Gesellen umhertrieb, jedem Mädchen nachlief, jeden Kellner ohrfeigte und für seine Jahre ungeheure Schulden machte. Die militärische Disciplin sollte ihn nun bändigen, brachte dieses Kunststück aber keineswegs zu Stande, denn er mußte schon als Junker seinen Abschied nehmen, weil er seinen Schuhmacher, der ihn seiner Ansicht nach zu heftig an eine Schuld mahnte, aus dem Fenster geworfen hatte. Aus dem mehrmonatlichen Arrest, in den er dafür gekommen war, entlassen, begab er sich auf deutsche Universitäten, auf denen er nun, mittlerweile mündig geworden, ein tolles Leben führte, in dem die Studien gar keine, die Kneipen, der Fechtboden, die Mensur und die Kirchweihen auf den benachbarten Dörfern aber eine um so größere Rolle spielten. Dabei erhielt sich sein stahlfester Körper trotz des ausschweifenden Lebens so frisch, daß er im Stande war, auf einem Balle der munterste Tänzer zu sein, nachdem er die letzten 48 Stunden ausschließlich damit zugebracht hatte, enorme Quantitäten Bier und Wein zu vertilgen, und sich zur Abwechslung mit Handwerkern zu raufen, oder mit Studenten zu schlagen. In allen sogenannten freien Künsten ungemein geschickt, witzig und immer lustig, war er das Entzücken aller lockeren Gesellen, das Entsetzen seiner studentischen Gegner, der Schrecken ehrbarer Bürger der Stadt und der Held eines Sagenkreises, dessen einzelne Kapitel schüchterne Füchse sich mit gesträubtem Haar um die Gespensterstunde gegenseitig vortrugen.

Heinz eilte voller Entrüstung über den rohen, durch nichts veranlaßten Angriff nach Hause zurück. Dort suchte er seine Bekannten unter den Arminen auf und fragte sie, nachdem er ihnen sein Abenteuer erzählt hatte, was er nun anzufangen habe, um sich auf den bevorstehenden Kampf vorzubereiten.

Die Aufnahme, die seine Mittheilung bei den Bekannten fand, war wenig geeignet, ihm Muth zu machen. Sie faßten sein Vorhaben als ein tolles Wagniß auf und sprachen zu ihm in einem so mitleidigen Tone, als ständen sie bereits an seinem Sterbebette, stellten ihm übrigens ihre Waffen zur Verfügung. Noch während dieser Besprechung wurde Heinz abgerufen, und als er sein Häuschen aufsuchte, fand er daselbst einen Westfalen, der sich ihm als Graf Westerberg vorstellte und ihn in höflichem Tone fragte, ob er noch Fuchs sei oder nicht. Als Heinz die Frage bejahte, erklärte der Graf in diesem Falle im Namen seines Freundes Heinz um Entschuldigung bitten zu müssen. Der Graf war nicht wenig erstaunt, als Heinz, dem das Blut noch kochte, ihm kurz erklärte, daß die Entschuldigung zu spät komme, und es bei dem Duelle sein Bewenden haben müsse. »Sagen Sie Ihrem Baron,« rief Heinz, »daß ich ihm zeigen will, daß auch ein Fuchs stark genug sein kann, einem frechen Junker das Fell zu zerhauen, und daß es an mir nicht liegen soll, wenn er nicht richtige Bauskesche Hiebe bekommt.«

Dieser unnütze Ausfall hatte zunächst die Folge, daß nun auch der Graf Heinz forderte, aber dieser, im innersten Herzen empört und beleidigt, war in der Stimmung, es mit der ganzen Westfalia aufzunehmen.

Als er zu den Burschenschaftern zurückgekehrt war, wurden ihm von denselben lebhafte Vorwürfe über sein unbesonnenes Verfahren gemacht; aber Heinz blieb um so hartnäckiger bei seiner Absicht, als er wohl sah, daß die Vorwürfe nicht allzu ernst gemeint waren und man sich im Grunde über sein muthiges Wesen freute.

Unterdessen berichtete auch der Graf über den Erfolg seiner Sendung und Schweinsbergs Zorn loderte hell auf. Er schwor hoch und theuer, Heinz einen Denkzettel zu geben, den er sein Lebtag nicht loswerden solle.

Am Abende vor dem Duelle war Heinz doch nicht ganz wohl zu Muthe. Hatte er auch als Schüler gelernt, mit dem Rappier umzugehen, so war er sich doch bewußt, seinem Gegner durchaus nicht gewachsen zu sein und die besorgten Gesichter seiner neuen Freunde waren nicht dazu angethan, seinen Muth zu heben. Als er Abends zeitig nach Hause ging, taumelte vor ihm ein Betrunkener, der, mit der Faust einem unsichtbaren Gegner drohend, ein über das andere Mal rief: »Ich schlage ihn todt! Mausetodt schlage ich ihn!« Das erschien Heinz als ein böses Omen, wer aber nun geglaubt hätte, daß ihm deshalb der Muth sinken würde, der hätte sich auf die Eichenstamm'sche Natur schlecht verstanden. »Ich will jedenfalls mein Leben so theuer als möglich verkaufen,« murmelte er und fühlte, wie die Freude am Kampfe, an der Gefahr in ihm aufstieg.

Als am andern Morgen die Freunde kamen, um ihn abzuholen, fanden sie ihn noch im tiefen Schlafe, und als er nun aus dem Bette sprang, leuchtete sein Gesicht, als wäre er zu seiner Hochzeit geweckt worden. Als ihm die Freunde, angenehm überrascht durch sein muthiges, fröhliches Wesen, darüber Komplimente machten, erwiderte er: »Wie soll ein Mann nicht an dem Tage fröhlich sein, an dem es ihm zum erstenmal vergönnt ist, sich sein Leben gleichsam selbst zu erkämpfen!«

Es war, als ob altgermanische Kampfeslust über ihn gekommen wäre. Er legte seine beste Wäsche an und schmückte sich auf's Sorgfältigste.

Auf dem Kampfplatze staunten auch die Gegner über sein zuversichtliches Auftreten.

»Du hast ganz recht,« flüsterte Schweinsberg seinem Secundanten zu, »der Bursche ist so wenig ein Fuchs als Du. Er soll mir an die Lüge denken!«

Wenn der Baron sich so bereits einigermaßen darauf vorbereitet erwies, es mit keinem verächtlichen Gegner zu thun zu haben, so war er doch nicht wenig von der ungeheuren Kraft, mit der Heinz, über den die ganze Wildheit seines Temperamentes gekommen war, einen Hagel blitzschneller Hiebe auf ihn führte, überrascht. Dabei war die Kraft und Schnelligkeit, mit der sie auf ihn herabregneten, so groß, daß er nicht einmal Zeit fand, eine Blöße, die sich etwa der Gegner gab, zu erspähen, sondern sich ganz auf die Vertheidigung angewiesen sah, und er dankte es nur seiner großen Gewandtheit, daß Heinzens Säbel ihn nur mit der Spitze traf und ihm die Stirnhaut durchschnitt, statt ihm den Schädel zu spalten.

Die Secundanten sprangen nun ein, und die Westfalen versuchten vergeblich das Bluten der mehrere Zoll langen Wunde zu stillen.

»Abscheulich,« sagte der Graf zu Schweinsberg, »aber Du wirst Dich abführen lassen müssen!«

»Nicht um die Welt!« war die Antwort. »Drücke den Schwamm fester an, ich bin ja kein altes Weib! Ich soll mich von einem Fuchs abführen lassen?«

»Er ist gewiß kein Fuchs.«

»Einerlei, er giebt sich für einen solchen aus. Laß mich wieder antreten.«

»Sie traten einander wieder gegenüber, aber das Blut lief Schweinsberg gerade in die Augen, der Arzt gebot: »Halt!«

»Sie müssen sich abführen lassen, Baron,« sagte er. »Sie dürfen sich auf keinen Fall weiter schlagen.«

»Ich muß! Lassen Sie mich,« rief der Baron wild, indem er sich vergeblich bemühte, das Blut mit dem Handschuh abzuhalten.

Aber er zürnte vergebens. Die Burschenschafter appellirten an den Unparteiischen, und Otto Schweinsberg sah sich zum erstenmal in seinem Leben besiegt, und zwar von einem Fuchs!

Obgleich am ganzen Leibe vor Leidenschaft bebend, überlegte er doch kalt: Dem Affront muß um jeden Preis die Spitze abgebrochen werden. Mit der linken Hand den Schwamm an die Stirn drückend, trat er auf Heinz zu und reichte ihm die noch gewappnete Rechte:

»Pardon, Herr Eichenstamm,« sagte er, »daß ich Sie neulich so gröblich provocirt habe. Ich wußte weder, daß Sie ein Landsmann von mir, noch daß Sie ein Fuchs seien. Aber nun, da Sie mir tüchtig heimgeleuchtet haben, darf ich mich wohl als entschuldigt betrachten. Schlagen Sie ein, Landsmann!«

Heinz, der, freudig gehoben durch den unerwartet glücklichen Ausgang des Handels, durchaus nicht in der Lage war, die Motive, aus denen der Gegner handelte, zu erkennen, und dessen ritterlichem Sinne diese Wendung ganz nach dem Herzen war, schlug freudig ein.

»Auf gute Freundschaft, Landsmann,« sagte er.

Als sie sich getrennt hatten, fragte der Graf mürrisch: »Was war denn das, Otto?«

»Was das war? Eine freundschaftliche Begrüßung zweier Landsleute.«

»Nun, vor einer Stunde schien es durchaus nicht, als ob Du so freundschaftlich gestimmt seiest.«

»Nein. Vor einer Stunde wußte ich ja auch nicht, was Eichenstamm für ein prächtiger Junge ist. Der muß bei uns einspringen!«

»Du vergißt, daß ich mit ihm hänge.«

»Ah – so, nun, dann kann er ja Dir auch erst ein Loch in den Kopf schlagen und dann bei uns einspringen!«

»Ich verstehe Dich nicht, Otto!«

»Ja, mein Alterchen, dabei kann ich Dir nicht helfen – wie viel Nadeln werden es sein, Doctor? – Das ist Dein perpetueller Zustand. Weine aber darüber nicht, man kann, wenn man kein Backfisch ist, mit einander sehr befreundet sein, ohne sich zu verstehen. Als ich ein Knabe war, war der Stalljunge meines Onkels mein bester Freund, und doch war der arme Kerl taubstumm. Das hat uns gar nicht gehindert, beim Reiten und auf dem Schnepfenstrich immer zusammen zu halten.«

»Schön, schön! aber die plötzliche Liebe –«

»Plötzliche Liebe? Weißt Du denn nicht, daß die Liebe immer plötzlich kommt, wie der Hahn sagte, als er zufällig einen Regenwurm fand. Du hast mir selbst erzählt, daß Deine Großtante mit ihrem Hauslehrer davon lief, nachdem er drei Wochen in ihrem Hause gewesen war, da sehe ich nicht ein, warum ich mich nicht in diesen Jungen verlieben soll, nachdem er mir einen Hieb von zehn Nadeln – sind's so viel, Doctor? – beigebracht hat.«

Heinz wurde unterdessen im Triumph auf die Kneipe der Burschenschafter geführt und war der Gegenstand allgemeiner Bewunderung. »Sie haben,« sagte ihm der Senior, »obgleich Sie nicht zu uns gehören, unseren Waffen alle Ehre gemacht!« Andere, zumal die Füchse, rückten deutlicher mit der Sprache heraus: Heinz solle Armine werden. Heinz ließ auch nicht lange um sich werben, und noch vor Abend war er Fuchs der Arminen.


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