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Nochmals der Herr von Schweinsberg.

Am Tage, der auf das Kluge'sche Fest folgte, erhielt der Convent der Arminia ein Schreiben von dem Herrn von Schweinsberg, das ungemein de- und wehmüthig lautete, eine förmliche Abbitte enthielt und nur dadurch großen Anstoß erregte, daß es auch im Namen seines Armin abgefaßt war. Es thäte ihnen Beiden, hieß es in dem Briefe, ihr neuliches Betragen ungemein leid und sie sähen wohl ein, daß es roh und ungebildet gewesen wäre, sie hätten aber an dem betreffenden Morgen einen so heftigen Katzenjammer gehabt, daß sie unzurechnungsfähig gewesen. Sie bäten in Rücksicht auf diesen Umstand und auf ihr gegenwärtiges reumüthiges Bekenntniß um Niederschlagung der gegen sie bei dem Seniorenconvent eingebrachten Beschwerde und versprächen, dergleichen nie wieder zu thun und künftig immer ganz artig zu sein, wie es Mensch und Hund von Familie gezieme. Sie wollten übrigens, hieß es zum Schlusse, nicht verhehlen, daß der Wunsch, mit ihrem Landsmanne Eichenstamm auch künftig verkehren zu können, ihren Entschluß beschleunigt habe. Unterzeichnet war das Aktenstück mit dem Wappen des Barons (das einen Eberkopf wies, mit der Devise: »Hüt' Dich, Mann, vor Ebers Zahn!«), und mit einem großen Tintenklex, der offenbar von einer Hundepfote herrührte.

Die Theilnahme Armins verdarb, wie man sich denken kann, Alles, und es wurde beschlossen, das Schreiben unbeantwortet zu lassen. Heinzens geheime Hinneigung zu dem Sünder wurde durch dessen Motivirung seines Gefühls aber natürlich nicht vermindert, und er bedauerte es nicht wenig, den pikanten Umgang nicht fortsetzen zu dürfen. Wenn ihm übrigens eine Ahnung sagte, daß der Verkehr mit dem Baron nicht zu leicht abzubrechen sein würde, da dieser sich offenbar auf derselben pointirte, so sollte seine Ahnung bald zur Gewißheit werden. Als er nämlich am Abend eben eingeschlafen war, wurde an sein Fenster geklopft, und als er die Thür öffnete, traten Schweinsberg und sein Armin, der Erstere in einen weiten Mantel gehüllt, der Andere mit einer Decke bedeckt, bei ihm ein.

»Morjen, Eichenstamm!« sagte der Baron, indem er den Mantelkragen zurückwarf und mit einem raschen Handgriffe den Hund der Decke entledigte. »Bei Gott! Muß Ihnen sehr schmeichelhaft sein! Wir kommen zu Ihnen bei nächtlicher Weile, wie Nicodemus!«

Und als Heinz zögernd dastand, fuhr er fort: »Können uns immer noch die Hand reichen, Eichenstamm, – Armin, mein Junge, gieb dem Herrn da die Pfote – noch schweben die Unterhandlungen und wir sind noch nicht im Verruf.«

Heinz lachte. »Ja, das ist wahr,« sagte er und reichte den Beiden die Hand.

»Werden sich erkälten, Eichenstamm, wenn Sie mit bloßen Füßen dastehen; gehen Sie nur wieder in's Bett, wir kommen zu Ihnen in's Schlafzimmer,« meinte der Baron. Dann trug er sich einen Stuhl neben Heinzens Bett und ließ sich, indem er nicht duldete, daß Heinz aufstand, auf den Stuhl nieder. Nun zündete er sich eine Cigarre an und sagte:

»Wir sehen wohl höllisch schauerlich aus, Armin und ich? Was? Pluto und der Höllenhund? Was? Fra Diavolo? Was? Ich geb' Ihnen mein Wort, Eichenstamm, als wir so vermummt über die Hecke stiegen, erschrak Einer vor dem Andern.«

»Aber warum hatten Sie sich denn so verhüllt?«

»Wollten Sie nicht compromittiren. Zu fremden Frauen und fremden Farben geht man am liebsten bei Nacht, und dann ist es ohnehin amüsanter, im Dunkeln durch's Fenster zu steigen, als bei hellem Tageslichte durch die Thür zu gehen. Was? Sind Sie auch schon so gestiegen, kleiner Schäker? Was? Charmant, bei Gott!«

»Nein, aber ich kann mir wohl denken, daß das seinen Reiz hat.«

»Hörst Du, Armin, mein Junge, er kann sich's denken! Haben uns nicht in ihm geirrt! Was? Was ich sagen wollte – das war doch sehr hübsch von uns Beiden? Was?«

»Was denn?«

»Nun, das mit dem Briefe. Hören Sie, Väterchen, der Brief war doch schauderhaft demüthig? Was? Ich sage Ihnen, wir Beide wissen jetzt, was dichten heißt. Wir Beide wissen jetzt, wie Goethe und Schiller es gemacht haben. Wenn wir mehr Zeit hätten, würden wir jetzt eine Komödie schreiben: Die beiden Festredner oder der in Verruf gethane Corpsbursch und sein Hund. Was meinen Sie zu dem Titel, Landsmann?«

»Was hat denn aber gerade jetzt die poetische Ader in Ihnen geweckt?«

»Nun, der Brief natürlich. Sehen Sie, in uns Beiden steckt nicht für ein Dittchen Demuth, und da machten wir nun, um in die Stimmung zu kommen, uns zunächst ein Paar Käppchen, setzten uns auf die Diele, machten möglichst versimpelte Gesichter und pfiffen und heulten rasch die Melodie eines Sterbeliedes. Nach einiger Zeit sehe ich in Armins Auge eine Thräne schimmern. Der Moment muß benutzt werden, denke ich, und da auch mir ganz scheußlich zu Muthe geworden ist, so meine ich, daß wir nun in die richtige Küsterstimmung gekommen sind. Sehen Sie, da schrieben wir den Brief. Aber, nicht wahr, er war auch sehr gut ausgefallen? Was?«

»Soll ich Ihnen einige Complimente über ihn machen?«

»Nein, das gerade nicht, sehen Sie, Armin ist noch so jung, er könnte dadurch verdorben werden, aber sagen Sie uns, welchen Erfolg er gehabt hat. Wir setzen voraus, daß der ganze Convent in Thränen der Rührung schwamm, daß der Senior unsern Brief nur mit stockender Stimme vorlesen konnte und daß Sie speciell vor Sympathie heulten, wie wir Beide heute Vormittag. War das so? Was?«

Heinz erzählte nun, welchen Erfolg der Brief gehabt, der Baron aber schien bereits an andere Dinge zu denken, wenigstens fragte er, als Heinz geendet hatte: »Haben Sie keine andere Decke als diese?«

»Nein,« sagte Heinz einigermaßen verwundert, »warum?«

» Nun, diese scheint ein bischen dünn zu sein. Also gar keine Antwort bekommen wir? Hören Sie, Eichenstamm, das ist doch ein wenig stark.«

»Warum ließen Sie den Armin nicht aus dem Spiele?«

»Er war ja doch der Hauptschuldige! Soll ich ausbaden, was mein Junge in seinem Leichtsinn angiebt? Nein, der kommt mir nicht von der Seite. Sie kennen seinen bodenlosen Leichtsinn nicht, Eichenstamm! Wenn ich nicht immer hinter ihm her wäre, man hätte ihn schon längst von der Universität gejagt, und er wäre jetzt wer weiß wo.«

»Ja,« fuhr der Baron dann seufzend fort, indem er die Hände faltete, und einen sehr sanften Ton anschlug, »die Kinder machen Einem wohl viel Sorge, aber dafür doch auch manche Freude. Sie hätten gestern sehen sollen, mit welcher Geschicklichkeit mein Junge hier dem Schulzen in Rappelsdorf, der dicken Kreatur, das Käppchen vom Kopfe apportirte! Ich sage Ihnen, das war so ein Augenblick der Elternfreude, der Unsereinen für viele Stunden banger Sorge entschädigt. Es war wirklich sehr geschickt! Dabei fällt mir ein – haben Sie sich schon für einen Beruf entschieden, mein Sohn?«

»Nein, mein Vater!« entgegnete Heinz, der auf den albernen Ton einging.

»Noch nicht? Sind Sie verlobt?«

»Auch das nicht.«

»Schade, sonst hätten Sie natürlich Theologie studirt, denn sich verloben und Theologie studiren sind beides ein paar eben so unschuldige als keusche Vergnügungen, und man findet sie daher gewöhnlich beisammen. Sind Sie Jäger?«

»Nicht eigentlich.«

»Dann sind Sie auch zum Arzte verdorben, denn ein solcher muß eine alte Flinte und ein paar krummbeinige Dachshunde haben. Außerdem darf es ihm seiner weiblichen Patienten wegen nicht an Gemüth fehlen. Haben Sie Gemüth?«

»So, so, zur Nachfrage.«

»Nein, das genügt nicht. Sie machen mich ernstlich besorgt. Leiden Sie am Magen, so daß Ihnen die Bitternisse täglichen Aergers Bedürfniß sind, oder haben Sie einmal eine Krankheit gehabt, die sich von Zeit zu Zeit wieder einstellt und dann eine Hungerkur nothwendig macht?«

»Auch das nicht.«

»Ei, da sind Sie ja auch zum Lehrer verdorben. Ich würde Ihnen die academische Carriere empfehlen, sie ist erträglich, vorausgesetzt, daß man während der Vorbereitung auf dieselbe weder erblindet, noch am Schlagflusse stirbt, noch verhungert, wenn sie es nicht mit sich brächte, daß man tagtäglich mit Studenten zu thun hat; wie zuwider einem dieses Gesindel wird, weiß ich aus Erfahrung, obgleich ich erst seit sechs Jahren mit ihm verkehre. So ein Professor lebt in steter Fiction. Die erste Fiction ist die, daß er das, was er vorträgt, selbst versteht, die zweite die, daß die Studenten, die da vor ihm sitzen, verstehen wollen, was er selbst nicht versteht, und die dritte die, daß sie es verstehen. Nein, Landsmann, zu einem solchen rein fiktiven Beruf kann ich Ihnen nicht rathen.«

»Was meinen Sie zur Jurisprudenz, mein Vater?«

»Ich meine, daß man, um sich bei der Jurisprudenz wohl zu befinden, ein Packesel sein muß oder eine Maschine. Wenn man nämlich Beamter wird, ein Packesel, und wenn man Richter wird oder Advocat, eine Maschine. So pünktlich wie eine Maschine und so rastlos wie eine Maschine und so herzlos wie eine Maschine. Man kann dann in seinem siebenzigsten Jahre soweit kommen, daß man sich Equipage, eine hübsche Maitresse, eine gute Jagd halten darf, alles Dinge, die man dann nicht mehr brauchen kann.«

»Aber, was dann.«

»Ich will Ihnen einen guten Rath geben, Eichenstamm. Legen Sie sich vorläufig nur auf das Kneipen und das Vergessen. Wenn Sie es in diesen Dingen weit gebracht haben, so werden Sie im Eisenbahndienst ein Plätzchen finden, das eben so einträglich als standesgemäß ist. So, und nun haben wir Sie lange genug vom Schlaf abgehalten und wollen uns wieder davon schleichen.« Damit stand der Baron auf, hüllte sich und seinen Hund wieder sorgfältig ein und ging davon, indem er Heinz noch beim Abschiede auf die Vorzüge seines letzten Vorschlages aufmerksam machte.

Die Sorge übrigens, wie sich sein Verhältniß zum Landsmann in Zukunft gestalten sollte, wurde für Heinz dadurch beseitigt, daß der Baron von Universitätswegen für alle Zeit für das Gebiet des ganzen deutschen Bundes relegirt wurde. Das Actenstück, das diesen Beschluß den Studirenden in Fischersbach sowie sämmtlichen übrigen deutschen Hochschulen mittheilte, war in einem so geschraubten Stile abgefaßt, daß es allerorten die größte Heiterkeit erregte und von König in unsterbliche Verse gebracht wurde. Das Publikum erfuhr daraus: Daß die spanischen Eroberer Bluthunde gehabt hätten; daß sie dieselben zum Einfangen entflohener Sclaven benutzt; daß ein deutscher Dorfschulze ganz etwas Anderes sei, als ein armer Sclave; daß es trotzdem Leute gebe, die deutsche Dorfschulzen mit Bluthunden hetzen, und daß ein solcher Mann der Baron Otto Schweinsberg sei.

Unter diesen Umständen kann es Niemand Wunder nehmen, daß der Baron bei seinem letzten Umzuge durch die Stadt Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit wurde und das umsomehr, als der betreffende Bluthund an nicht weniger als sechs Ketten, von nicht weniger als sechs Corpsburschen hinter ihm hergeführt wurde; als vor demselben ein Banner getragen wurde, das die Inschrift trug: »Für leichtsinniges Apportiren relegirt!« und als endlich der Zug mit einem von zwei starken Ochsen gezogenen Wagen schloß, auf welchem sich ein ganzer Sack Silbergeld befand, denn in dieses hatte der Baron den Wechsel, den er sich zum Bezahlen seiner Schulden hatte schicken lassen, umgewechselt. So ging der Zug, unter unendlichem Zulauf des Publikums, von einem Gläubiger des Barons zum andern, und da diese so ziemlich über die ganze Stadt verbreitet waren, so gab es kaum ein Gäßchen, dessen Bewohner nicht in der Lage gewesen wären, aus eigener Anschauung zu berichten, daß und auf welche Weise Otto Schweinsberg seine Schulden bezahlte.

Darauf gab der Baron im Wirthshaus zu Rappelsdorf noch ein solennes Abschiedsessen, bei dem er der Dankbarkeit, die er der Universitätsobrigkeit dafür schulde, daß sie ihm endlich dazu verholfen habe, seine Studien zu beenden, einen beredten Ausdruck verlieh, und fuhr dann, fröhlich und guter Dinge, zugleich mit seinem Armin davon.

Heinz aber blieb und lebte sich rasch ein mit den Gesellen, die ihn umgaben und wurde bald ein geachtetes, einflußreiches Glied in der kleinen Studentenrepublik. Seine Energie, sein rücksichtsloses Dreinfahren, wo es galt, seine Meinung zu vertreten, sicherten ihm hier ebenso ein Uebergewicht, wie früher auf der Schule, und das um so mehr, als er sich in dem von ihm erwählten Fache, der Geschichte, bald auszeichnete. Fehlte es ihm auch keineswegs an Gegnern, welche behaupteten, sein Einfluß auf die Arminen sei ein überaus verhängnißvoller, weil ihm das eigentliche Verständniß für die Aufgabe der Burschenschaft total abgehe, so ging er doch aus jedem Kampfe siegreich hervor. Er behauptete, daß die Voraussetzung jedes Einflusses in der Studentenwelt ein strammes Auftreten auf der Mensur sei, und er setzte es durch, daß die Arminia sich diese Anschauung aneignete und zu großer Entrüstung der übrigen Burschenschaften in dieser Beziehung es mit den Corps hielt.

Bald war Heinz ein junger Mann, von dem in Fischersbach Jedermann sprach. Die Professoren redeten von seiner Begabung, die Studenten von seiner Geschicklichkeit im Schlagen und Schießen, die Mädchen und Bürger von seinem schönen und stattlichen Aussehen. Die alten Herren der Arminia aber schüttelten die Köpfe und wollten von seinem Einflusse nichts wissen, und von ihnen hielten es nur wenige mit Heinz, unter ihnen der alte Pastor Werde.

Heinz selbst lernte, wirkte und lebte einzig und allein im stolzen Bewußtsein des Einflusses, den er ausübte, der Anerkennung, die er fand, und obwohl er, nach Art der Burschenschafter, viel von Grundsätzen und Patriotismus sprach, so war das doch bei ihm nur leeres Gerede, mit dem er sich und Andere täuschte.


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