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Otto Schweinsberg.

Am folgenden Tage, es war ein Sonntag, war große Fuchsrenommage, und Hanning, den Heinz sich am Tage zuvor zum Leibburschen gewählt hatte, weckte seinen Fuchs schon früh, um ihn auf den Tag vorzubereiten. Er hatte auch schon den betreffenden »Wichs« mitgebracht, und so sah Heinz sich denn bald mit einer schwarzen Pikesche, weißen, eng anliegenden Beinkleidern und schwarzen Stulpenstiefeln bekleidet, welcher Anzug ihm übrigens vorzüglich stand. So angethan, das schwarz-roth-goldene Cerevis auf dem Kopfe, ging es nun hinaus auf den Markt, wo sich bereits Füchse aller Farben vor der Kirchenthür versammelt hatten, um dann, geführt von den Fuchsmajors und von den Blicken der älteren Burschen kritisch betrachtet, einen feierlichen Rundgang um den Platz anzutreten, während die Leute, die aus der Kirche kamen, ihrem Treiben zusahen und die Stadtmusikanten vom Kirchthurme herab einen Choral bliesen. Heinz, innerlich bereits zu alt zu solchem Spiele, und schon von Natur allem Formwesen gründlich abgeneigt, empfand ein gewisses Schamgefühl, versöhnte sich aber doch mit der Ceremonie, als er inne wurde, daß er der Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit sei. Wo er vorüber kam, stießen die Leute sich an: »Seht einmal, was das für ein hübscher Bub' ist. Seht, was die Arminen für einen stattlichen Fuchs haben,« hieß es.

Aus einem Fenster schaute auch Schweinsberg, in einen polnischen Schlafrock gehüllt, den Kopf mit einem rothen Tuche phantastisch umwunden, heraus, indem er aus einer unbändig langen Pfeife rauchte, die fast bis auf das Pflaster herab reichte und an ihrem Ende einen riesigen Meerschaumkopf trug. Neben ihm beobachtete auch eine große Ulmer Dogge, den Kopf auf die Vorderpfoten gestützt, den Umzug, ohne zu ahnen, welchen Zorn die schwarz-roth-goldene Schärpe, die ihr um den Hals geschlungen war, erregen mußte. Sein Herr aber, damit noch nicht zufrieden, stimmte, gerade als die Arminenfüchse sich dem Fenster gegenüber befanden, mit einer zwar unschönen, aber um so lauteren Stimme ein Lied an, in das auf ein gegebenes Zeichen seine Dogge mit lautem Geheul einfiel. Das Lied aber lautete so:

Das Band ist zerrissen
Von schwarz-roth und gold,
Meine Dogge hat's zerbissen,
Wer weiß, was die gewollt.

»Dummer Junge!« – »Das ist zu frech!« »Dummer Junge!« »Dummer Junge!« tönte es von allen Seiten; Schweinsberg aber verneigte sich überaus höflich und rief:

»Meine Herren! Hat mein Armin hier,« dabei wies er auf seinen Hund, »den dummen Jungen auch auf sich zu beziehen? Mitgesungen hat er.«

Die Corpsburschen, zumal die Westfalen, die in dichten Haufen unter Schweinsbergs Fenster standen, brachen in ein wieherndes Gelächter aus, während die Burschenschafter, entrüstet über den ihnen angethanen Schimpf, nach allen Seiten hin forderten. Schweinsberg aber, in der übermüthigsten Laune, sprang auf, wickelte die bewußte Schärpe vom Halse seines Hundes und rief, die Fahne hin und her schwenkend, mit Donnerstimme: »Silentium!« und als wirklich einen Augenblick Alles schwieg, schrie er, den heiseren Kehlton der Turnfestredner trefflich copirend, überlaut:

»Deutsche Brüder! Mein Freund – Armin – hier, ein – deutscher – Hund« – das Lachen der Corpsstudenten und das Geschrei der Burschenschafter ließ ihn nicht weiter sprechen, und wer weiß, wozu es nicht noch gekommen wäre, wenn nicht einige Professoren herbeigeeilt wären, deren Zureden es gelang, die auf's Aeußerste gereizten Burschenschafter dazu zu bewegen, sich zu entfernen. Schweinsberg aber, der sich in der behaglichsten Stimmung befand, liebkoste seinen »Freund« ohne Ende: »Du bist ein Prachtkerl! Du bist eine Perle von einem Hunde! Man wird sich um Dich reißen, mein Junge! Deine Jungfernrede war so schön, daß man Dich nächstens mit einem Extrazuge zu jedem Turn- und Schützenfeste abholen wird. Ja, als Festredner! Du wirst es weiter bringen als Dein Herr, Du süßer Taugenichts!«

Heinz hatte anfangs voller Staunen dem Treiben zugesehen; das tolle Stück fand übrigens eine verwandte Saite in seiner Brust, und er war mehr zum Lachen geneigt, als daß er sich geärgert hätte. Uebrigens forderte er frisch drauf los und folgte dann seinen Kameraden, die sich auf ihre Kneipe begaben, um sogleich zu beschließen, wie man die empfangene Beleidigung rächen solle. Es wurde schließlich einstimmig beschlossen, den S. C. (das heißt den Seniorenconvent der Corps) aufzufordern, Schweinsberg zu dimittiren, im Falle einer abschlägigen Antwort aber die Corps sammt und sonders in Verruf zu thun. Da man, in Folge der starken Aufregung, in der man sich befand, für nöthig gehalten, nach sothanem Beschlusse mit einer tüchtigen Portion Bier sich zu stärken, so fühlte Heinz das Bedürfniß, sich nach Tisch auf sein Zimmer zurückzuziehen, hatte sich aber kaum auf das Sopha geworfen, als er zu seiner nicht geringen Verwunderung Schweinsberg in Begleitung seines Armin bei sich eintreten sah.

»Gu'n Morjen, Landsmann!« sagte er so unbefangen, als käme er eben aus der Heimath und reichte Heinz die Hand, »muß doch sehen, wie Sie sich in dem verdammten Nest eingerichtet haben.«

Heinz, der bereits eine gewisse Zuneigung für seinen Gegner verspürte und außerdem noch zu ungewandt war, um zu wissen, was er zu thun hatte, nahm die dargebotene Hand an. Der Baron warf sich behaglich in die Sophaecke und schaute sich zufrieden im Zimmer um, als käme er zum ersten Mal in die neue Wohnung seines intimsten Freundes.

»Hier über dem Sopha müssen Sie ein Bild aufhängen, Eichenstamm,« sagte er dann, »etwa Hermann und Dorothea, oder die Wacht am Rhein, oder sonst etwas Historisch-Germanisches.«

»Meinen Sie?«

»Ja, dann weiß man doch wie? und wo? Was studiren Sie denn, Eichenstamm?«

»Darüber bin ich noch nicht mit mir einig, ich will mich erst mit den verschiedenen Facultäten bekannt machen, ehe ich eine Wahl treffe.«

»Charmanter Gedanke, Eichenstamm! Ganz mein Fall. Ich sehe mich auch schon seit sechs Jahren nach einem Studium um, das mir convenirt, habe aber noch immer keines ausfindig machen können. Vorläufig hab' ich nur erst allgemein bildende Fächer abgehört: Angewandte Chemie der geistigen Getränke, Physiologie der Commilitonen, Anatomie des Weibes! Sehr interessantes Studium, Eichenstamm!«

Heinz lachte. »Nach Allem, was ich höre, müssen Sie sehr fleißig gewesen sein,« sagte er.

»So? Sagt man das von mir? Das freut mich wirklich. Wenn Sie nach Hause schreiben, Eichenstamm, müssen Sie dessen erwähnen. Ich hab' es schon so oft geschrieben, daß mein alter Onkel so unverständig ist, es nicht mehr zu glauben. Kennen Sie meinen alten Onkel, den Bachhöf'schen Schweinsberg?«

»Nur vom Hörensagen.«

»Nun, Sie haben daran auch nicht viel verloren. Es ist ein alter Herr mit einem langen Schnurrbarte, kurzem Verstand und einer ganz unverständigen Beredtsamkeit. Er kann über einen geohrfeigten Kellner oder über im Spiel verlorene 500 Rubel drei Stunden en suite sprechen, ohne dabei einen Witz zu machen und ist ganz außer Stande, einen Brief zu schreiben, der kürzer ist als zwei Seiten. Ich glaube nicht, daß alle Pastoren und Küster unserer Heimath zusammen so viel Moralität im Leibe haben, wie er und seine Frau, und ich will ein halbes Jahr hindurch täglich in's Colleg laufen, wenn die Beiden nicht so langweilig sind als alle Pastorentöchter der ganzen Welt. Wenn Sie wieder nach Hause zurückkommen, müssen Sie sich vor meinem Onkel und meiner Tante in Acht nehmen, Eichenstamm.«

»Ich habe nicht das Vergnügen, Ihren Herrn Onkel und Ihre Frau Tante zu kennen,« erwiderte Heinz.

»Weiß schon, weiß schon. Beglückwünsche Sie. Wahrscheinlich kennen Sie auch Gustav Schweinsberg, den jüngeren, nicht und Duding Schweinsberg? Nein, nun das ist schön. Wäre dies der Fall, so würden Sie in ihm die Bekanntschaft eines jungen Mannes gemacht haben, der so verdrießlich ist wie ein Hamster, so faul wie ein Dachs und so langweilig wie ein Hase bei Regenwetter, und was meine Cousine anbetrifft, so bin ich überzeugt, daß Sie noch nie ein so faules und so schönes Geschöpf gesehen haben, als sie. Sie ist so faul, daß sie lieber verdurstet, als dem Diener befiehlt, ein Glas Wasser zu bringen und so schön, daß alte Kerls blöde werden, wenn sie ihnen in die Augen sieht. Sehen Sie, Eichenstamm, nun habe ich Sie in meine Familienverhältnisse eingeführt, thun Sie jetzt desgleichen.«

Heinz erzählte nun, wer seine Eltern gewesen seien, und wie und wo er erzogen worden. Der Baron rauchte dazu eine Cigarre, die Heinz ihm angeboten hatte und hörte aufmerksam zu. Dann fragte er plötzlich:

»Warum sind Sie eigentlich Büchsier – Pardon – Burschenschafter geworden?«

»Weil es mir scheint,« erwiderte Heinz, »als ob unter den Burschenschaftern ein regeres, geistiges Leben herrscht, als unter den übrigen Verbindungen. Weil ich in diesem Kreise Freunde zu finden hoffe, die mit mir in der Liebe zu allem Schönen und Guten übereinstimmen.«

Der Baron sah Heinz erstaunt an.

»Sie sind ja ein schandbar ernsthafter junger Mensch, Eichenstamm. Zu allem Schönen und Guten sagten Sie. Du lieber Gott! Zu allem Schönen und Guten!«

»Ja, was ist denn dabei auffallend?«

»Wie? Auffallend? Nun, eigentlich Nichts, aber es kommt mir so merkwürdig vor, daß Sie, jung, hübsch und nicht arm, wie Sie sind, von dem Schönen und Guten reden.«

»Aber streben Sie denn nicht nach dem Schönen und Guten?«

»Ob ich nach dem Schönen und Guten strebe? Ich? Donnerwetter, nein! Wenn ich das je in meinem Leben drei Stunden lang gethan habe, so können Sie mir noch drei solche Löcher in den Kopf schlagen, wie dies hier!«

»Sie machen sich schlechter, als Sie sind.«

»Ich wünschte, Sie hätten recht! Aber jetzt weiß ich, was Sie werden müssen. Sie müssen Pastor werden. Wahrhaftig. Ich kann Ihnen eine fette Pfarre versprechen, ich habe eine zu vergeben, und was mehr ist als das, ich kann alle Tage machen, daß sie vacant wird. Mein Pastor nämlich, ein alter, dummer Mann, kann keinem Baron den Rücken zukehren. Sehen Sie, da brauche ich, wenn Sie einmal so weit sind, ihn nur bis an die Treppe zu begleiten. Er versucht dann, sie rückwärts hinabzugehen, fällt und bricht sich das Genick.«

»Ich danke Ihnen für Ihr Anerbieten,« erwiderte Heinz lachend, »aber selbst wenn ich, was gewiß nicht der Fall sein wird, Theologie studiren sollte, so wäre ich doch nicht grausam genug, von Ihrem Anerbieten Gebrauch zu machen.«

»Nun, wie Sie wollen, aber wie gesagt, die Treppe ist steil und steht Ihnen eventuell zur Verfügung. Aber à propos, brauchen Sie nicht Geld?«

»Nein, ich danke.«

»Nicht? Schön. Wer ist Ihr Stiefelfuchs?«

»König.«

»Ah, König. Nun, das ist ein lustiger Kerl. Er hat ein Gedächtniß wie ein siebenjähriges Kind und hat ein Buch voll lateinischer Sprichwörter auswendig gelernt, die er hersagt wie ein Papagey. Wenn er eben so alt wird, wie dieser Vogel, so kann er sehr alt werden. Aber nun muß ich gehen. Verzeihen Sie, daß ich Sie so lange aufgehalten habe, aber in Folge der verdammten Wunde darf ich nichts trinken, und da dachte ich: Hat er Dich in diese langweilige Lage gebracht, so muß er Dir auch helfen sie zu überstehen und kam her. Auf Wiedersehen, Landsmann.«

»Auf Wiedersehen.«

Damit ging der Baron und Heinz sah ihn nicht ohne gewissen Scrupel scheiden. War es erlaubt, daß er sich so lange und so freundschaftlich mit einem Menschen unterhalten, der soeben die Farben, die er trug, so schmählich beleidigt hatte? Aber es war wirklich nicht gut möglich gewesen, den Baron schroff abzuweisen, denn sein Wesen war so süffisant und doch auch wieder so gutmüthig, daß man's nicht über's Herz bringen konnte, ihm feindlich zu begegnen.

Der Baron stieg unterdessen langsam die Steinstufen hinab, die von einer Terrasse zur anderen führten. »Ein liebenswürdiger Junge, der Eichenstamm,« dachte er, »strebt nach dem Guten und Schönen! Nun, gut mag er sein und schön ist er jedenfalls – es ist doch gut und schön, daß er nicht Westfale geworden ist. Was siehst Du mich so an, Armin, alter Junge? Was? Sollen wir auch nach dem Guten und Schönen streben? Hol' Dich der Teufel! Dazu sind wir zu alt, mein Junge, das steht uns nicht mehr zu Gesicht. Ja, spring nur! Wir Beide wollen so lange durch's Leben springen, bis sich einmal der Eine oder der Andere, der nichts Anderes zu thun hat, über uns ärgert und uns todtschießt. Ja! Was? Ja, bell' nur!«


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