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Der erste Ball und seine Folgen.

Es war ein eigentümliches Leben, das Heinz jetzt im Vaterhause führte. Das düstere Wesen des Doctors hatte dem ganzen Hause seinen Stempel aufgedrückt, das so geregelt, aber auch so kalt und anmuthslos verlief wie ein Uhrwerk. Aengstliche Stille, peinliche Ordnung herrschten in dem großen Gebäude, das sich nie gastlich öffnete, in dem kein Klavieraccord erklang, kein fröhliches Kinderlachen ertönte. Kalt und frostig lagen die Zimmer da, die Möbel selbst sahen so steif und schwer aus, als wären sie von Marmor, und Emma mochte, und das war ja nun schon seit Jahren ihre einzige Arbeit, noch so viel kehren, bohnern und Staub wischen, traulich konnte sie die fast nie betretenen Gemächer nicht machen.

Der Doctor verließ sein Arbeitszimmer fast nur zu den Mahlzeiten, die er mit dem Sohne gemeinsam einnahm. Dabei ging es still her. In den ersten Tagen hatten sie noch miteinander gesprochen, aber seitdem sie einmal über eine ganz gleichgültige Sache heftig aneinander gerathen waren, schwiegen Beide und oft vergingen Wochen, ohne daß sie ein anderes Wort als »guten Morgen« oder »guten Abend« mit einander gewechselt hätten.

Der Doctor hatte schwere Sorgen. Wie in dem Herzen jedes unserer Landsleute als tiefster, mächtigster Wunsch die Hoffnung lebt, einmal der Besitzer eines, wenn auch noch so kleinen Stückchens der heimatlichen Erde zu sein, so hatte auch dem Doctor seit seiner frühesten Jugend der Gedanke lockend vorgeschwebt, einmal Gutsbesitzer zu werden. Diese Hoffnung hatte ihn aufrecht erhalten in den trüben Universitätsjahren, ihn in Moskau nicht verlassen. Vor einigen Jahren nun war diese Hoffnung Wirklichkeit geworden; der Doctor besaß ein Gut. Er hatte es gegen den Rath aller seiner Verwandten gekauft, das Grundstück sehr theuer bezahlt, und so kam denn, was jene vorausgesagt – das Gut trug die Zinsen nicht. Vielleicht hätte sich durch Umsicht und Sparsamkeit noch Manches erreichen lassen, aber Heinrich Eichenstamm war nicht der Mann, der guten Rath annahm. Er war immer seinen eigenen Weg gegangen und war weit gekommen; er hatte Niemand um Rath gefragt, da er am Morgen nicht wußte, wo er das Stück Brod hernehmen würde, dessen er zur Stillung des Hungers bedurfte; wie sollte er es jetzt thun, da er ein vermögender Mann geworden war. Er hatte im Leben Vieles durchgeführt, was Andern nicht möglich gewesen wäre; wie sollte er jetzt mit anderer Leute Maaßstab messen? Die Leute verstanden es nur nicht, die Landwirthschaft im Großen zu betreiben. Er that das, und die undankbare heimische Erde vergalt ihm die leidenschaftliche Liebe, die er zu ihr hegte, wie sie schon so manchem ihrer Söhne vergolten, der das in saurer Arbeit, im Laufe eines langen Lebens ersparte Geld nun dem heimischen Boden anvertraute. Der Doctor verdoppelte seine Ausgaben für das Gut – es trug die Zinsen erst recht nicht. Er mochte noch so häufig hinausfahren, er mochte noch so sorgfältig controlliren, noch so eifrig selbst im Garten arbeiten – das Gut trug nichts ein. Die Verwandten, zum Theil Sachverständige, wollten ein wenig nach dem Rechten sehen, er wies sie schroff zurück. War Heinrich Eichenstamm dazu gemacht, sich bevormunden zu lassen? Er ging allein seines Weges.

Heinz ging auch allein seines Weges. Er verkehrte mit einem Dutzend gutmüthiger Burschen und fand es selbstverständlich, daß sie sich ihm in Allem fügten und ihn bewunderten. Er machte seine Schularbeiten gut genug, um vor unangenehmen Conflicten mit den Lehrern sicher zu sein; er las auch viel historische und geographische Bücher, aber seine Seele war nicht dabei. Wie blaß mußte ihm das Schulleben erscheinen neben den Gebilden seiner Phantasie! Da, in seiner Phantasie, war er bald ein Alles überwältigender Eroberer, bald ein verwegener Seeheld, dessen Flagge im Teifun wirbelte, bald ein kühner Conquistador, der, den Degen in der Faust, mit einer Handvoll Menschen Tausende in die Flucht schlug. Heinz hatte zu viel Verstand, um sich nicht mitunter zu sagen, daß er ein thörichter Träumer war, daß seine Träumereien ihn stumpf machten gegen alle Freuden, des wirklichen Lebens, daß sie seine Energie lähmten. Allein solch ein Traumleben ist wie das Opiumrauchen; wer einmal von dem süßen Gifte genossen, der mag es nicht mehr missen, er erliegt immer wieder dem lockenden Reiz, Zeit und Raum und des Menschen eng gebundenes Dasein abzustreifen, wie ein Gott zu schalten mit der Welt und ihren Bedingungen, frei vom Körper und seinem Banne. So ging Heinz auch allein seines Weges.

Heinz mochte etwa seit zwei Jahren auf der Schule sein, als eines Tages Karlchen Maier ihn in einer Zwischenstunde bei Seite nahm und ihm mit wichtiger Miene zuflüsterte:

»Heinz, Freitag giebt es bei uns einen Ball!«

»Was? Giebt Deine Mutter eine Tanzgesellschaft?«

»Natürlich, ja, aber nun heißt es schlau sein. Ich bitte Dich, Heinz, wen sollen wir einladen?«

Die wichtige Angelegenheit wurde nun gründlich berathen; Willi Schulz und Robert Steinheil wurden zugezogen und endlich, nicht ohne Mühe, eine geeignete Liste von Tänzerinnen und Tänzern angefertigt. Karlchen Maier durchlief noch einmal die Liste und war entzückt.

»Köstlich, Heinz, ganz köstlich! Du kannst Alles, Heinz; ich bitte Euch, Robert, Willi, was kann Heinz nicht? Du bist auf dem Parquet so gut zu Hause, wie im Livius. Was? Nicht? Natürlich! Nun, Du wirst die Anglaise prächtig anführen. Vergiß nur die Räthsel nicht, hörst Du? Ich habe schon ein prächtiges für Paulinchen. Die soll sich einmal freuen! Natürlich!«

Als das Ballcomité sich bereits auseinander begeben hatte, eilte Karlchen Maier noch Heinz nach, faßte ihn so fest am Arme, daß er fast laut aufschrie, stieß ihn zu besserer Verständigung noch mit dem Ellenbogen in die Seite und sagte hastig:

»Heinz, ich habe etwas Prächtiges für die Kleine; aber Dein Wort, daß Du schweigst. Nicht wahr?«

»Nun, was ist's?«

»Ich habe mir einen Orden besorgt, Heinz, aus Silberpapier. Die Inschrift lautet: ›Bild meines Engels‹. Hebt man die Decke auf, so ist unten ein Spiegel. Ist das nicht köstlich? Wie? Was? Natürlich!«

Heinz lachte. »Gut ausgedacht, Karlchen, sehr gut! Paulinchen wird Dir dafür dankbar sein.«

»Wird sie? O, also Du meinst, sie wird? Ich sage Dir, Heinz, ich liebe sie fürchterlich! Ich will eben nur symbolisch verfahren. Der Spiegel soll ein Fenster sein, durch das sie in meine Brust sehen kann, in mein glühendes Herz. Ich habe nun schon sieben Photographien von ihr, dreizehn Schleifen und zwei Haarlocken. Ist das nicht gut? Ist das nicht sehr gut? Natürlich!«

Karlchen Maier fuhr noch eine Zeitlang in seinen Versicherungen fort.

Als sich die Freunde getrennt hatten, begab sich Heinz gleich zu Lelia. Sie war mit Karlchen Maiers Schwester flüchtig bekannt und stand nebst Adelheid auch auf der Liste. Es galt nun, sie dazu zu bewegen, die Einladung auch anzunehmen. Heinz stand zu ihr ganz eigentümlich. Sie war gegen ihn so freundlich und liebenswürdig, wie gegen jeden andern Menschen, aber ein instinktives Gefühl sagte ihm, daß in ihrem innersten Herzen, vielleicht ihr selbst unbewußt, eine gewisse Abneigung gegen ihn vorhanden war. Derselbe Instinkt sagte ihm auch, daß er durchaus nicht den richtigen Weg einschlug, diese Abneigung auszurotten, aber sein Temperament spielte ihm einen Streich über den andern. Die alte Kinderliebe war wieder in alter Stärke in ihm erwacht und mit ihr die alte Eifersucht, die das Kind bereits gequält hatte, und das war schlimm, denn Lelia war, wie die Sonne ihre Strahlen ausgießt über Gerechte und Ungerechte, liebevoll gegen Große und Kleine, gegen Bekannte und Fremde.

Er fand Lelia allein und setzte sich neben sie. Er schob seinen Stuhl sehr nahe an den ihrigen, sie rückte ein wenig weg.

»Ich werde Dir nichts thun, Lelia,« sagte er bitter.

»Was solltest Du mir denn auch thun, Heinz?« fragte sie und sah ihm voll in's Gesicht.

»Warum rückst Du denn Deinen Stuhl fort?« fragte er heftig.

»Weil Du mir zu nahe kamst, Heinz. Außerdem ist das ja auch ganz gleichgültig.«

»Mir ist es durchaus nicht gleichgültig, ob man mich flieht wie ein wildes Thier,« erwiderte Heinz.

»Was willst Du nur, Heinz?«

»Einerlei, laß es sein, Lelia. Ich kam her, um Dich um eine Gefälligkeit zu bitten. Willst Du sie mir erweisen?«

»Gewiß, was willst Du? Ich will Dir sehr gern gefällig sein.«

Heinz brachte nun sein Anliegen vor. »Geh' mir zu Liebe hin,« bat er schließlich.

»Was kann Dir daran gelegen sein?« fragte Lelia. »Du weißt, daß Väterchen es nicht liebt, daß ich tanze, und da lasse ich es denn. Auch Großvaterchen sieht es ungern, daß ich ausgehe, wenn er es auch nicht zugiebt. Adelheid wird gewiß hingehen und es wird dort auch sonst gewiß nicht an Tänzerinnen fehlen.«

»Ob Adelheid hingeht oder nicht, ist mir ganz gleichgültig, meinetwegen mag sie sein, wo der Pfeffer wächst.«

»Wie kannst Du so von Deiner Cousine sprechen, Heinz! Adelheid ist ein sehr liebes, gutes Mädchen.«

Heinz sprang zornig auf. »Lieb und gut, gut und lieb, andere Urtheile hört man von Dir nie. Ich glaube, wenn der Teufel selbst zu Dir käme mit Pferdefuß und Hörnern, Du würdest ihn ein liebes, gutes Männchen nennen. Ich kann es nicht ansehen, wie dies freche Geschöpf, die Adelheid, mit Dir umgeht, ohne daß mir die Galle überläuft, und Du nennst sie ein liebes, gutes Mädchen!«

»Ja, Heinz, so nenne ich sie, denn sie verdient es, wenn sie auch in ihrer Lebhaftigkeit zuweilen etwas zu weit geht. Du darfst nicht so schlecht von ihr sprechen, Heinz; sie hat Dich sehr lieb.«

»Was geht das mich an, ob sie mich lieb hat oder nicht,« rief Heinz, der immer heftiger wurde, »ich kann sie nicht leiden, nicht sehen mag ich sie. Sie ist die hochmüthigste und unverschämteste Person, die mir je vorgekommen ist und geht mit Dir um, als wenn Du ein Gänsemädchen wärest, das nicht bis drei zählen kann.«

»Du übertreibst,« erwiderte Lelia sanft; »übrigens ist sie auch wirklich viel klüger als ich.«

»Ob sie klüger ist als Du,« schrie Heinz überlaut, »weiß ich nicht; aber daß sie nicht so mattherzig, so weichlich ist wie Du, das weiß ich ganz genau.«

So war denn Heinz wieder einmal so weit, wie schon so oft, und hatte wieder einmal aus lauter Liebe für Lelia das zarte Mädchen bis in's innerste Herz gekränkt. Sie brach, durch sein lautes Schreien und seine Worte erschreckt, in Thränen aus, und er eilte, von den widerstrebendsten Gefühlen erschüttert und gepeinigt, aus dem Hause.

Uebrigens ging Lelia doch auf den Ball. Heinz hatte sich hinter den Großvater gesteckt und dieser hatte den Sohn und die Enkelin bewogen, Heinzens Bitten nachzugeben. Er hatte das eigentlich gegen seinen Willen, aus Gutmüthigkeit und Gefälligkeit gethan.

Frau Maier, Karlchens Mutter, war die gutmüthigste und dickste Person in der ganzen Stadt, wenn sie in ersterem nicht von Karlchen und seiner Schwester Hulda übertroffen wurde. Immer war sie über etwas in Extase und sie hatte eine entschiedene Neigung, alle Dinge dieser Welt rosenroth zu sehen. Heute war sie um nichts weniger aufgeregt als Hulda und Karlchen. Sie legte selbst mit Hand an beim Hinausschaffen der Möbel aus ihrem größten, wenn auch noch immer herzlich kleinen Zimmer, das am Abend den Salon vorstellen sollte, und gerieth in Entzücken über das Arrangement. Karlchen mußte in Folge seines überaus steifen und hohen englischen Halskragens seinen Kopf so sehr im Nacken tragen, wie ein chinesischer Verbrecher, dem man den Hals in ein Brett geschnallt, oder wie ein Hühnerhund, dem eben die Würge zugezogen wird. Indessen waren alle diese Beschwerden bald vergessen, als sich die Geladenen nun versammelten. Freilich, es war ein wenig eng, man trat sich von Zeit zu Zeit auf die Füße, und wenn man Complimente machte, erging es einem wie dem Goethe'schen Schulmeister, aber das that nichts. Es that auch nichts, daß man im Galopp ein paarmal mit den Rippen auf die Ecke des Klaviers Sturm lief, daß gelegentlich ein Paar unbeabsichtigter Weise auf das Sopha, das einzige außer dem Klavier im Tanzsaale zurückgebliebene Möbel, fiel, daß es im Zimmer bald so heiß war, als ob darin eine Victoria regia gezogen werden sollte, man war trotz alledem überglücklich. Als die dritte Française in Touren endete und man schaarenweise durch alle Zimmer raste, stieg der Thermometer der Lust auf's Höchste. Heinz war überglücklich, denn er tanzte mit Lelia, Karlchen Maier war überglücklich, denn er tanzte mit Paulinchen, die ihrerseits über den Orden auf seiner Brust überglücklich war, den übrigens Karlchen wegen des bewußten Halskragens selbst nicht sehen konnte; Willi, Robert und wie die jungen Herren alle heißen mochten, alle waren überglücklich. Ueber dem Ganzen ruhte eine Wolke von Staub und Liebe. Heinzens Augen folgten Lelia wie der Magnet dem Eisen, ihm war das Herz voll leidenschaftlichen, stürmischen Gefühls, und auch Lelia war heute vielleicht freundlicher gegen ihn als sonst. Heute fühlte er zum ersten Mal die Abneigung gegen ihn, die er sonst in ihr vermuthete, nicht heraus. Das Leben pulsirte schneller, freudiger in ihm. Er hoffte, jene Abneigung im Keime ersticken zu können, man fand allgemein, daß er die Tänze vortrefflich anführte, und sagte ihm das; er hörte die Mädchen flüstern, wie schön er sei – er fühlte sich kaum noch auf Erden.

Jetzt führte ein Jeder seine Tänzerin zu Tische. Auch hier herrschte die munterste Stimmung. Heinz wurde durch Acclamation zum Vergnügungspräsidenten gewählt und hielt eine humoristische Tischrede. Dieselbe fand allgemeinen Beifall und er mußte mit Jedermann anstoßen. Er hielt nun eine zweite Tischrede, anknüpfend an die erste, und auch diese fand Beifall, und auch jetzt mußte er mit Jedermann anstoßen, was ihn veranlaßte, eine dritte Tischrede zu halten. Während er diese hielt, schien es ihm, daß die Decke des Zimmers ihm zurief: »Um Gotteswillen, Heinz, trink' nicht mehr!« Die Stimme kam offenbar von der Decke, obgleich sie auch die Lelia's hätte sein können. Während er die dritte Tischrede hielt, machte er die Bemerkung, daß ein dichter Nebel das Zimmer erfüllte, so daß die Kerzen auf dem Tische nur trübe schienen. Plötzlich hörte er Adelheid laut auflachen, hörte, daß einige Herren riefen: »Pfui, Heinz, pfui, was sprichst Du da,« hörte neben sich irgend Jemand weinen und fühlte, daß irgend Jemand sehr kräftig an den Arm gefaßt wurde, ohne daß er hätte ermitteln können, wer dieser Jemand sei. Dieser Jemand mußte übrigens ein unleidlicher Bursche sein, denn er warf plötzlich eine Weinflasche durch's Fenster, daß die Scheiben klirrend zersprangen und die Damen alle aufschrieen und entsetzt auseinanderstoben. Er faßte Karlchen Maier an seinen ohnehin schon durch den englischen Kragen hinreichend eingezwängten Hals und nannte ihn einen Affensohn. Irgend Jemand wurde darauf von sehr kräftigen Armen gefaßt, ihm wurde eine Mütze auf den Kopf gesetzt und ein Paletot um die Schultern gelegt, während er durch einen, in Damengesellschaft höchst unschicklichen Ausdruck andeutete, daß ihm Alles einerlei sei. Dann sprachen irgendwo, weit hinten im Nebel, viele Stimmen wirr durcheinander; es waren jedenfalls Personen, die sich im Zustande großer Aufregung befanden. Darauf wurde irgend Jemand eine Treppe hinunter geführt, stieß mit dem Kopfe gegen irgend etwas und verlor das Bewußtsein.

Als Heinz am folgenden Morgen die Augen öffnete, schloß er sie sogleich wieder, denn er mußte sich vor allen Dingen mit der Fluth von Gedanken auseinandersetzen, die von allen Seiten auf ihn eindrang. Als nun die Erinnerung an den gestrigen Abend klar in ihm aufstieg, sprang er erschreckt auf. Er fühlte, daß er noch immer betrunken war, sein Kopf schmerzte heftig, der Gaumen war trocken, der Hals that ihm weh – was war das Alles gegen die Verzweiflung, die sein Herz erfüllte, gegen die Angst vor der eigenen, immer deutlicher werdenden Erinnerung. Und auch das war noch nicht das Schlimmste. Was konnte er nicht noch Alles gesagt oder gethan haben in der Zeit, von der er nichts mehr wußte! Wie war er nach Hause und in's Bett gekommen? Er konnte offenbar sich nie wieder in Gesellschaft anständiger Leute zeigen. Was würden die Kameraden dazu sagen, daß Heinz Eichenstamm, der Alles konnte, was er wollte, und nie etwas that, was er nicht wollte, sich in Damengesellschaft sinnlos betrunken hatte! Mit Lelia war nun gewiß Alles aus, das würde sie ihm nie verzeihen. Sollte Heinz sich nicht überhaupt lieber das Leben nehmen?

Aus diesen trüben Betrachtungen riß ihn zunächst Weinthal, der mit den Stiefeln hereinkam. Als er Heinz auf dem Bett sitzen sah, schob er ihn zuerst mit einer eben so geschickten als kräftigen Bewegung wieder in's Bett, deckte ihn sorgfältig zu, setzte sich dann auf den Rand des Bettes und begann also:

»Jungherrchen, Jungherrchen, was machen mein Jungherrchen für Sachen!«

Und als Heinz verlegen schwieg, fuhr er also fort:

»Jungherrchen sind rein toll gewesen. Wenn der alte Weinthal Jungherrchen sein Herr Vater wäre, würde er sagen: »Junge, was sind das für Fladrusen! Antwort' kein Wort, nicht geraisonnirt, stillgeschwiegen! Marsch fort! Jungherrchen lieber, wie kann nu Jungherrchen sich so betrinken! Nu, natürlich, Jungherrchen will auch jung sein, aber Jungherrchen kann jung sein bei seine Freunde, aber doch nicht bei die jungen Damens! Jungherrchen kann gehen mit junge Damen tanzen, aber wenn Jungherrchen geht mit junge Damen tanzen, muß Jungherrchen sich nicht betrinken und kein Scandal nicht machen. Es wird doch Keiner keinen Schnaps nicht trinken gehen, wenn er das Geschirr waschen will; wie kann denn Jungherrchen sich so betrinken, wenn er geht mit junge Damen tanzen? Hab' ich es im Kopf, geh' ich nach Hause und leg' mir in mein Bett und Niemand weiß, hab' ich was im Kopf, hab' ich nichts im Kopf. Das ist doch besser, als wenn ich dem alten Weinthal mit Fuß vor Kopf schlagen thu'!«

»Ja, Weinthal,« sagte Heinz, der die Predigt so ernst nahm, wie sie gemeint war.

»Das ist doch besser,« fuhr Weinthal fort, »als wenn ich schrei' und schlag' wie alter Währwolf.«

»Ich war wohl sehr laut, Weinthal?«

»Ob Jungherrchen laut war! Jungherrchen war so laut wie ein Schwarzspecht. Ich sitz', wart auf Jungherrchen und vermuthe mir nichts. Mitmal schreit Einer auf Straße und schlägt mit Stock bei Pforte. Ich, nicht faul, besinne mir noch, da kommt Annettchen hereinergelaufen, wie aus Bett gesprungen und ruft: ›Weinthal, machen Sie die Thür auf, der Jungherrchen muß krank befallen sein, Zwei halten ihm und Einer stößt noch von hinten.‹ Daß Gott erbarm', denk' ich, spuck' dreimal aus und laufe bei Thüre. Steht da so ein borstiger Jungherrchen und sagt: ›Bringen Sie den Jungherrn zu Bett, aber leise, daß es der Herr nicht hört,‹ und drückt mir einen Zwanziger in die Hand. Daß Du die Kränke kriegst, unverschämter Bengel! denke ich, sage aber nichts, schmiß dem Ferding im Rinnstein, nehme mein Jungherrchen bei Arm und will ihm ganz sachte hereinerführen. Aber Jungherrchen giebt mir eins vor Brust, hast Du mir nicht gesehen, daß mir die Augen dunkel werden. Nu, denke ich, Jungherrchen führt eine Eichenstamm'sche Faust, aber wenn – denn, fass' Jungherrchen um den Leib und tragend trage ich ihm herauf. Jungherrchen schreit wie ein Schwein. Schrei' Du nur, denk' ich, und danke nur meinem lieben Gott, daß der gnädige Herr nicht zu Hause ist, sondern im Gute. Die Annettchen kommt und will Jungherrchen Senfteig legen auf die Waden. Jungherrchen läßt nicht, ich lasse auch nicht. Aber wie schon die Weibsleute sind! Nu, Jungherrchen,« schloß Weinthal endlich seine niederschmetternde Rede, »nu hat der alte Weinthal Ihnen ordentlich seine Meinung gesagt. Nehmen Jungherrchen es nicht für ungut, aber bittend bitte ich Ihnen, sich nicht wieder zu betrinken! Mir war ein Freund, ein Kneipist in der katholischen Straße, der gar nicht saufen that, aber einmal auf einer Hochzeit that er sich besaufen, und von da an soff er alle Tage. So, nun schlafen Jungherrchen noch etwas.«

Weinthal deckte Heinz mehrmals sorgfältig zu, fuhr mit der Hand über seinen Kopf und ging dann auf den Fußspitzen aus dem Zimmer, als ob Heinz bereits schliefe. Weinthal war mit seiner Rede sehr zufrieden und besonders mit ihrem Schlusse, der nicht auf einer Thatsache, sondern auf seiner Erfindung beruhte und von dem er sich eine große Wirkung versprach. Da er in dieser Gemüthsverfassung in der Regel ein Bedürfniß nach starker Bewegung empfand, so holte er sich einen Teppich, hing ihn im Hofe über einen ausgespannten Strick und schlug mit einem Rohrstöckchen aus Leibeskräften auf ihn los.

Schlimmer war der Besuch Willi Schulzens. Zwar harrten auch die andern Freunde in Spannung des Augenblickes, wo sie an Heinz Freundespflicht erfüllen und ihm über sein gestriges Betragen die Augen öffnen könnten, aber Willi war ihnen allen zuvorgekommen und kramte mit Behagen die Neuigkeiten aus. Er begann damit, daß er versicherte, er habe nie geglaubt, es könne sich Jemand so betrinken, und speciell Heinz habe er bisher für einen Burschen gehalten, dem auch der stärkste Wein nichts anhaben könne. Er war betrübt darüber, daß er sich in dieser Voraussetzung getäuscht und daß er habe sehen müssen, wie Heinz sich nicht nur betrinken, sondern auch, was er am wenigsten geglaubt habe, sich überaus directionslos benehmen könne. Es thue ihm leid, diesen Ausdruck gebrauchen zu müssen, aber als Heinzens Freund sei er es ihm schuldig, das Kind beim rechten Namen zu nennen. Oder müsse es nicht als ein directionsloses Betragen bezeichnet werden, wenn Heinz in seiner Rede ein Hoch auf seine liebe kleine Braut Lelia ausgebracht, obgleich man doch an dem bitterlichen Weinen, in das Lelia dabei ausgebrochen sei, habe ersehen können, daß Heinz indiscreter Weise und ohne Lelia's Vorwissen das Verhältniß declarirt.

»Das that ich?« rief Heinz entsetzt, »das sagte ich?«

Willi Schulze wiederholte, daß er das allerdings gethan habe, und fragte dann, ob es ferner nicht als directionslos bezeichnet werden müsse, wenn Heinz, wie er es gethan, Karlchen Maier einen Affensohn gescholten und ihn fast erwürgt habe, wenn er eine Flasche in's Fenster geworfen, wenn er Frau Maier eine dicke Biertonne genannt, wenn er Paulinchen als »still, dumm und gefräßig« bezeichnet habe. Sei es nicht directionslos, wenn Heinz nachher auf der Straße Robert Steinheil ein Mandrill genannt und einem vorübergehenden Herrn, er, Schulze, glaube, es sei der französische Lehrer bei Balteville's gewesen, den Hut vom Kopfe geschlagen und ihn einen Saukerl geheißen!

Hätte der Freund nur die Hälfte von dem, was er vorbrachte, erzählt, so würde Heinz dadurch wahrscheinlich in dumpfe Verzweiflung gestürzt worden sein, so aber rief die Unglückskunde alle seine Energie wach. Jetzt mußte gerettet werden, was noch zu retten war. Heinz schnellte wie eine Feder aus dem Bett, erklärte Willi, zu dessen nicht geringer Verwunderung, leichthin, daß das Unglück so alle Welt groß nicht sei, lachte herzlich über die Einzelnheiten und meinte mit Zuversicht, er wolle schon Alles wieder gut machen. Heinz war mit einem Schlage ganz nüchtern und ging, sobald er sich angekleidet hatte, direct zu Frau Maier und bat sie um Verzeihung. Die gute Dame benutzte diese Gelegenheit, sich einmal recht auszuweinen, verschaffte ihrer Tochter dasselbe Vergnügen und Beide versicherten dann Heinz, daß er sie zwar gestern Abend tödtlich erschreckt habe, daß sie aber Beide trotzdem seine guten Freundinnen geblieben seien. Karlchen wollte nun gar nichts davon wissen, daß Heinz ihn um Verzeihung bat.

»Was ist denn dabei,« rief er. »Köstlich! Als ob ein junger Mann sich nicht auch einmal betrinken könne! Natürlich! Du bist aber prächtig stark, Heinz, prächtig! Ich sage Dir, Heinz, Du hättest mich fast erwürgt. Es war köstlich! Natürlich!« Er versprach auch dafür zu sorgen, daß Paulinchen Heinz verzeihe und verbürgte sich für den Erfolg.

Heinz ging darauf – der Ball war an einem Sonnabende gewesen und es war Sonntag – in das »Verderben,« erklärte seine Verlobungsanzeige für den Einfall eines Betrunkenen, trank eine Menge Bier und versicherte, auch nicht den mindesten Katzenjammer zu haben. Auf das Alles hin erklärten ihn die Kameraden, als er fortgegangen war, für einen doch »riesig fixen Kerl.«


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