Ovid
Elegien der Liebe
Ovid

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6.
Die Liebe der Flüsse.

        Strom, an den schlammigen Ufern vom Rohr umrauscht, ich verlange
    Eilends zur Herrin – halt ein, hemme die tosende Flut!
Nirgends sind Brücken zu sehn, noch ein bauchiger Kahn, der am schwanken
    Tau ohne Ruder mich sacht trüge zum anderen Strand.
Klein ja warst du, ich weiß, vordem und ich scheute mich niemals,
    Dich zu durchschreiten: mir ging kaum an die Knöchel die Flut.
Doch abdonnernd vom Berg mit des Schnees geschmolzenen Massen
    Wälzest du, Häßlicher, heut schmutzige Wogen daher.
Was nun half mir die Eile? Was hilft's, daß ich kaum noch zur Ruhe
    Zeit mir gegönnt, daß die Nacht ich mit dem Tage verband?
Soll ich nun müßig hier stehn? Gelingt mir's nimmer und nimmer,
    Auf den ersehnten Strand glücklich zu setzen den Fuß?
O dann wünscht' ich mir wohl des Perseus Flügel, als stolz er,
    Gräßlich von Schlangen umzischt, trug das medusische Haupt –
Oder der Ceres Wagen, mit dem einst Triptolemus, weithin
    Körner durchs wüste Gefild streuend, die Länder durchzog.
Aber das sind ja nur Märchen, sind Lügen von alten Poeten,
    Wie sie die Welt nie sah und wohl auch niemals wird sehn.
Lieber tritt du in dein Bett doch zurück, das du brausend verlassen,
    Strom – es genügt dir und so währe dann ewig dein Lauf!
Unerträglichen Schimpf, o glaube mir, würd' es dir bringen,
    Hieß' es, du hieltest mich hier trotz meiner Liebe zurück.
Müßten doch Flüsse zuerst in der Liebe den Jünglingen beistehn –
    Denn was verliebtsein heißt, haben auch sie ja gefühlt.
Blaß zog InachusInachus, ein Fluß bei Argos. – Xanthus, ein Fluß bei Troja. – Vom Alpheos, einem Fluß in Peloponnes, behauptete man, daß er unter dem Meere fortfließe, bis er bei Syrakus sich mit Arethusa, einer in eine Quelle verwandelten und bis nach Sicilien vor ihm entflohenen Nymphe, vereinigen konnte. – Der Flußgott Achelous warb zugleich mit Herkules um Deianira. Als es zum Kampfe kam, verwandelte sich Achelous in einen Stier, da brach ihm Herkules das eine der Hörner ab und schlug so den Flußgott in die Flucht. hin, der bithynischen Nymphe zu Liebe,
    Melia, glutenerfüllt mitten in eisiger Flut.
Noch ward Ilion nicht zweimal fünf Jahre belagert,
    Als dir Neäras Reiz, Xanthus, die Sinne berückt.
War nicht, Alpheos, in dir das Verlangen so brünstig, daß blindlings
    Du Arethusa verfolgt bis in ein anderes Land?
Hast nicht, Peneios, auch du die Verlobte des Xanthus, Kreusa,
    Einst im phthiotischen Land, also erzählt man, versteckt?
Soll von Asopos ich reden? Ihn hielt die kriegerisch schöne
    Thebe umgarnt, die ihm fünf Töchter dann lieblich gebar.
Wollt', Achelous, ich dich nach den trotzigen Hörnern befragen,
    Würdest du klagen: sie brach Herkules' Arm mir im Zorn.
Kalydon war dir so viel nicht werth, noch das ganze Aetolien –
    So hoch galt dir als Preis Deianira allein.
Ja selbst der Nil, der so stolz in sieben Mündungen ausströmt
    Und seiner mächtigen Flut Heimat so trefflich verbirgt,
Hat die gewaltige Glut zu Asopus Tochter, Euadne,
    Nicht in des eigenen Stroms Wirbeln zu löschen vermocht.
Daß er auf trockenem Grund mit Tyro vergnügen sich könne,
    Hieß Enipeus den Fluß weichen und siehe, er wich.
Deiner auch denk' ich gar wohlDer Anio, der an Tibur (dem heutigen Tivoli), der Sage nach von dem Argiver Catullus erbaut, vorbeiströmt., der an des argivischen Tibur
    Obstbaum-Hainen vorbei donnert die Felsen herab.
That dir's doch IliaIlia, vergl. die Anmerkung 72 zur 4. Elegie dieses Buches. an – und doch, welch entsetzlichen Anblick
    Bot sie, die Wangen zerfleischt, gräßlich die Haare zerrauft!
Laut das Verbrechen des Mars und des Oheims Härte bejammernd,
    Irrte mit nackendem Fuß sie durch das einsame Feld.
So nun sah aus dem Wogengebrause bewegt sie der Flußgott
    Und dumpftönend erscholl tief aus den Fluten sein Wort:
»Ilia,« rief er, »du Sproß aus Laomedons fürstlichem Stamme,
    Sage, was irrst du so bang hier an dem Strande umher?
Warum bist du allein, des ziemenden Schmuckes vergessen?
    Warum fesselt dir nicht schimmernd die Binde das Haar?
Warum weinst und verdirbst du mit ewigen Weinen die Augen?
    Warum mit rasender Hand schlägst du die offene Brust?
Wahrlich, es trägt in dem Busen nur Stein und gefühlloses Eisen,
    Den nicht ein holdes Gesicht rührte, von Thränen bethaut.
Ilia, banne die Furcht! Dir öffnet mein fürstliches Schloß sich,
    Dich ehrt jeglicher Strom – Ilia, banne die Furcht!
Hundert der Nymphen und mehr sind deiner Befehle gewärtig,
    Hundert der Nymphen und mehr wohnen in meinem Gebiet.
Nur verachte mich nicht, ich bitte dich, Tochter der Troer –
    Reicher noch, als ich versprach, will ich dir lohnen die Huld.«
Also sprach er, da schlug den bescheid'nen Blick sie zu Boden,
    Krampfhaft hob sich im Schmerz thränenbeströmt ihr die Brust.
Dreimal wollte sie fliehn und dreimal brach sie zusammen,
    Selbst zum Fliehen die Kraft hatte der Schreck ihr gelähmt.
Aber zuletzt sich das Haar feindseligen Grimmes zerraufend,
    Stieß sie mit bebendem Mund jammernd die Worte hervor:
»Hätte man doch mein Gebein zur Asche der Väter gesammelt,
    Da man jungfräulich mich noch konnte geleiten zur Gruft.
Warum wagt man mich hier, die Vestalin, zur Hochzeit zu laden?
    Ach weil, der Ehre beraubt, Vestas Altar mich verstößt.
Was noch säum' ich? Schon zeigt auf die Buhlerin spottend die Menge –
    Fort mit dem Haupte, das doch Scham nur und Schande entstellt!«
Also rief sie und dann die furchtsamen Augen geschlossen,
    Warf die Verzweifelte sich jäh in die reißende Flut.
Doch es umfing um die Brust sie mit kräftigen Armen der Flußgott
    Und in das ehliche Bett nahm er die Liebliche auf. – –
Glaublich ist mir's darum, daß auch du für ein Mädchen schon glühtest,
    Aber der Wald und der Hain decken die Sünden euch zu.
Und nun, während ich sprach, aufschäumtest du wilder und wilder,
    Aus dem geräumigen Bett bricht schon entfesselt die Flut.
Rasender, sprich, was willst du von mir? Was machst du der Liebe
    Hoffnung zu nichte? Was trittst du mir so plump in den Weg?
Wärst du doch erst nur ein richtiger Fluß oder gar ein berühmter,
    Der durch die Welt weithin würde mit Ehren genannt!
Aber dein Name ist nichts. Aus elenden Bächlein nur läufst du
    Dürftig in Eins; kein Quell ist dir, kein sicheres Haus.
Regenwasser nur nährt und geschmolzener Schnee dich – das sind die
    Kostbaren Schätze, die dir traurig der Winter bescheert.
Schmutzig brausest entweder du her im verdrießlichen Spätjahr
    Oder du kriechst voll Staub langsam durch glühenden Sand.
Wann wohl schöpfte aus dir ein verschmachtender Wanderer? Wann wohl
    Sprach zu dir dankbar ein Mund: Fließe du ewig so fort!
Schaden nur bringst du dem Vieh, noch schädlicher bist du den Aeckern –
    Doch der Schaden betrifft mich nicht – ich klage für mich.
Und dir konnt' ich erzählen, ich Thor, von der Liebe der Flüsse?
    Herrliche Namen, o Schmach, nennen so niedrigem Ohr?
Nimmer begreif' ich mich selbst. Wie konnt' ich nur dich, Achelous,
    Nennen vor diesem und euch, Inachus, Xanthus und Nil?
Herzlich denn wünsch' ich darum, stets möge dir, häßlicher Gießbach,
    Glühend der Sommer und stets trocken der Winter dir sein.

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