Ovid
Elegien der Liebe
Ovid

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6.
Dem Thürhüter.

        Pförtner, zur Schmach deines Herrn an die Thüre mit Ketten geschlossen,
    Schiebe den Riegel und ach, öffne die grausame Thür.
Weniges bitt' ich von dir. Nur so weit öffne die Flügel,
    Daß ich, den Leib seitwärts drehend, noch schlüpfe hinein.
Hat doch die Liebe schon längst zu solchen Diensten geschmeidig
    Mir den Körper gemacht, leicht und die Glieder gewandt.
Ihr nur verdank' ich die Kunst, durch die Reihen der lauschenden Wächter
    Sicher zu schleichen, und sie leitet den tastenden Fuß.
Früher wohl scheut' ich der Nacht Trugbilder und nichtige Schrecken,
    Staunend sah ich's, wenn sich Einer ins Dunkle gewagt.
Siehe, da lachte mir zu mit der reizenden Mutter Cupido,
    Leise sprach er: »Auch du wirst mit der Zeit noch ein Held.«
Bald auch liebt' ich, ja bald. Doch der Nacht hinflatternde Schatten
    Fürcht' ich nicht mehr und den Stahl, gegen die Brust mir gezückt.
Dich nur fürcht' ich, du zögerst zu lang; nur dir zu Gefallen
    Red' ich; du hast ja den Blitz, der mich zu tödten vermag.
Blicke doch her und damit du es kannst, so öffne die Thüre:
    Sieh, wie die Schwelle bereits heiß ich mit Thränen bethaut.
Hab' ich – du standest schon nackt und harrtest mit Zittern der Schläge –
    Einst bei der Herrin für dich warm nicht und dringend gefleht?
Damals war dir mein Dienst viel werth und heute, da ich dir
    Bittend komme (o Schmach!) soll er mir gelten für nichts?
Also vergilt mir den Dienst! Jetzt kannst du's! Vergilt und sei dankbar!
    Ach, es enteilet die Nacht! Stoße den Riegel vom Thor!
Oeffne! Dann möge auch dir einst die Kette vom Fuße sich lösen
    Und aus der sklavischen Zucht fröhlich ein Tag dich befrein!
Aber du hörst nicht! Ich flehe vergeblich, du bist wie von Eisen –
    Trotzig aus Eisen gefügt starrt mir entgegen das Thor.
Freilich, belagerten Städten geziemt's, sich die Thore mit Bollwerk
    Fest zu umschützen; doch du, scheust du im Frieden den Krieg?
Was erst thust du dem Feind, da du so schon der Liebe begegnest?
    Ach, es enteilet die Nacht! Stoße den Riegel vom Thor!
Nicht ja erschein' ich in Kriegergeleit' und in klirrenden Waffen –
    Ich nur bin es, allein, ich und die Liebe allein.
Sie, ja, quält und verfolgt mich. Und ich, ich kann sie nicht lassen –
    Eher könnt' ich mich selbst trennen vom eigenen Leib.
Amor hab' ich bei mir und des Weins ein wenig im Kopfe
    Und, vom durchfeuchteten Haar niedergesunken, den Kranz.
Wer scheut Waffen der Art? Wer geht nicht ihnen entgegen?
    Ach, es enteilet die Nacht! Stoße den Riegel vom Thor!
Wie, oder bist du nur träg? Oder schläfst du, Abscheulicher, schläfst du?
    Und deinem Ohre vorbei klag' ich den Winden mein Leid?
Nein, denn als neulich bereits deinen Schlaf ich zu nützen gedachte,
    Bliebst du zum Aerger mir wach, bis sich die Nacht schon geneigt.
Oder vielleicht ruht gar dir im Arm eine zärtliche Freundin –
    Um wie viel glücklicher dann bist du, o Wächter, als ich!
Würde das mir zum Loos, gern wollt' ich, ihr Ketten, euch tragen –
    Ach, es enteilet die Nacht! Stoße den Riegel vom Thor!
Täusch' ich mich? Hat nicht die Angel geknarrt? Es klirrte der RiegelIch brauche den Leser kaum an die Anfangsworte der Schiller'schen »Erwartung« zu erinnern, die eine ganz ähnliche Situation in ähnlicher Weise schildern:
Hör' ich das Pförtchen nicht gehen?
Hat nicht der Riegel geklirrt?
    Nein, es war des Windes Wehen,
    Der durch diese Pappeln schwirrt.

    Und dumpf dröhnend dem Ohr schien auch das Thor sich zu drehn.
Eitle Täuschung! Der Sturm nur stieß an die wankenden Flügel –
    Weh mir Armen! Der Sturm trug auch mein Hoffen mit fort!
Denkst OrithyiasOrithyia. – Boreas entführte die attische Königstochter Orithyia, die dann von ihm Mutter des Zethes und Calais wurde. du noch, der entführten, dann, eisiger Nordwind,
    Komm, anstürmend im Flug, schmett're mir nieder das Thor.
Schweigend ruhet die Stadt und beperlt vom krystallenen Reife.
    Ach, es enteilet die Nacht! Stoße den Riegel vom Thor!
Rasch! Sonst schwing' ich die Fackel im Kreis, hoch lodert die Flamme
    Und so mit Feuer und Schwert stürm' ich das trotzige Haus.
Sicherlich rathen die Nacht und der Wein und die Liebe zum Maß nicht –
    Jene entbehret der Scham, diese entbehren der Furcht.
Alles jetzt hab' ich versucht. Ich bat, ich drohte – vergeblich.
    Sind deine Thüren mir taub, bist du es, Wächter, noch mehr.
Nicht an die Schwelle gehörst du zur Wacht liebreizender Mädchen,
    Schicklicher wärst du zur Hut Räubern und Mördern bestellt.
Siehe, schon leuchtet der Stern des Morgens im purpurnen Osten
    Und zu den Mühen des Tags ruft schon des Hahnes Geschrei.
Doch dich, Kranz, dich nehm' ich vom Haupte, dem kummerbelad'nen,
    Hier auf der Schwelle von Stein ruhe den Rest du der Nacht.
Sieht dich die theuere Herrin am Morgen dann liegen, so sei denn
    Du ihr ein Zeuge der Zeit, die ich so elend verbracht.
Hüter, es sei! Leb' wohl! Ich gehe. Du kennst meine Liebe.
    Schimpflich verstießest du mich dennoch. Und dennoch – leb' wohl!
Ihr auch, grausame Pfosten, lebt wohl sammt der steinernen Schwelle,
    Thüre, so sklavisch, so feig, wie dort der Sklave – leb' wohl!

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