Ovid
Elegien der Liebe
Ovid

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5.
Der Traum.

        »Nacht war's, freundlich schon hatte der Schlaf mir die Augen geschlossen,
    Als mir – o höre! – ein Traum schrecklich die Seele befing:
Schön an den sonnigen Hügel gelehnt stand rauschend ein Eichwald,
    Drin unzähliges Volk munterer Vögel sich barg.
Ueppig grünte daneben die duftigste Wiese, vom klaren
    Wasser des flutenden Bachs sanft in den Wurzeln getränkt.
Ich selbst war vor der Hitze geflohn in den Schatten des Waldes,
    Doch mich umglühte die Luft selbst in dem Dickicht des Walds.
Plötzlich sah ich vor mir eine Kuh von blendender Weiße,
    Die nach Kräutern und Gras hier auf der Flur sich erging.
Weißer wohl war sie als Schnee, der, eben erst flockig gefallen,
    Noch auf dem Boden sich nicht thauend im Wasser gelöst.
Weißer auch war sie als Milch, die eben vom Euter des Schafes
    Kommt dick quellend und warm schäumende Blasen noch zeigt.
Ihr war ein kräftiger Stier der Gefährte und glückliche Gatte,
    Der mit dem Weibchen sich nun streckte behaglich ins Gras.
Während er also lag und, die Kräuter wieder und wieder
    Käuend, das würzige Mahl immer aufs neue genoß,
Schien es, als ob schlafmüd' ihm die Kraft hinschwinde, bis endlich
    Hörnergewaltig das Haupt schwer auf den Boden ihm sank.
Doch jetzt hoch aus der Luft, von flüchtigen Schwingen getragen,
    Kam eine Krähe und ließ schwatzend sich nieder im Gras.
Dreimal schlug sie den Schnabel dann keck in die schneeige Brust der
    Kuh und glänzendes Haar trug sie im Schnabel mit fort.
Lang stand zögernd die Kuh; dann verließ sie die Weide, verließ sie
    Selber den Stier – doch schwarz war nun die Brust ihr gefleckt.
Und jetzt gewahrte sie fern auf der Weide noch andere Stiere –
    Denn noch weideten fern andere Stiere durchs Gras.–
Stürzte sich stürmisch dorthin und mischte sich unter die Heerde
    Und von dem fetteren Grund raufte sie gierig das Gras.
Doch du, sage mir nun – du verstehst ja der nächtlichen Träume
    Deutung – wenn Wahres darin liegt, was bedeutet der Traum?«
Also sprach ich und mir versetzte der nächtlichen Träume
    Deuter, nachdem er im Geist jedes der Worte bedacht:
»Erstlich bedeutet die Glut, der du selbst nicht im Dickicht des Waldes
    Konntest entrinnen, für dich Lieb' in der eigenen Brust.
Ferner bedeutet die Kuh dir dein Mädchen – wohl paßt ja die Farbe;
    Du bist ihr Mann und du warst ihr auf der Weide der Stier.
Aber die Krähe, die ihr mit dem Schnabel die Brust so zerhackte,
    War wohl ein kuppelndes Weib, das deine Herrin umschleicht.
Wie von dem Stiere die Kuh nach langem Zögern sich trennte,
    Also läßt sie auch dich fröstelnd im einsamen Bett.
Endlich verkünden die Flecken der Brust, es habe auch sie nicht
    Frei sich von Treubruch, nicht frei sich von Schande bewahrt.« –
Also sagte der Deuter; da floh mir aus dem erstarrten
    Antlitz das Blut und schwarz stand mir vor Augen die Nacht.

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