Charlotte Niese
Kajus Rungholt
Charlotte Niese

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7 I.

»Noch einmal erzähle mir vom grimmen Waldstein, vom Schwedenkönig Gustav Adolf und von der Schlacht, in der du mitgekämpft!« rief eine junge bittende Stimme, und eine sonnverbrannte kräftige Knabenhand legte sich schmeichelnd einem ältlichen Manne auf die Schulter. Der Angeredete, der auf einem rohbehauenen Steinbänkchen saß und mit der Ausbesserung einer alten Wolljacke beschäftigt war, schüttelte den kurzgeschorenen Kopf.

»Geht nicht, Junkerlein!« sagte er kurz; »wißt Ihr doch selbst, daß die edle Frau mir bereits zweimal zehn Peitschenhiebe hat verabreichen lassen, weil ich mit Euch gar zu umständlich gesprochen und an den Schweden mancherlei ausgesetzt habe, was Eure Mutter in Harnisch brachte. Denn ob sie schon aus mecklenburgischem Hause ist, liebt sie doch die schwedischen Völker, als wären es ihre Brüder.«

»Weshalb tut sie das, Hinnerk?«

»Weiß ich's, junger Herr? Die edle Freifrau gönnt mir nur das Wort, wenn sie mich schilt. Aber geht, Junker Kai! Sie möchte Euch hier in meiner Nähe erblicken, und dann muß mein alter Rücken für Eure Neugier büßen.«

Der Junker ballte zornig die Hand.

8 »Bei meiner Seele, Hinnerk, wenn Holleby erst mein ist, werde ich dich niemals schlagen lassen!«

Der Knecht pfiff leise vor sich hin, und über seine wetterharten Züge flog ein gutmütiges Lächeln.

»Ihr habt ein gutes Herz, Junker Kai, aber wenn Ihr Herr über Holleby sein werdet, dann seid Ihr stolz und herrisch wie die andern Edelleute. Das liegt euch Großen im Blute: ihr müßt schlagen, und das Volk muß den Nacken beugen. Mir will freilich das Bücken nicht schmecken; wir von Fehmarn sind freigeboren und kennen keine Edelleute über uns. Daher werde ich wohl bald in meine Heimat reisen und euch allen Valet sagen!«

Kai faßte den Arm des Knechtes mit festem Griff.

»Das darfst du nicht!« rief er fast angstvoll. »Bedenke, was der Vater sagen wird, wenn er kommt und dich nicht hier findet! Was willst du auf Fehmarn? Hast du mir nicht selbst gesagt, daß dies Inselein flach und häßlich ist? Kein Baum wächst dort, seit König Erich den Wald abgebrannt hat. Bleib doch auf unserm schönen Seeland, bei unseren Buchenwäldern! Du wirst ja Heimweh nach unserem Lande bekommen!«

»Glaubt Ihr?« fragte Hinnerk halb spöttisch. »Was gehen mich die Buchenwälder an, wenn ich sie nicht durchschreiten kann, ohne stolzen Herren zu begegnen, die mich mit der Reitpeitsche schlagen, sobald ich ihnen nicht weit genug ausbiege, und die mich in den Turm werfen lassen, wenn ich mir ein armseliges Stück Wild in dem herrlichen Walde fange? Nein, junger Herr, für euch Junker mag die Insel Seeland ein gelobtes Land sein – für freie Bauern gibt's bessere Plätze, und daher sage ich Euch noch einmal, Junker, wundert 9 Euch nicht, wenn ich auf mein kahles Eiland gehe. Aber kommt Ihr einmal nach Holstein, so segelt über den Sund und besucht mich. Vielleicht findet Ihr auch Gefallen an meiner Heimat. Nun geht aber, Junker. Vorhin sah ich ein dunkles Gewand hinter der Dornenhecke; es war wohl die Frau Rungholt, die stets ein scharfes Auge über uns offen hält. Da ist sie wieder! Duckt Euch hinter den Steinwall! O weh, es ist zu spät!«

»Ja, es ist zu spät, alter Sünder!« sagte eine scharfe Stimme, und eine hagere Frauengestalt stand vor dem Knecht, der sich erhoben hatte und demütig seine Kappe vom Kopfe riß. »Ich habe deine gottlosen Reden angehört, und ich werde dir zeigen, daß du noch nicht auf deinem elenden Eilande bist, wo du nach Belieben Rehe stehlen und andere Schandtaten verüben kannst. Doch vorläufig kannst du im Turm über deine törichten Worte nachdenken.«

Hinnerk hob seine kleinen grauen Augen langsam zu der Sprecherin empor und sah sie starr an. Es mochte etwas in dem Blick liegen, was der Freifrau von Rungholt nicht gefiel; sie wandte sich kurz um und schritt dem Herrenhause zu, mit herrischem Wink ihren Stiefsohn Kajus an ihre Seite befehlend.

Die edle Frau von Rungholt mochte einst eine stattliche Erscheinung gewesen sein; jetzt war sie ältlich und verblüht. Ihr Gesicht zeigte noch feine Züge, doch farblose, runzelige Haut bedeckte dieselben, und ihre graublauen, mit spärlichen Wimpern umrandeten Augen sahen mürrisch vor sich hin. Ihr Anzug war dunkel und einfach; nur ein großes rotes Rubinkreuz, das sie über dem glatten Leinenkragen trug, und der 10 feingearbeitete silberne Schlüsselhaken an ihrer Seite zeugten von Wohlstand, wenn nicht von Reichtum.

Jetzt wandte sie sich plötzlich gegen Kajus, der einige Schritte hinter ihr herging.

»Habe ich dir nicht oft verboten, mit Hinnerk, diesem unzufriedenen Burschen, zu reden? Auch dich werde ich strafen, und zwar wirst du heute abend ohne Nachtessen schlafen gehen. Solltest du noch einmal mein Gebot übertreten, so lasse ich deinen Ungehorsam dem Herrn Prädikanten vermelden, damit dieser an dir die Rute nicht spare!«

Das scharfgeschnittene Gesicht des Knaben rötete sich bei diesen keifend gesprochenen Worten, und seine dunklen Augen blitzten zornig, aber er bezwang sich und sagte ruhig:

»Das Nachtessen werde ich schon verschmerzen, Frau Mutter, was aber den Herrn Prädikanten betrifft, so ist er ein guter Mann und wird mich nicht schlagen. Und wer mir sonst mit einer Rute naht, dem zerbreche ich sie auf seinem eigenen Rücken!«

Frau Rungholt wandte sich ihrem Stiefsohne zu und faßte nach dem Schlüsselbunde, als wenn sie dasselbe gegen ihn gebrauchen wolle, aber ein Blick auf Kais kräftige junge Gestalt ließ sie sich eines andern besinnen. Noch einmal drohte sie ihm; dann verschwand sie ebenso rasch, wie sie gekommen war, und der Knabe sah ihr kopfschüttelnd nach.

»Die Frau Mutter wird alle Tage wunderlicher,« sagte er halblaut vor sich hin; »ob sie wohl eine Hexe ist, wie Hinnerk sagt? Gestern abend lief eine große schwarze Katze mir nach, die mich böse ansah; sie hatte viel Ähnlichkeit mit der Frau Mutter; doch denke ich 11 mir kaum, daß der Prädikant zu uns kommen würde, wenn eine Hexe im Hause wäre!«

Langsam war Kai auf den Garten zugeschritten, welcher sich hinter dem Herrenhause hinzog. Es war kein Ziergarten, in den er jetzt durch eine Holztür eintrat, sondern ein großes Stück Gemüseland mit abgeernteten Beeten. Nur einige Herbstblumen fristeten hier und da ein kümmerliches Dasein, und dicht am Hause stand eine große, mit Flieder und Jasmin bewachsene Laube; sonst war nichts vorhanden, was den Namen Garten gerechtfertigt hätte, weder Gebüsch noch Rasen oder Zierpflanzen. Aber der Junker Kajus Rungholt schien dieses Stück Erde nicht reizlos zu finden. Er warf einen raschen Blick um sich, und als er weder im Garten noch hinter den kleinen Fensterscheiben des Herrenhauses einen Menschen sah, eilte er an ein großes Beet und zog mit vieler Geschicklichkeit eine Menge von gelben Wurzeln aus, von denen er den größten Teil in sein stark verschlissenes Tuchwams steckte, während er den Rest flüchtig von der Erde befreite, um sie dann flugs hinter seinen weißen Zähnen verschwinden zu lassen.

»Sie sind nicht mehr so schön wie im Sommer,« meinte er dann, »aber zum Abendbrot noch immer gut genug!«

»Kai! Kai!« rief eine helle Kinderstimme, und ein etwa zehnjähriger Knabe kam eilig über die Beete gelaufen. Lange goldene Locken flogen um sein rosiges Gesicht, und große blaue Augen mit dunklen Wimpern sahen mit einem merkwürdig beobachtenden Blick zu dem älteren Bruder empor, 12 der mit möglichster Geschwindigkeit den Rest der Wurzeln hinuntergeschluckt hatte.

»Was willst du, Klemens?« fragte er dann nicht unfreundlich. »Ich habe noch zu tun und kann nicht mit dir spielen.«

»Du sollst mir Bogen schnitzen, Kai!« sagte der andere im Tone des verwöhnten Kindes. »Ich will morgen nach der Scheibe schießen, und du sollst mir immer den Bogen spannen!«

»Bolzen werde ich dir vielleicht schnitzen, wenn du artig bist, aber zum Bogenspannen mußt du dir einen Hofjungen nehmen.«

»Keiner von den Hofjungen ist so stark wie du!« rief der Kleine weinerlich. »Auch sind sie alle dumm und lachen, wenn ich ihnen etwas befehle.«

Ein gutmütiges Lächeln ging über das Gesicht des Älteren, und er strich liebkosend über das weiche Haar des Bruders.

»Wenn ich dir einen Jungen zum Bogenspannen bringe, dann befehle ich ihm auch, dir zu gehorchen,« sagte er tröstend. »Jetzt aber geh ins Haus, die Frau Mutter wird nach dir verlangen, und ich habe noch im Hofe zu tun!«

Er wandte sich kurz um und trat, nachdem er den Garten durchschritten hatte, aus einer am Hause befestigten Tür auf den Hofplatz.

Der Edelhof Holleby gehörte dem deutschen Freiherrn von Rungholt, der seit einer Reihe von Jahren dem dänischen König Christian dem Vierten diente. Er lag im Nordosten der großen Insel Seeland und war eine der schönsten Besitzungen der Gegend. Große Buchenwaldungen, herrlicher 13 Weizenboden, üppige Wiesen erstreckten sich viele Morgen weit um den Edelhof, und schon mancher dänische Ritter hatte dem Freiherrn große Summen Geldes für den Besitz geboten. Doch der deutsche Edelmann, obgleich er wohl wußte, daß seine dänischen Standesgenossen ihn seines Gutes wegen scheel ansahen, hatte bis jetzt alle Anerbietungen abgelehnt und erklärt, daß er den Edelhof seinem ältesten Sohne bestimmt habe. Der Freiherr selbst konnte nicht oft die Freuden des ländlichen Lebens genießen. Er war dem Könige lieb geworden und durfte ihn daher selten verlassen, oder er wurde von ihm in seine Provinzen gesandt, um bald als Staatsmann, bald als Krieger seinem Herrn zu nützen. So kam es, daß Monate, ja sogar Jahre verstrichen, ehe der Freiherr in Holleby seine Familie besuchen konnte. Es gab am dänischen Hofe böse Zungen, die behaupteten, daß der König dem Freiherrn oft Urlaub angeboten, um heimzureiten, daß letzterer aber selten Lust verspüre, sein Ehegemahl, die Freifrau, aufzusuchen, und niemand wollte ihm sein Sträuben verdenken. Denn Frau Rungholt galt für eine herrschsüchtige und geizige Frau, die ihren Stiefsohn Kajus schlecht behandelte, wogegen sie ihren leiblichen Sohn Klemens abgöttisch liebte.

Allerdings war auch bei Junker Kajus ein Häkchen, und mancher hochmütige dänische Edelmann schüttelte darüber bedenklich den Kopf. Seine Mutter war nämlich keines Adeligen, sondern eines Kaufmanns Tochter gewesen, und wenn man auch nicht wagte, offen seine Ritterbürtigkeit zu bezweifeln, – König Christian konnte über solchen Hochmut sehr böse werden, – so bedauerte man doch von Herzen den 14 armen Junker, der außer dem Mißgeschick einer bösen Stiefmutter noch das einer zweifelhaften Geburt besaß und eigentlich nicht fähig war, einen dänischen Edelhof zum Eigentum zu haben.

Von allen diesen Dingen wußte Junker Kajus nichts. Er stand jetzt wohlgemut auf dem Hofplatz und sah den Kühen zu, die durch das Torhaus dem Stalle zugetrieben wurden, denn es war Ende September und des Nachts zu kalt für sie, um auf der Weide zu bleiben. Man sah es den Tieren an, daß sie sich auf den warmen Stall freuten; sie brüllten freudig und drängten sich hastig der geöffneten Tür zu. Nur einige Stücke Jungvieh schienen Lust zu verspüren, die goldene Freiheit noch zu genießen, und galoppierten schwerfällig auf dem weiten Hofplatz umher, verfolgt von einem großen weißen Schäferhunde, dem sie aber mutig die Hörner zeigten. Die untergehende Herbstsonne beleuchtete ein freundliches Bild: der stattliche Herrenhof mit seinen alten Bäumen, seinem gutgebauten, wenn auch niedrigen Herrenhause, den Scheuern auf beiden Seiten und dem Torhause mit dem Glockentürmchen darauf schien belebt und heiter, wozu das brüllende Vieh, die treibenden Knechte und die bellenden Hunde ihr Teil beitrugen.

Doch schien kein Mensch auf dem Hofe zu sein, dem dieser Anblick Freude machte; es war für alle etwas Alltägliches, Altgewohntes.

Nachdem die Kühe in den Stall getrieben, trat Kajus in ihn ein.

»Sind die Tiere schon gemolken?« fragte er eine mit schwerem Eimer bewaffnete Stallmagd. Diese knickste ehrerbietig.

15 »Nein, Junker; die Frau will immer, daß wir im Stall melken, obgleich es nicht gut für die Milch ist. Es ist wohl Mecklenburger Mode!« setzte sie in ihrem spitzigen Seeländer Dänisch hinzu, als sie merkte, daß Kai sich prüfend umsah. Dann zog er einen zinnernen Becher hervor. »Melk' mir diesen Becher voll!« befahl er. »Aber rasch, damit die Frau Mutter mich nicht hier ertappe. Und nimm die schwarze Kuh mit dem weißen Stern vor! Sie gefällt mir am besten!«

Das Mädchen gehorchte behend, und der Junker trank drei Becher von der schäumenden Milch der schwarzen Kuh, ehe die Stalltür sich öffnete, um die Freifrau einzulassen. Sie kam immer, um das Melken zu beaufsichtigen.

Kajus aber schlich leise aus der Hintertür und nickte zufrieden. »Mein Abendessen habe ich nun doch weg, Frau Mutter, und es schmeckte mir ebensogut, als wenn ich mit Euch Buchweizengrütze und Dünnbier gespeist hätte!«

Gemächlich schlenderte er dem Herrenhause zu und trat dann in die Tür desselben, die in einen großen Raum, Halle genannt, führte. Diese machte einen hohen, freundlichen Eindruck schon dadurch, daß die Wände mit dunklem Holzwerk bekleidet, während Decke und Estrich hell gestrichen waren. Das Licht fiel von zwei Seiten hinein, und die Fenster waren hoch und spitz wie Kirchenfenster, auch wie diese mit farbigen Malereien bedeckt. In der Mitte stand ein schwerer Eichentisch; einige geschnitzte Stühle, ein Kredenztisch mit Zinnkrügen und einige Bänke an der Wand bildeten die Ausstattung der Halle, an 16 deren einer Seite ein mächtiger Kamin für den Winter gute Wärme versprach.

Die Sonne schien mit ihren letzten Strahlen goldig durch die bunten Fenster, als Kajus eintrat, und er hob unwillkürlich seine Augen zu der im vollen Farbenglanz strahlenden Malerei. Dann stellte er sich andächtig mit gefalteten Händen vor das Kunstwerk, das den triumphierenden David darstellte, der mit lächerlich kleinen Ärmchen Goliaths Schwert schwang, um dem unglücklichen Riesen das große Haupt abzuschlagen. Der Junker betrachtete die Malerei, bis die Farben der Bilder verblaßten und die Sonne eine andere Darstellung bestrahlte. Auf diese warf Kajus aber nur einen halb verächtlichen Blick. Der singende David, der dem Judenkönig Stückchen auf der Harfe vorspielte, war ihm unbegreiflich. Er haßte das fahrende Volk der Sänger, und es blieb ihm unverständlich, wie man erst einen Riesen töten und dann noch Harfe klimpern mochte.

Darauf streckte sich der Junker gemächlich auf eine der Holzbänke, die durch den großen, wie eine Hütte vorspringenden Kamin fast verdeckt wurden. Er wußte, daß seine Stiefmutter noch längere Zeit im Kuhstall zu tun hatte, und das gab ihm ein angenehmes Gefühl der Sicherheit, denn er liebte nicht, viel mit ihr zusammen zu sein.

Nachdenklich betrachtete er noch einmal die bunten Scheiben und blickte auf, als plötzlich die schwere Haustür sich öffnete und die Freifrau eintrat. Rasch drückte er sich dann an das dunkle Holzgetäfel der Wand; er hielt es nicht für nötig, daß sie ihn erblickte, besonders als er merkte, wie ein Fremder ihr folgte.

17 In der halbgeöffneten Tür erschien eine große, starke Gestalt, und mit einem scharfen Blick musterte Kajus die ganze Erscheinung. Ein ledernes, ziemlich vertragenes Koller, schwere Reiterstiefel und ein großer grauer Schlapphut mit Federn bildeten den Anzug des Fremden, der an der Seite noch einen großen Degen trug, den er klirrend auf den Fußboden fallen ließ, während er sich schwerfällig auf einen der am Tische stehenden Stühle setzte.

»Lasset nur nicht zu lange mit dem Labetrunk warten, Frau Cousine,« sagte er mit heiserer Stimme. »Der verwünschte Staub auf der Landstraße hat meine Kehle gedörrt wie ungegerbtes Leder, so daß ich mich nicht imstande fühle, ein längeres Wort mit Euch zu reden!«

Frau Rungholt nahm von der Kredenz einen der blanken Zinnkrüge und ging hinaus. Der Fremde knöpfte unterdessen sein Koller auf, streckte die Beine von sich und stöhnte zufrieden.

»Sie scheint mir hier recht gut zu sitzen!« sagte er dann halblaut und wendete sein Gesicht nach dem offen gebliebenen Eingang, so daß Kajus ein verschwommenes Gesicht mit strohgelbem Knebelbart und hervortretenden graublauen Augen erkennen konnte.

Jetzt trat die Freifrau wieder ein und schenkte schäumendes Bier in einen Steinkrug, den sie vor ihren Gast hinstellte.

Dieser murmelte einige Worte, von denen man das Wort Wein verstehen konnte; doch trank er in durstigen Zügen und wischte sich dann mit der Hand den Schnurrbart.

18 »Kein übler Trunk!« sagte er herablassend. »Bin freilich den Wein mehr gewohnt in Deutschland –«

»Dann hättet Ihr in Deutschland bleiben müssen!« unterbrach ihn spitzigen Tones seine Wirtin. »Hier in Dänemark gibt man den Gästen nicht mehr, als man hat!«

»Nun, nun,« begütigte der andere, »seid doch nicht gleich so hitzig, werte Frau Base! Man sollte meinen, Ihr wäret noch das schnippische Jungfräulein, das mit mir, dem Junker von Zoppelow, manch tollen Tanz am Hofe zu Güstrow aufführte. Damals konntet Ihr antworten! Es war eine Lust, Euch zu hören, und ich gedenke noch manchmal Eurer witzigen Rede, der ich so gern lauschte!«

Das mürrische Gesicht der Hausfrau legte sich in freundlichere Falten bei der Schmeichelei des Ritters, und sie füllte noch einmal den Krug des Sprechers, was dieser mit listigem Lächeln bemerkte. Dann setzte sie sich ihm gegenüber.

»Ihr habt recht, Herr von Zoppelow,« sagte sie seufzend, »unsere Jugendzeit war eine herrliche, und ich gedenke ihrer mit Wehmut. Es ist mir bitter hart, daß der böse Krieg auch unser armes Mecklenburg so arg mitgenommen hat und daß unsere regierenden Herren in der Fremde einen Unterschlupf finden müssen. Ich wäre auch gern einmal in die Heimat gereist, um mir alles anzusehen; doch mein Eheherr ist ein strenger Gebieter, der es nicht duldet, wenn ich mich vom Hofe entferne!«

»Ist auch besser so!« rief der Landsmann rauh. »Weibsvolk tut besser, daheimzubleiben und Suppe zu kochen, als sich in Kriegsgefahr zu begeben. Ihr 19 würdet Eure Heimat nicht wiedererkennen. Der Waldstein ist übel mit ihr verfahren, und manches Herrenschloß, in dem Ihr den Reigen lustig tanztet, liegt als Trümmerhaufen da.«

Die Freifrau hörte dem Sprecher aufmerksam zu.

»Wollte Gott, es gäbe weder Kaiserliche noch Schweden!« seufzte sie. »Ich halte von beiden Teilen gar nichts, seit Gustav Adolf bei Lützen gefallen ist, und mich bedünkt, daß die Krieger, die jetzt unter seinen Fahnen kämpfen, ebenso grausam und beutegierig sind, wie die katholischen Heere!«

Herr von Zoppelow räusperte sich.

»Ihr seid falsch berichtet, werte Cousine,« sagte er dann mit Nachdruck. »Die Schweden sind freilich auch nicht säuberlich gegen ihre Feinde losgezogen, aber ihre Sache war gerecht, und sie durften sich etwas gegen die Papisten und gegen alle, die es mit diesen halten, erlauben. Glaubt mir,« fuhr er lebhafter fort, als die Freifrau den Kopf schüttelte, »ich verstehe es zu beurteilen. Bin ich doch selbst schwedischer Rittmeister und habe mein Reiterfähnlein bei Lützen gut geführt.«

Diese Mitteilung machte auf die Hausherrin keinen großen Eindruck.

»So, so!« sagte sie kurz, und warf einen mißtrauischen Blick auf den Mecklenburger, der beide Arme auf den Tisch gelegt hatte und sie erwartungsvoll anblickte.

»Was wollt Ihr denn auf Seeland?« fragte sie nach einer Weile.

Herr von Zoppelow zwirbelte den gelben Schnurrbart zwischen den Fingern und setzte sich fester hin.

20 »Seht, Frau Cousine,« rief er mit seiner krächzenden Stimme, »ich will Euch mein Kommen offen erklären. Wenn ich auch der schwedischen Fahne treu diene, so hat sie mir bislang blutwenig Glück gebracht, dagegen mancherlei Blessuren, am Arm, am Bein, am Halse, der Teufel weiß, wo sonst noch. Weil aber in Deutschland kein sicher Leben ist, habe ich an meine liebwerteste Frau Cousine gedacht, die einen armen Vettersmann sicherlich gut aufnehmen und verpflegen wird. Ist es nicht so, Frau Mathilde?«

Die Züge der Freifrau waren bei seinen Worten immer härter und strenger geworden; jetzt stand sie auf und bemerkte kurz:

»Es wird mir eine Ehre sein, dem Herrn von Zoppelow ein Nachtquartier zu geben, wenn ich ihn auch nicht zum langen Bleiben einladen kann. Denn eine einzelne Frau muß wohl auf ihren Ruf achten und kann nicht wochenlang einen Ritter bei sich aufnehmen, der kaum mit ihrer Großmutter und noch viel weniger mit ihr selbst blutsverwandt ist.«

Die Rede der Freifrau schien dem Gaste nicht sonderlich zu gefallen; er versuchte mehrfach ein begütigendes Wort einzuschieben; aber als sie geendet hatte, blieb er ruhig sitzen und überhörte auch die Aufforderung seiner Wirtin, sich auf das Gastzimmer geleiten zu lassen.

»Wo ist Euer Gemahl?« fragte er.

»In Kopenhagen, in Kronenburg, in Norwegen und Jütland; überall, wohin ihn der Wille Christians ruft.«

»Kommt er bald wieder hierher?«

»Erst kürzlich war er auf Holleby, und da es ihm 21 hier niemals sonderlich gefallen will und er sich stets nach des Königs Hof und seinem bunten Treiben sehnt, so wird er wohl vor dem nächsten Jahre nicht wiederkommen!« rief die Freifrau, ungeduldig mit den Schlüsseln klirrend.

»Hattet Ihr nicht einen Stiefsohn, werte Frau?« fragte Zoppelow unbekümmert weiter.

»Gott sei's geklagt, ja!« versetzte die Gefragte geärgert. »Der Bursch wird alle Tage größer und ißt wie ein Landsknecht!«

»Laßt ihn doch einen werden!« rief Zoppelow, und Kajus, der bis jetzt teilnahmlos auf der Bank gelegen, richtete sich aufmerksam auf. Es war im Hintergrunde der Halle ganz dunkel geworden, und der Rest des Tageslichtes beschien nur den dicken Mecklenburger und seine Wirtin.

»Schickt ihn fort!« riet Zoppelow noch einmal. »Ich weiß einen Hauptmann, der ihn gern nehmen würde, und dann –« er lachte spöttisch, »mancher kommt nicht wieder, der in den Krieg gezogen!«

Frau Rungholt setzte sich wieder.

»Der Gedanke ließe sich hören,« sagte sie dann halblaut; »indessen muß dazu noch mancherlei überlegt werden. Wenn Ihr ihn und meinen Klemens erblickt, so werdet Ihr sehen, was für ein Unterschied zwischen beiden ist! Der eine ein Herrenkind, der andere ein häßlicher Bube, dem jedermann das bürgerliche Blut ansieht!«

»Also seine Mutter war eine Bürgerliche?« rief Zoppelow überrascht, während er langsam aufstand. »Nun, liebe Frau, dann ist's nicht zu verwundern, wenn er anders ist denn Euer Kind. Art läßt nicht 22 von Art. Doch darüber wollen wir morgen weitersprechen. Führet mich gefälligst in mein Gemach und sendet mir etwas Nachtessen hinein; morgen früh wird mein stets waches Gehirn für Euch und Euer Söhnchen einen guten Plan geschmiedet haben, der Eurer Seele wohltun wird!«

Frau Rungholt öffnete ohne ein Wort der Erwiderung die Tür, die nach dem Innern des Hauses führte, und ging hinaus, gefolgt von dem schweren Schritt des Gastes.

Als beide verschwunden waren, richtete Junker Kai sich langsam empor.

»Was wollte der Mann?« fragte er sich nachdenklich. »Er scheint mir übel gesinnt zu sein, obgleich ich ihm nichts tat. Zum Landsknecht lasse ich mich aber nicht machen. Ich will ein Reitersmann werden!«

Geräuschlos schlüpfte er aus der Halle.


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