Charlotte Niese
Kajus Rungholt
Charlotte Niese

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XVII.

In dem geräumigen Hofe des Schlosses Gottorp standen mehrere Kavaliere. Sie mußten soeben vom Ballschlagen gekommen sein, denn sie trugen noch die nach unten hin breit ausgeschweiften, mit Leder überzogenen Stöcke in den Händen, und einer von ihnen, dem ein Ball an den Kopf geflogen war, rieb sich verdrießlich die Stirn.

»Wenn ich morgen zum Ballfest nicht kommen kann, weil eine rote Beule aus meinem Kopf herauswächst, so seid Ihr daran schuld,« murrte er, zu einem schlanken Herrn gewendet, der leicht die Schultern hob.

»Ich will Eure Stelle bei dem schönen Fräulein Rumohr vertreten, Herr von Ahlefeld,« sagte er spöttisch, »und ich hoffe, sie wird sich trösten.« Die anderen Herren lachten, und der arme Junker Ahlefeld schaute vergebens nach einem teilnehmenden Gesicht aus.

»Tröste dich mit mir, Johann,« sagte ein anderer Junker. »Vor kurzem, als wir das Lanzenstechen hatten, warf mich der dänische Freiherr mit solcher 227 Gewalt aus dem Sattel, daß ich einen Tag im Bett liegen mußte.«

»Er ist kein Däne,« warf der große Herr ein, der dem Junker Ahlefeld den Ball an die Stirn geworfen hatte. »Sein Vater ist ein Deutscher, und seine Mutter war eine Kieler Bürgerstochter!«

»Seine hochfürstliche Durchlaucht haben ihn auch neulich gefragt, ob er nicht in schleswigsche Dienste treten wolle –«, fiel ein dritter Junker dem Sprecher ins Wort.

»Was erwiderte er?« fragte dieser, während sein schmales Gesicht einen gespannten Ausdruck annahm.

»Er verneigte sich, ohne ein Wort zu sprechen.«

»Hm. Er würde gut tun, unseres gnädigen Herrn Anerbieten nicht zurückzuweisen. Mit dem Reiche Dänemark geht's zu Ende. Der König ist alt und krank, die Schweden kommen von allen Seiten, und in Kopenhagen regiert Uhlfeld mit seinem stolzen Weibe. Es werden üble Zeiten für alle kommen!«

Der Junker, aus dem alten Geschlecht der Reventlow, hatte mit großer Bedächtigkeit gesprochen, und seine schnarrende Stimme klang weit über den Hof.

»Sprich nicht so laut!« mahnte ihn sein Freund, der dicke Herr Pogwisch; »du weißt, daß es der Herzog nicht liebt, wenn wir über Politik sprechen!«

»Schon gut,« sagte der andere ungeduldig, »Seine Durchlaucht kann mit unserem Gehorsam zufrieden sein!« Er wollte noch mehr hinzusetzen, als die Erscheinung eines reichgekleideten jungen Herrn seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.

»Seid mir gegrüßt, werter Freiherr!« rief er, dem Näherkommenden einige Schritte 228 entgegentretend. »Wir haben Eure Anwesenheit beim Ballspiel schmerzlich vermißt. – Doch, was führt Euch zu dieser Stunde in solchem Putz hierher? Hat eines unserer Fräulein Euch so in die Augen gestochen, daß Ihr ihm eine Erklärung machen wollt? Wahrlich, ich muß Euren Schneider loben; der Schnitt Eures Rockes ist vorzüglich!«

Kajus Rungholt lächelte flüchtig.

»Dem Schneider könnt Ihr persönlich Euer Lob wiederholen, denn er wohnt hier in Schleswig und scheint sich nach mehr Kundschaft zu sehnen. Doch verzeiht, daß ich Euch eilig verlasse: Seine Durchlaucht erwartet mich!«

»Ihr geht zum Herzog!« rief Reventlow überrascht. »Wisset Ihr, was er Euch mitteilen wird?«

Die Stirn des jungen Abgesandten umwölkte sich.

»Es ist meine Abschiedsaudienz!« erwiderte er, mit höflichem Gruße weitergehend, und schweigend blickten die andern ihm nach.

»Schade, daß er uns verläßt!« sagte der Junker Pogwisch, »aber der Herzog hat ihn schon lange genug auf Antwort harren lassen.«

»Wird er des Dänenkönigs Bitte um Beistand erfüllen?« fragte Ahlefeld.

Der Gefragte lachte behaglich.

»Sicherlich nicht, Junkerlein,« entgegnete er. »Nicht umsonst hat Seine Durchlaucht mit großen Opfern erlangt, daß die Schweden in sein Land nicht einfallen; er wird seine teuer erkaufte Neutralität nicht preisgeben wollen, und seine Untertanen danken ihm aufrichtig dafür.«

Unterdessen hatte ein Page den Abgesandten des 229 Königs in das mit reichem Schnitzwerk versehene Betzimmer geführt, wo der Herzog Friedrich sehr häufig Audienz gab, und Kajus stand an einem der Fenster und blickte durch die kleingefaßten Scheiben auf die roten Dächer der Stadt Schleswig.

Kajus Rungholt hatte nicht viel Zeit gehabt, seinen eigenen Gedanken nachzuhängen. Nach mühevoller Reise durch Holstein, wo er fast den Feinden in die Hände gefallen wäre, hatte Herzog Friedrich ihn gnädig aufgenommen. Auch die schleswigschen Junker kamen ihm freundlich entgegen, und bald fühlte sich der junge Freiherr sehr wohl im Kreise gleichaltriger Genossen. Die Tage vergingen ihm schnell, und er würde sich zufrieden gegeben haben, wenn ihn nicht der Gedanke an seine Mission beunruhigt hätte.

Dem Herzog Friedrich von Gottorp gehörte ein großer Teil von Schleswig und Holstein. Zwar war der König von Dänemark sein Lehnsherr; aber dafür zahlte der Herzog schon hohe Abgaben.

Jetzt verlangte Christian, daß Friedrich ihm Hilfstruppen stellte, damit er weiter gegen die Schweden kämpfen könnte, und Kajus merkte deutlich, daß der Herzog diesem Verlangen nicht entsprechen würde. Bei längerem Verweilen in den herzoglichen Landen mußte Kajus sich klarmachen, daß er dem Fürsten diese Zurückhaltung nicht verargen konnte. Überall herrschte Wohlstand, der Handel blühte trotz der Kriegszeiten, und durch seine Geschäftsträger in Stockholm war es Friedrich gelungen, mit schweren Opfern seine Neutralität zu behaupten. Wenn er sich auf die Seite der Dänen stellte, würden die schwedischen 230 Truppen keine Rücksicht üben, und des Landes Reichtum wäre verwüstet worden.

Heute nun sollte der Freiherr, nachdem er öfters bescheidentlich darum gebeten hatte, die Antwort des Herzogs empfangen, und obgleich der junge Mann sich keinen trügerischen Hoffnungen hingab, so klopfte doch sein Herz, als sich die Tür öffnete und der Fürst eintrat.

Friedrich von Gottorp, aus dem königlichen Geschlechte der Oldenburger, war eine fürstliche Erscheinung, dessen feingeschnittene Züge den Ausdruck liebenswürdigen Wohlwollens trugen. Er grüßte den jungen Freiherrn mit gütiger Handbewegung und ließ sich dann in einen hohen, mit goldgepreßtem Leder überzogenen Lehnstuhl nieder.

»Wollet mein Sitzen entschuldigen,« sagte er höflich, »aber ich spüre die Beschwerde des Alters, und lieb würde es mir sein, wenn auch Ihr, Herr von Rungholt, Euch setzen wolltet!«

Kajus gehorchte der Aufforderung, während der Herzog mit den kostbaren Ringen an seinen schöngeformten Händen spielte.

Er sah nachdenklich aus, und ein müder Zug legte sich über sein Gesicht, als er fortfuhr:

»Ich weiß, Herr Freiherr, daß Ihr schon lange einem Bescheide auf den Brief Seiner Majestät entgegenseht, und auch ich würde denselben Euch mit Freuden schon eher erteilt haben, wenn ich meinem königlichen Vetter eine gute Antwort hätte geben können.«

Er hielt inne und blickte vor sich nieder, während Kajus gespannt den Worten des Fürsten lauschte.

231 Friedrich lehnte sich jetzt zurück und sah den dänischen Abgesandten mit seinen klugen grauen Augen an.

»Als Torstenson im Anfang des Jahres in Holstein einfiel,« fuhr er dann fort, »sandte ich einen Boten zu ihm und einen anderen nach Stockholm. Nach vielem Schreiben und Ansuchen gelang es mir endlich, für mein Land die Neutralität zu erlangen. Ihr könnt denken, daß der Schwede sich hat gut bezahlen lassen, aber was konnte ich tun? Sollte ich mein geliebtes Land zur Wüstenei werden lassen? Wollte ich, daß alle meine Mühe und Arbeit, die ich seit achtundzwanzig Jahren mit Freuden meinem Reiche widmete, vergebens waren? Seit sieben Monaten habe ich mein Herzogtum vor der Wut der Schweden bewahrt; neige ich mich jetzt auf die Seite der Dänen, so kann ich erleben, daß von meinem Schloß Gottorp nach wenigen Tagen kein Stein auf dem andern bleibt, und daß ich elend fliehen muß. Des Königs Majestät vermag seinen Freunden nicht viel Schutz zu gewähren!«

Kajus wagte zu bemerken, daß, sobald sein königlicher Herr wiederhergestellt wäre, er sich mit erneuter Kraft verteidigen würde, und daß er eine ihm jetzt geleistete Hilfe fürstlich belohnen wollte.

Der Herzog schüttelte unmerklich das leicht ergrauende Haupt.

»Seine Majestät wird mich seiner allerhöchsten Gnade versichern, und damit muß ich mich begnügen. Ich kenne die Versprechungen der dänischen Krone; ich aber bin deutscher Reichsfürst und habe die Hand meines königlichen Oberherrn nur zu oft schwer empfunden!«

232 »Sofern Eure Durchlaucht einen besonderen Wunsch haben, wird mein gnädiger Herr ihn mit Freuden erfüllen!« versicherte Kajus, aber Friedrich zuckte die Achseln.

»Er wird es doch nicht tun,« sagte er bedächtig, »und ich muß das Wohl meines Landes bedenken. Auch ist Seine Majestät alt – wer wird ihm folgen?«

»Prinz Christian!« entgegnete Kajus ohne Zögern.

»Der Prinz hat ein schweres Körperleiden!«

»Sein rechtmäßiger Erbe ist alsdann Prinz Friedrich,« versetzte der junge Freiherr.

»Und wo bleibt Korfiz Uhlfeld?« fragte der Herzog nach einer Pause.

Kajus antwortete nicht.

»Herr Freiherr,« sagte der Herzog ernst, »der schwache Geist der Menschen vermag nicht in die Zukunft zu blicken, und des Allmächtigen Wege sind unerforschlich, aber ich bin des Glaubens, daß das dänische Reich traurigen Tagen entgegensieht. Es schmerzt mich um des Königs willen; er ist ein tapferer Fürst, dem ich ein friedliches Ende gönnte, aber es tut nicht gut, wenn zu viele regieren wollen!«

»Gebe Gott, daß Eure hochfürstliche Durchlaucht zu schwarz sehen!« bemerkte Kajus bekümmert.

Der Fürst sah wohlwollend auf den jungen Mann.

»Wie steht Ihr mit Eleonore Uhlfeld?« fragte er dann plötzlich.

Der Freiherr konnte kaum sein Erstaunen über diese Frage verhehlen.

»Ihre gräfliche Gnaden waren mir einstmals gewogen,« erwiderte er.

Der Herzog lächelte.

233 »Also sie ist es nicht mehr? Dann werdet Ihr keine Zukunft am dänischen Hofe haben! Wenigstens nicht, solange Christian der Vierte lebt!« setzte er hinzu. »Und wer weiß, was dann geschieht. Es werden viele Fäden gesponnen, und sie sind vielleicht zu fein für Euch!«

»Ich gedenke, nachdem ich mich meines Auftrags entledigt habe, auf mein Gut zu gehen, falls Seine Majestät es gestattet.«

»Wenn König Christian die Augen geschlossen hat, würde ich Euch raten, Dänemark zu verlassen,« sagte Friedrich, prüfend den jungen Mann ansehend.

Während dieser nach einer Antwort suchte, erhob sich der Herzog.

»Mein Kanzler wird Euch das Antwortschreiben an meinen königlichen Herrn Vetter überreichen. Vermeldet ihm meinen ehrerbietigen Gruß und teilt ihm von dem, was ich sagte, mit, was Ihr für gut findet. Es ist nicht viel!« setzte er lächelnd hinzu.

Darauf reichte der Fürst dem Freiherrn die Hand, die dieser voll Ehrfurcht an seine Lippen zog.

»In Eurer Wohnung werdet Ihr ein kleines Angebinde finden, das ich Euch als Zeichen meiner Huld anzunehmen bitte. Und solltet Ihr einmal des Rates und der Hilfe bedürfen, so wendet Euch getrost an mich!«

Der Herzog sprach die letzten Worte mit mehr Wärme, als ihm sonst eigen war; auch hing er noch seinen Gedanken nach, nachdem sich die Tür bereits hinter dem Freiherrn geschlossen hatte.

»Er ist ein tapferer Kavalier,« murmelte er dann, »aber sein Sinn ist zu gerade und schlicht für die 234 krummen Pfade der Staatskunst. Der ist nichts für die stolze Eleonore und ihre feinen Ränke.«

Als Kajus wieder auf dem Schloßplatze erschien, fand er den Junker Reventlow dort allein. Er richtete einige gleichgültige Worte an ihn, aber der schleswigsche Herr merkte gleich, daß der Freiherr verstimmt und enttäuscht war.

»Seine Durchlaucht scheint Euch nicht viel Gutes gesagt zu haben,« bemerkte er leichthin, während er neben Kajus herging.

»Er war ausnehmend gnädig,« erwiderte dieser, »aber auf die Bitte meines königlichen Herrn hat er kaum geantwortet, und – – –«

»Ihr zieht mit leeren Händen ab,« fiel der andere ein. »Ja, ja, unser gnädigster Herr ist ein vorsichtiger Regent, und mancher Herrscher könnte von ihm lernen. Ich kann seine Weigerung, Euch zu helfen, nicht tadeln. Es sind schwere Zeiten, und die Fürsten haben viel zu leiden. Erfuhret Ihr, daß die Schweden die Hansburg bei Hadersleben in die Luft gesprengt haben? Seine Durchlaucht waren heute morgen höchlichst entsetzt!«

»Gott vernichte diese gottlose Bande!« rief Kajus erregt.

»Und lasse sie alle im Wasser ersaufen!« setzte Reventlow hinzu, dann faßte er Kajus unter den Arm, um ihn zu begleiten. Herr Reventlow war einer der hochmütigsten Kavaliere des Gottorper Hofes und zeigte zuerst dem jungen Freiherrn wenig Entgegenkommen. Nachdem er aber erfahren hatte, daß sein Vetter Henning Brockdorff der Freund von Rungholt gewesen war, wurde sein Benehmen weniger zurückhaltend. Kajus erzählte ihm viel von seinen 235 Erlebnissen, und beide junge Herren fanden Gefallen aneinander. Ihm vertraute Rungholt jene kleinen Andenken an, die von Henning Brockdorff stammten, denn die Jungfrau Agnete, der sie gebracht werden sollten, war ebenfalls mit Reventlow verwandt.

In eifrigem Gespräch schritten beide Junker die holprige Straße, die in die Stadt Schleswig führte, hinauf, und Reventlow suchte nach besten Kräften den Freiherrn über den geringen Erfolg seiner Sendung zu trösten. Es gelang ihm nicht besonders, und als die Herren in Kajus' Wohnung angelangt waren, warf dieser mißmutig seinen Hut auf den Tisch und fluchte derb. Das unglückliche Gefecht bei Fehmarn betrübte ihn nicht so, wie der schlechte Ausgang seiner diplomatischen Sendung.

Doch er wurde bald in seinem Unmut unterbrochen. Herr Kielmann, der junge Rat und Kanzler des Herzogs, brachte ihm das Schreiben, das er Seiner Majestät zu übergeben hatte; auch überreichte er ihm einen schöngearbeiteten silbernen Becher zum Andenken an den Fürsten.

Kajus nahm mit gebührender Ehrfurcht beides entgegen und sprach den Dank höflich aus, der ihm nicht aus dem Herzen kam. Über das lebhafte Gesicht des Herrn Kielmann flog ein leichtes Lächeln.

»Es ist meinem gnädigen Herrn unlieb, Seiner Majestät nicht besseren Bescheid geben zu können,« sagte er; »indessen hat auch König Christian nicht immer seinen herzoglichen Vetter mit Liebe behandelt. Schon vor Jahren versprach er Seiner Durchlaucht die Abtretung des Amtes Schwabstedt und die eigene 236 Lehnshoheit; solange dies nicht geschieht, wird mein gnädiger Herr dem König nicht zu Willen sein können!«

»Aber hiervon hat Seine Durchlaucht mir gar nichts gesagt!« rief Kajus überrascht.

»Mein erhabener Fürst fand es richtiger, durch meinen armseligen Mund zu sprechen!« lächelte der Rat. »Auch in seinem Handschreiben an des Königs Majestät hat er diese Bedingungen nicht erwähnt. Weiß er doch, daß sie ihm jetzt nicht erfüllt werden. Besonders nicht, da er kein Freund von Korfiz Uhlfeld und seiner Gemahlin ist. Diese zwei wollen jetzt Dänemark regieren – bis ein anderer kommt!«

Rungholt sah fragend in das kluge Gesicht des Staatsmannes.

»Ich verstehe nicht viel von der Politik; aber ich möchte wohl erfahren, ob Frau Eleonore immer weiter regieren wird!«

»Nein!« erwiderte Kielmann ruhig; wandte sich aber gleich ab und nahm höflich von dem Freiherrn Abschied, nachdem er erwähnte, daß Seine Durchlaucht befohlen hätten, dem Herrn Abgesandten ein sicheres Geleite bis an die Grenze seines Landes zu geben. Die Junker Pogwisch und Reventlow wären zu diesem Dienst ausersehen. Dann ging er, und auf seine Bitte begleitete ihn Reventlow, der ein schweigender Zeuge dieser Unterredung gewesen war.

Als er allein war, begann Kajus seine Sachen zu einer baldigen Abreise zu ordnen und war nicht wenig überrascht, den Junker Reventlow sehr bald wieder vor sich stehen zu sehen. Das schmale Gesicht des letzteren trug den Ausdruck von Bestürzung, aber er suchte sich eine möglichst ruhige Miene zu geben, 237 als er dem Freiherrn erklärte, daß dieser in drei Stunden reisefertig sein müsse.

Kajus konnte einen Ausruf des Staunens nicht unterdrücken.

»Vor einer halben Stunde bedauertet Ihr meine schnelle Abreise und suchtet mich zu überreden, noch einen Tag länger hier zu bleiben, und nun verlangt Ihr meine Entfernung in so kurzer Zeit!«

Der Junker trat vor den kleinen Spiegel, der Kajus' Zimmer zierte, und betrachtete sich aufmerksam.

»Nehmt mir meine Eile nicht übel, werter Freund,« sagte er dann; »aber mir fiel erst vor zehn Minuten ein, daß in zwei Tagen der Geburtstag meiner Muhme ist, die auf dem Johanniskloster bei Schleswig wohnt. Sie würde mir niemals verzeihen, wenn ich an dem Tage ihr meine respektvolle Aufwartung schuldig bliebe, und da ich noch von ihr erben kann, so könnte ich mir vielleicht schaden durch diesen Mangel an Ehrfurcht!«

»Ich kann mir kaum denken, daß Ihr so besorgt seid, zu erben!« sagte Kajus unwillkürlich lachend.

Reventlow zog die Augenbrauen in die Höhe.

»Ihr seid Herr eines großen Edelhofes und wißt nicht, wie es armen Junkern zumute ist. Ich will meiner Muhme nichts Böses wünschen, aber da sie alt und gebrechlich ist, so könnte ein sanfter Tod sie erlösen, und ich würde ihr lange nachweinen. Aber was rede ich lange! Packt Eure Sachen, Herr Freiherr, und laßt Eure Knechte die Pferde besorgen! Wir haben einen langen Ritt vor uns, und sie müssen bei Kräften sein!« Auf der Schwelle kehrte er noch einmal um.

238 »Diesen Brief gab mir Herr Kielmann für Euch. Er ist mit einem Boten, der lange unterwegs krank lag, an den Rat gekommen!«

Während der schleswigsche Junker sporenklirrend davoneilte, griff Kajus hastig nach dem Briefe. Schon lange sah er voll Sehnsucht nach einem Lebenszeichen seiner Gude aus, und wenn er auch überzeugt war, daß sie seiner in Treue gedachte, so trug er doch Verlangen nach einem Zeichen der Liebe. Einmal nur hatte sie ihm wenige flüchtige Zeilen geschrieben, nachdem sie erfuhr, daß sein Vater in der Seeschlacht bei Fehmarn gefallen war. Dies war der zweite Brief, und eilig brach er das große Siegel des Umschlages. Sein Inhalt war nur kurz; er lautete:

»Nachdem ich in Erfahrung gebracht, daß Ihr, Herr Freiherr, mich schändlich verraten und einer buhlerischen Dirne Eure Liebe schenktet, und daß Ihr heimlich den Herrn von Zoppelow ermordet habt, so sage ich mich hiermit von Euch los. Der allmächtige Gott hat mein Leid angesehen und mir in der Liebe Eures Bruders reichlichen Ersatz gegeben, so daß ich keine verlassene Braut bin. Der Herr, der gerecht richtet, möge am Jüngsten Tage Euch Eure Sünde verzeihen!

Gude von Thienen.«

Als die Junker Pogwisch und Reventlow, jeder gefolgt von zwei bewaffneten Knechten, vor die Wohnung des Freiherrn ritten, fanden sie ihn schon ungeduldig ihrer Ankunft harrend. Seine Augen lagen ihm tief im Kopfe, und ein düsteres Feuer brannte in ihnen. Schweigend bestieg er sein Roß, 239 und bald ritt die kleine Schar zum Nordtore der Stadt hinaus.

Die Nachmittagssonne warf ihre schrägen Strahlen auf das hellblau schimmernde Wasser der Schlei und auf die grünen Waldhügel, die sie umgaben. Es war ein hübscher Anblick, und der Junker Pogwisch, der auf seine Heimat stolz war, veranlaßte den Freiherrn, öfters sein Pferd anzuhalten und die anmutige Umgebung der Stadt Schleswig zu bewundern.

»Ihr müßt Euch Wasser und Wald recht betrachten, Herr Rungholt,« sagte er mit wichtiger Miene, »denn bald werden wir beides verlassen, und die schleswigsche Heide ist eine traurige Einöde, an der kein Mensch etwas Schönes sehen kann, es sei denn, er finde Gefallen an den Eiern, die der Kiebitz manchmal an den Moorgewässern legt!«

Er lachte herzlich über diesen Satz, den er für sehr witzig hielt, während Kajus sich vergebens bemühte, auf seine Unterhaltung einzugehen. Aber seine Zunge konnte nur mühsam Worte formen, und es lag ihm wie Blei in den Gliedern. Einen Wunsch nur hatte er: mit Flügeln über Land und See zu fliegen, um Rechenschaft zu verlangen von dem, der ihm sein alles genommen. Ingrimmig biß er die Zähne zusammen; dann spornte er sein Pferd zornig an, so daß Junker Pogwisch kaum mit ihm gleichen Schritt halten konnte.

Jetzt verließen die Reiter den zwischen Hecken führenden Weg, und nach wenig Minuten waren sie auf der Heide. Ein roter Schimmer lag über dem weiten Land, und die Hufe der Pferde versanken in dem hohen Kraut der Erika, die ihre feinen Blüten 240 öffnete. Unheimlich still war es; nur die Bienen summten über den Blumen, und ein Feldhuhn huschte mit seinen Küchlein über den Weg.

Herr Reventlow ritt bald vorn, bald hinten bei den Knechten und war fast ebenso still wie Kajus, und nachdem er mit seinem Diener geflüstert hatte, versank er in tiefes Schweigen, nur Herr von Pogwisch versuchte die Unterhaltung aufrechtzuerhalten, indem er einige harmlose Schwänke erzählte. Als es aber dunkler wurde und endlich nur eine schmale Mondsichel falbes Licht über die Heide warf, wickelte er sich fester in seinen Mantel.

»Zur Nachtzeit reite ich ungern hier,« wandte er sich halblaut zu Kajus, »und gar manches ist mir sehr unheimlich, denn König Abel, der Brudermörder, reitet allnächtlich auf einem schwarzen Hengst über die Schleswiger Heide, und wehe dem, der ihn erblickt! Vor Fleisch und Blut fürchte ich mich niemals; aber ein Gespenst könnte das Blut in meinen Adern erstarren machen!«

Plötzlich hielt Reventlow vor den zwei anderen Herren.

»Spannt die Hähne Eurer Pistolen!« flüsterte er hastig; »wir werden verfolgt!«

Er hatte noch nicht ausgesprochen, als ein Schuß durch die Nacht dröhnte. Kajus hörte, wie eine Kugel bei seinem Ohr vorbeipfiff, und als er, sich umwendend, hinter sich einige dunkle Gestalten erblickte, schoß er aufs Geratewohl ein Pistol auf sie ab. Obgleich er keine Ahnung hatte, wem der Überfall galt, so war es ihm eine Erleichterung, einmal wieder kämpfen zu können, und ohne auf den Zuruf Reventlows zu 241 achten, wandte er sein Pferd und jagte den Angreifern entgegen.

Mehrere Schüsse empfingen ihn; keiner derselben traf, und Kajus, der erfolglos sein zweites Pistol abschoß, griff zum Degen und hieb wütend um sich. Seine Begleiter folgten ihm, und einige Minuten hörte man nichts wie Waffengeklirr und dumpfe Flüche. Einer der feindlichen Reiter, der sich nicht ins Handgemenge begab, sondern sich abseits hielt, feuerte bedächtig in das Getümmel hinein, und Pogwisch, der soeben zum Schlage ausholte, sank stöhnend vom Pferde. Der andere stieß ein höhnisches Gelächter aus. Aber er triumphierte zu früh. Schon sprengte Kajus auf ihn zu, und ein mit aller Kraft geführter Hieb seines Degens warf ihn zu Boden. Reventlow und die Knechte taten das Ihrige, und die Angreifer, deren Zahl größer war als die der Schleswiger, schienen plötzlich den Mut zu verlieren. Eilig jagten sie über die Heide, in die Nacht hinein und überließen Kajus und Reventlow das Feld. Letzterer, der aus mehreren kleinen Wunden blutete, sprang vom Pferde und kniete neben Pogwisch, der regungslos im Heidekraut lag.

»Er ist tot!« sagte er finsteren Blickes. Die Kugel hatte den guten Junker in den Kopf getroffen.

Erschüttert kniete auch Kajus neben dem Toten, und beide Junker sprachen ein kurzes Gebet. Als sie sich wieder erhoben, trat einer der Knechte zu ihnen.

»Es liegen drei Erschlagene dort. Was soll aus ihnen werden?«

Ohne zu antworten, ging der Freiherr zu der Stelle. Das blasse Mondlicht fiel auf ein 242 blutüberströmtes, verzerrtes Gesicht, dessen verglaste Augen weit geöffnet waren, und mit einer Gebärde des Abscheus wandte sich Reventlow, der dem andern gefolgt war, ab, während Kajus düster auf den Gefallenen starrte.

»Es ist der holsteinische Junker von der Wisch,« sagte er mit bedeckter Stimme, »und ich weiß jetzt, wem der Überfall galt!«

»Der Herr dort,« bemerkte ein Knecht, »ist noch nicht tot. Ich habe gesehen, wie er atmete.«

»Wage keiner ihm Beistand zu leisten!« drohte Reventlow. »Der Schuft soll hier wie ein Hund auf der Heide sterben!«

Die andern beiden Toten schienen zwei gedungene Gesellen zu sein. Kajus kannte sie nicht; die schleswigschen Knechte erklärten sie für dänische Reiter, und der Freiherr mußte ihnen recht geben.

Außer dem Junker Pogwisch hatte die kleine Schar keinen Toten verloren, und vor diesem stand noch lange sein Freund.

»Bist einen schlechten Tod gestorben, und heimtückisch hat die Kugel dich getroffen. Aber der Allmächtige wird deine treue Seele mit Ehre annehmen und deinen Mörder elend sterben lassen!«

Die Schatten der Nacht begannen zu entweichen, als Rungholt mit seinen Begleitern die Reise fortsetzte. Man hatte zwei Knechte zurückgelassen, die den Junker Pogwisch zurück nach Schleswig bringen sollten, während ihnen zugleich befohlen war, den Junker Wisch und seine Genossen auf der Heide liegen zu lassen.

»Sie sollen den Raben zur Speise dienen!« setzte 243 Reventlow hinzu, noch einmal das stille Antlitz des Freundes liebevoll betrachtend.

Dann ritten sie weiter.

Stundenlang sprachen sie kein Wort. Endlich sagte Kajus: »Ihr wußtet von diesem Überfall?«

Der andere nickte. »Rat Kielmann teilte mir mit, daß sich dänische Junker unter falschem Namen in Schleswig umhertrieben, die Böses gegen Euch im Schilde führten. Wir wollten sie überlisten; daher mahnte ich zur Abreise, aber sie hatten gute Kundschafter!«

Kajus erinnerte sich jetzt, einen fremden Knecht gesehen zu haben, der mit seinen Dienern viel verkehrte.

»Wer war der andere Junker?« fragte er nach einer langen Weile.

Reventlow antwortete nicht. Er beugte sich zu seinem Pferde hinunter und schien die Frage überhört zu haben.

»Ihr müßt Feinde am dänischen Hofe haben,« sagte er endlich, »und wenn Ihr geneigt seid, einen Rat zu hören, so ist es der, daß Ihr Euch für eine Weile von Kopenhagen entfernt haltet. Den Brief des Herzogs könnt Ihr mit sicherem Boten zum König senden. Bei meiner Mutter werdet Ihr Gastfreundschaft finden.«

Kajus machte eine verneinende Bewegung.

»Dringt nicht weiter in mich,« sagte er mit unterdrückter Heftigkeit. »Ihr wißt nicht, was mich zum Hofe treibt, – gar manche Rechnung habe ich auszugleichen, und nicht eher werde ich Ruhe finden, bis –« er hielt inne und preßte die Lippen aufeinander.

Reventlow sagte nichts weiter, und als Apenrade 244 erreicht und damit seine Begleitung beendet war, nahm er freundlichen, fast herzlichen Abschied von dem Freiherrn, der sogleich mit einem Segelschiff weiterfahren wollte.

»Es ist mir leid um ihn,« murmelte der Junker, der sein Pferd in die Herberge lenkte. »Der Ausdruck seines Gesichtes verkündete mir nichts Gutes, und er wird sich wohl seiner Haut wehren, aber –« Er schüttelte den Kopf.

Als er eine Stunde später in der Wirtsstube vor einer kräftigen Mahlzeit saß, legte er plötzlich den Löffel nieder.

»Ob er wohl wußte, daß es sein eigener Bruder war, der ihn hinterrücks, wie ein Strauchdieb, überfiel? Er sagte kein Wort darüber, doch glaubte ich, daß er mich verstand, als ich ihm nicht antwortete, denn sein Gesicht ward bleich wie der Tod, und seine Augen funkelten wie glühende Kohlen. – Der Himmel bewahre ihn in Gnaden!« – –

Der Garten des Schlosses Rosenburg duftete nicht mehr von Rosen und von Jasminblüten. Der Lavendel duftete, gelber Fingerhut und blaue Astern schmückten, kunstreich geordnet, die Beete, von den hohen Bäumen flatterten gelbe Blätter auf die mit seinem Kies bestreuten Wege und kündeten das Nahen eines frühen Herbstes.

Es hatte geregnet, und große Tropfen zitterten in den Kelchen der Blumen oder fielen von den schwer niederhängenden Zweigen. Grau und düster lag das sinkende Tageslicht über dem einst lachenden Garten, und düster blickten die Augen der schönen Jungfrau 245 Gude vor sich hin, als sie langsamen Schrittes den breiten Weg entlangging, der zur Muschelgrotte führte.

Eine trostlose Zeit lag hinter ihr. Vor einem Monat schon hatte sie ihren Liebsten hier an dieser Stelle zum letztenmal umfangen, und noch immer war keine Kunde von ihm zu ihr gedrungen, noch immer wußte sie nicht die Stunde seiner Rückkehr. Ihr Herz verzehrte sich vor Sehnsucht nach dem, den sie mit einer fast sündhaften Leidenschaft liebte, und ihre Nächte verbrachte sie in Tränen. Wo sollte sie Trost finden? Frau Eleonore schenkte ihrem Kammerfräulein wenig Aufmerksamkeit, war sie doch von eigenen Sorgen in Anspruch genommen, auch hatte der Reichshofmeister sie verlassen, um im Auftrag des Königs nach England zu gehen, und Frau Uhlfeld, die schwer an der Trennung von ihrem Gemahl trug, war in ihrem Sehnsuchtsschmerz herrschsüchtiger und hochfahrender denn je. Dazu wurde die politische Lage des dänischen Reiches von Tag zu Tag bedenklicher; der König litt noch immer an den Folgen seiner Verwundung, und wohin man blickte, sah man ernste, trübe Gesichter.

Gesenkten Hauptes schritt Gude durch die feuchte Abendluft. Plötzlich vernahm sie ein Geräusch; vor ihr stand Klemens.

Mit einem lauten Ruf der Freude flog sie auf ihn zu, er aber gebot ihr hastig Stillschweigen.

»Komm mit mir in die Grotte,« flüsterte er, »ich möchte nicht gesehen werden!«

Gude gehorchte.

»O Geliebter,« sagte sie leise; »wie selig bin ich, dich hier zu haben! Du glaubst nicht, wie elend ich ohne dich war!«

246 Aber Klemens schenkte den Worten seiner Braut kein Ohr.

Mit auf der Brust gefalteten Händen stand er vor ihr. Sein Gesicht war bleich und seine Kleidung zerrissen.

»Ich muß fliehen!« sagte er kurz und abgebrochen. »Auf heimlichen Wegen schlich ich mich her, dich zu fragen, ob du mich begleiten willst!«

»Fliehen?« wiederholte Gude entsetzt. »Hast du dir Feinde gemacht?«

Er schien sie nicht zu hören.

»Noch in dieser Stunde muß ich fort,« rief er und sah sich scheu um. »Er verfolgt mich und will mir ans Leben. Aber er soll es mir büßen!« setzte er zähneknirschend hinzu.

»Du bist krank, mein Lieb!« rief Gude, mit der Hand über sein verstörtes Gesicht fahrend. »Wer sollte dich verfolgen und dir ans Leben wollen? Laß uns zur Gräfin gehen, sie wird uns huldvoll beistehen, wenn wir ihres Schutzes bedürfen.«

»Willst du mit mir fliehen?« fragte der Junker, ohne auf ihre Worte zu achten, und das Fräulein umfaßte ihn mit beiden Armen.

»Ich gehe mit dir bis ans Ende der Welt!« Dann aber fuhr sie entsetzt zurück, eine eiserne Faust faßte sie und schob sie zur Seite. Kajus Rungholt stand vor dem Paar, mit von Leidenschaft entstellten Zügen, bald Klemens, bald Gude anblickend. Er wollte sprechen, doch seine zitternden Lippen versagten ihm den Dienst.

Mit einem Wutschrei stürzte sein Bruder auf ihn zu, und blitzschnell fuhr sein Degen aus der Scheide.

247 »Jetzt soll kein Teufel dich mir entreißen!« rief er, fast sinnlos vor Wut. »Du sollst vor ihren Augen sterben!«

Aber auch Kajus hatte den Degen gezogen, und die blitzenden Klingen kreuzten sich in rasender Schnelle. Der Kampf dauerte nur wenige Minuten, dann taumelte Kajus zur Seite und ein Blutstrom schoß aus seinem Arm. Frohlockend holte Klemens zum zweiten Stoß aus, da traf ihn der Degen des Bruders in die Brust, und mit einem dumpfen Laut brach er zusammen.

* * *

Im königlichen Schlosse zu Kopenhagen saß in einem freundlichen Gemache zu ebener Erde König Christian, müde in seinen Stuhl zurückgelehnt. Plötzlich fuhr er zusammen, ein schwerer Gegenstand flog durch das geöffnete Fenster; es war ein Paket mit Briefschaften. Überrascht griff der Monarch danach, aber mit einem Seufzer legte er es wieder hin.

»Mein krankes Auge kann nicht lesen, und ich muß geduldig warten, bis Rosenkranz erscheint. Er wird mir sagen, was diese wunderliche Botschaft bedeutet!«


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