Charlotte Niese
Kajus Rungholt
Charlotte Niese

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VIII.

Eine düstere Stimmung lag in den folgenden Tagen über dem Herrenhause zu Holleby, und mit ernsten Mienen ging die Dienerschaft aus und ein in den großen dunklen Räumen. Es war viel zu tun, und der Freiherr, der seinem ältesten Sohne das Gut übergeben wollte, hatte manche ernste Unterredung mit Kajus, der sich mit großem Interesse den Gutsgeschäften zuwendete.

Jeder im Hause ging seinen eigenen Weg; Klemens und Zoppelow waren wenig sichtbar, Kajus hatte draußen zu tun, und der Freiherr ging oft in Gedanken versunken die schmalen Wege im Gärtchen auf und ab. Es war nichts Erfreuliches, was ihn bewegte. Mit scharfem Blick hatte er sofort erkannt, daß zwischen seinem jüngsten Sohne und Zoppelow ein geheimes Einvernehmen herrschte, das den Mecklenburger veranlaßte, mit auffallender Keckheit 101 aufzutreten. Er begriff nicht, daß dieser, dem er seinen Diebstahl damals auf frischer Tat nachwies, – er hatte, als er aus dem Zimmer der Freifrau fortgewiesen wurde, in der Eile sämtliche Spinde und Schränke offen gelassen, – noch wagte, weiter auf Holleby zu bleiben. Er verstand auch nicht, daß Klemens sich auf die Seite des Fremden schlug; war er denn nicht ein Rungholt, dem jedes Gemeine, Unadelige verhaßt sein mußte? Am liebsten hätte er Zoppelow aus dem Hause gewiesen; aber dieser hatte ihm bald nach seiner Ankunft, wie zufällig, den Geleitsbrief Uhlfelds gezeigt, mit dem er sich brüstete, und der Freiherr, so ungern er sich fügte, wußte doch, daß es für ihn gefährlich war, den mächtigen Staatsmann zu erzürnen.

Nachdem die Freifrau die übliche Zeit auf ihrem Totenbette ausgestellt war, damit ein jeder sie noch sehen konnte; nachdem alle Frauen des Gutes bei ihr Wache gehalten und für ihre Seele gebetet hatten, brach der Tag des Begräbnisses an. Es war ein düsterer Novembertag, der Wind fegte über den Hof, rüttelte an den Türen und dem Leiterwagen, der die Tote zu ihrer letzten Ruhe in die Kirche zu Holleby bringen sollte. Bis zur Kirche fuhr man fast eine Stunde, und langsam ging es durch die aufgeweichten Wege. Zuerst folgte nur das Hofgesinde, den Freiherrn und die Seinigen an der Spitze, im Laufe des Weges schlossen sich jedoch alle Edelleute der Nachbarschaft mit Begleitung an; denn ein Begräbnis und der damit verbundene Leichenschmaus war eine Feier, die jeder gern mitmachte.

Als endlich nach langsamer, ermüdender Fahrt 102 der Zug vor der Kirche anlangte, wurde der reichverzierte Metallsarg vom Wagen gehoben und vor der Tür des Grabgewölbes niedergesetzt. Alle Häupter entblößten sich, als jetzt der Magister von Holleby, Prädikant Lauritzen, vortrat und mit zitternder Stimme zu sprechen begann. Denn er war eben von der Schule zu Sorö gekommen und hatte Furcht vor den vielen Edelleuten, die nicht immer sanft mit ihren Geistlichen umgingen. Langsam begann er die Tugenden der Verstorbenen aufzuzählen, wie es ihm geboten war, aber allmählich vergaß er die vornehme Versammlung und gedachte der armen Seele, die jetzt vor Gottes Thron stand. Er bat für sie um Barmherzigkeit und Vergebung, und man merkte ihm an, daß er es wahrhaftig meinte. Stockstill standen die Edelleute. Einer oder der andere räusperte sich wohl, denn eigentlich war es unbescheiden von dem Magister, so frei von einer Edelfrau zu reden, für die der Allmächtige doch sicherlich ein gutes Plätzchen in seinem Himmel hatte; aber als der Prädikant nun auch für die Anwesenden, die Lebenden betete und für sie um ein sanftes Sterben und um Vergebung der Sünden bat, da wurden die Gesichter ernst, und die Köpfe neigten sich. Es war nicht angenehm, ans Sterben zu denken, wenn man mitten im Leben stand und es lange noch nicht verlassen wollte; aber der Magister sprach im ganzen verständig, und nachher konnte man die Rede auch wieder vergessen.

Klemens Rungholt weinte zuerst ganz laut; dann merkte er, daß er nicht sehr beachtet wurde, und er trocknete seine Augen. Die Blicke der Edelleute suchten den stattlichen Junker im roten Hofkleide, 103 dessen ehrliches Gesicht aufrichtige Betrübnis verriet. Was man ihm um so höher anrechnete, als jedermann in der Gegend wußte, wie schlecht die Verstorbene ihren Stiefsohn behandelt hatte. Es war allerdings bedauerlich, daß seine Mutter nicht adelig gewesen war, aber man wußte, wie der König darüber dachte, und man wußte auch, daß Rungholts Vermögen aus dem Kieler Kaufhaus stammte. Also war's besser, diesen Umstand zu vergessen.

Nach ernstem Gebet ward der Sarg in die Gruft gesenkt, der Stein darübergelegt, und alles eilte dem Edelhofe zu. Die Edelleute zu Pferd und zu Wagen, die Bauern und Knechte zu Fuß. Und alle vergaßen die Tote und dachten an den Leichenschmaus.

Auf einem schwerfälligen offenen Wagen saß der junge Magister, und zu ihm stieg Zoppelow. Der Mecklenburger hatte versucht, einige Tränen zu vergießen; es war ihm nicht gelungen, und nun war er verdrießlich. Denn kein Mensch hatte sich um ihn bekümmert.

»Warum redetet Ihr so lang und so fromm?« murrte er. »Von der Toten und ihren Tugenden sagtet Ihr gar nichts, und dann machtet Ihr uns die Hölle heiß. Wißt Ihr nicht, daß sich dies nicht schickt? Der Graf Trolle machte ein ganz böses Gesicht; der wird Euch noch was sagen!«

»Ich spreche, wie mir mein Amt gebietet!« entgegnete Lauritzen einfach, und Zoppelow sah ihn von der Seite an.

»Ihr seid nicht vorsichtig, junger Mann. Ihr hättet von Klemens mehr reden sollen. Hat der Euch 104 gestern nicht zwei Gänse vom Hof geschickt, damit Ihr ihn recht beklagen solltet? Und kein Wort sagtet Ihr!«

»Die Gänse schickte ich bereits zurück. Sie gehören dem Junker ja gar nicht. Er ist nicht der Herr von Holleby!«

Zoppelow wollte fluchen, dann sah er das feste Gesicht des Geistlichen und hob die Schultern.

»Ihr seid töricht, Magister. Kajus Rungholt ist ein schlimmer Mann, und wenn Ihr den zum Patron erhaltet, wird's Euch schlecht ergehn. Klemens hingegen würde sanft sein wie eine Taube, und manchen Goldgulden würde er Euch schicken, wenn Ihr dafür sorgtet, daß er der Herr hier würde.«

»Dafür kann ich nicht sorgen,« rief der Magister, »und ich will's auch nicht. Der Junker Klemens ist, wie seine Frau Mutter, geizig, falsch und hinterlistig. Meint Ihr, ich wüßte es nicht?«

»Aber er ist von edler Geburt, während Kajus der Sohn einer Bürgerstochter ist!« rief Zoppelow ärgerlich. »Und wenn Ihr recht übel von Kajus reden wollt und ihn vielleicht in der Predigt ein wenig schlecht machen, – Ihr könnt ja die Worte geschickt setzen, – dann verspreche ich Euch –«

Aber der Magister sah ihn zornig an, so daß er die letzten Worte brummend verschluckte und nachher, beim Leichenschmaus, seinen Ärger in sehr viel Wein und Bier ertränkte.


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